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Der mit dem werthen Schreiben vom 24 v. M. erhaltene Apparat ist zwar nicht in ganz brauchbarem Zustande angekommen, doch so, daß der Mechanicus darnach vollständig instruirt werden kann, und ich hoffe, mich in wenigen Tagen wieder aller der lehrreichen entoptischen Farbenerscheinungen durch eigne Anschauung zu erfreuen. Besonders danke ich sehr für das treffliche Glimmerblättchen, welches so leicht nicht zu haben ist.

Von Seiten des Herrn Ministers von Schuckmann, der ehegestern von der Reise zurückgekehrt ist, habe ich Folgendes zu melden. Die Nachricht von Ihrem Wohlbefinden und die Hoffnung, Sie hier zu sehen, erregte bei ihm die lebhafteste Theilnahme. Ich unterließ nicht zu bemerken, daß diese Hoffnung an eine Bedingung geknüpft sei, deren Erfüllung, da sie der Erhaltung Ihrer Gesundheit und Ruhe gelte, jedem Verehrer wichtig sein müsse, daß Sie nämlich ein- für allemal aus billiger Rücksicht und mit gutem[163]Willen von allen Diner's, Souper's und Assembleen bei Hofe und sonstigen Hohen Herrschaften dispensirt, und in Absicht Ihres Verhaltens, Kommens und Bleibens von allen Ansprüchen und jeder Gene entbunden würden, die Ihnen das Hiersein unangenehm machen und uns selbst des eigentlichen Werthes Ihrer Gegenwart berauben müßten. Der Herr Minister erkannte die Gründe dieser Bedingung im ganzen Umfange an, und erklärte sich gern bereit, die Sorge für deren Erfüllung zu übernehmen, so weit sie die Verhältnisse des Hofes betreffe. Er werde deshalb alles Nöthige bei Zeit bevorworten, und besorge er nicht die mindeste Schwierigkeit dabei, indem die aufrichtige Hochachtung, welche die Prinzen des Königlichen Hauses gegen Sie hegen, es außer Zweifel setze daß man bereitwillig Ihren Wünschen nachgeben werde, wodurch alsdann andere Herrschaften um so mehr dazu verpflichtet werden würden. Nur in Absicht Seiner Majestät des Königs hält Herr von Schuckmann es nicht für möglich, daß Sie es vermeiden könnten zur Tafel geladen zu werden, weil Privataudienzen nicht stattfinden, und Seine Majestät also keine andere Gelegenheit haben würden, Sie zu sprechen, welches der Herr Minister doch schon des Anstandes wegen vor den Augen eines großen, Sie überaus hochachtenden Publicums für unumgänglich nöthig versichert. Auch wird die Tafel Seiner Majestät des Königs, da sie nicht über zwei Stunden währt, Ihnen nicht beschwerlich fallen, noch könnte solche Sie irgendwie compromittiren. Eben so wenig werden Sie wegen Uniform, Orden etc. dabei in Verlegenheit kommen, indem Sie deshalb von selbst entschuldigt sind, wenn Sie hier als Reisender, ohne die Absicht, bei Hofe zu erscheinen, auftreten.

So wird daher hierüber keine Sorge weiter stattfinden und nichts im Wege stehen, Ihnen den hiesigen Aufenthalt so angenehem, wie möglich, zu machen. Erhalten Sie mir die Freude, daß ich unverwandt darauf denken und mit der Aussicht auf das herrlichste Frühjahr mir den trüben Winter erheitern darf. Zweifeln Sie nicht, daß ich um so fleißiger meine Nebenstunden zu dem von Ihnen gewünschten Vorhaben verwenden werde; an Muth für das Rechte soll es nicht fehlen. In meiner Noth (denn der ist wahrlich in Noth, der sein Vorhaben mit seinen Kräften noch nicht in's Gleichgewicht zu bringen weiß) habe ich mich von Neuem an Kepler gewendet, und ihn von vorn zu studiren wieder angefangen. Schon fühle ich mich von ihm erweitert und berichtigt; geht es dennoch nicht, so will ich gern meine Vorstellungen auf den engsten Kreis beschränken, um durch ein ungemessenes, ungenügsames Bestreben die erlangten kostbaren Wahrheiten nicht zu gefährden. Sie erinnern mit Recht, daß man sich eines gemein-[164]samen Idiotikons befleißigen sollte; es geht mir sehr zu Herzen, aber bedenken Sie, wie schwer die Aufgabe für den ist, der in der Sprache so wenig Uebung hat!

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TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 3. Oktober 1817. C. L. F. Schultz an Goethe. Z_1817-10-03_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-B970-2