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Hochwohlgebohrener Herr
Hoechstverehrter Herr Geheimerrath und
Staatsminister!
 

Ew. Excellenz übersende ich hierbey ehrerbietigst im Auftrag der hiesigen
Societaet für wissenschaftliche Kritik das vor Kurzemhier1 von der Verlags-
buchhandlung hier eingegangene Honorar für sie beyden Recensionen
womit Hoechstdieselben das vorjaehrige Septemberheft unserer Jahr-
bücher zu schmücken geruht haben, im Betrag von 8 Reichsthaler (Rth) 20 Silbergroschen (Sgr) und
4 Reichsthaler (Rth) 15 Silbergroschen (Sgr) - zusammen 13 Reichsthaler (Rth) und 5 Silbergroschen (Sgr.) mit der ganz unterthaenigen Bitte,
mir, für meine Rechnungslegung, gelegentlich den richtigen Empfang
hochgeneigtest bescheinigen zu wollen.

Ich benutze diese Gelegenheit Ew. Excellenz zu melden, daß ich in diesem
Sommersemester nunmehr zum 10ten Mal vor einem ansehnlichen
Auditorio von Studirenden aller Facultaeten, denen sich wie gewoehnlich
auch junge Künstler, Gymnasiallehrer, Officiere und andere Freunde
der Naturwissenschaft zugesellt haben, nach dem {Hoechdenenselben} be-
kannten und von Ihnen gebilligten Plan die Farbenlehre vortrage.
Nach den mir vorliegenden Listen haben (die nach den ersten Stunden
wieder verschwundenen Neugierigen abgerechnet) diesen Vortraegen
bisher im Durchschnitt gegen 40 fleißige und {und} für die Sache sich in-
teressirende Zuhoerer beygewohnt. Die Gesammtzahl derer die hier die2 Ge-
[44v] legenheit gefunden und benutzt haben über die wahre Natur der Farben
und damit implicite auch des Lichts, sich auf eine zusammenhaengen-
de und anschauliche Weise ins Klare zu setzen, belaeuft sich auf ge-
gen 400 Personen der verschiedensten Lebensverhaeltnisse fast aus allen
Gegenden Deutschlands. Ich kann die Hoffnung um so weniger aufge-
ben, daß der auf solche Weise, wenn auch von geringer doch treuer
Hand ausgestreute Sammen seine Früchte tragen wird, als ich beym
Experimentiren {bestandig} die Gelegenheit wahrgenommen habe, mich
persönlich über das vom Katheder herab Vorgetragene mit mei-
nen Zuhoerern zu {unterhaltenen} und einzelne Zweifel und Miß-
verstaendnisse durch weitere Erklaerung und wiederhohlte Versuche
zu beseitigen und aufzuklaeren. Ich habe dabey oft die Befriedigung
gehabt hartnaeckige mathematische Newtonianer, im eigentlich-
sten Sinn des Worts, per demonstrationem ad oculos, von ihren
Vorurtheilen zurückzubringen und wenn dann auch Manche
spaeterhin durch den allgemeinen Strudel wieder in die alte
Barbarey des heterogenen Lichts zurückgeführt worden seyn
moegen, so sind mir doch mehrere junge Mathematiker und
Physiker von Beruf, mit denen ich im Zusammenhang ge-
blieben, bekannt, die die wahre und naturgemaeße Lehre
mit aller Energie ergriffen und auf der betretenen Bahn
eifrig und selbstthaetig fortgeschritten sind. Ich darf deshalb auch
hoffen, daß sich unter der jungen Generation bald ein Physi-
ker von Profession finden wird der, unbekümmert um die Ge-
faehrdung seines guten Rufs bey der ehrsamen Zunft, das, in
[45r] Ermangelung eines Bessern, einstweilen durch mich begonnene Geschaeft
auf unserer Universitaet fortsetzen wird. Bis dahin werde ich auf jeden
Fall fortfahren meine Vorlesungen zu wiederhohlen denn: „rüstig
wie wir's angefangen, wollen wir zum Ziel gelangen“. -

Mit meiner für den Druck bestimmten kurzen Darstellung der Far-
benlehre
würde ich bereits hervorgetreten seyn, wenn ich nicht immer wie-
der auf neue Punkte gestoßen waere, die gehoerig erledigt seyn wollen: mit
der genauern Darstellung der auf der Refraction des Lichts beruhen-
den Phaenomene, hoffe ich aufs Reine zu seyn; dagegen machen mir die
[epoptischen] und paroptischen Farben und die Berücksichtigung dessen was
die französischen Physiker in neuerer Zeit darüber statuirt haben, noch
viel zu schaffen. Doch ich sehe wohl daß ich endlich abschließen muß, denn
es gilt hier das Sprichwort: „que le plus grand ennemi du bien est le
meilleur.“ -

Vielleicht wird es mir diesen Herbst, gegen meine frühere Erwartung, noch
moeglich mit meiner Familie auf einige Wochen nach der thüringer
Heimath
zu kommen; ich bitte für diesen Fall im Voraus um die gnaedi-
ge Erlaubniß Hoechstdenenselben mündlich den Ausdruck der treuen
Verehrung zu wiederhohlen, womit ich verharre

Ew. Excellenz
ganz unterthaeniger Diener
L. v. Henning.
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TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 9. August 1831. von Henning an Goethe. Z_1831-08-09_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-D053-8