[48r]
Hochwohlgebohrener Herr
Hochverehrter Herr Geheimerrath und
Staatsminister!
 

Ew. Excellenz vermag ich dieses Mal nicht ohne die begründete Besorgniß mich
zu nahen, durch mein langes Schweigen und die bisher unterlassene Übersendung
der zugesagten Mittheilungen, Ihren gerechten Unwillen erregt zu haben. ­
Ich wage es indeß nicht mich deshalb auf eine ausführliche Entschuldigung einzulassen,
da eine solche nur in einer Auseinandersetzung individueller, zum Theil unerfreu-
licher und drückender Verhältnisse bestehen könnte und erlaube mir nur die Bemer-
kung daß ich dadurch daß ich bisher nicht vermocht habe dasjenige zu thun wozu
mich Neigung und dankbare Verehrung doch so entschieden aufforderten, mich nicht
weniger hart bestraft fühle, als ich es wohl verdienen mag. - Übrigens ist die
innerliche Hemmung der ich bisher unterlegen, nunmehr so weit gewichen, daß
ich hoffentlich in ganz kurzer Frist im Stande seyn werde das bisher Versäumte
nachzuhohlen, ja ich würde Ew. Excellenz die gewünschte Anzeige meiner chro-
matischen Bemühungen wohl schon mit dieser Sendung haben zukommen
lassen können, hätte nicht der Überbringer dieser Zeilen, Herr Doctor Purkinje,
[48v] so unerwartet plötzlich den Tag seiner Abreise auf morgen festgesetzt, so daß mir
nur eben so viel Zeit bleibt Ew. Excellenz dieses vorläufige Lebenszeichen
zu geben und damit die bestimmte Zusage zu verbinden, daß der zu lie-
fernde Aufsatz spätestens binnen vierzehn Tagen gleichfalls nachfolgen soll,
wobey ich es denn freylich dahingestellt seyn lassen muß, ob Ew. Excellenz
den Abschluß des neuen naturwissenschaftlichen Hefts bis dahin zu ver-
schieben für thunlich erachten.

In beyfolgendem Kästchen, dessen Überbringung gleichfalls der Herr Dr. Pur-
kinje
übernommen hat, übersende Ew. Excellenz nebst mehrern, wie ich
mich überzeugt habe wohlgelungenen, entoptischen Glasplättchen, einen
magnetischen Condensator von 300 Windungen, nach der Angabe des Herrn
Poggendorf, eines jungen hiesigen Physikers, in der Voraussetzung daß
dieses die von Ew. Excellenz in dem durch Herrn Dr. Harnier mir über-
brachten verehrten Schreiben1 bezeichnete Schleife von übersponnenem
Draht seyn wird. Um Ew. Excellenz in den Stand zu setzen die electro­
magnetischen Versuche
sogleich anzustellen, habe ich den kleinen Apparat
durch Hinzufügung einer Magnetnadel, welche auf die innerhalb des
Condensators befindliche Spitze gesetzt wird, einer dazu gehörigen
Scheibe zu Beobachtung der Abweichung der Nadel nach Graden, und
zweyer Plättchen von Zink und Kupfer, vervollständigen lassen. Zu
Verbindung beyder Plättchen habe ich mich zunächst einer mit Salmiak
angefeuchteten wollenen Zwischenlage bedient und dadurch bey Schlie-
ßung der Kette eine Abweichung von ohngefähr 70° erhalten; ver-
[49r] dünnte Schwefel- Salz- oder Salpetersäure bringen noch stärkere Abwei-
chung hervor. Der Preis der ganzen Vorrichtung beträgt 3 Rth 2 Gr, mit
deren Erstattung ich Ew. Exzellenz jedoch noch Anstand zu nehmen ersuche,
da ich noch nicht weiß wie viel für die entoptischen Plättchen, welche ich
ohne Rechnung vom Mechanikus erhalten habe, zu bezahlen ist. -

Mit treuer Verehrung verharre ich
Ew. Excellenz
ganz unterthäniger Diener
Leopold von Henning.
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TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 6. Dezember 1822. von Henning an Goethe. Z_1822-12-06_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-C598-7