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Ein ganzes Jahr ist vergangen, mein edelster Freund, ehe ich dazu komme, Ihre liebreichen Schreiben zu beantworten, mich für die schätzbaren, anmuthigen Geschenke erkenntlich zu bezeigen, welche ich Ihnen inmittelst wieder zu verdanken gehabt habe - [...] [250] [...]

Herr von Henning, der, wie Sie wünschten, in Ihre Nähe reiset, um mit aller Muße Ihre Instructionen über seine chromatischen Arbeiten entgegen nehmen zu können, wird Ihnen erzählen, wie fleißig und lebhaft wir uns, gemeinschaftlich mit Hegel und Schubarth, im Winter mit Ihrer Farbenlehre beschäftigt haben. In der nahen Erwartung der unruhigsten Tage bemächtigte ich mich mit Hast der Neigung dieses jungen Freundes für diesen würdigen Gegenstand, um ihm, wo möglich, alle die Sorgen dafür zu übertragen, deren ich, wie ich fühlte, mich auf einige Zeit ganz zu entschlagen genöthigt wurde. Sein Ernst für die Sache und seine schätzbaren Eigenschaften haben glücklicherweise auch Ihr Vertrauen gewonnen, und so fand ich mich, mitten unter den größten Bedrängnissen, von einer Seite gänzlich beruhigt, von welcher ich trostlos gewesen sein würde, für Ihre und meine Wünsche so gar nichts thun zu können.

Daß mein Nenndorfer Aufsatz, wie alles, was ich je im Stande bin, Ihnen mitzuteilen, gänzlich zu Ihrer Verfügung stehet, daß Sie öffentlich und auf alle Weise davon Gebrauch machen können, wenn es irgend dessen belohnt, habe ich geglaubt, nicht erst versichern zu dürfen. Der Phosphor im Auge ist allerdings werth, näher gekannt und untersucht zu werden; ich erkenne es daher fast als Verpflichtung, diesen Aufsatz öffentlich zu machen; weil er aber gewiß manches Unhaltbare in sich schließt, wofür ich nicht gern Rede stehen möchte, bevor ich nicht im Stande gewesen, mich der Wahrheit hinreichend zu versichern und das Ungewisse darin zu berichtigen, kann ich meinen Namen nicht dazu hergeben. Wollen Sie daher den Aufsatz ohne Namen, nur mit Ort und Datum bezeichnet, drucken lassen, so mag man es wagen. Von Henning hat noch einen Aufsatz über die subjectiven Höfe von mir in Händen, gleichfalls aus Nenndorf, zu dem aber die Zeichnung fehlt. Als Schinkel auf mein Bitten die Zeichnung, der Erscheinung gemäß, die ich ihm ausführlich bekannt machte, anfertigen wollte, fanden wir, daß der im Aufsatze gegebene Begriff mit der Erscheinung zwar im Wesentlichen, doch nicht durchaus übereinstimmt, und es ist mir keine Zeit übrig geblieben, die Differenz auszugleichen; darüber ist die Ausführung der Zeichnung unterblieben.

[...] [251] [...]

Daß Sie von Henning zum Redacteur Ihrer chromatischen Papiere machen wollen, ist für ihn, wie für die Sache und für uns ein großer Vortheil. Für ihn, indem er zugleich Inhalt und Form erlernt, für die Sache, welche dadurch schneller von Ihnen gezeitiget und dem Abschlusse näher gebracht werden kann, für uns am mehrsten, die wir zugleich mit der Beförderung der Farbenlehre auf den geistigen Gewinn zu rechnen haben, den Ihre dadurch erlangte Muße uns verspricht. Von Henning ist für mich zu copios; nichts könnte für ihn bildender sein, als das Geschäft, welches Sie ihm zugedacht haben. Wille und Fähigkeit machen ihn dazu vorzüglich geschickt; ich unterlasse ferner nicht, mit Rath und That beizustehen.

Mich in Ihrem letzten Hefte unter der Rubrik: Wartesteine genannt zu sehen, hat mich herzlich lachen gemacht, in Erinnerung derjenigen, welche ich einst an einem alten Gebäude sah, welches wohl nie weiter gebaut werden dürfte. Dergleichen sehen wir an [252]unserem edlen Königlichen Schlosse von Schlüter, und so stehet der Krahn auf dem Dome zu Cöln, als sollte der Bau morgen fortgesetzt werden. Hat man diesen Krahn doch erst vor einigen Jahren erneuern lassen, um nur den Wahn, als wäre der Bau noch lebendig, nicht schwinden zu lassen. Wir aber wollen gewiß dereinst weiter bauen; es ist ja kein Cölnischer Dom!

[...]

Die Einrichtung des Museums der Kunst ist jetzt in vollem Gange, das heißt, es wird damit ganz von vorn angefangen, der bisherige Bau successiv wieder heruntergerissen, und nach einem neuen, großen Plane das ganze Academie- und Stallgebäude (Meyer kennt es) von Grunde aus aufgeführt. So kann es gut werden! Schinkel führt den Bau, eine Commission leitet demnächst die Einrichtung, welche binnen fünf Jahren zu Stande gebracht sein soll. Ich habe, wegen überhäufter Last anderer Geschäfte, keinen Theil daran, um so mehr aber reinen Genuß an dem, was wir zu hoffen haben. Solly’s Gemälde sind angekauft; Hirt ist jetzt mit denselben beschäftigt, und entdeckt unter der Masse, welche noch kein verständiges Auge ganz zu durchspähen vermocht hat, ganz neue Schätze.

Indem ich so für eine Zeit von meinen lieben Kunstwerken geschieden bin, war mir die würdige, schöne Paula Gonzaga ein [253]gar erfreulicher Besuch. Ich konnte mich einige Tage hindurch nicht entschließen, das Gemälde von mir zu geben; glücklicherweise war Teoli gerade unbeschäftigt, indem das letzte Gemälde, welches er noch durch mich aus Solly‘s Gallerie erhalten, fertig geworden war, und wegen Uebertragung neuer Arbeiten an ihn noch Resolution fehlte. Er hat also unsere vortreffliche Dame sogleich übernommen und mit größtem Fleiße behandelt. Sie werden Freude daran haben; das Colorit ist durch Wegnahme der Uebermalungen und des Schmutzes so schön geworden, wie ich noch keins gesehen habe; auch die Localfarben haben sich gänzlich verändert; es sind Dinge hervorgekommen, die das beste Auge vormals nicht entdecken konnte. [...] Binnen sechs Wochen soll es fertig sein.

Daß Brandis zu Copenhagen ein Nichtblauseher ist, war mir überraschend aus Ihrem Hefte zu ersehen. Er hat doch über Farbenerscheinungen geschrieben; sollte sich dieser Fehler seines Organs nicht aus seinen Schriften erkennen lassen? Ich muß nächstens darüber nachsehen.

[...]

Von Henning, der dieses Schreiben mitnimmt, will es, wenn Sie noch länger von Weimar entfernt bleiben, Ihnen von dort aus [254]zuschicken. [...]

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TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 16. August 1822. C. L. F. Schultz an Goethe. Z_1822-08-16_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-C49D-3