[8r]

Ein hohes Königliches Ministerium
trägt mir durch ein hochverehrliches Rescript vom 19n
April auf mich gutachtlich darüber zu äußern, woher es
wohl kommen möge, daß die Vorlesungen des Professor [[Pur-]]
kinje hierselbst keinen Beifall finden, und wie d[[em]]
Übel wohl abzuhelfen sein dürfte.

Es ist bekannt und kann daher leider nicht bemänt[[elt]]
werden, daß bisher die Vorlesungen des Prof. Pur[[kinje]]
entweder nicht zu Stande gekommen, oder verhältnismä[[sig]]
sehr schwach besucht, auch wohl nicht ausgehört worden [[sind]]
und daß fast alle Mediciner hierselbst über den Vortr[[ag]]
des p. Purkinje klagen und denselben, so wie einige andere
Verhältnisse auf hiesiger Universität als die Gründe auf-
stellen, weshalb sie Breslau zu verlassen genöthigt werde[[n,]]
auch ist wirklich diese Ostern mit einem Male ein Vie[[rtel]]
unserer Mediciner nach Berlin abgegangen. Zwar glaube
ich gern, daß jene angeführten Gründe von Manchen nur als
Vorwand gebraucht werden um nach dem anziehenden Berlin geh[[en]]
zu können, aber es ist doch auf jeden Fall übel, daß solche
ostensible Gründe vorhanden sind.

Die Ursache von diesem Mangel an Beifall muß offenb[[ar]]
in dem p Purkinje selbst liegen, - denn es ist dazu
aus kein äußerer Grund vorhanden, als ZB. ein sehr belieb[[ter]] [8r] Vorgänger, starke Concurrenz, Feindschaft der Collegen.
Der Prof. Bartels besaß weder einen guten Vortrag, noch
die Liebe der Studenten und dennoch waren seine, - freilich
sehr gehaltreichen Vorträge, immer zahlreich besucht; - die
jüngeren Professoren, welche hier zuweilen Physiologie und Patho-
logie
lesen, haben nicht viel mehr Vertrauen bei den Studirenden
und das gegen sich, daß sie nicht Fakultisten sind; - der Unter-
zeichnete aber hat, aus Freundschaft für p. Purkinje es den
Studierenden immer verweigert, die an der chirurgischen Schule
gelesene Physiologie mitzuhören; endlich finden auch durchaus
keine Cabalen gegen p. Purkinje statt; denn seine Collegen
ohne Ausnahme, sind ihm von dem Augenblick an, daß er best[[immt]]
der ihrige war, freundlich entgegengekommen, und haben ihm die
Achtung und Zuneigung, welche er verdient, nicht versagen können
und haben1 dies absichtlich den Studierenden geäußert.

Wenn ich nun glaube, daß die Ursache des mangelnden
Beifalls nicht außerhalb, sondern in dem Prof. Purkinje
selbst gelegen sei, so will ich aber damit keinesweges
gesagt haben, daß es demselben an der materiellen Basis
zum akademischen Lehrer fehle; - ich bin im Gegentheile der
Meinung daß er dieselbe gar wohl besitze, und daß es ihm auch
nicht an dem nöthigen Fleiße und Eifer gebräche, um etwaige
Lücken auszufüllen; - wie ich denn dies bei näherem Umgange
und dem Zusammenwohnen in einem Hause wohl beurtheilen
kann. Es scheint daher der Grund seiner verfehlten Wirk-
samkeit mehr in dem Formellen seiner Vorträge zu liegen.
Anfangs fehlte p. Purkinje wohl zuweilen durch Ausdrücke,
die nicht böse gemeint waren, aber die Studenten reizten; er hat
sie, nachdem er darauf aufmerksam gemacht worden war, unterlassen[9r]doch scheint es ihm überhaupt an Lehrtalent zu fehlen, d[[as]]
freilich nicht Jedermanns Sache ist. Die Studirenden klage[[n]]
daß der Vortrag nicht fließend und deutlich sei, und es s[[oll]]
einige Male vorgekommen sein, daß p. Purkinje schon mi[[tten]]
in der Stunde aufgehört hat zu lesen, weil es ihm, wie er zu
den Studierenden sagte, an Gelehrsamkeit, die er zu Hause
vergessen habe, fehle; dies deutet, dünkt mich auf Man[[gel]]
an Ruhe, und geistiger Gewandheit, indem es wohl sonst e[[inem]]
mit seinem Fache vertrauten Docenten >wohl2 nicht schwer fa[[llen]]
kann, auch bei vergessenen oder nicht ausreichendem Heft[[e]]
eine Viertelstunde redend aus zu füllen. Fast scheint [[es,]]
als wenn auch wohl das Stocken im Vortrage zum Theil da[[her]]
begründet sei, daß die deutsche Sprache nicht Purkinje[[s]]
Muttersprache ist, und es ihm zuweilen bei wissenschaf[[tlichen]]
Dingen wohl an Worten fehlen mag. Die Studenten [[klagen]]
ferner, daß p. Purkinje in seinen Vorträgen zu ph[[ilo-]]
sophisch sein wolle und eine zu große Neigung zu dem Ab-
strakten zeige, dabei aber nicht das Talent habe, deutlich u[[nd]]
consequent zu sein; - daß er aber die facta und gangb[[aren]]
Meinungen, die sie besonders gebrauchten minder vorh[[ebt.]]
Ich glaube selbst, daß dieser Tadel zum theil begründe[[t]]
sein mag, und es hat mir wohl geschienen, als wenn p. Pur[[kin-]]
je eine Vorliebe für naturphilosophische Ansichten ha[[be]]
ohne doch die Lebendigkeit des Vortrages und die poetische bil[[der-]]
reiche Sprache und Phantasie zu besitzen, welche eine gefallig[[e]]
naturphilosophische Physiologie für junge Leute allein
schmackhaft machen kann. Ich habe daher früher schon de[[m]]
Prof. Purkinje den Rath gegeben experimentale Phys[[io-]]
logie
zu lesen und habe ihn willig darin mit dem Anatomi[[schen]]
Lokale und Apparat unterstützt; allein es scheint,[8r]daß alles Praktische und Technische in seinen Fächern
ihm nicht zusage, wie er denn wunderbarer Weise, obgleich
in Prag Prosektor, doch durchaus kein Anatom geworden
ist.

Unter so[[l]]chen Umständen bezweifle ich es nun zwar sehr,
daß p. Purkinje je ein guter Docent werden wird, glaube
aber daß es unmaßgeblich vielleicht 2 Mittel gebe, welche
ihn wenigstens zu einem brauchbaren Lehrer machen könnten;
dahin rechne ich 1) daß er seine Vorträge lateinisch halte;
da wird er nicht allein vielleicht fließender als im Deutschen
sich auslassen, sondern auch sich klar und bestimmt ausdrücken
müssen; indem wie mich dünkt die lateinische Sprache das
beste Mittel gegen unklare Begriffe und naturphilosophischen
Bombast ist; - und 2) daß er sich kein eigenes Heft aus ar-
beite, sondern nach einem guten Handbuche lese, aber nicht
etwa, wie er es einmal anfing nach Rudolphi's Physiologie,
die zu gelehrt für ihn ist um noch etwas hinzusetzen zu können,
sondern irgend einem andern, wie ZB. der Auszug aus Lenhossek's
Physiologie etc.
Dies ist denn meine unmaßgebliche Ansicht von der Lage
der Sache, die ich theils pflichtmäßig um dem hohen Befehle nachzu-
kommen, theils auch deswegen unumwunden ausgesprochen habe,
weil ich dadurch der Anstalt an welcher ich arbeite, wie auch einem
geachteten Collegen selbst nützen zu können gehofft habe.

Ich füge daher nur noch die Versicherung des größten
Respektes hinzu, [mit] welchem ich die Ehre habe zu verharren
des hohen Königlichen Ministerii
unterthänigster Diener.
Dr. Otto.

Breslau d. 9ten Mai 1825.
haben]
>wohl]

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TextGrid Repository (2023). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 9. Mai 1825. Otto an Kultusministerium. Z_1825-05-09_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-C9F0-F