Vorwort In drei Romanen wollte ich drei Frauengenerationen des 19. Jahrhunderts schildern , deren Repräsentantinnen , den Durchschnitt zwar überragend , doch Typen ihrer Zeit sein sollten .
Ich wollte sie schildern , aufsteigend aus dem ersten Dämmer des Morgengrauens der Erkenntnis bis zum hellen , verheißungsvollem Frühlicht , das den Glanz der Mittagssonne ahnen läßt , die erst über den Frauen des 20. Jahrhunderts aufgehen wird .
Der vorliegende Roman " Schicksale einer Seele , " hätte der erste in der Reihenfolge sein müssen .
Er erzählt das Leben einer Frau , die heute in den Sechszieger Jahren stehen würde .
Er will ihr anfangs noch dunkles , instinktives Ringen um Sein oder Nichtsein ihrer Seele veranschaulichen , und er endet mit einer theoretischen , fruchtlosen Erkenntnis .
Fruchtlos , weil der Weg zum Ziel : Befreiung der ureigenen Individualität aus der Vergewaltigung der Jahrhunderte , noch in dämmernde Nebel gehüllt bleibt , weil die Zeit für die Verwirklichung ihrer Ideen noch nicht erfüllt ist .
In dem zweiten Roman :
" Sibilla Dalmar " ( er ist bereits vor zwei Jahren erschienen ) hatte ich das Lebensbild einer Frau , die heute etwa 40 Jahr alt sein würde , gezeichnet .
Der Weg , der zum Ziel führt , liegt schon klar vor den Augen der Heldin , er ist aber uneben , dornig , gefahrvoll , beschreitbar nur für energische Charaktere , denen Schwierigkeiten ein Sporn zum Vorwärtsdringen sind .
Diesen sonnenlosen Weg zu gehen war über Sibilla Dalmar's Kraft .
Der dritte Roman " Anne Marie Rubens " wird der eben aufblühenden jungen Generation gewidmet sein .
Es würden demnach meine drei Frauengenerationen die Lebensbilder von Großmutter , Tochter und Enkelin entrollen .
Alle drei Romane dienen der Illustrierung des Pindar'schen Spruches : " Werde , die du bist . " [ Schicksale einer Seele ]
[ Schicksale einer Seele ] Monatelang nun ohne Dich geliebtester Freund !
Freund !
Das Wort klingt fast hart , deckt sich nicht mit dem Begriff .
Starkes und Zartes , eine ganze Milchstraße von Sternen ist in dem Begriff .
Freundschaft !
Labsal ohne Schaum und Bodensatz .
Alles ist Inhalt .
Zuerst war ich betrübt , daß ich Dir so ewig lange nicht schreiben sollte ; die gelegentlichen postlagernden Briefchen und Karten in die Ferne hinaus , von Ort zu Ort , in denen nichts intimes stehen durfte , zählen ja nicht .
Nun habe ich das Betrübtsein überwunden , da Du ja die Olympierfahrt nach Griechenland - und gewiß geht_es bis nach Indien - als ein so großes Glück empfindest , lieber , lieber Idealist Du !
Eine Tempelfahrt zu heiligen Gräbern !
Da dürften nur Gebete Dich begleiten .
Sie sollen's auch .
Aber nicht wahr , die leise Wehmut in mir , die Dir nachzieht von Ort zu Ort , weil ich nicht mit Dir ziehen konnte , begreifst Du ?
Wegen meines Katarrhs brauchst Du nicht ängstlich zu sein .
Die liebe Julie und die gute Philomele , die pflegen mich und sorgen sich um das bisschen Husten , als ob er lebensgefährlich wäre .
Ein wenig greift er mich wohl an , nicht allzu sehr .
Ich bin oft müde , eine angenehme Müdigkeit , in der das Dasein mich wie milde Luft umfließt , lind , einschläfernd .
Die Müdigkeit wird mich nicht hindern , mein Versprechen zu halten .
Ich werde fleißig sein müssen , sehr fleißig , hurtig , hurtig schreiben !
Drei Monate nur um meine ganze Lebensgeschichte zu Papier zu bringen !
Recht schlicht und einfach soll ich erzählen , wie Du es liebst .
Versuchen will ich_es ; und laufen mir zu viel Bilder in die Feder , so streiche ich sie wieder aus .
Ich weiß wohl , Du hast mir die Aufgabe gestellt , damit ich vor lauter Beschäftigung nicht Zeit haben soll , melancholisch zu werden .
Auch darin hast du gewiß recht :
das fehlte unserer Intimität , daß Du meine Vergangenheit so wenig kennst .
Würdest Du nur nach allem gefragt haben , ich hätte schon geantwortet , aber wir zwei Beide sind wirklich etwas zu diskret , zimperlich diskret .
Und jetzt meintest Du , wäre der geeignetste Zeitpunkt für mich rückwärts zu schauen , da ich an einem Wendepunkt meines Lebens stände .
Ja , ein Wendepunkt , das hoffe ich .
Alles alles muß sich nun wenden .
Es wird mir nicht leicht werden dir mein treues Selbstportrait zu zeichnen .
Der Kontrast zwischen dem was ich war und wie ich geworden bin , ist zu groß : zwei Seelen , die kaum noch eine leichte Familienähnlichkeit miteinander haben .
Ich kann mich nicht zurück denken zu der unschuldigen , mit etwas Romantik versetzten Naivetät meiner jungen Jahre .
Du mußt mir nun schon glauben , was ich von mir berichten werde , auch wenn sich meine Worte von heute mit der Marlene , die ich einst war , nicht decken .
Als wir uns kennen lernten , fandest Du ja auch noch so vieles in mir , daß Du Dir nicht zusammen reimen konntest .
Wenn Du zu Ende gelesen haben wirst , was ich hier schreibe , wirst Du es begreifen wie ich so verblödet , so jeder Individualität bar , so charakterlos und feig und geduckt werden konnte , und dabei so frechen Geistes , so schwer in meinem Denken und Fühlen zu beeinflussen , so ganz mein inneres Leben für mich lebend , selbständig und allein .
Ich komme mir selber oft wie eine Schnecke mit Flügeln vor .
Sie nützen mir nichts - die Flügel , das Schneckenhaus ist zu schwer . Habe ich eigentlich viel zu erzählen ?
Ich werde mir den Kopf zerbrechen müssen um aus der Tiefe meines Gedächtnisses herauszufischen , was etwa auf dem Grunde ruht , schwerlich Perlen - oder doch vielleicht Perlen , wenn es wahr ist , daß sie ein krankhaftes Produkt gesunder Muscheln sind .
Bin ich krankhaft ? weiß ich denn so recht wie und wer ich bin ?
Vielleicht , wenn ich all meine Erinnerungen nieder geschrieben habe , weißt Du es und Du sagst es mir dann wieder .
Tagelang , wochenlang soll ich mich nun mit mir beschäftigen , immerzu ich - ich !
Müßte nicht Feinergearteten eine Art pudeur - mir fehlt im Augenblick das deutsche Wort - überkommen so die Seelenhüllen abzustreifen ?
Zu Hause in Berlin hätte ich es gewiß nicht gekonnt , hier aber , wo die Sonne in jeden Winkel hineinstrahlt und in ihrem Licht marmorne Götter ihre stolze keusche Nacktheit baden , geht es eher .
Und wenn schon denn schon .
Ich werde selbst vor Eigenlob nicht zurückschrecken , wenn ich auch nicht annähernd so brav bin wie Du es von mir denkst .
Anfangen ! anfangen !
Ja , gleich .
Am Ende wird mein Geschreibsel eine förmliche , Antobiographie werden .
Du hast_du_das gewollt .
Ganz am Schnürchen will ich erzählen und mit dem Anfang anfangen .
Wir schreiben jetzt 66 .
Ich bin 33 Jahre alt .
Rechne aus , wann ich geboren bin .
Daß es zu Berlin war weißt Du .
Daß mein Vater Inhaber einer Kattunfabrik ist , daß ich unter acht Geschwistern das älteste Mädchen war , weißt Du auch .
Ich erzählte Dir einmal von meinen Geschwistern , erinnerst Du Dich ?
Du sagtest schmeichlerisch : ein Schwan im Ententeich .
Ach Du Lieber , eher ein Kuckucksei , das im fremden Nest ausgebrütet wurde .
Ich bin mit einem roten Mal auf der Stirn geboren , ob ein stern- oder kreuzartiges , darüber sind die Gelehrten nicht einig .
Es entstellt mich nicht , weil es nur sichtbar wird , wenn ich sehr erhitzt bin .
Wahrscheinlich hast Du es nie bemerkt .
Wie ich zu dem Namen Marlene komme , da doch meine Geschwister alle so hausbackene Namen haben ?
Eins meiner Brüderchen erzählte der Mama eines Tages das Märchen vom Marlenechen .
Und er soll es so drollig erzählt haben , daß meine Mutter Tränen lachte , und fast unter diesen Lachtränen kam ich zur Welt .
Zum Andenken an diese wunderbare Begebenheit wurde ich Marlene getauft .
Bis zu meinem sechsten Jahr wohnten wir so gut wie auf dem Lande , in einer feldartigen , abgelegenen Straße , der Hirschelstraße , die nur aus kleinen , weit auseinanderliegenden Gärtnerhäuschen bestand .
Jetzt ist sie stattlich bebaut .
Alle diese Häuschen hatten große , primitive Gärten , an die sich weite Wiesen schlossen .
Die Wiesen wurden durch einen lang sich hinschlängelnden Bach begrenzt , der für uns Kinder die Grenze der Welt bedeutete .
Er hieß der Schafgraben .
Eine Fülle von Vergißmeinnicht blühte an seinem Rand , und allerhand Bäume , hauptsächlich Pappeln und Weiden umsäumten ihn .
Meine Eltern waren auf das Gärtnerhäuschen verfallen der vielen Kinder wegen , die sich da tüchtig tummeln konnten .
Das Reisen mit Kindern war damals noch nicht üblich .
Meine ersten Kinderjahre haben nicht viel Spuren in meinem Gedächtnis hinterlassen .
Nur hier und da , wenn ich nachsinne , tauchen vage Lichter aus dem Nebel auf , kleine Erlebnisse , die besonders stark auf mein Gemüt gewirkt haben müssen .
Ich erinnere mich nicht der Zimmer , die wir bewohnten , nicht wie meine Eltern , meine Geschwister aussahen , ich weiß nichts von all den Menschen , die in meinen Gesichtskreis traten .
Ich muß ein sehr furchtsames , feiges , kleines Geschöpf gewesen sein ( eigentlich bin ich es ja heute noch ) .
Meine ersten Erinnerungen hängen mit Angst und Furcht zusammen .
Ein Kettenhund auf dem Hof , der schwarze Nero , eine Frau in einem Laden , bei der das Dienstmädchen , das mich an der Hand führte , einkaufte , und die mir meine schwarzen Kohlen von Augen aus dem Kopfe schneiden wollte , und - meine Mutter !
ich fürchtete mich vor meiner Mutter .
So lange ich zurück denken kann , lag diese Furcht wie ein Alpdruck auf meiner Brust .
In diese Schatten fiel aber auch Licht , romantisch angehauchtes .
" Das rote Glas - Meerfahrten - die Königbouquets - der Schafgraben " wären passende Titel für diese Lichtstrahlen .
Damals kam noch in Zwischenräumen von 4 bis 6 Wochen der Lumpenmatz auf die Höfe , der für ein paar Pfennige ( auch für die Gegenleistung von Lumpen ) allerhand Kram und Trödel an Dienstmädchen und Kinder verkaufte : Ringe , Perlenschnüre , Tüchelchen und ähnliche Kostbarkeiten .
Unser Kindermädchen hatte mir vom Lumpenmatz ein Stück rotes Glas gekauft .
Eine Zauberwelt erschloß es mir .
Stundenlang konnte ich auf der Wiese unter einem Baum liegen - merkwürdiger Weise habe ich behalten , daß es ein Quittenbaum war - und durch das rote Glas hinausschauen in die Welt - eine glühende , brennende Märchenwelt von unerhörter Pracht .
Selbst die Mistbeete , den Kettenhund , den schmutzigen Erdboden an regnerischen Tagen verwandelte das Glas in flammende Visionen .
Rief man mich zu Tisch oder zum Vespern , so riß ich mich ungern von meiner Schwelgerei los , und mag dann wohl blöde und verwirrt drein geschaut haben , und ich glaube schon damals entstand die Mythe ( es ist doch eine Mythe - nicht ? ) von meiner Dummheit , eine Meinung , die meine Familie wahrscheinlich bis auf den heutigen Tag festgehalten hat .
Und nicht nur meine Familie - - aber ich wollte ja am Schnürchen erzählen .
Ich hütete meinen roten Schatz wie ein köstliches Geheimnis , besonders vor den Geschwistern .
Eines Tages war meine Mutter böse und schalt mich , ich weiß nicht mehr weshalb .
Ich konnte der Lust nicht widerstehen sie durch das rote Glas anzuschauen , das doch alles so wunderbar verschönte .
Die Mutter , die natürlich nicht wußte , daß es ein Zauberglas war , schlug es mir aus der Hand .
Es zerbrach .
Meine vermeintliche Frechheit wurde fürchterlich mit der Rute gerochen .
Um mein zerrißenes kleines Herz kümmerte sich niemand .
Im Frühjahr waren häufig die Wiesen hinter unserem Häuschen überschwemmt .
Da hatte nun mein älterer Bruder sich etwas herrliches ausgedacht .
Mit aller Anstrengung , deren wir fähig waren , schleppten wir Kinder ein großes Waschfaß auf die überschwemmten Wiesen : das war der Kahn , ein paar Wäschestützen dienten als Ruder , und die Meerfahrt begann .
Weit wie das Weltmeer erschienen mir die überschwemmten Wiesen , eine Fülle von Kuhblumen blühten daraus empor .
Ich pflückte davon , und warf sie dann wieder ins Wasser zurück , damit wir den Rückweg fänden : eine Reminiszenz aus dem Märchen vom Däumling .
Ich kannte schon viele Märchen im sechsten Jahr .
Columbus kann bei der Entdeckung von Amerika nicht mehr Entzücken empfunden haben , als wir es bei der Landung an einem benachbarten Grundstück empfanden .
Kinder die wir kannten , standen da an der Hecke , und halfen uns beim Landen .
Meine Brüder brachten den Kindern Gastgeschenke mit : Schachteln mit Maikäfern .
Und dazu sangen sie den populären Vers :
" Maikäfer fliege , dein Vater ist im Kriege , deine Mutter ist im Pommerland , Pommerland ist abgebrannt , Maikäfer fliege ! "
So oft ich später diese sinnlosen Verse hörte , zog durch mein Gemüt ein wehmütiges Singen und Klingen von einem verlorenen Idyll , eine Sehnsucht nach Kuhblumen und Wiesen , nach Frühlingswinden und Abenteuern in die Ferne hinaus .
Vor den Maikäfern aber fürchtete ich mich .
Wie meine Brüder das merkten verfolgten sie mich mit den Tieren , setzten sie mir auf die Arme , in den Nacken und amüsierten sich königlich über mein Schreien .
Fürchterlich waren mir diese krabbeligen , klebrigen , kleinen Käferpfötchen .
Auch meine Brüder kamen mir ziemlich gräßlich und gefährlich vor , nur dazu da , mich zu quälen und zum weinen zu bringen ; und hatten sie es erreicht , so trimuphirten sie :
" Die Pie blinzt schon wieder . "
Von ihnen stammt wohl diese Verunglimpfung meines Namens .
Marlene war zu lang , man kürzte mich in Pie ab .
Unsere Kahnfahrten wiederholten sich öfter , bis man bei der nächsten großen Wäsche das Waschfaß vermißte , und mit Ach und Krach und Prügeln wurde den Meerfahrten ein Ziel gesetzt .
Im Herbst florierten die Königbouquets .
Ich weiß nicht , ob diese Art von Bouquets eine Mode der Zeit oder ein Privateinfall unseres Gärtners waren .
Er nahm Spargelstauden , die hoch ins Kraut geschossen waren , - oft überragten sie meine kleine Person - hier und da rupfte er von den zarten Stänglein das Grünzeug ab , spitzte die Stängel scharf zu , spießte Astern und Georginen daran , und stellte so farbenreiche , blühende Büsche her .
Für mich gab es nichts schöneres als diese Bouquets .
Er sagte , sie wären für den König und verwelkten nie .
Ich glaubte ihm auf's Wort .
Ich hielt ihm das Körbchen , in das hinein er die Blumen sammelte , und durfte dann die blühenden Büsche bis an die Gartentür tragen .
Und von da blickte ich ihm nach mit scheuer Ehrfurcht , bis er meinen Blicken entschwand .
Er ging ja zum König .
Und nun geschah das Wunderbare , daß der Gärtner mir zu meinem Geburtstag ein solches Königbouquet schenkte - wenn auch nur ein kleines Miniaturding , mit kleinen Asterchen und Georginchen besteckt .
Meine große Seligkeit dauerte aber nur bis zum anderen Tag .
Da war die ganze Herrlichkeit verwelkt .
Ja , sagte er , als ich ihm mein Leid klagte , das käme daher , daß ich kein Prinzeßchen wäre .
Kein Prinzeßchen sein ! wie traurig !
Aber ich wollte eins werden , ich nahm es mir fest vor .
Wenn ich groß geworden , würde ich schon erfahren , wie man es macht um ein Prinzeßchen zu werden .
Wir Kinder liefen meist unbeaufsichtigt in Garten und Wiese umher ; von einer Bonne oder einem Fräulein war keine Rede , das Kindermädchen hatte vollauf mit den ganz Kleinen zu tun .
Da geschah es einige Male , daß ich - was streng verboten war - über die Wiesen bis hin zum Schafgraben lief , in meiner Vorstellung eine unermeßlich weite Reise in ein fernes Märchenland ; in Wirklichkeit mag die Entfernung von unserem Garten bis zum Schafgraben 15 Minuten betragen haben .
Vergißmeinnicht wollte ich dort pflücken , und wohl auch meinen älteren Brüdern imponieren , daß ich schon so weit in der Welt herumgekommen wäre .
Und dann der Reiz des Verbotenen , Geheimnisvollen .
Das Kindermädchen hatte uns gerade das Märchen vom blonden Egbert vorgelesen , vielleicht kam mir deshalb an dem wildwüchsigen Ort alles so verzaubert vor , so gruslig schön .
Einen kleinen Sperling , der herumhüpfte hielt ich geradezu für den Wundervogel , der im Märchen so lieblich von der Waldeinsamkeit singt , als ob Waldhorn und Schalmei ineinander spielten , der Wundervogel , der Eier legte von Gold und Edelstein .
Edelstein dachte ich mir immer unter der Form der funkelnden Ringe , wie sie der Lumpenmatz verkaufte .
Ich suchte in den Büschen nach den goldenen Eiern , bis allmählich das Unheimliche die Oberhand gewann , und ich der Waldeinsamkeit und den goldenen Eiern in rasendem Galopp entlief .
Ich glaube mich zu erinnern , daß die unkindlichsten , gar nicht für Kinder geschriebene Märchen , wie Elfriede und der blonde Egbert am stärksten auf mich wirkten .
Ich hörte wohl auch die Grimmschen Volksmärchen mit Andacht vorlesen , aber sie gingen mir nicht nach , wie die Märchen in denen Stimmung vorherrschend war , wo eine geheimnisvolle Psyche , in nebelzarten Dämmerungen leise ihre Flügel regt und in endlose Fernen hinausträumt . -
Herr Gott mit der Psyche in nebelzarten Dämmerungen habe ich gewiß schon die Grenze der Schlichtheit überschritten .
Ich will_es nicht wieder tun .
Als ich ungefähr sechs Jahre alt war , wurde unser Gärtnerhäuschen niedergerissen .
Die Hirschelstraße samt dem Schafgraben sollten der Kultur gewonnen werden .
Meine Eltern bezogen in der Nähe des Halleschen Tores , in der Friedrichstraße eine geräumige Beletage .
In jener Zeit eine stille Gegend ; hinter dem Halleschen Tor war die Stadt zu Ende , und die weiten Wiesen und Sandflächen des Tempelhofer-Feldes , aus denen der Kreuzberg emporragte , erstreckten sich weit ins Land hinaus .
Ein Hauch feiner , patrizischer Bürgerlichkeit ruhte auf dem Stadtteil , der mit Vorliebe von Gelehrten , Dichtern , Professoren und höheren Beamten aufgesucht wurde .
Berlin W. war im Entstehen .
Es gab im Westen schon Häuser und Straßen .
In einer Zeit aber , wo die Verkehrsmittel noch nicht einmal beim Omnibus angelangt waren , galt die Gegend für abgelegen .
Unser Haus hatte wie die meisten Häuser des Stadtteiles einen großen Garten .
Kein Ziergarten .
Ein paar Beete mit Levkoien , Nelken und Reseda , dazwischen etwas Petersilie , Salat , Himbeer- und Johannisbeersträucher , und für jeden Mieter eine mit Geißblatt berankte Laube .
Nur der hintere Teil des Gartens mit starken , alten Nußbäumen und vielen Veilchen war schön .
Er gehörte uns ganz allein , und schloß mit einem Gartenhaus , das aus einem ziemlich großen Saal bestand , ab .
Und hier , in dieser Beletage der Friedrichstraße spielte sich seit meinem sechsten Jahr mein Leben bis zu meiner Verheiratung ab .
Von meinem 6.-9 .
Jahr ist beinahe eine Lücke in meinem Gedächtnis .
Alles versunken und vergessen .
Selbst die ersten verängstigten Tage in der Schule schweben mir nur noch dunkel vor .
Unsere Wohnung , wie ich mich ihrer zuerst erinnere ( später wurde sie eleganter ) trug ganz den nüchternen Charakter der meisten Einrichtungen wohlhabender Bürgerfamilien jener Zeit .
Eine gute Stube mit roten Plüschmöbeln .
An der Decke ein Glaskronenleuchter .
An der Wand , zwischen den Fenstern , ein Trumeau in schwerem bronzenen Rahmen , darunter eine Marmorkonsole , auf der eine Vase mit künstlichen Blumen stand .
Ein paar kleine Tische mit Marmorplatte und vergoldeten Füßen .
Und das Prachtstück : eine Servante mit den Familienkostbarkeiten : Silberne Becher , die Pathengeschenke waren , ein halbes Dutzend große Tassen , innen ganz vergoldet , auf der Außenseite seine Miniaturmalerei : einen Napoleon , einen König von Preußen im Schmuck des Lorbeerkranzes , Schäferspiele in Watteau-Art .
Eine kristallene Zuckerschale , die auf einem silbernen Delphin ruhte , schön bemalte Tellerchen , interessante Gläser mit goldenen Sprüchen u. s.w .
Daß wir diese Herrlichkeiten immer nur durch die Glastüren anschauen durften , gab ihnen in unseren Augen einen besonders vornehmen Charakter , und daß sie nur bei den , in unserer Familie so häufigen Taufen in Gebrauch genommen wurden , stärkte unseren Glauben an die Heiligkeit der Taufhandlung .
Der Kronenleuchter und die Polstermöbel der guten Stube wurden Alltags durch Leinwandhüllen geschützt .
gemütlicher nahm sich das Wohnzimmer aus mit den tüchtigen bequemen Möbeln und einigen Erbstücken vom Großvater oder Urgroßvater her : ein paar dunkel gebeizte Eichenschränke mit rotseidenen Vorhängen hinter den Glastürchen , eine altmodische Chiffonniere mit Messingbeschlägen und einige wirklich wertvolle Kupferstiche .
Besonders Sonntags hielt ich mich gern im Wohnzimmer auf , wenn der Papa mit den gestickten Pantoffeln , dem Schlafrock von grauem Flausch und dem leicht um den Hals geschlungenen Tuch von gelblicher Seide zwischen den großblumig gestickten Sofakissen behaglich da saß , rauchend und vor sich auf dem großen , runden Tisch die Kaffeemaschine , die so anheimelnd summte .
Ganz häßlich war unsere Kinder- und Arbeitsstube mit dem unaustilgbaren Geruch von rindsledernen Knabenstiefeln .
Ein großer , mit Wachstuch überzogener Tisch strotzte von Tintenklecksen .
Ihr einziger Reiz war eine Reihe von Bildern , die die Geschichte Benjamin's darstellten .
Oftmals kniete ich auf dem Sofa , über dem sie hingen , und vertiefte mich in diese Geschichten .
Und ich war so böse auf Pharao , daß er dem holden , blondlockigen Benjamin einen Diebstahl zutraute , und immer von neuem so froh , als endlich auf dem letzten Bilde seine Unschuld siegte .
Später verschwanden die Bilder , ich habe mich immer vergebens bemüht zu erfahren , wo sie hingekommen sind .
Meine vier Brüder waren derbe , wilde , gewöhnliche Jungen , die gelegentlich , wenn sie Schaden im Haushalt stifteten , abgeprügelt wurden , was immer die Mutter besorgte .
Sonst bekümmerte man sich nicht um sie , weder um ihr Fortkommen in der Schule , noch um ihre sittliche Erziehung .
Zwei von ihnen sind als Jünglinge gestorben , die beiden anderen leben in subalternen Stellungen an kleinen Orten .
Meine drei Schwestern sind sämtlich gut verheiratet .
Ich hatte als Kind keine Fühlung mit meinen Geschwistern .
Seitdem ich das elterliche Haus verlassen habe , sind sie mir völlig fremd geworden .
Ich glaube nicht , daß Geschwisterliebe ein Naturinstinkt ist ; ich glaube vielmehr , daß sie erst in der gemütvollen Atmosphäre des elterlichen Hauses großgezogen wird .
Eine solche Atmosphäre gab es in unserem Hause nicht .
Es gab nur eine große , geräuschvolle Haushaltung mit verschiedenen Dienstboten , mit Gezänk und Gepolter , mit viel Küche , Kohl und Rüben , mit schreienden , kleinen Kindern , und immer Lärm .
Alles war derb hausbacken , nüchtern , tüchtig .
Ich sehe die Mutter noch vor mir Morgens in der Nachtjacke , mit fliegenden Haubenbändern und rotem Gesicht durch das Haus rasen .
Ich sehe sie mit aufgestreiften Ärmeln einen Teig einrühren , ich sehe sie bei der Entdeckung von Staub in einem Winkel dem Dienstmädchen das corpus delicti zu Gemüt führen .
Immer war sie hinter den Dienstmädchen her .
Immer führte sie mit ihnen Krieg bis auf's Messer .
Daß sie alle wie die Raben stahlen , war selbstredend .
Es gehörte zu ihren Lebensgenüssen , die Auguste oder die Lina mit ihrem Cousin oder Landsmann auf der Hintertreppe , oder beim widerrechtlichen Schmieren ihrer Morgenschrippe zu ertappen .
Und jedes Mal wenn ein Mädchen " um sich zu verändern " fortzog , frohlockte sie : Gott sei Dank , daß ich das Geschöpf los bin .
Und ich denke mit einem Schauer zurück , wie ich immer auf der Flucht war vor ihr , vor ihrem Klapsen , ihrem Schelten , ihrem roten Gesicht , ihrer grellen Stimme .
Mit Schaudern denke ich auch an die Waschtage zurück .
Das ganze Haus wie mit Seifenschaum überschwemmt .
Meiner Mutter Haubenbänder flogen noch mehr als sonst , ihr Gesicht war noch röter , ihre Laune noch kriegerischer .
An den Tagen gab es immer miserables Essen , alles war für die Waschfrauen berechnet , die wie es schien , feines nicht vertragen können .
Und alles roch : die riesigen Butterbröde mit Kuhkäse oder ordinärer Leberwurst , rochen , Mittags der Kohl , der Zichorien , der Kümmel rochen .
Meine Mutter hatte eigens eine , wie sie behauptete sehr wohlschmeckende Waschfrauensuppe ersonnen .
In eine Kasserolle kochenden Wassers wurde eine kleine Quantität Zucker und Butter getan , und eine größere Quantität in Scheiben geschnittener Semmeln , wohlgemerkt alter Semmeln , und die Suppe war fertig .
Als Musterhausfrau war meine Mutter natürlich auch über die Maßen sparsam .
Jede alte Semmel schloß sie in ihr Herz und in ihre Speisekammer .
Einen wahren Rester-Cultus trieb sie .
Niemand verstand wie sie , die Wurst in so durchsichtig dünne Scheibchen zu schneiden , und in der schlauen Kunst aus Fettstückchen , Knorpel , Sehnen und Abfall scheinbar appetitliche Fleischportionen - für die Dienstboten - herzustellen , war sie unnachahmlich .
Sie stammte aus einer armen Familie , und blieb ganz kulturfremd .
Gerade nur über Volksschulbildung verfügte sie .
Das Schreiben ist ihr zeitlebens schwer geworden .
Aber rasch und resolut war sie , und ihr Haus hielt sie in musterhafter Ordnung .
Außer an den Dienstboten ließ sie die ungeheure Lebhaftigkeit ihres Temperaments auch ein wenig an dem Vater aus .
Ich glaube , daß meine Mutter Nachmittags eine sehr hübsche Frau war .
Sie selbst behauptete bildhübsch gewesen zu sein .
Mein Vater bestätigte es .
Erst zur Kaffeestunde gegen 4 Uhr machte sie Toilette .
Nach damaliger Mode frisierte sie ihr rötlich lichtbraunes Haar über den Ohren in einer Fülle geringelter Löckchen .
Im Sommer trug sie meist weißgestickte Kleider , im Winter seidene .
Ich habe meine Mutter nie in Wolle gesehen .
Mit dem Negligee wechselte sie auch ihre Laune .
Das Zanken und Poltern hörte auf .
Und wenn sie im Garten bei der Kaffeemaschine mit einer Handarbeit saß , nahm es sich beinahe gemütlich aus , besonders wenn das Korbwägelchen mit einem Säugling neben ihr stand , und sie mit einer schönen klaren Stimme eines ihr Lieder sang , etwa : " Brüderlein sein , Brüderlein fein , ach es muß geschieden sein " oder " was braucht man dann mehr um glücklich zu sein " oder : " wir winden Dir den Jungfernkranz von veilchenblauer Seide " .
Dann verlor sich auch meine Furcht einigermaßen , und ich wagte mich in ihre Nähe .
Meine Eltern führten eine durchaus glückliche Ehe .
Nach damaliger Sitte nannten sie sich Mama und Papa .
Der Vater liebte seine Frau , wie sie war .
Nur wegen des Wirtschaftsgeldes , mit dem die Mutter nie auskam , entbrannte zuweilen ein Streit , das heißt meine Mutter stritt , mein Vater brämelte nur vor sich hin .
Er war ein stiller , furchtsamer Mann , leicht eingeschüchtert , gutmütig fremden Menschen gegenüber , unbeholfen , ängstlich , eine Null im Hause , ganz von seiner Frau abhängig , gern abhängig .
Ich erinnere mich nicht , daß er sich jemals gegen das Joch aufbäumte .
Er ging völlig in seiner Fabrik auf , deren Geschäfte er , ohne jede Spur von Produktivität mechanisch abwickelte .
Er hatte die Fabrik schon von seinem Vater geerbt .
Als 13jähriges Bürschchen hatte man ihn in das Comptoir gesteckt , ohne daß man ihn hätte etwas lernen lassen .
Und da ist er bis jetzt geblieben .
Und er wird hundert Jahr alt werden , unbekümmert um die ganze Welt , die ihn absolut nichts angeht .
Um nicht ungerecht zu sein , will ich aber erwähnen , daß er in jungen Jahren künstlerische Anlagen verriet .
Er zeichnete Porträts .
Das Porträt meiner Mutter als Braut , und sein eigenes als Bräutigam , seine letzten künstlerischen Taten , beweisen ein nicht gewöhnliches Talent .
Er dichtete auch Knittelverse , zu Geburtstagen , Taufen u. s.w. und wenn er diese Gelegenheitsgedichte vorlas erglänzten seine freundlichen grauen Augen und seine sonst apathischen Züge belebten sich .
Er sah dann aus als wäre er jemand .
Sein edelgeschnittenes Gesicht unterstützte ihn dabei .
Auch meine Mutter hatte eine Eigenschaft , die mit ihrer sonst derbbürgerlichen Art sonderbar kontrastierte .
Das war ihr Sinn für Toilette .
Dabei streifte sie alles Hausbackene ab ; und ihre Toilettenpassion war nicht etwa auf geschmacklosen Putz gerichtet , im Gegenteil , auf raffinierte und originelle Eleganz .
Alles was ihr etwa an Phantasie , an höheren Aspirationen innewohnte , kam in der Toilettenangelegenheit zum Ausdruck .
Wir führten einen dürftigen Tisch .
Diätfragen waren böhmische Dörfer für meine Mutter .
Wenn man nur satt wurde .
Sie sparte sich und den Kindern am Munde ab , was sie für Toiletten ausgab .
Darum kam sie auch nie mit dem Wirtschaftsgeld aus .
Sie hatte aber die Genugtuung , daß , wenn sie mit uns Mädchen im Tiergarten spazieren ging , alle Welt sich nach uns umschaute .
Der Vater meiner Mutter war ein Franzose gewesen ; auf dem Durchmarsch nach Rußland hatte er sich mit der Großmutter trauen lassen .
Er fand wohl auf den russischen Schneefeldern den Tod , denn sie hat nie wieder etwas von ihm gehört .
Ich habe von der Großmutter nicht erfahren können , wer und was dieser Franzose eigentlich war .
Vielleicht war_es ein Marquis oder er trug wenigstens den Marschallstab im Tornister , und daher der Instinkt meiner Mutter für Vornehmheit der Erscheinung .
Dazu paßten ihre aristokratisch schöngeformten , blendend weißen Hände und Füße .
Daß ihr der Sinn für Toilette angeboren war , ist sicher .
Eine Anregung von irgend einer Seite her war ausgeschlossen .
Meine Eltern lebten ganz abseits von dem was man Welt oder Gesellschaft nennt .
Ihr ganzer Umgang bestand , so weit ich zurückdenken kann , aus drei Ehepaaren : einem Bauinspektor , dem Hausarzt und einem Polizeihauptmann mit ihren respektiven Gattinnen , einfache Leute , wenn auch an Bildung meinen Eltern überlegen .
Übrigens , wer weiß , vielleicht wäre meine Mutter mit ihrem Temperament , ihrer Lust am Regieren , unter gänzlich anderen Verhältnissen eine bemerkenswerte Persönlichkeit geworden .
Da die Fabrik des Vaters ziemlich entfernt von der Privatwohnung lag , kam er Mittags nicht nach Hause .
Bald nach acht Uhr Morgens ging er fort und erst zwischen 7-8 Uhr Abends kehrte er wieder heim .
Nur des Sonntags gehörte er der Familie .
War das Wetter gut , so führte er uns größere Kinder in eine Konditorei , und ein jedes von uns durfte ein Stück Apfelkuchen essen , eine Schwelgerei , auf die wir uns die ganze Woche freuten .
Und dieser Apfelkuchen - ach Gott , es klingt so pietätlos , und ich muß doch dabei in mich hineinlachen - war das einzige Gemütsband zwischen uns und dem Vater .
Und so ganz befriedigte mich der Apfelkuchen auch nicht .
Gleich überbot ihn meine Phantasie .
Ich hätte gar gern zwei gegessen , oder wenigstens den einen mit Schlagsahne .
Herrlich , dachte ich müßte es sein , wenn man einmal so viel Apfelkuchen essen könnte als man wollte .
Mein Vater hat mich weder je gescholten , noch je gelobt , noch je liebkost .
Ohnehin schweigsam , sprach er mit seinen Kindern eigentlich niemals .
Vielleicht wußte er nicht einmal wie wir aussahen .
Von unserem inneren Leben hat er sicher nicht die leiseste Ahnung gehabt , etwas davon zu erfahren , trug er kein Verlangen .
Vater und Mutter hatten für ihre Kinder nur Zärtlichkeit so lange sie klein waren .
Ehe mein Vater in die Fabrik ging pflegte er mit den Kleinsten ein Viertelstündchen zu spielen , immer dieselben stereotypen Spiele , mit der Tabaksdose , die er von ihnen auf- und zuklappen ließ , mit der Taschenuhr , die vor ihren Öhrchen Tick !
Tick ! machen mußte .
Höchstens brachte er es in seinen zärtlichsten Momenten bis zu einem " Kuckuck - Mummum " .
Damit waren seine Vaterfreuden abgetan .
Wenn er Abends nach Hause kam schliefen die Kinder schon .
Und das waren wohl seine gemütlichsten Stunden , in dem bequemen Schlafrock , mit Pantoffeln , bei warmen Abendbrot , mit seiner hübschen , Plaudersamen Frau .
Sobald die Kinder schulpflichtig wurden , waren sie für ihn nur Individuen , für die das Schulgeld pünktlich zu entrichten war , und deren ungeheurer Consum an Stiefeln und Schulbüchern ihn in Erstaunen setzte .
Kein Haushalt konnte regelmäßiger und korrekter geführt werden , als der unsrige .
Alle sechs Wochen große Wäsche , alle acht Tage kleine Wäsche , und natürlich alles immer im Hause .
Alle drei Monate großes Reinmachen , bei dem das ganze Haus auf den Kopf gestellt und die Kinder in allen Winkeln herumgestupst wurden .
Bis auf die Menüs erstreckte sich die Regelmäßigkeit .
Montags gab_es Jahr ein Jahr aus Bouletten ( von den Resten des Sonntags ) mit Milchreis , Donnerstags Erbsen mit Pökelfleisch , Sonnabends Brühkartoffeln , Sonntags aber , da ging es hoch her , da aß der Papa zu Hause ; aber auch an diesen Sonntagen kehrten mit unverbrüchlicher Regelmäßigkeit dieselben Menüs wieder : Kalbsbraten , Plumpudding und Apfelmus , oder Rinderbraten , Bisquit-Pudding und Apfelmus .
Nur ab und zu lief ein Huhn oder eine Gans mit unter .
Ich gehörte zu den Kindern , die sich nicht besonders viel aus dem Essen machen .
Den Bisquitpudding aber , den liebte ich mit Passion .
Und da konnte ich recht abgünstig auf den Teller meiner Schwester Alice sehen , die immer ein größeres Stück als ich bekam , und eins mit so schöner brauner Kruste .
Meine Eltern führten ganz das halb vegetative Dasein , wie es wohl von jeher , besonders in Zeiten politischer Stagnation , die Mehrzahl der Menschen geführt hat .
In eine solchen Periode fiel meine Jugend .
Mir ist nachträglich , als wären die Leute damals alle schon ältlich geboren worden .
Ein goldenes Zeitalter für Philister und Spießbürger .
Charakteristisch dafür waren die gute Stube , das Weißbier , die langjährigen Verlobungen , selten unter zwei Jahren , die nüchterne , dürftige Tracht des weiblichen Geschlechts : lange Schneetaillen , enge Ärmel , kurz und glatt weggezogene Scheitel .
Die Haustöchter nähten emsig in Wolle und Perlen , mit Vorliebe Tragbänder in Perlenstickerei für Papa , Bruder oder Bräutigam .
Es war die Zeit , wo an den Winterabenden die Mama's strickten , während die Papa's im Schlafrock und gestickten Pantoffeln die Vossische oder die Spener'sche Zeitung lasen , und wo im Sommer große Landpartien auf gemeinschaftliche Kosten in großen Kremsern unternommen wurden , hin an Orte , wo es zuletzt immer durch tiefen Sand ging , und wo Familien Kaffee kochen können .
Der Kuchen wurde dazu mitgebracht .
Und an Ort und Stelle spielte dann die Jugend mit so viel Vehemenz Fanchonzeck , Blindekuh , Katz und Maus , pflückte Blumen , und die Verliebten gaben sich alle Mühe sich ein bisschen im Walde zu verlaufen , aus welchem Dickicht sie dann durch Hornsignale zur Moral zurückgeblasen wurden .
Und zum Abendessen gab es immer Aale und Gurkensalat .
Am schönsten war die Heimfahrt , wo man so grenzenlos traurige Lieder sang , am liebsten mit Ade !
Ade !
und dabei ruckte man so nah aneinander und schwärmte den Mond und die Sterne an .
Besonders geistreich und vornehm waren ja diese Lustbarkeiten nicht , aber anspruchslos , billig und jung , so jung .
Erst das Jahr 48 schlug eine Bresche in die Zäune dieser bequemen Weideplätze der Bourgeoisie .
Meine Eltern merkten auch davon kaum etwas .
Genau in den Geleisen , die ihnen die Verhältnisse und die herrschenden Anschauungen vorzeichneten , bewegten sie sich , von keines Gedankens Blässe angekränkelt , keine erobernde Lust im Gemüt , die von Seiten meiner Mutter über die Erwerbung eines Hausgeräts oder eines Kleides , von Seiten meines Vaters über die eines neuen Kattunmusters hinausgegangen wäre .
An den Tod nicht denkend , kaum an ihn glaubend , immer gesund , waren sie der Ansicht , daß auch innerhalb des Hauses alles von selbst fein gerade gehen müsse .
Und es ging auch nicht allzuschlecht .
In Betreff der Kinder kannten sie keine Vorsorge für die Zukunft , keine Ängstlichkeit für die Gegenwart , keine Verantwortlichkeit für ihre geistige und moralische Erziehung .
So viel Lärm und Arbeit es auch in unserem Hause gab , es war nur Gekräusel auf der Oberfläche .
In der Tiefe - Stille , Unbewegtheit .
Meine Eltern - soll ich sagen die Glücklichen ? - kannten eines nicht , den Schmerz .
Selbst der Tod eines Kindchens , das bald nach seiner Geburt starb , rief keine bemerkenswerte Erregung hervor .
Ich war neugierig ob die Mutter weinen würde .
Nein , sie weinte nicht .
Ich versuchte aus dem Vorfall ein Gedicht zu machen :
" Die Mutter die nicht weinen kann . "
Inhalt : das tote Kind , das ( umgekehrt wie im Märchen von dem Tränenkrüglein ) im Grabe nicht eher Ruhe findet , als bis die Mutter seinen Hügel mit Tränen begießt .
Wessen Erbe war ich denn ? -
Vielleicht des Großvaters ?
Der soll etwas besonderes gewesen sein .
Im Wohnzimmer hing ein feines Pastellbildchen von ihm , ein wundervoller alter Kopf , mit vollem weißen Haar und feurigen , schwarzen , geistsprühenden Augen .
Die Pastellbilder sind aber so verlogen , sie idealisieren so sträflich .
Ich war wohl schon acht Jahr , als er starb , er hat aber nie den Fuß über unsere Schwelle gesetzt , weil er dem Sohn wegen seiner Heirat mit meiner Mutter zürnte .
Fehlte in unserer Familie das tiefere Gemütsleben , so gab es aber auch keine Heuchelei , keine Lüge , keine Masken .
Meine Mutter handelte ganz impulsiv und redete , wie ihr der Schnabel gewachsen war .
Mein Vater konnte die Fabrik , die er blühend übernommen hatte nicht heben , weil er es nicht über sich gewann , günstige Konjekturen benutzend , Waren auf Kredit zu nehmen .
Wir Kinder hatten von der Wesensart unserer Eltern den Vorteil , daß bei unserer Erziehung ( eigentlich Nichterziehung ) jede Dressur fehlte .
Auch den Vorteil , daß wir uns körperlich abhärteten .
Winter und Sommer gingen wir mit denselben Fähnchen und Röckchen , wir Mädchen kurzärmlich , den Hals frei .
Ob wir mit nassen Füßen durch Schnee und Regen patschten , oder uns von der Sonne braten ließen , niemand fragte danach .
War auch nicht nötig .
Wir verdankten unseren kerngesunden Eltern ein unschätzbares Gut : den widerstandsfähigen Körper .
Warum meine Brüder nichts lernten , weiß ich nicht .
Sie besuchten gute Gymnasien oder Realschulen .
Der Begabteste kam glücklich bis Tertia .
Warum wir Mädchen nichts lernten , weiß ich .
Es wurde eben in den damaligen Mädchenschulen kaum etwas gelehrt , was über die Elementarkenntnisse hinaus ging .
Die Knaben hatten es gut .
Sie turnten , sie exerzierten .
Sie durften sich auf Straßen und Plätzen in Freiheit tummeln .
Ihnen gehörte Schnee und Eis im Winter , das Wasser im Sommer .
Wir Mädchen turnten nicht , wir schwammen nicht und ruderten nicht .
Wir durften uns nicht mit Schneebällen werfen , ja , nicht einmal schlittern .
Denke doch , der Strickstrumpf florierte noch .
Die beneidenswerten Jungen , die brauchten auch bei der großen Wäsche nicht die Strümpfe umzukehren , nicht auf die kleinen Geschwister aufzupassen , nicht nähen zu lernen .
Nichts brauchten sie , sie taten immer wozu sie Lust hatten .
Von Knaben hatte ich damals die Vorstellung , daß sie rechte Rüpel seien , und sich nicht wuschen , und daß ihnen das Lernen in der Schule furchtbar sauer würde .
Erzähle ich schlicht genug ?
Schläfst Du dabei vor Langeweile ein ? es geschieht Dir recht .
Du hasts gewollt .
Ich war gewiß noch ganz klein , etwa 4-5 Jahr , als die Mutter mir das Amt übertrug , die kleinen Brüderchen oder Schwesterchen zu wiegen .
Das Wiegen der Kinder , das heute für schädlich gilt , war damals etwas Selbstverständliches .
Die Wiege stand im Schlafzimmer der Eltern .
Abends wurde das Zimmer von einer Nachtlampe schwach erhellt .
In der ersten Zeit faßte ich dieses Amt als eine Strafe auf , und weinte still in mich hinein .
Ich glaube selbst ein Kind fröhlichen Temperaments wäre bei diesem stundenlangen einförmigen Wiegen im Halbdunkel , kopfhängerisch geworden , wie viel mehr ich , die ich allem Anschein nach schon als Traumbündel zur Welt kam .
Allmählich aber gewöhnte ich mich an das Wiegen , und nahm es als etwas Unabänderliches hin .
Und dann kam die Zeit , wo ich mit Ungeduld darauf wartete , daß man mich zum Wiegen rufen sollte .
Warum die Mutter gerade mir dieses Amt übertrug ? -
weil sie es für ein sehr unangenehmes hielt .
Meine Mutter - Du hast es wohl schon zwischen den Zeilen gelesen - konnte mich nicht leiden .
Alles an dieser Frau war impulsiv .
Sie folgte nur ihren Instinkten , und ihre Instinkte waren gegen mich , ja ihre Lieblosigkeit mir gegenüber steigerte sich oft bis zu einem an Haß grenzendem Gefühl .
Ich merkte bald , daß sie eine geheime Lust empfand , wenn sie mir weh tun konnte .
Und doch war sie weder boshaft noch grausam .
Ich wüßte nicht , daß sie jemals irgend einem Menschen positiv Böses zugefügt hätte .
Sie hatte wohl auch kaum ein Bewußtsein von dem bitteren Leid , daß mir durch sie geschah .
Da ich ein sehr hübsches und sehr artiges Kind war , ( nach dem eigenen späteren Zeugnis meiner Mutter ) würde ich mir vielleicht heute noch den Kopf über die Ursache ihrer Abneigung zerbrechen , wenn sie selbst mich nicht darüber aufgeklärt hätte .
Eines Tages war eine Dame bei ihr zum Besuch , als ich aus irgend einem Grund ins Zimmer trat .
Der Dame gefiel ich augenscheinlich .
" Die Kleine ist gewiß Ihr Liebling " - sagte sie zu meiner Mutter .
Meine Mutter lachte .
" Aber nein im Gegenteil " .
Die Dame wunderte sich , weil ich doch gar so niedlich wäre .
Nun erklärte ihr die Mutter , daß ich - ihr drittes Kind - das erste gewesen wäre , das sie nicht selbst nähren konnte .
Und da hätte nun der kleine lieblose Balg nichts von ihr wissen wollen , hätte in seiner Gier immer nur nach der Amme verlangt , und wie am Spieß geschrien , wenn sie , die Mutter , mich hätte nehmen wollen .
" Und da kann man denn natürlich - schloß sie ihre Erklärung - so ein kleines Ekelbiest ( sie nannte mich oft so ) nicht leiden . "
Meine Mutter sagte das ganz einfach und laut vor mir .
Es kam ihr nicht in den Sinn , daß sie damit dem zehnjährigen Kind bitterweh tat .
Daß die Anhänglichkeit des Säuglings an die Amme naturgemäß ist , begriff sie nicht .
Mein Abwenden von ihr schien ihr etwas durchaus Böses .
Die ersten Eindrücke zu überwinden war sie außerstande , von Selbstbeherrschung und Selbstverantwortlichkeit wußte sie nichts .
Es gab aber noch andere Gründe für ihre Abneigung .
Meine Schwester Alice , ihr Ebenbild äußerlich und in der Wesensart , war ihr Liebling .
Und um dieser Alice Willen , war sie eifersüchtig auf mich .
Ich war sehr viel hübscher als die Schwester und kam in der Schule schneller vorwärts .
Noch maßgebender aber für ihre Abneigung mag der Antagonismus unserer Naturen gewesen sein .
Größere Gegensätze als zwischen meiner Mutter und mir sind kaum denkbar .
Dazu kam meine offenbare Scheu und Furcht vor ihr , die sie beleidigten .
Sie dichtete mir Fehler an , die ich nicht hatte , vielleicht um ihre ungerechte Härte vor sich selber zu beschönigen .
War von einer Leckerei etwas genascht worden , so wurde ich der Tat beschuldigt und leugnete ich , so war ich eine Lügnerin .
Ich wurde geschlagen , damit ich gestehen sollte .
In den Familien ist die Folter noch nicht abgeschafft .
In gut bürgerlichen Häusern wurde damals viel geprügelt .
Jedenfalls haftete mir als Kind der Ruf an eine verstockte Lügnerin zu sein , so daß ich später oft darüber sann , ob ich nicht wirklich gelogen , und es nur dann vergessen hätte .
Wir hatten eine alte , grimmig häßliche , unangenehme Tante .
Es verging kaum ein Tag , ohne daß ich hören mußte : " die Pie wird der Tante Berthel von Tag zu Tag ähnlicher . "
Und ich glaubte es , und ich weinte heimliche Tränen über meine Scheußlichkeit .
Hätte ich nicht mit der Zeit eine so große Virtuosität erlangt meiner Mutter aus dem Wege zu gehen , ich wäre eins der meistgeprügelten Kinder gewesen .
Meine bloße Anwesenheit schon reizte die Mutter zu Äußerungen der Abneigung .
" Glotze mich nicht so impertinent an , " fuhr sie mich an .
Ich hatte natürlich keine Ahnung , daß ich impertinent glotzte .
Saß ich still mit niedergeschlagenen Augen da , so sah ich blödsinnig dumm aus .
Sie brauchte grobe Ausdrücke .
Wenn sie mich anschrie : " Halts Maul ! " oder : " Dumme Gans ! " so zog ich unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern als schlüge man mich , und ich schämte mich , daß es meine Mutter war , die so redete .
Ich zitterte , sobald ich nur ihren Schritt oder ihre Stimme im Korridor hörte , und oft zog ich dann hurtig die Schuhe aus , und tappte leise die Hintertreppe herab , um in den Garten zu entkommen .
Hatte ich dazu nicht mehr Zeit , so lauschte ich gespannt , wohin sie ihre Schritte lenken würde , und ging sie an meiner Tür vorbei , so atmete ich befreit auf .
Eine ihrer Härten bestand darin , daß sie mich zu essen zwang , was ich nicht mochte , während sie bei den Idiosynkrasien meiner Geschwister ein Auge zudrückte .
Bis zum Rand füllte sie mir den Teller mit Speisen , die mir verhaßt waren .
Ach ihr guten Erbsen und ebenso guten Brühkartoffeln , mit wie viel Tränen habe ich euch heruntergewürgt !
Die wohlhabendsten Bürgerfrauen gingen damals selbst auf den Markt , auch wohl mit einem Fischnetz und einem Körbchen für Obst .
Eines Tages hatte meine Mutter mich mit auf den Markt genommen .
Sie hatte Aale gekauft , und ich sollte sie im Netz nach Hause tragen .
Andromache kann , als sich ihr der Drachen nahte um sie zu verschlingen nicht mehr Entsetzen empfunden haben , als ich bei der Vorstellung , daß ich diese glibbrigen , eklen Tieren berühren sollte .
Ich , sonst der Gehorsam selbst , weigerte mich die Aale zu tragen , und als meine Mutter darauf bestand , geriet ich so außer mir , und stieß einen so wilden Schrei aus , daß sie einen Auflauf befürchtend , das Netz selbst in die Hand nahm .
Ich wäre eher ins Wasser gesprungen , als daß ich die Aale getragen hätte , und die Prügel , die ich zu Hause für meine Renitenz erhielt , und daß ich von den gekochten Aalen nicht essen durfte , hat die Tierliebe in mir nicht großziehen können .
Sonderbar meine Abneigung gegen Tiere , nicht ?
Ich weiß selbst keine Erklärung dafür .
Jede , auch die geringfügigste Quälerei eines Tieres kann mich zu hellem Zorn reizen , ich mag mich aber selbst mit dem niedlichsten Tierchen nicht abgeben , vor der Berührung einer kalten Hundeschnauze schaudere ich zurück .
Vielleicht wirkt bei dieser Antipathie mein feiner Geruchsinn mit , der schon durch den Dunstkreis eines Vogelkäfigs unangenehm affiziert wird .
Du kannst es glauben , Arnold , ich litt herzzerreißendes in meinen Kinderjahren .
Der Schmerz des Kindes ist oft tiefer , trostloser als der des Erwachsenen .
Es ist immer gleich ganz Nacht in der kleinen Seele , ohne Hoffnung auf Morgenröte .
Man sagt wohl , daß so ein Kinderschmerz nur ein Momentbild sei .
Ist aber ein Kind besonders weich und eindrucksfähig , und wiederholen sich unablässig die schmerzlichen Einwirkungen , so schließen sich die Wunden nie ganz und bluten bei der leisesten Berührung .
Es gibt Kinder , die gleichsam gepanzert zur Welt kommen , Dickhäuter , von denen alle Pfeile abprallen , Kinder mit starken Instinkten der Selbsterhaltung .
Andere aber sind wehrlos geboren mit so dünner Seelenhaut , daß schon ein Hauch sie verletzt .
Ich war ein geistiger Bluter .
Man spricht so viel von dem großen Glück des Kindes , das die Mutterliebe ihm gibt , man spricht von dem trauervollen Geschick der Kinder , die früh die Mutter verloren .
Aber man spricht nicht von dem viel größeren Unglück des Kindes , das eine Mutter hat , die keine Mutter ist .
Ich weiß nicht ob mein Schicksal ein Ausnahmeschicksal war .
Ich glaube kaum .
Ich erinnere mich mit absoluter Sicherheit , daß in meiner Kindheit kein einziger Tag verging , ohne daß ich weinte .
Es waren keine kindischen Tränen , ich weinte mit Bewußtsein , wie ein Erwachsener , über das was mir geschah , Tränen , die vergiften , Tränen , die für immer Spuren in der Seele hinterlassen .
Daß mein Gedächtnis so wenig tatsächliches aus den Kinderjahren festgehalten hat , liegt wohl daran , daß ich mich immer vor der Wirklichkeit zu verkriechen suchte , daß mein eigentliches Wesen durch die rauhe Verständnislosigkeit meiner Umgebung erstickt wurde , oder doch nur latent in mir fortlebte .
Nur nicht bemerkt werden .
Bemerkt werden und verwundet werden , war eins für mich .
Ungeliebt , ungehegt und gepflegt schmachtete ich nach Liebkosungen , und da ich in der Wirklichkeit keine fand , erträumte ich sie mir , wie der Hungrige im Traum in leckern Speisen schwelgt .
In instinktiver Schlauheit erzwang ich mir einen außergewöhnlichen Zugang zum Lebensgenuß , da mir die gewöhnliche Tür verschlossen wurde .
Es war eine völlige Umkehrung des realen Daseins .
Der Traum war das Leben , das Leben ein wesenloses Hindämmern .
Meine Mutter sah ich im Licht einer Märchen-Stiefmutter .
Bis in meine Backfischjahre hinein trug ich mich mit der Hoffnung , daß ich ein angenommenes , ein Findelkind sei , und ich wartete eigentlich immer auf die eigentliche Mutter .
Darauf hin spann ich lange Romane , die immer damit endigten , daß ich endlich , endlich meine Mutter entdeckte , die mich nun natürlich ganz unsinnig liebte .
Ich hätte so sehr gern meine Mutter " Sie " genannt .
Eine kleine Wohnung auf der anderen Seite unseres Flur's hatte ein altes Fräulein mit ihrer Jungfer inne .
Das alte Fräulein war eine Dichterin , eine berühmte , sagte man mir .
Man sprach von ihr im Hause mit einer gewissen neugierigen Ehrerbietung .
Daß sie von altem Adel war , erhöhte das Interesse für sie .
Schon ihr Vorname " Elfriede " übte eine geheimnisvolle Anziehung auf mich aus .
Die Stimmung des Tückschen Märchens " Die Elfen " , war noch in meinem Gemüt lebendig , ein Abglanz davon fiel auf die Dichterin .
Sie war sehr lang und sehr dünn , und kleidete sich eigentümlich , mit weiten dunklen Umhängen , und nie habe ich sie ohne einen langen , wehenden , grünen Schleier und ohne Halbhandschuh gesehen .
So wandelte sie im Garten auf und ab , in der Hand ein Büchelchen und einen Bleistift haltend .
Ein Duft wie von Lawendel und Veilchen ging von ihr aus .
Oft stand ich am Fenster des Berliner-Hinterzimmers , und wartete bis die Liebliche sich zeigte und mit ihren zarten Fingern den Vorhang zurückschob ; er war auch grün .
Wie früher der verschlossene Bücherschrank , so zog mich jetzt dieses vergilbte Fräulein an .
Sah ich sie in den Garten gehen , so lief ich auch schnell hinab , und herzklopfend strich ich so nah wie möglich an ihr vorüber , damit sie mich bemerken sollte .
Allgemach spielte sie eine Rolle in meinen wachen Träumen .
Ich ersann eine phantastische Kombination : Sie war meine leibliche Mutter .
Eine magische Verkettung hatte uns in demselben Haus zusammen geführt , und eines Tages entdeckte sie an einem geheimen Mal , - etwa an dem kreuzartigen roten Mal auf meiner Stirn - ihre Mutterschaft mir gegenüber .
Von dem Augenblick an liebte sie mich rasend , mußte es aber vor der Welt geheim halten .
Über das Warum dieser Geheimhaltung ließ ich mir keine grauen Haare wachsen .
Im Gartensaal gaben wir uns zahlreiche Rendez-vous , und zerflossen dabei in Zärtlichlichkeit und Tränen .
So zur fixen Idee wurde diese Vorstellung , daß ich ein paar Mal , wenn sie im Garten war , mich durch schnelles Laufen in der Sonne zu erhitzen suchte , damit das Mal zum Vorschein kommen sollte .
Meist aber , wenn ich an ihr vorüberging war sie so in sich versunken , daß sie mich gar nicht bemerkte .
Nur ein einziges Mal sprach sie mich an , streichelte mich , und gab mir aus einer eleganten Bonboniere ein Chokoladenplätzchen .
Als sie nach einem Jahr auszog , empfand ich es wie einen Schicksalsschlag , die Stimmung des Tückschen Märchens , nachdem die Elfen ihren Wohnort verlassen kam über mich .
Zwar winselten keine Klagetöne durch die Luft , noch zitterte der Erboden unter den Rädern des Möbelwagens , der ihr Hausgerät davon trug , der Garten aber kam mir doch eine Zeitlang entzaubert vor .
Nicht mehr wehte der grüne Schleier durch das dürre braune Herbstlaub , und nicht mehr stand ich im Berliner-Zimmer bis die Liebliche sich zeigte .
Mit Elfriede war mir ein Stück Romantik entschwunden , eine meiner heißersehnten Mütter zu Wasser geworden .
Übrigens war meine gequälte Kinderseele durchaus nicht frei von Rachegefühlen meiner Mutter gegenüber .
Aber nie hätte ich ihr ein Leid anwünschen , geschweige denn ihr eins antun mögen .
Im Märchen muß die böse Stiefmutter auf glühenden Pantoffeln sich zu Tode tanzen .
Glühende Kohlen spielten auch in meinen Rachegedanken eine Rolle , aber ich wollte sie auf das Haupt meiner Mutter sammeln , sie mit Beschämung strafen .
In besonders trübseligen Stimmungen nahm ich mir fest vor schmerzlich zu Grunde zu gehen , um das Herz meiner Mutter durch mein tragisches Geschick mit Reue zu zerfleischen .
Immer war ich in meinen Traumphantasien zuerst ein verelendetes , geknicktes Geschöpf , bis ein Zauber oder ein großes Schicksal etwas außerordentliches aus mir machten .
Immer hatte meine Mutter mich aus dem Hause gestoßen , oder ich war davon gelaufen .
Mich hungerte .
Ich war in Lumpen gekleidet .
Da ging ich auf die Höfe und sang .
Irgend jemand hörte meine herrliche Stimme , war entzückt davon , ließ mich zur Sängerin ausbilden .
Und ich wurde die erste Sängerin der Welt .
Und eines Tages fuhr ich in der Friedrichstraße bei meiner Mutter in einem vergoldeten Wagen mit vier Pferden - nein mit 6 weißen Roßen - vor , so daß die ganze Friedrichstraße Kopf stand .
Und neben mir im Wagen saß ein Prinz .
Das war mein hoher Gemahl .
Und zu spät sah meine Mutter ein wie sehr sie mich verkannt hatte .
Die " dumme Gans " kam als Schwan daher , wohnte in einem Palast und war weltberühmt .
Furchtbar war_es , wenn meine Mutter mich mit einem Rohrstock schlug , was ab und zu vorkam .
In eine wilde tödliche Aufregung geriet ich dann .
Die glühende Kohlen der Beschämung genügten mir nicht mehr , nicht mehr die Traumbestrafungen .
In düsterem Pathos mischte ich Traum und Wirklichkeit .
An eisigen Winterabenden , ehe ich ins Bett ging , stellte ich mich im Hemde ans offene Fenster , und entblößte meine Brust , sie der Kälte preisgebend .
Ja , ich wollte mir eine tödliche Krankheit zuziehen , und auf dem Totenbett , im Fieberparoxismus , wollte ich der unnatürlichen Mutter zurufen - nein nicht zurufen - dazu war ich zu schwach , mit einem Finger wollte ich ihr das Kainszeichen auf die Stirn malen : Mörderin !
Und mit wahrer Wollust malte ich mir ihre Gewissensqualen aus .
Oder ich siechte langsam an gebrochenem Herzen dahin .
Ich lag auf der Totenbahre , ( Bett ein zu prosaisches Wort ) ein Kranz von weißen Rosen auf dem gelösten rabenschwarzen Haar , marmorweiß das Gesicht .
Ich sah so wunderschön aus und so furchtbar traurig , daß ich über mich selbst laut weinte .
Und mein Bild als Tote , würde fortan das Leben meiner Mutter vergiften .
Kindskopf , der ich war .
In Wirklichkeit würde die robuste Frau mich in wenigen Wochen vergessen haben .
Aber die eisigste Kälte schadete mir nicht .
Gott ! war ich gesund !
Meine Phantasie feierte wahre Orgien der Traurigkeit , in denen Tod und Wahnsinn , weiße Lilien und rotes Blut und nächtliche Kirchhöfe wild durcheinander spukten .
Nichts konnte mir schaurig genug sein .
Mit Vorliebe sah ich mich als Wasserleiche im rauschenden Strom dahintreiben , meine Rabenlocken das Bahrtuch , das mich einhüllte .
Und Goldfische ( die ja eigentlich in rauschenden Strömen selten vorkommen ) und Delphine zogen mir nach auf der dunklen Spur .
Über mir große Vögel , die Flügel ausgebreitet , lautlos schwebend - ein feierlicher Leichenkondukt .
Und auf meiner Stirn brannte in mystischem Licht das rote Mal .
Eine Zeitlang stand ein gutes und kluges älteres Kindermädchen bei uns im Dienst , die mich lieb hatte .
Das war die erste Person , die überhaupt merkte , daß ich zu meiner Mutter niemals Mutter , oder wie meine Geschwister " Mama " sagte .
Das gute Mädchen redete mir ins Gewissen .
Sie stellte mir eindringlich vor , daß eine Mutter kein Herz zu einem Kinde fassen könne , daß so halsstarrig wäre , sie nicht Mama nennen zu wollen , und gewiß hielte sie mich darum für bös und trotzig .
Und mit so klugen , liebevollen Worten drang sie in mich , daß ich ihr versprach meinen Trotz ( es war ja kein Trotz ) abzulegen .
Aber ach , vom Entschluß zur Tat war noch ein weiter Weg .
Ich hatte mir das " Muttersagen " nicht so schwer gedacht .
Ich wollte nämlich gar nicht erst Mama , sondern gleich Mutter sagen .
Das gefiel mir besser .
In keinem meiner Märchen oder Träume gab es Mama's .
Tagelang , wochenlang kämpfte ich mit meiner Schüchternheit und einer herzbeklemmenden Angst , die mich jedesmal überfiel , wenn ich einen Anlauf zu der heroischen Tat nahm , und ich hätte sicher den Mut dazu verloren , wenn das Kindermädchen nicht auf ihren Schein bestanden hätte .
Sobald ich in dieser Zeit meine Mutter nur zu Gesicht bekam , stieg mir alles Blut ins Gesicht .
Im Garten stellte ich Vorübungen an :
" Mutter ! liebe Mutter ! " und es klang so zärtlich , so überwältigend , es rührte mich tief .
Inzwischen phantasierte ich wieder eine bewegliche Geschichte zusammen , über das , was nach vollbrachter Tat geschehen würde .
Zuerst würde die Mutter , sobald das inhaltsschwere Wort gefallen , wie von einem elektrischen Schlag getroffen , sprachlos dastehen .
Dann würde sie in Tränen ausbrechen , mich in ihre Arme pressen und mit Liebkosungen überschütten .
Und von dem Augenblick an war ich ihr erklärter Liebling .
Ich würde eine Mutter haben , eine Mutter !
mein Herz jauchzte .
An einem Nachmittag mußte der verwegene Plan ins Werk gesetzt werden .
Vormittags , da war die Mama ja nicht angezogen und schlechter Laune und ganz Wirtschaftsdrachen .
Die ersten Anläufe , die ich in einer Aufregung nahm als handle es sich um Tod und Leben , verliefen resultatlos .
Einmal traf ich Alice bei ihr .
Ein ander Mal fuhr sie mich gleich , als ich eintrat , unsanft an .
Endlich kam ein günstiger Moment .
Sie war im Schlafzimmer bei dem kleinen Brüderchen , und ich hörte sie mit ihrer hellen Stimme eines ihrer hübschen Lieder singen :
" Brüderlein fein , Brüderlein fein , ach es muß geschieden sein . "
So lange meine Mutter sang , vergaß ich das Stiefmütterliche in ihr .
Und nun wußte ich auch einen Vorwand um einzutreten .
Ich begreife heute noch nicht , daß sie nicht an meinem glühenden Gesicht , an meiner bebenden Stimme merkte , daß etwas Außerordentliches geschehen sollte .
" Mama " , sagte ich mit fliegendem Atem ( ganz gegen meinen Vorsatz hatte ich das Wort " Mutter " nun doch nicht über die Lippen gebracht ) " Mama soll ich nicht Fritzchen wiegen ? "
Eine Bergeslast fiel mir von der Brust .
Es war vollbracht .
" Komme in einer halben Stunde wieder " sagte meine Mutter nicht unfreundlich , aber ganz gleichgültig .
Sie spielte mit dem Kinde weiter .
Ich stand noch ein paar Minuten und wartete - wartete !
Es mußte doch etwas geschehen !
es mußte doch .
Als sie sich nach einiger Zeit umwendete , und mich noch immer dastehen sah , sagte sie schon etwas schärfer :
" Aber so gehe doch "
- " Ja Mama . "
Und ich ging langsam , ganz langsam , zögernd hinaus , immer noch hoffend - immer noch hoffend !
Nichts geschah .
Nichts. O Gott , meine Mutter hatte es gar nicht bemerkt , daß ich nie Mama zu ihr gesagt und sie hatte auch jetzt nicht bemerkt , daß ich es tat .
Ich legte diese tiefe , bitterste Enttäuschung zu den übrigen und weinte mich am Halse des Kindermädchens aus .
Seitdem habe ich oft Mama gesagt , aber ohne Hoffnung und Erregung .
Wie wenige Eltern wissen etwas von der Psyche ihrer Kinder .
Wer hat sich je um das , was in mir vorging , gekümmert ?
Weil ich verblödet war , mußte ich dumm sein .
Meine Wortkargheit war Trotz .
Mein Fernstehen von den Geschwistern - Herzlosigkeit .
Die Mama war ja selbst in ihrer Jugend von ihrer Mutter tüchtig geknufft worden , und sie hatte sich nichts daraus gemacht , und nicht im entferntesten daran gedacht es ihr nachzutragen .
Unsere Großmutter .
Wie sich meine Eltern dieser Großmutter gegenüber verhielten , ist auch eine Illustration zu ihrer naiven , kulturfremden Art und Weise .
Die Mutter meiner Mutter , eine sehr einfache arme Frau , bewohnte im Norden Berlins vier Treppen hoch , ein kleines Stübchen , Sie webte und strickte für Geld .
Der Zuschuß , den sie von meinen Eltern erhielt - zehn Taler monatlich - reichte nicht ganz für ihre Existenz aus .
Sie war ein kleines , behäbiges , runzliges Altchen mit freundlichen blauen Augen und einer schwarzen Hornbrille .
Meine Mutter hatte ihr ein schönes Kleid geschenkt von blaugrüner Changeant-Seide .
Das blieb aber bei uns im Schrank hängen , und wenn sie uns besuchte - es geschah alle vier Wochen - so zog sie das dürftige Wollenkleid , mit dem sie kam , aus , und das seidene an , und wenn sie ging fand ein abermaliger Kleideraustausch statt .
Ebenso wurde es mit einer stattlichen Haube gehalten .
Großmutter saß bei uns den ganzen Tag strickend , und behaglich auf einem Lehnstuhl , und Mittags gab es jedes Mal Gänsebraten , weil sie den so gern aß , und Abends wurde ihr das Gerippe von der Gans mit einem Töpfchen Gänseschmalz in einem Korbe mitgegeben , weil sie das zu gern aß .
Und sie freute sich so über das Gerippe , besonders wenn noch viel daran war .
Einmal im Jahr , zu ihrem Geburtstag im Dezember , besuchte meine Mutter sie und nahm uns ältere Kinder mit .
Wir freuten uns immer sehr auf diesen Ausflug , einmal weil unser Weg uns über den Weihnachtsmarkt führte , und dann - es war eine so neue , fremde Welt für uns , das Stübchen in der entlegenen Gegend mit dem Blick auf irgend einen verwilderten Garten , und die Hühnerstiege , die hinaufführte .
Es war ein richtiges Abenteuer .
Und riesig nett war der große schwarze Kachelofen und die Bunzlauerkanne mit dem heißen Kaffee , der für uns in der Röhre bereit stand .
Und der Webstuhl !
Wir brachten immer einen großen , eigengebackenen Napfkuchen mit , und ohne den kleinsten Skrupel aßen wir selber diesen Kuchen bis auf das letzte Krümelchen zum Kaffee auf .
Heute noch könnte ich darüber weinen , wie wehmütig nach unserem Fortgehen , die alte Frau auf den leeren Teller geblickt haben mag .
Du mußt nun nicht etwa glauben , daß meine Eltern aus Geiz oder Hartherzigkeit das Altchen in so dürftiger Lage ließen .
Meine Mutter gab sogar sehr gern .
Ich bin überzeugt , sie glaubten vollauf ihrer Pflicht zu genügen .
Hätte die alte Frau mehr verlangt , sie würden es ihr sicher gegeben haben .
Und die Großmutter selbst habe ich nie anders als heiter und rosig gesehen , dankbar für das kleinste Geschenk und völlig zufrieden mit ihrem Schicksal .
Von der Zeit an , wo ich fließend lesen konnte , las ich mit Leidenschaft .
Ich verschlang jedes Buch , dessen ich habhaft werden konnte , gleichviel ob Schauerroman und Räubergeschichte , ob Schiller oder Goethe , ob eine Nieritz'sche Erzählung für die Jugend , oder ein lüsterner Liebesroman .
Leider befanden sich im Bücherschrank Wieland's Werke .
Ich glaube ich habe die meisten davon vor meinem elften Jahr gelesen .
Daß ich dieser Leidenschaft nur verstohlenerweise nachgehen durfte , steigerte sie ins Krankhafte .
Mit völligem Unverstand hatte mir meine Mutter das Lesen ein für allemal verboten , wahrscheinlich nur , weil es mir Freude machte .
Ein erzieherischer Gedanke hat bei dem Verbot nicht mitgewirkt .
Von Erziehung hatte die Mutter keinen anderen Begriff , als daß die Kinder für begangene Unarten abzuprügeln seien , je nach der Schwere der Unart mit leichten Streichen bis zu einer herzhaften Rohrstock-Exekution .
Wenn meine Eltern , was nicht allzuoft geschah , Sonntags ins Theater gingen , freute ich mich unsinnig darüber .
Unvergessen bleibt mir einer dieser Abende .
Ich hatte ein Buch angefangen , ein himmlisches .
Es hieß " Veronika oder der Blutschleier " .
Wahrscheinlich stammte es von einem unserer Dienstmädchen .
Den Inhalt habe ich vergessen .
Dem Titel nach muß es etwas ganz blutrünstig mysteriöses gewesen sein .
In erwartungsvollem Entzücken schlug mein Herz , als meine Eltern sich zum Ausgang rüsteten .
Kaum hatte die Tür sich hinter ihnen geschlossen , so stürzte ich auf das Buch , jedes Wort mit grenzenloser Gier verschlingend .
Ich sah nichts , ich hörte nichts , ich empfand nicht die Flucht der Stunden , bis ich plötzlich mit einem Schrei aufsprang .
Jemand hatte mir das Buch aus der Hand gerissen , und schlug es mir um die Ohren : meine Mutter .
Ich habe das Buch gesucht , tagelang , wochenlang , mit dem Heißhunger einer Verschmachtenden .
Es blieb verschwunden .
Lange , lange hat der Gram um Veronika mit dem Blutschleier an mir genagt , bis allmählich andere Bücher die Erinnerung an den Blutschleier verdrängten .
Im Wohnzimmer stand der mit Glastüren versehene Bücherschrank , auch ein Erbstück vom Großvater ; meine Eltern hätten sich schwerlich jemals Bücher angeschafft .
Gewöhnlich war der Schrank verschlossen .
Eines Tages aber hatte man den Schlüssel stecken lassen .
Durch die Türen hatte ich längst die Titel der Bücher gelesen .
Zwölf Bände , in blauen Pappedeckeln geheftet , hatten meine Neugierde gereizt :
" Tausend und eine Nacht . "
Es waren die Originalmärchen , nicht eine für die Engend bearbeitete Ausgabe .
Ich nahm eins der Bücher heraus , zog den Schlüssel ab , und versteckte ihn , ebenso erfolgreich wie das Buch selbst .
Das Abenteuer mit Veronika hatte mich gewitzigt .
Ich las drauf los , in den Zwischenstunden in der Schule , im Haus , im Garten , sobald ich nur vor den Argusaugen meiner Mutter sicher zu sein glaubte .
Die Kindermädchen , die mich immer gern hatten , leisteten mir Vorschub dabei .
Mehr und mehr versank die wirkliche Welt vor mir .
Und das war die Zeit , wo ich mit Ungeduld darauf wartete , daß man mich zum Wiegen der kleinen Geschwister rufen sollte .
Lesen konnte ich da freilich nicht , aber schwelgen im Nachgefühl der süßen Märchen voll schimmernder Pracht , und Variationen dazu konnte ich ersinnen .
Ich trug die Nachtlampe ins Nebenzimmer , so daß es im Schlafzimmer geheimnisvoll schummrig wurde , und nur der Laternenschein von der Straße her zitternde Schatten an Decken und Wände malte .
Es ist ein Instinkt der menschlichen Natur den Schmerz abzustoßen .
Ich suchte und fand das Heilmittel in meiner Einbildungskraft , eine glühende , blühende , nie rastende , immer schaffende .
Je rauher die Wirklichkeit , je intensiver je leidenschaftlicher meine Träume .
Sie saugten meine ohnedies schwache Willenskraft ganz auf .
Ich wurde lässig , träge .
Ich konnte stundenlang auf dem Rücken liegen , zur Zimmerdecke emporstarrend , am liebsten im Dunklen .
Im Sommer , wenn wir Kinder zum Zubettgehen gerufen wurden , versteckte ich mich , und lag dann auf einer Gartenbank , unter dem Sternenhimmel , träumend - träumend - träumend !
Ich habe vor einiger Zeit einen englischen Roman gelesen , in dem , vermittels eines Zaubertrank's , ein und derselbe Mensch in zweierlei Gestalt auf Erden wandelt : als kleiner , krüppelhafter Bösewicht und als schöner , edelgesinnter Jüngling .
So bestand ich eigentlich auch aus zwei Hälften .
Mit dem Zaubertrank der Traumwelt war ich ein wundervolles Geschöpf , ohne den Trank ein armseliges Aschenputtel , das Erbsen lesen mußte - unter Tränen .
Vor allen Lebendigen , Menschen und Tieren , hatte ich Scheu und Furcht .
Nie vor Naturvorgängen , auch vor den wildesten nicht .
Ich liebte den Sturm , der durch die Bäume rauscht und rast , Donner und Blitz liebte ich und Wolkenbrüche und blutrote Sonnenuntergänge .
Das waren ja Märchen in Bildern , in Tönen , in Farben .
Ich liebte aber auch den Mond , ihn vor allem .
Mit dem hatte ich ein intimes Verhältnis .
Oft wenn er schien , stand ich auf aus dem Bett , um zu schauen , wie er so eilig , eilig durch die Wolken dahinfuhr , Wolken , die als formlose phantastische Ungeheuer sich über ihn hinwälzten ; und wenn er dann aus all dem wilden Spuk in großer , stiller Silberpracht wieder emportauchte , war ich förmlich stolz auf meinen lieben Mond .
Ich wäre so sehr gern mondsüchtig gewesen .
Entzückend dachte ich es mir , ganz triefend von Mondlicht mit geschlossenen Augen , über die Dächer , in einem langen weißen Nachthemd mit himmelblau seidenen Bändern , hinzugleiten .
Keine Hoffnung .
Ich war kerngesund .
Nur traumtrunken .
Es gab Tage wo ich gar nicht nüchtern wurde .
Ich versuchte auch ab und zu meinen Traumgeschichten Form und Gestalt zu geben .
Im Garten wußte ich ein verstecktes Plätzchen mit Bank und Tisch .
Dahin trug ich Blumen , Gräser , Steine und Sand .
Aus Sand und Steinen baute ich eine Burg , um die ich von Buchsbaum eine Mauer pflanzte .
Drinnen hauste ein böser Zauberer , ( eine haarige Distel ) der hielt ein Königskind , die Prinzessin Vergißmeinnicht , gefangen .
Zwei Hofdamen , Nelke und Tulpe , bewachten sie .
Um die Burg herum grub ich einen Graben , den ich mit Wasser füllte .
Im Wasser schwamm eine ausgehöhlte Kastanie , das war der Nachen .
Im Nachen saß Prinz Rittersporn .
Der wollte das Königskind befreien .
Aus Gräsern hatte ich ein Leiterchen geflochten .
Auf dem Leiterchen stieg kühnlich , nächtlicherweile , der Prinz hinauf zum Schloß am Meer , und leis und süß in der Nacht sang er ein lockend Lied .
Und schon wollte das Prinzeßchen in seine Arme fliegen , da erschienen die Hofdamen mit dem bösen Zauberer , und der Zauberer berührte den Prinzen mit seinem Stab , und der Prinz rief : wehe ! wehe ! und stürzte hinab und ertrank .
Und Prinzeßchen Vergißmeinnicht klomm hinauf in den höchsten Turm , sang hoch oben noch ein Schwanenlied , so furchtbar pathetisch , daß ich ganz heiser davon wurde , und sie rief auch wehe ! und stürzte auch hinab und ertrank auch .
War ich besonders heiter gestimmt , so ließ ich die Liebenden wohl auch , vermittels des Kastanien-Kähnchens entkommen , und der Zauberer und die Hofdamen büßten ihre Untat als Wasserleichen .
Das waren meine Sommer- und Gartenmärchen , die immer in unendlichen Variationen dasselbe Thema behandelten .
Im Winter hatte ich ein anderes Spiel .
Eine eiskalte Kammer , neben dem Zimmer wo ich mit meinen Schwestern schlief , war der Schauplatz meiner Taten .
Ich schnitt mir die Figuren aus allerhand Bilderbogen aus , wie sie gerade in meinen Besitz gelangt waren , die Figuren aus Wilhelm Tell , den Hugenotten , Don Carlos , Egmont u. s.w. Entweder waren es auch wieder Märchen , die ich mit ihnen aufführte , oder ich spielte Schule mit ihnen .
Ich hatte Lieblinge unter ihnen , und auch solche die ich nicht leiden mochte .
Ich hielt aber streng auf Gerechtigkeit .
Ein höchst albernes Spiel , das ich ersann , betrieb ich mit Leidenschaft .
Ich breitete in bunter Reihe die Figuren auf dem Tisch aus , und dann nahm ich irgend ein Gedicht vor , etwa : " ich weiß nicht was soll es bedeuten , daß ich so traurig bin , " und auf welche Figur ein Wort mit einem " a " traf , die durfte sich hinaufsetzen .
" Ich weiß nicht was " - - Du Prinzessin Eboli-erste ! " soll es bedeuten , daß " - - Du Egmont zweiter u. s.w .
Und ich war ganz betrübt , wenn auf meine Lieblinge kein " a " traf , und sie immer tiefer bis zu den untersten Plätzen herabrutschten , mannhaft aber widerstand ich der Lust zu mogeln .
Die Kammer war mein Tabernakel , nur lebte ich in steter Angst , daß die Mama oder die Geschwister hinter mein Geheimnis kommen könnten .
Und richtig , der Verräter schlief nicht , vielleicht war meine Mutter auch von selbst auf mein häufiges Verschwinden in die Kammer aufmerksam geworden .
Eines Tages wurde plötzlich die Tür aufgerissen , und Mama ertappte mich en flagranti . Sie hatte einen Stock in der Hand , und ich glaube heute noch , daß es ihr leid tat keinen Grund zu finden mich abzuprügeln .
Sie mochte geglaubt haben , daß ich heimlich entwendete Naschereien in der Kammer verzehrte oder sonst einen verbotenen Schmuggel darin trieb .
Eine peinliche Durchsuchung der Kammer fand statt .
Meine schönen Bilderbogen und Figuren wurden als alter Plunder ins Feuer geworfen .
Um den Herzog Alba oder den Tyrannenknecht Geßler hätte ich mich nicht sonderlich gegrämt , dem Marquis Posa aber , dem Klärchen und manchen Anderen weinte ich bittere Tränen nach .
Von der Kammer wurde der Schlüssel abgezogen .
Ach ja Arnold , ganz wie Mignon hatte ich oft genug mein Brot mit Tränen gegessen , ich hatte die kummervollen Nächte weinend auf meinem Bett gesessen !
Ich machte sogar ein Gedicht auf meine Tränen .
Willst Du es hören ?
Ach weh , ich arme kleine Marlene , Schuf denn der Herr für mich allein die Träne ?
Was tat ich , daß er nimmer mag vergeben , Daß immer - immerzu ich weinen mußte !
Verweinen so ein ganzes , langes Leben .
( Ich war 11 Jahre alt . )
Als ich , ein Kind , in sehnsuchtsvoller Liebe Die Arme nach den Mutterarmen streckte , Da - nicht aus fremden , nein aus Mutteraugen Des Hasses tödlich kalter Blick mich schreckte .
Da war vollbracht der große Riß im Herzen Gesunden kann ich nie von diesen Schmerzen .
Den Morgen grüßt ich stets mit feuchten Augen , Den Sternen sagt ich Lebewohl in Tränen Und Nachts in düsteren Träumen wähnt ich An eisigen Marmor meine Stirn zu lehnen .
Ach keiner zählt sie , meine heißen Tränen .
Sie rinnen - rinnen bis zum Meer sie schwellen Und in den bitteren Schmerzenswellen Ertrinkt mein Herz .
Mit den Reimen , da haperte es ; immer sind sie mir schwer geworden .
Die Versfüße aber flossen mir wie Wasser von den Lippen .
In meinen Gedichten - komischen Angedenkens - schrak ich vor nichts zurück , selbst nicht vor einem Prometheus , mit dem ich mich kühnlich verglich , unverzagt meine Leber dem Geier preisgebend .
Lange Zeit hatte ich einen heißen Wunsch :
ich wollte in eine Pension kommen .
Es war die Sehnsucht nach einem Zuhause , das ich im elterlichen Hause nicht fand .
So leidenschaftlich wurde mit der Zeit dieser Wunsch , daß ich mir ein Herz faßte , und ihn meinem Vater vortrug , an einem Sonntag Vormittag bei dem Apfelkuchen ohne Schlagsahne .
" Ja , warum denn nicht ? sagte er gleichmütig , ich werde mit Mama darüber reden . "
Er redete auch wirklich mit Mama darüber , in meiner Gegenwart .
" Die Marlene möchte gern in eine Pension " sagte er ohne ein weiteres Wort hinzuzufügen .
Ihre einzige Antwort war :
" Die Pie ist wohl ganz verdreht geworden . "
Damit war die Sache abgetan .
Mit etwas Zähigkeit und Energie hätte ich_es wahrscheinlich durchgesetzt , mit Schmeicheln sicher .
Alice setzte ja alles durch , was sie wollte .
Mir fehlte gänzlich der Instinkt der Selbsterhaltung , der Instinkt mich durchzusetzen .
Ich senkte nur immer den Kopf , und " die Pie blinzt schon wieder " , lachten meine Brüder . Hin und wieder gab es aber doch , selbst in unserem gemütlosen Daheim freundlich stimmungsvolle Momente .
Wenn an Festtagen der Duft des eigengebackenen Kuchens durch das Haus zog , wenn zu Pfingsten die frischen Birkenreiser über alle Räume sonnige Heiterkeit verbreiteten .
Und die ersten Veilchen im Garten !
Und die Nußernte im Herbst von unseren Nußbäumen .
Und Sonntags die weißen Kleider , und der Bisquitpudding mit Apfelmus , Speisen , die Niemand so zu bereiten verstand wie meine Mutter .
Und Weihnachten !
Da wurde ja die Wirklichkeit mit ihren Geheimnissen , mit den seligen Schauern der Erwartung geradezu ein Märchen .
Der Weihnachtszauber bewährte sich sogar an meiner Mutter .
Einkaufen , immer kaufen , das war ihre größte Lust .
Und darum war ihr Wesen in der Weihnachtszeit wie ausgetauscht .
Selbst für ihre Feinde , die Dienstboten kaufte sie mit Lust ein .
Und wie sie die Weihnachtstafel zu arrangieren verstand !
Mit einem Dekorationstalent ohne gleichen wußte sie die billigsten Ausverkaufsstoffe zu Prachtgewändern aufzubauschen .
Und immer war es in meiner Erinnerung weiß zu Weihnachten , weiß von Schnee .
Ich meine es schneit jetzt nicht mehr so viel wie früher .
Der Schnee gehörte dazu , und die Kurrendschüler auch .
Jetzt ist ja auch Weihnachtszeit , und während ich am offenen Fenster sitze und schreibe , flöten unten auf der Straße ein Paar Pifferari auf ihren seltsamen Instrumenten .
Wehmut und Plaisir ist in ihren Tönen , viel Schelmerei und etwas Herzweh .
Dazu die lustige , enge Straße , auf der es von Menschen und Fuhrwerk kribbelt und krabbelt , und auf dem Pflaster der gleißende Sonnenschein , und die mit Flitter , Lammfellen und Lumpen bunt ausstaffierten Knaben .
Wie anders die Kurrendschüler ; die kamen meist in der Dämmerung , und zogen singend von Hof zu Hof , und in ihren weiten schwarzen Mänteln mit den großen Kragen , wirkten sie fremdartig , geheimnisvoll , als wären_es Abgesandte aus dem Stall von Bethlehem .
Und der Schnee , der auf sie nieder rieselte - wenn es gerade schneite - schien sie langsam einzusaugen , während ihr :
" Heilige Nacht ! stille Nacht " ferner und ferner erklang ( von den Nachbarhöfen her ) bis es allmählich verhallte .
Trotz der vielen Geschwister und trotz der Schule war ich ein einsames Kind , krankhaft scheu , ob von Natur oder durch die Verhältnisse so geworden , ich weiß es heute noch nicht .
Die Schule war es , die mich zeitweise aus meiner Versunkenheit weckte , wenigstens dann , wenn die Unterrichtsstunden nur einige Anregung boten .
Das Bewußtsein , dumm zu sein , das man mir so energisch beigebracht , hätte mich vielleicht noch tiefer deprimiert , wenn die Schule nicht gewesen wäre .
Da galt ich merkwürdigerweise für sehr begabt .
Von Kindern , die später hervorragende Persönlichkeiten wurden , weiß man meist Exzentrisches , Kampflustiges zu erzählen , und wie sie über die Stränge schlugen .
Ich schäme mich fast zu gestehen , daß ich kaum je über die Stränge schlug , daß ich im Ganzen ein kreuzbraves , kleines Mädchen war .
Aber warte einmal - einiger Frevel entsinn ich mich doch .
An einem Abend , an der Wiege meines Brüderchens war_es .
Von der Straße her fiel der Laternenschein auf etwas Gelbes , daß in dem nischenartigen Doppelfenster des Schlafzimmers stand : der Rest des sonntäglichen Bisquitpuddings .
Eine unwiderstehliche Begierde nach dieser Leckerei packte mich .
Vielleicht war ich gerade hungrig .
Hätte ich nur ein Messer oder einen Löffel gehabt , um etwas davon abzuschneiden , so fein glatt , damit die Mutter es nicht merken konnte .
In die Küche gehen , und unter irgend einem Vorwand ein Messer holen , das wagte ich nicht .
Da - eine teuflische Einflüsterung .
Ich zog eine Haarnadel aus meinem Zopf , und ritsch , ratsch , ein tüchtiges Stück fiel mir in die Hand .
So köstlich hat mir kaum je etwas gemundet , wie dieses Stück Pudding , das ich in der Mitte des Zimmers stehend , die Augen starr auf die Tür gerichtet , in Angst und Hast , unter Gewissensbissen , verschlang .
Merkwürdigerweise galten die Gewissensbisse mehr der Haarnadel , mit der ich so unästhetisch in den Pudding gefahren war , als der Tat selbst .
Mein Verbrechen blieb unbemerkt , aber nicht ungerochen .
Einige Tage darauf hatte eine Schulbekannte , Klärchen Buschberg , mich zu einer Kindergesellschaft eingeladen .
Klärchen hielten wir alle für sehr vornehm , weil sie ein goldenes Armband trug .
In Wahrheit war sie die Tochter eines Destillateurs .
Zum Abendessen gab es eine süße Speise , die noch viel wunderbarer schmeckte als unser Pudding , so prachtvoll wie ich nicht gedacht hätte , daß es irgend etwas in der Welt gäbe .
Teils aus Schüchternheit , teils um den Genuß in die Länge zu ziehen , aß ich langsam , langsam , immer nur ein halbes Löffelchen in den Mund schiebend , und dabei schielte ich mit Begierde auf den zurückgeschobenen Teller meiner Freundin Pauline , der die Speise zu süß war , und dachte : ach könnte ich doch nachher diesen zweiten Teller auch haben .
Da wendete sich plötzlich die Hausfrau zu mir : " Quäle Dich doch nicht mit der Speise , Kleine , ich sehe ja , sie schmeckt Dir nicht , sie ist auch wirklich zu süß . "
Sagt es und zieht mir den Teller fort .
Mit Mühe hielt ich meine Tränen zurück , wagte aber doch nicht den Irrtum aufzuklären .
Im Leben ist mir keine Speise zu süß gewesen .
Das war die Sühne für meine Genäschigkeit .
Und wenn ich gerade an diesem Tage einen neuen Frevel verübte , so wirkte vielleicht ein instinktives Rachegefühl wegen der mir so grausam entrissenen Speise mit .
Wir schwätzten von Schulangelegenheiten .
Frau Buschberg fragte halb scherzhaft wie viele Tadel wohl ihr Klärchen in der letzten Woche erhalten habe .
Aus ihrem Ton hörte man heraus , daß sie nur an Lobe dachte .
" Die meisten in der Klasse , " antwortete ich , unbesonnen ; und gleich einem Rad , das einmal angestoßen nicht mehr aufzuhalten ist , fuhr ich fort Klärchens sämtliche Schulsünden zu enthüllen , und es war eine hübsche Quantität .
Ich schwelgte förmlich in ihrer Herzählung .
Erst das allgemeine Stillschweigen , Klärchens Tränen , und daß mich meine Freundin Pauline unter dem Tisch derb auf den Fuß trat , brachte mich zum Bewußtsein meiner Abscheulichkeit , die ich heute noch nicht begreifen kann , denn das mit dem instinktiven Rachegefühl ist Unsinn .
Eher hatte ich aus jener geistigen Schlaffheit herausgeschwatzt , die ebensowenig zur rechten Zeit ein Wort finden , als es zur rechten Zeit unterdrücken kann .
Es war als gehorchte ich einem mechanisch mich zwingenden Vorgang im Gehirn .
Kann ich nicht auch heute noch plötzlich und unzeitig geschwätzig werden , trotz meiner gewöhnlichen Schweigsamkeit ?
Die Erynien folgten meiner fluchwürdigen Tat auf dem Fuße .
Frau Buschberg gab mir beim Abschied nicht die Hand , Klärchen weinte immerfort , und Paulinchen war böse mit mir .
Ich kam mir entehrt , gemein vor .
Ich hätte gern mit Blut die Schande abgewaschen .
Ich faßte danach eine Abneigung gegen Klärchen .
Es irritierte mich schon , wenn ihr Armband klirrte .
Und daß ihr Vater nur Destillateur war , trug ich ihr auch hinterher nach .
Dieser Seitensprung ins Böse paßte so gar nicht zu meiner sonstigen Bravheit .
Selbst harmlose Ungezogenheiten pflegten mir Gewissensbisse zuzuziehen .
Da hatten wir einen affektierten Lehrer , der einmal sagte , die gelbe Farbe sei ihm zuwider , weil gelb die Farbe des Neides sei .
Die Schülerinnen verabredeten , am anderen Tag samt und besonders mit einer großen , gelben Blume im Gürtel zu erscheinen .
In der einen Hand brachte ich nun zwar eine gelbe Georgine mit - ich kann ja nie nein sagen - in der anderen aber hatte ich ein heimliches Veilchensträußchen , das ich dem Lehrer aufs Pult legte .
Und als er die Veilchen nahm , sah er mich an .
Er hatte erraten .
Das machte mich froh .
Ein anderer Lehrer , der den französischen Unterricht gab , hatte eingeführt , daß bei der Versetzung in eine höhere Klasse , die Versetzten zum Abschied ein beliebiges französisches Gedicht aufzusagen hätten .
Die argen Mädchen kamen überein , alle dasselbe Gedicht zu deklamieren , ich glaube es hieß " Der Abschied der Maria Stuart " und endigte mit den Worten :
" Te Quitter ( unter dem te war Frankreich verstanden )
c'est mourir " .
Sämtliche Schülerinnen betonten nun mit verhimmelnder Gebärde das " te " , es auf den Lehrer beziehend !
Ich zog mich aus der Affäre , indem ich zwar das " te " betonte , das " Quitter " aber nicht minder , und überhaupt das ganze Gedicht mit tiefgefühltem Pathos vortrug .
Nachher fragte mich der Lehrer , ob ich etwa Schauspielerin werden wollte ?
Der Gedanke war mir noch nicht gekommen .
Schauspielerin werden !
Herrlich wäre es gewesen .
Ich dachte aber in der Folge nicht ernstlich daran .
Die Mama würde es ja doch nie erlauben .
Seitdem aber deklamierte ich alle möglichen klassischen Monologe in Grund und Boden .
Alles was in der Schule zu lernen war , lernte ich spielend .
Es war so wenig .
Die Lehrer waren zum größten Teil Seminaristen die selber nur über Elementarkenntnisse verfügten .
In den oberen Klassen gab es allerdings 2-3 studierte Lehrer , meist alte Herren , die ich heute noch im Verdacht habe , daß man sie - als eine Art Altersversorgung und weil sie unzulänglich für Knabenschulen waren - den belanglosen Mädchenschulen überwiesen hatte .
Frei von Leiden war aber auch die Schule für mich nicht .
Es gab da einige Lehrer , die sich ungebührlich betrugen , unter anderen der Schreiblehrer , ein ältlicher , blasser , fetter Herr , den wir durch alle Klassen mitschleppen mußten .
Wenn er die Schrift der Schülerinnen verbesserte , oder ihnen auf die erste Seite eines neuen Schreibheftes in schönen Schnörkeln einen Schwan zeichnete - die Schwäne waren wirklich reizend - pflegte er sich , da der Platz für zwei zu eng war , dicht an die Schülerin anzupressen , indem er seinen linken Arm um ihre Taille schlang , und sie dabei scherzhaft in die Seite kitzelte .
Da ich einer seiner Lieblinge war , wurde ich besonders oft und lebhaft gekitzelt , und ich ängstigte mich schon immer , wenn er in meine Nähe kam .
Eines anderen Gebaren war noch unziemlicher - und mein Klavierlehrer - und der alte Geheimrat , unser Hausarzt - - widrige Bilder .
Eine Abwehr kam mir gar nicht in den Sinn , nur ein instinktiver Schauder ließ mich vor frechen Berührungen zurückbeben .
Viel , viel später erst kam mir die Gewissenlosigkeit solcher Ungebühr zum Bewußtsein , und mit Staunen erinnerte ich mich , daß diese ältlichen Herren gute respektable Familienväter von bestem Rufe waren .
Die Gesittung unserer Zeit ist noch immer so barbarisch , daß selbst die sorgsamste , zärtlichste , wissendste Mutter ihr Kind nicht vor derartigen Widrigkeiten schützen kann .
Außer dem Unglück mit der nie ganz verschmerzten , blutschleierigen Veronika verdankte ich meiner Lesepassion auch in der Schule ein böses Abenteuer .
Eugene Sue beherrschte in jener Zeit die Literatur .
Es war von nichts anderem als von den Geheimnissen von Paris die Rede .
Es scheint , daß selbst meine Mutter sie las .
Den Märchen war ich , die Elfjährige , entwachsen .
Die Geheimnisse von Paris fielen mir in die Hände ; ich las sie , wo möglich mit noch brennenderer Leidenschaft als früher Tausend und eine Nacht .
Wie der alte Professor und Direktor unserer Schule darauf verfiel , an die Schülerinnen die Frage zu richten , wer von ihnen die Geheimnisse von Paris gelesen habe , ist mir rätselhaft .
Aber er stellte die Frage und meine Brust schwoll vor Stolz , als ich - nach damaligem Brauch den Zeigefinger hoch emporhebend - mich meldete , die einzige aus der Klasse .
Sehr sonderbar sah mich der Professor an , und bestellte mich nach Schulschluß ins Konferenzzimmer .
Ahnungslos betrat ich es .
Und nun brach es los , das siedende Donnerwetter .
Ich erfuhr , daß ich durch ein schweres , kaum föhnbares Vergehen meine Seele beschmutzt habe , und daß nur Gottes Gnade sie wieder reinwaschen könne .
Er , der Professor würde sich eher beide Hände abhacken lassen , als einem Kinde ein solches Schandewerk in die Hände geben .
Ich hatte nur Tränen und Schluchzen als Antwort , muß aber doch zum Lobe meiner Instinkte sagen , daß ich keine besondere Reue empfand , und mich auch nicht besserte .
Dieses brutale , gewissermaßen mit den Fäusten moralisieren , hatte mich nur betäubt .
Derartige Romane warfen mir einen zu großen Genuß ab .
Kurz darauf las ich den " ewigen Juden " von Sue , mit der gleichen fieberhaften Spannung wie die Geheimnisse , würde mich aber vorkommenden Falles wohl gehütet haben den Rückfall in mein Verbrechertum dem Direktor zu melden .
Gewiß waren diese Bücher so unangemessen wie möglich für Kinder .
Ich war doch aber schuldlos daran , daß niemand sich um meine Erziehung bekümmerte .
Ich schöpfte aus diesen Büchern weder Weltnoch Menschenkenntnis .
Daß irgend ein Zusammenhäng bestehen könne zwischen den Romanen und der Wirklichkeit kam mir nicht in den Sinn .
Ich saugte nur Nahrung für mein Phantasieleben daraus .
Ich hatte auch gar keine Zeit das Gelesene auf mich wirken zu lassen , darüber nachzudenken oder zu grübeln .
Kaum war ein Buch zu Ende gelesen so hatte ich schon ein anderes beim Wickel , und immer noch las ich verstohlen und in wilder Hast .
Siehst Du , siehst Du , und daher kommt es , was Du mir so oft vorgeworfen hast , daß ich auch heute noch nicht zu lesen verstehe ; nichts halte ich fest , nichts prägt sich mir ein .
Was für sonderbare Widersprüche eine Menschenseele birgt .
Trotz meiner Verträumtheit und Weltfremdheit war ich ein so verliebtes kleines Geschöpf .
Eigentlich schwärmte ich jeden meiner Lehrer an , der mich nur einigermaßen für seinen Unterricht zu interessieren verstand , vielleicht eine unbewußte Dankbarkeit für die Stillung eines geistigen Hungers .
Oder klang vielleicht doch eine kleine Note der ersten erwachenden jungen Sinnentriebe mit ?
Ein leises Sehnen war dabei , mich dem Angeschwärmten anzuschmiegen , mich liebkosen zu lassen .
Sicher hatte auch die Lektüre so zahlloser Liebesgeschichten , besonders Wielands , meine Phantasie nach dieser Richtung hin beeinflußt .
Die Hauptsache aber war , daß all die zurückgestaute Zärtlichkeit meiner Kindheit in mir rumorte ; die wollte an den Mann gebracht sein , ja - an den Mann .
Etwas beschämt gestehe ich , daß ich geradezu eine Abneigung gegen den Austausch von Zärtlichkeiten mit meinen Schulfreundinnen hatte , und diese Abneigung gegen weibliche Liebkosungen ist mir geblieben .
Meine erste Verliebtheit - ich war gerade elf Jahre alt - galt unserem Tanzlehrer .
Ach Gott , der Tanzlehrer war ein armer Wurm vom Korps de Ballett , noch ganz jung , schlank und biegsam wie ein Rohr , mit langem schwarzem Gelock , schwarzen Augen und bleichem Gesicht , der reine Roman-Vampir .
Wahrscheinlich wurde er auf der Bühne vorzugsweise für junge Teufel oder Erzengel verwandt .
Er erschien stets im Frack , weißer Binde , Lackschuhen und gestickten Strümpfen ; unter dem Arm die Geige .
Wunderschön fand ich ihn , märchenprinzenhaft .
Und wenn er mit mir tanzte , mich mit dem einen Arm umschlingend , mit dem anderen die Geige hochhaltend , war mir ganz erzengelhaft zu Mute .
Unterhalten haben wir uns nicht miteinander .
Nur einmal sagte er :
" Schade Fräulein Marlenchen , daß Sie schon so alt sind . "
Er meinte zu alt um Tänzerin zu werden .
Im Stillen wunderte ich mich , daß er nicht das kleinste Wörtchen von Entführung fallen ließ .
Ein Wink , ein Wort und ich wäre ihm bis ans Ende der Welt gefolgt .
Meine Gefühle schweiften immer gleich ins Schrankenlose , und ich bin überzeugt , es waren nur glückliche Zufälle , die mich vor nicht wieder gutzumachenden Torheiten bewahrten .
Ich meine noch heute , je unschuldiger und phantasievoller ein Mädchen ist , je wehrloser ist es , nicht nur anderen gegenüber , sondern auch gegen sich selbst .
Nur ein Unrecht , das begriffen wird , vermeidet sich leicht .
Der Kinderball mit dem die Tanzstunde schloß , kostete mir wieder Tränen .
Alice und ich , wir hatten weiße Mullkleider bekommen .
Alice trug dazu eine rosenrote Schärpe und Achselschleifen von derselben Farbe , im Haar Rosenknospchen .
Ich mußte mich mit einer Schärpe und mit Bändern von unbestimmter , murkliger Farbe begnügen , aufgefärbtes Zeug .
Und richtig - der treulose Tanzlehrer tanzte mehr mit Alice als mit mir , was ich natürlich auf ihre rosenrote Garnitur schob .
Als die Tanzstunde aufgehört hatte , vergaß ich den jungen Korps de Ballett-Gott in wenigen Wochen .
Meine zweite Liebschaft fand kein so harmloses Ende .
Er hieß Wilhelm , war 15 Jahre alt , und der Freund des Bruders einer Schulbekannten .
Ich hatte ihn einige Male im Hause der Schulfreundin getroffen .
Er besuchte das Gymnasium , das in unmittelbarer Nähe unserer Mädchenschule lag .
Wir begegneten uns täglich , er sprach mich aber niemals an , bestritt vielmehr seine Huldigungen mit tiefen Bücklingen und noch tieferen Blicken .
Einmal waren wir zusammen in einer Kindergesellschaft bei der Freundin .
Die Pfänderspiele mit der Auslösung der Pfänder durch Küsse , waren damals ungemein beliebt .
Und wenn nun Wilhelm " Schinken schneiden " mußte , und " winken wen er lieb hatte " winkte er mir , und wenn er " in den Brunnen fallen " mußte , ließ er sich von mir erlösen , wie es die Spielpflicht gebot , immer durch Küsse .
Ich gab sie mit völliger Gleichgültigkeit .
Nämlich : ich konnte meinen Wilhelm eigentlich nicht leiden , aber gar nicht .
Der Junge war ja noch blöder als ich selber .
Daß er nie mit mir sprach , war zu langweilig .
Trotzdem nahm der Roman seinen Fortgang .
Er bat mich um eine Locke .
Ich konnte niemals " Nein " sagen .
Einer meiner Brüder war mit dem Sohn eines Blumenfabrikanten befreundet ; er hieß Eduard , und liebte mich auch .
Diesem Eduard übergab ich ein Haarsträhnchen von mir mit der Bitte daraus eine Locke zu formen und sie mit einem künstlichen Vergißmeinnicht zu schließen .
Es war so hübsch wie wir die Köpfe zusammensteckten und intriguirten und wisperten und geheim taten .
Und Eduard , der so großmütig war , daß er ohne mit der Wimper zu zucken , die Vergißmeinnicht-Locke so wunderschön für seinen Nebenbuhler herrichtete !
In der Folge aber erwies er sich doch nicht ganz so edel wie ich ihn taxiert hatte .
Er hatte nämlich aus der Haarsträhne zwei Locken mit zwei Vergißmeinnicht verfertigt , und die größte Locke für sich behalten .
Mein Bruder verriet es mir .
Die Locke wurde Wilhelm durch die vermittelnde Freundin heimlich zugestellt , zugleich erbat ich mir eine Gegenlocke .
Wieder ein feuriges Briefchen von ihm :
er könne an sein Glück gar nicht glauben , und bäte nur um eine einzige Zeile , die ihm sagen solle , ob er daran glauben dürfe .
Und flugs antwortete ich ihm , und die Antwort schrieb ich in einer Schulstunde .
Eingeätzt in meinem Gedächtnis stehen diese Zeilen :
" Ich kann Ihnen versichern , daß es mein innigster Wunsch ist eine Locke von Ihnen zu besitzen , und wie glücklich Sie mich durch die Erfüllung meines Wunsches machen würden . "
Der schöne Brief gelangte nie in Wilhelm's Hände .
Herr Schulze , der Lehrer trug uns gerade die französische Revolution vor .
Er war so loyal .
Jedesmal , wenn der Kopf der blonden Prinzessin Lamballe auf der Pike in Sicht kam , öffneten sich die Schleusen seines zornigen Schmerzes , und sämtliche Mädchen zogen ihre Taschentücher heraus , um mitzuschneuzen .
An diesem Tag aber ließ er plötzlich das fürstliche Haupt mit der Picke im Stich , und - ritsch , ratsch riß er mir das Papier aus der Hand .
Er hatte gemerkt , daß ich Allotria trieb .
Mir brach fast das Herz vor Entsetzen .
Mit zitterndem Zorn denke ich noch heute an die Art und Weise wie man diese Kinderei ahndete .
Meine Mappe wurde einer Durchsuchung nach weiteren Schandtaten unterworfen .
Man fand , außer einem Apfel , nichts als eine Kopie des Geotheschen Verses :
" Nur wer die Sehnsucht kennt , weiß was ich leide . "
Mit einem " Aha ! " wurde es conficirt .
Unglaublich aber wahr , Herr Schulze hielt mich für die Verfasserin des Gedichts , und bezog die Sehnsucht auf den Adressaten meines Briefes .
Warum er auch den Apfel einzog weiß ich nicht .
Wieder mußte ich in das Konferenzzimmer kommen , und wieder erging eine donnernde Rede über meine frühzeitige Verderbtheit , und der Lehrer legte mir Gedanken und Gefühle unter , von denen nicht der leiseste Hauch in mir war .
O , diese Folterknechte , der Kinderseele !
Das Schlimmste aber war , daß er mir drohte meine Eltern von dem Frevel in Kenntnis setzen zu wollen .
Meine Eltern , das hieß meine Mutter , denn mein Vater bekümmerte sich um interne Angelegenheiten absolut nicht .
Die nächsten Tage verbrachte ich in nicht auszudenkender Qual .
Wird Schulze kommen ?
Wird er nicht kommen ?
Und diese Folter dauerte drei Tage .
Ein junges Weib das Ehebruch verübt hat , und vor der Entdeckung steht , kann nicht verzweifelter sein , als ich es war .
Ich sehe mich noch in den rauhen Herbsttagen ruhelos im Garten umherlaufen , mit gerungenen Händen :
" Gott , Gott wenn es möglich ist , laß diesen Kelch an mir vorübergehen . "
Der Kelch ging nicht vorüber , Schulze kam .
Eine furchtbare Viertelstunde für mich , während er drinnen mit meiner Mutter sprach .
Im Garten war zum Glück kein Teich , ich hätte mich sicher ertränkt .
Was auf die Petzerei dieses feinfühligen Pädagogen folgte , blieb hinter meinen blutrünstigen Phantasien zurück .
Was waren die paar Puffe im Vergleich zu der vorangegangenen Seelenqual .
Und daß ich wirklich , wie meine Mutter behauptete , Schande über die Familie gebracht habe , leuchtete mir nicht ein .
Die tragische Begebenheit befreite mich nebenbei von dem langweiligen Wilhelm , was ich einige Wochen später als eine Wohltat empfand .
Auf dem Heimweg von der Schule geschah es , daß ich mich abermals verliebte , an der Ecke der Friedrich- und Kochstraße .
Ich schlenderte , mit der Schulmappe baumelnd , gedankenlos dahin .
Als ich einmal aufsah , ging eben ein hochgewachsener Mann an mir vorüber .
Er trug einen weiten , grauen Mantel mit Kragen , hatte einen rötlich blonden Vollbart und blaue Augen , wunderbare , strahlende .
Sein Mantel streifte mich , er sah an mir vorüber in die Ferne hinaus .
Ich blieb wie angewurzelt stehen , und starrte ihm nach .
Das war er ja , er , die Verkörperung all meiner Träume .
Ich liebte ihn sofort , ich liebte ihn unaussprechlich .
In abergläubischen Momenten glaube ich auch heute noch , das war der mir von der Vorsehung bestimmte Gatte , meine Ergänzung .
Und er war an mir vorübergegangen .
Und ich habe ihn nicht wieder gesehen - nie .
Viele Wochen blieb ich täglich auf dem Heimweg , an der Ecke der Koch- und Friedrichstraße stehen , und wartete , wartete - ich wartete eigentlich immer auf ihn , bis ich Dich fand .
Und wer weiß , vielleicht habe ich mich später in meinen Mann verliebt , nur weil er , als ich ihn zum er sten Mal sah , einen weiten , grauen Mantel trug , wie jener geheimnisvolle Fremde .
Ich hatte nur übersehn , daß dieser Mantel über dem großen Kragen noch einen kleinen schwarzen Samtkragen hatte - und daher vielleicht - - ach Unsinn - - - In meinem elften Jahr war ich ganz erwachsen , und doch noch ganz ein Kind , ein weltfremdes .
Über die Entwicklungsjahre kam ich ohne jede physische Störung fort .
Es gehrte in mir von strotzend frischer Jugendkraft .
Zuweilen spielte ich mit den Geschwistern Räuber und Prinzessin , Blindekuh oder der Plumpsack geht herum , aber ohne rechte Lust .
Ich drückte mich immer so bald ich_es konnte .
Und blieb ich in der Dämmerung eine Weile im Garten allein , dann brach es los in mir , eine zitternde , brausende , entzückende Daseinslust .
Ich raste , tanzend , springend , mit ausgebreiteten Armen durch den Garten bis ich über und über glühte .
Ich streifte die Ärmel auf , warf das Halstuch ab , und mit meinen nackten Armen umschlang ich die Bäume ; und schien gar der Mond , mein süßer Mond , so schwebte und schwärmte ich sommernachttraumtrunken , elfenreigenhaft , puckartig durch die Gartengefilde , obwohl Salatköpfe und Petersilie sich auf die " Gefilde " nicht recht reimten .
Immer mußte ich zu Äußerungen meines Innenlebens allein sein , ganz allein .
Kam jemand dazu , verstummte gleich alles in mir .
In dieser Zeit geschah etwas Schreckliches , Schicksalsvolles .
In der zweiten Etage unseres Hauses wohnte eine Offiziersfamilie .
Ein Verwandter oder Freund der Familie , ein Dragonerleutnant kam öfter in den Garten .
Ich bemerkte , daß er mich , wenn ich in seinen Gesichtskreis trat , auffallend fixierte .
Warum tut er das nur ? dachte ich .
Ich fragte das Kindermädchen danach .
Wenn ich irgend etwas wissen wollte , waren es immer die Kindermädchen , an die ich mich wandte .
" O Kind , Kind , sagte sie , nimm Dich in acht , das ist ein Mädchenjäger . "
Was ist denn das ein Mädchenjäger ? fragte ich gespannt .
Sie wollte nicht mit der Sprache heraus .
Ich trug das Wort mit mir herum , grübelte darüber , und stellte mir allmählich unter einem Mädchenjäger eine Art Rattenfänger von Hameln vor - jedenfalls etwas wildschreckliches , basiliskenartiges , das arme Vögelchen ins Verderben lockt .
Aber gerade das reizte mich .
Ich setzte mich jetzt zuweilen absichtlich den Blicken des Dragoners aus , in banger Neugierde auf irgend etwas romantisch Schauriges , das geschehen würde .
Der Leutnant pflegte immer nur Nachmittags in den Garten zu kommen .
An einem Abend aber , in tiefer Dämmerung , als ich wie ein Nachtfalter umherschwirrte , kam er mir entgegen .
Ich - im vollen Lauf , hatte keine Zeit mehr ihm auszuweichen .
Er fing mich in seinen Armen auf , und - küßte mich .
Es muß ein abscheulicher Kuß gewesen sein .
Er erschütterte mich bis auf den Grund .
Er nahm mir Die Unschuld der Sinne .
In wilder Flucht lief ich davon .
Ich schlich mich oben ins Kinderzimmer , drehte die Lampe aus , wickelte mich , obgleich es warm war , in ein Tuch , und lag lange , lange , fiebernd im Dunklen auf dem Sofa .
Nur im Dunklen bleiben , nicht ins Helle kommen !
Man rief mich zum Abendbrot .
Ich wollte nichts essen , hätte solche Kopfschmerzen .
Was war mir denn geschehen ?
Ein Unerhörtes ! immer von neuem fühlte ich den Kuß auf meinen Lippen brennen , in einem Gemisch von Entsetzen und wollüstiger Widrigkeit .
Kam Jemand durchs Zimmer , so drückte ich mein Gesicht ins Kissen , ich fühlte , daß es flammend rot war , und mich verraten würde .
Und nun wußte ich , was ein Mädchenjäger ist .
Und seltsam , ich empfand den Kuß als meine Sünde , mein Unrecht .
Die Familie des Polizeihauptmanns , mit der meine Eltern verkehrten , beherbergte seit einiger Zeit eine Nichte , Frida Kraus , eine junge Dame , Mitte der Zwanziger Jahre , die sich mir , der Zwölfjährigen , auf's innigste anschloß .
Sie erzählte mir , ich weiß nicht was alles für dunkle Geschichten aus ihrem Leben , die ich nicht verstanden haben muß , da ich nichts davon behalten habe .
Einmal aber , als wir gemütlich Arm in Arm im Garten umherwandelten , fragte sie mich , ob ich ihr denn gar nichts anzuvertrauen hätte ?
Ich kämpfte mit mir .
Noch nie hatte ich mit einem Menschen von dem , was in mir vorging , gesprochen .
Jenes schreckliche Abenteuer im Garten war noch frisch in meiner Erinnerung .
Schließlich gab ich dem Verlangen meine Seele von dem Geheimnis zu entlasten , nach ; möglicherweise hatte auch ein unbewußter Stolz etwas so schrecklich Interessantes erlebt zu haben , einen Anteil an meiner Mitteilsamkeit .
Hochaufatmend , dunkelrot , begann ich meine Beichte .
Tränen schossen mir in die Augen , ich stotterte , kam vor Erregung nicht weiter .
Noch heute sehe ich Frieda's gespannten Blick , der in einer geheimen Lust brannte .
" Wie ?
was ist_es denn ?
was ist_es ?
Sprich mein Kind ! sprich , und wenn es das Ärgste wäre , mir kannst Du es vertrauen , ich verstehe alles , aber alles . "
Und sie zog mich fest an sich , neigte sich zu mir , und war ganz Ohr .
Und da erfuhr sie denn die gruslige Geschichte vom Kuß des Mädchenjägers .
Sie sah mich sehr merkwürdig an , so enttäuscht .
" Nun ? weiter - weiter . "
" Weiter nichts ! "
Sie schlug eine helle Lache auf .
" Schäfchen Du , sagte sie , Dir scheint ja die Welt noch ein böhmisches Dorf zu sein . "
Und sie ergriff die Gelegenheit mich über die Fortpflanzungsvorgänge aufzuklären .
Sonderbarerweise machte mir die Mitteilung keinen tieferen Eindruck .
Ich hörte nur halb hin , verstand nur halb , glaubte ihr auch nicht recht , sie log ja immer ; vielleicht blieb die Aufklärung auch so wirkungslos , weil keine physische Ahnung meiner Natur ihr entgegenkam .
Nach einigen Tagen hatte ich das Mitgeteilte ziemlich vergessen .
Frieda Kraus war mir aber doch verleidet .
Viel später erfuhr ich , daß die junge Dame schon als verlorenes Geschöpf nach Berlin gekommen war , das zu besseren Polizeihauptmanns übernommen hatten .
Es soll ihnen nicht gelungen sein .
Und meine Eltern wußten davon , ließen aber , in ihrer naiven Weltunkenntnis , trotzdem ihren Verkehr mit mir zu ; ein anders geartetes Kind als ich wäre leicht durch sie korrumpiert worden .
In der Schule hatte ich eine Freundin .
Es war eine sonderbare Freundschaft , intim und ganz hingegeben , und doch fast unpersönlich , ohne eine Spur von Zärtlichkeit oder Anteilnahme an den persönlichen Schicksalen der Kameradin .
Mein Paulinchen war ein bitter armes Mädchen , das immer nur geflicktes Zeug trug und schwarzwollene Hosen .
Darum gingen die anderen Kinder lieber nicht mit ihr um .
Ich sah die Flicken gar nicht , und aus den schwarzen Hosen machte ich mir nichts .
Wir gingen oft stundenlang , Hand in Hand im Tiergarten spazieren , und redeten und redeten , das heißt wir schwärmten von Schiller und Goethe , von Heine und George Sand , ( ach Consuelo ! ) von dem Grafen von Monte-Christo und dem Literaturlehrer Palm , und hätte es damals schon Pferdebahnen und Omnibusse gegeben , wir wären gewiß etliche Male überfahren worden .
Zuweilen entrüsteten wir uns aber auch , z.B. über den Religionslehrer , der in der Stunde gesagt hatte , daß dem lieben Gott der Bauch vor Lachen gewackelt , als er vernommen , daß es auf Erden Atheisten gäbe .
Und das war der vornehmste Professor der Schule gewesen , der mit den " Geheimnissen von Paris . "
Von den kleinen Bosheiten , Intrigen , Klatschereien und Kleiderfragen , wie sie zwischen Schulmädchen üblich sind , wußten wir absolut nichts .
Später gingen wir zusammen in den Konfirmationsunterricht , und wir schwärmten wieder gemeinschaftlich für den Prediger , einen alten Herrn mit weißen Haaren , einer Habichtnase und kleinen , funkelnden , schwarzen Augen .
Mit Wonne hätte ich diesen alten Herrn vom Fleck weg geheiratet , ebenso wie den affektierten Literaturlehrer , der immer unter gesenkten Augenlidern so kokett zu uns herunterblickte , und mit uns sprach , als wären wir richtige Damen .
Während des Konfirmandenunterrichts kam zum erstenmal ein religiöses Element in mein Leben .
Im Hause meiner Eltern war nie von Gott oder Religion die Rede .
Man ging nicht in die Kirche .
Hätte aber Jemand meinen Eltern vorgeworfen , daß sie ohne Religion dahinlebten , sie wären in die größte Verwunderung geraten .
Ohne Religion ? waren sie denn nicht evangelisch getauft , konfirmiert und getraut worden ?
Der liebe Gott und die Religion waren doch ganz selbstverständliche Dinge .
Sie ließen den lieben Gott den lieben Gott sein , und meine Mutter war ihm aufrichtig dankbar wenn er zu ihrer großen Wäsche die Sonne scheinen ließ .
Das Diesseits bot ihnen so vollauf zu tun , daß sie für's Jenseits nicht einen Augenblick Zeit hatten .
Und so war wohl die Lebensführung eines großen Teils der bürgerlichen Kreise jener Zeit .
Erst später kam der Pietismus auf .
Diese Stimmung absoluter religiöser Indifferenz teilte sich auch der Kinderschaar mit , bis der alte Herr mit der Habichtnase und den funkelnden , kleinen Augen eine intensive Sehnsucht nach dem Verkehr mit Gott - lieber noch mit Jesus Christus , den ich vorzog - bei mir weckte .
Ja , ich wollte gläubig werden .
Die Lithographie eines dornengekrönten Christuskopfes hing in unserem Schulzimmer .
In besonders erregten Momenten warf ich mich auf die Knie vor dieser Lithographie .
" Gott , lieber Gott , Du kannst doch was Du willst .
Du siehst , daß ich zweifle , Kämpfe , mich quäle , gib mir ein Zeichen , daß Du bist . "
Mit Herzklopfen , mit verhaltenem Atem auf das Bild starrend , wartete ich auf das Zeichen .
Unter dem Zeichen verstand ich , daß das Bild sich regen , vielleicht ein Blutstropfen aus der Dornenkrone abtröpfeln , der Heiligenschein plötzlich aufstrahlen sollte .
Das kostete dem Herrn Jesus doch nichts , und er gewann damit für immer eine von glühendem Gottesdurst erfüllte Seele .
Ich wartete - wartete .
Nichts - immer nichts .
Mit der Zeit wurde ich der fruchtlosen Extasen müde , war sogar ein wenig böse auf Jesus , und allgemach fiel ich in die frühere Indifferenz zurück .
Der Glaube scheint in der Tat ein Gnadengeschenk Gottes .
Ich hatte damals absolut keine Gründe zum Nichtglauben .
Ich ersehnte den Glauben - inbrünstig .
Umsonst .
Er kam nicht .
Warum nicht ?
Ich weiß es nicht .
Trotz all meiner Schwärmereien mit ihrem leichten Timbre von Sinnenzärtlichkeit ist wohl selten ein Kind Unlauterem , Unerlaubtem abgeneigter gewesen als ich .
Ja , meine Geschwister verspotteten mich als tugendstolz .
Besonders eines Falles erinnere ich mich , wo man mich dieses Fehlers zieh .
Alice hatte , in Gemeinschaft mit einigen anderen Backfischen in unserem Hause , über den Gartenzaun weg , eine kleine Intrige mit einem jungen Mann angezettelt , der im Nachbarhause wohnte .
Daraus entwickelten sich regelmäßige Zusammenkünfte .
Der junge Mann hinter dem Gartenzaun , auf einem Stuhl stehend , so daß er über den Zaun fortsehen konnte , die Mädchen vor dem Zaun .
Man hielt diese Rendezvous sorgfältig vor mir geheim , bis ich eines Tages den kleinen Harem überraschte .
Es scheint , daß ich mich darüber sittlich entrüstete , ganz uneingedenk meines verflossenen Wilhelm .
Aber damals , im elften Jahr , wußte ich doch nicht was ich tat , jetzt aber im dreizehnten , wußte ich schon besser Bescheid .
Die kleine Bande machte sich nicht viel aus meiner Entrüstung , war sie doch sicher , daß das " prüde Madamchen " nicht petzen würde .
Als der betreffende junge Mann später eins der jungen Mädchen heimführte , und ich erfuhr , daß er ein Schriftsteller sei , tat es mir beinahe leid , daß ich nicht dabei gewesen war .
Der Schriftsteller kam mir doch eigentlich zu .
Es soll junge Mädchen geben , die nur für Leutnants schwärmen .
Für mich existierten eigentlich nur Dichter .
Sobald nur einer in Sicht kam , war_es um mich geschehen .
Und nun hatte ich die schöne Gelegenheit verpaßt .
Einige Jahre später verpaßte ich die Gelegenheit noch einmal .
Ich war zu einem Ball bei Verwandten meines Vaters eingeladen .
Unter den Gästen befand sich ein Dichter , ein berühmter sogar ; nur sein Vorname gefiel mir nicht : Moritz .
Er war zugleich ein Typus männlicher Schönheit : hohe , schlanke Gestalt , braungoldener Vollbart , feurige dunkle Augen .
Er bemerkte mich gleich , ohne zugleich zu bemerken , daß ich noch nicht erwachsen war .
Das war der erste Mann , der mir wahr und wahrhaftig den Hof machte .
Ich war ihm grenzenlos dankbar .
Im Umsehen war ich in ihn verliebt , mit der frischen Wonne eines zwitschernden Vogels , der sich selig in den blauen Äther verliert .
Er tanzte an dem Abend fast nur mit mir .
Und einmal sagte er :
" Holde Mignon " .
Ach ja , wie gern hätte ich durch die goldenen Saiten einer Harfe gemeistert , wie Mignon , und noch lieber hätte ich lange , fließende , weiße Kleider getragen .
Daran war nicht zu denken .
Als ich das weiße Kleid einmal meiner Mutter nahelegte , sagte sie : " wenn Du Dir die Kleider selbst plätten und waschen willst - immerzu . "
Wir gaben uns ein paar Mal Rendezvous auf dem Eise , was durchaus erlaubt war .
O , diese doppelte köstliche Lust !
Das Schlittschuhlaufen in der reinen Kristallklaren Luft im neuen pelzverbrämten Kleide , und er !
Unter den flatternden bunten Fähnchen und der Militärmusik schien mir die ganze Welt - die heißen Pfannkuchen , die wir in der Holzbude verzehrten mit eingerechnet - so jugendfrisch , so golden hell und froh gesund .
Als wir uns das letzte Mal auf dem Eise trafen hing Raureif an den Bäumen , ein Gespinst in fahlem Silberton von visionärer Zartheit , wie hingehaucht .
Er hing über uns wie ein Schleier der Maja , und durch diese weichduftige , magische Verträumtheit der Landschaft schwebten wir sausend , Hand in Hand , ich ganz Lebensfreude .
Da kam mein Bruder .
Wir müßten nach Hause .
Nach Hause ! aber ich war ja eben zu Hause gewesen , und nun mußte ich fort , weit fort von dem seligsten Raureif , von dem herrlichen Dichter , dahin , wo ich nie zu Hause war .
Moritz war nur zum Besuch in Berlin gewesen .
Er lebte in Süddeutschland .
Als er mir entschwand empfand ich keinen lebhaften Kummer .
Gleich verdichtete sich wieder die Enttäuschung zu einem Traumwerk ; diesmal aber war zur Abwechslung er der Leidende , indem ihn die Qual der Reue verzehrte , daß er sich nicht mit mir verlobt hatte .
Sonderbarerweise galten meine Verliebtheiten fast immer Menschen , die ich kaum kannte .
Was wußte ich denn von diesem Dichter ?
was von dem alten Prediger mit den funkelnden , kleinen Augen , was von dem langweiligen Wilhelm , dem Tanzlehrer und vor allem von dem Unbekannten im grauen Mantel ?
Leute , die ich viel und oft sah , waren sicher vor meiner schwärmerischen Anschlängelung .
Es war förmlich eine Art Schamgefühl , die meine zärtlichen Gefühle intimen Bekannten gegenüber im Zaum hielt , ein Zug der einige Verwandtschaft haben mag mit der Abneigung der Schwester Liebkosungen mit dem Bruder auszutauschen .
Unter allen Umständen aber wollte ich einen Dichter heiraten , ein Dichter gehörte doch zu einer Dichterin .
Du weißt ja , daß ich von jeher , so lange ich zurückdenken kann , fest entschlossen war Schriftstellerin zu werden .
Nicht die geringste Anregung von außen her beeinflußte mich dabei , weder die Schule , wo ich nur das Notdürftigste lernte , noch das elterliche Haus , wo man nichts begriff als was zu dem materiellen Apparat des Lebens gehört , und wo schon die Worte " geistiges Interesse " komisch und affektiert wirkten .
Und das Chokoladenplätzchen der Dichterin Elfride war doch auch nicht Hebel genug um eine literarische Lust in mir zu entbinden .
Ich war also aus heiler Haut , aus reinem Instinkt Anwärterin auf die Dichtkunst .
In dem Gartensaal , vor dem die großen Nußbäume standen , da hielt ich mich am liebsten auf .
Vielleicht war es nur eine Legende , daß in diesem Saal ein berühmter Dichter ( Chamisso ) seine besten Werke geschrieben habe .
Ich glaubte daran .
Dafür sprachen auch die Gipsbüsten von Schiller von Goethe , die auf Konsolen sich von den roten , etwas abgebröckelten Wänden abhoben .
In diesem Saal las ich eines Tages Göthe's Briefwechsel mit einem Kinde .
Bettina selbst sagt , daß sie diese Briefe als elfjähriges Kind geschrieben habe .
Elf Jahr ! und ich , ich war beinahe 13 Jahr alt , und hatte noch so gut wie nichts gedichtet .
Nein , und wenn ich Tag und Nacht mein Hirn zergrübelte , solche Briefe wie Bettina brächte ich nicht zu Stande , nie , nie !
In einem Gemisch von Zorn , Schmerz und Selbstverachtung krümmte ich mich auf dem Sofa zusammen , und schluchzte , schluchzte in das Sofakissen hinein .
Ich würde am Ende doch keine Dichterin werden , ich - die Pie !
Meine Mutter hatte recht : eine dumme Gans war ich .
Ich wußte noch nicht einmal mit den Versmaßen Bescheid .
Ich hatte mir zu Weihnachten ein Prosodiebuch gewünscht , es aber nicht erhalten .
Ich bekam nie , was ich mir wünschte .
Der 18. März 48 .
Er wirkte auf mich wie eine Offenbarung .
Nie war in unserem Hause von Politik die Rede , überhaupt nicht von irgend welchen öffentlichen Angelegenheiten .
Man hielt zwar die Vossische Zeitung , aber nur der Annoncen wegen .
So kam es , daß ich von den Ereignissen , die den 18. März vorbereiteten , nicht viel mehr wußte , als daß einige Krawalle von Pöbelhaufen die Bevölkerung beunruhigten .
Von der großen , internationalen revolutionären Bewegung , die die Kulturwelt durchzitterte war keine Kunde zu mir gedrungen .
In der Schule hatte ich gelernt , daß die französische Revolution eine Reihe scheußlicher Verbrechen darstelle , von elenden Mordbuben an wehrlosen Aristokraten verübt .
Am Nachmittag jenes denkwürdigen Tages pflanzte sich die mächtige Erschütterung , von den Linden ausgehend , durch die ganze Stadt fort , in immer gewaltigerem Wellenschlage .
Eine Kugel sauste durch die Friedrichstraße , dicht an unseren Fenstern vorbei .
Keinen Schatten von Furcht empfand ich , nichts als eine ungeheure Aufregung , ein wahnsinniges Verlangen da unten zu sein , zu sehen , zu hören .
Natürlich durfte ich weder auf die Straße noch ans Fenster .
Der Zorn eines Gefangenen , der an den Eisenstäben seines Gitters rüttelt , brannte in mir .
Am anderen Vormittag aber entschlüpfte ich .
Ich lief die Friedrichstraße entlang , ohne eigentlich etwas Bemerkenswertes zu sehen .
Da - an der Leipzigerstraßenecke stand eine Menschenmenge .
Auf dem Pflaster eine Blutlache .
Durch den Rinnstein floß Blut .
Ein Erschossener hatte da gelegen .
Ich kam an eine Kirche .
Ich meine , es war die neue Kirche auf dem Gensdarmenmarkt .
Vor dem Eingangsportal lagen 10 - 12 Tote .
Die ersten Toten , die ich sah .
Das heißt , ich sah eigentlich nur einen Toten .
Ein kraftvoller , hochgewachsener Jüngling mußte es gewesen sein .
Mit nackter Brust lag er da .
Das schwere wirre Blondhaar mit Blut an den Schläfen festgeklebt , blutig das Hemd .
Die blauen Augen offen .
Verglast , drohend blickten sie hin zu mir , wie mit einer verzweiflungsvollen Frage ; und ich antwortete mit einem wilden Schluchzen .
Die Menge wich auseinader .
Man machte mir Platz .
" Ist_es ihr Bruder ? " fragte eine sanfte Stimme .
Ich konnte vor Schluchzen nicht antworten .
Ja - in diesem Augenblick war er mein Bruder , der tote Jüngling da , der Held mit offener Brust , der für die Freiheit gefallen war , wie Arnold Winkelried .
Ein Weib aus dem Volk warf ein rotes Tuch auf ihn .
Über ihm jubilierte eine Lerche , der erste Frühlingsbote .
Eine Antwort auf die ungeheure Frage in den entsetzten toten Augen ?
Man schob mich in die vorderste Reihe .
Ich fürchtete mich sonst vor jedem Gedränge .
Hier wäre mir Furcht lächerlich vorgekommen .
Kein Schutzmann , kein Militär weit und breit .
Man sprach leise wie in einer Kirche .
Keine Träne floß , keine Faust ballte sich , kein Fluch wurde laut .
Auf allen Gesichtern der Ausdruck einer stillen vornehmen Trauer .
In jeder Brust ein Requiem .
Man trug die Toten in die Kirche .
Aller Häupter entblößten sich .
Ich schluchzte nicht mehr .
Die Stimmung war Gebet , zu feierlich für Tränen .
Seit jener Stunde , wo ich den Adel im Volk geschaut , und wo zwei tote Augen mein Innerstes durchschauert , war ich - man nannte es damals Demokratin .
Von der Sozialdemokratie war , so viel ich mich erinnere , noch gar nicht die Rede .
Ja , ich wurde eine blutrote Revolutionärin .
Ich schwärmte massenhaft - so ins Blaue hinein - für Freiheit und speziell für die Herweg'sche Revolutionshymne :
" Die Toten an die Lebenden : "
" Reißt die Kreuze aus der Erden .
Alle sollen Schwerter werden " ... ... .
Und ich gab mir alle Mühe nach Tyrannenblut zu lechzen .
Ich schloß mich jetzt in der Schule einem Mädchen an , von der man flüsterte , ihre Brüder hätten auf den Barrikaden gestanden , und in ihrem Hause fänden Zusammenkünfte der Revolutionäre statt .
Helene Bucher - so hieß sie - borgte mir Bücher und Broschüren .
Zwei Bücher besonders machten auf mich einen tiefen Eindruck , beide von demselben Verfasser .
" Das hohe Lied " und " Viktor " .
Viktor der Freiheitsheld der mit so hinreißendem Zorn , in wundervollen Versen die Tyrannei zerschmetterte , die Tyrannei " die mit der Gewalt Batallionenschritt die Fragenden kalt zu Boden tritt " und wie es an einer anderen Stelle hieß :
" Wir nehmen was wir brauchen und soll_es vom Blute rauchen . " O , wie ich ihn liebte , diesen Dichter - maßlos .
Und nun geschah das Wundervolle : Helene Bucher lud mich zu einer Gesellschaft ein , in der ich den Dichter treffen sollte .
Und nun geschah das Fürchterliche : meine Mutter erlaubte mir nicht die Einladung anzunehmen .
Weiß Gott , woher sie erfahren hatte , daß im Buchärschen Hause Demokraten verkehrten , und daß es dort überhaupt recht flott zugehen sollte .
Heiße Tränen weinte ich über diese bitterste Enttäuschung .
Viel später , als ich schon verheiratet war , lernte ich den Dichter wirklich kennen , ein ganz kleines , schüchternes , weltfremdes Männchen , mit unwahrscheinlich feinen Zügen .
Ich hätte ihn aber doch geliebt , und wenn er noch viel dürftiger ausgeschaut hätte , und trotzdem er baumwollene Handschuh trug , und Abends - aus Sparsamkeit wie seine Freunde aussprengten - Tee aus Apfelschalen trank .
Und ich bin heute noch überzeugt , ich wäre seine Frau geworden , und einen wie anderen Verlauf würde mein Leben genommen haben .
Nicht hier in Rom säße ich heute , sondern wohl und geborgen in einer netten , kleinen Wohnung im Zentrum Berlins , an der Seite eines pflichtgetreuen , peinlich gewissenhaften , selbstlosen Beamten , denn das ist dieser Rufer im Streit geworden der " nehmen wollte was wir brauchen , und sollt es vom Blute rauchen . "
In diesen Monaten meines seelischen Aufschwungs fühlte ich mich auch weniger unter dem Joch meiner Mutter .
Ich hatte einem toten Helden ins Antlitz geschaut .
Ich war gefeit .
Durch ein entzückendes Ereignis erhielt meine Zusammengehörigkeit mit der Revolution ein Relief .
Es mochte gegen Ende März sein , - die Kontrerevolution erhob schon ihr Haupt - als ein Verein , ich glaube er nannte sich Volksklub - in einem langen feierlichen Zug , im Schmuck der schwarz-rot-golden Fahnen und Schärpen , zum Templowerfelde hinauszog , um das heimkehrende Militär brüderlich zu empfangen .
Der Zug kann aber auch einem anderen Zweck gegolten haben , ich erinnere mich nicht mehr .
Ich hatte mir eine schwarz-rot-golden Cravattenschleife zu verschaffen gewußt , die ich sorgfältig verbarg , bis zu dem Augenblick , wo der lange Zug in Sicht kam .
Dann steckte ich sie an und eilte verstohlen in die gute Stube .
Meine Eltern und Geschwister standen an den wohlverschlossenen Fenstern des Wohnzimmers .
Der Schreck über die Kugel des 18. März steckte ihnen noch in den Gliedern .
Ich öffnete in der guten Stube das Fenster und lehnte mich hinaus .
Und was nun geschah - mir schlägt noch heute das Herz , wenn ich daran zurückdenke .
War es ein Zufall , oder sah ich auffallend aus - Leute aus dem Zuge blickten zu meinem Fenster hinauf .
Einer machte den anderen auf mich aufmerksam , und plötzlich erscholl ein donnerndes Hurra ! und mir galt es oder meiner schwarz-rot-golden Schleife .
Man schwenkte mit den Fahnen " Hoch ! hoch ! die deutsche Jungfrau " ! und brausend erklang :
" Reißt die Kreuze aus der Erden , alle sollen Schwerter werden " - - - - Ja , ein Schwert , ein Schwert wollte auch ich !
Ich war ganz Freiheitsheldin , eine Charlotte Corday ; der Marat dazu würde sich schon finden !
Meine Eltern stürzten entsetzt herein und rissen mich vom Fenster .
Schwarz-rot-golden Abzeichen fingen an für revolutionär zu gelten , und schon war das geflügelte Wort : " Ruhe ist die erste Bürgerpflicht " im Schwange , von guten Bügen wohl beherzigt .
In Berlin wurden damals zahlreiche Vereine ins Leben gerufen , in denen zahllose begeisterte Reden gehalten wurden .
Helene Bucher , die Beneidenswerte ging zuweilen mit ihren Brüdern in diese Vereine .
Sie lud mich dazu ein .
Ach , ich wußte ja meine Mutter würde es nie erlauben , und Abends heimlich davonzulaufen , war rein unmöglich .
Helene , die Schlaue spann eine Intrige .
Mein Paulinchen wurde ins Vertrauen gezogen .
Sie mußte mir schreiben , sie wäre krank , und hätte immer in den Abendstunden solche Sehnsucht nach mir .
Ich erhielt die Erlaubnis sie zu besuchen .
Spornstreichs liefen wir drei richtige Abenteuerinnen nun in den demokratischen Verein .
Erstickende Luft .
Gedränge .
Wirres Durcheinander .
Wir fanden es himmlisch .
Ein großer junger Mann mit einem blonden Schnurrbart , umgürtet mit der schwarz-rot-golden Schärpe , hielt eine Rede , eine wunderbare , glutvolle .
Vom Tode sprach er , der am 18. März ein blutiges Sichelfest gehalten , von dem roten Frühlingstau , der da gefallen und die Erde neu geboren .
Was lange im dumpfen Schlaf gelegen , sei nun erwacht ( ich auch , jubelte mein Herz ) und nun ginge strahlend jeden Morgen die Sonne über einem freien Volke auf .
Nicht in ewige Fesseln ließe der Geist sich schlagen , und einmal stürze jede Zwing -Uri zusammen ... .
Und die herrlichen Schlußworte :
" Mein Volk , dein ist der Sieg und dein das Recht !
Hoch flattern deine Fahnen . "
Und der so sprach , war Helenes Bruder : Walter Bucher .
Ich sah ihn an jenem Abend zum ersten Mal .
Und er brachte uns nachher nach Hause , uns kleine Mädchen , er , der bezaubernde Cicero .
Hinter allem was er sagte , ahnte ich einen tiefen , verborgenen Sinn .
Ich hing an seinem Munde , als er begeistert von den Kolbenstößen erzählte , die er als Gefangener auf dem Transport von Berlin nach Spandau erduldet .
Gern wäre ich dem edlen Märtyrer der Freiheit um den Hals gefallen .
Beim Abschied drückte er mir die Hand so recht herzhaft stark und sagte : " Sie sind ein reizender kleiner .... "
Er unterbrach sich : " eine bildhübsche kleine Freiheitsgöttin . "
Heute weiß ich , er hatte sagen wollen :
ein reizender kleiner Käfer !
Es war mein erster und letzter Vereinsabend .
Inzwischen war alles herausgekommen .
Mein Bruder hatte mich von Paulinchen abholen wollen , und mich natürlich dort nicht gefunden .
Meine Mutter war so arg böse , daß sie mich Knall und Fall aus der Schule nahm , um - wie sie sagte - meinem Verkehr mit Helene Bucher einen Riegel vorzuschieben .
Auf meinen Sturm und Drang , folgte bald wieder Windstille .
Um eine Flamme in mir anzufachen , bedurfte es immer eines Zugwindes .
Spürte ich den Wind nicht mehr - man verschloß mir ja gleich wieder Tür und Fenster - da hing ich wieder im Netz meiner Träume .
Der Charakter dieser Träume aber änderte sich allmählich .
Waren sie früher gröbster Struktur gewesen , so à la tausendundeine Nacht und à la Monte Christo , so nahmen sie jetzt einen höheren Schwung .
Sie stellten sich in den Dienst eines Ideals , wurden zu einer Apotheose des Märtyrertums .
Seit dem 18. März stand das Geheiratetwerden von Prinzen und Grafen auf dem Aussterbeetat bei mir , ich wurde im Gegenteil den hohen Herren spinnefeind , selbst über das von mir früher so geliebte Katchen von Heilbronn , zuckte ich meine demokratischen Achseln .
Ein schlichter Arbeiter ( siehe Indiana von Georg Sand ) war_es jetzt , - er ähnelte immer dem Toten des 18. März - oder wenigstens ein großer Volksredner , den ich meiner Hand würdigte .
Auf die große Sängerin aber , da hatte ich mich nun einmal kapriziert .
Ich schwang mich zu einer Art weiblichen Massaniello auf .
Ich sang die Welt aus den Fugen .
Ich sang vor allem Volk - ohne Entrée .
Und der blutrote Strom meiner Töne rauschte mit so elementarer Gewalt - gratis - über das Volk dahin , daß es hinausstürzte auf die Gasse , ( bei Leibe nicht auf die Straße ) und sich unter dem Purpurbanner scharte , aus dem mit goldenen Lettern das Wort " Freiheit " stand .
Und : " wir nehmen was wir brauchen , und soll_es vom Blute rauchen , " und die Revolution war fertig , und ich - ich hatte sie gemacht .
Keine Schule mehr .
Keine Vereine .
Keine Helene Bucher .
Zu Hause ! immer zu Hause , wo ich doch gar nicht zu Hause war .
Was nun ?
Die kurze kindische Periode meines Seelenkampfes um Gott war abgelaufen .
Meinen poetisch revolutionären Gelüsten war der Boden entgegen .
Und so weit mein Auge reichte kein Gegenstand zum Anschwärmen .
Zwar hatte ich Zeichnen- Clavier- und Nähstunden , ich mußte bei der großen Wäsche helfen , die Leinenstücke für die Rolle ziehen und legen , die Strümpfe umkehren und stopfen .
Wenn meine Mutter besonders gegen mich gereizt war , mußte ich immer Strümpfe stopfen .
Ach , ich habe es nie gelernt und bedaure noch heute die armen Opfer meiner dicken Prudel .
Und Staub mußte ich wischen und auf die kleinen Geschwister achtgeben .
Mir blieb aber noch viel Zeit übrig .
Und ich schaute suchend aus nach etwas Begehrenwertem , einer blauen Blume , es durften auch ein paar feuerrote dazwischen blühen .
Ich fing an eifrig Aquarell zu malen , konnte mich aber nicht lange über meine völlige Talentlosigkeit auf diesem Gebiete täuschen .
Ich griff zur Feder .
Es war doch endlich an der Zeit in meinen eigentlichen Beruf einzutreten .
Ich malte mir aus , was der süddeutsche Moritz für Augen machen würde , wenn ihm mein erstes Bändchen lyrischer Gedichte zuging .
Ich wollte es ihm widmen .
Nur wußte ich nicht recht , wie man das Ding , das Dichten heißt , angreift .
Ich hatte , als ich noch klein war , das Kindermädchen einmal danach gefragt .
Die wußte es auch nicht , meinte aber , es stände ja schon alles in den Büchern , ich brauchte es nur abzuschreiben .
Ich saß und saß , ich sann und sann .
Mir fiel nichts ein .
Daß ich über meinen dürren Geist in düstere Verstimmung geriet , half auch nichts .
Eines tröstete mich .
Meine Unfähigkeit kam gewiß nur von meiner Unwissenheit her .
Ich mußte erst etwas Ordentliches lernen .
Im Bücherschrank standen die Klassiker .
Schiller , Goethe , Wieland , Shakespeare .
Die kannte ich ja längst , und sie hatten mir doch nicht geholfen .
Ach Gott , ich hatte die Klassiker gelesen , wie früher die Räuberromane , eilfertig , eilfertig , nur das Stoffliche verschlingend .
Im Bücherschrank , in alten , ehrwürdigen Einbänden , standen auch Herder und Lessing .
Mit Herder war nichts anzufangen .
Schon nach den ersten Seiten schweiften meine Gedanken abseits ; für den war ich wohl noch nicht reif .
Also Lessing , aber nicht etwa Emilia Galotti oder Minna Barnhelm , nein , etwas Lehrreiches .
Der Laokoon , der sollte ja sehr tief und sehr bildend sein .
Ich las ihn mit konzentrierter Aufmerksamkeit , Satz für Satz , ich machte mir Auszüge .
Meine Mutter kam einmal dazu .
Ich hätte mich nicht sonderlich gegrämt , wenn sie , wie vor Jahren die Veronika , diesmal den Laokoon confieirt hätte .
Ich wagte nicht mir zu gestehen , daß ich ihn langweilig fand .
Von Kunst hatte ich nicht den leisesten Schimmer .
Ich war noch nicht einmal im Museum gewesen .
Meine Mutter sagte nur , Du tätest besser in die Küche zu gehen , und zu lernen wie man Kartoffeln kocht .
Das meinte sie aber nicht ernst .
Die Küche war ihre Domaine , da ließ sie uns gar nicht hinein .
Ich schob die lehrreiche Lektüre wieder bei Seite .
Um ernste Studien zu treiben , hätte ich eines Führers bedurft .
Da war niemand .
Ich war allein .
Immer allein .
Ich sank zurück in das weiche , flaumige Nest samtener Träumerei , und nährte sie mit den Romanen der Gräfin Hahn - Hahn , der Paalzow , Friederike Bremer , und vor allem - Consuelo !
Für mich wirklich Consuelo .
Süßester Trost in meines Herzens Einsamkeit .
Es hätte sich dabei ganz erträglich gelebt , wenn meine Mutter nicht - um das beinahe erwachsene Mädchen nützlich zu beschäftigen - auf eine diabolische Idee verfallen wäre .
Mütter , selbst liebevolle , ziehen gern Nutzen aus ihren erwachsenen Töchtern .
Der Teppich in unserer guten Stube war abgenutzt .
Ich sollte einen neuen sticken : einen breiten , langen Teppich , mit lauter großen Rosenbouquets , die Füllung von weißer Wolle .
O dieser scheußliche , seelenmordende Teppich !
Wohl anderthalb Jahr habe ich daran gestickt .
Morgens , gleich nach dem Frühstück fing die Qual an .
Und kaum hatte ich Mittags das ausgekochte Rindfleisch mit dem Kohl oder den Rüben überstanden , so trieb mich die Mutter von neuem an die Arbeit .
Erst die Kaffeestunde erlöste mich .
Und das schrecklichste war , die Stiche zu den Rosenbouquets mußten abgezählt werden , ich konnte also während der Arbeit nicht einmal in meiner Phantasiewelt nach Belieben Wirtschaften .
Und tat ich es doch zuweilen , gleich war ein Prudel da , und ich arme Penelope mußte die Arbeit vieler Stunden wieder auftrennen .
Wie ich mich Abends auf das Zubettgehen freute !
da entschädigte ich mich durch erdichtete Abenteuer à la Bulwer , à la George Sand , à la Hahn-Hahn für die Dürre des Tages .
Nie hat ein Mädchen weniger Lust und Geschick zu Handarbeiten gehabt als ich .
Meine Mutter hätte für eine verhältnismäßig geringe Summe einen viel hübscheren Teppich als den von mir gestickten kaufen können .
Aber das große , faule Mädchen sollte doch nützlich beschäftigt werden .
Und immer , während ich stickte , war ein Warten in mir , ein banges , sehnendes Warten auf etwas Außerordentliches .
Zeitlebens in der Friedrichstraße am Halleschen Tor , immer sticken , sticken ohne Ende , das konnte doch nicht so weiter gehen .
Etwas mußte doch kommen .
Selbst der Garten mit der Petersilie , dem Salat und den Stachelbeersträuchern fing an mir zu widerstehen , und die sechs Geissblattlauben erst recht , und doch - in einer dieser Geissblattlauben habe ich mich später verlobt .
Wenn es klingelte , horchte ich auf , ich wartete gespannt , wer oder was da kommen würde , vielleicht ein Brief , oder ein Mensch , ein wildfremder , der mich auf der Straße gesehen , und der mich nun vom Fleck weg heiraten wollte .
Die Klingelnden aber brachten Rechnungen oder Waren , und von den Briefen , die kamen war kein einziger an mich gerichtet .
Einmal aber kam doch etwas :
Ein Besuch von zwei unbekannten Cousinen und einem Cousin .
Ihr Vater , der Geheimrat Birk , war mit einer Schwester meines Vaters verheiratet gewesen , und kürzlich von Ostpreußen nach Berlin ans Obertribunal versetzt worden .
In zweiter Ehe hatte er ein adliges Fräulein geheiratet , eine blasse , feine Dame , von stiller , aber prentenziöser Vornehmheit .
Die hübschen Cousinen - sie waren einige Jahre älter als ich - luden mich in der Folge ab und zu Sonntags zum Tee ein .
Ich wäre so gerne nicht hingegangen , meine Mutter aber , die sich durch diese Verwandtschaft ungemein geehrt fühlte , obgleich die geheimrätlichen Eltern uns keinen Besuch machten - bestand darauf , daß ich jede Einladung annahm .
Der Ton dort , die ganze Atmosphäre des Hauses , wirkte beklemmend auf mich .
Mit Scheu und Ehrerbietung betrat ich jedes Mal diese Räume von korrektester Eleganz .
Alles war wie poliert .
Die Möbel : schwarzes Ebenholz mit Goldleisten .
Fauteuils und Sofa von gepreßtem dunklem Samt , Alabastervasen mit künstlichen Blumen .
Hohe Lampen , Oel- nicht etwa Petroleumlampen .
Die Falten der Plüschpotieren symmetrisch verteilt .
Reichgestickte , weiße Tüllgardinen an den Fenstern .
Einige unbeträchtliche Bilder an langen , rotseidenen Schnüren .
Hier hörte ich auch zum ersten Male das Wort Salon .
Wir hatten zu Hause nur eine Wohnstube .
Die Familie Birk war sehr fromm , pietistisch fromm nach der damaligen Mode .
Selbst der ältliche Herr Geheimrat ging allsonntäglich mit einem Gebetbuch in der Hand zur Kirche .
Die Cousinen waren ein Typus der höheren Beamtentochter damaliger Zeit , mit ihren glattgekämmten , in steifen Puffen auf dem Hinterkopf frisierten Haar , ihren seidenen Halbhandschuhen und den feinen Näschen , die sie gar leicht ein wenig rümpften .
Sie waren wie auf Draht gezogen , ebenso wie die anderen jungen Mädchen , die ich in ihrem Kreise traf .
Alle machten tiefe Hofknixe , und küßten den älteren Damen die Hand .
Was ich hier über Birks schreibe , sind nicht etwa die Eindrücke , die ich in jener Zeit von ihnen empfing .
Im Gegenteil , damals erschien mir dort alles unerreichbar vornehm und großartig , die Cousinen wie in leichte Wolkenschleier gehüllt , der Geheimrat saß in meiner Vorstellung gleich zur Rechten des Königs , und die Geheimrätin stand auf einem Piedestal .
Viel später erst übte ich an ihnen die Kritik , die ich hier niederschreibe .
Frieda , die ältere und frommere , legte - neben dem lieben Gott , auch großen Wert auf die Pflege ihrer rosigen Nägel und ihrer Feinstickerei .
An den Theeabenden waren die Cousinen mit der Stickerei zierlicher kleiner Kragen beschäftigt , die ihnen , wie sie mir mitteilten , eine große innere Befriedigung gewährte .
Ein Diener - trotz meiner Achtzehnten - März-Gesinnung imponierte er mir unsagbar - reichte Tee mit Gebäck umher .
Die Haustöchter nahmen nur Wasser mit etwas Milch , weil ihre Mama der Ansicht war , junge Mädchen bekämen vom Tee leicht rote Nasen .
Selbstverständlich waren sie streng sittlich , und wichen nicht einmal um die Breite des kleinen Fingerchen , den Rose so zierlich in die Höhe streckte , von Gottes Wegen ab .
Sie entrüsteten sich über unechten Schmuck , falsches Haar oder gar Puder , und ich vermute , sie fanden es auch nicht ganz comme il faut , stark brünett zu sein .
Die Demokratie war ihnen etwas blutrünstig , rothaarig Ischariotartiges .
Schwarzrot -Gold , wo es auch vorkam , gehörte vor den Staatsanwalt .
Als einmal von der Civilehe - die man damals schon in Anregung brachte - die Rede war - hätten sie beinahe " Oho " gesagt , taten es aber nicht , weil sie überhaupt niemals Oho sagten .
Preußisch schwarzweiß , vom Scheitel bis zur Sohle , das waren sie , obwohl sie mit Vorliebe modfarbene Kleider trugen .
Wasser mit Milch - nicht etwa Milch mit Wasser , das war die Signatur der damaligen höheren Beamtentochter .
Und der Geheimrat selbst ?
Er hatte Geist , verstand fein zu ironisieren , und junge Mädchen , wenn er sie allein traf , etwa im Vorzimmer , durch kleine väterliche Liebkosungen in Verlegenheit zu setzen .
Der Vetter Erich - natürlich Referendar - wäre so weit recht nett gewesen , wenn er nicht an der Wasser- mit Milch-Atmosphäre partizipiert hätte .
Er hatte etwas so unfreies , gedrücktes , linkisches , schon büreaukratisch Angegangenes .
Er stammelte ein wenig beim Sprechen , weil er immer nach Ausdrücken suchte , nach gewählten Ausdrücken .
Viel Verhaltenes war in ihm , und ich glaube seine Unbeholfenheit war mehr eine Folge des Zwiespaltes zwischen der ihm andressierten Wohlerzogenheit und Zurückhaltung , und einem heftigen Temperament .
Er galt für sehr begabt , und dafür , daß er eine glänzende Karriere vor sich habe .
Der arme Jüngling , hätte er sich nur zur rechten Zeit etwas auslüften können .
Damals , da glitten all diese kleinen Erlebnisse und die Menschen , ich möchte beinahe sagen lautlos an mir vorüber , wie man etwa eine eintönige Rede hört , deren einzelne Worte man deutlich versteht .
Das Ganze aber gibt keinen Sinn , darum hört man erst gar nicht hin .
Es kam mir alles nur so nebenbei vor .
Wo ich auch war und was ich auch tat , mir war immer , als könnte ich jeden Augenblick abberufen werden - wohin ? ja , wohin ?
Der hübsche stattliche Vetter Erich , der einmal Justizminister werden wollte , gefiel mir recht gut , aber nicht sehr gut ; er erinnerte mich in seiner Steifheit sogar zuweilen an Wilhelm .
Da wir Beide ein wenig in einer Zwangsjacke steckten , hatten wir die Arme nicht frei und konnten uns gegenseitig nicht helfen , nicht zueinander kommen .
Ich sah gleich , daß er sich für mich interessierte .
Und es kam ein Tag , wo ich erfuhr daß er mich liebte ; ein denkwürdiger Tag , der in die graue Atmosphäre meiner Jungenmädchenjahre sternenhell hineinleuchtete .
Mein Sechszehnter Geburtstag !
Ende August war_es .
Meine Eltern hielten sich für verpflichtet die vornehmen Verwandten einmal einzuladen .
Im Gartensaal sollte getanzt und der Nußbaumplatz mit bunten Lampions illuminiert werden .
Und Kalbsbraten , Bowle und Punschtorte sollte es geben .
Und als wir Abends die Lampions an die Bäume hängten , da war ich ganz sechzehn Jahr , ganz helle , klingende , tanzende Freude am Dasein .
Ich trug ein weißes Kleid und eine gelbe Georgine im Haar .
Der Tante Berthel sah ich an dem Tag gewiß nicht ähnlich .
Vetter Erich machte mir rasend den Hof .
Das " rasende " drückte er dadurch aus , daß er bis zur Unverständlichkeit stammelte , daß er , als ich ihm anvertraute , daß mein herzförmiges Medaillon unecht sei ( ich tat es um ihn auf die Probe zu stellen ) darüber hinlächelte , und als ich mich ihm schließlich als Demokratin zu erkennen gab , zitierte er : " was uns Rose heißt , wie es auch hieße würde lieblich duften . "
Und bei Tisch zupfte er verstohlen Blätter aus meiner Georgine , und legte sie in sein Taschenbuch , und ein Krümelchen Punschtorte , das er von meinem Teller fortaß , nannte er Ambrosia .
Vielleicht würde ich an jenem Tage eine ernsthaftere Neigung für ihn gefaßt haben , wenn nicht ein kleiner , unbedeutender Vorfall mich erkältet hätte .
Einer meiner Brüder fand während einer Pause im Tanzsaal einen Stiefelabsatz , und das enfant terrible lief nun im Saal mit dem Absatz in der Hand umher , und krabbelte an allen Herrenfüßen herum , um ausfindig zu machen wer den Absatz verloren habe .
Niemand meldete sich trotz Karlchens dreimaliger Aufforderung .
Ich aber hatte bemerkt , daß der Absatz an Erichs Stiefel fehlte , und ich bemerkte auch , wie ängstlich er den betreffenden Fuß - gerade als fürchte er sich durch einen Pferdefuß als Mephisto zu verraten - versteckte .
Das war komisch , beinahe lächerlich .
Er hätte wirklich den Absatz nicht verlieren sollen .
Als wir dann später im Garten auf- und abgingen , da genoß ich in vollen Zügen die poetische Situation : Mondschein , Lampions , Sterne , und einer , der mich liebte .
Er war aber nur Staffage in dem fröhlichen Tanz meiner Lebensgeister , Staffage , wie die Sterne über uns , wie die leise knisternden , bunt und warm glühenden Lampions , wie der kosend laue Wind , der unsere Haare ineinander wehte , wenn er sich zu mir neigte .
Einmal fiel eine Nuß vom Baum und traf Erich am Kopf .
" Au " sagte er , und kraute sich in den Kopf .
Hübsch war das nicht .
Ich war durch Märchen und Romanromantik so verweichlicht in meinem Geschmack , daß selbst die harmlosesten kleinen Natürlichkeiten mich abstießen .
Er hätte wirklich den Stiefelabsatz nicht verlieren sollen .
Einmal fragte er mich flüsternd , wie der sein müsse , den ich einmal lieben würde ?
In meiner übermütigen Laune schlug ich zum erstenmal in meinem Leben einen scherzhaften Ton an , und sagte ungefähr :
er müsse auf einem blonden Lockenhaupt einen goldenen , allenfalls auch einen grünen Lorbeerkranz tragen ; oder er müsse dem lohengrinhaften Wetter von Strahl ähneln , mit der heimlichen Feme im Hintergrund ; auch ein Byron thäts , mit der Verpflichtung , jung und begeistert fern von der Heimat , zu ertrinken ; ( Erich merkte gar nicht , daß ich Byron mit Schelley verwechselte ) wenigstens aber müsse er durch einen roten Schlips und einen braunen Samtrock Idealität verraten , auch dürfe er tot sein .
Aber einer mit einem Frack , weißer Binde und Lackstiefeln ( an denen ein Absatz fehlt , unterdrückte ich gnädig ) der wäre nichts für ein poetisches Gemüt .
Erich , der ernsthafteste Mensch , den ich je kennen gelernt habe , sah betrübt aus .
Er verstand keinen Scherz .
In den nächsten Wochen kam er oft zu uns .
Mütter pflegen im allgemeinen , wenn die Verlobung einer Tochter im Anzug ist , mit kluger Fürsorge ein wenig helfend einzugreifen .
Meiner Mutter lag ein solches Beginnen ganz fern .
Sie verfiel nicht einmal darauf , daß Erich um meinetwillen kam .
Oft schickte sie mich fort , wenn er da war , um nach den Geschwistern zu sehen .
Sie ließ mich in seiner Gegenwart Strümpfe stopfen , was mich immer in die schlechteste Laune versetzte .
Das Strümpfe stopfen kam mir so ordinär vor , so wie der rechte Gegensatz zum dichten .
Und als ich mir einmal in unwillkürlicher Koketterie eine Blume ins Haar gesteckt hatte , fand sie , daß ich mich wie ein Pfingstochse herausgeputzt hätte .
Ich schämte mich halb tot , und warf die Blume weg .
Auch redete sie mit Vorliebe von meinen Fehlern : daß ich zu nichts zu gebrauchen wäre , daß sie den Mann bedaure , der mich einmal kriegen würde , und daß ich Tante Berthel ähnlich sähe erfuhr er auch .
Sie handelte geradezu , als wollte sie die Verlobung hintertreiben , und doch tat sie das alles völlig unabsichtlich Und wir zwei Unbeholfenen hätten so sehr der Hilfe bedurft .
Schon , daß meine Mutter immer zugegen war , ließ es zu einer Intimität zwischen mir und Erich nicht kommen .
Wo meine Mutter war , war ich nicht ich .
Erich wurde als Referendar auf ein halbes Jahr nach Magdeburg geschickt .
Er kam um sich zu verabschieden .
Die Mutter trug mir Besorgungen in der Stadt auf .
Er hielt meine Hand in der zitternden seinen , wollte etwas sagen und brachte es nicht über die Lippen .
Ob er mich nicht ein Stück Weges begleiten dürfe ?
Nein .
Ich wußte wohl , ich wäre als Braut heimgekehrt .
Auf der Straße nachher wurde mir beklommen zu Mut .
War da vielleicht ein Stern untergegangen , der mich zu einem freundlichen Glück geleitet hätte ?
Als er nach einem halben Jahr zurückkam , war es zu spät .
Ich war bereits heimlich verlobt .
Er soll später , als Assessor in einer kleinen Stadt , ganz plötzlich über die Stränge geschlagen sein , zum Schaden seiner Karriere und seiner Gesundheit .
Die Familie wendete ihren ganzen Einfluß auf , um ihn durch die Heirat mit einem hübschen , adligen und wohlhabenden Fräulein zu rehabilitieren , ihn wieder fromm und karrierefähig zu machen .
Es gelang .
Er verlobte sich wirklich mit dem Fräulein .
Am Tag aber vor der Hochzeit erschoß er sich .
Von Vergnügungen war für uns junge Mädchen nur ausnahmsweise die Rede .
Meine Eltern selbst gingen selten ins Theater .
Sie nahmen uns niemals dahin mit .
Die Musik wurde in der Familie durch einen Musiklehrer besorgt , der für fünf Groschen die Stunde , etwaige musikalische Begabungen seiner Schüler und Schülerinnen systematisch zu Grunde richtete .
Wie der Mensch beim Unterricht gähnte , wenn er sich nicht gerade zur Kurzweil kleine ungebührliche Handgreiflichkeiten gegen uns erlaubte .
Auf Anregung unseres Arztes und Familienfreundes ( man sagte , er verdanke seinen Geheimratstitel seinem ostentativen Patriotismus ) war mein Vater Mitglied irgend eines patriotisch konservativen Vereins geworden .
Dieser Verein gab im Lauf des Winters einige Bälle .
In diesen Bällen gipfelten unsere Lustbarkeiten .
Wie die Birk'schen Thee's erschienen mir auch diese Bälle beklemmend vornehm und elegant , und ich fühlte mich als Kaufmannstochter mit meinem weißen Mullfähnchen , diesen Geheimraths- und Offizierstöchtern nicht ebenbürtig .
Wirkliche Vornehmheit herrschte da wohl nicht , nur steif und schicklich war alles , und so kahl und schal .
Man tanzte in einem kahlen , viereckigen , hellgetünchten Raum .
Schwarz-weiße Fähnchen und Lorbeerkränze schmückten die Gipsbüsten der höchsten Herrschaften .
Ganz Geheimrath-Birk'sche Atmosphäre , preußisch schwarz-weiß .
Die Tänzer , meist Offiziere und Referendare , nannten uns " gnädiges Fräulein " , und tanzten hauptsächlich mit den Töchtern ihrer Vorgesetzten .
Diese Töchter , sämtlich in Tarlatan , rosa , grün , blau , weiß , sahen in den uniformen , steifen Röcken wie ein Beet von Papierblumen aus , und die Unterhaltung der Herren war auch papierblumenhaft .
- " Gnädiges Fräulein schon auf vielen Bällen gewesen ? "
- " Laufen gnädiges Fräulein gern Schlittschuh ? "
Das gnädige Fräulein hatte wirklich nur ja und nein zu antworten .
Beim Souper saßen sämtliche Mitglieder einer Familie zusammen , und immer gab_es Kalbsbraten und Backpflaumen , und so sehr viel Kellner , die das Souper servierten .
Und " mit Gott für König und Vaterland " wurden lange Toaste gehalten , in denen es patriotisch wie von vertrocknetem Eichenlaub raschelte .
Die Mütter saßen reihenweise hinter den Tanzenden , in Seide und Samt und mit Federn auf dem Kopf .
Und sie spähten immer nur nach ihren Töchterchen aus , und waren voll Groll , wenn etwa ein fremder rosa Tarlatan dem himmelblauen Tarlatan des eigenen Töchterchens den Rang ablief .
Mich traf jedenfalls ihr Groll nicht .
Ich wunderte mich eigentlich selbst , daß ich so wenig Bouquets im Kotillon erhielt , und auch nicht viel tanzte , viel weniger als Alice .
Wie kam das nur ?
ich war doch hübscher als Alice und auch klüger .
In der Schule hatte ich ihr immer die Aufsätze machen müssen .
Freilich , ich war gar nicht munter , und Alice war sehr munter .
Und ich ängstigte mich immer , ich würde vielleicht gar kein Bouquet bekommen , nicht meinetwegen , nur weil meine Mutter immer so sehr vergnügt war , wenn Alice mehr Bouquets nach Hause brachte als ich .
Auch hier auf den Bällen sah ich mich zuweilen um , ob nicht etwas Außergewöhnliches käme und mich abriefe .
Wohin ? in Weites , Fernes , Unbekanntes , das nicht die geringste Ähnlichkeit mit Berlin hatte , mit diesem Saal , mit diesen Tänzern , die mit so schnarrender Stimme so langweilig fragten , dahin , wo es gar nicht schal und kahl war , und nicht steif und nicht schicklich .
Ich wollte immer Außergewöhnliches , starke zauberische Eindrücke , und war enttäuscht , wenn alles so alltäglich verlief .
Oder amüsierte ich mich auf den Bällen nur so mittelmäßig , weil ich heimlich verlobt war ?
Nein , ich weiß bestimmt , das war es nicht .
Meine heimliche Verlobung !
Eines Tages kam Walter Bucher in unser Haus um mir einen Brief von seiner Schwester Helene zu bringen , die als Erzieherin ins Ausland gegangen war .
Du weißt ja , wie amüsant und übermütig er sein kann .
Und damals erst !
Er bezauberte gleich meine Mutter , die seine schwarz-rot-golden Schärpe aus den Märztagen mit dem revolutionären Zubehör längst vergessen hatte .
Kein Wunder , er hatte sie ja selbst vergessen .
Sie lud ihn dringend ein wiederzukommen .
Und er kam oft , gegen Abend auf eine halbe Stunde , zuweilen blieb er auch zum Abendessen .
Er war eigentlich Philologe , und hatte eine Lehrerstelle an einem Gymnasium inne gehabt , sie aber nach einigen Jahren wieder aufgegeben .
Jetzt gab er Privatunterricht und schriftstellerte daneben .
So allmählich , wie es gewöhnlich geht , verliebten wir uns ineinander .
Das war eine schöne Zeit , dieses Werden der Liebe .
Eine Zeit , wo ein Jugendfeuer in uns überall hin Funken sprüht , so daß selbst auf das Kleinste und Unscheinbarste goldene Reflexe fallen :
Ein Vielliebchen das man ißt , ein Glühwürmchen , das man im Gebüsch findet , eine Nuß , die man zusammen schält , ein Sonnenstrahl , der durch das Zimmer tanzt .
Man weiß nicht , was man ißt , ob Brühkartoffeln ob Bisquitpudding , ganz dasselbe .
Man geht nicht , man tanzt , der Körper hat kein Gewicht mehr .
Das Sehen ein Trinken von Licht , das Ohr hört nur Musik , die Blicke hinüber und herüber selige Botschaften , das Berühren der Hände ein magnetisches Ineinanderglühen .
Und immer im Herzen der süße ahnungsvolle Schauer :
ich werde lieben .
So ganz in Poesie verschwommen war ich , daß ich glaubte in die Erde sinken zu müssen , als einmal mein Magen laut knurrte , und wenn ab und zu mein kleines Brüderchen sich allzu natürlich äußerte , glaubte ich auch in die Erde sinken zu müssen .
Dann aber war es am allerschönsten , wenn er gegangen war , und ich lag auf der Bank unter dem Sternenhimmel und den Nußbäumen und berauschte mich an dem Frühling in meinem Herzen :
Ich werde lieben !
Ich hatte niemals Gesangstunden gehabt .
Ich war auch nicht besonders musikalisch veranlagt .
Ich sang aber doch , wenn ich sicher war daß niemand mich hörte .
Regellose , wilde Improvisationen sang ich .
Hohe A's der Begeisterung und tiefe C's abgründiger Melancholie , und ich schwelgte in den eigenen Tönen .
Ich erlebte immer alles allein .
Ich war der personifizierte Monolog .
Man spricht nicht laut mit sich selbst , das würde einem ganz verrückt vorkommen , aber singen - ja .
Du hättest sehen sollen , wie ich durch den Garten raste , - einmal stolperte ich dabei über ein Mistbeet und zerbrach eine Scheibe .
Ich wand mir einen Zweig roter Bohnenblüten um_das Haupt - roter Mohn wäre mir lieber gewesen , aber es gab keinen im Garten .
Und die Rosen hatte die Wirtin alle gezählt .
In meinen Gesangs-Improvisationen nannte ich Walter meist Oswald - ich weiß nicht recht warum .
Walter war ein gar zu braver Name , so ganz ohne Schwung .
In allem wollte ich Überschwang .
Bei Gott , ich glaube ich war eine platonische Bacchantin .
Und dann kam ein Abend - wir jagten uns , und ich floh in eine Geissblattlaube , er fand mich und - da lag ich in seinen Armen , da hing ich an seinem Munde .
Da waren wir nun verlobt , ich wenigstens , ob er , das weiß ich nicht so genau ; es ist aber wahrscheinlich , er war ja , man nennt es sterblich verliebt , unsterblich jedenfalls nicht .
Einen ganzen Sommer dauerte diese heimliche Verlobung .
Schon das Geheimnis an und für sich war beglückend .
Und wenn ich mich in verstohlenen Augenblicken an ihn schmiegte , wenn ich seine Liebkosende Hand auf meinem Scheitel , an meiner Wange fühlte , so erfüllte diese Liebe ohne Leidenschaftlichkeit meine ganze Seele mit weichem Glanz .
Wir schrieben uns ab und zu Briefe , die wir uns verstohlen zusteckten .
Diese Briefe , - ich schrieb sie als Sechzehnjährige - sind mir später wieder in die Hände gefallen .
Wie , ist ja gleichgültig .
Die Röte der Scham stieg mir ins Gesicht , als ich sie nach Jahren noch einmal las .
Das hatte ich geschrieben ! diese abgeschmackten , gefühlsarmen , ganz törichten Verlogenheiten !
Und ich erinnere mich gut , ich kritzelte sie nicht etwa flüchtig hin , nein , ich hatte über Stil und Inhalt nachgedacht , mich förmlich ins Feuer der Gefühle hineinkommandiert .
Ich hatte mir auch so viel Mühe mit der Handschrift gegeben .
Sie war wie gestochen .
Und Du weißt ja , daß ich eine ziemlich schlechte Handschrift habe .
Was meinst Du zu Wendungen wie diese : " O ( das » o « war stereotyp ) mein Geliebter , möchte doch Deine Liebe etwas anderes sein als ein matter Stern zwischen Dämmerung und Nacht , eine Stunde zwischen zwei Ewigkeiten - der Vergangenheit und Zukunft , möchte sie nicht den Wasserrosen gleichen , die über einem Abgrunde blühen . "
Oder , aus einem anderen Brief : " Spät ist_es , fast Mitternacht , ( es war höchstens Halbzehn , man hätte mir nie erlaubt bis Mitternacht die Lampe zu brennen ) geheimnisvolle Stille umgibt mich ; ich bin allein mit meinen Gedanken an Dich , meiner Sehnsucht nach Dir .
Zwischen unseren Herzen hat die wunderbare Macht der Sympathie eine Brücke gespannt , die von keinem Sturm , von keiner irdischen Gewalt gebrochen werden kann .
Ja , mein Walter , es gibt eine Liebe , wo Seele sich in Seele verliert , so daß Gedanke mit Gedanke zusammenklingt , und das unsichtbare Feuer der Gefühle zusammenglüht , ohne daß Auge dem Auge zu begegnen braucht , ohne daß wir uns anders denn als Geister fassen .
- Wenn ich in Dein Auge sehe und seine Strahlen in mich trinke , ( er hatte kleine , braune , glanzlose Äuglein ) dann lese ich in seiner Sternenschrift mein Schicksal , ein glückseliges .
Ja ! in Deinem Herzen habe ich meine süßesten Gefühle erfahren , in Deiner Seele meine besten Gedanken gedacht , Deine Gegenwart ist meinem Herzen eine atmende Atmosphäre der Poesie und ich fühle , aus Deinem Wesen entspringt mein Dasein . "
Als ich einmal einige Wochen mit einer Tante auf dem Lande zubrachte , schrieb ich :
" Ich habe hier Augenblicke , wo ich ergriffen werde von jener ruhigen , süßen Fülle der Zufriedenheit , von jenem himmlischen und stillen Entzücken , in welchem das Herz bei dem Übermaß seines Wonnegefühls wie in sanftem Schlummer ruht .
Jede Empfindung in mir ist der Spiegel eines lieblichen , wolkenreinen Himmels .
Göttliche Andacht ist in dieser Stille der Natur , wie wenn aus dem odemlosen Herzen aller Dinge Gebete emporstiegen .
Alles um mich her wird Nahrung für meine Liebe , das Schweigen des Mittags , die heilige , beredte Ruhe der Dämmerung , ihr Rosenhimmel , ihr Schatten und ihr Tau wirken meinem Herzen leisen Liebeszauber .
Die bleichen Sterne , der geheimnisvolle Mond , die Winde , welche die ungemessene Luft bewegen - Pilger aus einer ewigen Heimat nach einer unerforschten Grenze - der schrankenlose Himmel , zu dem niemand emporblickt ohne unbestimmte Sehnsucht nach Etwas , das die Erde nicht hat , ohne die Empfindung eines früheren Dasein's , in welchem wir dieses Etwas besaßen ; die heilige Nacht , der feierliche , alles umfassende Schlaf , der in seiner Ruhe den Tod anzudeuten scheint - das alles redet für mich eine deutungsvolle Sprache der Liebe . "
Nicht die reine Paula Erbswurst aus dem Kladderadatsch ?
Und einige Tage später :
" In der Liebe werden tausend Fäden aus allem , was hart und selbstisch ist , gelöst , um sich in eine einzige heilige Schleife neu zu verknüpfen .
Was für ein Abend heute !
Mit Deinem Brief an den Lippen eilte ich ins Freie , die Sterne , die Kinder des Himmels , blühten eben in ihrem nächtigen Dasein auf .
Ihr Widerschein erzitterte im Wasser ; heilig und rein schwebte ihr stilles Licht zu mir nieder .
Nie sank ein Abend mit süßerer Lust , mit beruhigenderem Balsam auf mein leise erschauerndes Herz nieder .
Die Luft still , odemlos , zart leuchtend , der Mond in die Bäume hineinglänzend , die Hügel wachsend im Schatten der Nacht , das Rinnen des Wassers , all die unnennbaren Laute im Nachttraum der Natur , sie schmolzen zu einem Einklang zusammen , einer tiefen , stillen , unerschöpflichen Wonne .
Du warst mir unaussprechlich nahe . "
Den Preis aber verdient ein Brief , den ich schrieb , als er mir von einem starken Schnupfen berichtet hatte .
Er schließt mit den Worten : " ich bin zu schmerzlich aufgeregt , um Dir weiter schreiben zu können .
O Geliebter , laß die Tränen , die diesen Brief begleiten meine Bitte unterstützen :
Schone Dich !
Keine Ahnung hast Du von dem unendlichen Schmerz , der mein ganzes Wesen durchbebt , seitdem ich Deinen Brief in meinen Händen , auf meinem Herzen habe .
Ich kenne ja Deine hohe Begeisterung für alles Große und Schöne , ich weiß wie die Zustände des Vaterlandes Dich ergreifen , um meinetwillen , Du tausendmal Geliebter , zügle Deine Leidenschaftlichkeit , nie habe ich mehr gefühlt , wie unaussprechlich ich Dich liebe . "
Ich hörte förmlich , wie er nach der Lektüre dieses Briefs , kräftig und fidel nieste , und Prosit sagte .
Nichts als eine Feder- und Tinten-Erregung war_es ; ich war mir aber meiner Verlogenheit durchaus nicht bewußt .
Ich meinte , eine Braut müsse schöne Briefe schreiben , und gerade solche Briefe .
Und dieses alberne Wortgeklingel , diese Briefe an einen Walter Bucher !
Er muß sich ja vor Lachen über den übergeschnappten Backfisch geschüttelt haben .
Und er hat mich doch geheiratet .
Sonderbar !
Meine Mutter sorgte dafür , daß die Bäume unseres Glück's nicht in den Himmel wuchsen .
Sie fühlte wieder einmal das Bedürfnis mit mir ins Gericht zu gehen .
Unter allen möglichen Fehlern schrieb sie mir auch den der Unordnung zu .
Meine Kommode wurde einer Revision unterworfen .
In der Kommode lagen Walter's Briefe , wohlverborgen in den Falten eines - Pardon - Hemdes .
Mein bebender Griff nach dem Hemde verrieten der Mutter die Konterbande .
Die Briefe wurden konfisziert , verbrannt .
Walter , der nicht in der Lage war zu heiraten , aus dem Hause verbannt .
Er schrieb mir noch einmal ein paar Zeilen , die für die Eltern mit berechnet waren .
Ich möchte auf die Zukunft vertrauen .
Dann verschwand er aus meinem Gesichtskreis .
Nach diesem schrecklichen Ereignis bemühte ich mich redlich - die Lektüre von Pulvers " Pilgrim am Rhein " gab mir vielleicht die Anregung - die Schwindsucht zu bekommen , teils zu Ehren meines zerrissenen Herzens , das ich Walter schuldig zu sein glaubte , teils weil ich überhaupt die Schwindsucht poetisch fand .
Ich machte Gedichte auf die Poesie meines frühen Todes , hüstelte immerfort ( was keiner in der Familie bemerkte ) , aß wenig , wurde von dem Wenigessen immer magerer , und arbeitete bereits nach Herzenslust an der Ausmalung meines Sterbens und Begrabenwerdens , auch an Walter's Verzweiflung .
Letztere schien indessen ebenso heilbar wie mein zerrissenes Herz .
Er machte keinerlei Anstrengungen die Beziehungen zu mir aufrecht zu erhalten , und ich stellte das Hüsteln allmählich ein , und gab die Schwindsucht auf , der doch mehr ein Situations- und Stimmungsreiz zugrunde gelegen , als das Herzensbedürfnis aus Liebe zu sterben .
Stimmung war von jeher ein Hauptfaktor in meinen Erlebnissen gewesen , wie es ja auch Landschaften gibt , gemalte , bei denen Zeichnung , Komposition , Wahrheit der Farbe kaum in Betracht kommen .
Stimmung ist alles .
In einem engen , engen Raum spielte sich mein inneres Leben ab .
Ich könnte es mit einem jener kleinen Gärtchen im Süden vergleichen ; sie sind kaum größer als eine Stube , eine hohe Mauer schließt sie ein .
Aber drinnen blühen Feuerlilien und Granaten , und eine Palme und ein Limonenbaum , der duftet berauschend , und an der Mauer ranken sich wilde Rosen empor , viel wilde Rosen , und ein Brünnlein rauscht und sprudelt dazwischen .
Was jenseits der hohen Mauer ist - eigentlich doch fast alles - existierte für mich nicht .
Meine Mutter hatte es endlich aufgegeben mich mit Handarbeiten zu martern .
Ich erhielt jetzt die Erlaubnis das Lehrerinnen-Seminar zu besuchen .
Ein ganzes Jahr meines Lebens wurde dabei geopfert .
Wer nennt die Leitfäden alle , die in diesem Seminar zusammenkamen , um einen lebendigen Geist in eine mechanische Lernmaschine zu verwandeln .
Ich lernte das ganze Linne'sche System der Botanik auswendig , die ganze Zoologie , von den kleinsten Amphibien bis zu den größten Säugetieren , lernte ich auswendig , alle Flüsse Eurapa's mit ihren Nebenflüssen , alle Geschichtstabellen von den alten Griechen und Römern bis zur neusten Zeit .
Dreißig Gesangbuchlieder saßen niet- und nagelfest in meinem Hirn , und unzählige Bibelsprüche auch .
Es war fürchterlich .
Ein reines Flügelknicken .
Ob es jetzt anders geworden ist , weiß ich nicht .
Walter hatte ich beinahe vergessen .
Da erhielten meine Eltern eines Tages einen Brief von ihm , in dem er regelrecht um meine Hand anhielt .
Eine Anstellung in der Redaktion einer größeren Zeitung gab ihm die Möglichkeit zu heiraten .
Meine Eltern gaben gern ihre Einwilligung .
Anfangs war ich eigentlich mehr verwundert als glücklich .
Sonderbar , daß er mich noch liebte .
Warum war er ein ganzes Jahr verstummt ?
Aus Gewissenhaftigkeit ?
So wenig Menschenkenntnis ich besaß , das glaubte ich doch nicht .
Ich war sogar etwas enttäuscht .
Ich hatte ja nach bestandenem Examen als Lehrerin ins Ausland gehen wollen , nach Paris , London , Rom , ja hauptsächlich nach Rom .
Daraufhin hatte ich schon wieder die schönsten Luftschlösser gebaut , in denen Gondeln , die sich auf blauen Wogen südlicher Meere schaukeln , Palmen , Marmorsäulen um die sich Rosen winden , die bekannten , durch dunkles Laub glühenden Goldorangen , und überhaupt lauter Sachen , die in Berlin nie vorkommen eine Rolle spielten .
Damals war der Gouvernanten-Roman in Flor .
Jede Gouvernante trug in ihrer Mappe eine Gräfinnenkrone , jede war eine Jane Eyre .
Diese Luftschlösser fielen zusammen , da ich nun verlobt war - viel zu lange , beinahe ein Jahr .
Etwas in mir war gegen die Verlobung .
Ach , ich bin noch nie meiner inneren Stimme gefolgt .
Wind und Wellen überließ ich mein Lebensschifflein , es dahin zu treiben , wohin es dem Wind und den Wellen eben beliebte .
Während der Brautschaft - wie anders war sie als die heimliche Verlobung - spielte sich mein Seelenleben so ziemlich nach der Schablone der meisten anderen jungen Mädchen ab .
Wir betrugen uns ganz wie ein Durchschnittsbrautpaar .
Er wollte mich lehren eine Zigarette zu rauchen , ich steckte ihm Süßigkeiten in den Mund , und er bis mich in den Finger .
Wir zankten und versöhnten uns in einem Atem .
Es war wohl die einzige Zeit meines Lebens wo ich launenhaft war und zum Widerspruch geneigt .
Ich stand oft vor dem Spiegel , und ärgerte mich über die damalige häßliche Tracht : eine wahre Diakonissinentracht .
Ich versuchte durch kleine Verschönerungen , von denen ich hoffen durfte , daß sie dem Luchsauge meiner Mutter entgehen würden , der Nüchternheit der Tracht etwas abzuhelfen .
Besonders in Betreff der Kragen zeigte ich mich erfinderisch , indem ich sie durch Frisuren , oder sonst eine phantastische Zutat poetisierte .
Ich riskierte sogar einige Löckchen an den Schläfen .
Eigentlich verbrachte ich den ganzen Tag in ruheloser Erwartung Walter's .
Kam er dann , so blieb alles hinter meiner Erwartung zurück .
Und war er gegangen , und ich lag auf der Bank unter den Nußbäumen , und wollte in stillem Nachglück mir zurückrufen , was er gesagt , wie er ausgesehen , so ging_es nicht recht .
Irgend ein Hindernis war da .
Walter ist eine so positive Persönlichkeit , schwer in Träumen und Extasen unterzubringen .
Und da war es plötzlich der Fremde im grauen Mantel , den meine Träume einfingen .
Ich hatte in den Begriff eines Verlobten , wenigstens meines Verlobten , etwas von Lohengrin , Danton oder Romeo hineinphantasiert .
Walter etwas von Lohengrin oder Danton !
Er hatte nicht einmal mehr einen Schimmer von dem einstigen Schwarz-rot-gold an sich .
Er schillerte , ja - in welchen Farben wußte ich nicht recht , aber er schillerte .
Ich korrespondierte ab und zu mit Paulinchen , meiner Schulfreundin , die mit ihren Eltern in eine kleine Stadt gezogen war .
Sie wollte wissen wie Walter aussähe .
Wie ich mich hinsetze um darüber zu berichten , weiß ich nicht was ich schreiben soll .
Wie sieht er denn aus ?
Ich schrieb : " er sieht gut aus , ist lang und schlank , den Kopf etwas vorgestreckt , die Arme etwas schlenkernd .
Sein lockiges , flattriges Haar fällt in einer Byronlocke über eine hohe Stirn die weißer ist als sein übriges Gesicht .
Er hat - wie soll ich sagen - so nebensächliche Augen , Augen die können nicht fragen und nicht forschen , die wissen schon immer alles .
Er lächelt nicht , es ist immer gleich ein Lachen , und das Lachen klingt etwas heiser .
Besondere Kennzeichen fehlen . "
Klang das nicht beinahe lieblos ?
Aber man kann doch jemand sehr , sehr lieb haben , auch wenn er Schwächen hat .
Einmal , auf einem Spaziergang , sprach er von seinem bescheidenen Einkommen , und ob mir das auch genügen würde u. s.w .
Ich war entrüstet .
Ein Verlobter von Geld sprechen !
Es kam mir ziemlich so unmöglich vor , als wenn Lohengrin und Elsa sich vor der Hochzeit in einem Duett über die Höhe des Wirtschaftsgeldes hätten auseinandersetzen wollen .
Von Geld hatte ich überhaupt keine rechte Vorstellung .
Es interessierte mich gar nicht .
Eine Wohnung hat man ja doch immer , und auch genug zu essen .
Wenn man sich nur liebt !
Walter lachte über meine Entrüstung , und meinte , daß selbst eine Heilige sich am schönsten von einem Goldgrund abhöbe , wenn ich aber als Hintergrund eine grau- oder grüngetünchte Hinterstube vorzöge , so würde er mich auch in grau und grün anbeten .
Er lachte immer , wenn er Schmeichlerisches sagte .
Das verletzte mich beinahe .
Man weiß doch auch ohnedies , daß solche Schmeicheleien nicht ernst gemeint sind .
Ich lernte Walter erst jetzt ein wenig kennen , nicht sehr .
Daß er flott war , sehr flott , lebendig wie Quecksilber , oft wirblig , mißfiel mir nicht .
Aber ich weiß nicht , wir kamen uns nicht näher .
Er erzählte auch jetzt wieder mehr als einmal von seinen Abenteuern am 18. und 19. März , aber anders als früher , übertriebener und zugleich komischer .
Er sprach fast davon wie von einer Jugendeselei .
Trotz des Springenden , Hastenden in seiner Art fanden ihn alle urgemütlich .
Meine Mutter imponierte ihm nicht im geringsten .
" Mamachen , sagte er , ich esse Fisch gern , koche heute Karpfen in Bier , mir zu Liebe ! "
Und sie kochte Karpfen in Bier , ihm zu Liebe .
Er konnte meine Mutter um den Finger wickeln , eigentlich die Anderen auch , besonders meine dritte Schwester , das Engelsköpfchen schwärmte für ihn .
Wir nannten sie Engelsköpfchen wegen ihrer goldblonden Locken und weil sie so zart und blauäugig war .
Wenn wir alle im Wohnzimmer beisammen saßen , war Walter von sprudelnder Laune .
Unter vier Augen mit mir , wußte er nicht recht , was er reden sollte .
Alle Augenblicke stockte die Unterhaltung .
Und dann wiederholte er immer dieselben Liebesbeteuerungen , so daß mich zuweilen eine leise Ungeduld beschlich , oder er füllte die Pausen mit überwallender Zärtlichkeit aus .
Wirklich Zärtlichkeit ?
Seine Liebkosungen taten der Seele weh .
Ich hatte so lange nach Liebkosungen geschmachtet , und nun - - seine Art - flattrig und robust zugleich , spannte mich ab , höhlte mich aus , reizte mich zur Abwehr .
Ich wußte nicht was ihr fehlte , jetzt weiß ich_es .
Seiner Zärtlichkeit fehlte - ich .
Mit dem Engelsköpfchen wäre er gewiß noch zärtlicher gewesen .
Sie gefiel ihm sehr , er scherzte mit ihr , zuweilen saßen sie Hand in Hand .
Das ließ mich ruhig .
Er war ja mein Verlobter .
Wenn er mich nicht liebte , würde er sich doch nicht mit mir verlobt haben .
Der Begriff der Untreue existierte für mich noch nicht .
Ich vermied gern mit ihm längere Zeit allein zu sein .
Ich hatte ihn viel lieber im Beisein der Anderen .
Später begriff ich erst , daß er ein Publikum brauchte .
Er war wohl nie mit sich allein , kaum gern zu zwei .
Viele - das war ihm das liebste .
Je mehr , je besser .
Ich war mir meiner Unbildung voll bewußt .
Ich dürstete nach Kultur .
Es kommt mir jetzt beinahe unglaublich , lächerlich vor , daß ein Mensch - das ist ein junges Mädchen doch auch - in der Metropole der Intelligenz leben kann , fast ohne Berührung mit allem , was die Welt bewegt .
Gerade nur ein wenig Literatur und Kunst sickerte durch .
Einer strengen Schulung hätte ich bedurft , um meinen vagabundierenden , ziellosen Geist irgendwo anzusiedeln .
Eine unbestimmte Hoffnung hatte ich auf Walter gesetzt , daß er etwas in mir wecken sollte was schlief .
Ach , Walter war kein Wecker , nein , nicht im mindesten .
Ein Mensch mit Augen , die nicht fragen können , die immer alles schon wissen .
Und Küsse , die weckten nichts in mir - nichts .
Mich beschlich zuweilen , wenn ich längere Zeit mit ihm allein war , etwas wie - warum nach einer Umschreibung suchen - es war geradezu Langeweile .
Wir saßen oft lange , Hand in Hand , steif auf dem Sofa .
Es scheint , es war damals üblich , daß Brautpaare Hand in Hand steif auf Sopha's saßen .
Es ermüdete so .
In einer Nacht geschah mir etwas Merkwürdiges , was ich mir bis heute nicht erklären kann .
Ich war mit Walter einige Male in der Oper gewesen .
Wir saßen immer in der ersten Reihe des Parquets's .
Im Orchester dicht vor mir hatte ein Geiger seinen Platz .
Er fixierte mich oft , während er spielte .
Er hatte eigentümlich grünlich braune , sprühende Augen , und sein Blick - tief , tief saugend , als wüßte er etwas geheimnisvolles , daß ich erraten sollte .
Der Blick hatte sich förmlich bei mir eingebohrt .
Einmal fanden wir im Parquet keinen Platz mehr , und saßen wo anders .
Ich sah den Blick des Geigers umherirren .
Er suchte mich , er fand mich nicht , und ich glaubte aus dem Orchester heraus seinen Bogenstrich zu hören , als riefe er mich .
In der Nacht träumte ich von ihm .
Das heißt ich sah ihn nicht , ich hörte nur seine Geige .
Aus einem tollen Konzert kreischender Instrumente heraus hörte ich sie ; anfangs langgezogene Töne aus der Ferne , einschmeichelnd , mich umkosend , dann wurden sie immer stärker , lockender , drängender , dann war es keine Geige mehr , eine Glocke war_es , und die Glocke war in meiner Brust , und läutete - läutete - als wollte sie mir die Brust sprengen .
Ich erstickte - -
Mit einem wilden Schrei erwachte ich .
Mein Herz klopfte hämmernd .
Etwas unheimlich starkes , über das ich keine Gewalt hatte durchdrang mich , eine unbezwingliche Sehnsucht hin zu dem Geiger .
Ich sprang aus dem Bett .
Ich griff nach meinen Kleidern .
Ich stürzte zur Tür .
Ich wollte zu ihm , ich mußte .
Wie denn ?
ich wußte ja gar nicht , wo er wohnte .
Ich riß das Fenster auf .
Im lichten Ozean schwamm der Mond .
Der Wind wehte kalt .
Von der Kälte erlosch die Halluzination .
Ich kroch zurück ins Bett , Seitdem bin ich während meiner Brautzeit nicht mehr ins Theater gegangen Meine Mutter konnte es sich nicht versagen , Walter auf meine Hausfrauenmängel vorzubereiten ; den Speisekammerschlüssel würde ich sicher immer stecken lassen , in der Küche würde es drüber und drunter gehen , da ich ja kaum imstande wäre Pfeffer von Insektenpulver zu unterscheiden , na - und die Löcher in seinen Strümpfen !
Walter pflegte auf solche Reden mit Scherzen zu antworten , später aber merkte ich doch , daß die Worte in seinem Gedächtnis haften geblieben waren .
Beim Nähen der Ausstattung brauchte ich glücklicherweise nicht zu helfen .
Der Mutter machte es viel zu viel Vergnügen , selbst jeden einzelnen Gegenstand zu bestellen und zu bestimmen .
Sie nahm mich auch bei der Besorgung der Ausstattungsgegenstände nicht ein einziges Mal mit , weil ich ja doch nichts davon verstände .
Ich wäre aber sehr gern mitgegangen , besonders beim Auswählen der Möbel und Kleiderstoffe .
Später erfuhr ich , daß die Mama von dem Geld , das der Papa für die Ausstattung ausgesetzt , einen Teil bei Seite gelegt hatte , um ihr eigenes Schlafzimmer neu einzurichten .
Anfang März war die Hochzeit .
Sie warf einen Schatten voraus .
Am Abend vorher - ich war eben eingeschlafen - weckte mich ein dröhnendes Krachen .
Meine Brüder , in Gemeinschaft mit dem Dienstmädchen hatten alte Töpfe und sonstiges Geschirr gegen meine Tür geschleudert .
Die Köchin soll für den Zweck auch ganz gutes , kaum schadhaftes Geschirr verwandt haben .
Das nannte man Polterabend machen , war aber , so viel ich weiß , in gebildeten Kreisen kaum noch üblich .
Ich fühlte mich erniedrigt , mißhandelt .
Ich bebte vor Zorn .
Kein glücklicher Stern leuchtete über meinem Hochzeitstag .
Frostiges , häßliches Wetter .
Es schneite .
Damit das Wohnzimmer beim Hochzeitsmal nicht zu heiß sein sollte , hatte man nicht eingeheizt .
Und da stand ich nun fröstelnd , in dem weißen , dekolletierten Atlaskid .
Ich wollte kein ausgeschnittenes Kleid , ich war doch zu mager .
Es wäre eleganter dekretierte meine Mutter und damit basta .
Der hohe , steife Myrtenkranz auf dem glatten Scheitel stand mir nicht , der lange Schleier war zu schwer , er zog mir den Hinterkopf herunter .
Ich meine , mein Blick muß trübe gewesen sein , als ich mich in den Räumen umblickte , die ich nun für immer verlassen sollte .
Kein Schatten von Wehmut oder Rührung zog durch mein Gemüt .
Da war kein Winkel , kein Mensch , an den sich liebe Erinnerungen für mich knüpften .
Mit überquellender Bitterkeit empfand ich , daß ich kein Zuhause gehabt .
Mein Blick fiel auf die Hochzeitsgeschenke , die eine lange Tafel bedeckten , Geschenke wie sie damals üblich waren :
Eine Lampe , noch eine Lampe und noch eine .
Und kleine Löffel und große Löffel und Messer und Gabel , und ein Cognacservice , und noch ein Cognacservice , und eine Bowle .
Ein Scherzbold hatte einen mit einem Damenschuhanzieher zusammengebundenen Stiefelknecht gestiftet , u. s.w .
Von Herzen kam nichts , zu Herzen ging nichts .
Um 1 Uhr sollte die Trauung sein .
Von elf Uhr an mußte ich fix und fertig in vollem Staat dastehen , zur Brautschau .
Und das Hauspersonal , und all die Leute , die ab und zu in unserem Haushalt beschäftigt waren , traten an :
Die Dienstmädchen , die Näherin , die Plätterin , die Friseurin , die Waschfrauen , sogar die Hökerfrau .
Und die Näherin brachte ihre Tochter mit und die Plätterin ihre Nichte .
Und die Freundinnen meiner Schwestern kamen auch .
Und alle waren in Extase über mein weißes Atlaskleid mit der Schleppe , und sie sagten alle nichts , und ich sagte auch nichts , und ich fühlte wie von der Kälte meine Nase rot wurde .
Und zuletzt kam die Großmutter in dem grünblauen Changeant , mit einer riesigen neuen Haube , und ihr Geschenk bestand in einem sinnigen Scherz :
Ein Futteral , und wie ich es aufmachte , purzelten aneinander gereiht , ein Dutzend ganz kleiner Püppchen heraus .
Das war zu viel .
Bebend lief ich aus dem Zimmer , und meine Hand tastete an dem Myrtenkranz mit der Lust ihn abzureißen .
Und nun das Schrecklichste .
Die Gäste waren versammelt .
Der Brautwagen stand vor der Tür .
Walter war nicht da .
Eine Viertelstunde nach der anderen verrann , er kam nicht .
Mein Vater sah fortwährend zum Fenster heraus , meine Mutter war böse .
Die Gäste flüsterten und sahen gespannt und neugierig zu mir herüber .
Mir stand das Herz beinahe still .
Ich glaubte bestimmt , die Hochzeit wäre Walter in der zwölften Stunde leid geworden , und er würde gar nicht kommen .
Er kam aber doch , als es fast schon zu spät war .
Ungeheuer vergnügt kam er .
Er hatte sich bei einem Abschiedsfrühstück mit Freunden ( Abschied vom Junggesellenstande ) einfach verspätet .
Unsagbar wie vergnügt er aussah .
Meine Stimmung sank immer tiefer .
Die Trauung : Der Schnee hatte sich in feinen Regen gelöst .
Naßkalt und trübe war es draußen .
Naß kalt und trübe die Atmosphäre in der kahlen Kirche .
Eine Menge fremder Leute waren gekommen , der feierlichen Handlung beizuwohnen , darunter die Näherin mit der Tochter , die Plätterin mit der Nichte , und die Freundinnen meiner Schwestern , die immerzu kicherten .
Sie kamen mit triefenden Schirmen und Regenmänteln , und teilten der ganzen Kirche die muffige Atmosphäre von abgestandener Nässe mit .
Ein halbes Duzen Kerzen vor dem Altar tauchten das Emporium in trübe Dämmerung .
Gemessen , fast wie zu einer Trauerfeier , schritt der Brautzug aus der Sakristei zu den Plätzen vor dem Altar .
Über die Steinfliesen rauschten die seidenen Kleider der Damen .
Und alle hatten so strenge , wichtige Gesichter , als wäre ihre Gegenwart bei der Hochzeit maßgebend .
Ich war Nebensache .
Die kleinen Geschwister mit Blumensträußen .
Der Küster ordnete meine Schleppe .
Mich fror .
Die Traurede :
Die herkömmlichen Phrasen von Liebe und Treue , von heiligen Pflichten , Gehorsam , Demut , Ewigkeit und Gottvertranen .
Warum singen die Prediger nicht ihre Trau- und Trauerreden ? etwa im Rezitativton eines Opern-Wotan ? es würde viel eindrucksvoller sein .
War das meine Hochzeit ?
Stand ich da vor dem Altar ?
Ich war nicht dabei .
Und als es zum Jasagen kam , ängstigte ich mich so , Walter könne in seiner unbezähmbaren Heiterkeit anstatt " Ja "
" Na ob " - oder " I wo " - oder etwas ähnliches sagen .
Er sprach so gern berlinisch Nur in den Orgeltönen am Anfang und am Schluß der Feier , da war etwas von weicher , mitleidiger Menschenliebe , und wären nur Walter , ich und die Orgel in der Kirche gewesen , es wäre wohl echte Hochzeitsstimmung über mich gekommen .
Wo es in der Seele der Braut feierlich singt und klingt , wären gerade nur die Chöre von Lohengrin's Brautgesang gut genug .
Während der Trauung mußte ich daran denken , wie ich früher mit solcher Seligkeit empfunden :
ich werde lieben .
Liebte ich jetzt ?
Vielleicht , wenn die Kirche nicht so häßlich , die Rede nicht so hohl , Walter nicht so vergnügt , und überhaupt alles anders gewesen wäre .
Mein Phantasieleben hatte mich in gewissem Sinn veräußerlicht .
Das Hochzeitsmal : Zehn bis zwölf beim Koch bestellte Gänge .
Am Anfang des Mahls Stille , Steifheit .
Allmählich aber schmolz das Eis , und mit jedem weiteren Glas Champagner ein Crescendo von Heiterkeit , die schließlich zu einem toll lustigen Spektakel ausartete .
Und all die roten , erhitzten Gesichter , die oft zweideutigen Scherze , das Knattern der Knallbonbons , das ausgelassene Gelächter , die Toaste mit donnernden Hoch's und klirrenden Gläsern - es gemahnte beinahe an ein kleines Bacchusfest , Bacchus aber nicht als dyonisischer Jüngling gedacht , viel eher Bacchus mit dem Schmerbäuchlein und der roten Nase , auf einer Tonne reitend .
War das meine Hochzeit ?
Saß ich an dieser Tafel und aß und trank mechanisch ?
Ich war nicht dabei .
Und Walter ?
Der hatte mir gleich nach der Trauung Vorwürfe gemacht , ( halbscherzend ) daß meine Schwestern hübscher aussähen als ich .
Er hatte ja recht .
Eine verstimmte Braut mit einer roten Nase .
Während des Mahl's war er ganz der liebenswürdige und geschmeidige Weltmann .
Keine zehn Minuten blieb er an meiner Seite .
Ich war ihm so dankbar dafür .
Ich war immer in Angst man könnte mich ansehen .
Da man sich aber für Walter mehr interessierte als für mich , zog er die Aufmerksamkeit von mir ab .
Er ging von einem zum anderen , plauderte aufs lebhafteste , stieß mit den Großen und den Kleinen an , aß ein Vielliebchen mit dem Engelsköpfchen , küßte meine Schwestern durch die Bank , und entzückte alle .
Entschieden - ich war nicht dabei .
Walter war mir wie in eine weite Ferne entrückt .
Siehst du Arnold , so wurden in gut bürgerlichen Familien die Hochzeiten begangen .
Und man feiert sie noch immer , diese Hochzeitsfeste , die nicht geschmackvoller sind , als es früher die Leichenschmäuse waren , und sie bilden einen so schreienden Kontrast zu dem Seelenbild eines jungfräulichen Mädchens , das mit dem geliebten Mann vor den Altar tritt : Ein Psalm in Knittelversen .
Ich meine , ein Mädchen muß sehr tief und sehr innig lieben , wenn solche Feste mit ihrem vulgären Trara nicht bis in die junge Ehe hinein ihre Schatten werfen sollen .
Auch später , als Walter mit mir im Wagen saß , blieb er noch immer für mich in eine Ferne entrückt wie an der Hochzeitstafel .
Ich empfand im eigentlichsten Sinne nichts - gar nichts , absolut nichts .
Ich war nicht dabei .
Und als er meine Hand in der seinen hielt , und so laut und übermütig von dem Glück sprach , daß ich nun ganz sein wäre , sein geliebtes Weib - schwieg ich .
Ich war wie eine Uhr , die man vergessen hat aufzuziehen .
Dieser inneren Eingefrorenheit lag nicht etwa eine Abwehr gegen Walter , oder sonst irgend etwas ihm unfreundliches zu Grunde .
Durchaus nicht .
Die Schneeflocken , die so einschläfernd niederrieselten , trugen zu der Hypnose bei , und daß er so laut sprach , und der Reflex der Laternen auf seinen neuen Lackstiefeln und daß er Wein getrunken hatte , und daß ich von all dem Ungemach der Hochzeitsfeier körperlich erschöpft war .
Die Hauptsache aber : meine Seele hatte sich wieder in ihr Schneckenhaus verkrochen .
Das tat sie immer , wenn sie die Fühlhörner herausstreckte , und die Atmosphäre nicht warm und rein genug fand .
Daß diese Fahrt je ein Ende nehmen , daß ich aus dieser Starrheit je wieder zu mir kommen würde , konnte ich mir gar nicht vorstellen .
Zu Hause ! -
In jedem der drei Zimmer brannte eine Lampe , die eine roch ein wenig nach Petroleum .
Auf dem Tisch im Wohnzimmer ein großes , buntes Bouquet in einer Papiermanschette .
Die Möbel standen alle am richtigen Platz .
Der Schreibtisch am Fenster .
An der großen Mittelwand das Sofa mit grünem Rips bezogen , davor der Tisch mit einer grünen Ripsdecke , zu beiden Seiten je ein Fauteuil , auch mit grünem Rips bezogen .
Vor den Fenstern broschierte weiße Gardinen .
Und noch ein paar Stühle , und ein Schränkchen und ein - Nähtisch .
Am zweiten Fenster stand er , mein Feind .
Und ein Spieltisch .
Sollte ich denn Karten spielen ?
Das aber muß ich zum Lobe der Wohnung sagen , es hingen keine Oeldruckbilder an den Wänden , überhaupt gar nichts ; dagegen - das merkte ich erst in den nächsten Tagen - kam nie ein Sonnenstrahl in diese Nordzimmer .
Ein Kanarienvogel und ein Blumentisch , das wäre so nett gewesen .
Ein Blumentopf mit recht viel blühenden Rosenknospen hätte es auch getan , oder ein roter Schirm über einer der drei Petroleumlampen , oder gar keine Lampe , und nur der Mond .
Aber ein Mädchen war da , das Mädchen für Alles .
Sie stand auf der Schwelle , und schmunzelte so komisch , und hatte so runde neugierige Augen , und mit den dicken roten Händen wollte sie mir den Myrtenkranz abnehmen .
Und sie nannte mich Madame ( das " Gnädige Frau " war noch nicht Mode )
Ich eine Madame !
Gräßlich .
Daß man noch nicht einmal darauf gekommen ist an Hochzeitsabenden das Mädchen für Alles einzusperren .
Und überhaupt - ach !
Über das , was ich für Walter empfand , war ich mir damals nicht klar .
Jetzt bin ich klar .
Ich liebte ihn eigentlich nicht .
Aber ich hatte ihn lieb , sicher keinen anderen auf der Welt lieber als ihn .
Keinen Menschen lieb zu haben geht doch nicht .
Und ich wollte ihn immer mehr lieben , recht aus Herzensgrund .
Es scheint , daß gewisse uns anerzogene Begriffe auch ganz bestimmte Gefühlsregister in uns aufziehen .
Daß ich nun sein Weib war , schon diese Vorstellung allein entband einen Strom herzlicher Empfindungen in mir .
In den ersten Wochen meiner jungen Ehe hatte ich oft Tränen in den Augen .
Tränen des Glücks ?
Nein .
Tränen einer reinen , ich möchte sagen frommen Rührung .
Ein Orgelton war in meiner Stimmung , auch etwas Harfe .
Es rührten mich auch meine eigenen so sehr edlen Grundsätze .
Die beste , pflichtgetreueste aller Frauen wollte ich werden .
Und daß der Alpdruck des elterlichen Hauses von mir genommen , daß ein neues Leben vor mir lag , und daß der Frühling da war .
Auch Kindisches , Grünjunges lief dabei mitunter :
Der weißseidene Hut mit dem Hyazinthenzweig , und das feine , bläuliche seidene Kleid , das ich nun alle Tage tragen durfte .
Und der Stolz darauf , daß ich eine junge Frau war .
Ich ging sogar damit um , kleine Häubchen zu tragen , damit jeder gleich merken sollte , daß ich eine junge Frau war .
Und daß ich so hübsch war , das freute mich auch .
Ich schwöre Dir Arnold , nie hat eine Frau mehr Talent zur Gattin gehabt als ich .
Schade nur , daß zwei dazu gehören , um ein solches Talent auszuüben .
Es hätte so wenig bedurft eine Mustergattin aus mir zu machen .
So viel quellende Demut und Zärtlichkeit war in mir .
Ich fühlte mich als seine Sache .
Mich an seine Brust zu schmiegen , ihm zu folgen , immer zu folgen , weiter wollte ich nichts .
Sinnliches war kaum dabei .
Das war nicht gut - seinetwegen .
Ich war ein Kind , ein unbeschriebenes Blatt .
Und doch ganz fraulich gestimmt , mit einem Stich ins Kleinbürgerliche .
Denn auch Küche und Speisekammer , Walters Oberhemden , die Suche nach den billigsten Einkaufsquellen , und ob die Wäsche besser außer dem Hause oder im Hause zu waschen sei , das alles fand Raum in meiner hochgestimmten Brust .
Ich wünschte mir lebhaft einen Bouillontopf und einen Fischkessel , die meine Mutter natürlich vergessen hatte .
Allzu lange hielt die feiertägliche Stimmung nicht an .
Eine herbe Wirklichkeit rüttelte mich auf .
Das Ziel von Walters Ehrgeiz war die Eroberung der Bühne .
Sein erstes Stück war schon vor unserer Verlobung aufgeführt , aber vom Publikum abgelehnt worden .
Die Vorbereitungen zur Aufführung des zweiten - er versprach sich einen außerordentlichen Erfolg davon - nahmen , fast unmittelbar nach unserer Verheiratung , seine ganze Zeit und sein ganzes Interesse in Anspruch .
Nicht nur leitete er alle Proben , er schrieb auch , wie er selbst sagte , seine Stücke zur Hälfte auf der Probe selbst .
Die größeren Rollen studierte er den Schauspielern und Schauspielerinnen ein .
Schon in den ersten Wochen unserer Ehe kam er unregelmäßig nach Hause .
Oft wartete ich stundenlang mit dem Mittagessen auf ihn .
Ich hätte es für eine Verletzung meiner Hausfrauenpflicht gehalten , mich ohne ihn zu Tisch zu setzen .
So hungerte ich mich ab , und kam er gar nicht , würgte ich später das prutzelte Zeug trübselig allein herunter .
Sein zweites Schauspiel hatte einen großen Erfolg .
Damit hoben sich nicht nur seine Finanzen , sondern auch seine gesellschaftliche Stellung .
Walter hatte , ungefähr bis zum Zeitpunkt unserer Verheiratung , in einer gewissen Enge und Unfreiheit gelebt , die teils durch seine Lehrerstellung , teils durch sein schmales Einkommen bedingt wurden .
Diese Beschränkungen fielen nun fort , und sein eigentliches Wesen entwickelte sich mit überraschender Schnelligkeit , sowohl in seinen Vorzügen wie in seinen Schwächen .
Er wurde außerordentlich nervös , bis zur Krankhaftigkeit nervös , und diese Nervosität kehrte sich hauptsächlich gegen mich .
Ich fing an mich vor ihm zu fürchten , wie ich mich vor meiner Mutter gefürchtet hatte .
Nervöse Menschen sind so unberechenbar .
Was sie heute freut , ärgert sie morgen .
Ich ängstigte mich wenn eine schlechte Kritik über ihn in der Zeitung stand .
Er war dann immer so böse auf mich .
Ich wußte nie , was ich in einem gegebenen Augenblick zu tun oder zu lassen hatte , ob ich heiter sein sollte oder ernst , ob reden oder schweigen .
Ich plauderte etwa bei Tisch von kleinen , wirtschaftlichen Vorfällen .
" Du willst wohl Conversation machen ? " sagte er , " bitte inkommodier dich nicht . "
Ich brach jäh ab .
Schwieg ich , so fragte er , ob wir bei einem Leichenschmaus säßen .
Einmal , als er mir aufgeräumt vorkam , erzählte ich ihm ein kleines Abenteuer , das mir auf der Straße passiert war : ein junger Mann , der mich verfolgte u. s.w. Walter sah spöttisch drein .
Und erzählte mir nun seinerseits ein Abenteuer , das er an dem selben Tage erlebt : eine königliche Prinzessin , die im Vorüberfahren , ihm die Rose , die sie in der Hand hielt , zugeworfen u. s.w. , eine völlig unmögliche Geschichte .
Ich war ganz verdutzt , und brauchte einige Minuten , ehe ich verstand , daß er meine Mitteilung geschmacklos gefunden , und mir eine Lektion hatte geben wollen .
Seitdem hütete ich mich , ähnliche kleine Erlebnisse zu seiner Kenntnis zu bringen .
Walter ist einer der lautesten Menschen .
Auch in seinem Zimmer schrie alles .
Bücher , Stöcke , Zigaretten , Asche , Zeitungen , Briefcouverts , Handschuh , bunt durcheinander geworfen , auf Stühlen , Tischen , dem Fußboden , machten den Eindruck von Lärm .
Je stiller es um ihn her war , je nervöser fühlte er sich .
Getöse beruhigte ihn förmlich , er brauchte es .
Darum fiel ihm meine Schweigsamkeit oft auf die Nerven .
Auch alle seine Erlebnisse hatten etwas Lärmendes , Äußerliches .
Nichts ging in der Stille vor sich .
Alle Welt wußte davon .
In den ersten Monaten unserer Ehe bewies mir Walter eine passionierte Zuneigung .
Das änderte sich rasch .
Daß wir so wenig zusammenstimmten , ich eine der Stillsten im Lande , er einer der Lautesten - dieser Gegensatz wäre zu überbrücken gewesen , wenn er mich einfach und ehrlich lieb gehabt hätte .
Ich wartete immer darauf , daß er sagen würde : " meine liebe , liebe Marlene . "
Und ich wäre sein gewesen mit Leib und Seele .
Er liebte mich wohl in einer Art , aber es war nicht meine Art .
In den meisten Fällen , wo die Ehe zwei nicht zusammengehörige Menschen vereint , gehören wohl Jahre dazu , ehe ihr Verhältnis , nach mancherlei Schwankungen , Experimenten und Kämpfen eine dauernde Gestalt annimmt , sei es eine freundliche oder feindliche .
So war es nicht bei uns .
Von Kämpfen und Experimenten konnte nicht die Rede sein , aus dem einfachen Grunde nicht , weil Walter auf gar keinen Widerstand stieß , weil ich mich völlig passiv verhielt .
Nach kaum sechs Monaten hatten unsere Beziehungen sich so herausgebildet , wie sie dreizehn Jahr hindurch , bis zu meiner Abreise von Berlin , im wesentlichen geblieben sind , Beziehungen , wie er sie schuf , er sie wollte , nicht ich .
Ich wollte nichts als seine liebe , pflichtgetreuste Frau sein .
Ach , wäre ich es auch geworden , er hätte für solch eine Perle gar keine Verwendung gehabt .
Ein funkelnder , falscher Rubin wäre ihm lieber gewesen .
Wenn er zu irgend einer beliebigen Nachtstunde nach Hause kam , und er fand mich , zusammengekauert in einem Fauteuil oder auf der Chaiselongue , wartend , immer wartend , so sah er mich zuweilen so sonderbar an , als müßte er sich besinnen , wer ich eigentlich wäre , und was ich da wollte in seiner Wohnung , und ich las in seinen Blicken : ja , mein Gott , was soll ich denn nun lebenslang mit dieser kleinen Person da !
Ein ander Mal erschreckte er mich durch einen plötzlichen Ausbruch verliebter Launen .
Und ich wußte doch , daß er mich nicht liebte , ja mehr , daß er mich nie geliebt hatte , die kurze Zeit halber Verliebtheit , während unserer heimlichen Verlobung , abgerechnet .
Warum hatte er mich geheiratet ?
Ja warum ?
Ich habe eine feine , feine Witterung für das , was ein Mensch denkt ; hier aber stand ich vor einem Rätsel .
Ich grübelte darüber , womit ich ihm lästig fiel .
Woran hinderte ich ihn ?
Ich fand nichts .
Es verdroß ihn wohl nur die Tatsache , daß er verheiratet war .
Er wäre so sehr gern unverheiratet gewesen .
Aber war er denn verheiratet ?
Ich war_es ; er - kaum .
Er war ja frei , frei wie der Vogel in der Luft .
Ich habe nie den leisesten Versuch gemacht , ihn in seiner Freiheit zu beschränken .
Was er auch gegen mich tun mochte , kein Vorwurf ist je über meine Lippen gekommen .
Ich merkte , er wollte eine tüchtige , wirtschaftliche Frau .
Er hatte die Ansicht , ich verstände nichts .
Ich wollte ihm das Gegenteil beweisen , und wurde eminent wirtschaftlich .
Wie es bei meiner Mutter üblich gewesen , verhängte ich alle 4 Wochen ein großes Reinmachen über das Haus .
Und ich klopfte und scheuerte und rieb und seifte aus Leibeskräften , um die Wette mit unserem Mädchen für Alles .
Ich meinte , das wäre wirtschaftlich , wenn man sich so recht abarbeite .
Hinterher konnte ich dann vor Überanstrengung und Nervenerregung nicht schlafen .
Einmal , als ich in einer derben Küchenschürze , hochrot im Gesicht , gerade einen Besen gegen ein Spinngewebe schwang , klingelte es .
Ich öffnete .
Ein elegant gekleideter Herr wünschte der Herrschaft gemeldet zu werden .
Er hielt mich für das Dienstmädchen .
Ich ließ ihn zu Walter herein , hoffend , daß mein Gatte mich nicht bemerken würde .
Aber er bemerkte mich und warf mir einen Blick zu , einen bösen , geringschätzigen .
Der Besen fiel mir aus der Hand .
Wenn ich recht nachdenke , ja - meine Tugenden haben mir mehr Leid gebracht , als alles Unrecht , das ich mir später zuschulden kommen ließ .
Als Ehemann hatte Walter eine stark tyrannische Ader .
Zwar befahl er selten direkt :
" Tue dies oder laß jenes . "
Oft sogar wenn ich ihn um seine Meinung fragte antwortete er : " tue was du willst . "
Dann aber , das wußte ich genau , durfte ich am allerwenigsten tun , wozu ich Lust hatte .
Ich spähte immer in seinen Zügen nach seinem Willen , seinen Wünschen , und bald wußte ich , auch in Betreff der geringfügigsten Dinge , was ich in einem gegebenen Augenblicke zu tun oder zu lassen hatte. Z.B. wenn Walter gelegentlich eines besonders ehrenvollen Besuches irgend welche Delikatessen besorgt hatte , Kaviar oder eine sehr teure Weinsorte , so hütete ich mich wohl , bei Tisch davon zu nehmen .
Es hätte ihn geärgert .
Delikatessen waren nicht für mich .
Daß ich Kaviar unvernünftig gern aß , war eben eine Anmaßung meinerseits .
Ich wollte auch durchaus kochen lernen , vertiefte mich in Kochbücher und brütete über Menüs .
Was so ein Kochbuch kompliziert ist !
Wie sollte ich denn nun den Reis machen ? à la Milanese oder auf französische Art ?
Und die Klopse ?
Königsberger oder mit einer Sardellensauce ?
Und wenn ich dann mein Erlerntes in der Küche auf die Feuerprobe stellen wollte , so warf die Köchin die Kasserollen durcheinander , und zeigte ganz unverhohlen , daß Madams nicht in die Küche gehören .
Und einmal versteckte sie einen gefüllten Hecht vor mir , den ich ihr absehen wollte .
Sie ließ sich eben nichts absehen .
Danach faßte ich einen Widerwillen gegen alle Wirtschaftsangelegenheiten , und ein paar Wochen ließ ich alles gehen , wie es gehen wollte bis ein Zornausbruch Walters über eine zu spät angerichtete oder angebrannte Speise mich wieder ins Geschirr trieb .
Überhaupt , für alle Versäumnisse in Küche und Haushalt machte er mich verantwortlich .
Ich hatte doch aber nicht Köchin gelernt .
Schien ihm ein Gericht nicht reichlich genug , so aß er ganz tückisch nichts davon , fragte , ob ich etwa wie der Heiland mit einem Brot Tausende speisen wollte , und ging - in ein Restaurant .
Einmal waren Motten in einen seiner Röcke gekommen .
Darüber wurde er ganz wild , und um mich zu strafen , sprach er einige Tage kein Wort mit mir .
Er strafte mich immer wie man Kinder straft !
Ich erkundigte mich in einer Drogueriehandlung nach dem besten Mittel zur Vertreibung der Motten .
Naphtalin riet man mir .
Also versah ich das corpus delicti mit Naphtalin .
So wütend wie an diesem Tage habe ich Walter selten gesehen .
Ob Naphtalin die Motten vertriebe , wisse er nicht , die Menschen vertriebe es sicher .
Ich ging zu meiner Mutter und fragte sie um Rat .
Ich sollte die Sachen täglich tüchtig klopfen und lüften lassen , war ihre verständige Meinung .
Als ich zu Hause der Auguste mit dem Klopfen kam , wurde die auch böse , wegen der Schererei mit dem Klopfen .
Immer waren alle Menschen böse auf mich .
Meine Mutter - nein , die war nicht mehr böse auf mich .
Die versorgte Tochter , ging sie nicht mehr viel an .
Seit dem Tage der Hochzeit war ihr Verhältnis zu mir ein freundliches geworden , wenn sie auch nicht die geringste Teilnahme für mein intimeres Schicksal an den Tag legte .
Wie sollte sie auch ?
Sie erfuhr ja nichts davon , und war jedenfalls der Meinung , daß wie in ihrer Ehe , so auch in der meinigen alles von selbst gehen würde .
Ich besuchte sie ab und zu , und war ihr immer willkommen .
Zu mir kam sie nur , um mir nach meinen Entbindungen , wie andere Bekannte auch , einen pflichtschuldigen Besuch zu machen .
In Betreff der Dienstboten konnte auch sie mir keinen Rat geben , wenigstens waren ihre Ratschläge nicht ausführbar für mich .
Sie war für heilige Donnerwetter ; noch mit dem borstigsten dieser Biester ( das Wort Biest muß damals im Schwange gewesen sein ) wäre sie fertig geworden .
Die Donnerwetter lagen mir nun einmal nicht .
Ach , und überhaupt , diese schreckliche , unabsehbare Reihe von Lina's , Anna's , Augusten , Jetten , an denen all meine Hausfrauentugenden scheiterten .
Sehr Wohlwollende verglichen mich wohl mit der kleinen Dora aus David Copperfield , der so ganz Wirtschaftsunkundigen , die dabei so kindlich und ahnungslos war .
Ich ähnelte ihr aber in Wirklichkeit nicht im geringsten .
Mag sein , daß ich keine besondere Hausfrau war , aber ich empfand meinen Mangel tief und litt darunter .
Ich hatte Verständnis und Interesse für einen wohlgeordneten Haushalt , für gut zubereitete Speisen , für Zierlichkeit und Eleganz .
Alle meine Hausfrauenmängel hatten eine einzige Quelle : meinen Charakter , meine feige Schwäche .
Ich , selber Magd , mehr als die Dienstmädchen , ich sollte nun plötzlich robusten , ramassierten Frauenspersonen gegenüber ein Herrschertalent entfalten !
Ich habe bis auf den heutigen Tag nicht gelernt , Untergebene zu ihren Pflichten anzuhalten .
Mäßig gute Mädchen , die bei anderen Hausfrauen vielleicht Perlen geworden wären , bei mir verwahrlosten sie in kurzer Zeit .
Sie fühlten , da war kein Zügel .
Unsere erste , die Auguste , war eine Trauerweide .
" Ach Gott , ne , ich bin nun Mal so weichlich , " sagte sie , und sie weinte , wenn der Pudding nicht aufging , sie weinte wenn Walter auf ein paar Tage verreiste , oder wenn es an ihrem Ausgehtag regnete , und sie war schon immer auf der Lauer mit ihren Tränen , wenn wir einen Brief mit schwarzem Rand bekamen , und sichtlich enttäuscht , wenn nichts rechts gestorben war .
Kochen aber konnte sie weniger ; war das Fleisch zähe , und ich murmelte einen leisen Vorwurf , so beteuerte sie ihre Unschuld damit , daß sie doch nicht in dem Fleisch drin stecke .
Walter aber schien entschieden zu verlangen , daß ich darin stecken sollte .
Wie ja auch im Leben Lust und Trauer wechseln , so fügte es sich , daß auf die triste Auguste die lustige Anna folgte , der es so gänzlich an herrschaftlicher Servierkunst fehlte , daß Walter mich für die schlechteste aller Hausfrauen erklärte .
Und ich hatte ihr doch so oft vorgehalten , daß man die Sardellen nicht ungewässert , den Hasenrücken nicht ungebrochen , und die Radieschen nicht in einem Seifennäpfchen auf den Tisch bringen dürfe .
Die Beafsteaks richtete sie auf einem Dessertteller mit blauem Rand an , die geriebenen Kartoffeln , in einem Klumpen zusammengeballt , auf einem Teller mit einem grünen Rand .
Und sie ließ sich so gar nichts sagen , weil sie sich doch gute Behandlung ausgemacht hätte .
Wenn ich bescheiden tadelte , wurde sie gleich grob .
Walter hielt es für eine glückliche Schicksalsfügung , als sie sich beim Anheizen der Maschine mit Petroleum , arg verbrannte , und ins Krankenhaus mußte .
Sehr viel Glück kam dabei nicht für uns heraus , denn ihre Nachfolgerin , die Jette , huldigte der Ansicht , ein Mensch , der etwas auf sich hielte , müsse eine Devise haben , so eine , wie immer in den Knallbonbons stände .
Und ihre Devise wäre :
" Man immer proper ! " Erst sagte sie , müsse alles vor Sauberkeit blinken , eher esse sie nicht ; so wäre sie nun Mal , und das sagten Alle von ihr .
Und sie wusch und scheuerte wirklich den ganzen Tag , aber ihr Besen , ihre Scheuerlappen , ihr Spülwasser , alles war schmutzig und das ganze Haus roch nach Schmierseife und schmutzigem Wasser .
Sie wusch sich auch sehr oft die Hände , aber mit Petroleum , weil sie aufgesprungen waren .
Und als Walter eines Tages dazu kam , wie sie in unserem Wohnzimmer mit ihren Petroleumhänden sämtliche Semmeln anknackte , bis sie die braunste und knusperigste gefunden , die sie dann gegen ihre blonde , lappige umtauschte , ließ Walter ihre Entschuldigung , daß sie die braunen und knusperigen eben lieber äße , um so weniger gelten , als er sie auch eben lieber aß , und ich mußte ihr kündigen .
Die Dienstmädchen , die sahen mich auch mit Walters Augen .
Sie warteten immer wie weit sie gehen könnten , gerade wie die anderen Menschen auch .
Keine Spur von Respekt .
Mußte es mich nicht kränken , daß die eine - sie hieß Bertha - sich ruhig in Erwartung ihres Nachmittagschläfchens auf ihrem Bett weiter räkelte , wenn ich zufällig an ihrer Kammer vorbeikam .
Und daß sich Toni heimlich in ihre Kemenate ein eisernes Öfchen setzen ließ , für den Landsmann wahrscheinlich , der sie häufig besuchte - war auch nicht schön .
Bis die Schäferstunde schlug versteckte sie ihn bei einer Flurnachbarin , der sie sich dann durch kleine Geschenke an Kohlen , Petroleum , Butter , Zucker erkenntlich zeigte .
Einen Cousin oder Landsmann hatten sie alle , alle , und ich lebte in beständiger Furcht , daß ich sie einmal mit einem der lieben Verwandten überraschen könnte .
Jemanden zu ertappen ist mir von jeher gräßlich gewesen .
Die Fürchterlichsten aber waren die Unehrlichen , und es gab ihrer so viele .
O Emilie ! o Lina ! und vor allem o Lene ! die hatte mir beim Mieten mit solchem Feuer ihre Ehrlichkeit gerühmt .
An ihren Fingern bliebe nichts kleben !
Ihr könne man alles anvertrauen .
Und ich vertraute ihr alles an .
Es fiel mir wohl auf , daß sie fortwährend größere und kleinere Kisten in die Heimat schickte , ich dachte aber nichts Böses dabei .
Und sie hätte uns wohl ruiniert , wenn nicht eines Tages ein Schutzmann sie abgeholt hätte wegen Diebstähle , die sie in einem Laden verübt .
Mußte ich einem Mädchen kündigen , so schlug mir immer im Moment der Tat das Herz bis zum Halse hinauf , als ob ich einen hinterlistigen Überfall beabsichtigte .
Wunderst Du Dich , daß ich all diese kleinen Miseren des Ausschreibens für wert halte ?
Du weißt ja nicht Arnold , daß für den Frieden oder den Unfrieden eines Hausstandes , ja für das Glück einer bürgerlichen Ehe , die Dienstboten einen der wichtigsten Faktoren abgeben .
Identifizierte mich doch Walter immer mit ihnen .
Er sagte nie anders als :
" Ihr . "
Ihr versteht nicht zu kochen , Ihr versteht nicht einzukaufen u. s.w .
Meine so sehr wirtschaftliche , praktische Mutter hatte nie an die hauswirtschaftliche Ausbildung ihrer Töchter gedacht .
Wir mußten im Haushalt das tun , was ihr im Augenblick bequem war : Strümpfe umkehren , sticken , Schoten aushülsen , Bohnen brechen , lauter Dinge , bei denen nichts zu lernen war .
Man legt oft unerfahrenen jungen Frauen zur Last , was von den überkommenen Gewohnheiten des Elternhauses an ihnen haften geblieben ist .
Mir hafteten unter anderen die Menüs der Mama an .
Einmal hatte Walter einen Vetter von außerhalb zu Tisch geladen .
Ich stellte meiner Meinung nach ein köstliches Mal zusammen : Apfelsuppe , Bouletten ( vom Rindfleisch des vorhergehenden Tages ) mit geriebenen Kartoffeln und Eierkuchen mit Mussauce .
Ich aß das alles sehr gern .
Und an die Apfelsuppe hatte ich sogar Rum gegossen .
Walter aber schämte sich dieses Menü's vor seinem Vetter , besonders der Mussauce , und nannte es scheußlich .
Er behauptete sogar , die Bouletten wären schlecht gebraten gewesen , was durchaus nicht der Fall war .
Daß die Köchinnen so oft schlecht kochten war doch nicht meine Schuld .
Mit einem anderen Menü , zu Ehren eines anderen Gastes erntete ich auch kein Lob , und ich hatte damit doch gerade die Scharte der Mussauce auswetzen wollen .
Hättest Du das so arg gefunden :
Eine kräftige Bouillon - wirklich kräftig .
Makkaroni mit Schinken .
Konnte ich darauf kommen , daß Auguste auch in die Bouillon Nudeln tun würde , obwohl es nur ganz dünne Fadennudelchen waren , die doch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit Makkaroni haben .
Walter fand aber diese Ähnlichkeit frappant , und goß die ganze Laune seines Spottes über diese Universal-Nudlung aus , ein Spott , der nach Jahren noch Nachläufer zeitigte .
Ich sah den Mahlzeiten meist sorgenvoll entgegen , immer auf den Augenblick wartend , wo Walter Messer und Gabel niederlegen , und nach dem Mädchen klingeln würde .
Ich wußte was nun kam .
" Auguste , das Zeug ist ungenießbar , bringen Sie mir sechs rohe Eier . "
Und er trank sie so recht boshaft vor meinen Augen aus und sagte : " Das hat die Natur herrlich eingerichtet , daß die Liebe zweier Geschöpfe ( er meinte Henne und Hahn ) so angenehm sein kann - für einen Dritten . "
Es scheint , das einzige , wozu ich als Hausfrau taugte , war anderen Hausfrauen als Folie zu dienen .
Nach Walter's Behauptung brauchten sämtliche Frauen seiner Bekanntschaft weniger Wirtschaftsgeld als ich , und leisteten dafür das doppelte .
In manchen Dingen war er naiver als ich .
Daß diese Damen einfach die Unwahrheit sagten , darauf kam er nicht .
Als ich in späteren Jahren eine recht passable Hausfrau geworden war , z.B. in der Kunst Menü's zusammenzustellen , geradezu hervorragendes leistete , stand mein Ruf als schlechte Hausfrau schon so fest , daß nichts ihn mehr zu erschüttern vermochte .
Unter allen möglichen Hausfrauentugenden strebte ich auch die Sparsamkeit an .
Mühselig , pfennigweise sparte ich , so recht kleinbürgerlich , hausfrauenhaft .
Ich versagte mir Zucker zum Tee und Kaffee , auch ein Kleid , an dem meine Phantasie , um nicht zu sagen mein Herz hing , oder eine Droschke wenn ich totmüde war .
Ich hatte eine wahre Lust an jedem Groschen , der in die tönerne Sparbüchse klapperte .
Und als aus den Pfennigen Taler geworden waren , da kaufte ich Walter zu sei einem Geburtstag eine Statuette , die er sehr bewundert hatte .
Was er wohl sagen würde ?
Ach , er sagte gar nichts , sah aber verdrießlich aus .
Und ich las seine Gedanken :
Er wollte mir kein freundliches Gefühl verdanken , sich von mir keine Verpflichtung auferlegen lassen .
Ich sparte von neuem .
Diesmal galt es einer Wiener Kaffeemaschine , die ich mir schon lange , beinahe leidenschaftlich gewünscht hatte , so eine von blinkendem Messing .
Nach Jahr und Tag hatte ich die erforderliche Summe beisammen .
Und als ich sie nun wirklich besaß , die blinkende Kaffeemaschine , da bemerkte ich mit betrübter Verwunderung , daß der Wunsch eigentlich schon verjährt war .
Ich machte mir gar nichts mehr aus dem Ding .
Sie galt auch nicht mehr für zweckmäßig .
Nicht das Schicksal der meisten Wünsche ?
Auch von Wünschen gilt : heute rot , morgen tot .
Ich kam selten mit dem Wirtschaftsgeld aus , darum suchte ich immer nach billigen Quellen .
Ich erinnere mich , wie glücklich ich eines Tages nach Hause kam , als ich auf dem Markt , im Schweiß meines Angesichtes , eine Fasanenhenne für einen Taler erhandelt hatte .
Die Lina - sie war der Auguste auf den Fuß gefolgt , die neben mir stand , hatte bei dem Handel so verbissen geschwiegen , als wollte sie sagen : handle Du nur , da wird was Schönes herauskommen .
Sie briet die Henne aber doch schön braun .
Ich war gespannt auf Walters freudige Überraschung .
An einem Wochentag Fasan !
Und in meinem Eifer sagte ich gleich :
" Und denke Dir nur , der ganze Fasan hat nur einen Taler gekostet . "
Er ließ die Gabel , mit der er eben den ersten Bissen zum Mund geführt hatte , fallen , " Natürlich , sagte er höhnisch , für einen Taler hat sie auch das Recht , ein bisschen zu stinken . "
Ich war wie vom Donner gerührt , und würgte mit meinen Tränen große Stücke der so schwer verdächtigten Henne herunter .
Es war gar nicht so arg , sie hatte nur einen kleinen Stich , und ich habe heute noch die Lina im Verdacht , daß sie sie absichtlich in die Sonne gelegt , um ihr und mir den Stich beizubringen .
Ein anderer Sparversuch trug mir auch nicht viel ein .
Im Hinterhaus bei uns wohnte eine arme Schneiderfrau , die schwärmte mir von einem so billigen Mehl vor , das sie in Steglitz ( ein Vorort Berlin's ) in einer Mühle kaufe , und wenn ich davon profitieren wolle , würde sie mir gern ihren kleinen Jungen mit einem Wägenchen mitgeben .
Die Vorstellung des billigen Mehls ließ mir keine Ruhe , und eines Morgens in aller Frühe sah ich mich mit dem Schneiderjungen und dem Wägenchen auf dem Wege nach Steglitz .
Die Mühle lag vor dem Örtchen .
Der Hinweg in der Morgenfrühe war angenehm .
Wanderlust und Frühlingsluft belebten mich , und daß das achtjährige Jüngelchen immerzu allerhand Wünsche und Bedürfnisse hatte , ging so hin .
Ich fand die Mühle und kaufte 10 Pfund Mehl wobei ich ganze 10 Silbergroschen ersparte ; nicht ganz so viel , wenn ich die Tasse Milch und die Butterbrote abziehe , die ich dem Jungen , der so sehr hungerte , geben ließ . -
Dann der Rückweg .
Ein Dornenweg war_es .
Dornen : die Sonne die immer heißer brannte , Dornen : meine wunden Füße , Dornen : das Gewicht des Mehl's .
Oft mußte ich unterwegs auf einem Stein rasten , weil ich nicht weiter konnte ; der Schweiß rann mir von der Stirn , der Staub der inzwischen belebten Chaussee trocknete mir die Kehle aus .
Halb tot kam ich nach Hause .
Am Torweg stand die Schneidersfrau und bat mich , ihr doch das billige Mehl abzulassen ; sie hätte augenblicklich kein Körnchen im Hause .
Gleich am anderen Morgen wolle sie nach Steglitz , sie würde mir dann das volle Gewicht retour geben .
Und ich gab ihr das Mehl , und sie hat es mir nie retour gegeben .
In den ersten beiden Jahren unserer Ehe blieb ich fast ganz einsam .
Ich schwor auf jedes Wort , das Walter mir sagte .
Und er sagte , ich passe nicht für die Kreise , die er im Interesse seines Berufs frequentieren müsse , und dabei ließ er durchblicken , daß diese Kreise zu locker , zu frivol , daß sie nicht gut genug für mich wären .
In den Vormittagstunden pflegte Walter zu arbeiten .
Wenn er dann ausging , versprach er zum Mittagessen zu Hause zu sein .
Er hielt selten Wort .
Die Abende verbrachte er regelmäßig außer dem Hause .
Ich wartete jeden Abend auf ihn .
Ich blieb auf bis ein Uhr , zwei Uhr , oder noch später in der Nacht , auf jedes Geräusch lauschend .
Und hörte ich dann die Haustür gehen , so schlüpfte ich eilig ins Bett , damit er nicht merken sollte , daß ich auf ihn gewartet .
Er hatte es mir ja verboten .
Jeden Abend deckte ich zierlich den Tisch für ihn , stellte ein Glas mit Blumen hin und Wein , kalten Aufschnitt , und eine Lampe mit buntem Schirm .
Ich glaube , er hat diese Herrlichkeiten nie bemerkt , nie den Aufschnitt berührt , ich aß ihn dann immer am anderen Abend .
Ich hatte viel Zeit .
Handarbeiten brauchte ich nicht mehr zu machen .
Da hätte ich ja nun ernsthaft an meine Geisteskultur gehen können .
Ein wahres Bildungsfieber erfaßte mich .
Walter hatte eine gute Bibliothek .
Ich griff hinein à la fortune du pauvre , und langte mir abwechselnd historische , naturwissenschaftliche , philosophische Bücher .
Ein Allzuhungriger , der sich eilig vollstopft , ernährt sich schlecht .
So ging es mir .
Es war ein unstätes Hin und Her .
Ich hätte jetzt meine Bücher nicht mehr zu verstecken brauchen .
Und doch tat ich es oft , zum Teil aus alter Gewohnheit , aber auch weil ich Walters Spott fürchtete .
Ich höre immer noch sein " Ah " oder " Na ja " dem er so verschiedene Nuancen zu geben wußte , geringschätzig mitleidige , oder maliziöse , je nachdem er einen faden Roman oder ein philosophisches Buch in meinen Händen fand .
Mit seinem Spott über die philosophischen Bücher , die ich zu lesen versuchte , hatte er nicht ganz Unrecht .
Aus dieser asketischen Sprache eines Kant oder Hegel starrten die Ideen mich so skelettartig an .
Mochte das Knochengefüge bewunderungswürdig sein , es mit Fleisch und Blut zu bekleiden war zu mühevoll für die Unbefugte , die ohne Vorstufen in das Allerheiligste dieser Gedankentempel dringen wollte .
Könnte es nicht Philosophen geben , die ihre Gedanken gewissermaßen dichteten ?
Sollte nicht , wer in die lichtesten Höhen steigt , leichtbeschwingt sein ?
Sie aber sind alle Taucher , die mit schwerem , kompliziertem Rüstzeug sich wuchtig in die Tiefe senken , wohin nur wieder Taucher ihnen folgen können .
Was für ein Entzücken müßte es sein große Gedanken zu empfangen wie Musik , die sich in unser Hirn schmeichelt , wie Wogen des Licht's , die unsere Finsternisse hinwegfluten .
Mir fehlte es auch für ernste Lektüre an Ruhe .
Immer war mein Sinnen und Trachten auf Walter gerichtet , und auf meine Hausfrauenpflichten .
Da tauchte vielleicht plötzlich mitten in einem schwierigen philosophischen System , ein Stück Käse vor meinem inneren Auge auf , das ich vergessen hatte unter die Glasglocke zu stellen , oder der Schreck über das Bier , das wieder einmal nicht auf Eis lag , überwog das Interesse an Kant's Zeit- und Raumproblemen .
Da griff ich dann immer bald wieder zu meinen lieben Schmökern zurück , zur Hahn-Hahn , der Marlit , die eben aufkam , und ähnlich Gearteten .
Wie mollig waren diese Damen , wie köstlich und weich betete man sich in dieser nie existierenden Welt voll reizender Abenteuer , die immer in lauter Seligkeiten endeten .
Ach ja , Arnold , es ist schon in meiner Natur eine Note Kolportage - Roman .
Hast Du das nicht bemerkt ?
Auf die Dauer aber bewirkte die Überladung mit diesem schalen süßen Zeug das Verlangen nach Starkem , Kräftigem , nach einer geistigen Gymnastik .
In Ermangelung von etwas anderem , suchte ich Zuflucht bei meinem mimischen Talent .
Ich weiß bestimmt , ich wäre eine hervorragende Schauspielerin geworden .
Ich improvisierte pantominische Tänze , oder Soloscenen , wo nicht nur meine Augen in schönem Wahnsinn rollten , sondern auch - um im Jargon meiner Liebesbriefe zu reden - ewige Gefühle , wie der Gesang wilder Schwäne , durch meine Seele rauschten .
Die ganze Stufenleiter menschlicher Gemütsaffekte brachte ich zum Ausdruck .
Süßes und Leises , kosend Schmeichelndes , Verzückung , Verzweiflung , Wahnsinn , Tod .
Wahnsinn , oder ein schmerzlich poetisches Hinsterben gelangen mir am besten .
Wenn ich dabei zufällig in den Spiegel blickte , erschrak ich zuweilen buchstäblich über die Dämonie meiner Gebärde , oder über die Agonie in meinen brechenden Augen .
Einmal , als ich wohl meinen Gefühlen zu sehr die Zügel schießen ließ , kam plötzlich die Lina ( Nachfolgerin von Auguste ) ins Zimmer gestürzt :
" Gott , Gott , was is denn los ? "
Seitdem dämpfte ich die Ausbrüche meiner Seelenbrände einigermaßen .
Ich war noch so jung .
Ich hätte noch Schauspielerin werden können .
Walter's etwaiger Widerstand hätte sich leicht beseitigen lassen .
Wäre nur jemand dagewesen , der die Sache in die Hand genommen , der ihn von meinem Genie überzeugt hätte !
Ich selbst ?
Ach nein .
Die leichteste Gegenrede entmutigte mich ja gleich .
Wenn man auf eine Schnecke Zucker streut , so fließt sie auseinander .
So war ich .
Nur brauchte es gerade nicht Zucker zu sein .
Übrigens nahm ich es mir nicht sehr zu Herzen , daß ich diesen Beruf verfehlte , ich wollte ja mehr werden als Schauspielerin - Dichterin .
Bei allem was ich tat und nicht tat , verlor ich dieses Ziel keinen Augenblick aus den Augen .
Es würde schon kommen .
Vorläufig freilich - ich fabulierte zwar endlos , sobald ich aber die Feder in die Hand nahm war alles verflogen .
Die Tinte war der schwarze Mann , vor dem meine Gedanken davonliefen .
In die ersten Monate meiner Ehe fiel ein kleines Ereignis , das ich damals absolut nicht verstand .
Ich schreibe es hin , so unbedeutend es ist , weil es einen Zug zu Walters Charakterbild liefert .
Er kam eines Abends ganz überraschend , schon gegen zehn Uhr nach Hause , mit einem sonderbaren , etwas verlegenem Wesen .
Ich solle mich so schnell und so hübsch als möglich anziehen .
Er habe draußen die Droschke warten lassen .
Ein kleiner Kreis seiner Bekannten wolle mich kennen lernen .
In zehn Minuten war ich fertig .
Ein am Halse geschlossenes schwarzes Seidenkleid , mein geliebtes , herzförmiges Medaillon , und dazu noch eine Uhr mit goldener Kette .
Kleine Spießbürgereien liefen immer bei mir mit unter .
In der Droschke war Walter gegen seine Gewohnheit sehr gesprächig .
Ich würde einige reizende Künstlerinnen und sehr liebenswürdige Kavaliere kennen lernen , und er erwarte , daß ich mich nicht wie ein kleines Pensionsmädchen benehmen werde .
Die Droschke hielt vor einem eleganten Restaurant unter den Linden .
Walter führte mich in ein behagliches , kleines Cabinet , wo auf Sopha's und Fauteuil's fünf Personen , drei Damen und zwei Herren , um einen zierlich servierten Tisch saßen .
Die Atmosphäre war stark parfümiert .
In Eiskübeln Champagner .
Die sehr hübschen Damen hatten duftende Sträuße in den Händen .
Zwei kannte ich von der Bühne her , die dritte , Fräulein Claus , war Gesangssoubrette .
Die Herren wurden mir als Graf A. und Baron B. vorgestellt .
Mein Erscheinen erregte Sensation .
Ich fühlte wie alle diese Augen mich durchbohrten , mich taxierten , und ich fühlte auch , daß ich bei dem Examen gut bestand .
Es war etwas in dem Verhalten der Gesellschaft mir gegenüber , das mit ihrem Gesichtsausdruck kontrastierte .
Sie sahen aus wie Leute , die man in einer Feststimmung jäh unterbrochen .
Die Damen , in fast steifer Reserviertheit blieben schweigsam , in einer Weise , als wüßten sie nicht , was sie sagen sollten , während die Herren in fast übertriebener Wohlerzogenheit die liebenswürdigsten Worte und Fragen an mich richteten .
Mein Platz war neben Fräulein Claus , die mich von Anfang an mit einer an Zärtlichkeit grenzenden Aufmerksamkeit behandelte .
Sie hatte ein feines bleiches Gesicht , eine Nymphengestalt , süße Veilchenaugen , und strömte einen starken Jasmingeruch aus .
Ihre Toilette war ein in definierbares Etwas von Buntem , Glitzerndem , Flatterndem ; man hätte dabei an einen geplatzten Regenbogen denken können .
Ich nahm mich auf's äußerste zusammen , um nicht Walters Mißfallen zu erregen , und antwortete degagierter und gewandter als es sonst meine Art war .
Ich weiß nicht wie es kam , aber diese Leute schüchterten mich nicht ein .
Vielleicht weil ich in ihren Blicken so viel Wohlgefallen las .
Allmählich aber wurde das Interesse für mich schwächer , und schließlich schien man mich beinahe zu vergessen .
Man sprach von Personen , von Verhältnissen , die mir ganz unbekannt waren , in einem Wirrwarr von Lachen , Anspielungen , Gesten , deren Sinn ich nicht faßte .
Die Damen wurden sehr ausgelassen , die Herren immer lässiger in ihrer Haltung .
Sie neigten sich so sonderbar und vertraut zu den Damen nieder .
Fräulein Claus sang französische Couplets , von denen ich keine Silbe verstand .
Ich fühlte in dieser Atmosphäre etwas Fremdes , Betäubendes , das mich beklommen und zugleich neugierig machte .
Der Graf ließ seine Serviette fallen , und als er sie auslangte , fühlte ich einen Augenblick seine Hand auf meinem Knie .
Er war ungeschickt , der Herr Graf , denn bald darauf belästigte er mich mit seinem Fuß .
" Herr Graf das war mein Fuß , nicht der Tischfuß , " sagte ich ohne Arg .
Er wurde sehr rot .
Die anderen lachten .
Walter stand mit einer gewissen Heftigkeit auf .
Er müsse fort .
Fräulein Claus schloß sich uns an .
Das schien Walter augenscheinlich nicht recht .
Ich weiß nicht , warum ich Fräulein Claus so sehr gefiel .
Mit ihren Händen strich sie liebkosend an meinem Kleid entlang , und lehnte ihre Wange an die meine .
Walter fuhr sie ein paar Mal grob an :
sie solle mich in Ruhe lassen .
Als die Droschke vor unserer Tür hielt fragte sie , ob Walter , nachdem er mich hinaufbegleitet , sie nicht nach Hause fahren wolle .
Er schlug es kurz ab .
" Glaube_es schon " lachte sie .
Und zu mir gewendet :
" Wie lange sind Sie denn verheiratet ? "
- " Sechs Wochen . "
- " Ach so - na - viel Vergnügen , "
Sie lachte wie ein Kobold .
Zum ersten Mal sah ich Walter mir gegenüber verlegen , und seit langer Zeit zum ersten Mal sagte er mir sogar etwas Schmeichelhaftes :
ich wäre ihm wie ein Stern unter Irrlichtern vorgekommen .
Es war in seiner Zuneigung an diesem Abend ein Körnchen wahrer Zärtlichkeit .
Ich empfand mich als seine Gattin .
Es ist so leicht für den Mann die Liebe seiner Frau zu gewinnen .
Ihn zu lieben hat sie so nötig - - ach Du weißt ja , was ich nicht sagen mag .
Nach Jahren erst verstand ich den Sinn dieses kleinen Soupers , und wie ich da hineingeriet .
Wahrscheinlich hatte man Walter mit seiner Frau geneckt , die ein Scheusal sein müsse , weil er sie verstecke .
Und als er das Scheusal bestritt , war man in ihn gedrungen mich in figura vorzuführen .
Und er hatte mich diesen Kurtisanen und ihren Liebhabern vorgeführt .
Und Frl. Claus - - höre nur :
Einige Monate nach diesem Souper erhielt ich einen anonymen Brief .
Darin stand , daß mein Gatte seine Abende bei seiner Geliebten zubringe .
Straße und Nummer des Hauses , in dem sie wohnte , waren bezeichnet .
In meiner Vorstellung waren Roman und Wirklichkeit etwas ganz getrenntes , beinahe Gegensätze .
In Romanen , - ja - da gab_es Treu- und Ehebrüche , die ja dann auch in der Regel an den Sündern fürchterlich gerochen wurden .
Dafür waren es eben Romane .
Aber im wirklichen Leben - undenkbar !
Und nun gar in meine bescheidene Existenz hinein sollte ein Ehebruch spielen !
Unsinn ! der Brief war eine Mystifikation , die Rache eines verschmähten Liebhabers der Dame , oder dergleichen .
Der Prozeß , der sich nun in meiner Seele abspielte , ist gewiß nicht neu .
Ich zerriß den Brief verächtlich , in der Überzeugung , damit auch jeden Gedanken an seinen Inhalt beseitigt zu haben .
Aber der Keim des Mißtrauens war gesät .
Er wuchs , und eines Abends lenkte ich unwillkürlich meine Schritte in die Friedrichstraße .
Ich ging an dem bezeichneten Haus vorüber , kehrte aber gleich wieder um .
Nein - so weit war ich denn doch noch nicht gesunken -
Spionage !
Pfui !
Eine Woche später war ich so tief gesunken .
Dem Haus gegenüber schritt ich in der Friedrichstraße wohl zwei Stunden auf und ab .
Nichts .
Beruhigt und reuig wollte ich den Heimweg antreten .
Eine Droschke hielt vor dem Hause .
Walter stieg aus mit - Frl Claus .
Alsbald verschwanden sie im Hausflur .
Ich wartete eine lange Weile .
Vielleicht hatte er sie nur nach Hause begleitet .
Er kam nicht wieder heraus .
Ich entfernte mich mit dem Gefühl etwas Außerordentliches , Unglaubliches erlebt zu haben .
Dergleichen geschah also wirklich : Ehebruch !
Es war meine erste Lektion in Welt- und Menschenkenntnis .
Ich war über alle Maßen aufgeregt .
Grämte ich mich ? wenn ich ehrlich sein will - nein .
Das Romanhafte des Erlebnisses beschäftigte mich vorzugsweise .
Mit Spannung erwartete ich an dem Abend Walter's Nachhausekommen .
Ich meinte , er würde mit seinem bösen Gewissen sich gleichsam in die Wohnung hineinschleichen , ganz leise , damit ich ihn nicht höre .
Es mochte gegen drei Uhr in der Nacht sein , als er kam , wie immer mit vielem Geräusch , eine heitere Melodie summend ; und wie immer warf er mit Gepolter seine Stiefel auf die Dielen .
Am anderen Tag betrachtete ich ihn mit einem Gemisch von Schrecken und Neugierde , wie eine Romanfigur .
So also sieht ein Mensch aus , der die Ehe bricht .
Ach Arnold , zehn Jahre später hätte ich eher Neugierde empfunden , wie ein Mann aussieht , der sie nicht bricht .
Ich war anderthalb Jahr verheiratet als mein erstes Kindchen geboren wurde .
Dabei geschah etwas Schauerliches .
Ob es wirklich war , oder nur ein Gebilde meiner kranken Phantasie , weiß ich heute noch nicht .
Meine Entbindung war eine schwere gewesen .
Fieber stellte sich ein .
Eines Morgens war das Fieber verschwunden .
Ein leichter Schlummer umfing mich .
Irgend ein Geräusch weckte mich .
Ich hörte wie der Arzt zu Walter sagte , er hoffe seine liebe Frau sei jetzt über dem Berg , käme aber das Fieber wieder , so stände er für nichts .
Jede auch die kleinste Aufregung müsse vermieden werden , besonders Abends .
Er machte Walter dafür verantwortlich .
Ich wußte , daß ein Kindbettfieber gefährlich ist .
Ich wollte nicht sterben , und ich nahm mir fest vor , mich durch nichts aufregen zu lassen .
Es war der fünfte Tag .
An den vorangegangenen Abenden war Walter sehr spät , und lärmend , wie es seine Gewohnheit war , nach Hause gekommen .
Diese Lieblosigkeit hatte mich aufgeregt .
Ich bat ihn inständig in den nächsten 2 - 3 Tagen nicht später als um neun Uhr heim zu kommen .
Er versprach_es .
Der Tag verging gut .
Am Nachmittag war Walter ausgegangen .
Sobald die Dunkelheit einbrach , wurde ich unruhig .
Man brachte mir die Abendsuppe nicht zur rechten Zeit , und als sie endlich kam , war sie angebrannt ; eine solche Kleinigkeit , aber sie erregte mich .
Mit aller Anstrengung suchte ich der Erregung Herr zu werden .
Es schlug neun .
Walter war nicht da .
Ich versuchte krampfhaft an etwas anderes zu denken , an das kleine Geschöpfchen da in der Wiege , und wie es heißen sollte , und was ich anziehen würde , wenn ich zum ersten Mal wieder aufstehen durfte .
Hätten die Uhren nur nicht geschlagen :
Halb zehn , zehn , halb elf - - Ich konnte nicht mehr .
Das Fieber ! es kam , stärker , viel stärker als am Abend vorher .
Um zwölf hörte ich ihn kommen .
Ich setzte mich im Bett auf .
Ob er noch zu mir eintreten würde ?
Ja , er trat ein .
Wie es mir ginge ?
Gut sagte ich .
Sonderbar , er schien gar nicht erfreut darüber .
Nur eine kleine Nachtlampe brannte .
Ich sah aber so deutlich seine Züge , als ob es heller Tag gewesen wäre .
Ich las darin eine kalte , grausame Neugierde .
Und er hob an zu sprechen .
Er sprach lange ; mir war_es als spräche er eine halbe Ewigkeit .
In seinen Worten war Bohrendes , wie Messerstiche oder wie zischende Flammen , die gierige Zungen nach mir streckten , aber das Bohrende und Zischende prallte immer von etwas ab , ich wußte nicht was es war .
Später wußte ich_es , das Fieber war_es , das mich betäubte .
So viel ich auch später darüber sann , ich konnte mich seiner Worte nicht mehr erinnern .
Ich meine aber , er sprach unaufhörlich von unserer unglücklichen Ehe .
Ich hatte die Empfindung , er stände gar nicht im Zimmer , sondern auf dem Hof , vor dem offenen Fenster , und von da spräche er hinein zu mir , und zwar in Versen .
Zuweilen klopfte es an mein Ohr wie Trommelwirbel bei einem Leichenbegängnis .
Ein ander Mal schienen die Worte langsam wie ein Lastwagen durch mein Gehirn zu fahren .
Dazwischen aber hatte ich Momente völligen Wachseins .
Dann war etwas diabolisch schadenfrohes in meiner Vorstellung ; ich hatte förmlich einen Spaß an seinen zwecklosen Bemühungen , und ich dachte : rede Du nur , rede , es macht mir ja nicht den geringsten Eindruck .
Ich sterbe nicht daran , nun gerade nicht !
Ich wußte bestimmt , ich würde nicht sterben .
Und ich starb ja auch nicht .
Wollte er mich töten ? war Mord in seinen Getan ken ?
oder war er nur angeheitert , und darum so betrübsam redselig , ohne zu wissen was er redete ? -
Ich überwand das Fieber .
Ich hatte eine zu gute Konstitution .
Aber meine Genesung ging sehr langsam von Statten .
Walter schien zu glauben , daß ich meine Schwäche fingierte .
Das kränkte mich , und ich zwang mich zu Anstrengungen , denen ich nicht gewachsen war .
Von diesem Mangel an Schonung datiert der Verfall meiner Gesundheit , die nie wieder blühend geworden ist .
Aber ich hatte ja das Kind , das geliebte !
Noch jahrelang nach meiner Verheiratung freute ich mich wie in meinen Mädchenjahren auf die Schlafenszeit , um im Bett ungestört an den Traumbildern künftigen Glücks zu schaffen , die sich so leuchtend von dem dunklen Grund der Wirklichkeit abhoben .
Aber ich träumte nicht mehr so ausschließlich wie früher .
Ich hatte sogar Tage , wo ich dieser nebligen Hirngespinste überdrüssig wurde , wo ich begriff , daß solche imaginären Lustbarkeiten doch nur Zwischenspiele sein konnten , und der Vorhang vor dem eigentlichen Stück noch gar nicht aufgezogen war .
Und ein jäher Schreck durchzuckte mich , ich könnte am Ende zu spät zur Aufführung kommen , oder wenigstens den besten Akt versäumen .
Allmählich änderte sich wirklich mein Leben .
Die Stille um mich her hörte auf .
Den ersten Anlaß dazu gab ein Studiengenosse und Corpsbruder Walters , der aus einer kleinen Stadt an das Amtsgericht in Berlin versetzt worden war , und der uns mit seiner jungen Frau besuchte .
Die Frau Amtsrichter Worms nahm mich unter ihre Protektion .
Wir luden uns gegenseitig ein .
In ihrem Haus trafen wir viele Menschen , darunter interessante , liebenswürdige .
Einige Familien kamen mir mit großem Wohlwollen entgegen .
Daß Walter mich nirgend eingeführt , hatte zu dem Gerücht Anlaß gegeben , ich sei nicht präsentabel , und es scheint , man fand mich nun doch präsentabel .
Als das Eis einmal gebrochen war , lud Walter alle möglichen Leute zu uns ein .
Es freute ihn augenscheinlich , ein Haus zu machen , und ich war weit entfernt ihm zu widerstreben .
Da er die Leute nach seinem Geschmack auswählte , waren es elegante , routinierte , in allen Tagesfragen bewanderte Gesellschaftsmenschen , unter denen ich mich als Fremde fühlte .
In anspruchslosere , weniger weltliche Kreise hätte ich mich vielleicht eher hineingefunden .
Mit einer Art Fieber ging ich in den ersten Jahren in jede Gesellschaft , immer mit der kindischen Erwartung , daß da irgend etwas Schönes , Aufregendes , Auserlesenes sich begeben würde .
Kaum aber umfing mich das Geräusch und die Lichtfülle der Gesellschaftsräume , so geriet ich in Verwirrung .
Meine Gedanken schwirrten umher wie aufgescheuchte Vögel .
Ich wußte ja kaum etwas von den Interessen , die diese Kreise bewegten , nichts von Politik , von Theater , Klatsch , Persönlichkeiten .
Wendete sich ausnahmsweise das Gespräch abstrakten Gegenständen zu , so nahm ich gleich lebhaften Anteil daran - in Gedanken .
Selber reden ?
nein .
Es erschreckte mich schon , wenn die anderen schwiegen , plötzlich meine laute Stimme zu hören .
Meine Schüchternheit war die Klippe , an der all meine etwaigen , geselligen Talente scheiterten .
Ich wollte mich gar nicht verstecken .
Nur schüchtern war ich , so über alle Maßen , so unsinnig schüchtern .
Mein Gott , was war denn diese Schüchternheit ?
Furcht anzustoßen ?
Nein .
Auch die lange Gewohnheit des Michverkriechens wäre keine ausreichende Erklärung für diese Schüchternheit gewesen , die grundloseste , schrecklichste , lächerlichste aller Eigenschaften , die je einen Menschen unglücklich gemacht haben .
Eine Nervenlähmung oder Nervenüberspannung ist sie , eine Art Scheintod der geistigen Fähigkeiten .
Ich höre , sehe , verstehe , und kann keinen Laut über die Lippen bringen ; eine Geistesverfassung , verwandt mit dem scheinbaren Trotz der Kinder , die , wenn sie um ein ersehntes Stück Kuchen zu erlangen , sagen sollen " bitte schön " , die zwei kleinen Worte nicht sagen , und wenn man sie halb tot schlüge .
Schüchterten mich etwa die Menschen ein , weil ich sie so hoch über mir sah ?
Durchaus nicht .
Ich muß lächeln , wenn ich an viele Leute denke , die mir so sehr imponierten , und die doch so sehr belanglos waren , Leute wie unter anderen eine Frau Bronowski .
Sie war nichts weniger als vornehmen Herkommens , stammte aus einem kleinen Nest in Posen , und hatte die Allüren , wenn nicht einer Prinzessin , so doch einer principessa . Sie war wunderschön , aber steif und einfältig , trug auserlesene Toiletten , und strahlte in Perlen und Diamantenpracht .
Steife Gebundenheit macht uns im allgemeinen leicht befangen , weil sie sich uns mitteilt .
Mehr aber noch setzen uns die Prätentionen so vieler Menschen in Verlegenheit , wenn sie im grellen Mißverhältnis zu ihrem wirklichen Wert stehen .
Es ist peinlich , ihnen den Zoll der Bewunderung , den zu fordern sie sich berechtigt glauben , nicht entrichten zu können ; und entrichten wir ihn aus feiger Höflichkeit , so leiden wir unter dem Malaise der uns aufgezwungenen Heuchelei .
Vor einem Jesus von Nazareth , oder sonst einem Abgesandten aus einer Welt , die jenseits aller Konvention liegt , wäre ich sicher nicht schüchtern gewesen .
Wo wir ganz Glauben , Begeisterung , ehrfürchtige Liebe sind , besinnen wir uns gar nicht auf uns selber .
Es schüchterte mich auch ein , daß ich mich in der geistigen Luft unserer Kreise nicht orientieren konnte , daß ich nicht an meinem Platz stand , daß man mich für etwas anderes nahm , als ich war Hätte ich mich plötzlich in meiner Eigenart gegeben , man würde mir gar nicht geglaubt haben .
Ein Feinfühliger kann nicht reden , wenn man ihn nicht hören mag .
Halte jemand für einfältig , und du hinderst ihn anders zu erscheinen .
Da waren herzlich unbedeutende junge Mädchen , die traten so keck und sicher auf , und man fand die Nichtigkeiten , die sie vorbrachten , reizend .
Sie hatten eben Chik , Routine und Selbstvertrauen , die mir fehlten .
Und daß in diesen Gesellschaften alles so laut , so schwül , so durcheinander war .
Wie eine kompakte Maße drang die Atmosphäre auf mich ein , ein Nebelmeer , indem alles ineinander wogte und schwamm , so daß ich einzelnes nicht unterscheiden konnte .
Schon eine Ansprache verwirrte mich .
Wie eingemauert war ich in meiner Schüchternheit , und ich litt unsagbar darunter .
Da verdammte man vielleicht in Grund und Boden etwas , das mich begeisterte - ein Buch , eine Meinung , eine Tat ; mein Herz erglühte , meine Lippen brannten zu sagen , was ich dachte und - ich blieb stumm - aus Schüchternheit .
Ganz einfachen anspruchslosen Leuten gegenüber verlor sich meine Befangenheit einigermaßen .
Darum war ich froh , wenn ich mich in Gesellschaft zu einer alten halbtauben Tante , oder sonst zu einer unscheinbaren kümmerlichen Dame setzen konnte , nur um untergebracht zu sein .
Es genierte mich wegen der Hausfrau , wenn niemand sich um mich bekümmerte .
Es ist der Gastgeberin immer unangenehm , wenn ein Gast nicht selbst für seine Unterhaltung sorgt , und ihr die Pflicht auferlegt sich um ihn zu bemühen .
Einsamkeit unter Menschen ist die drückest Einsamkeit .
Ohne die anderen habe ich wenigstens mich selbst .
Im Gewühl verliere ich auch mich .
Oft , wenn ich von meiner Sofaecke aus in das bunte Treiben blickte , dachte ich : Wunderlich , wunderlich , daß die Leute so viel essen und trinken , und wie sie lachen , und ihre Gesichter rot und heiß werden , und die Männer sich die Schweißperlen von der Stirn wischen .
Und wunderlich , wunderlich dünkte mich dieses Flattern und Schwirren , und Sichblähen , diese gierig suchende Blicke , dieses spielige , tändelnde Plänkeln um die Liebe herum , als spielten sie wie die Kinder Katz und Maus und Blindekuh und Mokierstuhl .
Aber sie amüsierten sich , Alle , Alle .
Ich hätte mich auch gern amüsiert , und zuweilen packte mich eine brennende Ungeduld , wie sie etwa über einen bedeutenden Schauspieler kommen mag , der unter den Zuschauern sitzt , während auf der Bühne ein schlechter Schauspieler seine Rolle verhunzt .
Oder ist das Beispiel von dem Prinzen im Märchen besser , der in ein Ungeheuer verwandelt wurde , und der doch weiß , er ist gar kein Ungeheuer , sondern ein lieber , guter Prinz , und der denen , die vor ihm davonlaufen , gern zuriefe :
Ich bin ja gar nicht , was Ihr glaubt , sprecht doch das erlösende Wort , und ich verwandle mich in den Prinzen .
Ach zu mir sprach niemand das erlösende Wort .
Ich selbst wußte das Wort noch nicht .
Später erfuhr ich_es .
Für ein Ungeheuer hielt man mich nun gerade nicht .
Im Gegenteil , Schmeichelworte über meine Schönheit hörte ich bis zum Überdruß .
Hättest Du mich damals in Berlin gekannt , an der kleinen linkischen Person wärst Du sicher auch vorübergegangen .
Siehst Du , häufig , wenn Leute , die mich noch nicht kannten , in eine Gesellschaft traten , erregte ich sofort ihre Aufmerksamkeit .
Sie näherten sich mir mit Beflissenheit .
In meiner Verwirrung sagte ich dann irgend etwas ganz Banales , Herkömmliches , das gar nicht meine Meinung war , nur um überhaupt etwas zu sagen , und ehe ich mich noch sammeln konnte , waren sie schon wieder fort .
Die Leute hatten es immer so eilig , wollten sofort eine glänzende Replik oder etwas das versprach . Hätten sie nur Geduld gehabt , ich würde mich schon zurecht gefunden haben , aber während sie mit mir sprachen , blickten sie schon immer von mir fort , zu Anderen hinüber .
Oft war die Ansprache auch nur eine konventionelle Höflichkeit , oder eine flüchtige Huldigung , die meiner äußeren Erscheinung galt .
Und die meisten hatten auch eine so wenig geschickte ganz stereotype Form der Anrede :
" Gnädige Frau sind wirklich beneidenswert . "
- " Wie so ? "
" Im Besitz eines solchen Gatten " - Folgte eine Lobeshymne auf Walter und sein neuestes Stück .
- " O gewiß , " antwortete ich ebenso stereotyp , und dieses " gewiß " mag ja kaum versprechend gewesen sein .
Ich konnte doch aber fremden Menschen nicht auseinandersetzen , warum ich , trotzdem man Walter bei der Première seines letzten Stückes sechsmal herausgerufen hatte , gar nicht so beneidenswert war .
Da sich solche Erfahrungen oft wiederholten , empfand ich schließlich Unbehagen , wenn sich mir überhaupt jemand näherte , dem ich ansah , das er etwas von mir erwartete , und ich atmete erleichtert auf , wenn der Kelch einer Annäherung an mir vorüberging .
Ich merkte es bald , alle Welt sah mich , wie Walter mich sah , oder mich gesehen haben wollte .
Eine Frau wird auch von Anderen gering taxiert , wenn ihr Mann mit seinem Beispiel vorangeht .
Die Leute denken , der muß doch am besten wissen , was an ihr ist .
Ich kannte einen Schriftsteller , den man einmal ( noch dazu ungerechterweise ) eines Plagiats beschuldigt hatte .
Seitdem spähte man in allen seinen Schriften nur nach Plagiaten .
Mir hatte man Dummheit nachgesagt .
Nun deutete man alles , was ich sagte , auf Dummheit .
Ich verglich im stillen , was ich gedacht und nicht ausgesprochen , mit den ausgesprochenen Meinungen vieler Anderen .
Und meine Waage stieg .
Ich war überhaupt erstaunt , wie wenig Bedeutendes und Anregendes in unseren Kreisen zur Sprache kam , und wie beifällig Oberflächliches aufgenommen wurde .
Viel Anekdoten und Geschichten wurden erzählt .
Künstler und Schriftsteller verhandelten mit wichtiger Breite die geschäftlichen Seiten ihres Berufs ; daneben beherrschten Theater , Flirt , Persönliches , die Unterhaltung .
Und kam einmal Wissenschaftliches , Politisches , Künstlerisches zur Diskussion , gleich platzten die Geister aufeinander mit Schlachtrufen , Verwundungen , Erbitterungen , bis zur Lust moralischer Totschläge .
Diese Art der Geselligkeit hätte mir mißfallen , auch wenn ich nicht schüchtern gewesen wäre .
Auch Walters Gegenwart beirrte mich .
Daß er immer hinhörte wenn ich redete , ( warum weiß ich nicht ) nahm mir den letzten Rest von Freiheit .
Er war etwas Spitzes , an dem ich mich verwundete , etwas Umfangreiches , das mir Raum und Licht nahm , zuweilen eine Peitsche , unter der ich zusammenzuckte .
Ich fürchtete mich auch beinahe in seiner Gegenwart Originelleres , Geistreichklingendes vorzubringen .
Ich wußte , es würde ihn reizen , vielleicht nur , weil es nicht zusammenstimmte mit seiner Meinung über mich und er es wie einen Widerspruch empfunden hätte .
Und Widerspruch konnte er nicht vertragen , am allerwenigsten von meiner Seite .
Riskierte ich aber einmal , in einem kleineren Kreis und in einem Augenblick , wo ich meinte , er achte nicht auf mich , zu sagen was der Augenblick mir eingab , so hatte er es doch gehört , und durch ein sarkastisches Lächeln oder einen Augenaufschlag zur Zimmerdecke , als wolle er Gott zum Zeugen meiner Einfalt anrufen , verschloß er mir gleich wieder die Lippen .
Ich litt unter dieser Geringschätzung , aber noch mehr unter dem eigenen grenzenlosen Mißtrauen gegen mich , die Folge der Geringschätzung der anderen .
Ich war am Ende wirklich eine Gans , nur , daß ich nicht schnattern konnte wie die anderen Gänse .
Es war doch unmöglich , daß alle , alle blind waren .
In meiner Kindheit bildete wenigstens die Schule , in der ich für ein Licht galt , ein Gegengewicht zu der unfreundlichen Beurteilung , die ich im Hause erfuhr .
Zeigte mir einmal jemand wirkliches Interesse , so flüsterte mir mein Mißtrauen zu : der weiß noch nichts von Dir .
Er wird schon erfahren , daß nichts mit Dir los ist und dann - - Oder ich dachte , er kommt nur zu Dir , weil er von Deinem Mann eine Gefälligkeit will , etwa die Besprechung eines Buches , und er wünscht Deine Vermittlung .
Ja , ich ging in meinem Mißtrauen noch weiter .
Ich ertappte mich darauf , daß ich gegen die , die mir liebenswürdig entgegenkamen , den Verdacht hegte , daß mit ihnen auch nichts los sei , und daß sie sich nur faute de mieux mit mir abgaben , weil die Anderen von ihnen nichts wissen wollten .
Allgemach aber , je mehr ich sah und hörte und verstand , stiegen doch wieder Zweifel an meiner Dummheit in mir auf .
War ich dumm ? war ich klug ?
ich mußte dahinterkommen .
Ich stellte Experimente an .
Ich ersann Listen ; z.B. ich merkte mir besonders geistreiche und tiefsinnige Aussprüche von Goethe , Schopenhauer , und anderen erlauchten Geistern , in deren Bücher ich eigens zu diesem Zweck blätterte .
Und wenn sich im Gespräch Gelegenheit dazu bot , so wendete ich diese Aussprüche an , möglich , daß es in etwas zaghafter Manier geschah .
Und sieh da - dasselbe Resultat , als wenn ich eigene Weisheit produzierte .
Man überhörte meine Worte oder lächelte darüber hin , und Walter schlug gerade so über Göthe'sche oder Shakespeare'sche Aussprüche , wie über meine eigenen , die Augen zur Zimmerdecke auf .
Aha , dachte ich , es kommt also gar nicht darauf an , was gesagt wird , sondern nur darauf , wer es sagt , höchstens kommt noch das wie in Betracht .
Es gab noch anderes , das den Glauben an meine Dummheit ins Wanken brachte .
Nicht allzu selten fand ich in Büchern , in anerkannt guten , Auffassungen , Ideen , Empfindungen , die den meinigen so sehr glichen , daß ich vor Vergnügen dunkelrot wurde .
Da konnte ich doch nicht gar so einfältig sein .
Nur unwissend war ich , unglaublich unwissend .
Dieser Unwissenheit durch ernste Arbeit abzuhelfen , war ich zu träge , zu verträumt , zu energielos .
Ich hätte ja auch selbst die Wege zur Abhilfe finden müssen .
Ich ?
ich fand nie etwas .
Weder im Hause , noch auf der Straße , noch in der Welt habe ich mich je orientieren können .
Und weiter :
In Charlottes Kreise ( ach so , Du weißt noch nichts von Charlotte , gleich erfährst du von ihr , ) hatte ich meine Redescheuheit so ziemlich überwunden .
Was mir an Ideen , Einfällen , Urteilen durch den Kopf fuhr , äußerte ich frank und frei .
Man gab mir zu verstehen oder sagte es mir unverhohlen ins Gesicht , daß ich ja doch nur meinem Mann nachspräche .
Ei , dachte ich , ich bin also durchaus nicht dumm .
Den Walter haltet Ihr doch für geistreich .
Meint ihr , ich spräche ihm nach , so muß euch doch geistreich vorkommen was ich sage .
Aber das alles wäre vielleicht nicht hinreichend gewesen , mich in meinen Augen ganz von der Dummheit zu entlasten , wenn Charlotte nicht in mein Schicksal eingegriffen hätte .
Du hast sie nicht kennen gelernt .
Zu deiner Zeit war sie schon meinem Gesichtskreis entschwunden .
Allmählich kam ich mit mir ins Reine .
Nein , ich war nicht dumm , eher das Gegenteil .
Mochte man mich nun immerhin für einfältig halten , mir lag nicht mehr so viel daran .
Wenn ich nur wußte , daß ich_es nicht war .
Und wenn mir nun Kluges oder Originelles einfiel , so behielt ich es für mich , ohne jedes Verlangen , es an die große Glocke zu hängen .
Ich freute mich über den Erfolg , den ich damit bei mir hatte und dachte nebenher , wenn ich erst eine berühmte Schriftstellerin geworden bin , dann werdet Ihr schon merken , wessen Geistes Kind ich bin .
Dann aber , und das sollte meine Rache an der Gesellschaft sein - gehe ich in die tiefste , tiefste Einsamkeit , den " Beifall des schnöden Pöbels ( ich zitiere Platen ) ganz verachtend . "
Es entwickelte sich bei mir ein geradezu glänzender espirt de l' eskalier .
Kam ich von einer Gesellschaft , in der ich ein stummer Zuhörer anregender Gespräche gewesen war , nach Hause , so setzte ich die Gespräche in Gedanken fort , und eine solche Fülle von Bildern , Argumenten , Worten drang auf mich ein , daß es mich ergriff , aufregte .
Ich genoß mich selbst schwelgerisch .
Glaubt man wirklich , daß es nur eine Eitelkeit gibt den Anderen gegenüber ?
Ich weiß es besser .
Es gibt eine Eitelkeit vor sich selber .
Eine witzige Replik , die mir einfiel , und die ich nicht aussprach , machte mir ebenso viel Vergnügen , als hätte ich vor einem großen Publikum Beifall damit geerntet .
Von der gewöhnlichen Eitelkeit bin ich immer völlig frei gewesen .
Es ist kein Verdienst dabei .
Wie sollte ich eitel sein ?
die ich sein möchte , kann ich ja doch niemals sein .
Das mir erreichbare lockte mich nicht .
Zu wenig war_es , viel zu wenig . Während einiger Monate wurde die Geselligkeit für mich durch die Geburt meines zweiten Kindes unterbrochen : ein kleines Mädchen .
Edeltraut nannte ich es .
Edel sollte es werden und doch mir traut .
Und so wurde es , gerade so .
Vom Augenblick seiner Geburt an liebte ich dieses Kind unsinnig , mehr als sein pfiffiges , krausköpfiges , blondes Brüderchen .
O Arnold , es gibt eine intime berauschende Seligkeit , die nie ein Mann kennen lernt , die Seligkeit einer Mutter , die ihren Säugling an der Brust hält .
Ich habe oft darüber nachgedacht , was eigentlich diese Liebe sei ?
Eine Tugend ?
Nein .
Die leidenschaftliche Zärtlichkeit für dieses Stückchen lebendiger , noch unbeseelter Materie hat mit der Tugend nichts gemein .
Eher noch ist_es eine Sinnenliebe , eine beseligende Trunkenheit .
Man kann sich auch in Nektar berauschen .
Oder meint man , diese Liebe sei der Samariterzug im weiblichen Gemüt , der sich des Hülflosen so zärtlich annimmt ?
Nein .
betätigt sich auch das Mitgefühl der Frau fremden hülflosen Kindern gegenüber noch so gütig und energisch , bis zur Liebe steigert es sich selten .
Eitelkeit vielleicht die Quelle der Mutterzärtlichkeit ?
Nein .
Auch die häßlichen , unbegabten Kinder , Krüppel und Schwachsinnige werden geliebt .
Oder Selbstsucht ?
Die Mutter ist jeden Augenblick bereit , ihr Leben für das Kind hinzugeben .
Ist das Selbstsucht ?
Viel eher ist es die Liebe des Schöpfers für sein Geschöpf .
Warum liebt Gott den Menschen ? nicht auch , weil er sein Geschöpf ist ?
Dem Kind gegenüber spielt die Mutter ein wenig den lieben Gott .
Sie ist seine Vorsehung , von ihr empfängt es Nahrung .
In der Mutter fängt die Welt des Kindes an , und hört sie auf .
Jede zarliche Mutter fühlt die inbrünstige Wonne eines Pygmalion , der seiner Galatea Leben gibt und Seele .
Oder ist diese Liebe doch vielleicht ein übersinnlicher Instinkt , der die Mutter naturgewaltig zwingt , des Funkens zu hüten , damit es der Zukunft nicht an Flammen fehle !
Wozu darüber grübeln ?
Mag es ein süßes Mysterium des Weibes bleiben . Dir , Arnold , will ich gestehen , daß an meiner Mutterliebe die Schönheit der Kinder einigen Anteil hatte .
Bildhübsch war das krausköpfige Walterchen .
Und nun gar das Engelsantlitz meiner Traut , mit Augen von so geheimnisvoller Tiefe , so wunderbaren , als hätten sie die Erinnerung bewahrt von etwas , was sie vor ihrer Geburt geschaut .
Oft füllten sich meine Augen mit Tränen inniger Rührung , dieser Holdseligkeit gegenüber .
Wenn des Knaben goldene Locken oder Trauts metallisch glänzende Mähne durch meine liebkosenden Finger glitten , das war mir ebenso sehr ein Schönheits- als ein Liebesgenuß .
Zuweilen empfand ich meine überquellende Zärtlichkeit fast wie eine Unkeuschheit .
Wollust war in diesem Entzücken , mit dem meine Hand an der Samtweichen Haut der Kinder tastete , mit dem ich die girrenden Tönen von ihren rosigen Lippen küßte .
Ich hielt dann wohl inne in meinen Liebkosungen und kniete vor dem Kinde , - meinem Heiligtum .
Ich meine , man müßte sich über die Maßen wundern , wenn die Legende von Engeln nicht entstanden wäre , da es doch Mütter gibt .
Und doch , auch diese geliebten Kinder hatten mir ein Leid heraufbeschworen .
Die böse alte Kinderfrau , die uns nach des Knaben Geburt eine von Walters Freundinnen so dringend empfohlen hatte .
Ich meine heute noch , daß sie ihre Sache nicht verstand .
Aber Walter glaubte an sie .
Streng war sie und willensstark .
Mich übersah sie völlig .
Ihre langjährigen Erfahrungen und brillanten Zeugnisse wurden , wenn ich mich einmal bei der Kinderpflege beteiligen wollte , meiner Unerfahrenheit entgegengestellt .
Sie allein bestimmte die Ernährung , den Schlaf , die Ausgänge des Knaben .
Versuchte ich irgend eine Annäherung an den Kleinen , wollte ich ihn tragen , wiegen , so fand sie , daß ich alles verkehrt mache .
Du wirst es kaum glauben Arnold , aber wenn ich mein Kind haben wollte , mußte ich mich heimlich und verstohlenerweise seiner bemächtigen .
Ich sah voll Neid , wie die Alte den Kleinen in seinem Wägenchen im Garten umherkutschierte .
Einmal hatte sie einen notwendigen Gang in die Stadt .
Das Kind schlief , als sie ging .
Durch einen Zufall wachte es vor der Zeit auf .
Schnell ließ ich mir von dem Mädchen das Wägenchen in den Garten tragen .
Das war eine Fahrt !
Wir jauchzten , ich und das Kind .
Wir wagten uns sogar ein bisschen auf die Straße hinaus .
Das Gärtchen war zu klein für unser großes Glück .
O weh , da attrapirte uns die Alte , Zornrot war sie .
Das wäre ihre Sache das Kind zu fahren ; und wenn man sie nicht brauche , könne sie ja gehen , und in ihrer Verärgertheit stieß sie mit den zittrigen alten Händen , dem Kind so heftig das Fläschchen in den Mund , daß es laut aufschrie !
Daß ich sie nicht würgte in diesem Augenblick !
Ich wollte sie gehen lassen .
Walter erlaubte es nicht .
Die Alte hätte recht gehabt .
Meine gesuchte Originalität , mich mit einem Kinderwagen öffentlich zu produzieren , wäre absurd .
Und ich und das Kind , wir weinten .
Ich heimlich , das Kind laut .
Zuweilen hörte sie in der Nacht nicht , wenn der Kleine weinte .
Leise , leise stand ich dann auf , hob ihn behutsam aus dem Bettchen , immer ängstlich hinhorchend , ob der Cerberus nicht erwachen würde .
Und wiegend und leise summend , trug ich mein Kind , und schien der Mond durchs Fenster , war das Stelldichein um so süßer und zärtlicher .
Und der kleine Schelm girrte und lachte , als wüßte er , daß wir die Alte überlistet hatten .
Als mein zweites Kind geboren wurde , da war ich schon mutiger , vielleicht , weil ich das kleine Mädchen noch mehr liebte , als sein Brüderchen .
Die Alte war wohl auch schwächer geworden , und daß ich ihr einen Teil der Kinderpflege abnahm , entsprach ihrem Behagen .
Meine Traut , sie gehörte mir , mir allein .
Als das Kind noch nicht zwei Jahr alt war , schlug die Alte es eines Tages mit einer Leine , die sie gerade in der Hand hielt , auf die Fingerchen , weil sie sich diese rosigen Fingerchen mit Butter beschmiert hatte .
Da erwachte die Löwin in mir , der man ihr Junges antasten will .
Ich jagte sie auf der Stelle fort .
Walter verhielt sich einem fait accompli gegenüber immer merkwürdig gefügig .
Meine Mutterliebe trug einige sonderbare Blüten .
Das Nähen war mir von jeher verhaßt gewesen .
Ich brauchte jetzt nicht mehr zu nähen .
Und nun nähte ich freiwillig .
Mit mühsamen Fleiß stickte ich halbe Tage lang Kinderkleidchen und Schürzchen .
So schön wie möglich sollten meine Kinder sein .
Angst und Sorge brachten sie mir auch wenn sie krank wurden .
Dazu schuf mir die Phantasie eingebildete Schrecknisse .
Oft plötzlich , auf der Straße , oder Abends in Gesellschaften , oder im Theater durchzuckte es mich : den Kindern zu Hause ist etwas geschehen !
In schauriger Ahnung sah ich Walterchen aus dem Bett gefallen , oder Traut weinte und niemand hörte es , oder die Lampe war umgefallen , das Zimmer brannte , ich würde zu spät kommen .
Solche Vorstellungen steigerten sich oft bis zu Halluzinationen .
Und ich verließ das Theater oder die Gesellschaft , wo ich mich gerade befand , warf mich in eine Droschke , versprach dem Kutscher ein doppeltes Trinkgeld , nur schnell sollte er fahren , rasend schnell .
Atemlos keuchte ich die Treppe herauf , stürzte ins Kinderzimmer und - da lagen sie , meine Kinder , in ihren Bettchen , rosig , sanft schlummernd .
Walter ließ mir so ziemlich freie Hand bei der Erziehung der Kinder .
Er hatte gar keine Zeit sich um sie zu bekümmern .
Er erzog nur in Anfällen .
Griff er aber einmal ein , so versetzte er mich damit jedesmal in Schrecken .
Wenn die Kinder in Streit gerieten , und das jähzornige Bübchen über das Schwesterchen herfiel , das sich dann mit Kratzen wehrte , so amüsierte er sich darüber königlich und reizte und hetzte die Kinder zu immer hitzigerem Kampf .
" Zu ! los ! drauf !
Laß Dir nichts gefallen Mädel !
Hussa !
Hei ! "
Er steckte den Kindern Zigaretten in den Mund , gab ihnen Wein zu trinken , wollte sich dann über ihre lustigen Kapriolen halbtot lachen , und nannte Walterchen sein kleines Corpsbrüderchen .
Die Kinder sollten ihm eben , wie alles übrige , Plaisir machen .
Walterchen artete ganz nach dem Vater .
Er wußte alle Dinge zu seinem Vorteil oder seinem Vergnügen auszubeuten .
Und schlau war das Bübchen , viel schlauer als Traut .
Einmal war er sehr unartig gewesen , und ich schalt ihn heftig .
Er will sich vor Lachen kugeln .
- " Wie , Du lachst , wenn ich schelte ? "
- " Ja , weil ich mir nichts daraus mache . "
- " Du machst Dir nichts daraus ? "
- " Weil Du doch gar nicht wirklich böse bist , Dich kennt man schon . "
Ich erzählte ihm von einer Familie , die so arm war , daß sie Mittags nichts zu essen hatte .
Ob er ihr nicht von seinem Mittagbrot etwas abgeben wollte .
" Ja , ja , " rief er gleich , " bitte Muttchen , gib ihnen meine Suppe , daraus mache ich mir nichts . "
Sie stritten sich einmal , wer mich am liebsten hätte .
" Ich , " sagte Walterchen , " habe Dich so lieb , wie der Teufel bös ist . "
Und Traut : " ich habe Dich so lieb , wie der Gott gut ist . "
An dem größten Kummer aber , den ich um des Knaben Willen litt , war er schuldlos .
Ich lief ab und zu Schlittschuh .
Die Eisbahn war kaum zehn Minuten von unserem Hause entfernt .
Walterchen - er war gerade vier Jahre alt - quälte mich immer ich sollte ihn mitnehmen .
Einmal tat ich ihm den Willen .
Nun mußte ich immer im Kreis um ihn herumlaufen , um ihn nicht aus den Augen zu verlieren .
Eine Dame meiner Bekanntschaft bot mir an , den Kleinen eine Weile in ihre Obhut zu nehmen .
Inzwischen sollte ich tüchtig auslaufen .
Ich nahm das Anerbieten an .
Als ich nach kaum fünf Minuten zurückkam , fand ich die Hüterin meines Schatzes in lebhaftem Gespräch mit einer anderen Dame .
Das Bübchen war fort .
Der Schrecken der Dame und ihre Beteuerung , daß sie das Kind eben noch an der Hand gehalten , änderten nichts an der Tatsache .
Zuerst suchten wir ruhig und umsichtig die ganze Eisbahn ab , und fragten Bekannte und Unbekannte nach dem Kinde .
Allmählich aber wurde mein Suchen angstvoller , bis ich zuletzt nur noch heiser , in Todesangst , nach ihm rief .
So oft und so laut wir auch seinen Namen über das Eis schrien - keine Antwort .
Ich dachte , wenn er in eins der tiefen Löcher gefallen wäre , die man hier und da ins Eis gehauen !
Einige dieser Löcher befanden sich an Stellen , wohin kein Schlittschuhläufer kam .
Ohne das Kind würde ich mein Haus nicht wieder betreten , das stand fest bei mir .
Es war dämmerig geworden .
Mir fiel ein , der Eisbahn gegenüber wohnten Bekannte .
Mit den Kindern dieser Famlie hatte Walter oft gespielt .
Dahin würde er gelaufen sein - natürlich .
Ich stürzte hin .
Er war nicht dagewesen ; wieder zurück .
Ich zweifelte kaum noch : er war blindlings in den Tiergarten hineingelaufen , und er würde sich nicht zurückfinden , in der Nacht vor Angst und Schrecken sterben - erfrieren .
Ich war halb von Sinnen .
Niemand war mehr auf der Eisbahn .
Die fahrlässige Dame war auf das nächste Polizeiamt gelaufen die Meldung von dem verlaufenen Kinde zu machen .
Ich stand eine Weile vor einem tiefen schwarzen Loch .
Das wählte ich mir gewißermaßen .
Ehe ich da hinab tauchte , wollte ich einen letzten Versuch machen .
Daß das kleine Bübchen den Weg nach Hause gefunden haben sollte , war so unwahrscheinlich wie möglich , aber nicht völlig ausgeschlossen .
Ich würde in der Wohnung anklingeln , und ganz ruhig fragen , ob die Dame mit Walterchen nach Hause gekommen wäre .
Lautete die Antwort verneinend , so würde ich umkehren .
Ich zog die Klingel ; der Ton durchschauerte mich .
Mit bebenden Lippen tat ich die Frage .
Ja wohl , Walterchen wäre schon seit drei Stunden zu Hause , aber er wäre ganz allein gekommen , und als der Papa gefragt , wie er so ganz allein daherkäme , da hätte er geantwortet :
er wäre so unter die Menschen gekommen .
Der Herr Doktor wäre ganz außer sich vor Erstaunen gewesen , daß der Kleine den Weg gefunden .
Ich empfand zu gleicher Zeit jauchzende Freude und brennenden Schwärz .
Warum Niemand auf die Eisbahn gekommen wäre , mich zu benachrichtigen ?
Der Herr Doktor hätten_es verboten .
Ich trat ins Zimmer , Walterchen sprang mir lustig entgegen .
Als ich ihn leidenschaftlich an mich preßte , sagte er schelmisch listig :
" Hast Du auch rechte Angst gehabt Muttchen ? "
- " Ja - ja . "
" Siehst Du , das ist Dir ganz recht .
Warum hast Du nicht auf mich aufgepaßt !
Papa hat es gesagt . "
Papa kam dazu .
Er hatte des Knaben letzte Worte gehört .
- " Und Du hast niemand an die Eisbahn geschickt ? mich in Todesangst vergehen lassen ! "
- " Der Junge hat_es schon gesagt :
Strafe muß sein . "
Er sagte das ungeheuer gemütlich .
Die Sache kam ihm offenbar sehr vergnüglich vor .
Ich stürzte in mein Schlafzimmer .
Traut lag im Bettchen und schlief .
Durch die langen dunklen Wimper wurde ein wenig von dem unteren Rand des Augapfels sichtbar , ein zartes Licht wie aus einer anderen Welt .
In diese andere Welt zog es mich hinüber .
Das süße Bild , es wirkte auf mich wie ein Psalm des Friedens .
All meine zornige Erregung schwand dahin .
Und ich , ich hatte daran gedacht zu sterben , und das holde Geschöpf da lebte .
Ich war nicht mehr zornig , betrübt nur , betrübt bis zum Tode , daß ich eines Mannes Gattin geworden , der mich in aller Gemütsruhe drei Stunden auf die Folter spannen konnte .
Wer und was war denn dieser Mann ?
Jetzt , da er mir in weite Ferne entrückt ist , tritt mir sein Charakterbild immer klarer vor Augen .
Eitelkeit und Lebenslust , eine derbe , zupackende , waren vorherrschend in ihm .
Eigentlich ein beneidenswerter Mensch .
Gleich phänomenal seine Arbeits- und seine Genußkraft .
Ein toller Lebenswandel , den er führte .
Dabei ärgerte er sich täglich mehrere Male halb tot ; jede schlechte Kritik zog ihm einen Nervenanfall zu .
Der Erfolg ist sein Gott .
Erfolg auf der Bühne , Erfolg bei den Frauen , in der Gesellschaft .
Ich wunderte mich oft im Stillen über die begeisterte Schätzung , die ihm von aller Welt zu Teil wurde .
Er hat Geist , ja , quantitativ sogar viel , aber es ist ein spieliger Geist , ein zappelnder , rastloser , an der Oberfläche tänzelnder Geist .
Er denkt nur für Honorar , zu ganz bestimmten Zwecken ; z.B. darüber , wie eine Szene wirksam zu gestalten , oder wie eine verfängliche Moral , etwa durch geschickt lancierte Patriotismen zu übertünchen sei .
Er ist findig , wo es gilt eine gute Kritik , einen Titel oder Orden , eine Einladung zu einem Minister oder eine hübsche Frau zu erhaschen .
Er kennt keine geistigen , keine Seelenschmerzen , nur literarische , wenn z.B. eins seiner Stücke abfällt .
Er ist immer derselbe .
Fix und fertig scheint er von Hause aus .
Ich habe nie bemerkt , daß er über irgend einen Gegenstand im Laufe der Jahre seine Ansicht geändert hätte .
Ich meine , er muß als Knabe gewesen sein , wie er als Jüngling war , als Mann ist , und wie er als Greis sein wird .
Prasselnd lebendig ist er , und hat doch etwas Totes an sich .
Nichts ist an ihm geheim , rätselhaft ; aus seinen ärgsten Gedanken macht er kein Hehl , aber sie sind eigentlich gar nicht so arg , nicht einmal Original-Satanismen , und er schleudert sie so nett und lachend heraus , daß man sich der Pflicht , dagegen Front zu machen , überhoben glaubt .
Vorwürfen über seine Leichtfertigkeiten pflegte er mit einem seiner Lieblingsaussprüche berlinischen Gepräges zu begegnen :
Grüne Sachen !
Abstraktes Denken gehörte für ihn auch in die Rubrik der grünen Sachen .
Seine Intelligenz versagte , wo ihm eine greifbare Unterlage fehlte .
Persönlichkeiten , für seinen Spott geeignete , bildeten zumeist diese Unterlage .
Waren sie nicht zur Stelle , so war ich ja da .
Daß die Pfeile , mit denen er mich zum Amüsement seiner Gäste spickte , wehtaten , machte nichts , wenn ich nur still hielt , und ich hielt still .
Und ich hatte nun doch keinen Dichter geheiratet .
Trotz alledem hatte ich Walter eigentlich persönlich gern .
Wenn ich seine Schritte auf dem Korridor hörte , wurde mir heiter zu Sinn .
Und trat er dann ins Zimmer , elegant und doch flott gekleidet , den Hut in der Hand , die dunkle Locke auf der weißen Stirn , lachend , sich den Schnurrbart nach oben drehend , hatte ich immer ein herzliches Gefallen an ihm .
Sobald ich ihn aber Morgens im Schlafrock sah , oder mit irgend einer Nachlässigkeit im Anzug , unrasiert , ungekämmt , oder wenn er so unangenehm gähnte , war er mir beinahe widerwärtig .
Begegnete mir Walter einmal freundlich und liebenswürdig , gleich flog ihm mein ganzes dummes Herz entgegen .
Ich erinnere mich , daß ich ihn eines Tages etwas gleichgültiges fragte .
" Ja doch liebes Kind , " antwortete er freundlich .
Tränen der Rührung schossen mir in die Augen .
" Liebes Kind ! "
So gute Worte .
Wie Musik .
Danach aber quoll es in mir von unaussprechlicher Bitterkeit auf .
Wie ?
Diese zwei , in halber Zerstreutheit gesprochenen Worte waren imstande gewesen , mich zu rühren ?
Was für ein verächtlicher Wurm war ich denn !
Der Wurm aber krümmte sich zuweilen .
Wenn Walter mich besonders schimpflich verhöhnte , hatte ich Ausbrüche einer jäher Empörung .
Ich erinnere mich besonders an einen Abend .
Wolf Brant war da , an dessen Meinung mir unendlich viel lag .
Das Gespräch kam auf einen Menschen , den man in der Nacht erfroren auf dem Pflaster gefunden hatte .
Ich drückte mein Entsetzen über das Geschehene aus .
" Na Leneken , fasse Dir nur " sagte Walter in seinem Berliner Jargon , und dann zu Wolf Brant gewendet :
" Meine Frau kriegt ab und zu eine tragische Gänsehaut , wobei sie Gott sei Dank nicht aus ihrer eigenen Haut zu fahren braucht . "
Tränen schossen mir in die Augen .
Ich stürzte fort in mein Schlafzimmer .
Ich warf mich schluchzend aufs Bett .
Ich rang die Hände .
Walter mochte fühlen daß er zu weit gegangen war .
Er kam mir nach .
Ich sollte mich durch alberne Empfindeleien nicht lächerlich machen und sofort zurückkommen .
Eine Blutwelle , über die ich keine Macht hatte , flutete über mein Herz hinauf ins Gehirn .
Ein wütendes Erbeben .
Ich blickte wild umher - eine Schere lag auf dem Tisch - ich griff danach .
Ich stürzte auf ihn los .
Wäre es ein flinker , spitzer Dolch gewesen , ich hätte ihn vielleicht im Ernst umgebracht .
Es gibt Morde , die keine Morde sind , die nichts sind als der salto mortale einer schmerztrunkenen Seele blindlings in eine Hölle hinein .
Walter riß mir die harmlose , stumpfe Schere , ehe ich Unheil damit anrichten konnte , aus der Hand .
Er lachte gezwungen auf .
Einen Augenblick aber hatte ich in seinen Zügen Furcht gelesen , wahr und wahrhaftige Furcht .
Das bewirkte einen plötzlichen Umschlag in meiner Stimmung .
Ich schämte mich meines unsinnigen Ausfalles .
Ich wusch mir die Augen und kam ruhig zurück .
Sonderbarerweise kam Walter weder im Spott noch im Ernst je auf diese Szene zurück , er nahm sich sogar eine Zeitlang augenscheinlich inacht , mich zu reizen .
Ich verstand diesen Fingerzeig nicht , verstand nicht was ich nun längst weiß , daß der Wille des Einen nur so lange maßgebend ist , bis er sich an dem Widerstand des Anderen bricht .
Von der Complicirtheit der Geschlechtsverhältnisse hatte ich , auch nachdem ich schon jahrelang verheiratet war , keine Ahnung .
Das war eine der guten Eigenschaften Walters , daß er mich darin nicht unterrichtete .
Doch verhalf er mir mittelbar zu Kenntnissen auf diesem Gebiet .
Er pflegte im Bett vor dem Einschlafen modernste französische Bücher schlüpfrigen Inhalts zu lesen , die er dann achtlos umherliegen ließ .
Ich las darin , anfangs ohne zu verstehen .
Allmählich , unterstützt von den Anspielungen , Witzworten , Gesprächen , die ich überall hörte , ging mir das Verständnis auf , bis auf einen beträchtlichen Rest , den ich nie verstehen werde .
Ich wußte zwar , daß Walter mir nicht treu war ; wie ganz er aber l'homme à femmes war , das erfuhr ich erst später .
" Gott , ich bin nun einmal kein Cato " war auch eine seiner Lieblingsredensarten .
Nein , ein Cato war er wirklich nicht .
In seinen Beziehungen zu Frauen ging alles durcheinander , ob verheiratete , ob Schauspielerinnen , kleine Bürgermädchen , Dienstmädchen , Dirnen , große Damen , Märchenprinzessinnen , alles war ihm recht .
Dabei machte ich eine sonderbare Beobachtung .
Seine dreiste , zu robusten Vertraulichkeiten geneigte Art , gefiel vielen Frauen ausnehmend und nicht nur Grobgearteten .
Einmal , als ich spät Abends über den Korridor ging , hörte ich von irgendwoher Walters Stimme und sein etwas heiseres Lachen , dazwischen ein Kichern .
Ich blieb erstaunt stehen .
Ich begriff nicht .
Da redete die Kichernde ein paar Worte .
Ich erkannte die Stimme , sie kam aus der Kammer des Mädchens .
Walter und die Köchin !
Einen Augenblick blieb ich wie gelähmt vor Entsetzen .
Dann stürzte ich fliehend , ja fliehend davon , in Angst , in Scham .
Als ich ihn am anderen Tage wiedersah , fühlte ich eine dunkle Röte mir ins Gesicht steigen , in der Vorstellung , er könnte wissen , daß ich wüßte .
Das Wissen des Abscheulichen belastete mich wie eine Schuld .
Er sah ein paar Mal prüfend zu mir herüber , da er aber nichts Verdächtiges wahrnahm , wurde er ausnehmend heiter , und schlug mir sogar vor , Abends mit ihm ins Theater zu gehen .
Später wunderte ich mich eigentlich , daß die Sache mich so aufgeregt hatte .
Das kam mir beinahe gemein vor .
Was ging es mich eigentlich an ?
Weil ich mit ihm verheiratet war ?
Das war doch von meiner Seite ein unglückliches Mißverständnis , von seiner Seite - ja , was war_es von seiner Seite ?
Walter , mein Gatte ? o nein , der Gatte jedes Weibes , das ihn haben wollte , nicht der meine .
Mein Gatte wäre nur der , an dessen Brust " zaubergewaltsam , unaufhaltsam " Sinne , Seele und Gemüt mich hinzwingen würden .
Jede andere Hingabe ist Schuld , bei der Satan lacht und Eros weint .
( Satan ist wohl zu stark , ich nehme ihn zurück . )
Ob ich Unrecht tat , daß ich Walter gegenüber schwieg ?
Ich weiß es nicht .
Selten war bis jetzt im wirklichen Leben Edles , Gemütvolles , Bedeutsames an mich herangetreten , Nüchternes nur und Vulgäres , wenn ich von den begeisterten Momenten des 18. März , und den kurzen Monaten meiner heimlichen Verlobung absehe .
Diese frischen Quellen des Lebens aber , und was sonst noch hin und wieder mir zusickerte und tröpfelte , verliefen sich bald wieder in den grauen Sand meiner kümmerlichen Alltagsexistenz .
Und ich schaute nach einem Strom aus , der mich an herrliche Gestade tragen sollte .
So viele Menschen verdanken Zufällen ihre Entwicklung .
Mir begegnete keiner solcher Zufälle .
Die verirren sich nicht in Spießbürgerfamilien , zu kleinen Mädchen .
Du nanntest mich einmal scherzhaft " kleiner Hamlet ; " wenigstens noch feiger , grüblerischer , passiver , verzweifelter als Hamlet bin ich .
Charlotte , ( Du kennst sie noch immer nicht ) nannte mich Mignon .
Wenn ich mich überhaupt mit solchen klassischen Persönlichkeiten vergleichen darf , sollte die Wahrheit nicht in der Mitte liegen , und ich wäre eher ein Zwitterding von Hamlet und Mignon ?
Ich hatte über die Frauen der Schiller- und Göthezeit gelesen .
Diese Charlotte , Karolinen , Lilis , Bettinas Rahels , in welch vornehmer geistiger Atmosphäre durften sie aufwachsen , wie Wunderblumen im Märchenwald .
Ich konnte mir diese Frauen nur in langen weißen Kleidern - nein Gewändern - denken , einen Kranz von Mohnblumen oder Vergißmeinnicht auf goldenem oder dunklem Gelock .
Alle , alle Musen oder Elfen , Aspasias , Saphos oder wenigstens Sonntagskinder .
Ich aber bin gewiß an einem Sonnabend geboren , an dem Scheuer- und Waschtag der Kleinbürgerfamilien .
Raphael , ohne Hände geboren , wäre der größte aller Maler gewesen , sagt Lessing . Möglich ; aber der größte Maler sein und nicht den kleinsten Pinselstrich machen können , scheint mir ein Los von furchtbarer Tragik .
Geborener Schriftsteller oder Dichter sein , und dabei unwissend bis an die Grenze orthographischer und grammatikalischer Fehler , ist auch unter Brüdern keinen Deut wert .
Ich beneidete jene begnadeten Frauen , aber doch war ihre Welt nicht ganz die meine , zu viel Klassisches , zu viel Götter , liefen da mit unter .
Ich schwärmte mehr für Lotosblumen und Heine ; die Götter ließen mich kalt .
Ich habe ja nicht einmal die griechischen Klassiker gelesen ; vielleicht muß der Sinn dafür erst geweckt werden .
Und wer hätte je in mir etwas geweckt !
Die romantische Seite aber an diesen Frauen , die zog mich unwiderstehlich an .
Der Bettina fühlte ich mich besonders wahlverwandt .
Die Träumereien , mit denen ich so lange all meine Lebensfreuden bestritten , versanken jetzt zeitweise vor einer quälerischen Unrast , einem grüblerischen Sinnen .
Ich wurde in dieser Zeit oft von einem starken , körperlichen Unbehagen heimgesucht , vielleicht war ich hysterisch .
So lange ich mich unter Menschen befand , blieb mein Innenleben wie suspendiert .
Sobald ich allein war , kam die gehrende Unruhe , und ich schmachtete nach inneren und äußeren Erlebnissen .
Inzwischen versuchte ich wenigstens eine Stimmung oder eine Szenerie herzustellen , die einer romantischen Situation oder meinen Geistergelüsten entsprach .
Aber ach , die Geister , die ich rief , sie kamen alle , alle nicht .
Sie lassen sich nicht zwingen - in Berlin schon gar nicht .
Ich hatte mir allmählich verschiedene reizvolle Gegenstände angeschafft , die ich in effektvoller Weise gruppierte .
In einem hohen grünlichen Blumenglas , um das sich eine goldene Schlange wand , ein Strauß von Gräsern und gelben Sonnenblumen , einen Kessel von dunklem Kupfer , allerhand Tongefäße in gedämpften und doch leuchtenden Farben .
Die Chaiselonguedecke von bräunlich rotem Plüsch .
Eine irdene Weißbierkruke pinselte ich mit Goldfarbe an ; auf ein Hängeschränkchen gestellt , mit großen künstlichen Mohnblumen gefüllt , nahm sie sich ganz urnenhaft aus .
Getrocknete Palmen neigten über einen Spiegel ihre Spitzen ineinander .
Besonders stolz war ich auf den Ankauf einer ausgestopften Eule mit roten Glasaugen .
Sie hockte auf dem vorspringenden Sims einer Tür , für gewöhnlich ganz unscheinbar , von niemand bemerkt .
Stellte ich aber Abends ein Licht hinter die Glasaugen , so wirkte ihr dunkles Glühen aus der Höhe zum Gruseln dämonisch , besonders wenn ich alles andere Licht löschte .
Das rote Glas meiner Kinderjahre beherrschte noch immer meinen Geschmack .
Alle Dinge in Farbe tauchen .
Und so gern hätte ich loderndes Kaminfeuer haben mögen .
Von jeher hatte ich mir so sehr einen Kamin gewünscht , einen Kamin und ein Pferd .
Den Kamin , den hätte ich ja nun hier in Rom .
Und das Pferd - wer weiß - ruht vielleicht auch noch im Schoß der Zukunft .
Mit Vorliebe trieb ich in Sylvesternächten das Spiel des Geisterrufens .
Gewiß , der 31. Dezember ist ein Tag wie jeder andere , die Tradition aber gibt ihm eine mysteriös schicksalsvolle Bedeutung , als ständen wir in dieser Nacht auf einer Brücke , wo die Gespenster der Vergangenheit mit den Geistern der Zukunft sich begegnen .
Ich suchte an Sylvesterabenden zu Hause zu bleiben , auf mystische Schauer , auf irgend eine Magie wartend , die mir eine Vision , eine Offenbarung bringen sollte .
Einmal hatte ich sogar , um mich zu begeistern , einen Rest Champagner , den ich heimlich aufbewahrt , getrunken .
Ach , ich wurde nur schläfrig davon und verschlief die geheimnisvolle Mitternacht .
An einem anderen Sylvesterabend wollte ich mein erstes poetisches Werk schreiben - ein symbolisches .
Nur die ersten Seiten dieser Dichtung schrieb ich wirklich nieder .
Ich wollte doch etwas ganz besonderes schreiben , Tiefes , Sehnsüchtiges , Mondscheintrunkenes .
Mondscheintrunkene Sehnsucht war doch in mir .
Ich fand meinen Stil nicht .
Die Worte kamen mir so armselig , so beschämend nackt vor .
Ach Arnold , ich möchte schreiben können wie man flüstert , pianissimo , verklingende Orgeltöne , oder stark , gewaltig - Posaunenklänge , vor denen verschlossene Himmel aufspringen .
Als ich einmal mit Traut durch den Tiergarten ging , der ganz im Schnee begraben lag , sagte sie :
" Nicht wahr , Muttchen , der liebe Gott hat all den Zucker gestreut , für die kleinen Sperlinge ? "
Ich nickte .
" Aber , " fuhr sie nachdenklich fort , " sie haben doch nichts , worauf sie den Zucker streuen können . "
Mir hat der liebe Gott auch Zucker gestreut , aber ich habe doch auch nichts , worauf ich ihn streuen könnte .
Ich erinnere mich an einen Abend , wo ich einen besonders starken Drang fühlte , mich körperlich und geistig durchrütteln zu lassen .
Ich pflegte Abends an den Bettchen der Kinder zu sitzen , bis sie eingeschlafen waren .
Dann ging ich ins Wohnzimmer .
Ich nahm ein Buch .
Ich hatte mir vorgenommen , das Griechentum zu studieren .
Meinen besten Vorsätzen stellte sich immer dasselbe Hindernis entgegen :
Der Mangel an Schulung , an Vorbildung .
Ich hatte nicht einmal gelernt gut zu lesen .
Eine Viertelstunde fesselte mich das Buch .
Dann schweiften meine Gedanken abseits .
Ich horchte hinaus .
Wagen auf Wagen rollte vorüber .
Es war Theaterzeit .
Ich riß das Fenster auf .
Ich schloß es wieder .
So wie ich jetzt existierte , das konnte doch nicht das Leben sein .
Wann würde es kommen ?
Ich ging umher , und rückte all meine Herrlichkeiten in das rechte Licht , das Blumenglas mit der goldenen Schlange , eine Schale mit Apfelsinen , und hinter die Eulenaugen das Lichtchen .
Obwohl ich gar kein Verlangen nach Tee hatte , bereitete ich mir Tee , weil sich die Flamme unter dem Kupferkessel und das Summen des Wassers , und das Theegeräth mit den durchsichtigen japanischen Tassen unter dem rötlichen Schimmer des Lampenschirms reizend ausnahmen .
Wir hatten einen kleinen Balkon .
Ich trat hinaus und sah durch das Fenster zurück ins Zimmer , um mich an dem Farbeneffekt zu freuen .
Vom Balkon aus sah ich , daß die Apfelsinen in der bemalten Porzellanschale keinen Effekt machten .
Porzellan überhaupt - wenn es nicht altes Meißner ist - wirkt zwischen edlen Metallen ( wozu ich auch Kupfer und goldbemalte Weißbierkrüge rechnete ) wie Gips neben Marmor .
Ich trat ins Zimmer zurück , wickelte ein Stückchen lachsfarbenen Samt um die Schale , und nannte die Apfelsinen in Gedanken Orangen , was vornehmer klingt .
Ich streckte mich auf der Chaiselongue aus , faltete die Hände über dem Kopf , nachdem ich die Ärmel bis zum Ellenbogen zurückgestreift , und die Falten meines weichen Wollenkleides so malerisch wie möglich drapiert hatte .
Dann blickte ich mit einem romanheldenhaften Ausdruck zur Zimmerdecke empor .
Ich bemerkte , daß die Zimmerdecke in der Nähe des Ofens ganz verräuchert aussah .
Garstig .
Ich sprang auf .
Die Einsamkeit fing an , mich zu beklemmen .
Ich liebte sie wohl , aber nicht immer .
Warum war ich nur immer so einsam ?
Ich grübelte darüber .
Ich hatte doch mit meinem anschmiegsamen , zärtlichen Naturell entschiedenes Talent zur Efeuranke .
Eine Schuld aber mußte ich haben . Habe ich je Böses getan ? nein .
Böses gedacht ? nein .
Selbst denen , die mir Böses taten , habe ich gewünscht , daß es ihnen gut gehen möge .
In den Augenblicken meiner tiefsten Erbitterung gegen Walter dachte ich höchstens :
Wenn man ihm doch eine Stellung , etwa in Amerika , gäbe , eine recht glänzende , und er ginge von mir fort und käme nie wieder .
Die Vorstellung , daß er jung sterben könne machte mich schaudern .
Jemandem weh zu tun , auch wenn das Wehtun für ihn heilsam , ja notwendig gewesen wäre , war mir unleidlich .
Wo lag meine Schuld ?
Etwa in meiner Verschlossenheit ? meiner Stummheit ?
Wußte denn jemand , daß ich des Mitgefühls bedurfte ?
Nie hatte ich zu irgend einem Menschen über meine Mutter gesprochen , nie über meine Ehe .
Der schlaue Antonius , in der Sheakspare'schen Tragödie , legt Cäsars blutige Wunden bloß und weckt damit das ungeheure Mitleiden .
Wem hätte ich auch mein Leid klagen sollen !
Wie Touristen auf einer Reise zogen die Menschen an mir vorüber , mein nicht achtend , mich nicht anlockend ; und die stehen blieben , und mir gern ihre Gefährtschaft angeboten hätten , die mochte ich nicht .
Diejenigen aber , zu denen meine Seele hindrängte , die sah ich kleiner Menschlich in solcher Höhe über mir , daß ich gar nicht den Versuch machte , zu ihnen zu gelangen .
Ich vergaß , daß man durch Anbetung selbst die Götter gewinnt , um wieviel mehr Sterbliche , die sich nur für Götter halten .
Die Pflanze auf trockenem Boden , die Feuchtigkeit braucht , streckt ihre Wurzeln weiter und weiter , bis sie an eine feuchte Stelle kommt , aus der sie Nahrung zieht .
So klug wie die Pflanze war ich nicht .
Ich streckte keine Wurzeln aus .
An jenem Abend hielt ich es nicht länger im Ziem mehr aus .
Ich brauchte Luft , Bewegung , Kälte , nach dem schwülen Grübeln und dem heißen Tee .
Ich wußte selten , wo Walter seine Abende zubrachte .
Zuweilen aber sagte er es mir .
An dem Abend wollte er ein Konzert in der Singakademie besuchen .
Ob ich mitgehen wolle , hatte er so obenhin gefragt , er habe zwei Billetts .
- " Nein , " antwortete ich , " ich bleibe lieber zu Hause . "
Und ich wäre doch so gern mitgegangen .
Aus seinem Ton aber hatte ich herausgehört , daß er lieber allein ging , - er ging fast immer lieber allein - und nichts in der Welt hätte mich dazu gebracht , mich jemandem aufzudrängen .
Ich ging hinaus in den schneelichen Abend .
Es beruhigte mich , wie der Schnee unter meinen Füßen knirschte .
Die Kälte war so erfrischend , hell , gesund , und der Glanz aus den erleuchteten Schaufenstern unter den Linden , der auf das weiße Trottoir fiel , hatte etwas fröhlich warmes .
Ich ging schnell , damit mich niemand ansprechen sollte .
Eine unwiderstehliche Lust wandelte mich an , Walter aus der Singakademie herauskommen zu sehen .
Da stand ich nun unter Lakaien und Dienstmädchen , die auf ihre Herrschaft warteten , auf der Freitreppe .
Mein Herz klopfte .
Was ich da tat war doch eingentlich unwürdig , ganz ziel- und zwecklos .
Warum fror ich jetzt ? warum wartete ich auf ihn ?
Ach Gott , ich glaube nur weil meine Verlassenheit mich dauerte , weil ich jemand sehen mußte , der zu mir gehörte .
Als der erste Schwarm der Konzertbesucher die Treppe herunterkam , verkroch ich mich ängstlich , immer aber nach ihm ausspähend .
Ob er überhaupt im Konzert gewesen war ?
Die Vorstellung , daß er mich bemerken könne , erschreckte mich .
Entsetzlich böse würde er sein , und glauben , ich hätte ihn ausspionieren wollen , und nichts lag mir doch ferner .
Endlich kam er .
Er führte eime Dame in einem hermelinbesetzten roten Mantel am Arm .
Ich kannte sie : eine junge Schauspielerin , die Gastrollen in Berlin gab .
Ich versteckte mich noch tiefer unter der Menge .
Er lachte und plauderte lebhaft mit der Dame und einigen anderen Bekannten , die an ihn herantraten .
Meine Augen folgten ihnen , wie sie die Allee hinabschritten bis sie in eine Equipage stiegen , die augenscheinlich auf sie wartete .
Wie er sich noch einmal herausbog , um den Schlag zuzumachen , sah ich im Schein der Laterne sein glückliches , lachendes Gesicht .
Warum der Mann nur immer lachte !
Es war doch nur Grimasse .
Umd warum weinte ich denn immer ? auch Grimasse ?
Meine Gedanken gingen ihnen nicht nach .
So , nun war mir wohler .
Die nervöse Ungeduld fort .
Inzwischen war das leichte Schneegestöber dichter und dichter geworden .
Der Wind , der vorher schon frisch genug blies , hatte sich sturmartig verstärkt .
Ein Schneewehen , ein wahrer Schneesturm brach los .
Und dazu wurde es glatt .
Ich suchte eine Droschke .
Da alle Welt sich vor dem Unwetter in Droschken geflüchtet hatte , gab es keine mehr .
Der Weg , obgleich es noch nicht zehn Uhr war , war unheimlich menschenleer .
Nur mühsam keuchend kam ich Schritt vor Schritt vorwärts .
Eine sinnlose Angst überfiel mich .
Ich würde nicht nach Hause kommen , ich würde ohnmächtig zusammenbrechen .
Und nun geschah , wovor ich mich geängstigt hatte .
Jemand sprach mich an .
Aber schon beim Ton seiner Stimme verschwand meine Angst .
Eine weiche , tiefe , gedämpfte Stimme .
Schüchterne Höflichkeit war in seiner Art .
Er habe bemerkt , wie ich gegen den Sturm ankämpfe , ob er mir seine Dienste anbieten dürfe , bis ich einen Wagen fände .
Ach wie gern nahm ich seinen Arm .
Während wir uns mühsam vorwärts kämpften , benahm er sich diskret und ritterlich .
Bei heftigen Windstößen schob er mich ein wenig hinter sich , damit sein Mantel mich decke ; riß mir der Sturm den Schleier vom Gesicht , so brachte er ihn wieder in Ordnung .
Sprechen konnten wir nicht miteinander , des Sturmes wegen .
So oft er sich auch zu mir wendete , ich konnte seine Züge nicht sehen .
Ich mußte mich an ihn schmiegen , um einen Halt zu haben .
Ich fror nicht mehr .
Ich fühlte mich sicher in seinem Schutz .
Der Schneesturm kam mir beinahe schön vor , von wilder Romantik .
Ich fühlte instinktmäßig , ein guter Mensch schritt da an meiner Seite .
Ich glaube , ich habe ihn zehn Minuten lang geliebt , zehn Minuten gehörte ich zu ihm , er zu mir .
So impulsiv für eine Sache oder einen Menschen plötzlich aufzuflammen , geschah mir zuweilen .
Am Pariserplatz stiegen Leute aus einer Droschke .
Er rief die Droschke , und half mir sorglich hinein .
Dann fragte er mit schüchterner Bitte : " Darf ich mitfahren ?
ich wohne in Ihrer Nähe . "
" Nein , " sagte ich beinahe heftig , damit er merken sollte , wie unziemlich seine Frage war .
Durch das Wagenfenster sah ich noch , wie er dastand im Sturm , ein dunkler Schatten , der zu drohen schien , zu wachsen , den der Schnee verwehen würde und begraben .
Ich fröstelte unter einem unerträglichen Malaise Warum ließ ich ihn im Unwetter da stehen ? weil es unanständig gewesen wäre mit einem fremden Menschen Nachts in einer Droschke zu fahren ?
War es nicht viel unanständiger , daß ich den , der mich aus einer gefährlichen Situation befreit , dem Unwetter preisgab ? und war es etwa anständig , daß Walter jetzt mit der hermelinbesetzten Dame - freilich , sie gehörte wohl auch zu ihm - behaglich im Wagen saß , und dahin fuhr - wo es noch behaglicher war !
Erlosch da vielleicht zum dritten Mal ein Stern , der für mich aufgegangen war ?
An den Fremden im grauen Mantel dachte ich , und an den armen Vetter Erich .
Sonderbar , sehr sonderbar , daß uns nicht selten ein Instinkt , ( wie viele unter dem " uns " zu verstehen sind , weiß ich nicht ) eine überwallende , zitternde Zärtlichkeit an die Brust eines Menschen zieht , den wir kaum kennen ?
( selbstverständlich folgen wir dem Zuge nicht , ) während oft genug unsere Natur einer legitimen Umarmung widerstrebt .
Und diesem Zuge , hin zu einem kaum Gekannten liegt nicht etwa verwilderte Sinnlichkeit zu Grunde .
Selbst sanfte , gute , normale Seelen werden zu ihrem eigenen Schrecken zuweilen davon ergriffen .
Nur hüten sie sich es zu bekennen .
Oder könnte diese scheinbar zügellose Verirrung nicht einen anderen tieferen Grund haben ?
Vielleicht ein mystisches Hineinspielen von noch ungeborenen , körperlosen Seelen in das menschliche Liebesleben ? von Seelen , die gerade von dieser Mutter , von diesem Vater ihren Leib empfangen wollen ?
Es gibt wohl noch viele Naturgesetze , physiologische und psychologische , von denen wir uns nichts träumen lassen .
Ganz normal ist es wohl auch nicht , daß ich nie Mals eine Spur von Eifersucht empfunden habe , nur immer Mitleid mit meiner Verlassenheit .
Ich bin selbst erstaunt , wie objektiv ich nicht nur in meinem Denken , sondern auch in meinem Fühlen war .
Ich wollte nicht , daß Walter auch nur einen Augenblick die Ehe als Fessel empfinden sollte , aus Stolz wollte ich es nicht .
Mochte er sein Leben leben nach seinem Geschmack .
Möglich , daß unfeine Nebengedanken dabei mitwirkten .
Damen in hermelinbesetzten roten Mänteln entlasteten mich vielleicht ein wenig von dem Mangel an - sagen wir Liebe - den ich Walter gegenüber als Schuld empfand .
Mir fehlt überhaupt das Verständnis für Eifersucht .
Ich glaube , selbst wenn ich jemand leidenschaftlich liebte , und er bräche mir Liebe und Treue , wohl könnte ich klagen , weinen , sterben .
Aber Neid und Groll nähren gegen die Frau , die besäße , was das Schicksal mir versagt ? warum ?
Den anklagen , der sein Herz nicht zu mir zwingen kann !
Erzwungene Treue , ich möchte sie gar nicht !
ich will sie nicht !
ich brauche sie nicht .
Verächtlich käme ich mir vor im Genuß erzwungener Treue und Liebe .
Mir scheint , in der Eifersucht ist Eitelkeit und Unkeuschheit , und vulgär ist sie , und - so überflüssig .
Und nun gar eifersüchtig auf Walters Liebe !
Aber ich besaß sie ja nie , diese Liebe , und die Anderen besaßen sie auch nicht .
Merkwürdig , ich liebte ihn sicher nicht .
Sobald ich aber fühlte , daß ich Marlene für ihn war , sein Weib , nicht ein Weib schlechthin , gleichviel welches , erwachte die Zärtlichkeit meines Gemüts .
Ich mußte doch jemand lieb haben , es wäre so natürlich gewesen , wenn er es gewesen wäre .
Er machte es mir nicht leicht , ihn lieb zu haben .
Ein Tages spielte Walterchen im Wohnzimmer um mich herum .
Er fragte mich etwas .
Ich las gerade und überhörte es .
Da kam er zu mir gesprungen , packte das Buch und sagte : " Du Henne , über was gluckst Du denn schon wieder ? "
Ich war tief erschrocken .
Und als ich ihn ernsthaft schalt , sagte er trotzig :
" Aber Vatchen hat doch gesagt , Du bist eine Henne , die immer über etwas gluckt , und verbohrt bist Du auch , Vatchen hat_es doch gesagt . "
Ich brauche Dir nicht zu schildern , was ich bei diesen Worten empfand .
Das eine wurde mir klar : die Meinung über mich , die Walter allen Anderen beigebracht hatte , allmählich würde sie sich auch den Kindern mitteilen .
Ich hatte keine Mutter gehabt , keine Geschwister , keinen Gatten .
Sollte ich auch keine Kinder haben !
Ein Schauder überlief mich .
Ernst , eindringlich wollte ich mit Walter reden .
Es ging nicht .
Ich konnte eben nicht .
Da schrieb ich an ihn .
Ich glaubte damals rührende Töne gefunden zu haben , ach Gott , es waren nur klägliche Miaus einer späten Griseldis .
Es lief ungefähr darauf hinaus , daß ich ihn - wie Dienstmädchen es bei der Vermietung zu tun pflegen - um gute Behandlung bat .
Ich glaube , ich sprach es wirklich aus , daß ich schon zufrieden wäre , wenn er sich mir so freundlich erweisen wolle wie unserer Auguste .
In lyrischer Zerflossenheit ersuchte ich ihn um das Conto meiner Sünden , und versprach , es nie wieder zu tun , ( ich kann dir nicht ernsthaft und ohne Selbstironie über den so albernen Brief berichten . )
Wenn es ihm aber besser passe , so sollte er mir kündigen , und ich würde gehen - ganz wie unser Mädchen für Alles .
Und wenn ich jetzt erst meine bleichen Lippen öffnete , nachdem ich so lange aus meinem Herzen eine Mördergrube gemacht , so geschähe es der Kinder wegen , die nicht in Seufzeralleen , unter Eisäpfeln aufwachsen dürften - - - Der Erfolg des Briefes war wie es sein Inhalt verdiente .
Walter nahm nicht die geringste Notiz davon , weder mündlich noch schriftlich .
Durch keine Miene zeigte er , daß er ihn nur gelesen hatte .
Ich fand ihn einige Tage später offen auf seinem Pult liegen .
Das Mädchen hätte ihn lesen können und darüber lachen - wie er .
Alles blieb beim alten .
Trotzdem ich von keiner Eifersucht wußte , beobachtete ich doch mit einer Art psychologischer Neugierde Walters Verkehr mit Frauen .
Seine Vielseitigkeit auf diesem Gebiet schloß selbst platonische Beziehungen nicht aus .
An eine bestimmte Frau denke ich dabei .
Während einiger Zeit war sie Walters Gottheit , diese süperbe Gräfin Virginia Dürer .
Eine jener hochmütigen , geistigen Aristokratinnen , die sich selbst auf ein Piedestal stellen , und huldreich der gläubigen Gemeinde sich neigen , die zu ihnen betet , und nicht merkt , daß die Heldin sich selbst in die Heiligennische platziert hat .
Es gab viele , die diese Frau mit dem großen Mund und der langen Nase häßlich fanden .
Ich fand sie wunderschön .
Diese lange Nase war so fein profiliert , wie gemeißelt , der vornehme große Mund mit den schmalen blaßrosa Lippen wie geschaffen für den Kuß der Muse .
Nie habe ich einen Schimmer von Farbe auf ihrem reinen , mattweißen Gesicht gesehen .
Nicht wie Frau Bronowski hatte sie die Allüren einer Prinzessin , eher die einer Iphigenia , Hypatia , Aspasia , mit einem kleinen Zusatz von Vestalin .
Ihr dichtes , seidiges Haar , das sie an den Schläfen glatt gescheitelt trug , fiel ihr hinter den Ohren in zwei langen Locken bis zur Schulter .
Aus ihrem ganz durchgeistigten Gesicht blickten zwei klare , unergründlich tiefe , graue Augen , fast wimperlose , Böcklin'sche Sphinxaugen .
Ihrer großen , schlanken beinahe dürren Gestalt fehlte es an Anmut .
Sie besaß einen brennenden , auf große Ziele gerichteten Ehrgeiz .
In einem früheren Zeitalter wäre sie vielleicht eine Katharina von Medicis , eine Elisabeth von England , eine Eleonore d' Este , eine Lady Macbeth geworden , und in einem noch früheren eine Pythia , eine Antigone , oder sonst irgend etwas Blutiges oder Hohes , mit Priestertum oder Walhalla Verwandtes .
Auf alle Fälle wollte sie irgendwo an der Spitze stehen .
Und da sie zu ihrem Kummer keine eigenen hervorragenden Talente besaß , wollte sie sich wenigstens mit einem Genie oder einer Majestät associeren .
Der Graf Dürer spielte , als sie ihn heiratete eine hervorragende Rolle in der Kammer .
Er galt für den kommenden Minister .
Es war ein Irrtum gewesen .
Er hatte bereits sein bescheidenes geistiges Maß erreicht , als Virginia seine Gattin wurde .
Sie verzieh ihm diese Enttäuschung nicht .
Entschlossen nicht an seiner Seite zu bleiben hielt sie Umschau nach einer Krone oder einem Lorbeer .
Sie hätte getrost die Geliebte eines Königs werden dürfen .
Ihr Ruf wäre intakt geblieben ; ihr hoher Stolz war ein Schild vor erniedrigenden Deutungen .
Und sie wird ihr Ziel erreichen , denn sie ist von jener zähen rücksichtslosen Energie , jenem überstarken Glauben an sich selbst , der mit fast mystischer Gewalt das Schicksal zwingt .
Wo ihr Platz wirklich ist , weiß ich heute noch nicht .
Keins der Rätsel dieser nordischen Sphinx habe ich erraten .
Und ich liebte sie heimlich .
Weshalb ?
ich weiß es nicht .
Gräfin Virginia wäre noch viel schöner gewesen , wenn sie verstanden hätte , sich zu kleiden .
Gräßlich , ihre grünen , kornblumenfarbenen und schwarz und weißgestreiften seidenen Kleider .
Und die Hüte , die sie über ihren unergründlichen Seherinnenaugen trug !
Madam-Hüte !
Wirst Du_es glauben Arnold , wegen dieser Geschmacklosigkeiten zweifelte ich an der Tiefe ihres Geistes , und an dem Schwung ihrer Seele .
Samt von dunkelflammendem Purpur , Hermelin , nächtliches Schwarz mit oder ohne Sterne , Brokat , schweren elfenbeinfarbenen Atlas hätte sie zu ihrer Kleidung wählen müssen .
Aber knistriger , seidener Plunder !
Und Hüte durfte sie überhaupt nicht tragen .
Nur Schleier , oder etwas reizvoll-phantastisches aus dem cinque cento , allenfalls einen Minervahelm .
Noch einen anderen plebejischen Zug hatte diese königliche Persönlichkeit .
Sie verstand aus ihren Vasallen Nutzen zu ziehen .
Ich glaube , daß ihre Beziehungen zu Walter nur um dieses Nutzens Willen bestanden .
Sie sah damals noch in ihrem Gatten den künftigen Minister .
Sie bedurfte der Presse .
Walter sollte ihr literarischer Helfer sein ; vielleicht auch forderte sie diese Dienstleistungen nur in dem souveränen Stolz ihrer Herrschernatur .
Zuweilen kam sie zu uns .
Walter geriet bei jedem dieser Besuche in so große Erregung , als wenn unserem Hause eine hohe Ehre wiederführe .
Mir bereiteten diese Besuche eine tödliche Verlegenheit .
Sie sprach mit Walter von Personen , Büchern , Dingen , die mir völlig unbekannt waren , und nicht ein einziges Mal richtete sie ein erklärendes oder entschuldigendes Wort an mich .
Sie richtete überhaupt kein Wort an mich .
Sie ignorierte mich völlig .
Ich existierte für sie nicht .
Ich fühlte , wie ich rot wurde , nicht etwa aus verletzter Eitelkeit , nein , ich wurde rot in die Seele dieser Frau hinein , die , jedes Taktes und jeder Höflichkeit bar , mich in eine lächerliche , unmögliche Situation zwang , mich gewissermaßen aus meinem eigenen Hause hinaus warf .
Ich verließ ab und zu das Zimmer , scheinbar um Erfrischungen zu bestellen , in Wahrheit aber um wenigstens für eine Viertelstunde dieser peinlichen Situation zu entrinnen .
Draußen zu bleiben wagte ich nicht , aus Furcht einen Gast zu beleidigen .
Ach , ich hätte ruhig draußen bleiben können .
Sie würde meine Abwesenheit nicht bemerkt haben .
Wenn wir eine Gesellschaft gaben , lud ich jedes Mal Virginia Dürer ein , oft ohne es Walter vorher mitzuteilen .
Ich wollte mich an seiner freudigen Überraschung weiden , und meinte , er müsse mir für meine Selbstlosigkeit ein wenig dankbar sein .
Die Überraschung gelang zwar , aber zu meinem Erstaunen schien sie nicht ganz so freudig zu wirken , als ich erwartet hatte ; und doch war Walter's Anbetung echt .
Mit der Zeit fand ich die Erklärung dafür .
Wer ins Theater geht , um sich in einem Lustspiel zu amüsieren , wird sich leicht enttäuscht fühlen , wenn das Repertoire geändert , und statt des harmlosen Lustspiels ein klassisches Drama gegeben wird .
Auf hohen Ernst muß man eben vorbereitet sein .
Der geistige Appetit ist ebenso wenig immer rege wie der leibliche .
Virginia Dürer war nicht bequem Sie schlug einen zu hohen Ton in der Unterhaltung an .
Es gibt Frauen , die jedem Salon zur Zierde gereichen , aber die Leute sprechen lieber nicht mit ihnen .
Walter ging nach wie vor viel allein in Gesellschaft .
In die elegantesten maßgebensten Kreise , in denen die Spitzen der Kunst , Wissenschaft und Aristokratie vertreten waren , lud man mich entweder gar nicht ein , oder doch nur zu den großen Pflicht-Gesellschaften , nicht zu den intimen kleinen Diner's und Soupers .
Solche Gattentrennungen kamen nicht häufig vor .
In den meisten Fällen würden sie eine schroffe Zurückweisung erfahren haben .
Das war bei uns nicht zu fürchten .
Die Zurücksetzungen beleidigten mich nicht , sie waren mir nur ein Beweis , wie gering man mich taxierte .
Aber weh taten sie mir doch .
Durch meine Schüchternheit , die mich wie im Schraubstock hielt , sammelte sich Explosivstoff in mir auf , so daß ich mich hüten mußte , nicht gelegentlich ins Gegenteil umschlagend , in irgend eine törichte Exzentrizität zu verfallen .
Ich hatte Augenblicke konzentrierten Zorn's gegen mich .
Mit den gröbsten Monologen traktierte ich mich :
Aber das ist ja ekelhaft idiot , deine Blödigkeit , auf der Stelle tue sie ab !
Und einige Male schüttelte ich sie wirklich mit einem gewaltsamen Ruck ab , und - Schwups - saß ich - es war noch dazu bei der Gräfin Virginia - auf einer Sofalehne - von gelblichem Atlas war sie - steckte eine unternehmende Miene auf , und wollte etwas ganz originelles sagen .
Die mir zunächst Stehenden sahen mich unendlich erstaunt an .
Und da rutschte ich ganz sänftiglich von meiner Sofalehne wieder herunter , zurück bis in die tiefsten Tiefen meiner Schüchternheit .
Ich glaube , eigentlich war es mir natürlich , exzentrisch zu sein .
Immer riß eine Ungeduld an mir , mich über Hergebrachtes hinweg zu setzen .
Ich kämpfte mit der Lust , mich originell und malerisch zu kleiden .
Vor dem Spiegel steckte ich mir mit Nadeln ein phantastisches , halbgriechisches Gewand zusammen .
Das Haar ließ ich in Locken auf die Schulter wallen und durchflocht es mit goldenen Bändern .
Im letzten Augenblick aber versagte mein Mut , und ich zog verdrießlich ein langweiliges , korrektes Seidenkleid an .
Oder ich nahm mir vor , in einer Gesellschaft einen pantomimischen Tanz aufzuführen , was ich so gut konnte wenn ich allein war , Tänze , an denen ich mich , gleich jenen indischen Derwischen , bis zur Extase berauschte .
Auch die Tänze blieben ungetanzt .
Nicht nur gegen Dummheit , auch gegen Schüchternheit kämpfen Götter selbst vergebens .
Oft hatte ich die Empfindung , als hätte ich einen heimlichen Feind , der gegen mich wirke .
Und ich hatte doch niemandem etwas zu leide getan , niemandem machte ich Konkurrenz .
Wir waren bei einem berühmten Künstler zum Diener eingeladen .
Ich erschrak immer über solche Einladungen .
Warum lud man mich ein ?
doch nur aus Höflichkeit ; man wollte mich doch gar nicht haben .
Walter hatte mir anempfohlen möglichst elegante Toilette zu machen .
Und ich machte sie .
Ein weites , faltiges Mullkleid mit weiten Ärmeln , eine breite Schärpe von weißem Atlas , eine weiße Rose im Haar , drei Reihen weiße Wachsperlen um den Hals .
Alles weiß , schneeweiß .
Das reine Schneewittchen , dachte ich , als ich mich im Spiegel sah .
Nur meine schwarz lackierten Schuh - ich besaß keine anderen - genierten mich , und später , in der Gesellschaft konnte ich mich der Vorstellung nicht entschlagen , daß alle Welt nach meinen Füßen sähe .
Als ich mit Walter in den Salon trat , fing ich einen erstaunten Blick der schönen Hausfrau auf .
Sie begrüßte mich ein wenig verlegen , mit erzwungener Liebenswürdigkeit , und flüsterte dann mit einem Herrn , der sich gegen das , was sie sagte , aufzulehnen schien .
Ich fühlte instinktiv , daß von mir die Rede war .
Dieser Herr , auch ein berühmter Maler , führte mich darauf zu Tisch .
Er sprach fast ausschließlich mit seiner Nachbarin zur Linken , nur ab und zu richtete er in brüsker Weise eine jener konventionellen Fragen an mich , die fast beleidigend sind , sicher aber nicht zu eingehenden Antworten ermuntern .
Und dabei redete er mich immer " schönste " und " allerschönste " Frau an .
Ich antwortete einsilbig .
Ob ich denn wirklich nur ja und nein sagen könne , fragte er mich einmal , und aus seinem Ton hörte ich , daß er damit eine Meinung aussprach , die über mich im Umlauf war .
Ich hielt mit Mühe meine Tränen zurück , und fürchtete mich vor dem Augenblick , wo man vom Tisch aufstehen würde ; wieder würde niemand mit mir sprechen , und verlassen würde ich dastehen , zum Verdruß der Hausfrau , und zu meiner eigenen Beschämung .
Es wäre wohl auch so gekommen , wenn nicht eine auffallend große und stattliche Dame zu mir herangetreten wäre : Charlotte von Krüge .
Nie wieder bin ich mit einem Menschen so schnell bekannt geworden wie mit dieser Frau .
Das lag aber nicht an mir , sondern an ihr .
Sie wollte mit mir bekannt werden .
Von Ansehen kannte sie mich schon .
Sie hatte mich oft mit meinen Kindern gesehen , von ihren Fenstern aus , die in unseren Garten gingen .
Vor ihrer sicheren , einfachen Art wich gleich meine Schüchternheit .
Sie fragte nach meinen Kindern , nach meiner Familie , meiner Lektüre .
Mit keiner Silbe erwähnte sie meines Mannes .
In der Unterhaltung mit ihr vergaß ich meine schwarzen Schuh .
Wir schieden beinahe als Freundinnen .
Ich mußte versprechen , sie am nächsten Nachmittag zu besuchen .
Ich hielt mein Versprechen .
Gesellschaftliche Phrasen und andere Präliminarien , wie sie sonst intimeren Beziehungen vorauszugehen pflegen , fanden zwischen uns nicht statt .
Ohne je an Indiskretion zu streifen wußte sie mich zum Sprechen zu bringen .
Dabei merkte ich , daß ich eigentlich gar nicht verschlossen war ; so mußten es wohl die anderen sein , die mich stumm machten .
Schon bei diesem ersten Besuch fragte ich sie , warum wohl die Leute bei dem gestrigen Diener so sonderbar gewesen wären .
Sie schien eine Weile nachzudenken ; dann erklärte sie " der kleinen , süßen Frau " -
sie nannte mich oft so - reinen Wein einschenken zu wollen .
Ich wäre nämlich gar nicht eingeladen gewesen , daher die Verlegenheit der Wirtin .
Mein Nachbar hätte eigentlich eine andere Dame , für die er sich lebhaft interessierte , zu Tisch führen sollen .
Daher sein Verdruß , als er mir den Arm bieten mußte .
" Und dann , liebes Kind , " fuhr sie fort , indem sie mich liebevoll an sich zog , " wie konnten sie nur diese kindlichen falschen Perlen tragen !
Das tut man doch nicht .
Das überläßt man doch den Nähmamsells . "
Mir war schon wieder das Weinen nahe , und ich stotterte , sie hätten doch so gut zu dem Kleid gepaßt , und ich hätte gedacht , es käme nur darauf an , ob etwas hübsch aussähe , nicht auf den Geldwert , und die Schnüre wären auch gar nicht so billig wie sie wohl annähme , ich hätte 1 1 / 2 Taler dafür ausgegeben .
Charlotte lachte und meinte , sie würde mit der Zeit schon eine perfekte , kleine Weltdame aus mir machen , und wir sprachen von etwas anderem .
Charlotte von Krüge war eine eigenartige Persönlichkeit , fast männlich in ihrer Erscheinung ; groß und wuchtig .
Paletot , Kragen , Krawatte trug sie nach Männerart .
Den Sommer brachte sie auf ihrem Gut in der Nähe Berlins zu .
Ich besuchte sie dort zuweilen .
Und wenn sie da durch den Wald schritt , mit der dicken Zigarre im Munde - Zigaretten verachtete sie - zwei Riesenhunde ihr zur Seite , einen knorrigen Stock in der Hand , wirkte sie nichts weniger als weiblich , trotzdem die Züge ihres Gesicht's fein und regelmäßig waren ; ein gutes , klares , bürgerliches , etwas zu fleischiges Gesicht , ohne jede Complicirtheit ; nur um ihre Mundwinkel einen Zug , wie wenn jemand etwas verschluckt hat , das ihm widrig gewesen .
Ihre Haut war spröde und rauh , ihr Teint wettergebräunt .
Absichtlich setzte sie sich jedem Wetter aus .
Nie trug sie Schleier , Handschuh oder Schirm .
Ihre spröden Hände waren schön geformt .
Ein großer Diamant am Finger war die einzige Koketterie , die sie sich erlaubte .
Durch die Sicherheit und Würde ihrer Haltung , durch den stolzen Ausdruck ihrer Physionomie wirkte sie vornehm .
Ich hielt sie anfangs für einen großen Geist .
Bei näherer Bekanntschaft fand ich sie weniger intelligent , als stark von Charakter .
Sie hatte sehr viel bon sens , und in praktischen Dingen handelte sie ungewöhnlich klug , klug bis zur Schlauheit .
Sie hatte viel gelitten , und litt noch .
In herbem Stolz aber verbarg sie ihre Wunde unter der rauhen Schale einer selbstherrlichen Männlichkeit , dabei empfand sie so weich , wie nur je ein Weib empfinden kann .
Eine Liebesheirat , die sie mit einem Offizier geschlossen , war von seiner Seite nach zehnjähriger Ehe gelöst worden .
In Folge der Wiederverheiratung mit einer niedrig stehenden Frau hatte er den Dienst quittieren müssen .
Über diese Scheidung und die sie begleitenden Umstände , ist Charlotte niemals fortgekommen .
Blutete auch ihr Herz nicht dabei , so hatte doch ihr Stolz eine Wunde davongetragen , die sich nicht schloß .
Die Vorstellung , daß man sie um dieser Scheidung Willen , mißachten könne , war ihr unerträglich , hauptsächlich um ihres einzigen Sohnes Willen , den sie über alles liebte .
Vielleicht war es nur der Haß gegen den einen Mann , der sie zur Männerfeindin machte .
Sie affichierte diese Feindschaft nicht etwa , im Gegenteil , sie verbarg sie sorgfältig .
Im Verkehr mit Männern zeigte sie sich außerordentlich liebenswürdig und außerordentlich falsch , katzenhaft falsch .
Sie spielte die ihrem Geschlecht zuerkannte Unterordnung , wußte aber in unnahbarer Würde die Männer fern zu halten .
Sie hütete die Reinheit ihres Rufes wie ihren Augapfel .
Ihrem Knaben sollte die Mutter , trotz der Scheidung , eine Lichtgestalt bleiben .
Nie sprach sie mit ihm direkt Unfreundliches über den Vater , verfuhr aber so diplomatisch schlau , daß sie ihre Abneigung gegen ihn auf den Sohn übertrug .
Die stattliche Frau hätte sicher noch Neigung erwecken und sich wieder verheiraten können .
Sie wollte nicht .
Ihre Herrschsucht aber , ihre tatkräftige Natur verlangte nach einem Kreis , in dem sie zur Geltung kam .
Da sie für ihre Person auf Erlebnisse verzichtet hatte , wollte sie in den Seelen Anderer leben , Schicksal für sie spielen und dabei zugleich ihrem Gemütsbedürfnis Rechnung tragen .
So zog sie eine Anzahl weiblicher Wesen in ihre Atmosphäre , die eine Art Hof um sie bildeten , und über die sie unumschränkt herrschte .
Es waren meist junge Mädchen , die aus irgend einem Grunde heimatlos und heimatbedürftig waren :
Waisen oder durch unglückliche Verhältnisse dem Elternhaus Entfremdete .
Einige bildeten sich zu Lehrerinnen oder Künstlerinnen aus ; alle aber waren schwärmerisch veranlagt und alle beteten Charlotte an .
Es schien , die Bedingung zur Aufnahme in diesen Kreis war Jugend , Schönheit und echt weibliche Artung .
Selbst ganz männlich , stieß Herrisch-Männliches bei anderen Frauen Charlotte ab .
Man sollte sich lianenhaft an ihr emporranken , hülflos sein .
Das war ich ja , und vielleicht die Hülfloseste von Allen .
Für eine Frau , die in glücklicher Ehe lebte , hätte sie sich nie interessiert .
Ich wurde allmählich ihre Bevorzugte , und daran lag es wohl , daß die jungen Damen dieses Kreises sich mir nicht besonders herzlich anschlossen .
Einer verheirateten Frau , die es ja nicht nötig hatte , gönnten sie den Platz am Herzen Charlottes nicht .
Und ich lag oft an ihrem Herzen .
Wenn sie mir mit ihrer rauhen Hand über das Haar strich , mir Stirn und Augen küßte und mich Mignon nannte , ( gerade wie früher der Dichter Moritz ) dann durchströmte mich köstliches Behagen .
Dann fühlte ich recht , wie ich geschaffen war , verwöhnt , gehätschelt , liebkost zu werden .
Ich dachte an meine Mutter .
Was für ein zärtliches Kinderherz hatte sie von sich gestoßen !
Und doch - eigentlich liebte ich Charlotte nicht , vielleicht nur deshalb nicht , weil ich für Frauen - ich sagte es Dir schon - keine Zärtlichkeit empfinde .
Auch waren unsere Seelen und Intelligenzen nicht verschwistert .
Sie war nicht von meiner Art , diese positive , kluge , geschäftskundige Frau .
In der Folge sahen wir uns fast täglich .
Eine perfekte Hausfrau und Weltdame aus mir zu machen , gelang ihr zwar nicht , aber ich lernte viel von ihr , und ich lernte mit Begierde und mit Neugierde .
Langsam schwand unter dem Einfluß ihrer reichen Erfahrung , ihres klaren Verstandes meine Gläubigkeit , meine Naivetät .
Sie spielte mir gegenüber etwas den Mephisto , um nicht zu sagen die Schwiegermutter .
Ich sollte auch Walter sehen , wie er wirklich war .
Ihre Beweggründe waren komplizierter Art .
Ihr sexueller Haß gegen Männer wirkte mit , die heimliche Genugtuung einem Manne den Meister zu zeigen .
Ausschlaggebender aber waren edlere Impulse bei ihr .
Hülfreich war sie und gut , und voll Zähigkeit und Energie , wo es galt denen zu helfen , die sie liebte , und nicht nur denen , allen Mühseligen und Beladenen gegenüber spielt sie gern die Rolle der guten Fee , und suchte und fand sie dabei auch eine Befriedigung ihrer Eitelkeit und Herrschsucht , der Grundzug blieb schlichte Herzensgüte .
Mich liebte sie wirklich .
Meine Blindheit und Naivetät aber entrüsteten sie , für meine Schwäche und Feigheit hatte sie kein Verständnis , ich sollte unter ihrer Leitung durchaus einen Charakter kriegen .
Auch als Hausfrau legte sie Hand an mich .
Ganz sacht und allmählich suggerierte sie mir , daß Walter an der geringen Schätzung , die ich in der Welt fand schuld sei .
Ich fragte sie , ob er Unfreundliches von mir spräche ?
Das wisse sie nicht .
Aber es gäbe ein Lächeln , ein Achselzucken , das vielsagend sei .
Unter dem Siegel der Verschwiegenheit pflege man intimen Freundinnen mancherlei anzuvertrauen , Wahres und Falsches , hauptsächlich Falsches .
Diese Siegel schienen nur da zu sein , um gebrochen zu werden .
Aber ich täte ihm doch nichts Böses , nicht das geringste .
Das hindere niemand , mich für ein Malheur des genialen Dramatikers , und nebenbei für eine schlechte Hausfrau zu halten .
Ob ich denn wirklich eine schlechte Hausfrau wäre ?
Sie lachte und streichelte mich .
Perfektere gäbe es schon .
Und sie erinnerte mich an eine gänzlich aufgeplatzte Bratwurst , die sie kürzlich auf meinem Tisch gesehen .
Wenn ihr die Köchin eine solche Bratwurst auf den Tisch brächte , so flöge sie die Treppe herunter .
Und Chocoladensuppe !
Wer gäbe denn einem erwachsenen Mann Chocoladensuppe zu essen !
Ich konnte mich nur damit entschuldigen , daß wir im elterlichen Hause uns doch immer so sehr auf Chocoladensuppe freuten .
Und die Geschichte mit dem Fasan , die kannte sie auch .
Ich erfuhr , daß Walter alle Welt damit amüsiere , und mit der Chocoladensuppe auch .
Auch ein Rindfleisch mit Rosinensauce , das Charlotte ebenfalls rügte , will ich hier nicht unterschlagen .
Ich erfuhr , daß Anekdoten und geflügelte Worte von mir im Umlauf waren , die mich als das Schäfchen charakterisieren sollten , das ich doch nicht war .
Übrigens wurden unter Charlottes Einfluß die geplatzten Bratwürste wirklich seltener , die Chocoladensuppen und Rosinensaucen verschwanden , und machten ausgewachsenen , einwandsfreien Menü's Platz .
Die Dienstboten zu zügeln und zu leiten das aber lernte ich auch nicht von ihr .
Sie hatte stets die denkbar vorzüglichsten Mädchen , obwohl sie überaus anspruchsvoll und sehr streng war .
Sie verstand eben zu herrschen .
Nicht nur für ihre Liebe war ich Charlotte dankbar , mehr noch für etwas anderes .
Sie entband mich von der fremden Person in mir , vom Alpdruck der Schüchternheit , die sich wenigstens ihr gegenüber verlor .
Ich wurde mit ihr ich selbst , und indem ich mich gab , entwickelte ich mich .
Ich entdeckte Fähigkeiten in mir , die mich selbst in Erstaunen setzten .
Denke Dir - aber wahrhaftig , es ist wahr - ich wurde witzig .
Charlotten junge Mädchen lebten in ganz anderen Kreisen als ich , sie wußten also nicht , daß mit mir nichts los war , waren nicht in Vorurteilen gegen mich befangen .
So wuchs ich an ihrem Lachen , ihrem Beifall .
Einige weniger Wohlwollende unter ihnen , meinten freilich , ich wollte mit Gewalt originell sein .
Irrtum , ich gab mich wie ich war , redete , was mir in den Sinn kam .
Es sprudelte in mir von launigen Einfällen , von Bildern , meine Seele jauchzte förmlich in der neuen geistigen Freiheit , in der ich wie auf hohen Bergen mit vollen Lungen atmete .
Zuweilen sprach ich unwillkürlich rythmisch .
Und Charlotte war so stolz , daß sie mich entdeckt hatte , zuweilen etwas befremdet , daß ich über ihren Gesichtskreis hinausflog .
Warum , fragte ich einmal Charlotte , hält man mich für dumm , da ich es doch nicht bin ?
Ob nicht möglicherweise jemand ein Interesse haben könnte mich für dumm gelten zu lassen ? war ihre Gegenfrage .
Sie dachte an Walter .
Aber der hielt mich ja wahr und wahrhaftig für dumm .
Sie hatte eine Aversion gegen meinen Mann , was sie aber nicht hinderte sich im Verkehr mit ihm einer unvergleichlichen Liebenswürdigkeit zu befleißigen .
Sie war entrüstet , daß ich meine Rechte als Gattin , und meine Würde als Frau mit Füßen treten ließ .
Damit ich meine Situation klar erfasse verhalf sie mir energisch zu einem Einblick in Walter's ausschweifende Lebensweise .
Eines Abends , als ich bei ihr war , schlug sie mir einen Spaziergang im Mondschein vor .
Wir gingen hinaus .
Es war kalt .
Sie trug Verlangen nach einer Tasse heißen Thees , und trat mit mir in ein elegantes Café unter den Linden .
Sofort sah ich Walter an der Seite einer schönen Dame .
Der Mantel der ihr von den Schultern geglitten , ließ den blendend weißen Hals frei .
Drei Reihen großer , blaßrosa Korallen waren um den Hals geschlungen .
Walter , als er uns bemerkte , runzelte im ersten Augenblick die Stirn .
Gleich aber gewann er seine Heiterkeit wieder .
Daß kein Überfall beabsichtigt war , sah er wohl an meiner aufrichtigen Überraschung , die sogar einen Anflug von Freude hatte .
Er stellte uns die Dame vor : eine Schauspielerin , die ein Gastspiel nach Berlin geführt , und die ihm von einem Freund warm empfohlen worden war .
Die Dame kam mir entzückend liebenswürdig entgegen .
Sie freue sich unendlich , die Gattin des Mannes kennen zu lernen , dem sie ihr Engagement zu verdanken habe .
Und sie bat mich so treuherzig , doch all meinen Einfluß bei meinem Gatten aufzubieten , damit er ihr die Hauptrolle in seinem eben an die Bühnen versandten Stück zuwende .
Einer so reizenden jungen Frau könne er sicher nichts abschlagen .
Ich glaubte jedes Wort das die beiden sagten , plauderte eine Stunde auf das angenehmste und Walter war so herzlich mit mir wie ich ihn kaum je gesehen .
Wie sonderbar doch der Zufall spielt , dachte ich ; einmal der Zufall , daß wir uns im Café trafen , und dann noch ein anderer Zufall .
Vor nicht langer Zeit war ich mit Walter vor einem Juwelierladen stehen geblieben , ganz in Bewunderung einer dreireihigen Kette von großen , blaßrosa Korallen .
" Wenn wir das große Los gewinnen , sagte ich zu ihm , mußt Du sie mir zum Geburtstag schenken . "
Und gerade solche Kette trug die junge Künstlerin .
Am anderen Tag erzählte mir Walter ganz gegen seine sonstige Gewohnheit von dem ausgezeichneten Charakter , und der hohen , künstlerischen Begabung der Dame .
Leider sei sie bitter arm , aber zu stolz , um von irgend jemand eine Unterstützung anzunehmen .
So fehle es ihr im Augenblick an einem passenden Hut , um sich dem Intendanten vorzustellen .
Er habe schon daran gedacht , ihr anonym etwas zu schicken , sei aber gerade jetzt gänzlich abgebrannt .
Ob ich nicht etwas Erspartes besäße .
Ich besaß in der Tat 50 Taler , an denen ich ein ganzes Jahr gespart , um mir ein pelzbesetztes Winterkostüm anzuschaffen .
Walter , der mich um etwas bat !
Und ich konnte ihm diese Bitte erfüllen !
Ich war so stolz und so glücklich darüber .
Ich verschwieg Charlotte diesen Zwischenfall , aus Diskretion gegen die junge Künstlerin , auch um Walter's Willen .
Eine Woche später - abermaliger Zufall .
Charlotte hatte darauf bestanden , mich zu einer Première mit ins Theater zu nehmen .
Vorn in der Proszeniumsloge saß die Dame mit den rosa Korallen .
- " Wer ist denn der Herr hinter ihrem Stuhl , der so eifrig in sie hineinredet ? " fragte Charlotte .
Ich richtete das Opernglas auf die Loge und erkannte Walter .
Ich murmelte etwas über wunderbare Zufälle .
Sie sah mich an , ohne ein Wort zu sagen .
Für die Rückfahrt nahm sie eine Droschke , die sie vor einem Hotel in der Mohrenstraße warten ließ .
Nach wenigen Minuten hielt eine andere Droschke .
( ich kann nicht dafür , daß in meiner Geschichte so oft Droschken halten . )
Walter stieg mit der Korallendame aus .
Er hat sie vielleicht nur nach Hause gebracht , stieß ich beklommen heraus .
Wir warteten noch zehn Minuten .
Walter kam nicht wieder .
Woher Charlotte so genau in Walters Lebensgewohnheiten eingeweiht war , hat sie mir nie verraten .
" Du hast jetzt Deinen Mann in der Tasche , sagte sie , benütze die günstige Position . " O Gott , sie wußte nicht , daß es mir fürchterlich war , jemand in der Tasche zu haben , daß ich nicht über die Lippen gebracht hätte , Walter auch nur mitzuteilen , daß ich ihn in der Loge gesehen .
Zog er eine andere mir vor , wie vulgär mich zu ihm drängen zu wollen .
Einen Menschen beschämen , gern über ihn triumphieren , ist das nicht , als bestritte man seine Vergnügungen mit dem Schaden Anderer ?
O Arnold , von ihr , von Charlotte habe ich auch endlich erfahren , wie es kam , daß ich seine Gattin wurde .
Jahrelang hatte er ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau von den schlechtesten Sitten gehabt , die viel älter war als er .
Der Gatte der Dame starb .
Sie hielt es für selbstverständlich , daß er sie heiraten würde , um so mehr , da er annehmen mußte , daß ihr Kind auch das seinige war .
Als Gattin war sie für ihn eine unmögliche Person .
In der Umschau nach einem Rettungsanker verfiel er auf die Verlobung mit mir ; der Dame gegenüber datierte er unsere Verlobung auf einen früheren Zeitpunkt zurück .
Er könne das junge Mädchen , in deren elterlichem Hause er jahrelang ein- und ausgegangen , nicht im Stich lassen .
Nach Charlotten Ansicht trug er sich mit dem Hintergedanken , die Verlobung mit mir in einem geeigneten Moment wieder aufzulösen .
Eine solche Auflösung , meinte sie , wäre nicht leicht , wenn man als Bräutigam in einen Familienkreis aufgenommen , wenn die Braut schön und makellos ist , und ihr ein ansehnliches Erbteil in Aussicht steht .
Vielleicht hatte Walter auf einen Zufall gerechnet , der ihm zu Hilfe kommen sollte .
Es kam ihm aber keiner zu Hilfe .
Zufälle sind Kobolde .
Gleich sind sie da , wenn sie nicht da sein sollten , und ruft man sie , stellen sie sich taub .
Und darum vielleicht ist Walter von Anfang an so böse auf mich gewesen , weil er versäumt hatte , mich zur rechten Zeit abzuschütteln .
Übrigens erschütterte mich diese Aufklärung nicht .
Daß er mich zur Zeit der Verlobung nicht geliebt hatte , wußte ich längst .
Was hatte ich also besonderes erfahren ?
Nur meine Neugierde war befriedigt , und der Horizont meiner Menschenkenntnis erweitert worden .
Und dann - meine Gewohnheit in Träumen zu leben , mag schuld sein , daß oft Wirkliches mich nur traumartig , an der Oberfläche berührte , ohne die feineren Empfindungsnerven vibrieren zu lassen .
Aber nicht bloß in Bezug auf Walter lüftete Charlotte allmählich die Binde vor meinen Augen .
Sie lehrte mich auch der Gesellschaft ins Herz sehen .
Charlotte hatte meiner Intelligenz den Anstoß gegeben , nun kam sie ins Rollen , und sie rollte - rollte - lawinenartig weiter .
Sie rollte fort über so vieles , bis zuletzt - ach ich glaube , es ist noch gar nicht zuletzt .
In meiner Natur begannen sich immer schärfere Gegensätze herauszubilden : Romantik im Gemüt , eine singende , klingende , und Skepsis im Kopf , eine kalt fragende ; und neben dieser zersetzenden Intelligenz zärtliche Verträumtheit , die am liebsten auf weichem Pfühl untätig und beschaulich schwelgte .
Feige Geducktheit nach außen , und innere Auflehnung gegen jede Schranke .
Es scheint mir so sonderbar willkürlich die Menschen in Herrscher- und Sklaven-Naturen einzuteilen .
Herrschen ! es widerstrebte mir nicht nur , weil ich es nicht konnte , ich hätte es auch nicht gewollt .
Überhaupt kam mir das Herrschen brutal vor , eine Eigenschaft für ein subalternes Zeitalter , und für subalterne Menschen .
Kraftmeier , Gewaltmenschen sind mir von jeher antipathisch gewesen .
Können aber nicht Mangel an Wehrkraft und Willensohnmacht zusammengehen mit absolut freiem souveränem Denken ?
Viel seltener als man glaubt wirken Charakter und Intelligenz bestimmend aufeinander und ineinander .
O Arnold , das Bild , das ich Dir von unseren Kreisen entrollen könnte , würde Dich mit Entsetzen erfüllen , Du würdest es für eine tolle Ausgeburt meiner Phantasie halten , Du Begnadeter , der Du unter Adelsmenschen aufwachsen durftest , fern ab von der Malaria , die ich jahrelang atmete .
Im Paradiese sind viele geboren , ich wohl auch .
Und schuldlos - ohne in den Apfel gebissen zu haben , sind sie hinausgetrieben , nicht von Engeln , die Gott gesandt , eher von der bekannten kalten Teufelsfaust .
Mit Staunen blickte ich anfangs in diese neue Welt .
Sie wirkte wohl deshalb so überraschend , so befremdlich auf mich , weil sie sich so scharf von der Welt abhob , in der ich im elterlichen Hause und in den ersten Jahren meiner Ehe gelebt .
Meine Natur ist nicht auf Beobachtung angelegt , und ohne Charlotte wären wohl noch Jahre hingegangen , ehe ich diese Gesellschaft begriffen .
Du meinst vielleicht , daß die engen Kreise , in die ich zufällig geraten , nicht viel bedeuten , gegenüber der Maße der Bevölkerung .
Doch Arnold , sie bedeuten viel .
Die Quintessenz der modernen Weltanschauung und eine Fülle von Intelligenz waren in ihnen vertreten .
Ich hatte von den französischen Salons einer Frau von Rambonillet , von den Salons einer Rahel , einer Henriette Herz gelesen , und immer waren es politische , literarische , künstlerische Interessen , die da im Vordergrund standen , Flirt , Liebesintrigen liefen nur nebenher .
Durch unsere Salon's aber wehte der Duft von Orangenblüten , Jasmin , Tubarosen .
Aphrodite saß auf dem Thron ; Apollo , Minerva leisteten ihr nur Knappendienste .
Waren die einzelnen Frauen dafür verantwortlich zu machen ?
Kaum .
Eine war , wie alle waren , weil alle die Eine mit hineinrissen in die hübschen Höllen , wo man nur zum Plaisirvergnügen liebt und lebt .
Und wenn von Schuld die Rede ist , so hatten die Männer mehr davon als die Frauen .
Bevorzugten sie nicht die Circen , die Bajaderen , die mit den bacchantischen Gebärden , und den noch bacchantischeren Gewändern ?
Ich habe Erfahrungen gemacht Arnold - abscheuliche !
Wirst Du_es glauben , da war ein Mensch , ein widriger , der affichierte ein Liebesverhältnis mit einer guten , kleinen Frau , nicht etwa um den Verdacht von einer anderen abzulenken - nein , nur um damit zu prahlen , daß eine hübsche , junge Frau von reinem Ruf seinen Reizen erlegen war .
Wie er sich hinter ihren Stuhl stellte - immer nur wenn viele Leute es bemerken mußten - sich zu ihr niederbeugte , ihr in es Ohr flüsterte , die gleichgültigsten Dinge von der Welt , wie er ihr zunickte und winkte , und eine einseitige Gebärdensprache etablierte - ein Verbrechen war_es .
Woher ich das weiß ?
Ich war ja selbst die kleine Person , die hülflose , die nicht wußte wie sie sich so gemeiner Zudringlichkeit erwehren sollte , ich selbst war die dumme Person , die ihren Mann um Hilfe anrief , und der lachte und gratulierte mir zu dem dicken Anbeter , und meinte , jede Frau von Takt wisse sich in solcher Lage selbst zu helfen .
Er hatte wohl recht damit .
Aber ist es nicht entsetzlich , daß in der sogenannten guten Gesellschaft eine Frau überhaupt in eine solche Situation geraten kann , daß es in dem Belieben jedes Schurken steht , sie zu kompromittieren .
Es gab in unseren Kreisen einige pikante , schöne , geistvolle Damen , hochgefeierte , die sich von Dirnen nur durch den Ehering unterschieden .
Man konnte sie nicht einmal mit der Augierschen " Armen Löwin " in eine Reihe stellen .
Denn einmal waren sie nicht arm , und dann begnügten sie sich auch nicht mit Einem Liebhaber , um sich finanziell heben zu lassen .
Da war ein Mensch - Hochstapler ist kein zu hartes Wort für ihn , - er hätte ins Verbrecheralbum gehört .
Jedermann wußte es .
Und man lud ihn mit Beflissenheit ein .
Warum ?
Er war geistreich , amüsant , hatte die schärfste Zunge und den beißendsten Witz , wußte jeden Klatsch und verachtete die Menschheit , die ihn mit einigen Millionen im Stich gelassen hatte , unermeßlich .
Die Gastgeber entlasteten ihr Gewissen , indem sie meinten , man lüde ja auch Virtuosen nur um ihrer Kunstleistungen Willen ein , ohne nach ihrem Charakter und Vorleben zu fragen .
Warum also nicht diesen Virtuosen der Zunge ?
Natürlich behaupte ich nicht , daß so Bösgeartete Dutzendweise vorhanden waren .
Sie waren vielmehr Ausnahmen .
Aber daß sie eine Rolle spielen konnten , daß man ihnen die Hände drückte , sich nicht über sie entrüstete , das war so gräßlich charakteristisch .
Ja , ein ungeheures Lügennetz umspannt die ganze Kulturwelt .
Alle , alle lügen , auf der Tribüne , auf der Kanzel , im Gerichtssaal , in den Salons , im Schlafzimmer .
Und ich ? lüge ich etwa nicht ?
Ich lüge vom Morgen bis zum Abend , ich lüge wenn ich jenem Hochstapler die Hand gebe , ich lüge , wenn ich gedankenlos herkömmliches Zeug rede , von dem meine Seele nichts weiß .
Ich lüge mit meinen Lippen , die lächeln , wo sie verachten .
Ich lüge , wenn meine Züge still bleiben , während es in mir gehrt .
Selbst meine Schüchternheit ist eine Lüge .
Ich bin ja innerlich unverschämt , vor nichts habe ich Ehrfurcht ; ich verneine im Geheimen , was ich äußerlich bejahe .
Aber ein wenig unterscheide ich mich doch zum Vorteil von vielen anderen Lügnern .
Ich lüge ungern und ich bin mir immer der Lüge voll bewußt .
Es herrschte in dieser Gesellschaft eine prickelnde Lust in verfängliche Tiefen zu tauchen , Irrlichter in Sümpfen , Hexen auf dem Blocksberg , unanständige , satanische Grimassen zu erlauschen .
Einmal nach einem kleinen Souper in unserem Hause , beschloß man in corpore das Orpheum ( damals ein Lokal wie etwa in Paris das " Ball mobile " ) zu besuchen .
Man müsse eben alles kennen lernen .
Die Damen schienen an Ort und Stelle einigermaßen enttäuscht , und eine äußerte ganz ärgerlich , darum wäre sie doch nicht Nachts um zwölf Uhr ins Orpheum gefahren .
Das wäre ja alles beinahe anständig , jedenfalls lange nicht unanständig genug .
Man lachte und verständigte die unzufriedene Dame , daß es die Sittenpolizei sei , die Satan bändige !
Und doch - nicht ungestraft besucht man Orpheum's .
Sicher traten auch bedeutende Menschen in meinen Gesichtskreis , ich hatte aber nicht Mut und Geschick sie nach den Wegen zu fragen , die aufwärts führen , und sie gingen vorüber .
Und auch Charlotte entschwand mir .
Seit einiger Zeit schien ein Kummer an ihr zu nagen .
Sie verlor sichtlich an Kraft und Frische .
Mitten im Winter gog sie sich plötzlich auf ihr Gut zurück .
Sonderbarerweise schrieb sie mir von da nicht ein einziges Mal .
Eines Tages aber kam sie unvermutet nach Berlin .
Das freudige Willkommen erstarb mir auf den Lippen , als ich sie so traurig verändert sah .
Ihr blühendes Gesicht verfallen , das Haar ergraut , die Gestalt gebeugt .
Ich forschte liebevoll nach dem Grunde der traurigen Veränderung .
Sie sei herz- oder lungenkrank , sie wisse es nicht recht , es sei auch ganz gleichgültig .
Ob sie nach Berlin gekommen , um einen Arzt zu konsultieren , fragte ich .
Nein , sie selbst sei als Arzt gekommen , um meinetwillen sei sie da .
Aus weichlicher Feigheit habe sie mir noch etwas verschwiegen .
Es wäre so töricht gewesen als eine Operation zu hintertreiben , die einem die Gesundheit wieder geben könne .
Meine Gesundheit hieße : Trennung von Walter .
Ich sah beklommen zu ihr auf .
Was würde ich erfahren ?
Nur widerwillig , Arnold , sage ich Dir das Abscheuliche .
Walter hatte im Vertrauen verschiedenen Personen mitgeteilt , daß er von mir betrogen worden sei , daß ich vor der Ehe einen Geliebten gehabt .
Seine Intimen hatten den hübschen Klatsch weitergetragen , von Mund zu Mund war die Mär gegangen , und hoch klang das Lied von dem edlen Gatten , der Gnade hatte für Recht ergehen lassen .
Ich sah Charlotte entsetzt an .
Ich glaubte nicht recht gehört zu haben .
" Das kann nicht sein , es ist unmöglich . "
Ob ich je eine Verleumdung oder Lüge aus ihrem Munde gehört ?
Nein , das hatte ich nicht .
Sie habe hart mit sich gekämpft , ehe sie sich zu dieser Mitteilung entschlossen , die eine Trennung von meinem Gatten zur Folge haben müsse .
Walter sei mein Feind , und ich hätte nur die Wahl : Trennung oder moralisches und geistiges Siechtum .
Davor wolle sie mich bewahren .
Ich war außer mir , Charlotte wollte mich beruhigen , trösten , und da zeigte sie mir die furchtbare Wunde an der sie verblutete :
Man hatte ihre immer hülfsbereite Freundschaft , ihren zart innigen Verkehr mit den jungen Mädchen auf ein unnatürliches Laster zurückgeführt , und sie kannte die Quelle dieser infamen Verleumdung : der Vater ihres Sohn's .
Und noch mehr sagte sie mir .
Du lieber , einfacher , reiner Mensch , Du weißt nichts von der heimlichen Misere so vieler Ehen , welche Widrigkeiten , welche Martern es für die Frau gibt , von denen der Mann keine Ahnung hat .
Da ist eine Gattin , - sie hat möglicherweise ihren Mann lieb , ihre zitternde Seele neigt sich in heißer Zärtlichkeit ihm zu .
Aber diese Flamme will mit edlem Material genährt sein .
Darüber verfügt er nicht , und in seiner Umarmung wird die Flamme zu einem Brandmal .
Unglückliche Charlotte !
Sie hat mich ahnen lassen , wie furchtbar ihr das Erdulden der Gattenliebe war , wie zornig oft ihre Abwehr , ein Zorn bis zur Raserei , bis zu der teuflischen Einflüsterung :
" Töte ihn . "
Und nun tötete er sie .
Sie hatte heiser , tonlos gesprochen , die Augen in starrender Wut auf den Boden geheftet .
Die Ärmste hatte seit Monaten in steter und furchtbarer Angst gelebt , die Verleumdung könne ihrem heißgeliebten Sohn zu Ohren kommen .
Er war Offizier - ein Wort von einem Kameraden - sie sah das Schreckbild eines Duells - sie sah ihn tot - den einzig Geliebten , tot um ihretwillen .
Und wie - wenn er auch nur einen einzigen Augenblick eine solche Monstruosität für möglich halten konnte !
Über Tote schweigt man .
" Darum - so schloß sie - werde ich sterben , weil ich sterben will . "
Es waren ihre letzten Worte .
Ich habe sie nicht wieder gesehen .
Wenige Monate darauf war sie tot .
Als sie nach jener schrecklichen Stunde von mir ging überfiel mich ein Schüttelfrost .
Ich legte mich zu Bett .
Einen Augenblick trug ich mich mit Selbstmordgedanken , und sterbend wollte ich Walter in es Ohr schreien :
" Es ist nicht wahr . "
Im heftigsten Paroxysmus der Verzweiflung aber fiel mir plötzlich ein :
" Kriegst Du schon wieder eine tragische Gänsehaut ? "
Wie albern , ihm zurufen zu wollen :
" Es ist nicht wahr . "
Er weiß ja , daß es nicht wahr ist .
Die Vorstellung , eine Erklärung dieser abscheulichen Verleumdung von ihm zu fordern , wies ich mit Abscheu zurück .
Und dann dachte ich wieder : wie gut , wie gut , daß du ihn nicht liebst , du müßtest ja wahnsinnig werden .
Laß ihn doch sagen , was er mag .
Was geht es mich an ?
Nichts habe ich mit ihm gemein .
O heilige Ehe ! heilige Ehe !
Ich glaube , ich lachte laut .
Ein böses Lachen , das über die Seele hinbraust , und in einer Flut von Hohn Glauben und Idealität begräbt .
Ich sprang aus dem Bett , mit dem Gefühl des Erstarktseins . Hin zu Traut .
Ich riß das Kind an meine Brust :
Traut !
Engel !
Seelentrost !
Himmelsbote ! mit deiner schwarzen Mähne trockene meine Tränen , schlage um mich die dunklen Flügel , daß ich nur Dich sehe , nur Dich !
Herzenspüppchen ! jauchze ! tanze !
Das Ungewohnte , Wilde meines Wesens erschreckte die Kleine , und mit einem himmlischen Instinkt sagte sie :
" Muttchen , Traut will lieber beten . "
Und sie kniete nieder im Bettchen .
In dem langen , weißen Hemd , die Händchen gefaltet , die Augen nach oben gerichtet , ganz ein Cherub .
Und sah ich den Glorienschein nicht , ich empfand ihn .
Und Traut betete wie das Kindermädchen es sie gelehrt : " Breit aus die Flügel beide , o Jesu meine Freude , will Satan Dich verschlingen , so laß die Englein singen , dies Kind soll unverletzt sein . "
Ja , das Englein hatte gesungen .
Ja , das Kind soll unverletzt sein , auch von mir .
Er soll nur kommen , der Satan !
Ich betete sie zurück in die Kissen , ich küßte ihre rosigen Füßchen : " Schlaf Traut , Schlaf ! "
Nein , Traut ist nicht Walter's Kind .
Es ist mein Kind , meines ganz allein .
Wirst Du es glauben Arnold , daß in nicht allzulanger Zeit mein Groll gegen Walter sich verflüchtigte , und als Jahr und Tag ins Land gegangen waren , hatte ich fast vergessen , was er mir getan .
Meiner Seele fehlt das Gedächtnis .
Ich muß einmal zu irgend einer Zeit einen zu starken Zug aus dem Lethe getan haben , und der wirkt noch immer in mir nach .
Edle , gütige Charlotte , Du hast mich schlecht gekannt ; nicht einen Augenblick dachte ich an Scheidung .
Ich kann wohl hassen , aber keinen Einzelnen , mein Haß breitet sich immer gleich wie eine Wolke über den ganzen Horizont meines Lebens : ein Haß über die Enge meines Daseins , ein Haß so ins Blaue hinein , gegen die Welt im allgemeinen , daß sie gerade so war und nicht anders , sie hätte doch auch so gut anders sein können .
Was für eine Welt ! wo einer dem anderen das Herz aus dem Leibe reißt , ohne jeden Grund !
Was hatte er nur davon ?
Man erzählt von einer Fürstin im Mittelalter , die junge Mädchen zu Tode martern ließ , um sich an ihren Qualen zu weiden .
Aber sie war toll , diese Fürstin , toll .
Und Walter war so nüchtern klug .
Freilich , ich wußte ja , er hatte nicht etwa aus überlegter Bosheit gehandelt .
Das hatte meine Mutter auch nicht getan .
Beide handelten impulsiv .
Er war nun einmal kein Cato .
Walter hatte in einem gegebenen Augenblick eine Rechtfertigung , eine Beschwichtigung irgend einer Person gegenüber gebraucht , und da kam ihm der Einfall mit meinem Fehltritt vor der Ehe .
Und er hat die Idee gewiß ganz famos gefunden .
Er dachte dabei gar_nicht an mich , nur an sich .
Und ich würde es ja nie erfahren .
Mit der Zeit mochte ich ihn sogar wieder gut leiden .
Ich hatte es wieder gern , wenn der Duft seiner Havanna durch das Haus zog , wenn er sein hübsches Gesicht durch die Tür steckte , und sein nervöses , etwas heiseres Lachen eine prickelnde Aufgeräumtheit verbreitete .
Und doch - gab ich mir auch keine Rechenschaft davon - der Tropfen Gift , mit dem Walter's schimpfliche Verleumdung mein Blut infizierte , tat seine Wirkung .
Manches , was bis dahin noch unsicher und schwankend in mir gehrte , gewann an Boden :
Die Lust und der Wille bei dem Bacchanal des Lebens dabei zu sein .
War ich nicht in der Tat dumm ?
Wenn alle das Leben so leicht nahmen , warum ich nicht auch ?
Durch Reihen Tanzender , schwerfällig schreiten ist beinahe lächerlich .
Mittanzen einfach und natürlich .
Waren alle diese Umschwärmten , Begehrten etwa schöner , besser , klüger als ich ?
Gar nicht .
Ich brauchte also nur zu werden wie sie .
Als ich früher einmal in einem Gespräch mit Charlotte meine Verwunderung über die fabelhaften Gesellschaftserfolge einer reizlosen Dame , aussprach , sagte sie !
" Diese Frau kennt die Männer . "
" Wie meinst Du das Charlotte ? "
" Sie weiß die Männer sind eitel , sinnlich und dankbar .
Eins der urältesten Rezepte der Weltapotheke - lange vor Machiavel und Napoleon - heißt : die Menschen bei ihren Schwächen fassen . "
Dieses Gespräch fand in einer Gesellschaft statt .
Sie deutete auf eine Dame , die mit einem Archäologen plaudernd , in unserer Nähe stand .
Sie habe einen Teil der Unterhaltung zwischen den Beiden gehört .
Die Dame , die oberflächlichste aller Kommerzienräthennen , ließe sich schon eine Stunde lang , begeisterten Ohr es , einen Vortrag über die Inschriften auf alten Sarkophagen halten , welches Wissensgebiet ihr Hekuba sei , indem sie mit Recht den Ruf genieße , nur für Hüte zu schwärmen .
" Warum tut sie das " ? fragte ich .
Charlotte winkte dem Archäologen , der sich eben mit tiefer Verbeugung von seiner Dame trennte .
" Nun , junger Winkelmann haben Sie sich gut unterhalten mit Frau S ?
... "
" Ausgezeichnet .
Die gescheuteste und liebwerteste Frau , die ich kennen gelernt habe " .
" Das ist der Dankbare , sagte Charlotte zu mir als der Archäologe gegangen war .
Und daß Du_es nur weißt , Frau Bronowski , das notorische Gänschen , ist auch die gescheiteste und liebwerteste Frau unter der Sonne .
So behauptete vorhin der sehr ehrenwerte Abgeordnete Maider , der im hohen Hause für Civilehe und Leichenverbrennung wie ein Löwe kämpft , sonst aber als politischer Kannegießer zum Weißbier neigt .
Das notorische Gänschen hatte ihm ein künftiges Ministerportefeuille auf den Kopf zugesagt , als Lohn seiner welterschütternden politischen Wirksamkeit . "
" Das war für den Eitlen .
Übrigens war es der Dame aus dem Posschen , die in Perlen und Diamantenpracht strahlt , Ernst mit ihrem Lob .
Sie schwärmt nämlich auch für Leichenverbrennung .
Sie will durchaus nicht verwesen . "
Charlotte hatte dann meine Aufmerksamkeit auf eine Gruppe von Damen gelenkt , um die sich ein Schwarm von Verehrern drängte .
" Warum glaubst Du daß diese Damen so umschwärmt sind ? "
Ich wußte es nicht .
Besonders hübsch waren sie nicht .
Ich meinte , sie wären vielleicht geistreich , unterhaltsam .
" Nicht die Bohne .
Aber sieh nur , wie reizend sich der weiße , tiefentblößte Nacken der Blondine da von dem schwarzen Boa um ihren Hals abhebt ; und die Andere , die Brünette - kann eine Büste rosiger , durch feinere , verräterischere Spitzen schimmern als die ihrige ? "
" Das ist für die Sinnlichen , Hm , ja !
So wird_es gemacht . "
So Charlotte .
Und ich ?
Ob ich mir das Rezept aneignen sollte ?
Pfui !
Und doch - - - Ich verhöhnte mich , in Selbstgesprächen : Du mein braves , rechtschaffenes Selbst .
Ducke Dich nur weiter und übe nach wie vor Treue und Redlichkeit bis an Dein kühles Grab .
Hat es je einer anerkannt ?
Meine Bescheidenheit hieß Dummheit , meine Stille - Stumpfsinn , meine Arbeitsamkeit - Magdthum , meine einfache Kleidung - Mangel an Geschmack .
Dieses letztere besonders kränkte mich bitter .
Meine einfache Kleidung !
Ich wußte doch , welche Entsagung ich gerade auf diesem Gebiet übte .
Oft stand ich vor einem Konfektionsgeschäft , hart mit mir kämpfend , ob ich nicht diesen entzückenden Pelzkragen , jenes reizende Jäckchen kaufen sollte .
Und wenn meine Tugend triumphierte - und sie triumphierte immer - ging ich betrübsam weiter , und fand nicht einmal in meinem Pflichtbewußtsein einen kümmerlichen Lohn .
Ja , grau , aschfarben , saft- und kraftlos waren alle meine Tugenden , sie blühten nicht , sie zeugten nicht , sie hatten etwas entblättertes , dorniges .
Und wenn ich mir es recht überlege , es waren ja gar nicht meine Bravheiten , ich hatte sie mir aufschwatzen lassen ; die meinen , die sollten noch kommen , die mußten weittragender , beschwingter sein , mehr als das bißchen bescheidene Geducktheit , mehr als der stumpfe Gehorsam gegen Sitte und Brauch .
Also - fort aus dem Schatten !
Hinüber auf die Sonnenseite .
Ich beobachtete nun scharf und aufmerksam , was um mich her vorging .
Ich wollte hinter das Geheimnis der Anziehungskraft all jener Gefeierten kommen .
Und ich kam dahinter .
So einfach war_es .
Charlotte hatte recht .
Koketterie , nichts weiter .
Ja , mit Worten und Gebärden , mit Körper und Geist kokettierten sie , die Einen so und die Anderen wieder anders .
Mit Erstaunen sah ich die Wirkung dieser verschiedenen Spielarten der Koketterie , die Wirkung dieses girrenden Lachens ohne Grund , dieses Neckens und Schäkerns ohne Witz , dieses Lockens mit Temperament , kapriziösen Frechheiten , ja mit Verbuhltheit .
Es gab freilich auch ganz feine Seelenkoketterien , auf höher gestimmte Geister berechnet , wo man sich als Göttin , Elf , Muse , Grazie verkleidete , und in zarte Schleier gehüllt , rätselhafte Tiefen , abgründliche Geheimnisse ahnen ließ .
Ich konnte nicht genug darüber staunen , daß die Kunst der Schmeichelei eigentlich gar keine Kunst war .
Sie mochte noch so grob und primitiv geübt werden , sie erreichte immer ihren Zweck .
Und keine Gescheutheit , keine Tüchtigkeit schützte den Mann , den Zauberinnen ins Garn zu gehen ; ja , je naiver , besser , je unbefangener er war , desto leichter geschah es ihm .
Am ehesten entgingen noch routinierte Weltleute den Fallstricken dieser Circen .
Die hatten zu oft hinter den Kulissen gestanden , und die abgebrannten , hölzernen Gerüste gesehen , nachdem das Feuerwerk verpufft war .
Ja , ich wollte auch zaubern lernen , auch kokett werden , mich auch des Lebens freuen , " so lange das Lämpchen glühte , die Rose pflücken , ehe sie verblühte . "
Ich erinnere mich noch genau meines ersten Debüt's auf dieser schlüpfrigen Bahn .
Ich saß in einer Gesellschaft zur Rechten eines Herrn , der mir , im angeregten Gespräch mit seiner Dame zur Linken , unentwegt den Rücken kehrte .
Ich ergriff die Gelegenheit , als er mir einmal aus Höflichkeit einen Brocken von Unterhaltung zuwarf , und fragte ihn mit kalter , ironischer Berechnung , ob er vielleicht mit dem Herrn S. verwandt wäre , dem Schriftsteller , dessen Werke ich mit solchem Entzücken gelesen hätte .
Mit einem Ruck wendete er sich mir voll zu .
Daß er dieser Schriftsteller selber war , wußte ich natürlich .
Und von diesem Augenblicke an , gab er sich ganz der Unterhaltung mit mir hin , die Dame zur Linken sträflich vernachlässigend .
" Ce n' est que le premier pas qui coûte . "
Meine ersten Schritte waren gewiß ungeschickt genug , und oft , wenn ich mir etwas besonders Unfeines hatte zu Schulden kommen lassen , sah ich mich erschrocken um , in der Meinung einer beleidigten Miene , einem spöttischen Achselzucken zu begegnen .
Nichts !
Ich hatte schließlich den Eindruck , als gäbe es gar keine Grenze , wo die Koketterie anstößt , verletzt , unerlaubt wird .
Und wenn ich mich nicht allzu weit vorwagte , so zog mir einmal meine nie ganz überwundene Schüchternheit die Grenze , hauptsächlich aber mein natürlicher Widerwille gegen Ausschweifungen .
Auf der anderen Seite kam mir mein mimisches Talent zu statten .
Ich wußte , daß ich durch mein Mienenspiel jedwede Seelenerregung , von der treuherzigsten Unschuld bis zur heißesten Leidenschaft auszudrücken verstand .
Trotzdem fand ich die Rolle der Koketten schwer , anstrengend , sie lag mir nicht .
Man weiß von Bühnenkomikern , die im Privatleben sehr ernsthafte , ja melancholische Leute sind .
So war ich nur eine Spielkokette .
Sobald ich nach Hause kam , wurde ich melancholisch , mit einem Stich ins Menschenverächtliche .
Du hättest mich in dieser Zeit von anderen Weltdamen nicht unterscheiden können .
Wie sie fingierte ich Interesse für Dinge , die mir ganz gleichgültig waren , ich posierte , ich schwatzte kreuz und quer ins Blaue hinein , ich gewöhnte mir ein girrendes Lachen an , ich - o Arnold , verhülle Dein Antlitz - ich kleidete mich nach dem Geschmack der Sinnlichen .
Die Schmeichellügen gelangen mir am wenigsten .
Nur in einzelnen Momenten bösester , ironischer Stimmung kamen sie über meine Lippen , von dem Unbehagen begleitet , als hätte ich jemand , der mir nichts getan , beleidigt .
Immer bisher hatte ich mich mit einem schlechten Gewissen gequält , immer mich als Ertappte , Beschämte , Straffällige gefühlt : wenn ich von meiner Mutter bei dem Spiel mit Theaterfiguren oder bei den Büchern ( O , Veronika mit dem Blutschleier ) überrascht wurde .
Und später , wenn die Köchin eine Speise verdarb , wenn Motten in Walter's Rock kamen , und der Kuß des Mädchenjägers und der langweilige Wilhelm - alles Schuld !
Schuld !
- Nun wollte ich kein böses Gewissen mehr , ich schwor es ab , ich begrub es unter Tand , geistigem und sehr ungeistigem .
Anfangs erschreckten mich meine Erfolge , obwohl sie gar nicht überwältigend waren .
Zu den allgemein Gefeierten habe ich nie gehört .
Doch wurde nun auch für mich das ganze Arsenal begehrlicher Liebe in Bewegung gesetzt :
Glut und Tränen , und alle Sorten ewiger Gefühle , gereimte und ungereimte , mit einem Wort , romanhaft ging es zu .
Wie sich es in Romanen gehört erlebte ich neben der Liebe , Haß und Intrige , Verleumdung , Kampf , Neid .
Ein paar Jahre lebte ich in diesem heißen Dunstkreise wie in purpurnem Nebel .
Es roch förmlich nach Orangenblüten , zuweilen auch nach Lindenblüten und Veilchen .
Dann war ich gleich gerührt , und " zerflossen in Wehmut und in Lust warf ich dem Sänger die Rose von meiner Brust . "
Keinem aber der Sänger stieß Walter das Schwert , das blitzende in die Brust , im Gegenteil , er amüsierte sich sogar über meine Erfolge , wenn es auch zuweilen um seine Lippen zuckte , als wollte er sagen : " sieh einer das Leneken , hätte ich ihr gar nicht zugetraut . "
In unserem Speisezimmer stand unter grünen Gewächsen , zierlichen Palmen , und blühenden Hyazinthen eine Büste der Venus von Milos .
Zuweilen wenn ich gerade recht im Zuge war mir in der üblichen , frivolen Weise den Hof machen zu lassen , fiel mein Blick auf diese Büste .
Wie groß und rein erschien sie mir in ihrer klassischen , stillen Schönheit , diese Göttin der Liebe , gegenüber diesen blasierten , plappernden , klappernden Nichtgöttinnen der Verliebtheit ; und ich gehörte dazu , und ich schämte mich ihrer und meiner .
Glaube mir Arnold , ich hatte Momente , wo mir mein Wesen zuwider war , und wo ich die Empfindung hatte , als ob von irgendwoher ein großes , mystisches Auge auf mir ruhte , dem ich nicht entrinnen könne .
Ich erinnere mich , zuweilen , wenn ich aus einer Gesellschaft nach Hause kam , verfiel ich in finstere Stimmung .
Ich warf meine Gesellschaftsrobe zu Boden , riß mir das Haar auseinander , schnitt vor dem Spiegel eine höhnische Grimasse :
" So bist Du . "
Und plötzlich fiel mir das längst vergessene , gräßliche Schimpfwort meiner Mutter ein : " Ekelbiest " .
Und langsam sprach ich es aus , den Blick auf den Spiegel geheftet .
Während dieser Jahre war mein Verhältnis zu Walter freundlicher und friedlicher als je zuvor , und es wäre vielleicht so geblieben , wenn nicht etwas Unglaubliches , beinahe Groteskes sich ereignet hätte , was ein freundliches Nebeneinanderleben für alle Zukunft ausschloß .
Nur , weil Du mein Wort hast , daß ich Dir alles sagen will , sage ich Dir auch das .
Walter geriet plötzlich auf den Einfall , mich noch einmal lieben zu wollen , und er legte dabei eine gewisse Zähigkeit und Leidenschaftlichkeit an den Tag .
Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ganz die Sklavin , die nur dient und gehorcht .
Zum zweiten Mal dieses verlogene Liebesspiel , das die Gattin zur gefälligen Dame macht !
Jeder Nerv hätte sich in mir empört .
Und zwischen uns stand jene schimpfliche Verleumdung , deren Stachel noch in mir bohrte .
Und noch etwas anderes .
So sonderbar es klingt - ich finde kein anderes Wort - die Ehrfurcht vor Traut - und - - ach , nichts mehr davon .
Zwischen uns entspann sich nun jener stille , hartnäckige Kampf , bei dem selbst die einfachsten , ungeschicktesten Frauen listig werden .
Als er endlich den Kampf aufgab , blieb ein Groll in ihm zurück , der mein Leben überdauern wird .
O heilige Ehe !
Es gibt keine heilige Ehe , keine heilige Sitte , um derentwillen wir nach unserem besten Gewissen unsittlich leben müßten .
Unsittlich war es , daß ich mich nicht schon im ersten Jahr unserer Ehe von Walter trennte .
Das kannte ich aber doch nicht .
Wohin sollte ich denn ?
In meiner Ehe blieb ich eigentlich immer halb Witwe - halb Mädchen .
Unter meinen Verehrern war einer , der liebte mich ehrlich und ernsthaft .
Er war Abgeordneter der liberalen Partei und nebenbei Professor der Geschichte .
Sein Spezialfach das Mittelalter , hauptsächlich die Minnesänger .
Man nannte ihn Minnefänger , weil er ganz ein Mann à bonnes fortunes war , eigentlich ein frivoler Lebemann ; er milderte aber die Frivolität , einmal dadurch , daß er so urgemütlich sächselte , mehr aber noch durch die unverbrüchliche Treue , die er seinen Coeurdamen hielt .
In jedes seiner Abenteuer legte er sein ganzes Herz , und stempelte es so beinahe zu einer Ehe .
Geliebter sein , war der Ehrgeiz seines Lebens , und er nahm diese Rolle sehr wichtig .
Es waren immer äußere Umstände oder die Untreue der Geliebten , die eine solche Verbindung für ihn lösten .
Sonderbar - eigentlich ein guter , braver Mensch , und suchte doch nur unter verheirateten Frauen seine Liebesgenossinnen .
Dabei erfreute er sich als überzeugungstreuer Politiker hohen Ansehens in der Gesellschaft .
Daß man an seinen Abenteuern Anstoß genommen hätte , habe ich nie bemerkt .
Das war so neu für mich , ein Mensch für den ich Sonnenschein und Regen bedeutete , der so grenzenlos dankbar war für jedes freundliche Wort , jeden Blick den ich ihm gönnte ; und daß man ihn Lene's Troubadour nannte , hatte Walter angestiftet .
Und er benahm sich wirklich ganz troubadourhaft : wandelte nächtlings unter meinem Fenster , parfümierte sich und schlug die Leier , wenn auch nicht wundervoll , aber er schlug sie doch , indem er wöchentlich mit 2-3 Sonetten mein hartes Herz zu rühren suchte .
Hart war es gar nicht ; seine vergebene Liebesmüh rührte mich , auch seine Häßlichkeit , nicht die Häßlichkeit an und für sich , aber daß er sich ihrer so bewußt war , daß seine Mienen förmlich um Entschuldigung für seine Sokratesnase baten .
Walter legte eine befremdliche Beflissenheit an den Tag , den liberalen Professor einzuladen .
Waren wir im Theater gewesen , und soupierten nachher mit anderen Bekannten in einem Restaurant , so mußte der Professor dabei sein .
Daß er mich auf dem Nachhausewege führte , war selbstverständlich .
Was bezweckte Walter damit ?
Auch ohne Charlotte's Scharfsinn , - ach sie war nicht mehr erreichbar für mich - kam ich auf die richtige Fährte .
Es gehörte kein Scharfsinn dazu .
Walter in seiner Lässigkeit und Frivolität verriet sich immer selbst .
Er wünschte mich kompromittiert .
Er bedurfte meiner offiziellen Untreue , um , sowohl in den Augen der Welt als in der .
Augen der Gräfin Virginia - die damals seine regierende Königin war - der Rücksicht auf mich enthoben zu sein .
Sie sollte sich dem armen Verratenen mild wie ein Engelsbild neigen Übrigens überwand mein Troubadour um meinetwillen seine Abneigung gegen die Ehe .
Ich sollte mich scheiden lassen .
Er wollte mich heiraten .
Das ging doch nicht .
Ich liebte einen Anderen .
Fast alle diese verheirateten Weltdamen liebten ja einen Anderen als ihren Gatten .
Mein Anderer war kein Mensch von bescheidenem Mittelmaß .
Er gehörte zu den Großen .
Ich sagte es schon :
Die Gesellschaft hatte mich abgestempelt als eine dritten Ranges , und nur Menschen ersten Ranges zogen mich an .
Ich blickte zu Wolf Brant empor , sehnsuchtsvoll , wie einer aus dem Schatten des Tals zu flammenden Gipfeln blickt .
Ein Mensch in großem Stil , ein heroischer Mensch .
In einem anderen Zeitalter , unter einem anderen Stern geboren , hätte er ein Friedrich der Große , ( er hatte seine mächtigen , blauen Augen ) ein Napoleon , ein Mohammed werden können .
Er gehörte zu der Hohepriesterkaste oder zu den Königsnaturen , die Reiche oder Religionen gründen oder zerstören , die Bildsäulen stürzen und Revolutionen entfachen .
Er war ein Apostel , aber ein sehr komplizierter , einer der nicht das geringste Talent zum Märtyrer hatte .
Seine kühnen Gedanken , gleichsam gekrönt , von Purpur umwallt - er schleuderte sie wie Blitze des Zeus in die Welt .
Glühend seine Weltlust , glühend und tief sein Denken , echtes Feuer , das aber die Pose nicht ausschloß .
Ein fast schauerlicher Dualismus war in ihm .
Schon daß er - reich und eine Herrschernatur - sich zum Herold der Gleichheit aller Menschen machte , schloß einen immensen Widerspruch in sich .
Er lebte wie ein Weltmann , hielt ein Reitpferd , ließ sich zu den kleinen Diners und Soupers , die er seinen Freunden gab , Sterlet's aus Rußland und Poularden aus Brüssel kommen , trug Hemdenknöpfe aus echten , schwarzen Perlen , und die Zahl seiner Krawatten war lächerlich .
Einer der Menschen , die Himmel und Hölle ( zuweilen auch einen Tingeltangel ) in der Brust tragen , aber doch so viel mehr vom Himmel , daß sie ungestraft mit kleinen Teufeln tändeln dürfen - zur Kurzweil .
Wolf Brant's Tafelfreuden - Kurzweil ; seine Toiletten , Badereisen - Kurzweil , und Kurzweil vor allem - die Frauen .
Er liebte sie über alle Maßen , begriff aber einfach nicht , daß man am Weibe etwas anderes lieben könne als das Weibchen .
In naivster Weise konnte er seinem Erstaunen darüber Ausdruck geben , daß viele Männer in ihre Beziehungen zu Frauen Seele und Zärtlichkeit trugen .
Ja , er beneidete sie gelegentlich um diesen feineren Genuß , der für ihn nicht existierte .
Er dachte nicht daran , seine Ansichten zu verhehlen .
Er hat nie einem Weibe gegenüber gelogen , nie versprochen , was er nicht halten konnte .
Ja , er pflegte Frauen , die ihn liebten , zu warnen , nicht über die Stunde der Liebe hinaus auf ihn zu rechnen , nicht auf sein Gemüt , nicht auf seine Treue , und am allerwenigsten auf die Ehe .
Er warnte aber nicht nur die Frauen , er warnte auch seine Freunde , damit sie ihre hübschen , jungen Frauen vor ihm hüteten .
Auf dem Gebiet der Liebe gäbe es für ihn keine Schranken , keine Freundschaftsverpflichtungen .
Er wisse , daß im gegebenen Moment , sein Temperament mit ihm durchgehen werde .
Abgesehen von diesem Punkte , war er der trefflichste Freund , von unverbrüchlicher Treue , voll rückhaltloser Anerkennung der Verdienste der Freunde , und jederzeit bereit ihnen opfervolle Dienste zu leisten .
Witz , Munterkeit , ließ er beim Weibe gelten als Würze für den Liebesgenuß .
Und wenn er zuweilen doch mit zäher Leidenschaftlichkeit um ein Weib warb , so galt die Zähigkeit dem Widerstand , dem sie ihm etwa entgegensetzte .
Die Liebe wurde ihm eine Machtfrage :
Ich will Dich , also wirst Du mein sein .
Um den Sieg ging es ihm .
So warb er um die Gräfin Viriginia , die ihm eigentlich mißfiel , ja sogar langweilte , weil er ihren Widerstand brechen wollte .
Ich hielt mich schen von ihm zurück .
Ob er mich geliebt hätte ?
Warum denn nicht ?
Aber fragt mich nur nicht wie !
Dieser starke Simson hätte vielleicht wirklich Weltsäulen gestürzt , und die Philister darunter begraben , wenn er nicht einem Aberglauben erlegen wäre .
Er - als ein Gesalbter des Herrn - hielt sich für gefeit gegen tückische Zufälle des Schicksal's , wie sie gewöhnliche Sterbliche treffen .
Eines Tages bestieg er , führerlos , trotz eindringlicher Warnungen , einen der gefährlichsten Schweizerberge .
Ein Schneesturm überraschte ihn .
Dieser Feuergeist erfror langsam .
Gegen Ende des Winters fand ein Kostümfest statt .
Eine italienische Nacht sollte es darstellen .
Der Theaterdirektor , der Walter's Stücke aufführte , gab das Fest .
Ein Ehepaar , das durch einen Todesfall verhindert war , den Ball zu besuchen , hatte Walter um einen geringen Preis zwei Kostüme , das eines Pierrot und einer Pierrette angeboten .
Walter nahm sie und stellte mir frei , das der Pierrette zu benutzen .
Ich benutzte es , um zu erfahren , daß Kostüme imstande sind , eine wunderbare Suggestion auf uns auszuüben .
Den ganzen Abend über war ich von einem Kobold besessen , er identifizierte sich mit mir , der Kobold des Kostüms .
Schon dieses Freisein von beengenden Kleidern entband einen tanzenden Übermut in mir , eine springende Lust über alle Stränge zu schlagen .
Zum ersten Male in meinem Gesellschaftsleben streifte ich jegliche Schüchternheit ab .
Alles was sonst esprit de l'escalier bei mir war wagte sich dreist auf die offene Szene .
Und zum ersten und letzten Male in meinem Leben hatte ich einen sensationellen Erfolg .
Ich weiß nicht , warum Walter im letzten Augenblick auf das Pierrotkostüm verzichtete , und es meinem liberalen Professor überließ .
Wahrscheinlich hatte letzterer ihn darum gebeten , weil er als Pierrot ein Anrecht an die Pierrette zu haben glaubte .
Wolf Brant kam in den weiten elfenbeinfarbenen Gewändern eines Dominikaner-Mönch es .
Die weiße Kapuze bildete für seinen schönen Kopf eine wundervolle Umrahmung .
Er bemerkte mich gleich - zum ersten Mal .
Er machte mir den Hof .
Nein , mehr .
Immer war er neben mir , hinter mir .
Eine leichte Conversation zu führen , verstand er nicht .
Sein Geist war zu wuchtig , sein Temperament zu feurig .
Die Art wie er den Frauen huldigte , war faunhaft .
- Es wäre ein Verbrechen , daß ich bis jetzt mein Licht unter den Scheffel gestellt .
( ich fürchte , fürchte , er meinte mit dem Licht nicht meinen Geist . )
In Kontrasten läge der Reiz des Lebens , Mönch und Colombine erinnere an " Gott und die Bajadere . "
Den Gott nähme er ohne falsche Bescheidenheit auf sich , und wenn mir auch zur Bajadere fast alles fehle - außer meiner berückenden Schönheit , so wolle er ein Auge zudrücken , und mich dennoch mit in seinen Himmel nehmen u. s.w. u. s.w .
Nicht wahr , grobkörnig ?
Aber eine Pierrette nimmt es nicht so genau , besonders nicht in einer italienischen Nacht , wo ein internationales Menschengewirr die schöne Gelegenheit aus Rand und Band zu geraten nach Kräften ausnutzte .
Was Wolf Brant noch mehr anstachelte , war mein Pierrot , der immer um uns her schnuppernd , ab und zu seine Sokratesnase in die Luft streckte , mit einem ebenso komischen als dräuenden Schellengeklingel seiner Narrenkappe .
Ich hörte kaum , was Wolf Brant sagte .
Er zog mich magnetisch , unwiderstehlich zu sich .
Ich begriff , was man von einer Vogelart erzählt , die von dem Blick des Basilisken bezwungen ( was ist denn eigentlich ein Basilisk ? ) freiwillig in seinen Rachen fliegt .
Ja , ich hatte ein brennendes Verlangen , mich von ihm verschlingen zu lassen .
Die wildeste , gröbste Regung , die ich je empfunden .
Ich ? nein , Pierrette .
Ich war ja trunken vom Gift der Tarantel , ich mußte mich drehen - wirbelnd - um ihn - immer um ihn .
Schwarze Magie war im Spiel .
Ein kleines Kabinett , in eine Laube verwandelt , war mit roten Lampion's stimmungsvoll in Dämmer getaucht .
Er zog mich hinein .
Das wäre die Beichtlaube .
Mit goldenem Stabe wollte er mir die Absolution erteilen ; aber erst die Sünde , und dann die Absolution .
Er neigte sich zu mir nieder - - die Sünde kam nicht zu stande .
Ein furchtbar wildes , anhaltendes Schellengeklingel brach los , und mit tragischem , aber desto sächsischerem Akzent klang es hohl aus des Minnefänger's Mund :
" Lamm hüte Dich vor dem Wolf . "
Wolf Brant aber sprach den großen Bannfluch über den Religionsstörer aus , den Fluch der Lächerlichkeit .
Der schien auch sofort zu wirken .
Mein Pierrot fand später in der Garderobe seinen Hut nicht , und mußte mit der Schellenkappe über dem Pelzüberrock auf die Straße hinaus .
Wir verließen zusammen das Fest .
Walter ging mit seiner Theaterdame voran , ich folgte zwischen Mönch und Pierrot .
Sämtliche Nachtdroschken waren genommen .
Eine milde Februarnacht .
Weiche , weiße Flocken fielen vom Himmel .
Wir fanden es lustig , entzückend , den kurzen Weg bis zu unserem Hause zu Fuß zu machen .
Wolf Brant führte mich , und Pierrot schnitt so komische , entsetzlich eifersüchtige Gesichter , und einmal stolperte er , und fiel in den weichen Schnee .
Und wie er sich mühsam wieder aufraffte , sah das so komisch aus , daß ich lachen mußte , laut lachen !
Ich hatte so laut gelacht , daß ich über den grellen Ton in der stillen , weißen Nacht erschrak .
Im nächsten Augenblick war mein Pierrot verschwunden .
Die Schellenkappe war im Schnee stecken geblieben .
Ich lachte nicht mehr .
Ein Bild fiel mir ein , das ich auf der Ausstellung gesehen .
Ein Pierrot , betrunken und wohl auf dem Nachhauseweg wie wir , war in den tiefen Schnee gefallen .
Weiche , weiße Flocken rieseln auf ihn nieder .
Und er lacht ! lacht !
es scheint über die eigenen , vergeblichen Versuche sich aufzuraffen .
Je länger man aber hinsieht , je verzerrter , je schrecklicher erscheint das Lachen .
Man fühlt , er wird nicht wieder aufstehen , der Pierrot , er lacht sich in den Tod .
Lachte ich etwa auch so verhängnisvoll ?
War ich nicht auch trunken , und meine Lustigkeit ein Zerrbild ?
Als ich nach Hause kam , warf ich todmüde Pierrette mich unausgekleidet auf es Bett , und die lustige Pierrette war so betrübt .
Und ich dachte : sterben nicht so viele , viele Menschen in falschen Kostümen , und wie nach einem Mummenschanz - die armen Pierrots und Pierretten .
Ich fürchtete mich seitdem vor Wolf Brant .
Einige Wochen blieb ich zu Hause ; übrigens war ich wirklich erkältet .
Es half nichts .
Die tolle Nacht zog ein verhängnisvolles Abenteuer nach sich , bei dem mein Pierrot keine Rolle spielen konnte .
Er lag krank an Kopfrheumatismus .
Ja , wenn Narren ihre Schellenkappe verlieren !
Kaum acht Tage später war_es , ich stand im Speisezimmer , im Begriff die Wäsche , die die Wäscherin am Nachmittag gebracht , zu zählen und in die Schränke zu legen .
Es klingelte .
Halb zehn Uhr .
Zu so später Stunde pflegte kein Besuch zu kommen .
Ich hörte im Korridor eine Stimme , die mir alles Blut zum Herzen trieb : Wolf Brant .
Er trat ein , offenbar in starker Erregung .
Seine Krawatte saß schief , in seinen Augen war etwas Flackerndes , in seinem Wesen eine halbe Verlegenheit , die mich bei diesem sichersten aller Menschen verwunderte .
Ich aber war noch viel verlegener , wegen der Wäsche , die auf Tischen und Stühlen herumlag , wegen des unabgedeckten Tisches , auf dem noch die Reste des Abendessens standen , und ich hatte eine Schürze umgebunden .
Ich suchte in versteckter Weise die Bänder zu lösen , verknotete sie aber gänzlich .
Greulich prosaische Situation , Asche auf meines Herzens Glühen .
Er sagte gleich , daß ihm etwas ärgerliches passiert sei .
Er habe Frau Doris ( wußte er nicht daß sie für seine Geliebte galt ? ) eine Dichtung vorgelesen , seine erste Dichtung , er gäbe sich sonst mit Allotria nicht ab - und das ganze Feuer seiner Seele habe er in die Lektüre gelegt .
( Er las in der Tat wunderschön vor )
Da seien sie von einem jener Besuche unterbrochen worden , die man zum Teufel wünscht , eine Unterbrechung , die einem die Nerven zerreißt .
Er hätte Fersengeld gegeben , und eine andere , verständnisvolle Freundin aufgesucht .
Nicht zu Hause .
Da sei ihm die reizende Pierrette eingefallen - - - Er hielt inne und sah mich an .
- " Und nun wollen Sie mir die Dichtung vorlesen ? " stotterte ich beklommen .
Er antwortete nicht .
Ich vermied ihn anzusehen , und fühlte doch seine bohrenden Blicke .
Plötzlich ergriff er meine beiden Hände , preßte sie in die seinigen , daß es mich schmerzte , und behauptete schlankweg , daß die reizendste aller Pierretten ihm gehöre seit jenem Abend , wo der dialektvolle Pierrot ihn und die Bezauberneste aller Pierretten auseinandergeklingelt .
Der Refrain : ich will Dich ! also bist Du mein !
Und immer Pierrette , Pierrette !
Der Unglücksmensch wußte sicher nicht einmal meinen Vornamen .
Dabei setzte er aber den Respekt nicht gänzlich aus den Augen , indem er mich " Sie " nannte .
In seinem Ton lag nichts Zärtliches , nur grob leidenschaftliches Verlangen .
Ganz Pascha , der einer Favoritin das Taschentuch zuwirft .
Ich hatte einen Augenblick des Hellsehens .
Es wurde mir klar , was geschehen war , und was geschehen sollte .
Er bemühte sich auch gar nicht , um meinetwillen diplomatisch sein zu verfahren .
Er war bei Frau Doris gewesen , ein Besuch hatte eine Liebesscene unterbrochen .
Er hatte die Fortsetzung bei einer anderen gefälligen Freundin gesucht , sie nicht getroffen , ich war Nummer drei .
Vielleicht hätte ich nicht so schnell erraten , wenn er anstatt :
" Sie reizende Pierrette " , gesagt hätte :
" Marlene , Du meine Marlene . "
Ob es mir so leicht geworden wäre , den Mann zurück zuweisen , den ich seit Jahren heimlich und tief liebte ?
Die kleinen , scharfen , merkwürdig spitzen Zähne zwischen seinen halbgeöffneten Lippen , das Unstete , Züngelnde seiner Blicke , die zu großen Hände - alles stieß mich ab .
Ich vergaß in diesem Augenblick den ganzen Menschen über den - ich finde kein anderes Wort - Brünstigen , der vor mir stand .
Eiseskälte durchdrang mich .
Ich machte mich von ihm los .
- " Sie haben mich auch unterbrochen , wenn auch nur beim Wäschezählen , " sagte ich .
Ich wendete mich dem Tisch zu , nahm ein Paket Taschentücher und fing an zu zählen : " eins , zwei , drei . "
Von sechs an zählte er mit , bis zwölf .
" So nun wäre das Dutzend voll , " sagte er , und lachte ; ein unbefangenes , gutmütiges Lachen , ohne Spur von Empfindlichkeit .
Er nahm eben Liebesangelegenheiten nicht ernst und wichtig .
" Gnädigste Frau , sagte er noch immer lachend , wer hat ihnen denn damals insuinirt als Pierrette auf den Ball zu kommen , und damit arglose Menschenkinder hinter's Licht zu führen .
Wie konnte ich vermuten hier in die Kemenate einer deutschen Hausfrau zu geraten ?
Übrigens schreiben Sie immerhin darüber :
» voi che entrate lasciate ogni speranza , « Dante's Hölleninschrift .
Die Hölle kennt mich schlecht .
Es war eine falsche Stunde .
Ich treffe Sie schon wieder - als Pierrette . "
Er drückte mir freundschaftlich die Hand , wendete sich in der Tür noch einmal um und sagte : " Kind , Kind , Revolutionen macht man nicht mit Rosenwasser , und mit temperamentloser Reserve - ohne ne fait pas l'amour , " nickte mir zu , und fort war er .
Ich zählte , als ich allein war mechanisch die Wäsche weiter , bis das Paket meiner Hand entfiel .
Ich schauderte zusammen .
Pfui !
Ich dachte an Charlotte .
Eine leise Regung von Männerhaß stieg in mir auf .
Ich verkroch mich in die Sofaecke und starrte umher .
Die Lampe , in der nur noch wenig Petroleum war , qualmte , auf dem gedeckten Tisch das Stückchen Schinken , und die Käserinde , und der Fettfleck auf dem Tischtuch , die Wäsche , die umherlag - greulich , greulich !
Ich hatte Recht verdüstert zu sein , denn - und das trug ich Wolf Brant am meisten nach - ich wäre sein geworden , wenn nicht - -
Und so starb meine Liebe für Wolf Brant , teils an seiner brutalen Art , teils an dem unabgedeckten Tisch mit der Käserinde , an der Wäsche , und der Kattunschürze .
Starb ? hatte sie gelebt ?
Wie ein Künstler , der die Idee zu einem Bilde begeistert in der Seele trägt , und dann trauernd sieht , wie vergröbert , verzerrt sein Pinsel das Bild wieder gibt , vielmehr nicht wiedergeben kann , so findet das Weib selten in der Liebe ihre Ideen von der Liebe wieder , und vor ihrer Vergröberung und Verzerrung schaudert sie .
Und Du lieber , reiner Freund , ob Du nicht auch schauderst , wenn ich Dir nun das nette Bild , das Du von mir im Herzen trägst , so vergröbert und verzerrt zeige .
Es ist aber doch nach der Natur gezeichnet .
O , Arnold , glaube mir , es gibt Frauen , die vielleicht ihrer Naturanlage nach Vestalinnen , Iphigenie , Märtyrerinnen sind ; man schleifte sie durch den Schmutz des Lebens , und die Vestalin vertauschte das Liliengewand mit dem purpurnen Festkleid - einem tiefdekolletierten - der Freude , und die Iphigenie und Antigone's , die man aus den Tempeln und dem Schatten heiliger Haine gerissen , hinein in die Schwüle der Salon's , verschleuderten die heilige Inbrunst ihrer Seelen an den unheiligsten Altären .
Auch ich , Arnold , wenn ich auch nicht aus Tempeln und heiligen Hainen stamme , war ein so unschuldiges Geschöpf , als ich heiratete , daß ich Jahre brauchte , um nur die Möglichkeit einer Schuld zu begreifen .
Alles Unreine , das ich in zahllosen Büchern gelesen , glitt von mir ab , weil es keinen Boden fand um zu wachsen .
Nun war es anders geworden , ganz anders .
Du brauchst aber nicht gleich das Schlimmste zu denken .
Was bedeutet die Tatsache einer Schuld ?
Wenig , wenn man von ihrer Genesis nichts weiß .
Die Tatsache kann ein Verbrechen sein , aber auch mit einem Verbrechen nichts gemein haben .
Bricht ein lieblos böses Weib die Ehe aus Abenteuer- und Sinnenlust , und bricht damit das Herz des treuen Gatten - werft das Scheusal in die Wolfsschlucht .
Ein anderes Weib , ein liebreich gutes , tut desgleichen .
Ehe Du sie auch in die Wolfsschlucht wirfst , frage nach ihrer Erziehung , frage nach der Atmosphäre in der sie lebte , frage nach ihrem Gatten .
Hätte ich Ehebruch begangen , das alles und noch viel mehr müßtest Du fragen .
Selten , selten weiß man etwas von den komplizierten Motiven , die eine Frau zur Untreue verleiten .
Denke nicht Arnold , daß ich den Ehebruch entschuldigen will .
Ich erkläre ihn nur .
Ich weiß wohl , die ganze Existenz der Ehebrecherin beruht auf Lug und Trug .
Und das ist immer abscheulich .
Und doch - sonderbar - ich kenne Frauen , die sonst keiner niedrigen Regung , geschweige denn einer schlechten Handlung fähig sind , begeistrungsfähige , hohen Idealen nachstrebende - und sie begingen Ehebruch .
Sie hatten vielleicht mit der Unwissenheit des jungen Mädchens Männer geheiratet , die ihrer Wesensart widersprachen .
Starke , eigenartige Individualitäten , und stark vielleicht auch in der Sinnlichkeit , sind subtiler in der Auslese , das Hindernis der Antipathie gegen den Gatten ist für sie im Verkehr mit ihm unüberwindlich .
Es ist doch begreiflich , daß man nicht auf Befehl , nicht auf den Trauring hin lieben kann .
Und die es können sind sicher nicht die feineren , keuscheren Naturen , sondern die aus gemeinerem Stoff , bei denen keine feinere Auslese stattfindet .
Mir scheint , die Schuld an dieser Schuld trägt die Ehe selbst , ich meine die Jetztteige Form der Ehe , denn diese Ehe bedeutet oft genug eine Sünde gegen die Natur .
Die Natur läßt sich eben nicht vergewaltigen .
Schließlich bleibt sie immer Siegerin über alle Gesetze und Sitten der Welt .
Und keine Versöhnung zwischen Natur und Ehe gäbe es ?
Ja , wenn alles ganz anders sein könnte .
Kann es denn nicht ?
Ich will darüber nachdenken .
Ich will Dir noch etwas anderes sagen , was Du mir auch nicht glauben wirst .
Es gibt Frauen ( viele sind es wohl nicht ) die ehebrecherisch , ohne Liebe , eines leidenschaftlich Liebenden Geliebte werden , aus purer Dankbarkeit , aus einer Gutmütigkeit ohne Grenzen , die nicht nein sagen kann , aus dem erbarmungsvollen Schauder heraus beim Anblick fremder Leiden .
Blick nicht so entsetzt auf diese Zeilen .
Vielleicht war ich selbst nicht weit davon dergleichen zu tun .
Darum weiß ich es .
Und willst Du wissen , was das Weib am meisten korrumpiert , ihre Intelligenz vergiftet ?
Die Wahrnehmung , daß die heuchlerischen , zügellosen Frauen in der Sonne des Glücks , der höchsten Wertschätzung leben , und daß sie nicht nur vorübergehende Erfolge ernten , nein , dauernde , auch als Gattinnen .
Ich hatte ja meine Tugenden erst ablegen müssen , damit man nur bemerkte , daß ich da war .
Wenn ich nur die landläufigen Laster , an die man gewöhnt ist , übe , krümmt man mir kein Härchen .
Nur kein Separatlaster haben , etwa dem Gatten , der mich seelisch verdirbt , davonlaufen .
Ich bin nicht einmal durch das Feuer der Versuchung gegangen .
Ich war nur das Echo der Melodie , die ich spielen hörte .
Ich schloß mich dem großen Zuge an , weil ich nicht allein bleiben wollte .
Die Gesellschaft impft uns mit einem Tropfen Gift , und wir tanzen und drehen uns , und tanzen in scheinbar ungeheurer Lust - aber wir sterben an der Lust - unser besseres Teil wenigstens .
Na , etwas übertreibe ich .
Ich habe mich nicht schwer vergiftet , nicht einmal berauscht .
Ich kann auch nichts dafür daß sich an meine Sohlen keine Furien hefteten .
Und doch hefteten sie sich einmal an meine Sohlen einer ganz kleinen Maus wegen , die sich Nachts in meinem Schlafzimmer in einer jener greulichen Fallen , die dem Tierchen einen Nagel durch den Kopf treiben , gefangen hatte .
Die Maus war nicht gleich tot sondern quälte sich stundenlang jammervoll .
Und ich ließ es geschehen , weil mir davor graute , Nachts in die Küche zu gehen und sie zu ersäufen .
Diese schwärzeste Tat meines Lebens werde ich mir nie verzeihen .
Wenn ich meine , ich hätte die Maus längst vergessen , plötzlich taucht sie aus einem Winkel meines Gedächtnisses wieder auf .
Etwa Walter gegenüber Gewissensbisse ?
Aber ich stieg ja , wie in den Augen der Anderen , auch in den seinigen , seitdem ich den Leuten so gut gefiel .
Was waren ihm Reinheit und Würde des Weibes : Grüne Sachen .
Meine erste Reise !
Wir waren beide blaß und müde , ich und Traut .
Der gute , alte Hausarzt sah es , verschrieb uns Landluft und Gebirge .
Das Bübchen , das schon in die Schule ging , sollte beim Vater bleiben .
Ich erinnere mich so gut des Spätnachmittags , an dem ich Dich zuerst sah .
Ich hatte im Walde unter einer Buche gesessen , ganz eingesponnen in goldenem Grün und weichem Duft ; ein sanftes , lässiges Säuseln in den Bäumen , ein träumerisches Fließen in der Natur .
Ferne Musik , so ferne , daß man keine Melodie unterschied , nur wie leise klingende Luft war_es .
Traut spielte in meiner Nähe .
Sie hatte mich einmal gefragt , was aus den gestorbenen Menschen würde : " Staub " , antwortete ich ihr " und aus dem Staub guter Menschen erblühten schöne , duftende Blumen , aus dem Staub böser Menschen aber Giftpflanzen . "
Und nun kam Traut mit einer ganzen Hand voll Blumen zu mir gelaufen .
" Sieh Muttchen , sieh , wie viel gute Menschen ich gepflückt habe . "
Die Uhr auf dem Kirchturm des Dörfchens schlug .
Ein müder , heiserer Klang .
Ich fühlte mich auch heiser und kraftlos .
Leute mit Bergstöcken gingen an mir vorüber , sie stiegen wohl ins Gebirge hinauf .
Mich verdroß meine Müdigkeit , ich hätte auch wandern mögen , fort in weite , weite Fernen , bis ins Herz der Welt hinein .
Und Traut an der Hand , begann ich tapfer drauflos zu marschieren .
Ich merkte aber bald , ich würde nicht bis ins Herz der Welt gelangen .
Sobald wird man müde .
Mit den Beinen sind wir zu kurz gekommen .
Glückliche Vögel !
Durch eine frische , bürgerlich friedliche , nahrhafte Landschaft wanderten wir .
Jenseits des See es das kleine Dorf Egern .
Tegernsee erschien mir weder besonders malerisch noch poetisch , aber gesund , kräftig .
Grüne Wiesen , braune Kühe , weiße Häuser mit grünen Jalousien , gemütvolle Berge , mit Tannen bewachsen , oder grün wie die Wiesen .
Ich glaube , so viel Grün wie in Tegernsee gibt_es in der ganzen Welt nicht .
Und überall und immer das Geläut der Herdenglocken .
Die Poesie des Ort es liegt in dem See .
An einem sickernden Wässerchen fand Traut eine Fülle von Vergißmeinnicht .
Sie hatte eine Vorliebe für diese Blumen .
Jemand kam durch die Wiese auf uns zu : ein junger Mann in einfachem , grauem Anzug , ( oder sollte er braun gewesen sein ? )
Er trug eine Brille , und über dem schlichten dunkelblonden Haar einen Strohhut .
Grüßend ging er an uns vorüber .
Traut sah ihm nach .
Mit einem Mal lief sie hinter ihm her , und reichte ihm die Vergißmeinnicht hin :
" Weißt Du , wenn Du ein guter Mensch bist , wirst Du auch einmal ein Vergißmeinnicht . "
Und Du lächeltest auf das Kind nieder , hobst es in Deinen Armen empor , und sagtest :
" Ich danke Dir , Engelsbild . "
Und dann sahst Du zu mir zurück , und grüßtest noch einmal mit so feiner Höflichkeit , und in Deinem Auge lag etwas , als wolltest Du um Entschuldigung bitten , daß Du das Kind in deine Arme genommen .
Hättest Du mich angesprochen , ich würde Dir freundlich geantwortet haben .
Daß ich die Begegnung nicht so bald vergaß , dafür sorgte Traut , die immer ab und zu wissen wollte , ob Du noch nicht gestorben , und ein Vergißmeinnicht geworden wärst .
Und nun zehn Tage später das Erlebnis mit dem armen Betrunkenen .
Das fürchterliche Bild !
Es verfolgt mich noch heute , wie der Elende auf dem Steinblock hockte und unartikulierte Laute ausstieß , und wie ihm von einem blutigen Striemen auf der Stirn , langsam ein Blutstropfen nach dem anderen über das Gesicht lief .
Und die Buben !
Die nichtswürdigen Buben !
O Arnold nie habe ich mehr an der angeborenen Güte des Menschen gezweifelt , als da ich nun sah , wie diese kleinen Henker einen Topf eisigen Quellwasser's nach dem anderen über den schlotternden Leib des sinnlos Betrunkenen schütteten , und es wehte eine rauhe , scharfe Luft .
Und ihr roher Jubel , als dem Unseligen die blutunterlaufenen Augen fast aus den Höhlen quollen , und er so zitterte , wie ich noch nie einen Menschen habe zittern sehen , als wollte er auseinander bersten .
Die Lumpen schienen ihm auf dem Leibe fest zu frieren .
Heulend schluchzende Laute drangen aus seiner Kehle .
Traut brach in jammervolles Schluchzen aus .
Und ehe ich den Buben noch den Topf entreißen konnte , kamst Du daher , und die kleinen Teufel ergriffen die Flucht .
Und wie Du Dich dann des Halbtoten so liebevoll annahmst , für ein Obdach , für Erwärmung , für einen Arzt sorgtest , und so einfach , als etwas ganz Selbstverständliches meine Hilfe annahmst - das verschwisterte und in einer einzigen Stunde .
Du sagtest später zuweilen , Du wüßtest nicht , was ich an Dir Besonderes fände , da Du doch nichts wärst als ein korrekter Dutzendmensch , ein einfacher Gelehrter und noch dazu ein Philister .
Und als Beweis für Dein Pedantentum erzählest Du mir , du habest einmal zehn Taschentücher verschenkt , weil Dir zwei von dem vollen Dutzend abhanden gekommen wären .
Das hätte Deinen Ordnungssinn verletzt .
So ordentlich bist Du auch in allen inneren Angelegenheiten .
Als ob Du nur korrekt wärst !
Viele Ungute handeln korrekt , Du aber , Du könntest auch inkorrekt sein , nur um gut zu handeln .
Einfach - ja .
Aber ich liebe Deine Kristallhelle Einfachheit , Deiner Seele Durchsichtigkeit , der man bis auf den Grund sieht , und da ruhen Perlen und Gold .
Du bist nicht nur ein guter Mensch , Du bist auch ein ganzer , echter Mensch !
O Wunder !
Wunder !
Du lügst ja nicht .
Ein Mensch , der nicht lügt !
Wolf Brant , der log auch nicht .
Aber er log nicht , wie ein Kaiser oder König nicht lügt , aus unbändigem Stolz , aus grenzenlosem Souveränitätsbewußtsein .
Du aber , Du Feiner , Stiller , Du lügst nicht , weil Du wahrhaft geboren bist .
Ich wüßte für Dein Haus eine Inschrift :
" Weiß und weise " .
Still und weiß , wie ein Schwan ziehst Du Deine Bahn dahin , und über Deinem Haupt schwebt eine Eule. Deiner Einfachheit und Natürlichkeit gegenüber habe ich nie einen Augenblick Schüchternheit empfunden .
Und daß Du auch mein Kind liebtest " unser Kind " nanntest Du sie immer .
Daß Du ihre Vergißmeinnicht aufbewahrtest !
So bald verstand ich jeden Blick , jedes Lächeln , jedes Zucken um Deinen Mund verstand ich .
Und ich merkte , wie Dir das Wirre und Sprunghafte in meiner Natur unbehaglich war , das bald hier bald da sein mit den Gedanken , und daß ich so scharf im Urteilen , und so molluskenhaft schwach im Handeln mich erwies .
Du begriffst nicht , daß ich Nachmittags mich so übermütig und wenige Stunden später so abgründlich melancholisch zeigen konnte , so dityrambisch aufglühend , und daneben so kleinbürgerlich ängstlich .
Halb Hase , halb Gazelle sagtest Du .
Laß mich doch lieber einen Adler sein , bat ich .
Da sollte ich mir erst Krallen und einen Schwertschnabel wachsen lassen .
Ohne solche Ausrüstung wäre es viel vergnüglicher Sperling sein als Adler .
Noch ganz andere Gegensätze hättest Du an mir erleben können .
Wie ich z.B. einmal Abends aus der Flasche trank , weil gerade kein Glas in der Nähe war , und gleich darauf mondscheintrunken auf dem Balkon die Nacht anschwärmte und den See , der wie ein schimmernder Traum dalag .
Die Silhouetten der Berge in Silberdunst gehüllt , an ihrem Fuß schimmernde Nebelstreifen .
Erlenkönig- und Elfenreigenklänge hörte diese Marlene , die eben noch so unanständig aus der Flasche getrunken hatte .
Wir sind doch auch ein Stück Natur , und ist die nicht auch bald " himmelhoch jauchzend , bald bis zum Tode betrübt ? "
Erinnerst Du Dich des kleinen Kirchhofs , an dem wir an einem sonnigen Nachmittag vorüber gingen ?
Ein paar junge Mädchen standen lustig plaudernd hinter dem Gitterwerk , eine bog sich über das Gitter fort , und warf einem jungen Burschen , der vor dem Gitter auf einer Bank schlief , eine Blume auf den Kopf .
Ein Apfelbaum stand neben der Bank .
Zweige mit roten Äpfeln hingen über ein Grab , auf dem rote Rosen blühten .
Und die goldenen Lettern auf den weißen Marmortafeln gleißten im Sonnenschein ; buntfarbige Blumen , Efeu um Säulen gerankt , schiefe Kreuzchen von kleinen Blumentöpfen umstanden , alles nahm sich so heiter , so bildnett , so gar nicht verstorben aus .
Unter dem Dach der Totenkapelle nisteten Schwalben , und flatterten um das Kreuz , das in der Sonne funkelte .
Und als wir auf dem Heimweg Abends an dieselbe Stelle kamen , ging da nicht förmlich ein Huhn durch die Natur ?
Starke Windstöße ratterten an den schiefen Kreuzen .
Die langen Zweige der Trauerweiden wurden emporgepeitscht .
Es röchelte , ächzte , pfiff - Todtentanz-Melodien .
Die zerbrochenen Säulen schienen etwas längst Verwittertes .
Scharen schwarzer Krähen krächzten darüber .
Ein matter Lichtschein aus einem Fenster des Totenhauses grinste mit weißen Augen hinaus in die Nacht .
War das derselbe Kirchhof , den wir am Nachmittag sahen ?
Mache selbst die Nutzanwendung auf unsere Seelen .
Ich sagte Dir ja schon am Anfang meiner Geschichte , daß ich ganz Stimmung bin .
Selbst meine Gedanken sind nur Stimmungsbilder .
Das gehört zu meinen fatalen Gaben , daß ich von allen Temperamenten Anklänge in mir habe , und auch von allen Lebensaltern habe ich etwas , vom Kinde , vom Backfisch ( von dem hauptsächlich und nur allzuviel ) vom Weibe und - ja - auch von der Greisin ; denn oft fühle ich mich allem Leben entfremdet , altersmüde , liebäugelnd , hin zu der Böcklinschen Toteninsel , wo die feierlich dunklen Zypressen so verheißungsvoll die Seele zu ewigen Wohnungen locken .
Wie ganz , wie intim lernten wir uns auf unseren schönen , langen Spaziergängen kennen .
Weißt Du noch auf dem Tegernsee im Kahn , als das Gewitter schwarz , drohend über uns stand , und über dem schwefligen Himmel der Donner so betäubend rollte ?
Ich fürchtete mich maßlos , ich suchte Hülfeheischend Deinen Blick .
Dein Blick aber haftete an Traut .
Da erst gewahrte ich die Totenblässe auf dem Gesicht des Kindes , ihr krampfhaftes Zittern , ihre starr aufgerissenen Augen .
In einem Augenblick war meine Furcht fort , ich wurde sogar lustig , und Du und ich , wir heuchelten Entzücken über das große Schauspiel am Firmament .
Du zeigtest ihr in dem schwarzen Gewölk ein blaues Guckloch .
Das , sagtest Du , wäre das Auge des guten Gottes , der unseren Kahn vor dem bösen Gewittergott schütze .
Der hätte seine Raubtiere entfesselt , die streckten nun ihre lechzenden Zungen nach allem was Licht ist und schön ; jeder Blitz aber aus Gottes Auge wäre ein Feuerstrahl , der ein Raubtier töte .
Durch den Sturm und das Krachen und Knacken der Zweige hindurch tönte vom Ufer her der Ton eines Waldhorns .
" Was ist das ? " fragte Traut - " es weint einer . "
- Ein Engel , der in Not ist , sagtest Du .
Und nun dachte dieser menschliche Engel gar nicht mehr an sich , immer nur an den Engel in Not und freute sich über jeden Blitz , der ein Raubtier tötete .
Sorglich hattest Du mich mit Traut zusammen in Dein Plaid gehüllt .
Über unsere Sorge um das Kind vergaßen wir Gewitter und Gefahr .
Und als wir glücklich ans Land kamen , trugst Du mir den weiten Weg das Kind , das geliebte , heim , Du Herzlieber , Du Grundgütiger .
Und wie ich Dir zur Seite schritt , fühlte ich mich ganz als Deine Genossin in Leid und Freude , Dir Freundin in alle Ewigkeit .
Ich liebe Dich .
Ein wenig liebe ich Dich auch , wie das Kind die Mutter liebt .
Wen ich auch lieb habe , es ist immer etwas dabei von dem Gefühl des Kindes zur Mutter , vielleicht weil meine krankhafte Sehnsucht nach Mutterliebe nie befriedigt wurde , und ich ganz im Geheimen noch immer auf der Suche nach einer Mutter war .
Diese Sehnsucht lag meiner Hingabe an Charlotte zu Grunde .
Und selbst wenn ich meinen Kopf in Traut's Schoß legte , und ihre zarten Fingerchen mein Haar zerwühlten , regte sich das Kindhafte in mir .
Nicht wunderschöne Herbsttage , die wir miteinander lebten , wenn die Wiesen sonnengetränkt waren , die Ebereschenbäume heiter an den weißen Häuschen standen , in den kleinen Gärten Georginen und Astern blühten , und an den Galerien die um die Häuschen liefen , sich wilder Wein rankte , der eben anfing sich zu färben .
An lieblichen Vielen kamen wir vorbei ; an ihren Mauern ein Geringle von Blüten und Blättern , und Spaliere von Pfirsichen und Äpfeln , und malerisch hoben sich die großen Sonnenblumen und das Geißblatt von den sanftansteigenden grünen Bergen ab .
Und hin und wieder zwischen den kräftig gefärbten Bäumen eine zart gelbblättrige Espe , die goldene Blätter über die grünen Wiesen streute , wenn ein Wind sich erhob , flatterten sie durch die Lüfte .
Goldene Vögelchen nannte sie Traut .
Und auf den Höhen - die schon bunten Bäume wurden zu roten und goldenen Riesenblumen , die an der Brust der Berge erblühten .
Kräftige Lieblichkeit , blühende Gesundheit , Kernigkeit war in diesem Bunt zwischen den smaragdenen Matten - eine Landschaft , nicht für träges Genießen , für frohgemutes Schaffen mehr , so recht für Freundschaft - wahre Freundschaftswiesen .
War nicht diese Landschaft eigentlich ein Abbild Deines Wesens : so mild und so kraftvoll und rein , und voll stillen , tiefen Gemüts , so urdeutsch .
Und Abend für Abend die Fahrten über den See .
Wir blickten hinüber zu dem weißen Schloß mit den grünen Jalousien und den roten Gehängen wilden Wein's , das so einsam am See lag , klösterlich , voll Schönheit und Frieden .
Und wenn schon alles in Nacht sich verlor , noch immer strömte zarter Lichtschein über das Wasser , als würde das Licht nicht müde , den See zu küssen .
Und an Spätnachmittagen .
Wie ein bürgerliches Venedig stieg das weiße Dorf aus dem Wasser .
Das Posthorn aber , das von der Chaussee herüber klang , das war deutsch , inniglich und minniglich .
Ein schimmernder Abglanz der untergehenden Sonne fiel in das Wasser und es erschien wie eine leichte Eisdecke , unter der es von einem geheimnisvollen Feuer brannte .
Ich sehe diese Tage und diese Szenerien noch so deutlich vor mir , weil Traut ja immer dabei war , und an der Natur fast wie eine Erwachsene sich freute .
Und der Tag vor der Abreise !
O Du Lieber , Lieber , laß mich alles noch einmal durchleben .
Es war spät geworden .
Wir kamen von den Bergen herunter , gingen durch einen Wald .
Es war aber nicht finster .
Der Mond schien und wir sprachen Mondverwandtes , Erdentrücktes .
Da der Weg uneben wurde , nahmst Du meine Hand .
Und wir gingen lange so .
Und an der anderen Hand führtest Du Traut .
Allmählich wurdest Du wortkarg , Du zogst Deine Hand sanft aus der meinen , und nach einer Weile sagtest Du : Marlene , Du hast mir nie etwas von Deiner Ehe gesprochen , ich weiß aber doch , daß sie nicht glücklich ist .
Habt ihr nicht daran gedacht , euch zu trennen ?
" Nein , sagte ich , wo sollte ich auch hin ? "
Du wandtest Dich hastig von mir .
Du nahmst Traut , die müde geworden war , in Deine Arme , und sagtest , wie so oft schon , aber noch inniger , viel inniger : " unser Kind . "
In Deiner Miene hatte ich eine Frage gelesen .
Was dachtest Du ?
Ob ich es weiß ?
Du dachtest : " warum nicht zu mir ? " dachtest Du das nicht ?
Ach ja , wenn ich zu Dir hätte kommen können !
Der Freund darf zum Freund kommen , die Freundin zur Freundin , aber nicht die Freundin zum Freunde .
Die Statuten der Gesellschaft verbieten es .
Warum ?
Weil wir verschiedenen Geschlechts sind .
Was tut das ?
Sind wir nicht zuerst und hauptsächlich Menschen ?
Ach , das glaubt ja niemand , sie glauben ja immer nur an das eine .
Ich verstehe so wenig von Deiner Wissenschaft , aber ich habe Deine Seele lieb , das echt und rein Menschliche in Dir , und auch Dein Wesen , Dein Gesicht , Deine Gebärden habe ich lieb , sie spiegeln Deine Seele wieder .
Wir können doch mit Gemüt und Geist ganz in Stimmungen , Gedanken und Empfindungen aufgehen , die ein Mann in seinen Schriften niedergelegt hat .
Und wenn wir Auge in Auge demselben Manne gegenüber stehen , so sollte diese ideale Hingabe gleich ins materiell Sinnliche umschlagen !?
Man weiß es noch nicht , aber man wird schon noch einmal dahinter kommen , daß die besten , echtesten Freundschaften die zwischen Mann und Frau sind .
Unter erlesenen Geistern waren sie schon .
Denke an eine Rahel , Bettina und andere Frauen aus dieser Epoche seelischer Hochflut .
Männerfreundschaften , das sind mehr Intimitäten auf abstrakter Basis ; sie erwachsen aus gemeinsamen , wissenschaftlichen , künstlerischen oder sonstigen geistigen oder auch geschäftlichen Interessen .
Ein Band von Kopf zu Kopf .
Die Anziehung von Person zu Person tritt in den Hintergrund .
Bei der Freundschaft zwischen Mann und Frau steht sie im Vordergrund .
Sie ist ein Band von Seele zu Seele .
Sie erstreckt sich nicht nur auf geistige Wechselwirkung , auch an den geringfügigsten Vorgängen in des Freundes Leben nimmt die Freundin Anteil , selbst ein abgerissener Knopf , oder eine schiefe Krawatte entgeht ihrer Fürsorge nicht .
Freundschaften , die einen so persönlichen Charakter haben , schließen auch einen Hauch zärtlicher Hingebung nicht aus .
Du weißt_es , tief und rein ist meine Freundschaft für Dich , und doch mag ich gerne meine Wange an Deinen Arm schmiegen , mag gern Hand in Hand mit Dir gehen , und zuweilen - lache nur - hätte ich Dich sogar gern herzlich geküßt , wenn ich Dich gar so lieb , so edel , so küssenswert fand .
Ich dachte aber , es ginge nicht .
Du könntest es anders auslegen , als es gemeint war .
Solche Freundschaften sind selten , es ist wahr .
Aber müssen wir denn immer nur Kollektivempfindungen haben ?
Empfinde ich anders wie viele Andere , und mein Gewissen sagt in seiner besten Stunde " ja " dazu , so ist es mein Recht , so zu empfinden .
Vielleicht sind auch solche Freundschaften nur deshalb so selten , weil die Welt sie boshaft glossieren würde , weil sie nicht daran glaubt , sie verdächtigt .
Darum hat der junge Mann kaum den Mut zu einem Freundschaftsverhältnis mit einer jungen Frau ; er muß fürchten , sie zu kompromittieren , und falls sie unverheiratet ist , ihr die Ehe zu verscherzen .
Auch unsere besten , reinsten Gefühle beugen sich unter das Joch der Zeitanschauungen , oder vielmehr , die ersticken sie schon vor der Geburt .
Viel Glück dank ich Dir , und helle hohe Freude , wie sie etwa ein Künstler empfinden mag , der immer nur Modeporträts , Porzellanfigürchen oder dürftige Gipsabgüsse gesehen , und der nun zum ersten Mal vor der antiken Statue eines Sophokles , eines Moses steht .
Und noch auf andere Weise hast Du mir wohlgetan .
" Marlene ist gut , Marlene ist schön , Marlene ist klug . "
Wer hat das gesagt ?
Du !
Und so einfach und überzeugt sagtest Du es .
Ich hätte aufjauchzen mögen .
Die Anerkennung eines Einzigen , wenn es einer der Besten ist , löscht die Geringschätzung einer ganzen Welt aus .
Ich will es Dir gestehen , ich selbst hatte manchmal ähnlich von mir gedacht , da aber niemand meine Meinung zu teilen schien , hielt ich es für Größenwahn .
In dem Winter , der auf Tegernsee folgte , ging ich nicht mehr in Gesellschaft , das weißt Du .
Wie viel mehr als alle Gesellschaften waren die wenigen schönen Tage wert , als ich Dich in Berlin hatte .
Und daß Walter Dir so liebenswürdig entgegen kam !
Er fühlte instinktiv Deine Lichtnatur und beugte sich innerlich vor Dir .
Wagte er doch nicht den kleinsten Scherz über unsere Freundschaft .
Du fandest auch , daß Traut blaß und mager aussah .
Der Arzt aber meinte , es wäre weiter nichts , sie wüchse zu schnell .
Sie blieb aber so den ganzen Winter über .
Als sie sich auch im Sommer nicht besonders erholte , hielt der Arzt ein Seebad für angezeigt .
So fuhren wir nach Heringsdorf .
Daß Du im September auf einige Wochen herüber kommen wolltest , darauf freuten wir uns Beide .
Ich konnte oft lange auf Traut hinblicken mit einer seltsamen Empfindung , die mich nicht froh machte ; ein unruhig stimmendes Glück .
Das Kind hatte zuweilen den Blick eines Wesens , das etwas schaute , von dem ich nichts wußte .
Traut war über mir , mehr als ich .
Sie war zu viel Glück für mich .
Sie war ganz verliebt in den Strand , und an Tagen , wo sie nicht an müder Schwäche litt , konnte sie auf unseren Spaziergängen an jeder Feldblume , an jedem Boot auf dem Wasser sich freuen .
Ich vergesse ihr Entzücken an einem Feuerwerk nicht , das sie doch nur aus der Ferne sehen konnte .
Am Steg , zehn Minuten entfernt von unserem Hause wurde es abgebrannt ; sie dahin zu führen war es zu spät .
Wir hatten Mondschein .
Ein breiter Strahl ruhte mitten auf dem Wasser , und bildete einen leuchtenden See im dunklen Meer .
Illuminierte Schiffchen kreuzten in der Nähe des Steges hin und her , und gerieten sie in den Silbersee , so sah es zauberhaft aus , als wenn Nixen und Nereiden in funkelnd bunter Juwelenpracht Hochzeit hielten .
Ein großes Schiff erschien am Rande des Silberstrom's , schwarz , scharf , gespenstisch zeichnete sich das Takelwerk ab , als aber das Schiff mitten durch den Silbersee fuhr , verschwammen die Umrisse , und der eben noch düstere Koloß schien ein strahlendes Schloß , ein silberngesponnenes , und die hohe Gestalt am Bord wie der Meerkönig selber .
Und ringsherum das bunte Geflimmer der kleinen Boote , und über all dem Zauber , die leuchtenden , rot , grün und goldenen Blumensträuße , die aus den Raketen ins Meer zischten .
Traut jubelte auf , erschrak aber , als Jemand neben uns sagte : " Das ist das Gespensterschiff mit lauter Toten drin . "
- " Können denn die tot sind , noch leben ? " fragte Traut .
Und als man ihr antwortete , das wisse niemand , sagte das Kindchen nach einer Weile so recht altklug : " diese Rätsel werden sich alle lösen , wenn wir im Himmel sind . "
Es kam ein melancholischer Tag .
Traut spielte unter der Aufsicht des Mädchens mit anderen Kindern am Strand .
Um meine trübe Stimmung zu verscheuchen unternahm ich einen weiten Spaziergang .
An einem kleinen Gewässer kam ich vorbei , das von einer Gruppe Weidenstümpfe eingefaßt war ; die dünnen , dürren , rötlichen Zweige daran sahen aus , als ob rötliches Haar sich in geheimen Schrecken sträubte .
Von den Wiesen stieg weißlicher Dunst auf .
Ich hatte kürzlich ein Bild gesehen .
" Mors imperator " stand darunter .
Der Tod , eine Krone auf dem grinsenden Schädel , schreitet über eine Wiese .
Es ist gegen Sonnenuntergang .
Leichte Nebeldünste schweben wallend über dem Gras .
Das Erdreich hinter dem Tod , über das sein Fuß schon geschritten - ein leerer , quirlender Sumpf ; vor ihm auf der Wiese strahlendes blühendes Leben .
Junge Mädchen tanzen einen Ringelreihen , goldlockige Kinder spielen und pflücken Blumen ; aber nur die Köpfe der Spielenden und Tanzenden sind ganz sichtbar .
Die Körper zeichnen sich durch das Nebelmeer hindurch nur undeutlich ab .
Dicht vor dem Tod gaukelt ein bezauberndes kleines Geschöpf , in weißem Kleid .
Es will einen Schmetterling haschen .
Mors imperator erhebt sein Zepter - -
Wenn sich Traut nur nicht erkältet , dachte ich , und ich wandte mich wieder dem Strande zu .
Am Strand , da war eine so sonderbare , fahle Helligkeit ohne Sonne .
Eine so graue , stille Milde über dem Meer , so verblichen , verjährt , als könne gar nichts mehr in der Welt geschehen .
Am Himmel viel stille Wolken , aber es wird nicht regnen .
Dampfschiffe hingen am fernen Horizont über dem bewegungslosen Wasser , und sie fahren , langsam , langsam , immerfort , immerfort , und sie werden nie ans Land kommen .
Wenige Leute , auf ihre Schirme gestützt , wandelten dahin am Strand , träge , lässig , als hätten sie auch nicht Zweck und Ziel .
Hier und da schleppte sich schwer und müde ein Segelschiff hin , einem Riesenschmetterling ähnlich , dem die Flügel feucht und schwer geworden .
Kähne , wie schwarze Schwäne , glitten sacht und lautlos über die bläuliche Fläche .
Es war nicht melancholisch , und es war nicht heiter , es war nicht trüb , und es war nicht hell , ein sanftes , flaues , einförmiges Fortgleiten aller Dinge .
So willenlos und seelenlos .
Das einzig Lebendige der Duft der Lupinen , der vom Felde herkam .
Und mit einem Mal kam mir alles Sehnen und Sorgen so überflüssig vor , und als wäre es so gut , wenn auch das ganze Leben von so grauer , stiller Milde wäre , und wir kämen gar nicht mehr ans Land , blieben im Schiff , von Meer zu Meer , nur Himmel und Wasser .
Niemand merkte ja , wie sich alles so hinschlich und schleppte , und die Leute alle sahen ganz zufrieden aus .
Da sah ich wieder über einer Wiese den Nebelstreif .
Ich ging schneller , Traut heimzuholen .
Ich hörte schon von fern das Lachen von Kinderstimmen .
Als ich näher kam , sah ich , daß die Kinder ein unheimliches Spiel spielten : Begrabenwerden .
Später hörte ich , das sei eins der beliebtesten Kinderspiele an Ostseestränden .
In dem tiefen , weißen , weichen Sand wurden die Körperchen leicht eingegraben , nur die Köpfchen , die auf einer kleinen Sanderhöhung ruhten , blieben frei .
Die Sandhügel waren über und über mit Blumen besteckt .
Merkwürdigerweise waren die Begrabenen lauter Mädchen .
Die Knaben machten die Totengräber .
Alle diese kleinen Mädchen mit den frischen und verbrannten Gesichtern , und den hellen , offenen Äuglein , sahen nicht besonders verstorben aus .
Nur Traut allein schien die Rolle ernst zu nehmen .
Sie lag ganz still mit geschlossenen Augen da ; die langen , dunklen Wimper ließen sie noch blasser erscheinen , als sie war .
Sie hatte nur weiße Blumen auf ihrem Sandhügel gewollt .
Und in diesem Augenblick schlug ein Knabe auf einer Trommel jenen monotonen Wirbel , wie er bei Militärbegräbnissen üblich ist .
Ein Entsetzen packte mich .
" Traut , " rief ich , " Traut " .
" St ! " flüsterte sie , " ich bin ja tot . "
Was den unheimlichen Eindruck noch vermehrte , war die Stimmung des Meeres , die sich in der letzten halben Stunde geändert hatte .
Grauschwarz wie von Erz war es .
Rote , feurige Lichtstrahlen fuhren darüber hin wie ein blutiges Schwert .
Als ich Traut aus ihrem Sandgrab zog , waren ihre Händchen eiskalt .
Sie wurde krank .
Sie hatte sich wohl bei dem Begräbnisspiel erkältet .
Der Arzt wußte nicht recht , was ihr fehlte .
Erst hatte sie Fieber .
Als es gewichen war , wurde es nicht viel besser mit ihr .
Eine Art Abzehrung war_es .
Immer verlangte sie ans Meer .
Ich trug sie täglich an den Strand , und da lag sie auf Kissen und Decken im warmen Sand .
An einem Tag , als das Meer in bläulicher Milde atlasweich dahinrollte , fuhr im Hintergrund ein Schiff vorbei mit Feuerrotem Segel .
" Ich möchte in dem Schiff mit dem roten Segel sein , " sagte sie .
" Warum denn Traut ? "
" Rot ist so gesund . "
Und ihr Blick zerriß mir das Herz .
Ein ander Mal bot die See ein morgenfrisches Bild von einem unbeschreiblich sanften Reiz .
Auf dem zarten , lichtblauen Himmelsgrund hinschwebende lichte Wolkenbälle , locker und luftig ineinander gefügt , das Grau und Weiß gar lieblich abschattiert .
" Siehst Du Muttchen , sagte sie , die weißen Bällchen am Himmel , das sind Schneebälle die mit ihren Köpfchen aus den grauen Wolken gucken , und ich glaube gewiß , der Himmel hat auch Blumen wir wissen es nur nicht .
In der Nacht habe ich eine große , rote Feuerlilie am Himmel gesehen . "
Es war wohl der Leuchtturm , den sie gesehen .
Langsam , langsam welkte sie dahin .
Woran starb sie ?
An dem Gram , der mich erschöpfte während ich sie unter dem Herzen trug , und der ihr Blut verarmte ?
Ich hatte in Berlin den Kindern ein Kanarienvögelchen geschenkt .
Walterchen ließ einmal das Bauer offen stehen , das Vögelchen war herausgeflogen auf die Zweige eines Baumes , der nahe dem Fenster stand .
Die Kinder riefen und lockten " Lisi " und es regte auch einige Mal die Flügel zur Heimkehr , wagte aber den Flug nicht noch einmal .
Da rauschte ein großer , schwarzer Vogel , krächzend mit ausgebreiteten Flügeln über ihn hin .
Vor Schrecken fiel das Vögelchen vom Baum , und blieb unten am Boden liegen .
Die Kinder liefen hinunter .
Das Tierchen zuckte noch ein paar Male , dann war es tot .
Walterchen beschäftigte sich sofort mit den Begräbnisfeierlichkeiten .
Traut weinte herzbrechend .
Ich schenkte ihr ein anderes Vögelchen .
Sie wollte es nicht .
Es wäre nicht Lisi .
Dieses kleine , fast vergessene Erlebnis wurde jetzt in ihrer Phantasie wieder lebendig , wenn sie fieberte .
Sie hielt sich für das Vögelchen :
" Bist Du böse Muttchen , daß ich fortgeflogen bin ?
Laß nur das Fenster offen , wenn meine Flügel gewachsen sind , komme ich wieder . "
Nach einer Weile stieß sie einen Schrei aus " der Vogel mit den schwarzen Flügeln , da - über mir . "
Sie klammerte sich an mich " hilf mir doch , hilf mir . "
Einmal , als sie von einem Halbschlummer erwachte , sah sie mich groß und verwundert an :
" Muttchen Du ?
Bin ich denn nicht tot ?
ich dachte , ich wäre gestorben . "
Nein , nein Traut , Du lebst , Du wirst wieder gesund werden .
" Ach ja , das will ich !
Ich lebe - dann gib mir schnell zu essen , ich will stark werden , ich habe Hunger . "
Ich reichte ihr eine Tasse Milch .
Sie hatte schon wieder vergessen , daß sie essen wollte , sie trank die Milch nicht .
Sie blickte um sich , so seltsam .
Das Kind wußte vom Tode .
Ungeheure Verwunderung und zugleich ein Entsetzen lag in ihren Augen , ein Flehen um Leben , unaussprechliche Zärtlichkeit , und dann wie der eine müde , stille Sehnsucht .
" Muttchen , sagte sie einmal , ich will ein Vergißmeinnicht werden .
Aber , - fuhr sie nachdenklich fort - wenn Du mich dann pflückst so weißt Du ja gar nicht , daß ich es bin . "
Sie sann vor sich hin .
An einem Tag , nach Sonnenuntergang , während ich sie in meinen Armen hielt , starb sie , ohne einen Seufzer , einen Laut .
Ich merkte erst an ihrer zunehmenden Kälte daß sie tot war .
Unmittelbar nach ihrem Tode war mein Empfinden wie ausgelöscht .
Meine Augen blieben trocken , meine Seele leer .
Ich begriff einfach diesen Tod nicht .
Ich ging stundenlang umher , aus einer Stube in die andere , mechanisch wie ein Automat .
Physisch lebte ich fast wie sonst .
Ich empfand sogar Hunger , und ich aß .
Ich quälte mich vergebens damit ab , mir vorzustellen , daß Traut gestorben sei .
Ich schlief traumlos die ganze Nacht nach ihrem Tode .
Und sonderbar - zuerst war es der Körper , der sich aufbäumte gegen das was geschehen , Herzschwäche stellte sich ein , Beklemmungen , die sich bis zum Unerträglichen steigerten .
Ich war nahe daran , mich aus dem Fenster zu stürzen , nur um dieser Qual zu entgehen .
Warum ließen sie mich so allein ?
Ich wollte rufen .
Die nervöse Angst hatte mich der Stimme beraubt .
Da ging die Tür , Walter mit dem Knaben war an gekommen .
Ich stürzte ihnen entgegen .
Die physische Todesangst war gebrochen .
Walter war sehr betrübt .
Er hatte heftig geweint .
Der Schmerz war etwas so Neues für ihn .
Er war gewissermaßen stolz auf seine Tränen .
Hätte er jetzt aus tiefstem Gemüt heraus zu mir gesprochen , vielleicht hätten wir uns in dem gemeinsamen Leid gefunden .
Am Abend sah ich Traut aufgebahrt , ganz mit Blumen bedeckt .
Ich stürzte über den Sarg .
Eine Ohnmacht umfing mich .
Als ich zu mir kam , war der geistige Starrkrampf von mir gewichen , glühend bohrte der Schmerz sich in meine Brust , und unversiegbar flossen meine Tränen .
Traut tot !
War das möglich ?
Und die Menschen alle , sie lachen und schwatzen , und essen und trinken als wäre nichts geschehen .
Und alle waren gesund .
Und ich war auch gesund .
Ich schämte mich beinahe zu leben , da Traut tot war .
Und die Sonne goß ihren Goldglanz über Himmel und Erde , und Traut's Augen waren mit Erde bedeckt .
In einer Nacht erwachte ich .
Ich hatte intensiv von Traut geträumt .
Ihr Bettchen stand noch wie früher in meinem Zimmer , und ich sah einen zarten Schatten über dem Bett , nein - nur den Hauch eines Schattens ! und dieser durchsichtige Schatten hatte Traut's Formen .
Ich rief ihren Namen , ich sprang aus dem Bett , der Schatten war nicht mehr da .
Wenn ich des Morgens die Augen aufschlug , flüsterten meine Lippen den Namen Traut , ehe noch das Weh im Herzen wach war .
Ach sobald erwachte es .
Wenn ich las oder mit jemand sprach oder Musik hörte - plötzlich - da war_es !
Ein ferner Ruf : Traut ist tot !
Und Nachts halb schon im Schlaf , weckte es mich jählings :
Traut ist ja tot !
Ach , nie wieder würde ein solches Geschöpf geboren werden , mit so himmelshellen Augen unter so nachtschwarzen Wimpern , mit solcher Fülle metallischglänzender Haare , die so königlich das süßeste Gesichtchen umrahmten .
In dem Kind beweinte ich nicht nur mein Kind , ich weinte auch , daß ein solches Kleinod vom Erdkreis verschwunden war , ich weinte über alle Menschen , die , in der Knospe schon sich vor der Reife fürchten müssen , wo der schwarze , erbarmungslose Schnitter sie mähen wird .
Ich hatte auch Stunden wilder Empörung .
Mußte ich_es dulden , daß sie starb , still sitzen , als der feige Tod sie heimtückisch überfiel !
sie würgte - würgte , einen Engel würgte .
Ich blieb den ganzen September über am Meer .
Stürmische , düstere Tage .
Es war , als wenn auch die Natur sich aufbäumte in unbändigem Schmerz wie ich .
So wollte ich es .
Das waren meine erträglichsten Stunden , wenn ich barhaupt dem Sturm entgegen schritt , vor dem die Wolken zerrissen , der feine Sand wie von Entsetzen gepackt über die Dünen floh , das große Meer aufschauderte aus seiner Tiefe , wie in Titanentrotz ungeheure Flüche über den Weltenraum hindonnernd .
Dann öffneten sich meine Lippen , ich trank die salzigen Winde , und meine Seele schrie zum Sturm : Heule , rase , Du schöner Sturm Deine Riesenklänge über Himmel und Meer !
Ich heule , ich rase mit Dir .
Ich verstehe Dich , ich liebe Dich , Sturm !
Mit Deinen Raubtiertatzen krallst Du in die Lüfte , und reißt sie an Dein wildpochendes Herz , daß sie ächzend aufstöhnen im Riesenjammer - wie ich -
wie ich !
Traut ist ja tot !
Läutert wirklich , wie man sagt , der Schmerz ?
Der meine nicht .
Nein , nein , er läutert nicht .
Es soll unter dem Äquator heißen Regen geben , der alles versengt , verbrennt .
Heißer Regen waren meine Tränen .
Sie verbrannten mein Herz .
Und doch zuweilen in meinen tiefsten Schmerz hinein ein leises Mahnen :
Jetzt ist der Zeitpunkt : " aus Deinen großen Schmerzen mache kleine Lieder " wie Heine es tat , und auch Goethe und viele Andere .
Die glühende Lava Deiner Schmerzen , die Dich zerstört , lass sie in Feuerströmen durch Dichtungen rauschen .
Kleine Lieder !
Ein großer Schmerz will große Lieder .
Ja , wenn ich mein übermenschliches Leid hinausrasen könnte , wie ein Weckerruf für Tote :
Steht auf !
Steht auf ! wenn ich Verse dichten könnte , von so tödlich trauriger Zärtlichkeit , daß sie meine geliebte Tote umdufteten wie Kränze von weißen Lilien !
Wozu ?
Weltliche Erfolge ?
Was gingen mich die Menschen an !
Die Zeit , die Gesellschaft .
Ich lebte mit Toten .
Schon die Tatsache , daß man zu den Lebenden gehörte , kam mir armselig vor .
Meine völlige Weltabgewandtheit nahm mir auch in dieser Zeit jede Schüchternheit .
Ich errötete und erblaßte nicht mehr .
Ich war nicht mehr feig , nicht mehr furchtsam .
Sonst , wenn ich auf einsamen Wegen einer Rinderherde oder einem Hund begegnete , fürchtete ich mich .
Jetzt hätte mich selbst eine wilde Bestie kalt gelassen .
Furcht - lächerlich !
Was konnte mir denn Ärgeres geschehen , als mir schon geschehen war ?
Ja , ich ersehnte oft einen körperlichen Schmerz , um den seelischen nicht zu fühlen .
Ich ritzte mir mit einem Messer die Haut .
Es tat weh , ich warf das Messer fort .
Ich verachtete mich wegen dieses feigen Schauders .
Wenn ich irgendwo ein Kind sah , das mich an Traut erinnerte , durchfuhr mich ein süßer Schreck , als könnte ich ihr wirklich noch unter den Lebenden begegnen .
Daß sie gestorben , wenn es nun nichts wäre , als ein Traum , ein fürchterlicher , aus dem ich erwachen würde !
Einmal ging ein armes Weib vor mir her .
Auf ihrem Rücken trug sie einen Buben von 10 oder 12 Jahren , einen Krüppel .
Ich sprach sie an .
Der Krüppel war auch schwachsinnig .
Der Herr wolle ihr die Last nicht abnehmen , sie müsse sie tragen , und ihre ganze Familie litte darum bittere Not .
Und dieser formlose Klumpen Fleisch lebte , lebte zum Elend der Seinen , und Traut mußte sterben .
Ich weinte auch um jedes kleinste Leid , das Traut in ihrem kurzen Leben erfahren .
Einmal hatte ich sie vor Gästen wegen einer kleinen Unart gescholten .
Sie schluchzte herzbrechend .
Später fragte ich sie , warum sie über die Paar Scheltworte so geweint habe ?
" Weil Du mich so vor fremden Leuten beschämt hast . "
Ja , warum tat ich das ?
An ihrem fünften Geburtstag hatte sie sich zum Mittagessen Rebraten mit Himbeergelee und Pudding bestellt .
Reh war mir zu teuer , und sie bekam nur Kalbsbraten .
So enttäuscht sah sie mich an .
Und nun wird sie keinen Geburtstag mehr haben , und nie mehr kann ich ihr einen Wunsch erfüllen .
Ein ander Mal kam ich dazu , als sie mit einem großen Stück Seife in der Hand , einen sehr eleganten und sehr empfindlichen Plüschbezug aus allen Kräften abrieb .
Und voll Stolz und Tatendrang teilt sie mir mit :
" Muttchen schau , Dein Sofa ist so verschmutzt , ich thu's sauber abwaschen . "
Ich gab dem Kinde einen leichten Schlag , und dieser häßliche , ungerechte Schlag ist nun in meiner Erinnerung wie ein blutiger Fleck , der mit meinen Tränen nicht abzuwaschen ist .
Und Tag und Nacht verfolgte mich der glühende Wunsch , nur noch einmal , ein einziges Mal , und wäre es auf eine Minute , wollte ich sie lebend haben , um ihr alle meine heiße , heiße Liebe zu sagen .
Gewiß , sie hat nicht gewußt , wie abgöttisch ich sie liebte .
Walter vergaß des Kindes bald .
Es war mir recht .
So gehörte sie mir allein , meine Tote , mir ganz allein .
Nach Jahr und Tag kam eine erste Stunde in der ich an Traut nicht dachte .
Dann kamen mehrere Stunden , und wieder nach langer Zeit war es ein ganzer Tag , an dem Traut's Bild nicht vor mir stand .
Eine verächtliche Bitterkeit gegen die menschliche Natur preßte mir das Herz zusammen .
Wie ?
Ein so ungeheures Weh - kaum zwei Jahr , und es erlischt wie eine Kerze die ausgebrannt ist !
Wer weiß - noch eine Spanne Zeit , und wenn es sich so macht - tanze ich wieder .
Wozu sich dann erst die Augen blind weinen ?
Nie aber löste sich mein Gram in Wehmut auf .
Ewig ruhte er ungebrochen , unzerstörbar in meiner Brust , die Zeit hat nur Asche darüber gestreut .
Und indem ich das jetzt schreibe , bricht der Quell meiner Tränen wieder auf , und ich weine bitterlich .
Und wenn ich einmal im Sarge liege , und Du siehst aus meinen toten Augen Tränen fließen - Du weißt , warum die toten Augen weinen !
Ich wollte mich mit doppelter Zärtlichkeit meinem Knaben zuwenden .
Hätte er nur , als das Schwesterchen gestorben mit mir geweint , oder hätte ich wenigstens in seinen Zügen gelesen , daß sein junges Gemüt erschüttert war .
Nichts davon .
Er empfand eine gewisse Scheu vor dem Tode , und ein Unbehagen , daß er nicht lustig sein durfte .
Ich preßte ihn an mein Herz , und nannte ihn mein einziges , geliebtes Kind .
Er erwiderte meine Liebkosung und sagte : " Muttchen , nicht wahr , jetzt gehören mir Traut's Spielsachen ! "
- - " Nein , " sagte ich hart .
Ich verbrannte sie alle - alle .
Das war Walters Sohn .
Daß eine Mutter alle ihre Kinder gleich lieben soll , ist eine falsche , ethische Forderung .
Meine Mutter hatte das Recht mich nicht zu lieben aber nicht das Recht , sich mir ungerecht und lieblos zu beweisen .
Ich wurde milder als je gegen meinen Knaben , aus Furcht , ich könnte ungerecht werden .
Ich siechte so hin .
Ein müder , zehrender , schleichender Gram .
Der Schatten Traut's , der mich umkreiste , zog mich ihr nach .
An einem Morgen erwachte ich mit einem Lachen .
Ich hatte , wie so oft , von Traut geträumt .
In dieser Nacht sah ich sie langsam durch eine Allee von Trauerweiden schreiten .
Die Allee erstreckte sich bis zu einem tiefen See .
Immer näher kam sie dem See , und in immer wilderer Angst klopfte mein Herz .
Da schwirrte etwas durch die Luft , ein Käfer , ein Maikäfer , der setzte sich auf Traut's Fingerchen .
Gleich streckte sie das Fingerchen von sich , und fing an zu singen :
" Maikäfer fliege , Dein Vater ist im Kriege , Deine Mutter ist in Pommerland , Pommerland ist abgebrannt , Maikäfer fliege . "
Mit einem Male war ich selbst der Maikäfer , und ich krabbelte auf ihrem Fingerchen .
" Na , so fliege doch , fliege ! " sagte sie mit so unnachahmlicher Schelmerei im Ton , daß ich laut auflachen mußte .
Das Lachen tat mir so wohl , und wachend wiederholte ich noch immer : na , fliege , so fliege doch !
Ja , warum flog ich denn nicht ? weit fort , da doch meine Heimat abgebrannt war ?
Von diesem Tag an reifte in mir der Entschluß , dem Hinsiechen und Hinkriechen ein Ende zu machen - fortzufliegen .
Aber wie ?
Wohin ?
Etwa zurück zum Gesellschaftsleben ?
Nein , ich wollte mit dieser Welt nichts mehr zu tun haben , nichts mit ihren Verlogenheiten und falschen Pflichten und gelernten kategorischen Imperativen , auch nichts mit ihren ewigen Wahrheiten , deren Ewigkeit so kurz ist , wie unser Gehirn eng .
Immer hat es mich nach dem Süden gezogen .
Nach Gemälden und Schilderungen hatte ich mir ein Bild von Italien gemacht .
Wenn ich dahin könnte , heraus aus diesem Leben , das nicht mein Leben war , heraus aus dieser Stadt , aus diesem Klima .
Eine andere Erde !
Anderer Himmel !
Viele Tage grübelte ich darüber .
Ich wartete immer auf eine Eingebung oder einen Zufall .
Es waren graue , graue Novembertage , eine sickernde , muffige Feuchtigkeit in der Luft , alles müde , als könne es nicht leben und nicht sterben .
Ich hatte mich erkältet .
Ich hustete viel , an einem Tag hatte ich Fieber .
Da kam mir die Eingebung , nicht vom Himmel , denn es war eine Lüge dabei .
Hatte der Arzt nicht Deine Schwester , weil sie nach einer Lungenentzündung so stark hustete , nach Rom geschickt ?
Ich wollte mich auch nach Rom schicken lassen .
Da würde ich dann Deine liebe Julie treffen , in derselben Pension mit ihr wohnen und wenn Du im Februar auf Deiner Reise nach Griechenland durch Rom kämst , würdest Du uns ein paar Tage gehören , und im Mai - das rechnete ich fein aus - könnten wir dann alle mitsammen heimfahren .
Und nun ist es doch anders gekommen !
Unser Hausarzt , ein lieber alter Mann von bemerkenswerter Intelligenz , hatte mir immer eine besondere Güte bewiesen .
Ich bat ihn zu mir , klagte ihm , daß ich krank sei - brustkrank wahrscheinlich - und daß ich eine so große Sehnsucht nach dem Süden habe , nach Sonne , er solle mir Italien verordnen .
Ich sah von ihm weg , während ich sprach , und fühlte , wie ich über und über rot wurde .
Er fixierte mich scharf mit seinen klugen Augen .
Sicher ist er gleich dahinter gekommen , daß alles Lug und Trug war .
Doch untersuchte er mich gründlich .
Dann nahm er meine vor Aufregung feuchtkalten Hände in die seinen , und meinte , gar so schlimm wäre es nicht mit der Brustkrankheit , die rechte Lungenspitze sei allerdings angegriffen , sicher aber würde ein Winter in Italien Wunder an mir tun .
Mit meinem Mann wolle er sofort Rücksprache nehmen .
Ich hörte in meiner Erregung kaum noch was er sagte .
In Gedanken war ich schon bei Deiner Schwester .
Und so väterlich , so gut sprach er , ich hätte ihm die Hände küssen mögen , daß er um meinetwillen lügen wollte .
Und nun ging alles so schnell , daß ich kaum zu Atem kam .
Walter , der gleich ja sagte , der ohne weiteres das viele Geld , das eine solche Reise erfordert , bewilligte .
Und wie Du plötzlich nach Berlin kamst , ( hatte Dir Walter wirklich nicht geschrieben ? ) um gleich mit mir nach Rom zu fahren , obgleich doch Deine große Reise erst für den Februar geplant war .
Ich verstehe es heute noch nicht recht .
Und Walter der in allem mit Dir so einverstanden war .
Es sah beinahe so aus als konspiriertet ihr gemeinschaftlich hinter meinem Rücken über die Reise .
Nur darüber bin ich nachträglich noch betrübt , daß Du mir während unseres achttägigen Beisammenseins hier Rom nicht zeigen konntest .
Gewiß , es war vom Arzt und Deiner Julie allzu ängstlich , daß sie mich nicht aus dem Zimmer ließen .
So ein bißchen Husten bringt einen doch nicht gleich um .
Und Philomela , das treffliche Stubenmädchen , die mich auch immerzu pflegen wollte .
Und nun , da ich Deine Schwester kennen gelernt habe , Arnold , finde ich , daß Du mich gar nicht brauchst .
Besser , edler ist sie als ich .
Sie liebt Dich , und ihr seid auch im Geist Geschwister .
Fein und still ist sie wie Du , nur nicht ganz so harmonisch befriedigt in sich wie Du .
Und das ist erklärlich .
Seitdem Du ihrer Pflege und Fürsorge entwachsen bist , leidet sie an unverbrauchter Kraft .
Sie ist die geborene Mutter , und hat keine Kinder .
Darum hat sie sich nun mit so viel Eifer auf's Zeichnen geworfen , und wenn ich erst wieder wohl sein würde , dann wollten wir immer zusammen ausziehen , Beide mit Bleistiften bewaffnet , sie zum Zeichnen , ich zum Schreiben .
Ich sah mich schon - ganz Corinna - auf Ruinen sitzend und auf Schreibgedanken lauernd .
Sie hat Humor Deine Schwester , sie ironisiert sich selbst mit ihrem Zeichnen .
Was Goethe kann , kann ich auch , sagte sie , nämlich : mich irren und mich für ein verkanntes Zeichengenie halten .
Nun bist Du schon lange , lange fort .
Zu Ende ist meine Geschichte .
Ich warte auf Dich . Nein - meine Geschichte ist nicht zu Ende .
Wie ? diese Aufzeichnungen sollten mit einer Lüge schließen !
Aufzeichnungen , die für Dich bestimmt sind ?
Bei Tag schrieb ich die Geschichte meiner Vergangenheit , Abends oder in der Nacht meine Geschichte in Rom .
Ich schrieb anfangs mit dem Hintergedanken , daß sie nie in Deine Hände gelangen sollte , nie solltest Du erfahren , daß ich unserer Freundschaft im Geist die Treue gebrochen .
Nun will ich , sie soll in Deine Hände gelangen .
Hast Du zu Ende gelesen , so wirst Du wissen , daß fortan eine Lüge in meinem Leben keinen Raum mehr hat .
Aus Karten oder Briefen wirst Du ja von Julie erfahren haben , wie traurig es ihr ergangen ist , wie das römische Fieber sie mitgenommen hat .
Nun ist sie ja , weil der Arzt es durchaus so wollte , schon lange an der Riviera .
Die Pension war mir verleidet .
Meiner Philomela hatte man unter nichtigem Vorwande den Dienst gekündigt .
Dazu kam , daß ein Herr in der Pension mir lästig fiel , sehr lästig , in welchem Sinn kannst Du Dir denken .
Da entschloß ich mich kurz auf einen Vorschlag Philomelen einzugehen .
Sie hatte wie sie sagte , ein reizendes , kleines Logis im fünften Stockwerk mit einer großen Terrasse , und drei kleinen Zimmerchen ausgekundschaftet .
Ich sah die Wohnung , war entzückt davon , und zwei Tage später hatte ich sie mit Philomele bezogen .
Sie ist eine fromme Katholikin , es macht ihr Kummer , daß ich eine falsche Religion habe .
" Aber , sagte sie , wenn ich einen so guten Charakter sehe , wie den Ihrigen , so wende ich die Religion nicht darauf an . "
In der ersten Zeit fühlte ich mich auf meiner Höhe recht vereinsamt .
Es regnete auch , dann kam strahlender Sonnenschein .
Ich saß oder lag stundenlang auf der Terrasse , ohne Lust auszugehen .
Den ganzen Vormittag , wenn ich wohl genug war , schrieb ich an meiner Geschichte .
Auf der Terrasse war es immer warm und schön ; nach Sonnenuntergang aber mußte ich im Zimmer bleiben , das hatte mir der Arzt befohlen .
Sie waren dürftig , die Zimmerchen , ich wollte sie hübsch und behaglich machen , Du würdest Dich später auch daran freuen , dachte ich .
Und ich kaufte allerhand ein , zuerst in Begleitung Philomelas später auch allein .
Reizend sieht es jetzt bei mir aus , Du weißt schon - das rote Glas .
In der einen Ecke des Salons riesige Eukaliptus-Büsche , davor ein Tischchen , auf dem eine bronzene Amphora mit weißen Narzissen steht .
Auf der Chaiselongue ein weißes Lammfell .
Zu Vorhängen und Portieren verwendete ich die so lächerlich billigen Ciociarenteppiche , die so warm in der Farbe sind .
Ich legte sie auch über den Reisekorb und den Koffer , und schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe , indem ich diese unschönen Gegenstände vorteilhaft unterbrachte , und zugleich ein paar kleine Divan's gewann .
Und denke Dir , ich fand ein Stück merkwürdig bedruckten Kattun's , das wie ein türkischer Teppich wirkte .
Davon fabrizierte ich eine Art Baldachin , und hing eine , in wirklichem Öl gemalte Madonna darunter , nur Skizze , die ich für ein paar Lire in einem Trödelladen erstanden , was aber dem innig schwermütigen Ausdruck ihres Gesichts keinen Abbruch tat .
Unter der Madonna ein ewiges Lämpchen ( seine angezündete Ewigkeit dauerte bei mir allerdings nur von 7-10 Uhr ) in einem antiken mit bunten Edelsteinen ( unechten ) verziertem Glas .
Gegenüber in einem scharfem Winkel von der Decke herabhängend , eine noch antikere Laterne mit grünen Gläsern .
Natürlich war auch eine vierzinkige , römische Lampe da .
Und nun Male Dir den Effekt aus , wenn der Kamin brannte , und das Öl in der grünen Laterne , und in dem roten Edelsteinglas , und in der vierzinkigen , römischen Lampe , die ich berechnenderweise vor einen Spiegel gestellt hatte .
Die Petroleumlampe zünde ich Abends gar nicht erst an , um mir die Farbenstimmung nicht zu verderben .
Bei Tage sorgt der Ausblick von meiner Terrasse für Stimmung .
Da habe ich ein gutes Stück Rom vor mir ; bis zum Janiculus sehe ich , und ein Stückchen Campagna sehe ich auch , und St. Peter und die vielen Gärten auf den Häusern .
Aus der Häusermasse , gerade mir gegenüber , ragt , fast bis zum Niveau meiner Terrasse , eine hohe Säule empor .
Sie trägt eine Madonna , um ihren metallenen Heiligenschein flattern Vögel .
Morgens , wenn ich heraustrete , achte ich darauf , ob es Krähen oder Raben oder Tauben sind .
Eine Taube bedeutet mir Gutes , ein Rabe so etwas , auf das sich nevermore reimt ( ich denke an Poe es Gedicht . ) eine Krähe - Verdrießliches , oder wenigstens Alltägliches .
Meine gute Philomela zankte mit mir , daß ich nun wieder immer daheim saß , und mir das Wunder Rom , ihr Rom , nicht ansehen wollte .
Der liebe Gott hätte doch auch rote Laternen und grüne Gläser an den römischen Himmel gehängt , aber es wären echte Rubinen und Smaragden , und die Sonne selbst wäre ein Riesendiamant u. s.w .
( Ich embellire ihre Ausdrücke )
Und eines Tages kam sie mit Hut und Schal , und ich mußte mit .
Und da bin ich nun eine ganze Woche mit ihr herumgewandert , mit dem festen Vorsatz von Rom entzückt zu sein wie alle Welt es war .
Von einer Kirche zur anderen liefen wir , von einer Galerie in die andere , auf Ruinen kletterten wir umher .
Das Kapitol und alle Paläste und den Monte Pincio sahen wir .
Ich kam jedes Mal tödlich erschöpft nach Hause .
Ich hustete wieder stark , und fühlte mich elend .
Die Massenhaftigkeit des Gesehenen , dieses wüsste Durcheinander , erdrückte mich .
Rom ruhte wie eine schwere Arbeit auf mir , mein Körper war der Anstrengung nicht gewachsen .
Sicher ich brauchte einen Führer .
Ich kaufte mir Göthe's italienische Reise .
Das wäre doch der denkbar , vornehmste Führer .
Ich las eifrig darin , und das Resultat : bitterste Beschämung .
Göthe's römische Welt war mir eine völlig verschlossene .
Aus jeder Seite dieses Buches starrte mich meine grenzenlose Unwissenheit an .
O Arnold , ich schämte mich , schämte mich vor mir selber , daß ich Rom nicht verstand .
Zu zeitlich bin ich für die ewige Stadt , zu klein für ihre Größe .
So hatten sie wohl Alle recht , tausendmal recht .
Dumm war ich , dumm .
Und plötzlich überschaute ich die ganze ungeheure Dummheit all der Jahre , die hinter mir lagen .
Was war denn diese starre , seelische Ungeschmeidigkeit , die sich mit Menschen und Schicksal nicht abzufinden verstand , anderes als Mangel an Verstand !
Nadelstiche empfand ich wie Dolchstöße .
Immer sollte die Wirklichkeit sich nach meinen Träumen richten .
Ich war wie von Glas , rührte man mich an , zerbrach gleich etwas in mir .
Der Wanderer , dem eine Dornenhecke den geraden Weg versperrt , und der sich durch die Dornen zwängt , sich dabei blutig verwundet , während er mit einem geringen Umweg die Hecke umgehen konnte - etwa nicht dumm ?
Bin ich nicht immer selbst mein eigener Feind gewesen ?
Warst Du es nicht , der mir ins Gesicht behauptete , ich wäre schön und gut und klug ?
Und wäre ich_es , hätten mir gütige Feen all diese Gaben in die Wiege gelegt , die eine böse Fee - gerade wie in dem Märchen - würde die Gaben nutzlos gemacht haben .
" Du sollst keinen Charakter haben und keinen Willen , " das war ihr fluchwürdiges Geschenk .
Und da habe ich nun keinen Charakter und keinen Willen , und die sind doch der Schlüssel zu allem Glück und allem Erfolg .
Die schönste Intelligenz kommt dagegen nicht auf .
Ja , ich bin mein eigener Feind gewesen .
Nicht meinen Gatten trifft eine Schuld , nicht meine Mutter .
Ich habe sie fälschlich angeklagt .
Die Natur hatte doch keine Verpflichtung , sie gerade für mich zu schaffen .
Meine Mutter war , wie sie sein konnte .
Und daß ich so ganz anders wurde ?
Vielleicht empfing sie mich in einer sturmbewegten Vollmondnacht , und der Sturm trug Lindenblüten auf ihr Lager , und so wurde ich ein Kind auch des Mondes , des Sturms , der Lindenblüten .
Und auch keine Gerechtigkeit ist in meinem Verstand .
Blieb ich meiner Mutter nicht die Tochter schuldig ?
das frische , fröhliche Weltkind , das sie wollte ? meinem Manne nicht die Gattin voll kräftig robuster Zuneigung ?
Wie ich nicht zu lesen verstand - viel zu hastig las ich über alles fort - so verstand ich auch nicht mich in Menschen zu versenken , den Kern ihres Wesens zu erfassen .
Was wollte denn Walter ? nicht ernst genommen werden .
Warum nahm ich ihn denn ernst ?
Hatte ich je nach seinen guten Eigenschaften geforscht ?
Ruhten nicht vielleicht im Grunde seines Wesens Goldkörner ?
Hatte ich die außerordentliche Tüchtigkeit meiner Mutter gewürdigt ?
Intolerant und ungerecht war ich in all meinem Empfinden .
Es ist wahr , ich vergalt nie Böses mit Bösem , ich war Gehorsam , diensteifrig , bescheiden .
Ich habe von Niemand etwas genommen , aber was habe ich denn gegeben ?
Nichts .
Ich habe mich so und so oft für Andere aufgeopfert - etwa aus reiner Herzensgüte , aus dem Bewußtsein heraus , daß es das Gute , Richtige sei ?
Nein .
Hielt ich still aus christlicher Demut ?
Nein .
Ach Arnold , ich glaube , meine Tugenden waren nichts als die weichlichen Instinkte einer mangelhaften Organisation .
Und so bin ich - immer nur ein Schatten , den die Anderen warfen - zu einer undefinierbaren , verschwommenen , farblosen Nichtindividualität geworden .
Ich bin es geworden mit vollem Bewußtsein .
Meine Seele zeigte rechts und ich ging links .
Aber jetzt , jetzt war ich doch frei , frei wie Wenige .
Der nicht ein Tor , der verdurstet mit einer Flasche köstlichen Weins vor sich , weil er sie nicht entkorken kann ?
Warum zerschlug ich die Flasche nicht ?
Wie ? wenn ich sie jetzt noch zerschlüge , und Rom böte mir den köstlichen Trunk ?
Ich sprang auf .
Ich reckte mich , streckte die Arme zu der Madonna empor .
Ein Rabe saß auf dem metallenen Heiligenschein .
Ja , ich wollte es noch einmal mit Rom versuchen .
Gleich , sofort .
Zu den Ausgrabungen auf dem Palatin wollte ich mit Philomela .
Philomela hatte Zahnschmerzen .
Allein , meinte sie , würde ich mich auf dem Palatin nicht zurecht finden .
Ich sollte in die Titusthermen fahren , die wären leicht zu übersehen .
Ich fuhr in die Titusthermen .
Die Frau des Kustoden sagte mir , wenn ich die dunklen Gewölbe sehen wollte , ihr Mann wäre mit einer englischen Familie voraus , ich könnte mich ihnen anschließen .
Ich hatte eine Reihe von Gewölben durchschritten , als sich ein langer , dunkler Gang vor mir auftat .
Ich zögerte erst .
Da ich aber in geringer Entfernung Stimmen hörte und einen Lichtschimmer gewahrte - es mußte der Führer mit der englischen Familie sein - vertiefte ich mich in den Gang .
Er nahm kein Ende .
Ich wollte schnell gehen , konnte nicht , der Boden war schlüpfrig .
Endlich schien er zu Ende .
Die Stimmen waren verhallt .
Ich trat in ein anderes Gewölbe , tat noch tappend einige Schritte - Nacht umfing mich , tiefe schwarze Nacht .
Dumpfe modrige Luft , ein leises Rieseln wie von Sand oder sickernder Feuchtigkeit .
Ich wußte ja , die Thermen waren keine Katakomben , es war noch niemand darin lebendig begraben worden .
Trotzdem packte mich ein rasendes Grauen .
Ich wagte mich nicht vor- nicht rückwärts .
Ich rief mit erstickter Stimme .
Schaurig , der Widerhall von den Mauern .
Ich rief noch einmal .
Ein schwacher Lichtschein kam allmählich näher .
Ein Mann mit einer Wachskerze in der Hand wurde sichtbar .
In meiner Erregung dachte ich nicht daran , daß er wahrscheinlich nicht deutsch verstehen würde , und bat ihn in deutscher Sprache mir den Ausgang aus der Höhle zeigen zu wollen .
Es war ein Deutscher .
Ich sollte ihm folgen .
Ich tat so .
Kaum zwanzig Schritt weiter fiel schon der erste Tagesschimmer herein .
Auf dem Wege bis zum Ausgang machte der Fremde den Führer .
Das heißt , er zeigte dahin und dorthin , immer nur wenige erklärende Worte hinzufügend .
Als wir uns im Freien befanden , fragte ich ihn nach dem nächsten Droschkenstand .
Er sei 8-10 Minuten von den Thermen entfernt .
Als verstünde es sich von selbst , blieb er an meiner Seite .
Wo ich wohne ?
Due macelli .
Im Sonnenlicht sah ich seine Züge .
Nicht sonderbar Arnold , er erinnerte mich an die beiden Fremden , die in meinem Leben so geheimnisvoll an mir vorübergegangen waren .
Der Klang seiner Stimme war tief und weich wie die des Mannes vom Schneesturm , es war als umgehe er die Konsonanten und spräche nur in Vokalen .
Und er hatte die hohe , leicht vornüber gebeugte Gestalt des Fremden im grauen Mantel .
Seine Augen aber waren ganz anders .
Graue Augen mit beinahe mädchenhaft langen geraden Wimpern .
Was er für eine Nase und ein Mund hatte , weiß ich nicht .
Wir kamen an Wagen vorbei und ich merkte es nicht .
Wir gingen weiter und weiter , bis wir vor meinem Hause standen .
Ich war wie in einer Bezauberung gewesen , die Stimme hatte mich hypnotisiert .
Ich hatte nicht einen Augenblick an die Ungehörigkeit gedacht , mich von einem wildfremden Menschen begleiten zu lassen .
Als wir uns trennten , riet er mir , in Rom lieber nicht allein umher zu wandern .
Ich unterdrückte die Antwort , daß ich niemanden habe .
Er hätte es für eine Aufforderung halten können , sich mir als Führer anzubieten .
" Auf Wiedersehen " sagte er , als wäre ein Wiedersehen selbstverständlich .
Und wir sahen uns wieder , wenige Tage später auf dem Monte Pincio .
Gegen Sonnenuntergang war_es .
Ich stand auf der Terrasse und blicke empor zum Himmel .
Der ganze Himmel Musik .
Geige und Harfe in diesem zartesten Rosenrot , in dem seelenvollen Violett .
Und der grünlich fließende Himmelssee darunter - melodisch erklingendes Waldhorn .
Allmählich verhallten Harfe und Geige und Waldhorn .
Und da - eine Feuerwolke , kupfrig flammend .
Und da stand er neben mir , im Widerschein der Feuerwolke und grüßte mich lächelnd .
Und alle Glocken läuteten Ave Maria .
Das tun sie immer gegen Abend .
Arnold , wirst Du es für möglich halten , nur wenige Tage vergingen , und wir sahen uns täglich .
Zumeist holte er mich ab , zu längeren oder kürzeren Spaziergängen .
Über seine Person erfuhr ich nicht viel .
Er war kein Fremder in Rom .
Er lebte hier seit Jahren , nicht als Entgleister oder Kranker , sondern um bestimmter Studien Willen .
Er schrieb an einem wissenschaftlichen Werk über die Renaissance .
Was er in Deutschland gewesen , danach fragte ich nicht , und er sagte es nicht .
Daß er mir vorschlug miteinander zu verkehren ohne unsere Namen zu nennen , war wohl ein etwas abenteuerlicher , befremdlicher Einfall .
Er meinte aber , wenn wir uns korrekterweise mit unseren deutschen Namen vorstellten , wären wir nicht mehr ganz in Rom , die liebenswertesten Ungenannten , wenn sie sich als Frau X und Herr Y enthüllten , mit allem Ballast ihrer gesellschaftlichen Beziehungen , so würden sie sich gleich fremder .
Ich könne aber sicher sein , es stecke nichts hinter ihm als ein Kunst- und Rom-Enthusiast .
Da man in Rom bei Besuchen immer nur nach der " Signora " fragt , ohne den Namen hinzuzufügen , ging es ganz natürlich zu , daß er meinen Namen nicht zu erfahren brauchte .
Ich glaube , Philomela wußte ihn selbst nicht recht , jedenfalls konnte sie ihn nicht aussprechen .
Ob ich verheiratet , unverheiratet , geschieden , ob arm , ob reich , er wollte es nicht wissen .
Nur , daß ich eines Lungenleidens wegen mich in Rom aufhielt , log ich ihm zögernd vor .
Er sprach wenig , aber es war immer als sagte er viel .
Selbst Gleichgültigem wußte er durch eine Flexion seiner samtenen Stimme eine besondere Bedeutung zu leihen .
überaus anziehend war seine Art , in halben Worten , in Andeutungen , durch einen Blick oder ein Lächeln seine Meinung zu äußeren .
In allen was er tat und sagte war ein zarter Ernst .
Er lächelte mit unvergleichlicher Anmut .
Ein weibliches Lächeln .
In Bezug auf sich selbst übte er eine merkwürdige Diskretion .
Ich kam nicht hinter seine eigentliche Gesinnung , seine politischen und sozialen Überzeugungen .
Nichts hatte er von Deiner Seelen-Durchsichtigkeit .
Im Gegenteil , er ließ immer Geheimnisvolles ahnen .
Sollte ich ein Farbenbild für ihn wählen , ich würde sagen , er ist graublau .
Ich nannte ihn Signore Adalbert - das war sein Vorname .
Er ist mein Führer geworden .
Und nun sah ich Rom mit ihm noch einmal .
Noch einmal ?
Nein , ich sah es zum ersten Mal .
Wunderbarste Erlebnisse stürmten auf mich ein .
In jeder Landschaft , jedem Sonnenuntergang , jeder Kirche , jeder Galerie erlebte ich romantisches oder Klassisches , Leidenschaftliches oder Holdseligstes .
Oft war_es mir , als wären all meine Träume Wirklichkeit geworden .
Charlotte lehrte mich sehen und hören in Bezug auf die Menschen .
In Rom lerne ich nun ein höheres Sehen und Hören .
Mit großen verschlingenden Augen , mit gefalteten Händen stehe ich vor der Offenbarung des Schönen .
Welch ein Gegensatz : Berlin und Rom !
Ein Gegensatz wie Rathaus und Tempel , wie antike Säulen und Eisenkonstruktion .
Und doch - manchmal frage ich mich , ob mein Entzücken nicht zum Teil auf der Fremdartigkeit der Erscheinungen hier beruht , der Fremdartigkeit , die der Süden für den Nordländer hat .
Wenn ich an den Mauern entlang , den schönen Weg zum Monte Pincio aufsteige , blicke ich gefesselt in das Häusergewirr vor mir .
Schön ist das sicher nicht , nur fremdartig .
Im Vordergrund zumeist die Hinterhäuser irgend welcher Straßen .
Was ich sehe ist ein unentwirrbares Knäuel der heterogensten Dinge .
Und diese Steinmassen sind durcheinander , übereinander gedrängt , seitwärts geschoben , in den Boden gedrückt , auseinandergezerrt , so daß sie einen völlig chaotischen Eindruck machen , einen Eindruck , als hätte ein Gott mit ungeheuren Steinen Würfel gespielt , und da wäre Alles bunt durcheinander gefallen : Häuser und Baracken , Paläste und Schuppen , Bildwerke , Bäume , Lumpen , Blumen , königliche Portale und Holzplatten , Säulen und Spelunken , Dächer , Gärtchen , Terrassen , Gitter , höhlenartige Löcher und Luken , offene Fensterbogen , baufälliges , graues oder rötliches Gerümpel .
Kein Winkel geht verloren , alles vollgestopft , und wäre es nur mit dem Fragment eines Marmorkopfes , mit alten Tonnen , mit Wäsche , mit dornigem Gestrüpp , Schutt und Kehricht .
Und damit es in diesem Chaos Licht werde , sprach der Genius der Schönheit : Ihr roten Orangen glüht dazwischen , ihr goldenen Limonen hebt euch reizend von diesen Gemäuern ab , lodere darüber du dunkelblauer Himmel , und du Sonne funkle über diese Glaskugeln , funkle über Gerümpel , Schmutz und Kehricht , und siehe - alles war schön , ein Wohlgefallen den Göttern und Menschen .
Also doch schön ? nicht nur fremdartig .
Die Poesie der Stadt , ihr Süden , ihr ewiger Frühling sind die Garten und Gärtchen , die Terrassen auf den flachen Dächern der Häuser .
Entweder sind es natürliche Gärten oder durch Blumentöpfe künstlich imitierte .
Sie sind aber nicht immer zu ebener Erde oder auf den Dächern der Häuser .
Sie sind oft auf einer niedrigen Mauer , die zwei Häuser von einander trennt ; auf einem Vorsprung , in einem schrägen Winkel .
Da gibt's Häuser , die haben drei bis vier Terrassen , nach ganz verschiedenen Seiten hin ; wie das architektonisch möglich ist , weiß ich nicht - unentwirrbar .
Sage nie , wenn Du in Rom in engen Straßen , an häßlichen Häusern vorübergehst :
in diesen Häusern wohne ich nicht .
Suche nur die Seelen dieser Häuser .
Überschreitest Du den gewölbten Torweg bleibst Du oft überrascht und entzückt stehen - vor dem Hof .
Das heißt der Hof ist kein richtiger Hof , sondern eher ein Garten oder Gärtchen .
Meistens kommt eine Mauer darin vor .
( Mauern müssen immer dabei sein , und wäre es auch nur , damit sich Orangen und Zitronen davon abheben können ) und auf der Mauer stehen in großen Thonkrügen , in Urnen oder Vasen - Palmen und Aloe's , Kaktus und Musa's , und ein blühendes Geschlinge wogt da durcheinander , von Blumen , die sich bei uns vor profanen Blicken vornehm in Treibhäusern zurückziehen .
Und sind es keine Gärten , so grüßen Dich wenigstens aus Nischen , vom Hintergrunde des Hofes her , selbst des unscheinbarsten , Arrangements von Pflanzen , die ein Bildwerk umrahmen , einen Gott , eine Göttin oder sonst eine Idealgestalt .
Und jedes Häuschen hat sein Brünnlein oder sein Fontänchen , das Götter und Schlinggewächse netzend , in steinerne Becken oder alte Sarkophage sprudelt .
Und alles ist unregelmäßig , verworren , bizarr , unsinnig malerisch , ganz anders wie irgend sonst wo in der Welt .
Kobolde und Grazien wohnen in Rom nah beieinander .
Ich muß Dich um Entschuldigung bitten , Arnold , wegen der fortwährenden Orangen und Limonen , Palmen und Blumen , Säulen und Sarkophage , die in meiner Erzählung kein Ende nehmen .
Aber das alles ist hier wirklich wie das tägliche Brot .
Wohin wir auch unsere Schritte lenkten , überall Bilder von fabelhaftem Reiz .
Von einem Nachmittagsspaziergang will ich Dir erzählen :
Vor einem der Tore Rom es wurden wir im Freien von einem Unwetter bedroht .
Nachtschwarze Wolken am Himmel .
Zwischen dem Gewölk war ein Lichtstreifen eingekeilt .
Das Licht fiel auf ein altes , verwittertes Gemäuer mit leeren Fensterhöhlen , das auf einem Hügel stand .
Eine Cypresse davor .
Durch die Gräser zischelte der Wind .
Selbst die fromme Cypresse bewegte ein sachtes Säuseln .
Daß der zerfallene Bau bewohnt war , sah man an den Lumpen , die aus verschiedenen Löchern hingen , und an einigen Blumentöpfen vor den leeren Fensterhöhlen .
Hinter einem der Blumentöpfe stand ein reizendes Kind .
Ein Schüsselchen hatte es vor sich .
Es bog den Kopf weit hintenüber und ließ sich Makkaroni ins Mäulchen gleiten .
Ein altes Weib kam aus dem Gemäuer gestürzt .
Der Wind wehte stark , und ihr struppiges Haar stob nach allen Seiten auseinander .
Sie stürmte dahin wie eine Verzückte , schüttelte das graue Haupt , und warf mit wilder Gebärde die Arme um sich .
In der Hand trug sie einen langen Stab .
" Wohin des Weg's ? " rief Adalbert sie an .
" Nach Jerusalem ! nach Jerusalem ! " rief sie zurück , und fort raste sie , unverständliche Laute ausstoßend .
Wir stiegen zum Monte Pincio hinauf , dem Park Rom es , der allen zugänglich ist .
Eine Menschenflut da oben aus allen Ständen .
Die Militärkapelle spielte .
Drei Reihen Wagen , die langsam auf- und abfuhren .
Die Aristokratie Rom es saß darin .
Die Wagen blieben oft halbe Stunden lang , der Kapelle gegenüber stehen , um die Musik zu hören .
Junge , elegante Männer traten an den Schlag , um mit den Damen zu plaudern , ihnen Blumen darzubieten .
Die Damen in kostbaren Pelzen , weiße zumeist , mit den kühnsten , federreichsten Hüten .
Die römische Aristokratie ist gewiß so hochmütig wie die Aristokratie anderer Länder .
Aber freudige Lebenslust , die ihnen aus den dunklen Augen blitzt , die Welt ewigen Frühlings , die sie umgibt , läßt Kälte und Steifheit nicht zu .
Im Ganzen bot der Pincio das Bild eines hübschen , glänzenden , kleinen Markt's der Eitelkeit .
In einer Allee standen lauter goldene Bäume , jedes Blatt glitzerte .
Ein leiser Wind , der sich erhob , streifte die Blätter ab , daß sie schimmernd durch die Lüfte flatterten .
Der Boden war mit Gold bedeckt .
Und wenn die Wagen mit den schönen Frauen in den weißen Pelzen durch diese Allee fuhren , und die goldenen Blätter auf sie niederrieselten , so nahm sich das reizend aus .
Man konnte , wenn man wollte , dabei an den Goldregen Jupiters denken .
Die roten Blumen auf den Beeten glühten im Sonnenschein , er funkelte auf dem Goldschmuck der Scharlachroten oder himmelblauen Röcke der Ammen , auf den roten Priestersoutanen , auf den hellen , oft roten Livreen der Kutscher .
Rot war in der fröhlichen Musik .
Rot war die Sonne , als sie sich zum Untergang neigte .
Sie hatte Feuerpfeile geschmiedet , die schoß sie weit hin über den Horizont .
Sie schoß sie hinunter in das grünliche Himmelsmeer aus dem phantastische Riesenfische mit schimmernd leuchtenden Schuppen sich emporreckten .
Sie schoß sie hinüber in die Fenster der Kirchen , daß sie aufbrannten , und zwischen Pinien und Zypressen entzündete sie goldene Lampen .
Im Widerschein des Goldstroms erglühten die Bäume , die Gesichter der Menschen , die Gebäude , das Feuer flutete durch die Turmöffnungen der Kirche - - " Das ist der Nibelungenhort " sagte Adalbert .
Wir blickten zufällig einmal von der hohen Mauer , die den Pincio nach den borghesischen Gärten zu umschließt , hinunter in die tiefliegende , schmale dumpffeuchte Chaussee , die zwischen den Mauern des Pincio und des borghesischen Parkes entlang führt .
Auf diesem einsamen häßlichen Weg , der schon in Dämmerung begraben lag , kam langsam , langsam ein Leichenzug daher .
Ein armer Mensch wurde da wohl begraben .
Ein paar Leute aus dem Volk folgten , die Männer , die Mäntel über die Schulter geschlagen , die Frauen in schwarze Tücher gemummt .
Voraus schritten ein halb Dutzend Priester mit den brennenden Kerzen .
Ein kleines , weißes Kränzchen hing am Leichenwagen .
Lautlos schlich der stille Todeszug dahin , ein ergreifender Kontrast zu dem Bilde da oben .
Und plötzlich kam mir neben diesem stillen Todeszug , Pracht und Licht auf dem Pincio grob und gewöhnlich vor .
Es war etwas dabei , das einen erschauern machte , als ob alle diese glänzenden Erscheinungen einen Feind im Rücken hätten , den sie nicht sahen .
Sähen sie ihn aber - diese rosigen Gesichter würden erbleichen , die Musik würde verstummen und gespenstisch würde alles auseinander stieben .
Unter diesem düsteren Eindruck blickte ich zu meinem Begleiter auf .
Eben fuhr eine der glänzendsten Equipagen an uns vorüber .
Eine schöne Dame grüßte ihn .
Sie hatte ein Gesicht , das man , wenn man es ein Mal gesehen , nicht so bald wieder vergißt :
Rötlich blondes Haar über einer hohen Stirn .
Fast wimperlose Augen vom hellsten Lichtbraun .
Das Charakteristische aber , das in diesem Gesicht Formen und Physiognomie beherrschte , war das Fleisch , ich möchte sagen ein ätherisches Fleisch , blaß , mit einem kaum zartrosigen Anhauch und so luftig und konsistenzlos , als könnte es jeden Augenblick aufeinanderfließen .
Ich fand das unangenehm , ebenso wie die Nasenlöcher und die Lippen , die fast zu rot waren um natürlich zu sein , und die dem Ausdruck etwas vampirartiges gaben .
Sie trug merkwürdigerweise keinen Hut , sondern einen schwarzen , spanischen Schleier auf dem Kopf .
Sie hatte Adalbert so sonderbar gegrüßt , nur mit den Augen , und er - er stand noch , nachdem der Wagen längst vorüber war , mit dem Hut in der Hand und blickte ihm nach .
Er hat schöne Augen ; sie fragen und sagen so viel .
Durch die langen Wimper leicht verschleiert , nehmen sie zuweilen den Ausdruck einer feinen Schalkheit an , öfter noch den eines schwärmerischen Schmachtens , einer beinahe verschämten Innigkeit .
Augen , die überall das Malerische , das Schöne herausfanden .
Er sah feine Töne auf Bildern und in der Natur , die mir entgingen .
Aber auch sein eigenes Wesen , seine Ausdrucks weise entsprachen dem anspruchvollsten Schönheitssinn .
Er gehört zu den Menschen , in deren Gegenwart uns kein derbes Wort entschlüpft , ja , wir vermeiden unwillkürlich eine ungeschickte Bewegung , eine unschöne Gebärde .
Ich war mit ihm im Colosseum und in den Ausgrabungen der Cäsarenpaläste auf dem Palatin .
Beglückte Heiden , diese Alten , bei denen Religion und Leben eins war .
Das Dasein ein einziges Fest .
Langsam , langsam als folgten wir einem kaiserlichen Totenbegängnis , schritten wir durch die versunkene Pracht der Cäsarenpaläste .
Versunken ? nein - noch ist lebendige Pracht in diesem zertrümmerten Säulen und Mauern .
Der weiße Glanz uralter Geheimnisse umwittert sie .
Geister oder Gespenster oder etwas ganz Unbekanntes pocht und klopft an diesen zerrissenen Mauern .
Zu hoch erscheinen die Riesenportale für gewöhnliche Sterbliche .
Hat der Erbauer bei diesen Titanenwerken an Triumphzüge gedacht , an Unsterbliche , an Geisterscharen , an Ewigkeiten ?
Da aber , wo Licht und Himmel nicht eindringen , erinnern diese zerfallenen , zyklopischen Steingebilde an ungeheure Totenköpfe , die uns aus leeren Augenhöhlen gespenstisch und rätselhaft anstarren .
An einigen Stellen scheinen die Steine , von einem Delirium ergriffen , mit wilden unheimlichen Gebärden durcheinander zu rasen .
Irgendwo kamen wir vorbei , da waren die Mauern rot besprenkelt , wie von Blut .
Es mochten Farbenreste sein .
Daß das schauerlich Düstere der Zerbröcklung uns nicht beklemmt , liegt daran , daß der Himmel überall dabei ist , der blaue , blaue Himmel , die goldene goldene Sonne und die Frühlingsdüfte und -Lüste .
Das Licht lugt durch Löcher und Spalten , es flutet sein Blau durch die grandiosen Bogen hinein , es überwölbt die deckenlosen Gewölbe mit seinem Azurzelt .
Und wohin der Blick fällt , sprossen und sprießen , und wuchern Blumen und Blüten und Gräser .
Sie kriechen und drängen sich aus allen Fugen , klettern bis zu den höchsten Rändern des Gesteins empor und nicken und winken von oben , und sind es gelbe Blumen , so rollen sie wie goldene Locken von den gigantischen Stirnen .
Ja sogar kleine Bäumchen klemmen sich in die Spalten .
Und überall schmeichelt und schlängelt sich üppig das feine Moos an , und der grüne Schimmel , der den Boden bedeckt , wirkt wie zartes Frühlingsgrün .
Ein Ganzes , von einem malerischen Zauber sondergleichen , in der Zerstörung noch von Urkraft strotzend .
Kyklopen sind diese Mauern , in deren Schoße Grazien ruhen .
Und sie sind nicht stumm , die Ruinen .
Sie halten Grabreden , die wie Donner durch die öden Räume hallen , tote Weltgeschichten ruhen ja darin , und sie wispern und flüstern in dem leise rinnenden Sand , und sie klingen und singen auch von seliger Lust - ich bin nur kein Sonntagskind , sonst würde ich es hören .
Als wir nun aber in die Landschaft voll hehren Liebreizes hinausblickten , da spürte ich doch etwas von der seligen Lust .
Lange saßen wir auf einem Säulenfragment .
Aus dem dunklen Grün der Pinien und Zypressen tauchten vor uns Kirchen und Klöster auf , ein Weg zwischen Mauern , weite gartenähnliche Gründe , ihre knospenden Bäume verschwammen in eine weiche , rötliche Maße .
Und darüber schwebte und webte ein weihrauchartiger , Lorbeerdurchhauger , zarter Dunst .
Dahinter die Berge .
Ganz nachgerückt schienen sie an dem Tage .
Die zunächst liegenden von schwärzlichem Blau mit einem violetten Hauch , düster und prächtig , fast ehern im Boden wurzelnd .
Schnee bedeckte noch die fernere Gebirgskette .
Ihre Abhänge schimmerten in heiter rötlichem Licht .
Wir badeten Auge und Seele in dem Glanz und atmeten Reinheit und Taufrische Jugend .
Wir blieben bis die Sonne hinterm Horizont verschwunden war .
Jeder Sonnenuntergang war für uns eine Feststunde .
Und an jedem Abend ging sie anders unter .
Bald zeigte sich der Himmel bei Sonnenuntergang heidnisch , als Venusberg , voll dityrambischer Wollust , lockend mit verheißungsvoller Glut , oder als Pluto's Hölle , die all ihre Feuerschlünde öffnete , als Olymp , Walhalla , als Götterdämmerung voll visionärer Pracht .
Noch öfter aber sind diese Sonnenuntergänge urchristlich , geläutert , heilig , von unaussprechlich feierlicher Reinheit .
So verschwand sie an dem Tage hinter dem Janiculus in weißer , stiller Frömmigkeit .
Morgenschön ging sie unter ; über den lichtdurchflossenen Himmel , über die Berge leichte weiße Schleier hinwehend .
Bisweilen besuche ich die Leute , mit denen Julie mich bekannt gemacht hat , weil ich es ihr versprochen habe , und jedes Mal , wenn ich von ihnen gehe , atme ich befreit auf .
Es sind gewiß treffliche Menschen , aber die einen leben nur in Musik und könnten so gut in Berlin wie in Rom wohnen , Andere haben sich ganz in eine Detailkunst vertieft , und Rom hat für sie nur einen Kunstwert .
Noch Andere leben nach dem Bädecker , immer auf der Jagd nach Sehenswürdigkeiten .
Ein paar Malerinnen sind darunter , die habe ich gern , die besuchte ich auch an den Weihnachtstagen .
Da hatte ich zum ersten Mal Heimweh nach Deutsch Land , nach meinem Knaben .
Die Pifferari in den Schafspelzen , spitzen Hüten und verschossenen Samtjacken , die zu Weihnachten von ihren Bergen niedersteigen , spielten vor meiner Tür ihre schelmisch wehmütigen Weisen .
Aus ihren Dudelsackpfeifen klingen Kichern und verhaltene Tränen .
Es ist ein inbrünstiges Quieken , ein Schluchzen in Fisteltönen , ein schalkhaft gepfiffenes Heimweh .
Das Alpenhorn ins Italienische übersetzt .
Gar hübsch war_es .
Meine Gedanken schweiften aber doch hinüber zu den Kurrendschülern , wie sie im lichten Schnee standen mit ihren dunklen Mänteln und so feierlich und ergreifend ihre " Heilige Nacht , stille Nacht " sangen .
Als aber dann Abends auf meinem Tisch ein wahrhaftiges Tannenbäumchen stand mit vielen Lichtern , und daneben ein uraltes Kruzifix , ganz mit Veilchen umwunden , da war ich doch wieder heimisch in Rom .
Ich liebe die Kruzifixe .
Ich liebe Christus .
Besonders an diesem Weihnachtsfest war ich christussehnsüchtig .
Am ersten Feiertag gingen wir in die Kirche , Ara-Coeli hinauf .
Philomela meinte , etwas schöneres als Ara-Coeli am ersten Feiertag gäbe es nicht .
Schön ? war das schön ?
Auf der hohen , mächtigen Treppe , die zur Kirche emporführt , wälzte sich , wie ein schwarzer , tausendgliedriger Lindwurm eine tobende Menge auf und ab , und jede Stufe der Treppe war - zu Ehren der Geburt Jesu Christi , - in ein Warenlager oder eine Osteria ( nur Bier und warme Würstchen fehlten ) verwandelt .
Alles war vertreten : Kleiderstoffe , Küchengerät , Kämme , Spielzeug , und über all dem Gewühl und Gekreisch der etwas ranzige Duft ölgebackener Eßwaren .
War das in Jerusalem , wo Christus mit Geißelhieben die Verkäufer aus den Vorhallen des Tempels trieb ?
Oder in Rom ?
Die Waren wurden mit einer unglaublichen Lungenkraft ausgeschrien , und nicht zum wenigsten das Bambino ( Christkindlein ) selbst .
Da war besonders ein unmenschlich dickes , häßliches Weib , das nicht müde wurde zu kreischen :
" Il bambino , il Bambino !
Stück für Stück einen Sold ! "
Nach dem Umzug mit dem Bambino beginnt auch innerhalb der Kirche ein Jahrmarktstreiben .
Waldteufel und Kinderknarren !
Das sind die Kindlein , die da predigen .
Von einer hübsch beleuchteten Krippe wird der Vorhang aufgezogen .
Die Figuren sind von Pappe , und die Kinder - nicht von Pappe - lebendige , halten ihre Predigten mit den Gesten kleiner Provinzialschauspieler .
Sie verdrehen die Äuglein zum Himmel , breiten weit die Ärmchen aus , krähen begeistert und winseln rythmisch .
Jedenfalls eine originelle Auffassung von dem Wort Jesu Christi " Lasst die Kindlein zu mir kommen . "
Liebe kleine Affen !
Und irgendwo stand ein Priester - vielleicht auch von Pappe - der murmelte und trieb etwas , um das sich niemand bekümmerte .
Und über dem Gefeilsche und dem Gekreische auf der Treppe , wölbte sich der reinste , blaue Himmel , und wir sahen hinüber in den Garten des Palastes Kaffarelli und darüber hinaus in die Berge , - sie waren leicht beschneit - und um die Zypressen , um die Ruinen und Kuppeln der Kirche webte und schwebte rosiger Schein .
Wir traten in den Garten des Palastes .
Gewölk am Himmel , die Ränder feurig umsäumt , ballte sich zu einem düsteren Krater zusammen , und aus diesem Wolkenkrater stiegen Säulen rosigen Dampfes zum Firmament empor , höher , höher - - was wird sich begeben ? wird der Himmel sich öffnen und das echte Bambino im Arm der Mutter Gottes niederschweben ?
Und die Glocken läuteten Ave Maria , und Ton und Farbe wuchsen in heiliger Schönheit ineinander .
Drinnen in der Kirche beinahe grotesker Unsinn , draußen in der Natur eine stumme Frommheit , ein lang nachhallender Choral , eine echte Feier der Geburt Jesu Christi .
Wir waren in der Villa Albani .
Wir wandelten unter ihren Statuen , in ihren Hainen ; in Rom möchte ich immer hinzusetzen : heilige Haine ; und die der Villa Albani haben einen besonders heiligen Charakter .
Ganze Reihen herrlicher Sarkophage stehen darin , als wären sie mit den Pinien , Lorbeeren , Zypressen zugleich aus dem Boden gewachsen .
Barden mit Harfen und goldener Binde gehören in diese Gärten , die wie Tempel sind .
Und darüber der Himmel von einem lodernden Blau , wie ich es nie in Deutschland gesehen , so tief , so inbrünstig , ich möchte sagen ein purpurnes Blau .
Lauterkeit und Poesie , antike Klarheit und Einfachheit atmet dieser Park .
Und die Luft , zugleich voll Herbstfrische und Maiwonne , und die träumerisch weichen Fernsichten erfüllen die Seele mit unaussprechlicher Süße .
Wir stiegen auf das Dach der Villa Albano , und da hoch oben , hoch oben sind unsere Herzen eins geworden .
Es mußte sein .
Die Sonne war untergegangen .
Graue Dämmerung breitete sich aus .
Wir waren im Begriff hinabzusteigen .
Da begab sich am Himmel etwas Wunderbares .
Eine Rosenglut von überirdischer Leuchtkraft ergoß sich plötzlich über den Horizont. St. Peter erglühte , das Colosseum , der Lateran erglühte , Trinita de Monti , die Villa Medici erglühten .
Und als allmählich die Rosenbrunst auf den Steinen erlosch , da erglühten die Berge .
Grandioses , ergreifendes Schauspiel .
Wolken von einem zarten , nie gesehenen Violett schwammen durch das rosige Meer , glühende Orangentöne spielten hinein .
Das waren nicht Wolken , das waren leuchtende Schatten von Seelen , die dem Körper entflohen , das waren ätherische Hüllen von Cherubinen und Seraphine , die auftauchend aus goldenen Flammen , mit Rosen bekränzt ein Fest am Himmel begingen !
Ein Halleluja in Farben .
Meine Augen füllten sich mit Tränen , Tränen des Entzückens .
Er sah meine Tränen , neigte sich zu mir und küßte mich auf die Augen .
Ich lehnte an seiner Schulter , und so standen wir lange Hand in Hand .
Wir sprachen kein Wort .
Jedes Wort wäre überflüssig , ja widersinnig gewesen , viel zu grob .
Ich gab ihm meine ganze Seele hin in lauterster Zärtlichkeit .
Die Seligkeit , die diese Landschaft durchströmte war in mir .
Ich liebe Rom in ihm .
Und unter den weißen Augen marmorner Götter , unter dem Frohlocken und dem frommen Aufschluchzen der Kirchengesänge , mit dem hochzeitlichen Duft der Orangen und Rosen , verschmolzen Schönheit und Liebe , Kunst und Natur in eins .
Ich liebe Rom in ihm , und in Rom ihn .
Die zwiefache Liebe brannte in mir wie ein goldenes Feuer .
Ich war romberauscht .
Wenn seine Hand die meinige berührte , wenn sein Auge sich in das meinige senkte , wenn er mit seiner samtenen Stimme , die wie eine Liebkosung ist , flüsterte " Marlene " , war ich sein , sein .
Ich habe mich immer so nach dem Süden gesehnt , der Sonne wegen .
Ich liebe sie die Sonne , ich möchte ihr überall hin nachlaufen .
Ich liebe wohl auch die helle , weiße Mittagssonne , aber viel , viel mehr die Sonne mit einem keuschen Schimmer nach der Morgenröte , oder die Abendsonne mit ihrem heißen Purpur , oder wenn sie ihr traumhaft verklingendes Schwanenlied singt .
Und so liebe ich auch die Liebe , keusch mit einem Schimmer noch taufrischer Morgenröte , oder Zwielicht , zart und lind , verklingender Harfenton .
Oder wie das zitternde Kräuseln auf dem Spiegel eines Sees , in dem der Mondschein sich bricht .
Diese zarteste Wollust der Zärlichkeit kennen nur Frauen .
Weißt Du , Arnold , nicht nur das Glück ist verschieden , je nach der Erdscholle auf der wir leben , auch Recht und Unrecht .
Würde ich mich in Berlin von einem Mann , den ich eben erst in den Ruinen - aber nein , in Berlin gibt es ja keine Ruinen , sagen wir also in den Museen kennen lernte und dessen Namen ich nicht einmal weiß , am hellen lichten Tage nach Hause begleiten lassen , wie ich es hier tat ?
Undenkbar .
In Rom - das ist ganz etwas anderes .
In Rom haben die Götter mitzureden , die in ihrer nackten , stolzen Natürlichkeit , ungebunden an Menschensatzungen , so souverän über Zeit-und Ortsitten hinweglächeln .
Was wir in unseren Gärten mühsam als Zierpflanzen pflegen , hier wuchert es in wild-üppiger Schönheit .
Es Unkraut nennen kann nur ein nordischer Barbar .
Nordisch bist auch Du , aber kein Barbar .
Du warst liebevoll wie ein milder , sonniger Herbstmorgen .
Ich aber will alle vier Jahreszeiten in meinem Herzen durchempfinden .
Du gehörst in die deutsche Landschaft .
Was wolltest Du hier in dem exotischen , schönheitstrunkenen von ungeheurer verklärter Wollust durchtränkten Rom ?
Ich weiß es ja , alles was ich für Dich empfand war reiner , höher , als was mich zu Adalbert zieht .
Aber Du bist fern , ein Sternbild , ein nordisches , und er ist hier - in Rom .
Ihn liebe ich , weil er in Rom ist , und weil man in Rom jemand lieben muß .
Soll das Übermaß der Schönheit uns nicht mit tödlicher Melancholie erfüllen , so muß man zu zwei fühlen .
Nie , nie möchte ich , wenn ich alt geworden , nach Rom kommen .
Und wie meine Eindrücke von Rom wechseln , so schillert meine Liebe vom lichtesten , reinsten Himmelsblau , vom hingehauchten , echoleisen Rosenrot bis zum leuchtenden Violett , zum flammenden Purpur .
Sage mir , sage mir , wie soll man in Rom ohne Liebe sein ?
Am liebsten gingen wir nun in die Villengärten .
Die ziehen ihren Zauber aus allen Elementen .
Vom Himmel - Licht , Luft , Maiwonne , aus dem Wasser Quellen , Fontänen , die singenden , springenden , die aus Maskenköpfen in alte Sarkophage oder steinerne Becken fließen , über das zartblättrige Venushaar hinweg , das selbst wie feinrinnendes Wasser ist .
Aus der Erde die üppige Vegetation .
Und zwischen Zypressen und Blumenlauben immer der Blick ins Gebirge , in diese wellenartig sanft ineinander fließenden Albanerberge , die aus der Träumerei erwachen , wenn der Abend naht , und vom heißen Trunk der Sonne berauscht , aufglühen .
In der Villa Matthäi standen wir vor einem Wasserbassin .
An dem dahinter liegendem Felsgestein üppiges Rosengehänge .
Der Rand des Bassin's mit Schilf und Vergißmeinnicht umsäumt .
Die Vergißmeinnicht waren so blaß .
Meine Augen füllten sich mit Tränen .
Adalbert wollte wissen , was mich bewegte .
Nicht um alles in der Welt hätte ich ihm gesagt , daß ich an Traut dachte .
Er weiß nichts von ihr .
" Tränen in den Augen sind schön , " sagte er , " aber weine sie nicht , es verhässlicht . "
" So liebst Du mich wohl mehr im Profil als en face ? " fragte ich im Scherz .
( Du weißt ja , das Profil ist das beste an meinem Gesicht . )
Und er antwortete ernsthaft :
" Wenn ich Dich je vergessen könnte , nach Deinem Profil würde ich mich immer zurücksehnen . "
An einer Mauer des Parks entdeckte ich , in einem Busch von Akanthusblättern versteckt , ein fast zerstörtes Relief .
Eine Sphinx war_es .
Sie hielt die Hand seitlich , nah dem Mund , Schweigen symbolisierend .
Der Zeigefinger war von Gold .
Von der Mauer tröpfelte sacht und unaufhörlich Wasser nieder , über den wundersamen Kopf hinweg , als ob sie weinte Niemand sonst sah diese Sphinx .
In die Villa Dora Pamphili gingen wir oft , die liebte Adalbert am meisten .
Wahre Gefilde der Seligen .
An Böcklin muß man dabei denken , wie er seine Paradiese und seine Frühlingsidyllen malt .
Alles von sonnigster Schönheit , von Anmut , Lieblichkeit , Unschuld und Frische .
Das Wasser des See es crystallklar , ein Tummelplatz für Tritonen und schilfbekränzte Nymphen .
Schwarze Schwäne mit blutrotem Schnabel ziehen unter zartgrünen Weiden am Saum des See es entlang .
Und diese weiten , weiten Wiesen , so smaragdgrün und die Blumen darauf , weiße und rote Anemonen , und Veilchen in solcher Fülle !
Flora selbst wandelt über diese klassischer Schönheit geweihte Erde .
Junge Mädchen in lichten Kleidern schwärmten über die Wiesen hin , und man wunderte sich beinahe daß sie Hüte und nicht Kränze trugen .
Und Kinder und Erwachsene , und ganz alte Leute , alle , alle pflückten Blumen , und die Erwachsenen und Alten bekamen einen frohen kindlichen Zug .
Und das Schloß mit seinem feenhaften Garten , und der Pracht seiner Baumgruppen .
Ein toter Baum stand unter all dem blühenden Gezweig .
Rinde und Zweige waren weiß als läge Schnee darauf .
Und er hatte mit seinem ausdrucksvollen Geäst etwas so weises , der stumme Baum , als wollte er sagen : Grünt und sproßt nur ihr Grünzeug ins Blaue hinein .
Ihr wißt nicht , was ich weiß .
Ich bin nicht tot , ich scheine nur so .
Der Blitz , der mich getroffen , hat mir etwas verraten .
Unter dem toten , weißen Baum stand ein junger Priester und blickte auf die Wiese , hinüber zu einem jungen Mädchen , augenscheinlich eine Amerikanerin .
Sie trug ein merkwürdiges buntes Kleid mit grün und rotem eidechsenartigem Gerank , von weicher Seide .
Ein goldener Gürtel hielt es zusammen .
Sie saß auf einem Scharlachroten Tuch und ordnete Veilchen und Anemonen zu einem Strauß .
Als sie aufgestanden war , kam der junge Priester herbei und setzte sich dahin , wo sie gesessen hatte .
Er nahm die Blumen auf , die ihr entfallen waren , und spielte eine Weile damit .
Plötzlich , mit einem Ruck stand er auf , warf die Blumen weit fort , und eilig , eilig , als würde er verfolgt , schritt er von dannen .
Vielleicht , als er unter dem toten , weißen Baum stand , empfand er auch :
ich bin nicht tot .
Ich scheine nur so .
Adalbert und ich , wir pflückten auch Blumen , und ließen sie wieder fallen , nur um immer neue zu pflücken .
Er lächelte sein liebstes Lächeln und wir waren ganz goldene Jugend auf diesen Weiden Gottes .
Weit schweift an einigen Stellen der Blick über die Campagna und das Gebirge .
Unbeschreiblich schön sahen wir die Sonne dort untergehen , als wäre das Himmelsbild der Widerschein von irgend etwas übersinnlich Herrlichem , das auf einem anderen höheren Stern geschah .
Maria es Himmelfahrt vielleicht .
Man glaubte ihren weithin wallenden grünlichen Mantel zu sehen , ihr rotes Gewand , den Heiligenschein über ihrem Haupt , Lilien in ihrer Hand ; und die leuchtend sich ineinander ballenden Wölkchen lauter verschwommene Engelsköpfchen .
Der ganze Himmel ein Tempel , heiliger Wunder voll .
Schweigend , Hand in Hand , die Seele auch heiliger Wunder voll , gingen wir heim .
In Rom ohne Liebe sein !
Ach Arnold , das ist ja nicht möglich .
Bei unseren Wanderungen durch Rom , konnte sich Adalbert zuweilen in die Kunstwerke , die er mir zeigte , dergestalt versenken , daß er , obwohl meine Hand in der seinen ruhte , gar nicht mehr an mich dachte .
Er war mir entrückt .
Ich dagegen war jeden Augenblick ganz bei ihm , ganz durchdrungen von ihm , und zu gleicher Zeit von allem was ich sah .
Das eine tiefe , starke , entzückte Gefühl - die Liebe - entband in mir alle anderen Seelenkräfte .
Nicht wahr Arnold , es muß doch Liebe geben !
Sollten denn Alle , Alle lügen , lügen seit Jahrtausenden , immer , immer lügen .
Eine so zähe Lüge ist doch nicht denkbar .
Sinnliche Befriedigung kann doch nicht alles sein .
Und habe ich sie nicht jetzt , die echte wahre Liebe ?
Und ich weiß auch jetzt , ich weiß was die rechte Liebe ist .
Wenn man mit Inbrunst ein Kind von dem Mann will , den man liebt .
Das ist Ehe in der Liebe .
Und das Kind dieser Liebe würde das rechte Kind sein .
Ich kann mir eine inbrünstige Leidenschaft denken , ein Schöpferverlangen von Größe , das mit niedriger Wollust nichts gemein hat , wobei die Seele trunkener ist , als es die Sinne sind , und der Geist ist der dritte im Bunde .
Und er - selbst wenn es nicht in seinem Temperament gelegen , er wäre in der Liebe keusch und zart gewesen - um der Schönheit Willen .
Ich bin in einer andauernden , ich möchte sagen heiligen Erregung , unberlinisch bis in die Fingerspitzen .
Ich weiß nie welches Datum wir haben .
Zeitlos ist mir alles .
Ich träume nicht mehr .
Ich will wach sein immer wach , mit allen Sinnen das Leben in mich saugen .
Ich will mein Leben noch einmal leben , aber anders , ganz anders .
Die Stunden will ich wieder haben , wo ich Kinderkleidchen und Kinderschürzchen stickte , wo ich Kochbücher las und studierte , wo ich weinte - weinte - weinte !
Ich will in einem einzigen Jahr zehn Jahre leben .
In 33 Jahren habe ich kaum 33 Tage gelebt .
Ich will Freude , aber nicht die Freude jener öden Gesellschaftstage in Berlin , nicht " Freut Euch des Lebens , so lange das Lämpchen glüht " , nein , " Freude , schöner Götterfunke , Tochter aus Elysium " die Freude will ich .
Nachholen !
Das Wort läßt mich nicht los .
Vorläufig wirbelt noch alles in mir durcheinander :
Glut und Melancholie , Mondschein und Tagesglanz , Ruinensentimentalität und Ueberdenwolkensein .
Alles ist flüssig in mir , auf- und abflutend , auf und ab .
Es wird sich verdichten , verdichten zu einer Weltanschauung .
Zu welcher ?
Ich weiß es noch nicht .
Wenn zu einem Tempel oder Palast das Baumaterial daliegt , Quadern und Säulen und plastische Ornamente , es fehlt aber die Arbeitskraft , es fehlen Mörtel und Kalk , so nutzt das Material nichts .
Und Ruine wird , was nie Tempel oder Pallast , nicht einmal Wohnhaus gewesen ist .
Bin ich so eine Ruine ?
Ist es zum Aufbauen zu spät ?
Eine wahnsinnige Begierde überkam mich , die ungeheure Leere in mir zu füllen , zu wachsen , schlank hinauf .
Mir war , als hätte ich bis jetzt immer geduckt gehen müssen , wie unter einer zu niedrigen Decke .
Nun stehe und recke ich mich in einem unendlichen Raum .
O , Arnold , sei nicht böse , Du hast zu wenig für mich getan , zu wenig .
Ein schlichter Wegweiser warst Du , hin zu einem umfriedeten Häuschen in Braunschweig mit schneeweißen Vorhängen an den Fenstern und einem Gärtchen , in dem viel Lilien und Veilchen blühen .
Weiß und weise alles .
Ich aber warte auf Flammenzeichen , auf Blitze mir den Weg zu zeigen - - wohin ? wenn ich_es nur so recht wüßte .
Du bist so menschlich gut , so fein , so still .
Aber die Götter selbst , in ihrem weißen Marmorglanz , sie sind nicht fein , nicht still .
Auch sie sind Flammenzeichen , auch die Natur ein Flammenzeichen .
Was für ungeheure Gegensätze gibt es .
Meine Jugend im Elternhause mit der großen und der kleinen Wäsche und der guten Stube , und - Rom !
Diese zeitlose , erhabene Welt , dieses Meer von Schönheit !
Rom , wo die Natur wie ein erhabenes Kunstwerk , die Kunst wie titanisch durchseilte Natur wirkt .
Brauche ich in Rom Wissen , Kenntnisse ?
Der Himmel hier , die Ruinen , die Natur lösen in ihrer glühenden Beredsamkeit Welträtsel .
Die Steine predigen , ich höre Psalmen und das hohe Lied der Liebe , der Schönheit ; beides ist eins .
Offenbarung ist die Pracht des Südens .
Die Tempel springen auf .
Ich trete in ein Heiliges .
Das Mal auf meiner Stirn , es ist kein Kreuz , es ist ein Stern .
Lieber , lieber Arnold , bitte sage nicht , daß , was ich da schreibe , geschraubt ist , unnatürlich .
Man kann nicht schlicht und verständig bleiben , wenn über uns der Himmel mit seinem singenden , siegenden Blau alles selig , wenn der Duft des Lorbeers , der Limonen- und Orangenblüten uns hochzeitlich umweht .
Ach , laß mich in Bildern reden .
Alles ist ja hier Bild , Symbol , magischer Zauber .
Und meine Seele jauchzt , und singendes , siegendes Blau ist auch in ihr .
Frei werden will ich von den Menschen , die mich grausam verletzten , frei von dem Land , wo ich innerlich immer fror , wo ich mutterlos war .
Rom ist meine Heimat .
Rom ist in mir , um mich , über mir .
Ich durchdringe mich mit Rom .
Jetzt , da ich beinahe alt bin - ach , ich lüge schon wieder , ich bin nicht alt , ich bin jung , ich bin noch nie so jung gewesen , blutjung bin ich .
Ich suche wieder Vergißmeinnicht am Schafgraben , ich suche die goldenen Eier des Vogels Wunderhold , und - vielleicht finde ich sie .
Adalbert meinte , ich wäre zu draufgängerisch mit meinem Gemüt ; er müsse dämpfen .
Und als Seelendiät verordnete er mir etwas italienisches Volksleben .
Und das gefällt mir auch .
Liebe Kinder , diese Römer .
Sie jubeln über ein Kasperletheater an der Straßenecke , über Seiltänzer , die auf offener Straße , auf einem Stück zerrissenen Teppich's Feuer fressen , über eine Drehorgel mit einem Sänger , der sich die Seele in den höchsten Tönen melodramatisch ausschreit .
Aber Lärm muß dabei sein , am liebsten Höllenlärm .
Den Superlativ davon erlebten wir zum Epifaniasfest auf der piazza di Navona , wo ein Orkan von Tönen , " Stein erweichen , Menschen rasend machen " konnte .
Alle , alle , Kinder , Männer , Greise blasen auf Trompeten , die in ihren Formen von der Kindertrompete bis zur Posaune wechseln .
Nur möchten diese Posaunen die Toten nicht lebendig machen , sondern selig in der Vorstellung , diese Blechfanfaren des Blödsinns , diese Steinigung mit Tönen verschlafen zu dürfen .
Und der Vollmond schien und spiegelte sich in den Wasserstrahlen der Beninischen Fontäne , und erglänzte auf den Säulen der dunklen massiven Kirche , der stille Mond , und er machte nicht einmal ein schiefes Gesicht , weil er keine Ohren hat , der glückliche Mond .
Es ist ja richtig , Faustnaturen sind die Römer nicht .
Wie ein buntes , unterhaltsames Bilderbuch für Erwachsene ist das römische Volksleben .
Das ist so amüsant , daß ihr ganzes Leben sich auf der Straße abspielt .
Und ganz ohne Rohheit sind die Leute .
Sie kennen den Schnaps nicht .
Ich habe kaum je einen Betrunkenen gesehen .
Abends ging ich zuweilen an Adalbert's Arm , an ihn geschmiegt durch die Straßen .
Ab und zu blieb er stehen , vor einem alten Gemäuer , einer dunklen Treppe , einem unheimlichen Winkel , wo etwas schreckliches sich zu regen schien , und immer sah ich Interessantes , Malerisches .
Wir kamen durch enge , abgelegene Gassen .
Mattbrennende Laternen hingen quer über der Straße .
Halb vermummte Gestalten in den weiten , malerisch um die Schulter geschlagenen Mänteln , glitten an uns vorüber , oder verschwanden in einer Trattoria .
Beim Öffnen der Tür der Gastwirtschaft blickten wir in einen verqualmten Raum , in dem Tonnen aufgestapelt lagen , die Tische von Trinkenden besetzt .
Das leidenschaftliche Rufen der Morraspieler gellte uns in es Ohr , oder ein Ciociarenmädchen tanzte die Tarantella , während eine Frau mit großen glitzernden Ohrgehängen das Tamburin dazu schlug .
Zuweilen hörten wir aus schwarzen , offenen Gewölben heraus den Klang von Gitarren oder Mandolinen .
Und wenige Schritt weiter , standen wir am Tiber und blickten hinab in den schwermütigen Strom , der so träge , so dumpf , so lehmig dahinfloß , als wäre er müde von all den Jahrhunderten und melancholisch von allem was er gesehen .
Und nicht nur , was er gesehen , was er noch sieht , täglich , stündlich .
Die Hinterhäuser des Ghetto gehen auf den Fluß hinaus .
Ich kann nicht ohne Schaudern an das Ghetto denken .
Man sagt , es soll niedergerissen werden .
Noch steht es , ein schauerliches Denkmal menschlicher Unmenschlichkeit .
Seit so vielen Jahrhunderten hat man menschliche Geschöpfe in diese Käfige eingesperrt , unbekümmert ob die Pestluft sie moralisch und leiblich verderbe .
Eine Schicksalstragödie , die sich hier abspielt .
Sie ist in Stein gehauen , sie ist unauslöschlich in die Gesichter geprägt .
Der ekle Bodensatz allzu tierischer Menschlichkeiten wurde von denen außerhalb des Ghetto's ins Ghetto abgelagert .
Draußen zogen die Scham und die Gesetze der nackten Barbarei Grenzen .
Aberglauben , Herrschsucht , Neid , Grausamkeit , Rassenhaß schufen das Ghetto und machten es zu einer Kloake der Weltgeschichte .
Und aus dieser Kloake würde der brodelnde , gehrende Unrat zum Himmel stinken , wenn der Himmel überhaupt in diese grausen Winkel hineinschiene .
Paria es sind immer Opfer der bête humaine . Wir kamen durch lange , schmale Gassen , wo der Abhub von Monaten angehäuft lag , Berge von Gemüseabfällen , Stofffetzen , schreckliche Rinnsale Schmutz , Gestank .
In allen Torwegen saßen Menschen , fremdartig seltsame , die wisperten und zischelten und lachten , und ihre Gebärden hatten etwas so entlegenes , hastig wildes .
Alle Gewölbe waren mit Lumpen angefüllt .
Sie lagen in Bündeln zusammengebunden , oder bedeckten den Fußboden .
Und diese Gewölbe und Torwege , die Luft und Licht nur durch die offenen Türen empfangen , sind zugleich die Wohn- und Geschäftsräume der Familien .
Der ganze Abhub Rom es scheint hier aufgespeichert .
Lumpen bilden den Erwerbszweig der Ghettobewohner , Lumpen oder Reste von irgend etwas : von altem Eisen , von Holz , Federn , Betten , Kleidern , Häuten .
In einem dumpfen Gewölbe , - ein Lager alter Schuhsohlen - saßen fünf Weiber , alle damit beschäftigt altes Schuhwerk auseinander zu trennen .
Als sie uns sahen winkten sie uns , alle fünf mit derselben stereotypen Handbewegung , eine Handbewegung , die bei uns bedeuten würde : gehe ! in Italien aber bedeutet : komme !
Dieses stumme , gleichzeitige Winken war unheimlich .
In einem anderen Gewölbe , vor einem leeren Tisch saß ein alter Mann , ein Greis , mit langem , weißem Bart , edlen Zügen und wunderbaren Augen , Augen , die blind für die Nähe , Gedankenfernen zu durchmessen schienen .
Er sah mich an , das heißt , eigentlich sah er mich nicht , es war als sähe er unmittelbar in mein Innerstes hinein , und als hätte er mir etwas zu sagen , etwas sehr Wichtiges .
Ich wollte mit ihm sprechen , Adalbert hielt mich davon zurück .
Wir gingen schneller .
Der Gestank war wie etwas , das uns anfiel , verfolgte .
Und die Gassen wurden immer dunkler , immer enger , kein Himmel mehr , keine Luft , nur etwas modrig , wüst wirbelndes , gräßliches .
Und doch stehen in einer dieser Gassen noch die Reste eines alten Palastes .
Er ist geborsten , verwittert , fensterlos ; jede Stufe der zerbröckelten Marmortreppe mit Stroh , Lumpen , Unrat bedeckt , in dem sich bleiche , halbnackte Kinder umherwälzen .
Auf einen kleinen Platz öffnet sich ein breiter , gewölbter , höhlenartiger Durchgang .
Pechfackeln brennen .
Bei offenem Feuer werden Fischchen gebraten .
Der Qualm der Fackeln wirbelt empor .
Ihr Schein und ein düster rotes Glimmen von der anderen Seite her , fielen auf die steinernen Wände der Höhle und gaben ihr etwas dämonisch unterweltliches .
Die knisternden Flämmchen , das kreischende Toben der Menge , der Dampf der Fackeln - eine Hexenküche , wo das Schauerlich-Grandiose mit dem seltsam Possenhaften , das Tiefsinnige mit dem Närrisch-Lustigen zusammengeht .
Spukhaft , unwirklich war das alles , als wären das verstorbene Geschlechter , die in der Nacht zu wahnsinnigem Leben erwacht , sich nun hasteten und eilten , um bei dem ersten Hahnenschrei wieder zu verschwinden .
Da waren alte Frauen , die sahen aus als hätten sie vor Tausenden von Jahren schon gelebt , und als wüßten sie uralte Runensprüche .
Und die ältesten Frauen und Männer hatten nichts Greisenhaftes .
In ruheloser , lebenssüchtiger Geschäftigkeit trieben sie umher , Menschen , die nicht sterben können , an denen etwas vom Fluch des Ewigen Juden haftet .
Das war das Volk , das unversöhnt , voll zehrender Inbrunst , voll rastloser Sehnsucht noch auf den Messias wartet .
Der Greis vor dem leeren Tisch wußte etwas von dem Messias .
" Nun - ist das malerisch ? " fragte Adalbert .
Es war unsinnig malerisch , dieses Ghetto .
Malerisch ist auch der Kopf der Medusa , und wirkt doch Grauen , vor dem die Seele erstarrt .
Ich wurde traurig .
" Tröste Dich Marlene , sagte er , morgen zeige ich Dir einen Juden im Purpur kaiserlicher Majestät . "
Und er ging mit mir am anderen Tag in die Kirche St. Pietro in Vincoli .
Die Kirche ist einfach , eine stille Halle mit altrömischen Säulen ; durch die kleinen mattgeschliffenen Fenster dringt leichter , goldiger Schein .
Sie wirkt wie ein ernster Choral .
Aus diesem Choral aber erhebt sich ein Riesensolo : der Moses des Michel Angelo .
Er steht im Schatten , aber er strahlt im eigenen Licht .
Der Marmor wirkt wie Erz , so streng , gewaltig , dräuend ist diese Gestalt .
Moses sitzt da wie das Symbol des altjüdischen Gesetzes selber , voll hehrer , düsterer Kraft , in jeder Muskel die Energie eines Titanen .
Das ist Moses , der zugleich Priester ist und König , der Jehova geschaut hat von Angesicht zu Angesicht .
Um die Augenbrauen , um die leicht aufgeworfenen und doch zusammengepreßten Lippen zuckt erhabener Zorn und verächtliches Staunen über das Gesindel Mensch , das da unten tanzt , um das goldene Kalb tanzt .
Ein Wehruf oder ein Fluch wird sich von diesen Lippen ringen , wenn er sie öffnet , wenn er die Gesetzestafeln die er im mächtigen Arm hält , zerschmettert .
Der weite Platz vor der Kirche ist still und tot .
Das bunte Leben Rom es dringt nicht hierher .
Eine einsame Palme auf der Höhe ragt in den Himmel .
Zwei schwarze Mönchsgestalten kommen langsam die Stufen des Klosters herab .
Ich war in dieser Zeit religiös gestimmt .
Immer zog es mich in die Kirchen .
Jede Kirche , in die man hier tritt , ist an und für sich ein Erlebnis .
Es funkelt darin von Gold und Silber , die Bronce glüht , der Marmor erglänzt .
Die Kerzen flimmern wie ein Geflüster in die prunkende Pracht ; die kleinen roten Lämpchen , die still in sich hineinglimmen - ein Sinnbild armer fromm versunkener Seelen .
Und überall , in Öl , Marmor oder Bronce , Darstellungen von Himmelfahrt und Auferstehung , von Verzückung und Martyrium .
Jubelnde Verkündigungen und grabestiefe Resignationen , himmlische Gesichte und teuflische Halluzinationen , Krone und Kreuz , Halleluja und Miserere .
Und in irgend einer Kuppel , in goldenem Strahlengeflimmer , die weiße Taube , die den heiligen Geist in den Tempel herabruft .
Und zwischen aller Pracht und allem Gefunkel die vielen , vielen welken Blumensträuße .
Trotz dieser Gemeinsamkeit bietet jede Kirche ein anderes Bild .
Da sind Kirchen , die an ein Museum , oder ein Antiquitätengeschäft erinnern , wie die Kirche der heiligen Prassetes , mit ihren altehrwürdigen Mosaiken aus den ersten Jahrhunderten , wo Reihen von Männern von unzweifelhaftester , wenn auch hölzernsteifer Glückseligkeit über Goldgrund wandeln , und die Schäfchen die sich ihnen anschmiegen , Blöcken naivste Heiligkeit und rührende Unschuld , die Grundseele des Christentums blickt uns aus ihren Augen an .
Leider kniet unten die Holzfigur der heiligen Prassetes , brandrot und blitzblau angemalt , und blutig , ach so blutig !
Das geht ganz natürlich zu .
Sie ist ja eben dabei , aus einem Schwamm das Blut der Märtyrer in eine Vase zu drücken .
Und diese Kirche besitzt eine Kapelle , über der eine lateinische Inschrift angebracht ist , welche besagt , daß Frauen unter Strafe der Exkommunikation diesen Ort nicht betreten dürfen .
" Warum nicht ? " fragte ich den Mönch , der uns führte .
Weil eine heilige Reliquie , die Martersäule Christi , in dieser Kapelle aufbewahrt würde .
Sie Frauen sehen zu lassen , wäre Entweihung .
Er sagte das so einfach , als wäre es das Natürlichste von der Welt .
Ja , ja , richtig , Es fiel mir jenes Concil , ich glaube im dritten Jahrhundert , ein , auf dem ernsthaft die Frage erörtert wurde , ob Weiber zum eigentlichen Menschengeschlecht zu zählen seien .
Es war mir unangenehm , daß Adalbert das mitanhörte .
Ich fragte ihn , ob er nicht diese verächtliche Hintenansetzung der Frau widersinnig fände ?
Er lächelte , so sehr liebenswürdig lächelte er , und er neigte sich flüsternd zu mir nieder :
" Du hast die schönsten Augen - - "
Meine schönsten Augen aber ärgerten mich in diesem Augenblick .
Eine Schar junger Priester zog an uns vorüber .
- Sieh , sagte ich zu ihm , glaubst Du daß all die Priester , alte und junge , die massenhaft auf den flachen Dächern der Häuser , in den Villengärten , auf dem Monte Pincio stundenlang auf und abwandeln , auf und ab , immer mit denselben Büchern in den Händen , immer betend , murmelnd , auswendig lernend , glaubst Du , daß alle diese Männer klüger und intelligenter sind als ich ?
Sie werden ja nicht wahnsinnig bei dieser Beschäftigung , ich aber würde es .
Sage - bin ich klüger ? ja oder nein ?
Nun lachte er .
Und er blickte mich so schalkhaft und zärtlich unter seinen langen Wimpern hervor an , und sein Arm umschlang mich , und er machte Huhu , und ob ich wohl glaube , daß er einen Blaustrumpf , oder ein , auf irgend eine Art schiefgewachsenes Weib so recht von Herzen lieb haben könne ?
Und er küßte mich so recht von Herzen , und ich sah nicht mehr die zahllosen Priester , die da auf und ab wandelten , immer betend , murmelnd , auswendiglernend .
Wir gingen weiter .
Wir kamen in Kirchen , die Putzstuben glichen .
Diese Kirchen gefielen mir nicht besonders .
Sind die künstlichen Blumensträuße neu , unverstaubt , die Bilder frisch gemalt , die Wände sauber getüncht , so ist_es reizlos .
Der Nimbus des Zeitlosen , der Ewigkeit fehlt , der den alten Basiliken ihren weihevoll feierlichen Charakter gibt .
In der Kirche San Eusebio sind lauter Sonnenstrahlen und gemächliche Ruhe , so recht zu einem dolce far niente einladend , die Kirche träumt , und die Menschen darin auch .
Nur Einer träumte nicht .
Am Eingang dieser Kirche , dicht an der Tür stand ein blasser , junger Priester , unbeweglich wie eine Bildsäule .
Ich erkannte ihn gleich ; es war der Priester aus dem Dora-Pamphili-Park .
Als wir die Kirche verließen stand er noch immer da , in derselben Unbeweglichkeit .
Er stand am Kirchenpranger , zur Buße .
Gewiß , es war wegen der Amerikanerin mit dem bunten Zauberkleid .
Es gibt auch kleine dürftige Kirchlein , die mit ihren verwitterten Blumensträußen , ihren paar hölzernen abgenutzten und küßten Heiligen , und ihren pauvren Lithographien an den vergrauten Wänden , so recht Kirchen für arme , alte Weiblein sind , die im stillen Winkeln ihren Gott für sich allein haben wollen .
Andere sind wie dumpfe Grabgewölbe .
Und doch war es in einer solchen Kirche einmal wunderschön .
Von einer Kuppel hoch oben floß eine Lichtsäule von Sonnenstaub nieder in den düsteren Raum .
Von fern her ( wohl aus der Sakristei ) klangen die Töne eines Harmoniums , und es war als bewegten sich die schimmernden Stäubchen leise im Rhythmus der säuselnd süßen frommen Töne , und die Lichtsäule wurde zu einer Himmelsleiter , und man wartete der Engel , die da auf- und niederschweben sollten .
Engel sahen wir zwar nicht , aber wieder einen Büßenden .
Der lag platt am Boden , mit der Stirn den Steinboden schlagend .
Als er aufstand , gewahrten wir , daß es ein alter , seingekleideter Herr war .
Er keuchte schwer , und trocknete sich mit einem parfümierten Taschentuch den Schweiß vom Gesicht .
Die Stirn aber erhob er stolz : ihm war vergeben .
Im katholischen Ritus , in seiner Hypnose des Weihrauchs , ist leidenschaftliches Gemüt .
Es fällt wie Tau auf brennenden Schmerz .
Das blecherne oder silberne Herz , das der Leidende der Madonna darbringt , tut Wunder an seinem eigenen .
Maria heilt sein krankes Herz .
O wundertätige Glaubenskraft !
Öffnen sich dem Mühseligen und Beladenen die Pforten der Kirche - und sie stehen immer offen - so fallen die Türen der häßlichen Welt hinter ihm zu .
Mit ihrem Aroma der Ewigkeit entbindet sie , was in ihm selbst unsterblich ist .
Und voll Barmherzigkeit ist sie - die Kirche , die die Absolution ersann .
In der Kapuzinerkirche wurde einem Heiligen zu Ehren ein Fest gefeiert .
Die dem Heiligen geweihte Seitenkapelle war mit bescheidenen Kerzen , Blumensträußchen und Blumentöpfchen geschmückt .
In der Sakristei Gesang .
Ein eintöniger Männerchor von tiefem Ernst und Adel .
In dem durch ein Gitter abgeschlossenem Raum vor dem Hochaltar saß ein alter Kapuziner mit eisgrauem Bart , und las in einem großen Folianten .
Er las unter einem Kandelaber auf dem 12 Kerzen brannten .
Die Leute alle hatten sich zu der erleuchteten Kapelle gedrängt .
Ich stand vor dem Gitter und hörte dem Gesang zu .
Der alte Kapuziner sah mich an , als erwartete er , daß ich ihn etwas frage .
Er hielt den Zeigefinger auf einer Seite des Folianten , als stände da etwas besonderes .
Ich wollte ihn ja auch fragen , was da geschrieben stände .
Ich zögerte aber zu lange .
Langsam löschte er eine Kerze nach der anderen aus .
Als die letzte erlosch , war der Gesang zu Ende .
Die Mönche traten aus der Sakristei heraus an den Altar .
Ach Arnold , nie verstand ich zu fragen , wo eine Weisheit oder ein Geheimnis sich mir hätte erschließen können .
Der Kapuziner sah dem alten Juden ähnlich .
Und bei dem Kapuziner und dem Juden , mußte ich an den weißen toten Baum in der Villa Dora Phamphili denken .
An einem Nachmittag kam Adalbert nicht wie sonst mich abzuholen .
Ich wartete lange , dann ging ich in die Peterskirche .
Wie immer war da alles voll Leben .
Im Vordergrund wurden in einer Kapelle Kinder getauft , und alle durch die Bank schrien .
Nach der Mitte der Kirche zu , in einer der größten Kapellen , sangen eine Anzahl Priester die Vigilia .
Ein Seitenschiff wurde vom Kirchendiener mit Schrubber und Besen gereinigt .
Vom Hintergrund aus hörte man Sägen und Hämmern , zu einem Kirchenfest wurden Gerüste aufgebaut .
So unermeßlich groß aber ist St. Peter , daß keine einzige dieser Funktionen die andere störte .
Und dazwischen die Hunderte von Fremden mit den roten Büchern .
Ich war zum ersten Mal allein in St. Peter .
Die Riesenmaße überwältigten mich .
Und Marmor und Gold ohne Ende .
Eine bunte und doch grandiose Pracht .
Die ganze Basilika - eine ungeheure himmlische Posaune , die die gesamte katholische Welt zusammenruft .
Selbst die Gebärden und Stellungen der Heiligen , in ihren wilden Verzückungen , ihrer Andacht über Lebensgröße , ihrer Märtyrerbrunst - Posaunenklänge .
Diese Statuen , fast alle in Beninischer Manier , nehmen einem Ruhe und Frommheit .
Das sind Gestalten , die nicht warten können , bis man sich still in sie versenkt , sie drängen uns ihren Entsagungsschmerz , ihre verzückte Gläubigkeit auf .
Sie sind Tragöden auf der Bühne der Kirche , die Zuschauer brauchen , sie sind fromm - auf Applaus .
Und ein Gewimmel von Engeln ! natürlich auch Posaunenengel , die ungeheure Posaunen blasen .
Engel für Alles .
Sie weinen und senken Fackeln bei Begräbnissen , sie halten jubelnd die Bildnisse frommer Päpste empor , sie winken die Gläubigen zu den Weihrauchbecken heran , sie dienen den großen Monumenten als Putten .
In St. Peter scheint der Herr Revue abzuhalten über alle Heiligen , Märtyrer , Päpste , Sibyllen , Kardinäle , gewissermaßen ein Universaltag seiner Heerscharen .
Und wenn der Katholik die Häupter seiner Heiligen zählt , kaum wird ein teures Haupt ihm fehlen .
St. Peter ist die unfrommste aller Kirchen .
Zu groß , zu klar , zu viel Gold , zu viel Sonne , zu viel diesseitige Luft , zu viel Leben von da draußen .
Gedämpfte Farben , gebrochene Töne , Weihrauch fehlen , sie hypnotisiert nicht .
Es fehlt ihr an intimer Poesie .
Kein Staub , keine verwelkten Blumensträuße , keine mystischen Dämmerungen .
Am meisten in der Riesenbasilika zog mich die Pita von Michel Angelo an , Maria , die den toten Sohn im Arm hält .
Ich vertiefte mich in den Ausdruck schmerzlich süßer in sich geschlossener Frömmigkeit , in die keusche stillheilige Trauer dieses Kopfes , eine Trauer , für die Tränen zu profan sind .
Wie wild bäumte ich mich auf , als Traut starb .
Maria , ja , die trauert um Gottes Sohn und Engel halten über ihrem Haupt die Himmelskrone .
Ich hörte Schritte hinter mir .
Und ich lauschte , lauschte auf die samtene Stimme , die leise meinen Namen rufen würde .
Eine rauhe Stimme war_es , die mich erschreckte .
" Non si entra in questa capella " .
Ich tat einen Schritt zurück , und gleich darauf , ja , jetzt war es seine Stimme , aber sie rief mich nicht .
Er sprach mit jemand anderem .
Ich wandte mich um .
Eben ging er an mir vorüber , mit einer Dame .
Ein Seitenblick unter seinen langen Wimpern traf mich , oder traf mich wenigstens beinahe , einer jener Blicke mit dem unverkennbaren Ausdruck des Nichtsehenwollens , ein Blick der ein böses Gewissen hat .
Es war die Dame vom Monte Pincio , die ihn so sonderbar aus dem Wagen heraus gegrüßt hatte .
Eine Traurigkeit kam über mich .
Ich verließ St. Peter .
Von einem Seitenhof der Basilika gelangt man in den kleinen deutsch-katholischen Kirchhof .
Eine der grandiosen und malerischen Seitenfassaden von St. Peter bildet die vornehme Einrahmung des Friedhofes .
Die Toten ruhen hier so recht im Schoß von St. Peter .
Ein stilles , beinahe ärmliches Fleckchen Erde , nicht düster , nicht heiter , nur ganz klein und ganz grün .
Hier und da ein Strauß gelber Blumen , die zutunlich freundlich aus dem Grün gucken .
Ein Zweig zarter , weißer Rosen um ein weißes Kreuz .
Die Pracht des Rahmens erdrückt das Bild .
Der Tod erscheint hier belanglos .
Was liegt an dem kleinen Erdenrest .
Erhaben und feierlich wölbt sich darüber die Kuppel von St. Peter , und Petrus hält in seiner Hand den Schlüssel , der vom Leib befreiten Seele öffnet er die Himmelspforte .
Ich stand vor einem halb verwitterten Kindergrab .
Zwischen wildsprießenden Gräsern ein hölzernes Kreuz mit einer halb verloschen Inschrift .
Das Kindchen war nur fünf Jahr geworden .
Der Name war unleserlich .
Nur wenige Buchstaben .
Es hätte Traut heißen können .
Und plötzlich begann eine Glocke in St. Peter zu läuten , nicht wie sonst Glocken läuten .
Kein Hin- und Herschwingen , kein Auf und Ab , keine Modulation der Töne , - ein einziger Ton nur , immer derselbe , derselbe , ein mächtiger , dumpf weitenhallender Klang , wie heiser von ungeheurem Weh , von der Verkündigung von etwas Furchtbarem .
So müssen die Glocken geläutet haben zur Bartholomäusnacht .
Das Geläut füllte das Ohr , das Hirn , die Seele .
Wer rief mich ?
Wird sich das Kindergrab da öffnen ?
Wird - - - Fremde mit dem Baedeker erschienen .
Da ging ich .
Trübe sinnend schlenderte ich durch die engen Gassen nach Hause .
War das nicht unmännlich , daß er tat , als sähe er mich nicht ?
Es wurde mir klar , nicht in der Männlichkeit lag seine Stärke .
Eher ist er weiblicher Artung .
Die Delikatesse im Ausdruck seiner Gedanken , die Grazie seiner Gebärden , seine diskrete Feinheit und daß er ohne Stachel ist und glatt , alles mutet fast weiblich an .
Nie schöpft er aus dem Vollen .
Er lebt in geistiger Sparsamkeit .
Auch in seinen Studien beschränkt er sich peinlich auf die italienische Renaissance .
( Die deutsche Renaissance interessiert ihn kaum . )
Auf diesem Gebiet aber ist ihm das winzigste Detail von immenser Wichtigkeit .
Er kann sich auf's liebevollste in jede einzelne Linie eines schönen Renaissance-Kopfes vertiefen , und sich danach in den Kopf verlieben .
Er hat immer behauptet , was ihn zuerst bei mir angezogen , wäre meine Ähnlichkeit mit einem Kopf von Sodoma gewesen .
Ich hatte ihn einmal gefragt , ob ich ihn nicht bei seinem Buch helfen könne , etwa Auszüge für ihn machen .
Er verneinte .
Das sei schwere und tiefe Mannesarbeit .
Und sein Blick wurde weit und schmerzlich .
Ich habe einen Instinkt für das , was Menschen denken .
Und ich wußte , er barg im Grund seiner Seele ein geheimes Mißtrauen gegen sein Können , seine Schaffenskraft .
Er hatte Stunden , wo das Bewußtsein seiner Unzulänglichkeit , und die unruhige Sorge , daß Andere davon etwas merken könnten , ihn quälte .
Er arbeitete trocken und mühsam .
Keine Inspiration , kein kühner Gedankenflug kam ihm zu Hilfe .
Die Vorstellung , sein Werk der Kritik aussetzen zu müssen , erschreckt ihn .
Er ahnt eine Ablehnung , und würde sich doch nicht dagegen zur Wehr setzen .
Dazu ist er zu vornehm , zu graublau .
Er wird das Buch nicht vollenden .
Er wäre selbst gern ein blühender Renaissancemensch gewesen .
Daß er es nicht war , nagte an ihm .
Er ist leicht müde und abgespannt .
Ich habe mehr erraten , als daß er es mir verraten hätte :
er lebt in Rom , weil seine Lungen schwach sind .
Auch etwas altmodisch didaktisch lehrhaftes ist in ihm .
Ich kann mir ihn gut als Mustererzieher eines Prinzen denken .
Übrigens weiß ich nun längst seinen Namen , einer der häufigsten , einfachsten , banalsten Namen .
Abens kam er .
Ob ich sein Billet erhalten , in dem er mir für den Nachmittag abgesagt ?
Ich hatte es nicht erhalten .
Ich blickte ihn fest an , als ich sagte , daß ich ihn von fern in St. Peter gesehen .
Er zuckte nicht mit der Wimper .
So hatte er mich wohl doch nicht bemerkt .
" War das nicht dieselbe Dame , die Dich einmal auf dem Monte Pincio gegrüßt ? "
Er verstand was ich wissen wollte , und nannte den Namen einer italienischen Fürstin .
Er habe aus mancherlei Gründen ihr Ersuchen , ihr bei der Besteigung der Beterskuppel behilflich zu sein , nicht ablehnen dürfen .
Indem er den Namen der Fürstin nannte , beging er zum ersten Mal eine Indiskretion .
Sie lag in dem halb schmerzlich schmachtenden , halb schwärmerisch verzückten Ausdruck seiner Augen .
Eine ganze Geschichte lag in diesem Blick , die Geschichte eines Glückes , das einst genossen , und nicht mehr war , und dem doch die Seele noch nachhängt .
Ich fragte ihn nach der St. Peter-Glocke , und was ihr dröhnendes Schlagen bedeute ?
Er lächelte .
So läute sie ja jeden Nachmittag zur Vesper .
Wahrscheinlich pflanzten sich die Schallwellen in der Richtung des kleinen Friedhofs mit besonderer Stärke fort .
Er fand übrigens , daß die vielen Kirchenbesuche mich katholisierten .
Ich gab zu , daß der Katholizismus mich lockte , weil er schön war .
Ich sollte auch die Kehrseite des Kultus - eine ziemlich heitere Seite kennen lernen .
Er führte mich in eine entlegene Straße .
Wir traten in eine Werkstatt , wo bei offenen Türen Heilige fabriziert wurden .
Diese Figuren in all ihren verschiedenen Entwicklungsstadien , vom zartestem Embryo bis zum vollendeten Gott oder Heiligen vor sich zu sehen , war ein recht kurioses Schauspiel ; nicht gerade weihevoll anzusehen , wie die Gesellen in schmutzigem Arbeitskittel die Heiligen erbarmungslos mit Beil und Hammer bearbeiteten , ihnen mit Messerchen Wunden in die heiligen Leiber schnitten , und so recht con amore mit Zinnober das Blut anpinselten .
Die Italiener leiden nicht an Schamhaftigkeit .
Diese öffentlichen Geburtsstätten der Heiligen sind doch aber gar zu indiskret ; wenn auch nicht ganz so indiskret wie eine Madonna-Pfingstprocession bei der die Naivetät des italienischen Volks eine wahre Orgie feiert .
In feierlicher Prozession wird Madonna durch die Straßen getragen .
Plötzlich werden ihr die Kleider wie ein Vorhang in die Höhe gezogen , und eine Schar weißer Tauben flattert heraus .
Ein Raufen um die Tauben entsteht .
Und wer eine oder mehrere abfängt , geht vergnügt nach Hause , um diese Symbole der Ausgießung des Heiligen Geistes zu - braten .
Ich habe mit Adalbert einem großen Kirchenfest in St. Peter beigewohnt , eine Prachtentfaltung sondergleichen .
Ein Feenmärchen dieses Kirchenfest .
Märchenpferde , Märchenwagen , Märchen-Kardinäle , märchenhaft die Tamboure mit den ungeheuren Pelzmützen , märchenhaft die Nobelgarde in den strahlenden antik römischen Helmen mit den weißen wallenden Federn , den roten , reich mit Gold verzierten Waffenröcken , über der Brust ein breites goldenes Band .
Und märchentraumhaft der Gesang der Knaben der päpstlichen Kapelle .
Das sind Zaubertränke , von Erzengeln kredenzt , das sind Titanengebete , die , im Heißhunger nach Gott , sieghaft , stürmisch , an den Himmel klopfen .
Er tut sich auf , und in weicher Wollust vergehen sie am Herzen Jesu .
Nichts entspricht mehr den Verzückungen die der Katholizismus fordert , als die Musik .
Ich fühlte den heftigsten Drang , sofort in ein Kloster zu gehen .
Adalbert aber meinte lächelnd , wir wollten vorher noch in einem Restaurant etwas essen .
Er war immer darauf aus , Kontraste , in denen er den größten Reiz fand , für mich auszuspüren .
Nach dem Mittagsessen fuhren wir auf den Coelio , zur Basilika San Sabina .
Eine wohlerhaltene schöne Kirche mit einem berühmten , aber verhängtem Gemälde .
Noch mehr als die Basilika gefiel mir das kleine Gärtchen , das zum Kloster gehört .
Es war nur ein winziges , rings von Mauern umschlossenes Gemüsegärtchen , das schon seit dem 15. Jahrhundert seinen Zweck , sich von dem alten Klostergebäude abzuheben , nachkommt .
Die Orangenbäume zwischen dem Kohl und der Petersilie waren wohl nicht so alt , sie hoben sich aber auch malerisch ab .
Einer aber stand von einem Gitter umschlossen auf einem Hügelchen .
Den hatte der heilige Dominikus selbst gepflanzt .
Das sah man den Früchten an , so groß , so herrlich blutrot waren sie .
So ein echter , rechter Gottesfrieden ruhte über der Petersilie , den Kohlköpfen und den wilden Rosen , und die Luft war mild und lau wie im Juni - auch Himmelsluft .
Ein alter Dominikaner stieg zu uns nieder .
Ein stilles , frommes , liebes Gesicht hatte er , und so lieb und fromm sprach er auch , so himmelsluftig und mailich warm .
" Gott ist es , sagte er , der alles wachsen ließ , den Kohl und die Orangenbäume .
Er ist jeden Augenblick um uns , über uns , er ist überall und wer ihn so recht liebt , der lebt in Frieden mit sich und der Welt , und er hat ein Glück , das immer währt . "
Die Rede war wohl auch , wie der Orangenbaum , aus dem 15. Jahrhundert , aber die Gesinnung , der sie entsprang , ob sie im 15. oder im 19. Jahrhundert ausgesprochen wird , ist immer ehrfurchtgebietend , und - ach - so beneidenswert .
" Selig sind die Geistig-Armen . "
Ich weiß zwar nicht ganz , was Jesus damit meinte , das aber weiß ich , es hätte mich keine Überwindung gekostet , in den Frieden dieses stillen Dominikaner-Klosters einzugehen .
Wenn ich nur Gott so recht lieben könnte !
Wenn ich nur wüßte - - Adalbert weiß es eher .
Der ist kein Zweifler .
Aber er spricht nicht gern davon .
Von San Sabina bis zur Villa Medici ist zwar mehr als ein Schritt , wir taten aber die Tausende von Schritte , weil Adalbert mich durch einen neuen Kontrast entzücken wollte .
In den dunklen Hain der Villa Medici fallen die Sonnenstrahlen nur gedämpft , wie Altarkerzen in eine Kirche .
Ein Tempel ist dieser Hain voll Schauer heidnischer Mystik .
In einem solchen Hain muß Pythia ihre Orakel abgegeben haben , muß Daphne's Verwandlung in einen Baum vor sich gegangen sein .
Man glaubt in den gewaltsamen , wundersamen Verrenkungen dieser Bäume noch die schauerliche Tragik ihrer Gebärden , ihr wildes Sträuben zu überraschen .
Diese Gebärdensprache ist eine Eigentümlichkeit der Immergrünen-Eichen , die ich bei keiner anderen Baumart bemerkt habe .
Und fast alle diese Bäume zeigen furchtbare Verwundungen , tiefe , schwarze , klaffende Löcher , oft sind die ganzen Stämme aufgerissen , das Innere schwarz , als wäre es mit Feuer ausgebrannt .
Auf einer hohen , schmalen , mit Schimmel bedeckten Treppe , die oberen Stufen mit Lorbeer überwölbt , steigt man zu dem Tempelchen auf , und ist man oben - plötzlich eine Lichtflut .
Über allen Wipfeln Licht !
Licht !
Wir stehen in Licht gebadet , ein Eindruck , der noch verstärkt wird , wenn wir herabblicken von der Treppe in das schwermütige Dunkel da unten .
Das starre Laub des Buchsbaums und des Lorbeer's , das den Hügel des Tempelchens ganz bedeckt , regt sich nicht .
Es ist um uns wie ein stilles , grünes Meer .
Kein bunter Ton in der Landschaft , ausnahmsweise nicht einmal Orangen .
Lyrische Weichheit und zugleich Kraft , Reinheit , Seele ruhte auf dieser Landschaft , die in ihrer klassischen Vornehmheit an den Kopf der Juno Ludovisi , an Verse Homers erinnert .
Und wie sanft sich die Berge an- und ineinander schmiegten , und ebenso mild und sanft flossen die graublauen Farbentöne ineinander , sich immer verwandelnd , wie Musik , wie Musik .
Und vom Monte Pincio klang das Requiem von Verdi herüber und verschmolz mit der göttertraumhaften Schönheit dieser Landschaft .
Ich bin in Rom oft geneigt tiefes Graublau für die poetischste aller Farben zu halten .
Die Sonne ging unter .
Ein dunkles Gewölk am Himmel verdichtete sich zu einer Form , die ein Berg schien :
Der Berg Tabor .
Über dem Wolkenberg ein Stück blauen Himmels , hoch oben wieder leichtes Gewölk .
Und aus diesem Gewölk in der Höhe flossen weiße Strahlen , Lichtsäulen nieder , und die weißen transparenten Strahlen hüllten allmählich den Berg in heilige Schleier ein .
Und wenn plötzlich aus den heiligen Schleiern der leuchtende Schatten Jesu Christi emporgeschwebt wäre , wir hätten es natürlich gefunden .
Ein vermummter , alter Mann , mit einem langen , weißen Schnurrbart trieb uns hinaus : der Wächter .
Er führte zwei seltsame Hunde mit sich , zwei große überschlanke Windspiele mit kleinen klugen Köpfen .
Sie hatten lange silbergraue Haare die wie Chinchilla aussahen : Dianas Jagdhunde .
Es war hier eben alles verzaubert , mystisch , unwahrscheinlich .
Ach Arnold , Arnold , und ich bin mitverzaubert .
Sage mir , sage , wie soll man in Rom ohne Liebe sein !
Du bist hochherzig , ich weiß es .
Ich weiß auch alles , was ich jetzt fühle , was ich tue , Du wirst es verzeihen , aber nur aus lauterer Herzensgüte , nicht weil Du es verzeihlich oder natürlich fändest .
Meine Hände rein erhalten ?
Und wenn sie leer bleiben ?
mein Herz rein erhalten ? und wenn es leer bleibt ?
Denkst Du nicht daran , daß Deine Marlene nachholen muß , nachholen , was sie versäumt hat ?
Ihre Vergangenheit : Traum , Schmerz , Schlaf .
Nun will sie Wachsein , Kraft , Frohsinn , Zukunft .
Du denkst nicht so , Du denkst nicht so , ich weiß es .
Du , ja , Du hast es gut gehabt .
Harmonische Eltern haben Dich harmonisch geschaffen .
Du liebst Deine Wissenschaft .
Wo ist die Leidenschaft , die Du überwunden ?
Du bist zu normal für mich , zu unbeirrbar gut .
Ich soll ja auch gut sein , aber ach , so beirrbar bin ich .
Ob es Unrecht ist , was ich tue , ob ich in der Sünde wandle ?
Aber ich weiß es nicht , ich weiß es nicht .
Wissen es denn die Anderen ?
Ich tue was ich muß .
Und tat ich Unrecht - war mir nicht die Nemesis schon auf den Fersen ?
Noch nicht . ein wunder- wunderschöner Tag wurde uns beschieden .
Wir hatten einen Ausflug ans Meer gemacht .
An einem Dorf machten wir Halt .
Adalbert kennt den Strand weit hinaus .
Er ließ uns zu einem kleinen Ort hinrudern , der kaum je von Fremden besucht wird .
Könnte ich Dir den bestrickenden Reiz dieses Örtchens schildern , das wie eine phantastische Meerlaune in den blauen Ozean hineingebaut ist .
Auch ein kleiner Palast hat da einmal gestanden .
Auf einem zerbröckelnden Portal , aus einer zerbrochenen Urne wuchern wilde Rosen , gelbe Eidechsen wie Goldadern schlüpfen um Kelche und Steine .
Eine einsame Pinie davor spiegelt sich im Meer .
Durch eine geborstene Tür sahen wir eine düstere Treppe emporsteigen ; plötzlich setzte sie sich von einem leuchtenden blauen Himmel ab , als führe sie unmittelbar in den Äther hinein .
Phantastisch auch all die steinernen kleinen Baracken .
Alte Weiber mit Spindeln sitzen in den Loggien , um die lichtgrüne Weinreben sich ranken .
Und verwilderte Gärten !
Rosenalleen , Rosen ohne Zahl , und wo die Gärten zu Ende sind , beginnt das Meer , und der Purpurschein der Rosen und die blaue Glut verschwimmen in süßeste Farbenmelodien .
Hoch oben auf dem Dach eines Gemäuers , lehnte sich ein wunderschönes , halberwachsenes Mädchen über die Brüstung und warf uns lachend Blumen auf die Köpfe .
Unter ihr , in einem höhlenartigen Raum wälzten sich , wie Tigerkätzchen , nackte Kinder durcheinander .
Auch hier muß einst altrömische Pracht geherrscht haben .
Wohin wir blickten : Gerümpel , aus dem Marmor glänzte .
Steinhaufen mit zartem Moos überwuchert , blühende Kräuter , Säulenfragmente .
Und all -überall das Meer .
Es lugt durch schimmlige Löcher , es bricht sich Bahn durch wilde Rosenhecken , es überschimmert verfallende Mauern , es blitzt silberne Flammen in gewölbte dunkle Bogen .
Eine kleine Dorf - Sphinx ist dieses Örtchen , Kobolde und Nixen umtänzeln sie im Rahmen der Meer-Unermeßlichkeit .
Als wir zurückgerudert kamen war es spät geworden .
Der Mond schien hell .
Ehe wir unseren Wagen erreichten mußten wir eine Strecke zu Fuß gehen , über einen Hügelrücken , einen schmalen Weg entlang , den dichtes Gebüsch an beiden Seiten einfaßte . Hin und wieder eine Pinie oder Eiche .
Hinter uns das Meer im Mondlicht .
Und während wir dahinschritten schimmerten , schwebend und schwärmend Tausende und Abertausende von Lucciola ( Glühwürmchen ) um uns her , in lautloser Schönheit .
Oder waren es leuchtende Blumenseelen , die die leidenschaftlich zärtliche Luft zum Leben entküßt , oder Sterne , die von den sehnsüchtigen Melodien dieser Sommernacht aus ihren kalten Höhen herabgelockt , ins Tanzen gerieten ? und meine Seele tanzte mit , meine leuchtende , schwärmende , schwebende , außer sich geratende Seele .
Jedes Blatt am Baum , jeder Kiesel am Weg schien den Atem anzuhalten , um in Wonne zu schauern .
Ich auch , ich auch .
Als wir ins Dorf zurückkamen , von dem wir ausgerudert waren , tummelte sich noch jung und alt auf der engen Gasse .
Ein reizendes , junges Mädchen lief quer über den Weg , breitete die Arme aus , als wollte sie uns nicht durchlassen , und sang unter schelmischem Lachen :
" Sul mare lucica , l'astro d'argento " ...
Und fort war sie wie der Wind .
Und alt und jung drängte sich , als wir abfuhren , um den Wagen .
Viele kannten Adalbert , und es war ein Händeschütteln , ein Grüßen , Scherzen und Lachen , eine naive , herzliche Zutunlichkeit ohne Zudringlichkeit .
Diese Leute waren wie trunken von Mondschein und Liebenswürdigkeit , von Grazie und schöner Menschlichkeit .
Sie bettelten wohl auch ein wenig dazwischen , aber nicht sehr .
Nie habe ich eine solche Zärtlichkeit für das ganze Menschengeschlecht empfunden wie an diesem Abend , nie ein tieferes Gefühl der Zusammengehörigkeit Aller .
Und nun ging es eine lange Strecke immer am Meer entlang .
Der Wind hatte sich erhoben und es begann zu rauschen .
Irgendwo tauchte eine Insel auf .
Lang hingestreckt ruhte sie wie ein Riesensarkophag auf dem Wasser .
Sie war bewohnt .
Wir sahen Lichter am Ufer .
Ihre langen , tief sich niedersenkenden Reflexe im Wasser schienen goldene Kandelaber , auf denen stille Flammen zu einer düster geisterhaften Feier brannten .
Das Rauschen des Meeres - Orgelklänge .
Ich weiß nicht welche Gedankenverbindung es war , ich mußte an die Waldeinsamkeit des Tückschen Märchens denken , und an die Vergißmeinnicht , die ich am Schafgraben pflückte , und an die goldenen Eier des Vogels Wunderhold und - merkwürdig - ich besann mich gerade wie die Bertha im " Egbert " auf den Namen des Hündchens , und gerade wie Bertha konnte ich nicht darauf kommen .
Aber diese Meereseinsamkeit war tiefer , feierlicher als die Waldeinsamkeit mit ihren heimlichen , unheimlichen Schauern .
Mein Kopf ruhte an seiner Schulter , seine Hand an meiner Wange , grenzenloses Glück überflutete mich und wie stille Flammen aus goldenem Kandelaber stiegen lautlos , wortlos Hymnen aus meinem Herzen in den Mondzauber der Nachteinsamkeit empor .
Ich fühlte , dieser Abend war ein Höhepunkt .
Nie würde eine solche Stunde wiederkehren , nie mehr ein solcher Vollmond mir scheinen , nie würde mein ganzes Wesen in so taumelnder Seligkeit von den Jubelchören der Schönheit und Liebe emporgehoben , das Leben in so vollen Zügen in sich trinken .
Und allmählich streckte sich ein Schatten von Schwermut aus der Meertiefe , und umfing mich sacht .
Und plötzlich fiel mir auf die Seele was mir bis dahin nicht zum Bewußtsein gekommen war : Adalbert war in diesen sonnen- und mondtrunkenen Stunden , an diesem Tag Aphrodite's mit mir nicht eins in der Empfindung gewesen .
Nur rythmisch bewegt war er gewesen und gerührt , eine Rührung voll edlen Maßes .
Er hatte im Laufe des Tages viel Wein getrunken , und war müde geworden .
" Adalbert " , sagte ich leise , und blickte zu ihm auf .
Er war eingeschlafen .
Er schlief , während das Meer Wunder rauschte , er schlief , während der Mond wie eine große , sehnsüchtige Träne am Himmel hing , und silberne Tropfen über das dunkle Meer hinträufelte .
Er schlief , während alle meine Sinne wach waren , glühend wach .
Ich sah ihn an .
Der Mond schien ihm hell ins Gesicht .
Ich erschrak .
War er das ?
Adalbert ?
Nichts besonders , nur er sah gewöhnlich aus , so sehr gewöhnlich ; das dünne Haar klebte leicht an den Schläfen fest .
Seine Züge waren nicht fein , eher grob .
Er war schlafend so ganz entgeistigt .
Wir ließen das Meer jetzt hinter uns .
Gewölk zog über den Mond .
Ich sah seine Züge nicht mehr .
Ich war allein .
Ich verlor mich in Sinnen .
Ich sann über ihn und mich .
Und ich sagte mir : wenn Du älter geworden , und nicht mehr schön bist , so wird er Dich nicht mehr lieben .
Und wenn er älter geworden ist ? wird er nicht das bisschen schöne Heidentum , das er in Rom er warben , wieder abtun ? und - wer weiß - vielleicht bin ich dann auch nur in seiner Erinnerung ein heidnischer Einfall gewesen , ein Bild aus einem Dyonisusfest .
Er trinkt viel und gern die italienischen Weine , besonders den goldklaren Chianti .
Er trinkt ohne Durst , mit einem ästhetischen Genuß .
Aus einem schön geschliffenen Kelchglas trinkt er , daß ich ihm geschenkt habe .
Aber der Wein erhöht seine Lebensgeister nicht .
So meine ich , fehlt es ihm auch in der Liebe an echtem , unbezwinglichem Durst .
Er trinkt seine Empfindungen - auch gewissermaßen aus kristallener Schale - mit sanftem ästhetischem Genießen .
Wie jenem König Midas sich alles in Gold verwandelte , so sind alle seine Lebensbetätigungen von Kunst durchschimmert , darum fehlt es ihnen an Ursprünglichkeit , an Mark .
Darum nahm auch die Liebe nicht seine ganze Seele hin .
Er umrankt all seine Empfindungen mit feinem , künstlerischen Blüten .
Er ist immer Tau und Duft , sanftes Schimmern , vornehmes Graublau , Öl in hochgehende Gefühlswogen .
Und ich sehnte mich zuweilen nach Naturlauten .
Ich hätte ihn gern einmal lichterloh gesehen , geistig und seelisch tanzend , taumelnd außer sich geraten .
Er hatte einmal von sich selbst gesagt :
" Non son nato per l'amore . "
Er sagt oft auf italienisch , was eine zarte Scheu ihn hindert deutsch zu sagen .
Ich sann darüber , was er damit meinte .
Ich fand es .
Mehr als einmal hatte er ausgesprochen , wie innig er sich ein Kind wünsche , einen Knaben .
Er wünschte aber eigentlich das Kind nicht , um es aus tiefstem Gemüt heraus zu lieben , sondern um es zu bilden , zu erziehen , ein Kunstwerk aus ihm zu schaffen .
Er gehört zu den Männern , die im Weibe zumeist die Mutter ihrer Kinder lieben .
Darum meinte er , daß er nicht für die Liebe geboren sei .
Er trägt es mir in seinem Herzen nach , daß ich ihm kein Kind schenke .
Er hatte es gewissermaßen für meine Pflicht und sein Recht gehalten .
Dann erst hätte er mich ganz und für immer geliebt .
Nicht eigentlich ein schöner Zug an ihm ? ein Zug sympathischster , reinster , ihm angeborener Ethik ?
Ich liebte ihn .
Ich hätte ihm gern das Kind geschenkt .
Der Mond trat wieder hell hervor und ich sah ihn wieder schlafen .
Ich rüttelte seinen Arm : " wach auf ! wach auf ! "
Und siehst Du , Arnold , oft seitdem , wenn ich an seinem Arm hing , sah ich ihn plötzlich schlafend mit offenem Mund und geschlossenen Augen , und die Vorstellung erkältete mich .
Merkte ich , daß er müde war , so litt ich nicht mehr , daß er zu mir heraufkam .
Ich war auf der Höhe gewesen .
Es ging bergab .
Ein Unglückstag kam .
Wir waren zur Porta Giovanni hinausgewandert , hin zu den römischen Gräbern .
Mitten auf dem Wege blieb er plötzlich stehen .
Er habe etwas auf dem Herzen gegen mich .
Man habe ihm hinterbracht , daß ich - u. s.w. u. s.w. Daß Du_es nur weißt Arnold , ich bin einem braven , trefflichen Gatten mit einem Unwürdigen ( das bist Du ) davongelaufen ; ich habe mein Kind im Stich gelassen , und nun hat die Nemesis mich ereilt , indem der Unwürdige wiederum mich arme Ariadne im Stich gelassen hat .
O Arnold , widrig ! widrig !
Tief erregt sagte ich ihm wie alles sich verhielt .
Ein reindenkender Mensch konnte nicht einen Augenblick an der Wahrheit meiner Worte zweifeln .
Er hörte mir ruhig zu , und sagte nichts .
Sein Schweigen verletzte mich .
Wir gingen eine Strecke weiter , über das uralte römische Pflaster hin , bis der Weg zu Ende ist .
Er erklärte mir die Konstruktion der alten Wasserleitung , die vor uns lag .
Ich hörte nicht zu .
Wir traten in den von Mauern umschlossenen Raum , in dem sich die kargen Reste einer Basilika aus dem 5. Jahrhundert befinden .
Wir setzten uns auf eine gebrochene Säule .
Die Campagna vor uns .
Ich vergaß einen Augenblick mich und Adalbert , so ergriffen war ich von dem Pathos und der Größe dieser Landschaft .
Über die rötliche , altrömische Mauer , die daraus emporragt , fällt ein wahrer Katarakt von Efeu .
Die Campagna ist schattenlos .
Keine Bäume , in denen Vögel zwitschern , durch deren Wipfel der Sturm rast ; nicht Bäche rieseln durch diese bräunlichen Wiesen , nicht Elfen tanzen darüber im Mondschein .
Tiefe , stumme Einsamkeit ist ihr Charakter .
Ein Riesenrequiem der Natur , weil die Götter alle tot sind .
Die deutsche Landschaft ladet uns ein : Ruhe , träume , wandere !
Die Campagna spricht :
Stehe und schaue !
Ihre Stummheit aber löst sich , das Requiem verhallt , wenn die Sonne untergeht und die Beleuchtung Wunder an ihr wirkt .
Sie ist ihre Lieblichkeit , ihre Leidenschaft , ihr Tiefsinn , ihre Begeisterung .
Und an dem Tage war ihr Untergehen wie ein Hinströmen , ein Ausströmen überirdischer Wonnen .
War das nur rot , blau , grün , gelb ? nur Farbe ? nicht ein Klingen und Singen des Äthers ?
Vielleicht die Fata Morgana eines jenseitigen Paradieses , wo übersinnliche Blumen blühen : Feuerlilien , die aus lichten Wiesen von zartestem Smaragd emportauchen , Sträuße von leuchtenden Riesenveilchen , Schneebälle in milchweißem Glanz und - Rosen !
Rosen !
Rosen zart wie ein Hauch , Rosen , rot wie Blut und wie Glut , von Erzengeln purpurngeküßte Rosen .
Und die Reflexe der Rosen und Feuerlilien flossen über die bräunlichen Lande und verklärten sie , und in der brünstigen Umarmung mit dem Himmelsfeuer empfing die Campagna ihre Seele .
Wahnsinnig schön war_es .
Meine Augen suchten Adalbert's Blicke .
Hätte er mich jetzt an seine Brust gezogen , die Seelen , trunken von dieser höchsten Schönheit , wir wären für alle Ewigkeit eins geworden .
Seine Züge waren weich geworden , seine Augen feucht .
Zärtliches Lächeln umspielte seine Lippen .
Er neigte sich zu meinem Ohr und flüsterte :
" Marlene , sei wahr , sage , daß er Dein Geliebter war .
Ich liebe Dich doch . "
Ich schüttelte mich unwillkürlich .
Ein Schauder lief mir durch die Glieder .
Er glaubte , daß ich gelogen .
Es lag wohl Verächtliches in meinem Ton , als ich ihm antwortete :
" Meinetwegen , wenn Du es durchaus glauben willst . "
Er erhob sich schnell , wendete sich von mir .
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen .
Auf dem Heimweg ging er einige Schritte vor mir her , oder blieb hinter mir zurück .
Er bot mir seinen Arm nicht .
Ich erhielt mich kaum aufrecht .
In meiner Straße gab er mir zum Abschied die Hand .
Eine Kälte ging von dieser Hand aus .
Er entfernte sich rasch .
Ich stieg die Treppen herauf .
Ich klingelte .
Eine fremde Person öffnete .
Ein fremder Korridor lag vor mir .
Ich war in ein falsches Haus gegangen .
Ich kehrte um .
In meinem Zimmer setzte ich mich vor den kalten Kamin , und versuchte nachzudenken .
Nein , es konnte nicht sein ; er konnte mich nicht für eine Lügnerin halten .
Und jetzt litt er wohl Gewissensnot .
Er wollte sich nur erst sammeln .
Er würde wiederkommen .
In wenigen Minuten würde er da sein .
Ich spähte zum Fenster hinaus - nichts .
So war er nach Hause gegangen , und erst später , zu seiner gewöhnlichen Stunde zwischen 7-8 Uhr würde er kommen .
Nein , es war nichts geschehen .
Eine Eifersuchtsscene , wie sie wohl im Leben jedes Mannes unausbleiblich ist , und die endet ja immer mit einer Versöhnung .
Ich richtete mein Zimmer schön her .
Das grüne Licht , das rote Licht , die römische Lampe , alles brannte , und mein Herz auch .
Ich zog mein langes blaßrosa Cachemirkleid an .
Ich lernte die Qual des Wartens kennen .
Seine Zeit war vorüber .
Das Klopfen meines Herzens machte mir Pein .
Es kam jemand die Treppe herauf .
Er blieb vor der Tür stehen .
Die kleine , dünne Glocke wurde gezogen .
Jeder Nerv in mir war gespannt .
Ich stand mitten im Zimmer .
Ich wußte , im nächsten Augenblick würde ich an seiner Brust liegen .
Es klingelte zum zweiten Mal .
Philomela öffnete :
Die Waschfrau .
Das Warten wurde mir unerträglich .
Ich zündete den Kamin an .
Es rauchte etwas .
Das war mir recht .
Ich hatte mit dem Feuer zu tun , mit dem Rauch .
Ich riß das Fenster auf .
Ich sah hinaus .
Ein Mensch kam die Straße herauf , und ging dann langsam auf und ab .
Ich konnte ihn vor Tränen nicht erkennen ; ich glaubte aber bestimmt , er wäre es .
Ich stürzte ohne Hut , ohne Tuch die Treppe herunter , in den Regen hinaus .
Er war es nicht .
Was hatte ich denn gewollt ? nur noch einmal seine Stimme hören .
Ich ging wieder hinauf .
Ich wartete nicht mehr auf ihn .
Ich legte mich auf die Chaiselongue , die auf der Terrasse steht .
Was er wohl jetzt treibt ? dachte ich .
Er sitzt behaglich zu Hause , liest die Zeitung und trinkt Chianti .
Er liebt den römischen Wein .
Er trinkt viel Wein .
Ich schlief ein .
Etwas sonderbar wohliges weckte mich .
Wie ich die Augen öffnete war ich ganz mit Rosen bedeckt , von Duft umflossen .
Adalbert ! -
rief ich .
Da war er , und da waren wir versöhnt .
Ich mit ihm - nicht ganz .
Es schien alles wie vorher .
Es schien nur so .
In mir war etwas anders geworden .
Der Riß wäre wohl geheilt , und alles wieder ins Gleiche gekommen , wenn er nur gemerkt hätte , daß ich verändert war .
Aber er merkte es nicht .
Einmal ging er - es war in den Caracalla-Thermen - etwas voraus .
Er vertiefte sich in einen Säulenknauf , und merkte nicht , daß ich zurückblieb .
Ich war eifersüchtig auf den Säulenknauf .
Ich setzte mich in einem Winkel auf ein Marmorfragment .
Das Schluchzen war mir nahe .
Ich warf meinen Pelzkragen ab , obwohl es feucht und kühl war .
Er kam zurück , sah mich nicht gleich .
Seine Blicke suchten mich ängstlich .
Er schalt mich liebevoll , als er mich in dem schimmligen Winkel entdeckte , und hüllte mich sorgsam in den Pelz .
Er liebte mich doch noch .
Einige Tage später , als wir nach einem schönen Sonnenuntergang heimgingen , kam unversehens eine Ernüchterung über mich .
So viel Staub und Menschen und Wagengerassel und Geschrei in den spärlich erhellten Straßen .
Und so viel Schmutz .
Und Adalbert sah müde und abgespannt aus .
Unwillkürlich schweiften meine Gedanken in die Vergangenheit zurück , zu den Stunden , wo ich mit dem Gefühl der Leere und einer ungeduldigen Verdrossenheit Hand in Hand mit Walter so steif auf dem Sofa saß , oder wo wir uns auf unseren Spaziergängen so gar nichts zu sagen hatten .
War es möglich , daß jetzt eine ähnliche Stimmung mich beschlich ?
Zwischen mir und Walter fehlte jedes Seelenband , jede ethische Gemeinschaft , und zwischen mir und Adalbert - vielleicht - -
Wir gingen wieder vor einem der Tore Rom es spazieren .
Zwischen hohen Mauern , hinter denen die wundervollen Villengärten liegen , blieben wir bewundernd vor einem uralten Portal stehen .
In einiger Entfernung sahen wir einen römischen Lastwagen halten .
Plötzlich kamen in wilder Jagd zwei Hunde auf uns zugelaufen .
Raubtierartig und gefährlich sahen sie aus .
Mit heulendem Bellen umkreisten sie uns .
Keine Möglichkeit ihnen zu entkommen .
Halb tot vor Angst klammerte ich mich an seinen Arm .
Die Angst preßte mir einen Schrei aus .
" Still , keinen Laut , " sagte er .
Seine Stimme klang heiser , rauh , sein Blick war böse , seine Mienen verzerrt .
Wir taten einige Schritte vorwärts , von den Bestien umheult .
Da fühlte ich , fühlte mit unheimlicher , vernichtender Deutlichkeit , daß er mich sacht von sich drängte .
Er wußte es vielleicht selbst nicht .
Und mit ebenso unheimlicher vernichtender Deutlichkeit war ich mir bewußt , daß er mich preisgeben würde , wenn ich seiner Rettung im Wege stände .
Ich empfand keine Furcht mehr , das war ja etwas Fürchterlicheres als die Hunde , dieser Mann , der in bleicher Furcht mich von sich drängte .
Ein schriller Pfiff ertönte vom Lastwagen her .
Die Hunde liefen davon .
Ich tat so gelassen .
Ganz still und langsam ging ich neben ihm her .
Ahnte er , was in mir vorging ?
Vor meiner Tür fragte er nicht , ob er mit hinaufkommen dürfe .
Die Treppen wurden mir schwer .
Als Philomela öffnete sagte ich ihr , ich wäre hungrig , sie möchte mir etwas Gutes zu essen geben .
Warum ich das log , Gott weiß es .
Was war denn geschehen ?
Nichts der Rede wertes .
Ich sank auf der Chaiselongue zusammen .
Ich versuchte zu gähnen .
Ein so affektiertes Gähnen .
Es war doch etwas geschehen .
Mein Blick fiel in den Spiegel .
Ich erschrak .
Ganz alt und häßlich sah ich aus , und - ich hatte ja Charlotte's Zug um den Mund , der immer war , als hätte sie etwas Widriges verschluckt .
Sonderbar , als er der schönen Fürstin als Cicerone diente , hatte ich ihm auf's Wort geglaubt , daß er mich nicht gesehen .
Jetzt wußte ich es besser , er hatte mich gesehen .
Es war etwas geschehen .
Abends im Bett konnte ich nicht einschlafen .
Plötzlich hörte ich deutlich neben mir : " Marlene " .
Mit einem Ruck saß ich aufrecht im Bett .
Er ! war er da ?
Unsinn !
Ich mußte lachen .
Schlafe doch - - mit einem Mal fiel mir der längst vergessene Name " Pie " ein .
Und ich sagte laut zu mir selber : Schlaf doch Pie !
So recht mit Hohn sagte ich_es .
Philemela mußte ihm am anderen Tage , als er kam , sagen , ich sei krank , und würde schreiben , wann ich ihn sehen könne .
Ich schrieb nicht .
Er fragte noch einige Male nach mir .
Das letzte Mal hinterließ er eine Zeile , er reise auf einige Wochen nach Neapel , hoffe mich bei seiner Rückkehr gesund anzutreffen .
In einer Zeitung hatte ich gelesen , die Fürstin N. N. sei nach Neapel abgereist .
Ich werde ihn nicht wiedersehen .
Ich will nicht .
Auf der Madonna krächzte der Rabe. Nevermore .
Ich habe wieder einen Toten begraben .
Dieser kleine Vorfall war nur der letzte Schatten der den letzten Glanz von seinem Bilde löschte .
Nicht wahr , sie klingt kindisch diese Geschichte mit den Hunden ?
weil es Hunde waren ?
Nicht dasselbe , wenn die Hunde Löwen gewesen wären , oder wenn er bei einer Sturmflut oder einer Feuersbrunst über seine Gefahr die meinige vergessen hätte ?
Es hätte nur tragischer oder romantischer geklungen .
Der Seelenvorgang wäre derselbe gewesen .
Die feige Selbstsucht paßte so wenig zu dem Mann , dem die Natur das Gepräge des Seelenadels verliehen .
Oder - war Falschmünzerei dabei ?
Spiegelten seine Augen eine Seele , lächelten seine Lippen einen Liebreiz , die nicht in ihm waren ?
Er , der alles , was plebejisch und unschön war so schroff ablehnte , er war in die Häßlichkeit der Furcht verfallen , und er ahnte , daß ich seine Häßlichkeit empfunden .
Das würde er mir nie vergeben haben - dieser Sklave der Schönheit .
Aber - ich verleumde mich Arnold .
Nein - nicht , daß er sich einen Augenblick lieblos feige gezeigt , nicht daß er im Schlaf so gewöhnlich aussah , nicht daß seine Art so zahm und glatt war , entfremdete ihn mir so ganz .
Entfremdete ? war ich denn je so recht vertraut mit ihm gewesen ?
so ganz intim ?
das ist_es : Wir waren nicht eins in Gesinnung , im Geist .
Nie umschlangen sich unsere Geister .
Also auch nur eine Gelegenheitsliebe , in der Psyche , wie das Mädchen aus der Fremde , sich nicht lange aufhält .
Was wußte ich denn von ihm ? daß er einen feinen Sinn für Natur und Kunst hatte , eine Stimme , die wie eine Liebkosung war , und Augen - magnetische , herzgewinnende .
Seine sozialen- und seine Welt-Anschauungen aber barg er in des Busen's Tiefe .
Und doch wußte ich nun plötzlich , daß seine Denkungsart eine durch und durch konservative , daß er gottesgläubig war , und streng denkend auf ethischem Gebiet .
Und er verriet seinen Gott und seine Überzeugungen durch sein Schweigen .
Und seine Beziehungen zu mir hielt er aufrecht , gegen sein Gewissen .
Ohne Tapferkeit und ohne Aufrichtigkeit war er .
Ganz heimlich wußte ich es längst .
Ich hatte es nicht wissen wollen .
Und die Fürstin mit den Vampirlippen ?
Sein Geheimnis , ein vornehmes Geheimnis , das einmal seine Augen , nie sein Mund verriet .
Ich habe wieder Augenblicke des Hellsehens .
Glaube mir Arnold , ganz gewiß , er hat nur anfangs seinen Namen nicht genannt , weil er so gar gewöhnlich und trivial ist .
Und wahrscheinlich ist er Lehrer an einer Mädchenschule gewesen .
Alles , alles sah ich nun anders , als wenn eine Tür in meinem Inneren zugefallen , und eine andere sich aufgetan hätte .
Die Zugefallene führte zu sonnenbestrahlten Lustgefilden , die offene in tiefe Gründe .
Entgeistert alles .
Entgeistert weil ich in der Liebe eine Enttäuschung erfahren ?
Nein Arnold , gewiß nicht .
Diese Enttäuschung hat nur den Anstoß gegeben zu großen inneren , schmerzlichen Erfahrungen .
Daß es meiner und Adalbert's Liebe an Kraft und Tiefe fehlte , daß ich mich nun nicht mehr in seliger Versunkenheit an ihm aufranken , nicht mehr die schmachtende Innigkeit seiner Augen , nicht mehr die Melodien seiner singenden Lippen in mich trinken konnte , das machte mich wohl traurig , aber es wendete und wandelte mir die Seele nicht .
Das aber wandelte sie mir , daß ich irre wurde an der Echtheit , den Wert und die Wahrheit aller menschlichen Empfindungen .
Das ließ mich schaudern , daß wir immer wieder von uns selber Abschied nehmen , von dem , was wir für einen Lebensinhalt hielten ; daß auf neue Freuden immer neue Gräber folgen .
Ich trauere um die Untreue meiner Empfindungen , und kann doch daran nichts ändern .
An was soll ich noch glauben , wenn diese Liebe nicht echt , wenn meine Begeisterung für Rom nicht echt war !
Und kann echt sein , was heute rot und morgen tot ist ?
Es ist ja möglich , daß unser Gemüt andere Zeitbegriffe hat , wie unser Verstand , und ich habe ihn in den fünf Monaten eine halbe Ewigkeit geliebt , wie es ja Lebewesen gibt , deren ganzes Dasein sich in 24 Stunden vollendet .
Viel Aberglauben ist in Rom von mir abgefallen , und auch viel Glauben .
Ich habe Abschied genommen von dem Glauben an den idealen Kern der Liebe zwischen Mann und Weib .
Wer hat sie denn auf den Thron gesetzt , diese Liebe ?
Ich kenne nun alle ihre Stadien , ihre Temperamente , ich kenne sie , und ich achte sie gering .
Zuweilen meine ich , es ist eine widrige Unkeuschheit ein solches Gewicht auf Naturtriebe zu legen , mögen sie in Purpur und Gold , oder in lilienweiße Gewande sich kleiden , damit sie sich können sehen lassen , mögen sie sich in psychologische Feinheiten Einschleiern , weil sie sich ihrer einfachen , groben Struktur schämen .
Abwechselnd verweist man diese Triebe in die Hölle oder in den Himmel .
Die Wahrheit wird wohl wieder in der Mitte liegen .
So menschlich sind sie , nur zu menschlich .
Junge Mädchen heiraten aus leidenschaftlicher Liebe Männer , die jeder edlen , liebenswerten Eigenschaft bar sind .
Männer schießen sich tot , weil verbuhlte Weiber sich ihnen versagen .
Wir wissen es ja alle ( warum tun wir denn , als wüßten wir es nicht ? ) daß zumeist der Zufall über Lieben und Nichtlieben entscheidet .
Liegt leicht brennbares Material bereit - ein Funke , und es lodert auf , ob der Funke der zündet , aus einer Mondscheinnacht , einem schönen Gesicht , einer Champagnerlaune , einem allzuschweren Herzen , einem wilden Traum von ihr zu ihm , von ihm zu ihr sprüht .
Und solche Liebe ist es , die Tragödien und Selbstmorde , die die schönsten lyrischen Gedichte und die unglücklichsten Ehen zuwege bringt .
Und weil meine Liebe eine Suggestion Rom es , ein Reflex der Sonne und Pracht des Südens war , darum rauschte sie hier in einem solchen Strom schwellender Zärtlichkeit .
Feuerzauber , colorierte Seligkeiten .
Es scheint , ich liebte ihn nur , wenn der Himmel rot , blau oder grün war , wenn Orangen und Rosen mich umdufteten , laue Lüfte mich umkosten ; in grauer stumpfer Dämmerung aber , oder wenn es regnete blieb mein Herz auch grau und stumpf .
Ich liebte ihn wie den Sonnenuntergang oder Erdbeeren mit Schlagsahne , nur mit einem Gradunterschied .
Der Untergrund immer derselbe : Sinnentrieb .
Ich weiß ja , daß auch die Sinnentriebe eine Schicksalsnotwendigkeit , ein Müssen der Natur sind , ein Aus- und Überströmen von Kräften .
Wie Wellen des Meeres fluten sie auf und ab , und drängen hin zu einem Ufer , und wenn der Wind stark ist , umklammern sie es inbrünstig , und fluten zurück , ins Meer hinaus zu anderen Ufern , und Perlen und Pflanzen , Verwestes und Trümmer tragen sie mit sich fort , ohne Wollen , ohne Wahl - ein Naturmüssen , eine Schicksalsnotwendigkeit .
Nicht herabziehende Vorstellungen ?
Und die Frage drängt sich auf unsere Lippen : ist das alles ?
Sage Arnold , sind denn solche Erregungen wert von Dauer zu sein ?
Immer nur er und ich !
Und plötzlich kam mir noch ein anderer Gedanke , ein greulicher .
Nicht einmal er und ich .
Nur ich .
Hatten meine Wünsche , meine Träume , meine heiße Sehnsucht ihn nicht erst - da ich ihm zufällig begegnete - gerufen , gleichsam geschaffen ?
Ach Gott , ich bin dem Echo meiner eigenen Stimme nachgelaufen .
Bin ich , sind wir alle etwa dem Narziss gleich , der sich in sein eigenes Bild verliebt ?
Und ich kauerte auf dem frischen Grabe meiner Liebe mit einer großen Sehnsucht nach einer geistigeren Existenz , nach etwas , das nicht alt wird , nicht abstirbt , das immer wiederkehrt , nach Immergrünendem , Immerblühendem .
Und Rom !
Rom , das sich mir entgötterte .
Ich stand wieder auf Pietro in Montorio , ich fuhr durch die Campagna .
Ich sah wieder herrliche Sonnenuntergänge - der Zauberglanz einer Viertelstunde .
Im Grunde waren ja diese Farbenwunder doch nur optische Farbenspiele , und nicht so wichtig und nicht so groß , um Entzückungen daran zu verschwenden , Offenbarungen von ihnen zu heischen .
In fahler Dämmerung , im Staub und Menschengewühl schlich ich trübe nach Hause .
Ich ging wieder in die Villengärten , durch Eichen-und Lorbeerhaine , und ich phantasierte Bachantenzüge und Mänaden hinein , die in wütender Brunst Lebende zerrissen und die Bäume verstümmelten .
Aus allem Lebendigen um mich her grinste mich Totes an , oder etwas , das bald tot sein würde , oder es lebt nur so schattenhaft .
Die Campagna - tötete sie nicht alljährlich Hunderte mit ihrem giftigen Atem ?
Die Ruinen , sie erweckten mir nicht mehr die Vorstellung von Göttern , Musen , Triumphzügen .
Durch diese grandiosen Portale schritten ja wahnsinnige Cäsaren , die sich für Götter hielten .
Ich dachte der Tausende und Abertausende von Sklaven , die Jahrzehnte oder Jahrhunderte , unter der Peitsche erbarmungsloser Aufseher , fronden mußten , um für menschliche Raubtiere Riesenburgen zu türmen , während sie selbst in Hundelöchern unterkrochen .
Ich kam wieder an jene Stelle , wo die Mauer blutig rot gesprenkelt ist .
Etwas huschte an mir vorbei : eine Fledermaus , oder eine Eidechse , oder ein Windstoß , der sich in einer Spalte verfing , oder - die Schatten von Furien , die Mord witterten .
Im Kolosseum blickte ich voll Grauen in die tiefen vergitterten Löcher , in die man die zuckenden menschlichen Überreste der Gladiatoren hinabgestürzt .
Furien !
Unwillkürlich mied ich die heiteren und suchte die düsteren Orte auf , die mit meiner Stimmung im Einklang standen .
In die Totenkammer der Kapuziner hatte er mich nicht führen wollen .
Nun ging ich allein hin .
All diese stehenden , liegenden , grinsenden und zähnefletschenden Mönche sind halbvertrocknete Mumien in ihren Ordenstrachten , die Kreuze in den Händen , in der Stellung von Lebendigen .
Und das ist eben das Gräßliche , daß aus diesen leeren Augenhöhlen noch eine Seele stiert .
Diese reichen Ornamente , diese Kronenleuchter und Kandelaber , sie sind aus Menschenknochen geformt , diese Nischen und diese Lauben bilden eine Totenarchitektur von grauenhafter Symmetrie .
Da ist ein Altar , ganz aus Schulterknochen errichtet , als Fransen hängen und baumeln kleine Fingerglieder herunter ; wenn ein Windzug durch das offene Fenster streicht , so klingen sie zusammen , grausige , grausige Totenglöcklein .
Diese armen , ans Licht gezerrten Totenreste , dürfen nicht Asche werden .
Den Fremden Trinkgelder zu entlocken , und ihnen das Gruseln zu lehren ist ihre Bestimmung .
Was für eine gottlose Phantasie trieb diese Mönche dazu , den Tod zu einer tragischen Fratze zu verzerren ? und das sind dieselben Priester , die sich fanatisch der Verbrennung der Toten , als einer Religionsentweihung , widersetzen . -
Mit einer Art finsteren Trotzes konnte ich vom Tod und Sterben nicht genug bekommen .
Ich ging ins Kloster St. Stefano di Rotonda .
Wie dort der Tod , ist hier das Sterben entweiht : eine Mördergrube .
Alle Wände sind mit Fresken bemalt , die alle denkbaren Martern der christlichen Märtyrer darstellen .
Der Anblick so massenhafter Qualen jagte mir eisiges Entsetzen durch das Blut .
Daß der Maler , der diese Bilder malte , nicht wahnsinnig wurde , als er sich in diese Martern vertiefte !
Und diese von Blut triefenden Bilder , sollen fromme Erhebung bewirken ?
Eher predigen sie Menschenhaß , denn Menschen waren diese Henker , die ihre Brüder , ihre Schwestern schlachteten !
Furien schütteln ihre Schlangenhaare .
Ich sah wieder Prozessionen , ich stand wieder auf dem Platz vor St. Peter , als unabsehbare Menschenmengen sich zu einer Kardinalsernennung drängten .
Und diesmal schaute ich finster auf all die Prachtentfaltung , auf diese vornehmen Priester mit den souveränen Gebärden , die sich ihre purpurnen Schleppen tragen lassen .
Was haben diese Monseigneur's mit Christi Lehre gemein , der Armut und Entsagung predigte ?
In der schauerlichen Abgeschiedenheit der Katakomben hielten die ersten Christen ihren Gottesdienst , und Jesus ritt auf einem Eselein durch Jerusalem .
Nun erschien mir dieses Gepränge , dieses Gemisch von Soldaten , Symbolik , Geheimnis und Hochmut , diese mittelalterlichen Hellebardiere , diese spanischen Ritter , Edelknaben , wie ein weltgeschichtlicher Karneval , ein abenteuerlicher Anachronismus .
Und er gemahnte mich an jene , in vollen Rüstungen aufrecht stehenden oder hoch zu Roß sitzenden Ritter , die uns in alten Waffensälen , Schlössern und Museen mit geheimen Schauder erfüllen , weil sie Leben und Wirklichkeit heucheln , und wir doch wissen , daß sie tot sind .
Und plötzlich kam mir ein Gedanke , ein lähmender : das Volk will den Glanz , er gehört bei ihm zur Frömmigkeit ; es würde seiner Religiosität Abbruch tun , wenn die ganze Geistlichkeit nur aus armen barfüßigen Kapuzinern bestände .
Das Volk will mit seiner Religion Staat machen .
Die Frömmigkeit des Volkes ist Kirchlichkeit .
Das Kruzifix mit seiner tiefen Symbolik ist ihm Schaulust .
Messe und Kirchenmusik , Hörlust .
Von Jesu Lehren weiß es nichts .
Und die Büßenden , die keuchend die scala santa hinaufknien , veredelt die Pönitenz sie ?
Sündigen sie hinfort nicht mehr ?
Warum denn nicht ?
Die scala santa ist ja immer da .
Und der Beichtstuhl auch .
Neue Sünden werden immer neu vergeben .
O wundertätige Glaubenskraft , schrieb ich einmal , heute schreibe ich :
O Kirchenhandel !
O Sakrileg !
Wer nicht von innen büßt , wird nimmermehr entsühnt .
Wie konnte ich nur dieses Volk noch vor wenigen Wochen um seine Kindlichkeit , seine Genußfähigkeit beneiden , diese Männer , die immer schreien und spucken , und ohne Scham sind , diese Frauen , die zu jeder Tageszeit mit struppigen Köpfen , in schmutzige Tücher gehüllt , aus den Fenstern sehen , oder vor den Türen kauern .
Ich dachte an das unsinnige Geschmettere auf der Piazza Navona , an das Jahrmarktstreiben auf den Kirchentreppen Ara - Cölis , an die Madonnen-Prozession mit den weißen Tauben .
Und ich hatte darüber gelacht .
War sie nicht zum weinen , diese barbarische Kindlichkeit !
Die grenzenlose geistige und physische Not dieses Volkes hatte ich wie ein unterhaltsames , zuweilen mit einer tragischen Nuance gewürztes Schauspiel genossen !
Die physische Misere !
Ach Arnold , ich brauchte das Schmerzlichste , Trostloseste nicht aufzusuchen .
Ich brauchte nicht ins Ghetto , nicht in St. Stefano zu laufen .
Ich hatte es ja vor Augen , immer , immer , auf Schritt und Tritt .
Die Bettler !
Die Bettler Roms !
Sind es Hunderte ?
Tausende ?
Hunderttausende ?
Wohin ich den Fuß setze , ich bin von ihnen umdrängt , umheult .
Sie verbrennen mir das Herz .
Ihr Anblick , ihre ungeheure Zahl erregen Entsetzen .
Oft lagen sie da , in scheußliche Klumpen geballt , ohne Arme und Beine , blind , mit Aufsatz , einer Schmutzkruste , mit ekelhaften Lumpen bedeckt .
Meine paar Soldes waren so bald vergeben .
Dann hielt ich dieses wahnsinnige , gierige Betteln , dieses Gekreisch oder dieses Wimmern nicht aus , und schämte mich doch meines Ekels , meines Hasses .
Sah ich auf der einen Seite ein armes Weib mit einem Kinde oder einen Einbeinigen sich heranschlängeln , so lief ich auf die andere Seite , ich hielt mir die Ohren zu , ihr böses Murmeln , wenn ich nichts gab , gellte mir wie ein Fluch in die Ohren .
Ich war immer auf der Flucht , als hätte ich Verfolger hinter mir .
Und es waren auch Verfolger .
Und mein böses Gewissen war auch dabei .
Die Schuld , die alle , alle , die die ganze Menschheit an dieser Hungeragonie trägt , ich habe ja Anteil daran .
Auf unserer aller Fersen : Furien !
Furien !
Mit Qual , mit Grausen empfand ich ihre Nähe .
Sie vertreiben mich aus Rom , die Bettler !
Meines Bleibens hier wäre nur , wenn ich mich daran gewöhnen könnte die Menschen zu sehen , wie man die Natur sieht .
Blutende Wunden und brechende Herzen nicht anders als etwa versengte , aufgerissene Erdrinde , Klagen und Schluchzen - ein Sturm , der vorüberbraust ; Hungernde und Dürstende gleich Pflanzen , die kein Tau und kein Regen netzt , und die darum welken müssen .
Warum duldet der Staat dieses Fürchterliche ? warum die Nation ? warum die Menschheit ? warum vor allem die Kirche ?
Die Kirche , dieser Atlas , der wenn nicht die ganze , so doch die halbe Welt auf seinen Titanenschultern trägt .
Die römische Kirche hat eherne Lungen .
Warum erschüttert sie damit nicht die Welt , und ruft sie auf zu einem neuen großen Kreuzzug der Menschlichkeit !
Freilich , Prälaten , die sich purpurne Schleppen tragen lassen , taugen dazu nicht .
Sie verteilt ja Suppen und Soldes , die römische Kirche .
Zum Lachen ! nein , zum Weinen - Tränen von Blut .
Und ich , ich konnte inmitten dieses Jammers in Schönheit schwelgen !
Wäre ich ein Mann voll starker Kraft , ich würde mein Leben daran setzen , diese Welt aus den Angeln zu heben .
Wolf Brant , der wollte es .
Er erfror im Schneesturm .
Wolf Brant ! wie kleinlich beurteilte ich ihn .
Weil er einmal einen sinnlichen Trieb nicht zu zügeln wußte , stieß ich ihn zurück .
Die Tiefe seiner Seelenkraft ermaß ich nicht .
Nun denke ich in seinen Spuren .
Und je mehr ich denke , je mehr staune ich .
Nein , hier in Rom ist meines Bleibens nicht .
Auf der einen Seite der Anblick des Massenelends , der mir Schauder auf Schauder durch den Leib jagt , auf der anderen Seite die Sinnenschönheit , die in goldene Schleier Geist und Seele einspinnt .
Gibt es nur Schönheit in Farben , Formen , Tönen ?
Der berauschest Duft , das süßeste Getöne , der zärtlichste Blick , die kosendste Stimme - nicht Sinnenzauber ?
Und die Götter selbst , die so herrlich hier in Marmor prangen , nicht falsche Götter ?
Zu viel Leib .
Zu heidnisch schön , zu fern dem Christusideal .
Götter , die selber liebten und zeugten wie die Menschen !
Kann ich nur einen Menschen , nur einen Mann lieben ?
Können wir nicht Ideen zärtlich hegen wie einen Geliebten ?
Gibt es nicht ein begeisterndes Erkennen , vor dem der herrlichste Sonnenuntergang verblaßt , und die Umarmung des Geliebten auch ?
Im Norden habe ich mich immer nach der Sonne des Südens gesehnt , nun verlange ich nach geistiger Sonne .
" Hat denn das Dasein überhaupt einen Sinn ? "
Schopenhauer wirft die Frage auf .
Noch hat sie niemand gelöst ; sie zu lösen , daran arbeiten seit Jahrtausenden die erlesensten Gehirne .
Und alle suchen den Kern des Menschendaseins , den Kern , der in die Ewigkeit hineinragt .
Der Kapuziner , der alte Jude im Ghetto , vielleicht auch der weiße , tote Baum in der Doria Pamphili , die wußten etwas vom Sinn des Daseins , und die Sphinx - -
Ich wurde wieder aus einer Kapelle fortgewiesen , weil irgend eine heilige Reliquie Weibern nicht gezeigt werden durfte .
Und über dem Altar dieser Kapelle hing eine Madonna mit der himmlischsten Hoheit im geistigsten Antlitz .
Ich , an Stelle dieser Madonna hätte , anstatt vergeistigt auszusehen , wie ein Drache Feuer gespien .
Draußen sah ich wieder auf dem Wege Scharen von Priestern , murmelnd , betend , auswendiglernend .
Frauen mit schwerbepackten Körben auf den Köpfen begegneten mir .
Ich sah in Osterien Männer , Karten spielend , Mora spielend , trinkend , spuckend .
Es fiel mir ein , daß Adalbert sich immer nur einen Knaben gewünscht hatte , um das Kunstwerk eines edelschönen Menschen aus ihm herauszubilden .
Mädchen waren nicht der Mühe wert .
Langsam stieg mir die Röte der Scham ins Gesicht .
Jason , ich weiß ein Lied .
Ich weiß etwas , was Andere nicht wissen , oder wenn sie es wissen , sagen sie es nicht .
Vermorschtes hält zusammen , so lange es eingesargt bleibt , sei es in einem menschlichen Gehirn , sei es in starren Sitten , sei es in einem wirklichen Sarge .
In Luft und Licht gelangt , zerfällt in Staub .
Klug ist die Zeit , so klug !
Unaufhaltsam schreitet sie ihrem Ziel zu .
Aber die Zeit hat auch ihre ungeheuren Dummheiten , ihre Gespensterkammern wie auch die klügsten der Menschen sie haben .
Und eine dieser Jahrhunderte-Dummheiten will nun in Luft und Licht gelangen , und in Staub zerfallen wird ein Riesen-Ghetto der Welt .
Jason , ich weiß ein Lied !
Jason wollte das Lied der Medea nicht hören .
Du wirst das meine auch nicht hören wollen .
Der Text verschwimmt mir noch , die Melodie aber rauscht wie mit Psalter und Harfe durch meine Seele .
Unter ihrem Zauber verwandelt sich alles .
Was schläft , wird erwachen , was krank ist , gesunden , und die bis jetzt nur am Saum des Lebens entlang krochen , sie sollen aufrechte , starke , stolze Menschen werden .
Lange , lange schon waren ein schmerzliches Grübeln und Wühlen , eine heiß ringende Auflehnung latent in mir gewesen .
Aber ich bin wie die Pflanzen , die den Wind brauchen , damit er den Blütenstaub zur Befruchtung weiter trage .
Der Wind weht !
Der Wind weht !
Der Wind ist , was ich innerlich und äußerlich in Rom erlebte , Wind all meine bittersten Enttäuschungen hier über Menschen , Volk , Religion , Wind vor allem die Verzweiflung an mir selber .
So überreich an quellender Innerlichkeit sind viele viele Frauen , aber sie können zu ihrer eigentlichen Individualität nicht kommen .
Umdornt von Vorurteilen , bleiben sie Fremdlinge der Menschheit , und leben ein fremdes , nicht ihr eigenes Leben ; arme Luftschifferinnen , die man nicht landen läßt , wo blühende Gestade ihnen winken .
Und da stürzen Viele , Viele hinab , gleichviel wohin , ins Weltmeer vielleicht , wo Wellen sie begraben , auf Felsen , wo sie zerschmettern , in Wüssten hinein , wo sie verhungern , wie ich - wie ich .
Warum ist mein Leben so leer und unstet gewesen ?
Ich weiß es jetzt .
All die Träumereien meiner jungen Jahre , die mir das Mark aussogen - Notanker einer Seele , die an das Heimatsufer nicht durfte .
All die Liebeleien mit Menschen , an die keine innere Verwandtschaft mich band - Notanker .
Meine Seele lag offen wie der Kelch einer Pflanze , um Sonne und Himmelstau zu trinken .
Man ließ mich Sonne und Himmelstau nicht trinken , da stillte ich meinen Durst aus trüben Quellen .
Da verkrüppelte ich und blieb unreif , dem Vampir Schmerz eine leichte Beute .
Warum ?
Weil ich ein Weib bin ?
Man streut Asche auf Feuer , damit es nicht brennen soll .
Und darum ist das Wesen fast aller begabten Frauen unserer Zeit Sehnsucht und Melancholie .
Die Sehnsucht mit den blassen Vergißmeinnichtaugen ist das Glimmen eines Funkens , der Flamme werden will , und Asche werden muß , ohne je geleuchtet zu haben .
Und Melancholie , ihre Schwester , schreitet , die dunklen Blicke abwärts gekehrt , über die Gräber von Seelen .
Und sie liest die Grabschriften :
Hier ruht eine Jugend , die ungenossen starb . -
Hier ruhen geniale Kräfte , die an der Mauer von Vorurteilen zerschellten .
- Hier ruhen Taten , die , ehe sie geboren , von Schatten und Träumen erstickt wurden .
- Hier ruhen Blüten , Blüten , die wucherndes Unkraut verdarb .
Ein ungeheures Staunen ergreift mich , daß das Ureinfachste : das Recht der Frau , Weg und Ziel ihres Lebens selbst zu bestimmen verneint wird .
Ich denke in Wolf Brant's Spuren .
Aber ich denke , was er nie gedacht .
Er wollte nur einem kleinen Bruchteil der Menschheit aus geistiger und physischer Not emporhelfen .
Ich will dasselbe tun für die größere Hälfte des Menschengeschlechts - für die Frauen .
Eine Weltrevolution , eine Geisterempörung die Millionen Parias von Staatswegen zu freien Menschen machen will von Rechtswegen , von Rechtswegen und von Gotteswegen .
Wie Tau fallen diese Ideen auf den verschmachtenden Boden meiner Seele .
Sie hellen meine Schwermut sonnig auf .
Ich liebe sie .
Sie begeistern mich .
Meine Erkenntnis ist ein immenses Erlebnis , das den Grund meines Wesens in zitternde Schwingungen setzt .
Es erfüllt mich mit einem Entzücken , das intensiver ist als das an aller Schönheit des Südens .
Süden aber ist auch in meinem Denken und Erkennen .
Denn es sprießt und blüht und flammt in mir .
Eine Flamme , die kerzengerade in den Äther steigt .
Ich bin der Menschheit etwas schuldig geblieben .
Etwas ? nein .
Alles .
Nun aber will ich denken und wirken für Andere .
Nun fühle ich eine Schöpferwonne , eine Freude ohne Selbstsucht , die rechte Freude , den schönen " Götterfunken , die Tochter aus Elysium " die Millionen umschlingende Freude .
Ein Apostelfieber kam über mich .
Ich sah mich als Engel mit der Lilie in der Hand , die frohe Botschaft , die mir wurde , weitertragend , hinaus in die Hütten der Enterbten , der Mühseligen und Beladenen .
Um Ideen in Taten umzuwandeln bedarf es Vieler .
Ich kannte einige Malerinnen , die , fast ohne Schulung ein bisschen pinseln gelernt hatten , und sich nun von einem Tag zum anderen mühselig durchstümperten .
Ich kannte auch einige Lehrerinnen , die im Norden , in einem dürftigen , freudlosen Dasein , bei übermäßiger Arbeit , schwindsüchtig geworden waren , und die nun nach dem Süden gekommen waren , um wieder in Dürftigkeit und Freudlosigkeit , bei harter Arbeit , dem Tod noch eine kurze Frist abzulisten .
Zu denen ging ich und ich verkündete ( die Verkündigung , fürchte ich , war ein Stammeln und ganz ohne weiße Lilie ) ihnen mein neues Menschentum .
Und ihre Antwort ?
Sie lachten .
Und wie sie lachten !
Sie hörten gar nicht auf zu lachen .
Das rauhe Getöne ihres Lachens entnervte mich .
Erstaunlich ! erstaunlich !
Man zeigt diesen Fronenden den Eingang zu einem Land , wo Milch und Honig für sie fließt , und - sie gehen vorbei , und sind noch so ziemlich vergnügt dabei .
Dein Wort , Arnold , fiel mir ein , daß ein vergnügter Sperling eigentlich besser daran ist , als ein trister Adler .
Aber nein - dreimal Nein .
Sie haben Unrecht und Recht habe ich .
Ich glaube mir . Ich habe ja meine Erkenntnis , meine Wahrheit intensiv erlebt .
Das Feuer des Schmerzes hat sie mir in die Seele geätzt , mit meinem Herzblut habe ich sie genährt .
Davon ist sie stark geworden und unzerstörbar .
Alle , alle , die am Kreuz gehangen , warten auf eine Auferstehung - wie ich .
Womit übertöne ich ihr Gelächter ?
Mir fehlt das Temperament für den Kampf .
Müssen denn immer Worte wie Trommelwirbel sein , damit sie die Menschen emporreißen , daß sie aufhorchen :
Da kommt Großes , Schöpferisches ?
Müssen Ideen , revolutionierende , daherbrausen wie der Sturm , jäh , Schauder erweckend ?
Vielleicht .
Uralte , granitfeste Mauern wie die vor dem gelobten Lande , stürzen nur vor Posaunenklängen .
Und die kleine Flöte die ich blase , ist Geflüster .
Nur Feinhörige vernehmen es wohl .
Nicht Flötentöne , Fanfaren wecken Schlafende .
Wolf Brant !
Wolf Brant !
Meine Wahrheit ist ihnen Narrheit , Unsinn , Wahnsinn .
Wer verträgt es , als Narr verlacht zu werden .
Womit übertöne ich ihr Gelächter ?!
Arnold , Arnold , Du hast_du_das gewußt , und hast geschwiegen .
Für so feige , hast Du mich gehalten .
Woher ich es nun weiß , daß ich eine Todeskandidatin bin oder war ?
Philomela hat mir_es verraten .
Sie hatte Fieber .
Ich drang in sie , sie sollte einen Arzt holen lassen .
Sie wollte nicht .
Die Ärzte wüßten nichts , dichteten einem bloß Krankheiten an , sagten einem den Tod auf den Kopf zu , und nachher liefe man noch Jahrzehnte gesund umher .
Hätte man nicht eine gewisse Marlene Bucher als Schwindsüchtige , als Todeskandidatin nach Rom geschickt ? und nun wäre sie von Tag zu Tag gesünder geworden .
Mir stand das Herz still .
Ich bezwang mich gewaltsam , und fragte ruhig und lächelnd , woher sie das wisse ?
Signore Arnoldo hätte mit dem Arzt gesprochen , italienisch , die Tür des Nebenzimmers wäre offen gewesen , und da hätte sie alles gehört .
Der andere Arzt , der von Berlin , hätte ja auch an den Arzt hier , all das von der Schwindsucht geschrieben .
Jetzt könne sie darüber reden , da ich doch so munter wäre wie ein Fisch im Wasser .
Du hast_du_das gewußt , und Walter auch .
Er hat geglaubt , ich sterbe , darum hat er so schnell in die Reise gewilligt , so freundlich von mir Abschied genommen .
Er dachte , ich sterbe .
Ich kann mich von der Vorstellung nicht losmachen , er hat es gern geglaubt .
Wie er sich wundern muß , daß es mir gut geht .
Würde er sich freuen , wenn ich gesund zurückkehrte ?
Ach nein , ach nein , - da kehre ich nie zurück - nie - lieber wirklich sterben .
Ich - sterben !
Jetzt !
Nein .
Unendliches habe ich noch zu denken .
Was eben erst glühend und blühend in mir erwacht - zu Ende schon ?
In dem stillen Kahn hinunter zur Toteninsel , wo die düsteren Zypressen stehen , vorbei an seligen Ufern mit Wein- und Rosengehängen .
Und nie wieder erglänzen sie mir - für immer meine Augen geschlossen ?
Er war auf meinen Fersen , der Todesengel , dicht hinter mir , und ich sah ihn nicht .
Und mir ist als wäre er noch hinter mir .
Sein kalter Atem bläst mich an .
Ich höre über mir das Rauschen seiner Flügel .
Jenen Reiter , der ahnungslos den furchtbaren Ritt über den gefrorenen Bodensee machte , tötete hinterher das Entsetzen .
Auch mich überrieselte es kalt , eiskalt .
Zwar tötete mich nicht das Entsetzen , aber stille Schauder lenkten mir die Blicke nach innen .
Und umgekehrt wie jener Reiter , sehe ich nun das Leben , das hinter mir liegt , wie einen Todesritt , einen Ritt , vorbei an Höllen , in denen unheimliche Gluten loderten .
Hinweg über schlammiges Erdreich mit tanzenden Irrlichtern , durch Wildnisse hindurch voll Gestrüpp , Dornen , Schlangen .
Mein Gott , von rechtswegen müßte ich jetzt tot sein .
Und wäre ich tot , so arm wäre ich in die Grube gefahren , keine Spur meines Daseins hinterlassend ; und das Leben wäre kaum mehr für mich gewesen als eine Wüste , in der man von Oase zu Oase zieht , und wenn an einer Stelle der Quell ausgetrunken , die Früchte verzehrt sind , zieht man weiter zu einer neuen Oase , bis wir keine Oasen mehr finden , und der Sand der Wüste - Alter oder Krankheit - uns aufsaugt , verweht .
Nun sehe ich alles in einem anderen Licht .
Wen der Tod gestreift - und streift er mich nicht noch ? - und wer bewußt in sein eisig erhabenes Antlitz geblickt , der bewahrt etwas zeit- und erdentrücktes .
Er redet , nicht mehr laut .
Er hat Ewigkeitsbilder geschaut .
Ich verstehe , was die Flügel des Todesengels mir gerauscht .
Sie rauschten auch hin über meine Ideen der Frauenbefreiung , sie entkörperten gewissermaßen meine Gedanken ; ich erkannte , daß auch sie nur Zeitwert haben ; ich erkannte , daß in einer natürlichen historischen Entwicklung die Frauen einst alle Rechte haben werden , die auch für sie " unantastbar wie die Sterne am Himmel hängen . "
Und wer weiß , vielleicht gehört ihnen schon das 20. Jahrhundert .
Fast noch vier Jahrzehnte , ehe es beginnt .
Ich erlebe es nicht .
Und die Eroberung dieser Rechte wird auch nur eine Etappe in der Weltnotwendigkeit sein .
Neue Fragen , neue Rätsel werden auftauchen , neue Schläfer werden kommen , neue Wecker .
Laß sie lachen ! laß sie schlafen !
Ich suche nicht mehr , womit ich ihr Gelächter übertöne .
Ich ertrage es als Närrin verlacht zu werden .
Ich suche wie ich der Ewigkeit des Todes entrinne .
Ich ging an die stillsten Orte .
Im heiligen Hain der Villa Medici wollte ich das Orakel fragen .
Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war , stieg ich von den Stufen des Tempelchens herab .
Schon einige Schritte von der Treppe entfernt , wendete ich mich noch einmal um .
Da kam noch jemand die Treppe herab .
Ein Schauder überlief mich .
Es war doch niemand oben gewesen .
Ein weißes Priestergewand hob sich aus dem Dunkel .
Der Priester , den ich nun deutlich erkannte , hielt einen Zypressenzweig in der Hand .
Den Kopf hatte er tief gesenkt , ich konnte seine Züge nicht erkennen .
Langsam kam er auf mich zu , und im Vorüberschreiten , mit einem Blick mich streifend , legte er mir den Zypressenzweig auf den Kopf .
Sein Blick - ich erbebte .
War das nicht der Fremde aus meiner Kindheit ? Dieselben wimperlosen Augen mit dem strahlend durchdringenden Blick .
Und war das das Orakel ?
Und sein Sinn ?
Schweigen ?
Schweigen , weil wir doch die Rätsel der Sphinx nicht raten ?
An einem Tag war ich der Rätsel müde , und auch des grübelnden Denkens .
Und ich gedachte der naiven Einfalt des Dominikaner's , der so kindlich fromm die Hände faltete und zu seinem lieben alten Vater im Himmel betete , daß er seine Petersilie und seine Orangen schön wachsen lasse .
Ich stieg nach San Sabina hinauf .
Und ich sprach mit dem Mönch von meines Herzens Not .
Zuerst hielt er wieder die Rede aus dem 15. Jahrhundert .
Er fühlte aber bald , daß ich keinen Trost daraus schöpfte .
Er ging hinauf in seine Zelle .
Als er zurückkam , hielt er ein Kruzifix in der Hand .
Er küßte es , gab es mir und zeigte auf die Inschrift :
" Sei still , ich bin bei Dir . "
Eine schöne , schöne Inschrift .
Ich bewegte sie in meinem Gemüt .
Aber es war doch auch wieder ein Rätsel , nur ein silbern , Lichthimmelblaues .
Ich kehrte zurück zu dem dunkelpurpurnen meiner Sphinx in der Villa Matthäi .
Die unergründliche Tiefe und Stille in ihren Zügen berührte mich wieder mit geheimnisvollem Schauder wie der Anblick des Ozeans wenn der Wind nicht weht .
Und diese meertiefe Stille glich fast einer glühenden Beredsamkeit , wie ja unter gewissen Bedingungen Feuer und Eis dieselbe Wirkung hervorbringen .
Und wieder rieselte es von dem Felsstück herunter über ihre Stirn wie von unendlichen Tränen .
Warum war der Finger von Gold ?
Ich bin auf der Fährte einer neuen Schönheit , die in die Ewigkeit hineinragt .
Und meint man , das gibt es nicht ?
Nichts gäbe es , was in der " Flucht der Erscheinungen bleibend " wäre , keine Schönheit , die nicht verblühe , keine Weisheit , die nicht eine neue Weisheit ablöste ?
Wer weiß es ?
ich nicht .
Aber die Anderen wissen es auch nicht .
Ein tiefes , tiefes Wort , das wir lesen oder hören , ein wunderbarer Traum , ein außerordentliches Erlebnis - und es durchzuckt uns blitzartig , ein inneres Auge , das sonst geschlossen war , öffnet sich , und in einer Vision hebt sich ein Schleier - -
Als ich an jenem 18. März die große , wilde Frage in dem starren Auge des Toten vor der Dreifaltigkeitskirche las , als Traut starb , als nach der Geburt meines ersten Kindes der Tod mich streifte , als Charlotte von mir ging , und ich wußte , daß ich sie nicht wiedersehen würde , da war_es mir jedes Mal als hörte ich das Atmen - ja - wovon ? einer Weltseele ? von etwas , das außer mir war , und doch auch in mir , das mich emporhob - etwas Fernes , Schwebendes , Großes - Seitdem ich auf der Fährte einer neuen Schönheit war , kam mir der bunte Kram in meinem Zimmer so kleinlich vor , die grünen und die roten Gläser , die Decken und die Teppiche , die Väschen und die Sträuße .
Ich entfernte alles .
Und auf einen weißen Tisch stellte ich das Kruzifix :
" Sei still , ich bin bei Dir . "
Und so gern , so gern hätte ich die Sphinx gehabt , die Sphinx mit dem goldenen Finger .
O Sphinx , Du wunderbare , geheimnisvolle , mit den Tränenbächen , die über Deine Stirn rieseln , und die Du nicht weinst .
Du weißt - Du weißt - Arnold , Arnold , mein Geist fängt an , seltsame Wege zu wandeln .
Und nun geschah , was mein Schicksal bestimmte , was kommen mußte .
Um einem feinen Sprühregen zu entgehen war ich auf einem Spaziergang , auf der Höhe von Trinita de Monti in die Kirche getreten .
Vor dem Hochaltar brannten die Kerzen .
Reihen junger Mädchen saßen da , in weißen Schleiern , einige mit weißen Rosenkränzen .
Der Chor , wo die Orgel steht , war schwach erhellt .
Die goldenen Säulen der Orgel schimmerten aus dem zarten Licht , als stände da oben eine mystische Götterburg .
Und die Nonnen und die jungen Mädchen erhoben ihre klaren , süßen Stimmen zum Lobe Maria's , und sie sangen so rein und so fromm , sie sangen Bilder Fiesoles oder Domenichinos .
Der Gesang war zu Ende .
Nur die Orgel tönte fort und fort , tönte immer zarter , immer ferner , immer heiliger , Töne wie in weißen Schleiern , perlende Tränen in Lilienkelchen , ein leises Rauschen von Engelsfittichen , selige Seufzer , mit denen die Seele vom Irdischen sich losringt .
Da hebt der Priester die Monstranz .
Er hebt sie hoch empor : Gott ist da .
Das große Mittelportal der Kirche wird weit geöffnet .
Das Gewölk am Himmel hat sich zu einer dünnen Dunstschicht über den ganzen Horizont verbreitert .
Die untergehende Sonne durchleuchtet den zarten Dunst , und taucht ihn in goldiges Rosenrot .
Der ganze , weite Himmel eine singende Seligkeit , eine flammende Riesenglocke , die ins Herz der Staunenden da unten frommes Erschaudern läutet .
Drinnen , in der fast dunklen Kirche erlöschen die letzten Altarkerzen , geisterhaft entschweben die letzten zärtlich süßesten Orgeltöne , und draußen - das in Erzengel- Wollust aufblühende , aufglühende Firmament .
Warum lagen nicht alle auf den Knien vor diesem Flammenzeichen !
Eine Fortsetzung war_es der heiligen Handlung drinnen .
Gott selbst hielt hier in ewigen Händen die Monstranz .
Gott war da !
Meine Augen füllten sich mit heiligen Tränen .
Plötzlich trafen sie mit einem anderen Augenpaar zusammen .
Wunderbare , graue , leuchtende Augen , die tief , klar , forschend auf mir ruhten .
Die Augen gehörten einer Frau .
Seltsame , graue Gewänder trug sie , mehr eine priesterliche Hülle als ein Frauenkleid .
Sie erschien groß ohne groß zu sein , weil an ihrer Erscheinung etwas war , das alle Anderen überragte .
Als unsere Blicke sich trafen , das war einer jener Momente , wo ein inneres Auge in mir , das sonst geschlossen war , sich auftat .
Mir war es als hätte ich diese Frau längst gekannt , von jeher , immer gekannt .
Eine große , innere Freude bemächtigte sich meiner , wie , wenn man einen Geliebten , den man verloren hat , wiederfindet ; und zugleich eine Angst , daß sie sich wie eine Vision wieder von mir verlieren könnte .
Aber sie verlor sich nicht .
Die wunderbare Frau trat zu mir heran .
Sie redete mich an , italienisch , daß sie rein und fließend sprach .
Sie zeigte auf den Himmel :
" Wie der Blütenkelch des Rosenroten heiligen Sonnenlotos , wenn seine Geliebte , die Sonne , ihn geküßt . "
Wir gingen zusammen auf den Monte Pincio und blieben dort , bis der Garten geschlossen wurde .
Wir trennten uns - zwei Schwestern .
Jeder Tag vereinte uns aufs neue .
Sie heißt Helena .
Sie ist ganz international .
Ich glaube in Rußland geboren , in England erzogen .
Viele Jahre hat sie sich im Orient aufgehalten .
Die Heimat , die sie sich selbst gewählt ist Indien .
Dort hat sie eine Gemeinschaft , wenn Du willst eine Religion ins Leben gerufen .
Das heißt , sie ist nicht die Stifterin der Religion , sie ist die Verkünderin , die Botin , von Größeren entsandt .
Man weiß davon noch wenig im Westen .
Man wird in Zukunft davon wissen .
Ich mußte Helena begegnen .
Mein ganzes Sinnen war auf sie gespannt gewesen .
Seitdem ich ihr gehöre , komme ich Dir wieder näher mein Arnold . Habe ich Dir nicht für Dein Haus die Inschrift geschenkt " Weiß und weise ? " das könnte die Inschrift des Tempels sein , in den Helena mich geleitet .
Gleitest Du nicht dahin weiß wie ein Schwan mit der Eule über Deinem Haupt ?
Das könnte fast das Emblem der Theosophie sein .
Theosophie - göttliche Weisheit - heißt die neue Religion .
Charlotte lehrte mich die Gesellschaft kennen , Adalbert die Schönheit , von Helena lerne ich Weisheit und echtes Menschentum .
Ich sitze zu ihren Füßen , ich bin ihre Schülerin , ihre Jüngerin geworden .
Ich habe gefunden was ich suchte : eine Gemeinschaft , fernab von der Nur-Sinnenwelt , eine Gemeinschaft , wo niemand nach dem Geschlecht fragt , nicht fragt : wer bist Du ? wo kommst Du her ?
Eine Gemeinschaft wo man nicht Sturm und Flamme zu sein braucht , um der Wahrheit teilhaftig zu werden .
Helena hat nichts vom Sturm und der Flamme .
Ihr Denken blüht still und blumenhaft , intuitiv , wie von selbst , oder wie unter dem Hauch eines göttlichen Atems .
Sie verkörpert Güte , Liebe , Frieden .
Ihre Züge tragen den Ausdruck lichter Ruhe und vollkommener Reinheit , aber auch den eines machtvollen Willens , den Ausdruck zugleich von Sieg und Frieden .
Sie kann aber auch von bezaubernder , kindlicher Heiterkeit sein , und zuweilen scheint sie von einem Heiligenschein umglänzt .
Ich bin so ruhig , wenn sie bei mir ist , und stark und mutig .
Der Frieden , der Seelenduft , der von ihr ausgeht , teilt sich mir mit .
Sie ist mit wundersamen Kräften begabt .
Sie sieht und hört in die Ferne , sie weiß immer , was in mir vorgeht .
Sie kennt die Schicksale meiner Seele .
Von den Einzelheiten der Lehre schreibe ich Dir nichts .
Sie wird in die Welt dringen , sie wird auch zu Dir gelangen .
Verwirf sie nicht gleich .
Höre hin ; prüfe , denke daß Deine Marlene dabei ist .
Nur das eine : Ihr Kern ist so einfach , so einfach , so klar , so klar , so gut , so gut .
Der Kern ist : die Menschenliebe leben .
Ihr Kern ist die Verbrüderung aller Menschen .
Es gibt so viele lächerliche Christen , die so fromm sind , so fromm , sie predigen Selbstverleugnung und Demut , und nebenbei meinen sie , die Welt müsse untergehen , wenn sie sich etwa mit ihrem Diener zu Tisch setzen sollten .
Alle Menschen Brüder !
Aber der katholische Priester verdammt die protestantischen Seelen zu ewigen Höllen .
Systematisch wird der Haß einer Rasse gegen die andere großgezogen , man tötet , mordet , verleumdet , beschimpft einander .
Aber alle Menschen Brüder !
So lächerlich !
Sie leben ja das Gegenteil der Verbrüderung .
In der Theosophie sind auch alle Rechte , die bis jetzt dem Weibe vorenthalten wurden , einbegriffen und die radikalsten Forderungen der Demokratie auch .
Diese reine Lehre kennt keine Geburts- keine Geschlechtsvorrechte .
Gerechtigkeit , Brüderlichkeit steht in goldenen Lettern auf ihrer weißen Fahne , die sie über alle Länder und Nationen hinrollen läßt , von Tauben umflattert , von Flöten und Harfen umklungen .
Diese idealste aller Religionen hat keine Dogmen .
Ihr Glaube : die Veredlung der Menschheit .
Ihr Gottesdienst : reines , edles Wirken im Dienst der Menschenliebe .
Ein Lichtquell will sie sein , in dem alles zusammenfließt , was rein , weise und gut ist .
Und es ist auch so ureinfach , was ich in der neuen Gemeinschaft will .
Gut werden will ich , ganz einfach gut , frei von allem , was nicht zu mir gehören soll , nicht soll .
Gehrung und Zwischenstadium war bisher mein Dasein .
Nun will ich ganz werden und rein und hell .
Wie eine Morgenglocke klingen Helena's Worte in mein Innerstes .
Psyche hat sich von den Rosenketten Amor's losgerungen , sie wird noch stärkere Ketten brechen und frei und stolz wird sie die Flügel regen ; nicht mehr in die Ferne , - in die Höhe will sie - meine entfesselte Psyche .
Aus eigener Kraft kann ich nicht werden .
So ein bißchen Mensch wie ich bin , bedarf der Hilfe , einer Gemeinschaft , die ihn stützt , damit er nicht wieder in die Sümpfe und Wildnisse seines eigenen Inneren gerät .
Ein großes Staunen über mein eigenes Rätselwesen ergreift mich .
Es scheint , ein ganzes Leben , mit all seinen Entwicklungen , und Wandlungen gehört dazu , um sich selbst zu ergründen .
Wo fange ich an ? wo hören die Anderen in mir auf ?
Ich weiß es nicht .
War ich die Leichtfertige , die einige Jahre in den seichten , trüben Gewässern der schlechten Gesellschaft mitschwamm ?
Nein .
War ich die Sklavin , die sich vor der Mutter , den Brüdern , dem Gatten fürchtete ? nein .
Ich , das verschüchterte Geschöpf zwischen Taube und Gans ?
Aber nein , nein .
Wer bin ich ? immer nur Erbe all der Generationen , die vor mir waren ?
Erbe all ihrer Krankheiten des Geistes und des Körpers ?
Den alten Erbschaften , die mich überwuchern , zu entschlüpfen , wie die Schlange ihrer rissigen Haut , dazu soll mir die Religion Helenas verhelfen .
Siehst Du Arnold , ich glaube , daß die Menschheit sich so hoch entwickeln wird , so hoch bis zum Engelthum .
Und ob es nicht schon jetzt Ätherwesen gibt , Sonnengeschöpfe , die nicht essen , die nicht zeugen und nicht sterben , die wie denkende Blumen durch alle Ewigkeiten blühen ?
Ich weiß es nicht .
Wissen es denn die Anderen ?
Nun werde ich ganz von innen bewegt .
Mir ist , als wenn ich in einem Treppenhause mit Oberlicht von den dunklen Stufen unten , immer aufwärts gestiegen wäre , und je höher ich komme , je heller wird es .
Und ganz oben wird es am hellsten sein .
Und endlich werde ich in einer Lichtflut stehen , in einer neuen blühenden Welt .
Nicht mehr zieht mich dahin wo " im dunklen Laub die Goldorangen blühen . "
Die Lotosblume hat mir_es angetan ; der heilige Sonnenlotos mit dem Rosenroten Blütenkelch , der wie eine Glocke über den Wassern des Ganges schwebt , und auch der süßduftende Mondlotos mit den weißen Blüten , die zart sind wie Mondstrahlen .
Immer muß ich bei der Lotosblume an Traut denken und ich träume von ihr als einer Lotosblume .
Der Kelch , ihr süßes Angesicht , die Blätter goldene Strahlen , die das holde Köpfchen umrahmen .
Ein Engel mit zarten Flügeln schwebt sie vor mir her .
Wohin wird sie mich führen ?
Ich bin nie von der Vorstellung losgekommen , daß Traut irgendwo in reiner Verklärung weilt .
Und nun komme ich nicht davon los , daß ich ihr in Indien näher sein werde als sonst wo im Weltenraum .
Und wäre die Theosophie nichts als eine erhabene Dichtung , und Helena eine ihrer Dichterinnen , ich würde ihre Atmosphäre doch wie Weihrauch atmen .
Besser auf ein falsches Geleise geraten als auf ein totes .
Man fährt dann wenigstens irgend wohin , und mit dieser Lehre sicher nicht zur Hölle .
Du wirst auch erfahren , daß die Theosophie eine mystische Seite hat .
Verwirf auch diese nicht gleich ; sage nicht Unsinn .
Höre hin , prüfe , denke , daß Deine Marlene dabei ist .
Es gibt in Indien Weise , Auserwählte , die im Verborgenen leben .
Alles was Seher , Propheten , Denker , durch alle Jahrhunderte hindurch erkannt , erforscht , was sie in Visionen und Verzückungen geschaut - die indischen Weisen und Meister sind die Wisser und Wächter dieser unermeßlichen geistigen Schätze .
Und in ihren erdentrücktesten Extasen werden sie emporgetragen , dahin , wo der unsterbliche Funke ihres Geistes mit der Flamme des göttlichen Weltgeistes zusammenglüht .
Beweise für diese Möglichkeiten willst Du ?
Die habe ich nicht .
Menschen stärkster Intelligenz haben an einen persönlichen Gott geglaubt , und glauben noch daran - ohne Beweise .
Freilich , unser Religionslehrer in der Schule , der hatte Beweise ; er diktierte sie uns sogar in die Feder .
" Gott ist allwissend - diktierte er - allmächtig , allgegenwärtig - schreiben Sie in Parenthese : Wandertanten , Heringe . "
Ich möchte beinahe glauben , daß Wahrheiten und Weisheiten , die , ihrer Zeit vorauseilend , das Gepräge der Zukunft tragen , immer zuerst von erlesenen Geistern als Intuitionen empfangen , in geistigen Visionen geschaut wurden .
Und hinterher - vielleicht - bewies sie die Wissenschaft .
Wie ? dürfen wir nur an die Wunder glauben , die uns von jeher gelehrt wurden ? daran , daß Jesus , daß Moses zaubern konnten ?
Warum sollten , im Sinn dieser Seher , nicht auch die indischen Meister zaubern können ?
wenn zaubern heißt : erkennen , wissen , wirken , was Alltagsmenschen versagt ist ?
Warum soll ich mich so fanatisch an das klammern , was gerade von der heutigen Welt erkannt und anerkannt ist , und was vielleicht spätere Jahrhunderte zu den vorgeschichtlichen Naivetät zählen werden ?
Im Erdboden ist der Sonnenschein aller Jahrhunderte enthalten .
Hinterlassen nicht ebenso die Geistesentwicklungen aller Jahrhunderte Spuren in jedem Menschengeist ?
Spuren , die für die meisten in Dunkel gehüllt bleiben .
Und diese Spuren , könnten sie nicht für das innere Auge von Sehern leuchtend werden , und leuchtende Bilder auch zukünftiger Zeiten sich ihnen enthüllen ?
Reminiszenzen , Spiegelungen von Zuständen , die sie in ihren Verzückungen in höheren Welten geschaut ?
Ist immer nur das wahr , was der Mensch in seiner Alltagsverfassung ertasten und begreifen kann ?
und was tief aus unserem Innersten redet - Traum und Schaum ? nichts die Blitze in unserem Geist , die sekundenlang das Dunkel in uns wie mit Morgenröte überschimmern ?
Das ist unser Recht , unsere Ehre , unser starker , göttlicher Instinkt , daß wir uns mit jedem Nerv , mit jedem Blutstropfen , mit jedem Denkatom dagegen sträuben nichts zu sein als ein Bündel von Muskeln und Knochen , nach wenigen Jahrzehnten tot zu sein , ganz tot , ewig tot .
Was Licht in uns ist , will zum Licht , wie Staub zum Staube will .
In welchem Lebensalter wir uns auch befinden , unser Blick ist immer auf die Zukunft gerichtet .
Wie sollte der Greis , die Greisin , die ihr verrunzeltes Gesicht im Spiegel sehen , glauben , daß sie das sind , sie weiter nichts als diese welke , oft groteske Hülle ?
Und sie fühlen , sie wissen doch , daß sie innerlich weiter blühen und wachsen , immer höher hinauf ; und unter der eingeschrumpften Haut erspähen sie ihr wahres Gesicht , schöner und jünger vielleicht als es in ihrer Jugend gewesen .
Würden wir getrost einschlafen , wenn wir wüßten , wir würden am nächsten Morgen nicht erwachen ?
Glaubten wir an die Ewigkeit des Todes , wie könnten wir ruhig schaffen und wirken , ohne in Stunden der Verzweiflung die Flinte ins Korn zu werfen , mit der entsetzten Frage :
Wozu ? warum ?
Gewiß Arnold , ich spreche nur aus , was viele , viele empfinden ; sie schweigen aber aus Furcht , man könnte sie für Zurückgebliebene halten , und sie möchten nicht weniger klug erscheinen als die Klügsten .
Ist es wirklich so absurd , so der schwarzen Magie verdächtig , an einen Kern in uns zu glauben , der in die Ewigkeit hineinragt ? daran , daß von einem gottdurchseelten Weltatem , der aller Dinge Werden und Vergehen bedingt , auch ein Hauch in uns ist , und daß eben dieser Hauch unser eigentliches , unvergängliches Ich ist !?
Ich glaube daran ; wenigstens glaube ich , daß ich daran glaube .
Keine Gräber mehr , über die die Melancholie schreitet , denn der Tod ist eine Knospe , aus der eine neue Blume blühen wird .
Und die Sehnsucht ist still geworden , denn der göttliche Funke in mir - abgesprüht von der großen Flamme , die ihn immer aufs neue nährt - kann nicht Asche werden .
Wachsen , wachsen ohne Ende wird mein Geist .
Mit hundert Augen werde ich sehen , mit hundert Ohren hören .
Erfahren werde ich , was der Kapuziner , was der alte Jude im Ghetto , was der tote weiße Baum mir sagen wollten .
Ich reife tiefen Mysterien entgegen .
Eine grenzenlose Hoffnung ist in mir .
Und treibe ich noch auf offenem Meer , ich sehe schon das Land ; Ich sehe am Ufer Wunderblumen blühen , Wunder auch in meinem eigenen Geist .
Anstatt der Sekundenbilder berauschend roter Abendbeleuchtungen - Ewigkeitsbilder der Schönheit .
Meine Seele ist aus dem Fegefeuer gesprungen .
Nun will sie gleich in den siebenten Himmel .
Zu den sechs anderen habe ich keine Zeit mehr .
Vergehen will ich in Gottes Schoß .
In meinen reinsten , tiefsten Momenten sehe ich wieder das Portal der Kirche auf Trinita de Monti sich öffnen , ich sehe über mir das Firmament wie den Kelch des heiligen , roten Sonnenlotos .
Gott ist da .
In mir .
Ein Brief von Julie .
Sie war in Berlin .
Sie hat meinen Knaben gesehen .
Es geht ihm vortrefflich .
Sie hat mit Walter gesprochen .
Er willigt in eine Scheidung .
Und dann - - Du liebst mich , schreibt sie .
Ich soll Dein Weib werden .
Ach , lieber , lieber Bruder , ich kann Dein Weib nicht werden , weil ich Dich nicht liebe , wie die Gattin den Gatten lieben muß .
Du warst vielleicht zu hoch , zu fein geartet für solche Liebe .
Sinnliche Triebe werden still , wenn ihr Herr , der Geist redet .
Und wer weiß , vielleicht würdest Du mich gar nicht mehr wollen Arnold .
Ich habe auch Dir mein eigentliches Wesen nicht gesagt , aber nur , weil ich es selbst nicht kannte .
Wir werden uns vielleicht nicht wiedersehen , und wenn auch , Du würdest eine Andere finden , als die Du verließest .
Die Du kanntest und liebtest , Deine stille , kleine , bescheidene Freundin gehört der Vergangenheit an .
Meine Augen werden immer größer .
Meine Gesichtszüge verändern sich .
Ich bin erstaunt , wenn ich mich in dem Spiegel sehe .
Alles Linde , alle Weichheit , alles sehnsüchtig bange fort , nichts mehr von Hase und Gazelle .
Ein langes , schmächtiges Gesicht ; ich ähnle den Römerinnen auf Feuerbach's Bildern .
Nur so schön bin ich nicht .
Bitte , lieber Arnold , kümmere Dich um meinen Knaben .
Und dennoch , dennoch Arnold , ich habe Stunden , wo heimlich , ganz heimlich die Qual des Zweifels mich beschleicht .
Wie ? wenn ich auch jetzt nicht den richtigen Weg ginge ?
Ein Wort meiner Mutter fiel mir ein , die , wenn ein Kind zu viel von einer Speise verlangte , zu sagen pflegte : Deine Augen sind größer als Dein Magen .
Ist so vielleicht meine Seelengier größer als meine Vernunft ?
Und zuweilen , wenn ich am Altar meines neuen Glaubens knie , höre ich es flüstern :
" Wie Marlene , wenn es nun bloß Dein kranker Leib wäre , der tiefer nach dem Süden will , sich in die Ruhe indischer Beschaulichkeit zu versenken , nur um zu leben ? "
Und es flüstert weiter : " Am Ende weiter nichts als eine neue Liebschaft .
Du bist in die wunderschöne Sphinx verliebt , die Sphinx mit dem goldenen Finger . "
Und eine andere Stimme :
" Du willst ja doch nur wieder träumen , nur , während Du früher Märchen-und Herzensgeschichten träumtest , willst Du jetzt Ideen träumen .
Von weißen Perlen reiner Gottmenschlichkeit willst Du träumen , von roten Rubinen unermeßlicher Menschenliebe .
Verklärte , selige Träume , Träume der Ewigkeit , aber doch Träume - Träume .
Was zog Dich denn in die katholischen Kirchen ? nicht das Verlangen nach Poesie , erhabenen Tonbildern , wollüstiger Mystik ?
Bist Du sicher , daß es nicht auch jetzt Sensationslust ist , die Dich nach Indien treibt ?
Am Ende noch immer das rote Glas Deiner Kinderjahre und die Meerfahrten im Waschfaß !? "
Und mit einem Mal fing das Stimmchen an zu singen , und spaßig und wehmütig zugleich sang es : " Maikäfer fliege , Dein Vater ist im Kriege , Deine Mutter ist im Pommerland , Pommerland ist abgebrannt .
Maikäfer fliege . "
Wenn Helena ihre schönen , biegsamen Finger , die wie weiße Lilien sind , auf meine Stirn legt , so weichen die flüsternden Gespenster .
Aber sie kehren wieder , die Stimmen , wie lästige Insekten , die stechen .
" Du willst Dich ja doch nur vor der großen Sündflut retten , spotteten sie , und deshalb kletterst Du immer höher und höher hinauf , und auf Deiner Bergspitze , da wirst Du nun harren und harren , und hoffen und hoffen , daß das Wasser Dich nicht erreiche .
Und das Wasser wird Dich doch erreichen . "
Und zu guterletzt ein kicherndes , ein ganz schadenfrohes Flüsterstimmchen :
" Du Marlene , am Ende hatten sie alle , alle recht , und Du bist doch dumm , einfach dumm .
Und das mit Indien ist nur eine neue Phase Deiner Dummheit .
Marleneken , Marleneken , Du bist unrettbar dumm .
Gott helfe Dir ! Amen . "
Und diese Stimme - das giftige Insekt - sie stach mich tief .
Nun - ziehe ich in der Tat auf Abenteuer aus , dann sind_es wenigstens kindlich rührende , gute Abenteuer , Abenteuer à la Don Quichote , ich halte ein Stück magisch beleuchteten Äthers für den wahrhaftigen Himmel , und eine kranke Somnambule für eine Hohepriesterin .
Vergib mir Helena .
Ich küsse Deine Lilienhände .
Noch ein anderer innerer Ruf bewegte mich , ein Ruf der mir geistige Faulheit , träge Versunkenheit vorwarf :
" Du willst ja nur beten , um nicht zu arbeiten .
Ohne Endliches zu durchmessen willst Du Unendliches erreichen .
Anstatt Entwicklung willst Du Offenbarung . "
Und wenn es so wäre !
Ja , ich will Offenbarung , aber nicht nur darum , weil ich nichts weiß , nichts wissen kann , sondern weil die Anderen auch nichts wissen , nichts wissen können .
Mehr als ich - ja .
Wenig bedeutet dieses " mehr " .
Haben nicht fast alle Denker und Dichter in seherischen Augenblicken Raum und Zeit überspringende Visionen gehabt ? und riefen nicht alle , die groß waren oder großes wollten , nachdem sie " mit heißem Bemühen alles studiert " schließlich doch die Geister zur Hilfe ?
Viele Menschen haben Stunden der Offenbarung , wo sie auf dem Sinai knien , und Gott ihnen seine Gesetze auf erzene Tafeln schrieb .
Hatte ich eine solche Stunde , als ich den Entschluß faßte mit Helena nach Indien zu gehen ?
Ach Arnold , wir Menschen alle sind Palimpseste , und unser ganzes Leben ist ein Mühen um die Entzifferung der Urschrift .
Ob ich sie in Indien entziffern werde ?
Wird Indien ein Tempel für mich werden , mit der schönen Inschrift der italienischen Klöster :
" pace ed amore ? "
Oder - ein Irrenhaus ?
Ist das Mal auf meiner Stirn ein Kreuz oder ein Stern ?
Ich weiß es nicht .
Wissen es denn die Anderen ?!
- Rechtsinhaber*in
- Bildungsroman Projekt
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Korpus. Schicksale einer Seele. Schicksale einer Seele. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0bm.0