Erster Teil An den Herrn Hofrat und Doktor Heim in Berlin .
Mein innigst verehrter Freund .
Daß ich lebe , und Kraft und Mut zur Arbeit habe , danke ich Ihnen , mein ewig werter Freund .
Sie retteten erst mir , und dann meinem Gatten das Leben , und Ihr erheiternder Freundes-Zuspruch ; wirkte auf uns wieder Auflebende , wie die Frühlingssonne auf Siechende .
Schon dazumal sann ich auf ein Denkmal meiner Verehrung und tief empfundenen Dankbarkeit , das dauernder wäre , als verhallende Worte .
Und nun wage ich_es , Ihnen dies Buch zu widmen , mit welchem ich deutscher Biederkeit ein Ehrendenkmal zu setzen gedenke .
Es ist Ihrer nicht würdig ; aber nehmen Sie es dennoch mit der freundlichen Nachsicht auf , an welche Sie mich gewöhnt haben , und erlauben mir , mit dem altdeutschen Reime zu sagen :
Die Gab ist klein , Dein ' Verdienst ' sind groß , Das Meer empfängt auch Bäche in seinem Schoß .
Kurz , und ohne künstliche Wendung nenne ich mich , Ihre mit inniger wahrer Verehrung ergebene Freundin Die Verfasserin . Vorbericht Vorbericht Die günstige Aufnahme , welche der erste Teil von Julchen Grüntal gefunden hat , mußte für die Verfasserin ein lebhafter Antrieb sein , nicht nur das angefangene Werkchen fortzusetzen und zu vollenden , sondern auch das , was davon schon herausgegeben war , so sehr als möglich zu verbessern .
Der Umstand , daß es einer fremden , ihr ganz unbekannten Hand gefallen hatte , einen zweiten Teil zu schreiben und drucken zu lassen , bestätigte sie noch in ihrem Vorsatz .
Sie hat jetzt ihren Entschluß ausgeführt , und überreicht denen , die sich für Julchens Schicksal schon interessiert haben , oder noch interessieren wollen , eine völlige Umarbeitung des ersten Teils , und einen ganz neuen zweiten und letzten Teil , worin die Ereignisse der Familie Grüntal so weit erzählt werden , als sie ihr bekannt geworden sind .
Sie bittet nun für das Ganze um dieselbe Nachsicht , welche man schon der ersten Hälfte desselben in einer unvollkommeneren Gestalt geschenkt hat .
Sie hofft diese Nachsicht zuversichtlich bei jedem zu finden , der sich den wahren Gesichtspunkt der Beurteilung nicht verschieben und sich erinnern will , daß sie nicht für Gelehrte , sondern zunächst für ihr eigenes Geschlecht , für ihre Mitbürgerinnen schrieb , zu deren Veredlung mitwirken zu können der angelegentlichste Wunsch ihres Herzens ist .
Berlin , im September 1797 .
Julchen Grüntal Julchen Grüntal Nur mutig durchgesetzt , lieber Seelmann ; Ihres Kindes Wohlfahrt hängt davon ab , sagte der Amtmann , indem er seine Pfeife an seinem Absatz ausklopfte , und so hastig aufsprang , daß Sultan knurrend gegen die Türe fuhr . -
Sie sind böse , Frau Predigerin , das sehe ich an den Falten ihres kleinen Mündchens ; aber Sie werden mir wieder gut sein , das weiß ich , wenn Sie überlegt haben , daß ich aus dem Antriebe wahrer Freundschaft Ihren Plan bestreite , setzte Grüntal ruhiger hinzu , und stopfte ein neues Pfeifchen .
Aber du lieber Himmel , sagte die Frau Predigerin mit süßsaurer Miene , warum sollte denn Lottchen nicht in einer Pension erzogen werden ?
Können wir doch , Gottlob ! etwas an unser einziges Kind wenden .
- Wie ! sollte Lottchen nicht unter Ihrer eigenen Aufsicht gut werden , wenn sie Ihrem Beispiele folgt ?
Ist sie nicht was sie werden muß , wenn sie eine fleißige , fromme Gattin und Hausmutter ist ?
Und sollte sie denn das bei einer sorgfältigeren Verstandesausbildung , die sie in Berlin erhalten würde , nicht auch werden können ? -
Da hört man es , daß Sie Berlin und die belobten und ausposaunten Pensionsanstalten , darin und umher , noch nicht kennen .
Nicht einmal als Freund , sondern nur als gewöhnlich ehrlicher Mann gesprochen , rate ich Ihnen , Ihr unschuldiges , harmloses Dorflämmchen bei sich zu behalten .
Hätte ich mein armes , armes Mädchen nicht dahin , leider ! wohl recht dahin , gegeben , ( er sagte dies mit schwer zurückgehaltenen Tränen , ) so wäre auch ich noch ein glücklicher Gatte und Vater !
Das liebe Mädchen da , die Lotte zu retten , werde ich mich entschließen müssen , Ihnen meine ganze traurige Geschichte zu erzählen .
Der Prediger und dessen Frau äußerten ein großes Verlangen , sie zu hören .
Dunkel haben wir davon gehört , sagte Madame Seelmann ; aber Sie werden sich uns verbinden , wenn Sie uns die wahren Umstände derselben mitteilen .
Wenn Sie Mut haben , sich der Geschwätzigkeit eines Alten , der mitunter gern von sich selbst spricht , auszusetzen , so bin ich von Herzen dazu bereit .
Wir erinnern uns so gern der Freuden , die wir in unserer gegenwärtigen Lage vermissen .
- Grüntal setzte sich in dem großen ledernen Backenstuhl zurecht , und begann also : Ich habe in Halle Jura studiert , und gedachte raschen Schrittes auf den Geheimenrat , und wenn_es Glück gut wäre , auf den Präsidenten los zu gehen ; aber ein paar blaue klare Augen verrückten mir den ganzen eitlen Plan .
In meinem vierundzwanzigsten Jahre wurde ich Justiziarius in H .
Der dortige Amtmann Burg nahm mich beinahe väterlich in seinem Hause auf , auch nannte er mich Sohn .
An einem schönen Morgen fiel es mir mit einemmal auf , daß seine einzige Tochter schöne blaue Augen , frische rosige Wangen , und ein gutes liebes Herz hatte , und es schoß mir aufs Herz , daß ich durch dieses wackere Mädchen wohl im Ernst sein Sohn werden könne .
Je öfter ich ihr in die dunkelblauen Augen kuckte , je wahrscheinlicher wurde es mir .
Ich fing an mich mit Lieschen in mancherlei rührende Situationen des Hausstandes zu versetzen ; bei diesen Träumereien wurde mir das Mädchen immer lieber , und endlich so lieb , daß ich nicht mehr ohne sie leben konnte .
Eines Abends in der Heuernde kam ich , in süßen Liebesträumen vertieft , die Wiese her geschlendert , dachte mir dies und das , wenn es so oder so wäre ; darüber wurde es spät , die Sonne war unter- , der Mond aufgegangen .
Die trauliche Dämmerung wirkte allmächtig auf mein empfängliches Herz ; die Natur war in ihrer lieblichsten Gestalt , um mich her Wiesenduft , der Mond ruhte über krausen Silberwölkchen , und im Westen dämmerte noch das letzte erlöschende Purpurrot .
Mein Herz wurde ungewöhnlich weich .
Soll ich denn die liebliche Milde von alle dem allein , und immer nur allein genießen , jeden großen herzerhebenden Gedanken in mich verschließen ?
Soll nie eine verwandte Seele den Schöpfer der Natur mit mir feiern ?
Lieschen , ja gewiß das liebe Lieschen ist diese verwandte Seele .
Guter Gott ! gib mir dieses fromme Mädchen zu meiner Gefährtin durch dies Leben !
Und der Entschluß , ernstlich um sie zu werben , stand fest und deutlich vor mir .
Ich eilte in den Amtsgarten , und fand sie da in den Erbsenbeeten , mit einem Körbchen am Arm .
Lieschen , lassen Sie alles stehen , hob ich an , und kommen Sie mit mir .
Sie sah mich verwundernd an , setzte ihr Körbchen mit Schoten nieder , trocknete die Hände an ihrer Schürze und folgte mir .
Ich führte sie in eine Laube , aus der man ins freie Feld sehen konnte .
Sehen Sie doch , meine Liebe , wie herrlich das alles um uns her ist ! -
Ja wohl , aber - das wußte ich schon längst , sagte sie lächelnd , und forschte in meinem Auge . -
Lachen Sie nicht , Lieschen , ich wollte Ihnen sagen , daß ich das nicht mehr länger allein genießen kann . -
Erst sagen Sie mir aufrichtig , haben Sie mich lieb ? -
Sie wurde hochrot , und sagte dann stockend und angenehm verschämt :
Warum sollte ich Sie nicht lieb haben , Sie sind ja ein recht guter Mann ? -
Nun , Lieschen , und wollten Sie wohl dem guten Mann Ihr liebes frommes Herz schenken ?
Sehen Sie das war_es , was ich Ihnen zu sagen hatte .
- Sie wand blöde ihre Hand aus der meinigen .
" Sprechen Sie mit meinem Vater ; er will ich soll keinen anderen als einen Landwirt nehmen . "
- Wenn ich nun einer würde , nähmen Sie mich dann gern ? -
Ich habe Sie immer herzlich lieb gehabt , sagte sie mit gesenktem Blick , in welchem Tränen glänzten , und werde nie einen Menschen so lieb haben als Sie . - Lieschen , wenn das nicht Ihr Ernst ist , und ich fasse Sie beim Wort ? -
O ja , Herr Grüntal , der liebe Gott weiß es , daß ich Ihnen gleich gut wurde , als Sie zu uns kamen , und wenn mein Vater einwilligt , so habe ich was ich mir längst im Stillen gewünscht habe , setzte sie jungfräulich blöde hinzu .
Ich war wie im Himmel als sie diese Worte sprach , und mir erlaubte den ersten ehrfurchtsvollen Kuß von ihren Lippen zu nehmen .
Ehrfurchtsvoll war er gewiß , denn ich hatte tiefen Respekt für die helle Unschuld dieses hübschen Mädchens , die sich übrigens nicht auf Einfalt gründete , ob sie schon nur ein schlichtes Landmädchen war .
Von ihr eilte ich zu dem Vater .
Wie ich einlenken sollte , um die Heirat aufs Tapet zu bringen , hatte ich nicht überlegt ; der Alte brachte mich aber zufällig selbst ins rechte Gleis .
Ich stockte und stammelte darauf alles hin , was er wissen sollte .
Er hörte freundlich zu , nickte manchmal bedeutend dazwischen ; endlich sagte er gutmütig lächelnd : und wovon will denn der junge Herr das Mädchen ernähren ?
denn auf Grasung kann er doch Weib und Kind nicht schicken .
Da saß ich , spielte verlegen an den Bändern seines vor mir liegenden Tobaksbeutels , und schwieg mäuschenstill . -
Ja , so sind wir jungen Brausköpfe ! in den Romanen geht das alles , da regnet Gold und Erbschaften !
Aber in der wirklichen Welt , ja da hapert_es ; Weib und Kind wollen essen und gekleidet sein .
Er weidete sich eine Weile an meiner Verlegenheit , endlich aber rückte er mit seiner Meinung heraus , und es wurde bald alles richtig .
Er trat mir einige Vorwerke ab ; ich sollte unter seiner Aufsicht die Landwirtschaft gründlich lernen .
Ich war mit Allem himmelhoch zufrieden , und so gab ich jeden lüsternen Blick auf Geheimenrat und Präsident willig auf für die frohe Aussicht auf harmloses häusliches Glück , das in einer wonnigen Zukunft so reizend vor mir lag .
Nach sechs Wochen waren wir Mann und Weib .
Die Flitterzeit war ein Himmel .
Ich war so ganz nach meiner eigenen Art glücklich .
Wir blühten auf , und breiteten uns aus wie ein Baum an den Wasserbächen , beteten und arbeiteten , und der gute Gott gab das Gedeihen .
Im ersten Jahr schenkte mir Lieschen einen Sohn , im zweiten noch einen , zwei Jahre nachher eine Tochter , und damit war_es Basta !
Bald darauf starb mein Schwiegervater ; ich übernahm nun das ganze Amt .
Zwar nahm nun die Wirtschaft den größten Teil meiner Zeit weg ; doch strengte ich alle meine Kräfte an , auch etwas für die Bildung meiner Kinder zu tun .
Als die Knaben der weiblichen Pflege entwuchsen , nahm ich einen gescheuten Hofmeister an , den ich freilich etwas ansehnlicher als den Großknecht bezahlte ; dafür aber hatte ich an ihm einen Freund , der gerade in meine Absichten mit den Kindern eintrat , und mein angefangenes Werk weder verächtlich tadelte , noch ganz andere Wege mit ihnen einschlug .
Der älteste äußerte früh einen entschiedenen Hang zur Landökonomie ; und Fritz , das liebe Johannesgesicht , war von der Mutter zum geistlichen Stande bestimmt .
Die Tochter , Julchen , - o lieber Freunde , wenn je ein Vater mit einigem Rechte auf sein Kind sich etwas zu gute tun konnte , war ich es .
Ihre schöne Natur bedurfte nur einer liebreichen Hilfe , sich zu entwickeln ; jede weibliche Tugend lag im zarten Keime vor mir , und brach an dem warmen Vaterherzen zur lieblichsten Blüte auf .
Sie wissen , lieben Freunde , wie glücklich uns Eltern das macht , wenn die Natur uns wohlwollend den Weg vorzeichnet .
Bis in ihr zehntes Jahr war ich ihr einziger Lehrer gewesen , denn mir war bange , so vernünftig der Hofmeister auch war , er möchte mir in ihre junge Seele allerlei hineinkünsteln , was nicht hineingehörte , und allerlei Erziehungsmethoden an ihr versuchen , wie das jungen Gelehrten so an der Art ist ; auch war es mir schon dazumal sehr einleuchtend , daß es um die Bildung , welche junge Männer den Mädchen geben , so eine ganz eigene Sache sei .
Wenn sie so ein liebes zartes Knospchen vor sich haben , geraten sie gewöhnlich in gar poetische Stimmung , idealisieren , träumen von Einfachheit der guten alten Vorwelt , und zuletzt kommt aus ihrer bildenden Hand das Mädchen entweder als burschikoser Wildfang , oder als ein idealisierendes , exzentrisches , nervenschwaches Wesen .
Überdem lasse ich es mir nicht ausreden , daß unter der Leitung eines jungen Mannes , der , ohne es selbst zu ahnen , dem Mädchen zu gefallen sucht , - denn so will es die Natur , der Instinkt , - lassen Sie mich das so nennen , was der Sprachgebrauch mit einem deutlicheren Namen bezeichnet , - das Mädchen zu früh erwärmt und entwickelt wird .
Belege zu meiner Behauptung gibt das Buch da ! -
Grüntal zeigte auf Ewalds Rosenmunde , die im Strickkörbchen der Frau Pastorin lagen . -
Diese lachte , warf das Köpfchen in die Höhe , unterbrach aber Grüntal nicht , und er fuhr fort :
Vielleicht irre ich in meiner Überzeugung ; allein der systematische Unterricht in Wissenschaften bei dem anderen und schwächeren Geschlecht hat mir nie zu Sinne gewollt ; der anmaßende Ton der von ihrer Überlegenheit träumenden Weiber ekelt jeden , der Gefühl für prunklose weibliche Würde hat , von Herzen an .
Es mag denn auch wohl Weiber geben , denen Vielwissen und Gelehrtsein frommt , - nun , meinetwegen !
Ich denke mir immer , unter tausend Weiberköpfen gibt es kaum einen , der fest genug organisiert ist , um die Schätze tieferes Wissens aufzufassen .
Genug , ich hatte mir meiner Tochter wahrscheinlichste künftige Bestimmung zum Ziel gestellt .
Zu dieser sie zu bilden , war mir ein gar liebes Geschäft ; denn ich dachte mir :
sie wäre was sie sein müsse , wenn sie eine kluge , fromme Hausfrau würde , der es nicht an Verstand und Bildung fehlte , einem gescheuten Manne das Leben zu versüßen , und in ihren Kindern dem Staate nützliche Bürger zu erziehen .
Ich ließ mich allenthalben , wo es nur tunlich war , von dem lieben Kinde begleiten , erklärte ihr auf eine ungelehrte Weise , was uns Bemerkenswertes auf unseren kleinen Wanderungen aufstieß ; machte ihr junges Gemüt sehr früh auf die Wunder der Natur aufmerksam , und zögerte nicht , ihre Seele empfänglich für die erhabenen Begriffe von dem Urheber der sie umgebenden Schönheiten zu machen .
Noch ehe sie die Worte deutlich aussprechen konnte , lehrte ich sie so zu ihrem Schöpfer sprechen , wie sie zu mir sprach ; ich flößte ihrer jungen Seele Liebe und Vertrauen ein , und war bemüht , diese Richtung des Herzens zu dem Geber alles Guten bei ihr zur Fertigkeit zu erheben , damit es ihr einst kein vereinzelter Begriff sein sollte .
Ich ließ sie auch , was die neuere Pädagogik immer dagegen einwenden mag , sich früh mit einigen herzlichen Sprüchen der Bibel bekannt machen .
Freilich gab ich ihr eben nicht die Geschichte von der keuschen Susanne und das hohe Lied zuerst in die Hände ; aber die Geschichte der Schöpfung gab ich ihr so , wie die alte ehrwürdige Urkunde sie uns gibt ; denn was sollte ich ihr sagen , wenn sie nun darauf bestand zu erfahren , wie der schöne Wald , die Wiese , wo sie ihre Blümchen pflückte , und die Vögel , die ihr so viel Freude ins Herz sangen , - wie dies alles entstanden sei ?
Sollte ich ihr nun Büffons oder Lamettrie's System , oder Silberschlags Geogonie vorsagen ?
Moses Erzählung paßt so sehr für das Kindesalter des einzelnen Menschen , wie sie für die Begriffe des Kindesalters der Welt überhaupt erfunden zu sein scheint .
Wäre meine arme unglückliche Tochter nicht nachher unter Menschen geraten , die ihre Begriffe verwirrten und sie ihr lächerlich machten , so wäre diese meine erste Bildung ihrer Religiosität , ihren künftigen Fortschritten in vernünftiger Berichtigung ihrer Begriffe wahrlich kein Hindernis gewesen .
In meinen geschäftslosen Stunden brachte ich ihr gesprächsweise vaterländische und fremde Geschichte bei , und sie begriff bald den Zusammenhäng des Ganzen .
Die Karte von Deutschland war ihr so geläufig , daß sie mir zu meiner innigsten Freude sogleich von der Lage jedes Ortes und Landes Rechenschaft geben konnte .
Schreiben und Rechnen lehrte sie der Hofmeister .
In den übrigen Stunden beschäftigte die Mutter sie mit kleinen häuslichen , ihren Kräften angemeßenen Geschäften , und ich war sehr froh darüber ; denn diesen schönen Ordnungsgeist , diese uns Männern so gesegnete Gabe der lieben Weiber , in Kleinigkeiten zu leben und zu weben , diese leichte Empfänglichkeit mit dem Kleinen und Geringen froh und zufrieden zu sein , lernen Töchter nur von guten Müttern .
Wenn ich ein schlottriges Mädchen oder Weib sehe , die es zu klein dünkt , ihre hohen Geistesgaben im Kleinen zu üben oder anzuwenden , so denke ich mir immer ein Mann oder Bruder hat sie erzogen .
Indes war es meiner lieben guten Frau immer ein Dorn im Herzen , daß ein so reizendes Mädchen , wie unsere Tochter war , nur ländlich erzogen würde , nicht Tanzen , nicht Musik , nicht Französisch lernen sollte !
Von dem letzteren hatte sie zwar mit ihren Brüdern genug gelernt , um ein leichtes Buch verstehen zu können .
Das war aber meinem armen Weibe nicht genug , die es sich selbst zu einem großen Mangel anzurechnen pflegte , daß sie diese Sprache nur verstand , nicht sprach , obschon in ihrem ganzen unschuldigen Leben kein einziger Fall eingetreten ist , wo sie sich durch dieses Nichtkönnen gedrückt gefühlt hätte .
Julchen sollte ihrem Wünsche nach französisch plaudern können , wie eine galante Stadtjungfer .
Auf dem Klavier ließ ich sie durch einen geschickten Organisten unterrichten ; sie war nicht ohne Talent dazu , und sang mit süßer schmeichelnder Stimme meine und der Mutter Lieblingsstückchen , wenn ich auf meinen alten verstimmten Klavier trommelte .
Eine Hauptsängerin braucht sie eben nicht zu werden , sagte ich : auch liegt in ihrer Haltung und dem regelmäßig schönen Körperbau eine natürliche Grazie , die mir kein Tanzmeister zur Unnatur umschaffen soll .
Sehr gern hätte meine Frau eine Französin ins Haus genommen ; aber bei diesem Anliegen blieb ich taub .
Wie ? dafür , daß ich irgend ein armes Waisenmädchen von der Zucht ihrer Aufseherinnen , oder aus sonst einer Not errettet , und sie in das Wohlsein meines Hausstandes als Mitgenossin aufgenommen hätte , sollte ich mich einen sot allemand nennen lassen ? wie diese Dinger , wenn sie sich anfangen zu fühlen , wohl zu tun pflegen .
Und dann so soll mir mein Julchen , das ehrliche deutsche Blut , durchaus keine schwadronierende Deutschfranzösin , diese niedrigste aller niedrigen Abarten , werden .
So dachte ich damals .
Wollte Gott ! ich hätte Mut zum Durchsetzen bewiesen .
Mein Mädchen war nun dreizehn Jahr geworden , und so gut und lieblich , daß ihr Anblick uns Eltern recht im Herzen wohl tat .
Ich habe von je her das Erntefest zu einem allgemeinen Freudentage für meine Dorfgenossen bestimmt , und ihnen jede frohe Unterhaltung gestattet , wozu ich nach allen Kräften beitrug .
Woran ließ ich aber stets ein frommes Dankfest gehen , dessen Einrichtung Sie , mein lieber Pastor , selbst gebilligt haben .
Julchen , als ein herangewachsenes Mädchen , war diesmal die Königin des Tages , und brachte den Kranz .
Von einem Hügel sahen meine Frau und ich den frohen Zug ankommen .
Julchen ging zwischen ihren Brüdern , ebenfalls ein paar frische blauäugige rotwangige deutsche Jungen .
Julchens schneeweißes Kleid prangte mit hellgrünen Bändern , und Kopf und Brust mit Blumen , wie der einfache Landgarten sie gab .
Ihre langen blonden Locken spielten im Winde .
Nie , nie sah ich ein holderes Geschöpf !
Auf ihrer blendenden Stirn und in dem dunkelblauen Auge saß Verstand , und in dem liebreizenden Munde Wohlwollen und Herzensgüte .
Mein inniges Wohlgefallen an meinen schönen guten Kindern zerfloß in heißes Dankgebet ; Tränen strömten über meine Backen , und nie wurde wohl das kräftige Lied :
Nun danket alle Gott ! mit herzerhebenderm Gefühle gesungen .
Mein Weib stand an meine Schulter gelehnt , auch sie war sanft gerührt . O mein Weib , sagte ich , und drückte sie innigst an mein Herz , sieh unsere Kinder !
Danke mit mir Gott für diesen reichen Segen !
" Ja , bester Mann , sagte sie , mich küssend , ist es nicht Jammer , - ja , nun muß es heraus , - ist es nicht Jammer und Schade , daß dieser Engel von Tochter hier auf dem Dorfe vergraben bleiben soll ? "
- Wasser dämpft nicht schneller Glut , als jetzt meine Freude durch die unvorsichtige Äußerung meiner Frau gedämpft wurde .
Warum Jammer und Schade ? sagte ich wehmütig , und ließ kalt mein Weib aus meinen Armen gleiten .
Dies Gespräch wurde durch die Annäherung von Landleuten unterbrochen , und - mit meinem Vergnügen war es aus .
Ich sah mein Julchen so traurig an , als ob sie mir gewaltsam entrissen werden könnte .
Meiner Frau konnte ich in einigen Wochen , des einfältigen Jammer und Schade wegen , nicht recht freundlich ins Gesicht sehen .
Und dennoch wäre alles gut geblieben , hätte uns nicht ein feindseliger Dämon einen neuen Forstmeister ins Dorf gebracht .
Er war ein Edelmann und hatte eine gnädige Frau und gnädige Fräulein Töchter .
Diese waren in Berlin in einer französischen Pensionsschule verbildet worden , schämten sich nun ihrer deutschpommerschen Namen , und nannten sich ma soeur Julie , und ma soeur Adelaide , den derbdeutschen Vater , der kaum ahnte , daß es noch andere Franzosen in der Welt gäbe , als die er als Kornett bei Rosbach hatte schlagen helfen , mon cher pere; sie sangen Liedchen aus den Etiennes aux Dames , putzten und zupften sich den ganzen Tag vor dem Spiegel , und behohnlächelten jedesmal in der Kirche den ländlichen Aufzug meiner Frau und Tochter , die dann ganz trostlos zu Hause zu kommen pflegte , obschon sie ihre Jahre hindurch geschonten Kleider , alle nach der Reihe vorführte , die dann wohl freilich durch ihre Eingezogenheit nicht an Eleganz gewonnen hatten , und also dem Endzwecke meiner guten Frau , sich ein wenig sehen zu lassen , schlecht entsprachen .
Es half alles nichts ; jedes Stück wurde belacht und bekrittelt .
Endlich erhielten wir den hochadligen Besuch in unserer Wohnung , als die Familie mit allen Adligen , fünf Meilen im Umkreise , fertig war .
Die unbehilfliche gnädige Frau fand in der Gegend alles insupportable , brachte allerlei kleine nies zum Vorschein , die sie von ihrer Mutter hatte , welche Hofdame an einem kleinen Hofe , und respektive intime Freundin Sr. Durchlaucht des Fürsten gewesen war , sprach von großen Gesellschaften , in welchen sie zu Berlin hatte sein müssen , die so unverantwortlich gemischt gewesen wären , daß sie den Platitude der krassen Bürgerlichen beständig ausgesetzt gewesen sei , es wäre entsetzlich , wie sich dort der Adel im bürgerlichen Umgange herabsetze ; daher denn diese rohe Rasse sich anfange einzubilden , sie könne es endlich durch die Erziehung dem Adel wohl gleich tun !
Man könne wohl populär sein , aber sich doch mit dem Bürger nicht gemein machen .
Meiner Frau Zupfen und Fußtreten unterm Tisch , und ihr bittendes Gesicht , bändigte einigermaßen den Geist , der aus mir reden wollte ; doch entfuhren mir einige Kernsprüche , die ich der albernen adligen Frau scharf ans Herz legte .
Diese taten gut ; die Dame lenkte ein , und verfiel nun auf das Kapitel der Moden .
Zu meinem Schrecken und Ärger verleideten sie nun meiner Frau jedes ihrer Kleidungsstücke , so daß meine armen Frauenzimmer ganz beschämt da saßen , als wären sie nur im Kostüme der alten Mutter Eva gewesen .
" Sie können sich ja dergleichen Kleinigkeiten leicht aus Berlin kommen lassen . " O freilich , fiel ich etwas derb in den Text , der Verwalter kann , wenn ich ihn mit Wolle oder Korn hinschicke , das Korn gleich gegen Hüte und Kopfputz , und die Wolle gegen Kleiderflor umsetzen .
Das geht recht gut .
Und kommt denn der Pachttermin , je nun Lieschen , so bieten wir der Kammer - je was denn ? - alten Flor ? - an .
Meiner Frau , der das plötzlich einleuchtete , trat eine Träne ins Auge , der ich leider nie zu wiederstehen vermochte , und ich verließ das Zimmer .
Seit dem Tage ging mein Elend eigentlich an .
Meine Frau sah beständig mißmutig . auf mich .
Meine herzlichste Liebkosung erwiderte sie verdrossen , oder durch ein : gehe nur , du böser Mann , du hast mich doch nicht lieb , würdest du sonst nicht mehr für deine Kinder tun ? -
Die Natur hat Julchen mit allem , was ein Mädchen zur lieblichsten Blume macht , reichlich ausgestattet .
Wir haben getan was uns oblag , wir haben nichts von dem was sie gegeben hat , künstelt , sagt ich dann wohl . - Freilich ist Julchen von Natur sehr angenehm , aber sie hat doch kein er , wie die Forstmeisterin sagte , wendete mir dann mein Lieschen ein .
" Du bist wunderlich Liese , hat unsere Tochter nicht Verstand und ein gutes Herz ? "
- Antwortete ich härter , so fiel sie mir weinend um den Hals : nur auf zwei , zwei kurze Jahre sollte ich Julchen nach Berlin lassen .
Noch wollte ich nicht darauf hören ; endlich kam es gar heraus , daß die gnädige Frau deshalb schon nach Berlin an eine sogenannte Erzieherin geschrieben hätte .
Ich ergrimmte , schalt , und - wurde wieder gut ; des ewigen Streitens und Ankämpfens gegen die Lieblingsideen geliebter Personen wird das Herz bald müde .
Ohnedem sind die Weiber ( mit ihrer Erlaubnis Frau Pastorin ) schwach wie die neugeborenen Kinder , wenn sie gegen irgend eine ihrer Neigungen kämpfen sollen : aber gilt_es eine Lieblingsidee durchzusetzen , o dann ist keine Löwin beherzter , und keine Amazonen unternehmender .
Ich nahm Julchen bei Seite , um ihre eigenen Wünsche über diese Angelegenheit auszuforschen .
Sie äußerte zwar viel Gehorsam gegen mich ; aber ich sah leicht , daß die Mutter ihrem biegsamen Herzen schon die ihr selbst gefällige Richtung gegeben hatte .
Ihrem jungen unerfahrenen Sinne war Berlin in die glänzendsten Perspektive gestellt ; sie selbst sah sich schon dort im Geist als eine vielgeltende Erscheinung ; das hatte der Fräulein frivoles Geschwätz bewirkt .
Überdem fand ich , daß meine Frau der verächtlichen Begegnung dieser gnädigen Gänselein zu viel Gewicht bei ihr gegeben hatte .
Dies beugte vollends meinen Mut .
" Auch du wieder mich , meine Tochter ? " -
Kurz nach einigen Wochen , die unter häuslichem Zwist verflossen waren , kam die Nachricht , daß Madame la Porte sich gefallen ließe , gegen ein Kostgeld von 200 Rthl . , die Maitresse ungerechnet , meine Tochter in ihre Pension aufzunehmen , wo sie zugestutzt und zu einem Caquet abgerichtet werden sollte , daß sie hoffentlich in ihrem Leben nicht weiter gebraucht haben würde .
Mein Weib hatte das alles , um sicherer zu gehen , durch ihre adligen Gönnerin , in der Stille betrieben .
" Also willst du denn doch deine Tochter Preis geben ? " sagte ich zu ihr , als sie mir diese Nachricht , freilich etwas schüchtern , überbrachte , weil sie einem Sturm entgegen sah .
Wie ?
Preis geben ? sagte sie sehr weise , wobei ihr gutmütiges Gesicht sich zwang , schlau auszusehen ; ich liebe Julchen wie mein Leben , aber ich sehe weiter als du mein Kind .
Es würde dir denn doch wohl recht lieb sein , wenn ich eine bessere Erziehung gehabt hätte ? -
Nie , nie wärst du mein Weib geworden , wärest du gewesen , was man aus Julchen machen wird .
- Du erschreckst mich ; was werden sie denn aus ihr machen ? -
Eine Närrin , die weder für die Stadt , noch für das Land , wo sie mit ihrer sanften Einfalt hingehört , mehr taugt ; - und du wirst es zu verantworten haben .
Mein armes Weib weinte bitter ; so stark hatte ich noch nicht geredet , und der alte Narr , Grüntal , ließ sich durch diese Tränen weich machen , gab wieder nach , wurde aufs neue mit Vorstellungen bestürmt , überstimmt , und - Gott weiß wie ? unwillkürlich fortgerissen , so , daß ich endlich wie ein müdegejagter Hirsch kraftlos mich zum Ziel legte .
Den bitteren Unmut meines Herzens zu zerstreuen , eilte ich zu unserem Pfarrer ; er war noch ein junger Mann , aber ganz nach meinem Herzen , - deutsch und bieder , ohne jene anstößige Roheit , wodurch unsere jungen Schriftsteller und manche Theaterdichter , den ehrlichen Deutschen zu bezeichnen denken .
Er war mir gut , und darum klagte ich ihm mein Leid .
Und muß es denn nun eben eine französische Kostschule sein ? sagte er freundlich ; muß es Berlin und ein fremdes Haus sein , das ihrer liebenswürdigen Tochter Bildung vollenden soll , so gibt es ja deutsche Erziehungsanstalten jeglicher Art , worin alles , und mehr noch als in den französischen gelehrt wird .
Sehen sie hier die öffentlichen Ankündigungen ; sie haben die Wahl .
Wollen sie , so schreibe ich an einen Freund , auf den ich mich verlassen kann .
Ich willigte ein , und betrieb nun ebenfalls meine Sache im stillen , bis die Antworten gekommen und wieder geschrieben , und wieder gekommen waren ; dann erst offenbarte ich den neuen weisen Plan meiner Frau , die dies und das daran zu erinnern hatte , unter anderen , daß ihre ganze Freude mit dem Französischen nun vorbei sei , daß Julchen es künftig dem albernen schnipschen Fräulein gleich tun könne ; nun würde doch wieder nur etwas ganz gewöhnlich Bürgerliches herauskommen .
Ich unterdrückte die Antwort , die mir schon auf den Lippen schwebte , und wollte mich meines Sieges über die französische Jugendbildnerin nicht zu sehr überheben .
Von nun an wurden die Anstalten zu Julchens Abreise eifrig betrieben .
Bei jedem Stück , daß mit auf Reisen ging , wurde die Gnädige zu Rate gezogen , nach deren Angabe die Sonntagskleider in Hauskleider verwandelt wurden .
Die rechten Siegs- und Triumphröcke sollten in Berlin , von feinem Modezeug nach neuesten Schnitt gemacht werden ; dagegen konnte ich vernünftiger Weise nichts einwenden , denn es ist Pedanterie gegen Mode und Geschlechtsgebrauch zu Felde zu ziehen , sobald beides nur nicht die Sittlichkeit , den Vermögenszustand und den Rang , den die Person in der Gesellschaft hat , überschreitet .
Auch weiß ich daß man dem Geiste der Zeit etwas nachsehen muß .
Die siechen versessenen Fräulein rümpften die Nasen , daß Julchen zu einer Deutschen ins Haus sollte :
doch würde auch diese eine horrible Arbeit haben , Julchen zu degourdiren ; ein Ausdruck , dessen sich wahrscheinlich die Französin bediente , als sie diese im Grunde nicht üblen Mädchen entpommerte .
Ich sah dem Unwesen still wehmütig zu .
Der erste Julius , der zur Abreise bestimmte Tag , rückte immer näher , und unsere kleinen , sonst so frohen Mahlzeiten , wurden immer düsterer und früher abgebrochen .
Sah Julchen meine mühsam zurückgehaltenen Tränen , so sank sie auf meine Hände , und zerfloß in Traurigkeit .
" Mein lieber , lieber Vater , wie soll ich ohne sie leben !
Was kann mir einen solchen Vater ersetzen !
Ich werde es nicht ertragen ! " -
rief sie dann von Schluchzen unterbrochen aus .
" Behalte Gott im Herzen , mein ewig teures Kind , und sein Segen begleitet dich überall ! "
Doch ich eile zu dem letzten traurigen Abend vor ihrer Abreise .
Tröstend war mir die Bemerkung , daß sie den Tag nicht in kindischer Unbehaglichkeit , sondern vernünftig gerührt zubrachte .
Wie mein Herz unter der Last seines Grames arbeitete , und meiner Frau erkünstelte Standhaftigkeit wie Wachs zusammen schmolz , werden Sie sich leicht vorstellen .
Indes die Mutter noch mancherlei im Hause besorgte , ging ich mit Julchen aufs Feld .
Eine Zeitlang schlenderten wir schweigend neben einander ; sie sah mit auffallender Rührung alle sie umgebenden Gegenstände an , um sie gleichsam ihrem Andenken auf ewig einzuprägen .
Ihre Tränen flossen nun unverhalten , ich aber hütete mich , diesen heilsamen Strom überfließenden Gefühls zu hemmen .
So erreichten wir gerade die Anhöhe , von der wir Julchen als Kranzträgerin am Erntefest hatten ankommen sehen .
Eben sank die Sonne hinter den gegenüberliegenden Wald .
Gott ! wenn , ach !
wenn wird mir die Sonne hier wieder untergehen ! schluchzte sie , indem sie sich kindlich an mich schmiegte .
Liebes Kind , - erwiderte ich , indem ich sie zärtlich an mein bekümmertes Herz drückte , - liebes Kind , die Trennung soll nur kurz sein , du hast sie zwar selbst gewollt , arme Tochter , ich weiß es ; ich hoffe du wirst dich bald aus der erstickenden Stadtluft hinwegsehnen .
Denke dir indes lebendig Gottes Auge über dir , und deines Vaters Herz bei dir .
Morgen um diese Zeit bist du dorthin , schon weit , weit von uns weg .
Dann gedenke , wenn die Sonne untergeht , deines betrübten Vaters , dessen Sonne nun vielleicht auf immer untergegangen sein wird . -
O wolle doch das Gott nicht , mein teurer ehrwürdiger Vater !
Was kann ich tun , diese Liebe zu vergelten ? rief sie tief erschüttert .
- Ich fuhr wehmütig fort :
Hier auf diesem Hügel werde ich stehen , und für meine entfernte Tochter beten ; und du , meine fromme Tochter , bete für deinen einsam zurückgelaßenen Vater .
Ich habe deinem Herzen , so viel in meinen Kräften stand , fromme Gesinnungen und Redlichkeit gegeben ; diese laß dich vor der herzlosen Frivolität der Stadtfrauen bewahren .
Überlaße dich nicht dem Müßiggange der Großstädterinnen , er gereicht ihnen zum Fall , und gebiert jene unleidliche Rastlosigkeit , der nirgend wohl ist .
Als ein vorzüglich gutes Stärkungsmittel empfehle ich dir , alle deine Gedanken und Empfindungen , über die dir auffallenden Gegenstände , in ein Tagbuch aufzufassen .
Solltest du gleich dadurch in Ängstlichkeit und Peinlichkeit verfallen , so ist dies deiner Moralität heilbringender , als gedankenleere Sorglosigkeit .
Ein solches Tagebuch wird dir die Stelle eines Freundes , wenn ich sagen darf , eines personifizierten Gewissens vertreten .
Und dann gewähre mir zuweilen den Trost der Mitteilung dieses Tagebuchs .
Fürchte nicht den Richter in mir zu finden , mein Herz vertritt das deinige zu nachdrücklich , als daß du zu fürchten hättest .
Im Angesicht des allgegenwärtigen Vaters der Menschen , gelobte sie mir Treue und Gehorsam ; ich segnete die liebe mit überströmenden Vaterherzen .
Ihr Blick durchlief noch einmal die Gegend , die sich allmählich im Schatten verlor , und wir kehrten still und ernst zu unserer Wohnung zurück .
Meine gute Frau erzwang eine Heiterkeit , die nicht aus ihrem Herzen kam , und sah nach den überstandenen Schmerzen der Trennung , in eine freudige Zukunft ; ihre Augen strahlten wirklich von Vergnügen , wenn sie sich unsere Tochter , mit allen Colifichets der Stadt umgeben , dachte ; eine Vorstellung bei der mir die Tränen in die Augen traten , weil sie mir den Gesichtspunkt verrückte , aus welchem ich mit so viel Wohlgefallen auf mein Kind sah .
Es war ausgemacht , daß meine Frau Julchen nach Berlin begleiten sollte , um sie der Erzieherin selbst zu treuen Händen zu übergeben , und zugleich meinen Fritz auf ein dortiges Gymnasium zu bringen .
Sich von zwei so lieben Kindern zugleich trennen zu müssen , tut dem Vaterherzen weh .
Der Abschiedsmorgen war schwer ; meine Kinder hingen weinend an mir , und als der Knecht vorfuhr , schrie Julchen laut auf .
Ich küßte sie und meinen guten Jungen schweigend , und dann trug die Mutter sie halb ohnmächtig in den Wagen .
" Bleibt fromm , und haltet euch recht , liebste Kinder !
Lebe wohl , Weib ! mag_es dich nie gereuen , Julchen von mir gerissen zu haben ! " sagte ich , warf mich auf mein Pferd , das schon gesattelt da stand , sah noch den Wagen , worin alles saß was mir auf Erden lieb war , den Hügel herabrollen , und ließ dann mein Pferd den Weg einschlagen , den es nehmen wollte ; denn begleiten mochte ich sie nicht , das macht den Abschied zwiefach schwer .
Grüntal fand jetzt , als er nach der Uhr sah , daß er schon einen Teil der Nacht verplaudert hatte , wünschte dem geistlichen Ehepaar eine gute Nacht , und versprach die Fortsetzung seiner Erzählung auf den Freitag .
- Sie werden , denke ich , den Zweck Ihrer Erzählung wohl bei mir wenigstens erreichen , lieber Amtmann , sagte Seelmann , denn ich habe mich sehr lebhaft in die Trennungsstunde von einem lieben Kinde versetzt , und möchte diese meinem Herzen schwerlich zumuten .
Nein , Lottchen bleibt bei uns .
Gut , gut , sagte die Frau Pastorin , als hätte sie damit gemeint , kommt Zeit , kommt Rat .
Erst aber untersuchen wir die Richtigkeit der Vorurteile unseres Freundes . -
Vorurteile !
Wollte Gott es wäre weiter nichts gewesen !
Nun , Sie werden ja hören , erwiderte der Amtmann , empfahl sich und rollte mit seinem Kaleschchen dahin .
Grüntal ließ sich an dem dazu festgesetzten Abend nicht lange erwarten .
Er kam noch vor Abend zu seinen Freunden , und versprach , daß wenn er heute mit seiner Erzählung nicht fertig würde , er künftig alles , was ihm noch auf den Herzen bliebe , aufschreiben wolle , um es seinen Freunden so mitzuteilen .
Der Pastor besorgte das gesellige Pfeifchen , die Pastorin nahm das Strickzeug zur Hand , und Grüntal setzte sich , als er endlich sein Auditorium in Ruhe sah , in den beliebten Armstuhl , und begann seine Erzählung von neuem .
Meine Kinder sind nun abgereist ; das wissen Sie .
Mein Haus war mir seitdem wie ein Grab , alles öde und überall bei jedem Tritte hohltönender Nachhall .
Kein Essen schmeckte mir ; ich vermißte meinen ehemaligen glücklichen Hausstand aller Orten .
Indes meine Frau in Berlin war , brachte ich meine unbesetzten Stunden mehrenteils bei Eichen , unserem Prediger zu .
Diesem jungen würdigen Manne durfte ich zu ganzen Stunden von meinen Kindern vorschwatzen , ohne zu besorgen daß er es lästig finden würde .
Wenn ich trauerte , tröstete er mich damit , daß die Anstalt , worin Julchen getan würde , einen entschiedenen guten Ruf habe , daß Männer von Gewicht sie öffentlich empfohlen hätten .
Den meisten Nachdruck seiner Beruhigungsgründe legte er darauf , daß zu meiner Tochter Bildung ein so fester Grund gelegt sei , und die Eindrücke der ersten Kinderjahre nie ganz ausgelöscht werden könnten .
Nach vierzehn ewig langen Tagen kam endlich meine Frau wieder .
Mir blutete von neuem das Herz , als ich sie ohne unsere Kinder sah ; sie aber war fröhlich und guter Dinge , und voll von dem Glanze der Residenz , deren Anblick sie sich schon längst im Stillen gewünscht hatte .
Sie hörte nicht auf von den prächtigen Equipagen , von dem Hofe , den sie nicht gesehen , von Soupees , denen sie nicht beigewohnt hatte , zu erzählen :
ihr armes Köpfchen , das auf ihrem Dorfe dergleichen Herrlichkeiten auch nicht einmal geahnt hatte , war durch die Überraschung ganz davon eingenommen .
Darüber aber hatte das arme gute Weib , was uns näher anging , nur beiläufig bemerkt .
So viel wußte sie wohl , daß über die Artigkeit der Frau Rätin Brennfeld , ( das ist die Frau Erzieherin ) in der Welt nichts ging .
Überhaupt , meinte sie , sei es nicht so ordinär , wie sie es sich vorgestellt hatte , da sie hörte , daß es nur eine Deutsche wäre .
( Das sprach der Geist der Gnädigen im Dorfe aus ihr . )
Denn wahr und gewiß , liebes Männchen , sagte sie lobpreisend , es sind Fräulein , ja sogar eine Komtesse dort in der Pension , die sich gegen unser Julchen gar nicht hochmütig betrugen .
- Desto schlimmer , desto schlimmer , sagte ich den Kopf schüttelnd .
- Du glaubst mir nur nicht , lieber Mann , weil du dagegen eingenommen bist , fuhr meine Frau sehr freundlich fort ; da lies Julchens Brief , den sie mir an dich mitgegeben hat . -
Rasch erbrach ich ihn ; er enthielt Zusicherungen der heiligsten Kindesliebe .
Zu der Madame aber , hieß es darin , könne sie freilich noch kein Herz fassen , das werde sich aber wohl geben .
Mir schien das alles nun freilich nicht so lieb und gut , wie meinem armen Weibe , dem nur die sauber lackierte und polierte Außenseite ins Auge stach .
Zu allem Unglück hatte Mad Brennfeld es höflich gefunden , sich dem Vater , ihrer neuen Zöglingin schriftlich zu empfehlen , und zwar in einem Briefe , den meine Frau geradezu für entsetzlich schön und gelehrt erklärte , weil sie ihn durchaus nicht verstand .
Das lag aber nicht an dem recht guten schlichten Verstande meiner Frau , sondern an dem ungereimtesten Galimathias , der nur je aus der Feder einer Pretiosen geflossen war .
Sie wollte sich einst - so hieß es unter anderen darin , - noch mündlich mit mir über die Grundsätze besprechen , nach welchen Mamsell Grüntal erzogen werden sollte .
Rousseaus Methode habe zwar einiges Gute ; dann aber müßten freilich die Kinder noch nicht verbildet sein .
Mein Julchen , das ganz schlichte Kind , verbildet !
Allein es sei wohl besser , wir gingen das ganze Revisionswerk durch , das sei wie eine Musterkarte zu betrachten , wo man für alle Naturen das Aussuchen habe u. s.w .
Nun flog mir so eine Ahnung von einer femme savante durch die Seele , daß mir ordentlich die Haut grieselte .
Gott im Himmel , wenn die gerade Seele meiner Tochter so verschroben werden sollte !
Wenn sie gegen die Früchte meiner sorgsamen Aufsicht , kauderwelsches Geschwätz eintauschte , sinnleere Phrasen auskramen , und mit hoch tönendem Schall um sich werfen lernte Wenn sie mir dort ihren gesunden Verstand und guten Urteilsvermögen verkrüppeln !
Nein ! nein ! kein Jahr soll Julchen dort zubringen ; vielleicht rette ich sie dann noch .
Weil sie nun doch einmal da ist , soll sie von einem anerkannt würdigen Geistlichen , der das glaubt und tut , was er lehrt , Religionsunterricht bekommen , obschon ich dazu keinen würdigeren , als unseren Eiche , wüßte ; und danach soll mich auf Erden nichts abhalten , sie mir wieder zu holen .
Meine Frau ließ mich reden , wie das so eine Kriegslist der Weiber ist , wenn sie ihre Zeit abzusehen im Schilde führen .
O die Weiber ! die Weiber !
- Sie hat mich gegen meine bessere Überzeugung von meinem Vorhaben abzulenken gewußt .
Nach acht Tagen kamen Briefe von meinen Kindern .
Mein Sohn war , das sah ich , zweckmäßig in einer respektablen öffentlichen Lehranstalt untergebracht , und wohnte bei einem seiner sehr vernünftigen Lehrer .
Sein Brief gereichte zu meiner großen Beruhigung ; denn das ich die Söhne nicht bis ins reife Alter unter meinem schützenden Fittich haben würde , hatte ich mir längst gesagt .
Aber Julchens Brief - hier ist er , ich habe ihn zu mir gesteckt .
- Der Amtmann faltete einen Brief auseinander , worauf noch Spuren von Tränen sichtbar waren .
Er las : " Ach meine geliebten Eltern !
Ich werde die Trennung von Ihnen wohl nie ertragen lernen , denn noch sind meine Augen immer naß .
Es wird mir , denke ich , gar nicht möglich sein , ohne Sie zu leben .
So lange die liebe Mutter noch hier war , ging alles gut , nun sie aber fort ist , weiß ich gar nicht an wen ich mich halten soll . -
Die Leute sind hier gar nicht so treuherzig wie bei uns . -
Als ich den ersten Morgen hier erwachte , war mir , als hätte mir das alles nur geträumt , und ich wußte nicht gleich wo ich war .
Es war erst vier Uhr als ich erwachte , ganz so wie ich in Lindenau gewohnt war ; hier im Hause war aber noch alles wie im ersten Schlafe , und ich hatte nicht das Herz , mich zu bewegen .
Ganz leise schlich ich ans Fenster ; das geht aber auf ein schmutziges Dach , und ich konnte nur die Sonne sehen , wie sie oben die Schornstein auf dem engen Hofraume beschien ; mehr konnte ich von dem schönen Morgen nicht genießen .
Lieber Gott ! wie werde ich mich je an diese traurige Einschränkung gewöhnen können !
Alle meine Stubengefährtinnen schliefen noch sehr fest .
Ich kniete hin und wollte beten ; aber , mein liebster Vater , es wollten keine Worte kommen , mein Herz war zu voll , ich konnte nichts als heftig weinen , und da wurde es kein rechtes Gebet .
Dann schlug es fünf ; da dachte ' ich daran , wie ich noch vor kurzem meinem lieben Vater den Tee und das Wachslicht hinein trug , wie er mich dann segnete und ich ihm die Hand küßte , wenn er mich sein liebstes Kind hieß !
Ach ! jetzt denkt er gewiß an seine arme abwesende , - bald hätte ich gesagt verstoßene - Tochter .
In trübe Gedanken vertiefte ich mich bis sieben Uhr , und noch regte sich keine Seele .
Endlich wagte ich es , und wollte mich ankleiden , denn ich schämte mich , vor diesen fremden Leuten unangekleidet zu erscheinen .
Bei der Bewegung , die ich machte , stieß ich unglücklicherweise an einen Tisch ; über das Geräusch erwachten sie , und waren sehr böse , daß ich sie gestört hatte .
Aber , sagte ich , es ist ja schon über sieben !
Auf ihrem Dorfe mag das freilich schon horribel spät sein , sagte die eine , und die Komtesse brummte etwas , wovon ich nichts verstand , als das Wort , gemeines Volk .
Jetzt kam ein recht freches Stubenmädchen herein , und sagte : Monsieur Magot ist da , er hat nicht lange Zeit .
Ich erschrak , und dachte nicht anders , als daß schon so früh ein Besuch käme ; aber aus den Antworten der Fräulein merkte ich wohl , daß es der Haarkräuseler sein müßte .
Drauf fuhren die Langschläferinnen in die Kleider , und dabei mußt ich wieder an Sie , meine liebe Mutter , denken ; denn ich sah wie unglücklich die Fräulein waren , keine liebe Mütter zu haben ; in der Eile , mit der sie die Kleider überwarfen , rissen sie Bänder und Schleifen ab , steckten die Röcke mit Stecknadeln zu , zogen Strümpfe mit großen Löcher an , die dann ein seidener bebänderter Schuh zudecken mußte .
Als sie kaum , kaum bedeckt waren , trat Monsieur Magot herein .
Ich schämte mich , weil ich noch nicht ganz angekleidet war , und zog mich in den finstersten Winkel des Zimmers zu rück .
Aber meine Gefährtinnen waren durch die Gewohnheit schon dreister als ich , denn sie saßen mit ganz bloßer Brust , und ließen sich das nicht anfechten .
Magot sah nicht aus wie ein Mensch , der andere bedient ; ich habe eine so schöne Mannsperson noch gar nicht gesehen .
Er wußte den Fräulein viel Höfliches und dabei auch Spaßhaftes vorzusagen , und da eben die anderen nicht hinsahen , warf er der , die er gerade frisierte , einen Brief in den offenen Busen , so daß mir das Gesicht vor Scham ordentlich brannte .
Von meinem Vetter , sagte sie ganz gelassen , als sie bemerkte , daß ich es gesehen hatte .
Das sind doch gewiß alles recht sonderbare Gewohnheiten hier zu Lande .
Mir gefallen unsere aber doch besser .
- Nachher wurden wir zum Frühstück gerufen .
Ma chere Madame stellte sich in den Kreis , den wir um sie schlossen , und die Saus-Gouvernante die ganz taub ist , und der Schwäche wegen sitzen mußte , las einige französische Gebete , die aber , da sie zahnlos ist , ganz unvernehmlich waren .
Sie unterbrach sich oft , um durch Mienen anzuzeigen , welche Eleve sich gerade halten sollte .
Die Größeren lachten , und gaben sich allerlei schalkhafte Winke .
Ich aber mußte wieder weinen ; denn mir fielen unsere lindenauischen Morgenandachten ein , wie fromm unser treuherziges Gesinde um Sie herumstand , und auf Ihre rührenden Worte so merkte , als wollten sie sie auswendig lernen .
Dabei war mir immer so , als ob ich dem lieben Gott das alles selbst sagte , und ihm so herzlich für Alles dankte , wie Ihnen ! -
Während des Gebets hatte Madame mich einigemal sehr scharf angesehen .
Mir klopfte das Herz vor Bangigkeit , was es doch nur sein würde ; denn in Wahrheit , ich fürchte mich noch vor all diesen fremden Leuten .
Kaum hatte Madame Poulet ( so heißt die französische Lehrerin ) ainsi soit il , Amen ! gesagt , ( denn so enden alle diese Gebete ) , so fragte sie mich , ob ich so wie ich da wäre , in die Kirche zu gehen gedächte ?
Ich wurde rot , und sagte :
Das wäre mein bestes Kleid .
Sie meinte , an sich wäre es eben so übel nicht ; es wäre nur die Frage , ob die Fräulein so mit mir gehen würden .
Und dann die Haare ! das ist doch gar zu dorfmäßig .
Magot mag sie ihr verschneiden und auslocken , sagte Mad. Brennfeld nachlässig , das wird ihren Vater jährlich etwa 20 Rthl . mehr kosten .
Erwähnen sie_es , wenn sie an ihn schreiben .
Für heute mag_es einmal gut sein .
Nun nahmen wir das Frühstück ein , wobei Madame still für sich las .
Ist das Tee oder Kaffee ? fragte ich die Pensionairinn neben mir .
Wie boshaft ! sagte diese leise , Kaffee ist_es ; ich versichre sie , recht guter Kaffee , sie werden ihn noch anders zu trinken bekommen .
Ach meine gute nahrhafte Milchsuppe in Lindenau ! dachte ich wieder .
Um neun Uhr wurden wir in die Kirche geführt , und zwar durch die Untergouvernante in eine französische zur Übung der Sprache . O mein Gott , wie fremd blieb das alles meinen Herzen !
Wenn ich in unsere kleine reinliche Dorfkirche trat , und die lieben Landleute stimmten so ein herzliches Lied an , überlief mich es recht , wie ein heiliger Schauder .
In diesem französischen Gesinge war gar nichts dem Ähnliches .
Eine schleppende Melodie , die aus einer Strophe in die andere hinein , durch fatale Nasentöne gezogen wurde .
Dann der Inhalt , der ein Psalm war , in welchem David über Dog den Edomiten klagt , und um Sieg bittet , da er von Saul verfolgt wird .
Ich wußte mir davon nichts auf meinen Zustand anzuwenden , und sang nicht mit ; denn ich weiß ja von keiner Verfolgung , - sie müßte denn noch etwa kommen .
Ich las während dessen in meinem Gesangbuche , das Sie , lieber Vater , mir zu Weihnachten geschenkt haben .
Mad. Poulet ließ mir aber durch eine unserer Kleinen zuflüstern , das sei indezent , und ich sah nun meiner Nachbarin ins Buch ; aber gesungen habe ich nicht .
Als der Prediger auf die Kanzel trat , ja Väterchen , das war nun wohl nicht recht , aber - da kam mir das Lachen an .
Er schien mir nicht viel älter als Bruder Fritz , und sah gerade so aus , als wenn der sich der lieben Mutter schwarze Schürze umhing , und uns vorpredigte .
Ich habe gar nicht gewußt , daß man auch so junge Prediger hat . -
Und wenn ich auch recht ordentlich französisch verstünde , hätte ich von diesem doch kein Wort verstanden , so unerhört geschwind sprach er , und gebärdete sich dabei so , als ob er mit jemand zankte .
Er hatte ein weißes Schnupftuch , das breitete er über die Kanzel hinaus , als ob er an seinem Schreibtische allein wäre : und wenn er sich verschnaufte , welches ihm bei seinen heftigen Gebärden wohl Not tun mochte , nahm er Tabak wie bei Freunden .
Das mag aber wohl nur mir , die an den Ernst , - man nennt das ja wohl Würde , lieber Vater ? mit der ich immer predigen hörte , gewöhnt ist , - so sonderbar vorkommen ; denn es schien sonst Niemanden aufzufallen , es waren sogar einige gerührt .
Ich begreife gar nicht , wie einen das Französische rühren kann ; es kommt mir nur immer wie Spaß vor .
Nun mit einemmal war_es Amen und aus .
Dann wieder ein Dankpsalm für erhaltenen Sieg ; und nun froh und freudig auf den Kirchhof geeilt , wo der Prediger , der ein Neveu der Gouvernante ist , schon unserer wartete :
Eine der größeren Fräulein neckte ihn mit seiner Predigt , aber er war der erste , der sich darüber lustig machte ; überhaupt war er ganz so schäkernd und spaßhaft , wie der Friseur .
Das ging den ganzen Weg so fort , denn er ging mit dem ganzen Zuge junger Mädchen zu Hause .
Mit den Vornehmsten unter uns , tat er sehr schön , küßte ihnen auch mitunter die Hände ; mir aber begegnete er wie einem kleinen Kinde , obgleich er doch wohl selbst kaum aus den Kinderjahren ist .
Nachher bat ich Madame Brennfeld , mich in eine deutsche Kirche gehen zu lassen , damit ich alles , was vorkäme , verstehen könnte ; sie schlug es mir aber ab , und sagte , ich würde es schon verstehen lernen , ich müßte mich in der Sprache vervollkommnen , und dazu würde das Hören französischer Predigten viel beitragen .
Den Mittag und Nachmittag fuhren die jungen Damen eine hier , die andere dorthin ; sie waren so schön und so geputzt , als ich in meinem Leben noch niemand gesehen habe .
Ich und die anderen welche zu Hause geblieben waren , wurden von der alten Französin auf die Promenade geführt .
Das ist aber ein erbärmliches Vergnügen , liebe Eltern ; darum nennen sie es auch wohl eine Promenade , damit man sich bei dem Worte Spaziergang , nicht etwa betrüge , und Vergnügen erwarte .
Wir wurden in einer staubigen Allee auf- und abgetrieben .
Keine darf stillstehen , oder sich umsehen , denn das ist wider den Wohlstand .
Da ist an kein Vergnügen zu denken , und es vergeht einem auch wohl , wenn man in seinem besten Staate , der recht geschont und vor Flecken bewahrt werden soll , eine halbe Meile auf dem Steinpflaster gegangen ist , ehe man aus der ungeheuren großen Stadt hinaus kommt .
Einige von uns drückten die neuen Schuhe so , daß sie fast ohnmächtig wurden .
Dabei liefen die armen Mädchen immer , damit ich zurück bleiben sollte ; denn sie schämten sich meiner , weil ich nicht nach der hiesigen Mode angezogen war :
sie jammerten mich recht , so trübselig sahen sie aus .
Der Anblick so vieler wohlgekleideten Menschen war mir wohl neu , aber ganz und gar nicht angenehm .
Wie gern wäre ich dafür auf unserer schönen Wiese im Birkengrunde gewesen , und hätte in meinem leinenen Röckchen , mit meinen Brüdern und Schulzen Louischen getanzt .
So aber habe ich meinen armen Fritz noch nicht einmal gesehen .
Ach Gott ! wie das alles so fatal und gezwungen ist !
Mit seinem Bruder an einem Orte zu wohnen , und ihn nicht einmal zu sehen !
Nehmen Sie mich ja recht bald aus dem fatalen Orte weg , der mich so mißvergnügt macht !
Liebe Eltern , Sie können mir_es glauben , ich habe hier noch nicht ein einzigesmal recht von Herzen gelacht .
Ich küße Ihnen kindlich die Hände , geliebte Eltern , und bin zeitlebens Ihre gehorsame zärtliche Tochter Juliane . "
Dieser Brief , fuhr Grüntal fort , indem er denselben mit sichtlicher Rührung wieder in seinen Umschlag legte , muß Sie überzeugen , was für eine liebe , zarte , unverdorbene Pflanze ich in dies Berlinische Treibhaus gegeben hatte .
Freilich hatte ich das arme kleine Ding , nur in der beschränkten Sphäre unseres sehr einfachen häuslichen Lebens gesehen .
In unserem Herzen schlummern , so lange wir einsam leben , tausend Triebe und Neigungen , und erwachen vielleicht nie , wenn das Geräusch der großen Welt oder des vornehmen Lebens sie nicht weckt .
Der , welcher sich deswegen aus irgend einem abgesonderten Orte ein Weib zur Gefährtin seines Lebens holt , weil sie still erzogen wurde , verfehlt gemeinhin seinen Zweck .
Ein welterfahrener Mann hat mir gesagt , daß es darum in katholischen Ländern der guten Ehen sehr wenige gebe , weil da die meisten Frauenzimmer in Klöstern erzogen werden .
Das still erzogene Mädchen mußte eingezogen sein , weil es die Eltern dazu zwangen ; man versetze sie aber nur auf einen größeren Schauplatz , und ihre verborgenen Anlagen werden sich so schnell entwickeln , daß selbst der Kenner sie sehr bald nicht mehr aus der bunten Maskerade wird heraus finden können .
Sie mißverstehen mich doch nicht , lieben Freunde ? unterbrach sich Grüntal , - ich meine so : daß sich_es nicht schickt , wenn der Orangebaum ins Kohlbeet , und die Kohlpflanze ins künstliche Treibhaus gebracht wird .
Jedem ist seine Sphäre bestimmt : dem Orangebaum künstliche Behandlung , und der Kohlpflanze Gottes freie Luft .
Und weiter preise ich die Eltern selig , die , in mannigfaltigen Verhältnissen , den geheimsten Keim eines Hanges den Seelen ihrer Kinder entlocken können !
Im Kreise stiller häuslicher und ländlicher Freuden , hätte meine Tochter ihre Bestimmung sicher nicht verfehlt , denn zu diesem ihrem wahrscheinlichsten Berufe hatte ich sie zu bilden gesucht .
- Mögen großstädtische Eltern ihre Töchter für großstädtische Verhältnisse bilden ! -
Einigermaßen beruhigte mich ihr Brief ; allein es blieben noch immer Gründe genug zu traurigen Besorgnissen , und ich fühlte nun die Lücken , die ich in ihrer Ausbildung gelassen hatte , sehr schmerzlich .
Meine Frau begriff nicht , daß das Mädchen nicht über alles , was sie sah und hörte , entzückt war .
" Sie muß sich das Kritteln über ihre Vorgesetzten abgewöhnen , sagte sie , ich werde an sie schreiben . "
Sie tat es , und ich kam durch den Postschein dahinter , daß sie ihr außer den Vorwürfen , noch eine nicht ganz kleine Summe in Golde , überschickt hatte .
" Was soll das , mein Kind ? fragt ich verdrießlich . "
Lieber Mann , sagte die arme Ertappte , werde nur nicht böse !
Julchen kann in Berlin doch nicht so einfach wie in Lindenau einhergehen .
Sie wird das Geld an hundert Stellen brauchen .
Es tut einem doch wehe , wenn man hört , daß sein Kind zurückgesetzt wird !
Haben wir_es doch , Gottlob ! dazu .
Du kannst mir die kleine Tändelei mit dem einzigen Mädchen , immer erlauben !
Diese kleine Tändelei hatte indes doch die nicht unbedeutende Folge , daß die Tochter im folgenden Brief , schon so fest wie ihre arme unerfahrene Mutter überzeugt war , man habe ohne Modezuschnitt jeglicher Art keine recht eigentliche Existenz .
Sie schämte sich der sauberen einfachen Kleider , die wir ihr mitgegeben hatten , weil keine Stickerei drin war , und nannte eine Reihe ausländischer Namen von Zeugen her , worin sie wohl gekleidet sein möchte .
Mir taten davon die Ohren wehe .
Der Mutter aber funkelten die Augen , da sie den Brief las , bei dem ich in Wehmut hätte zerfließen mögen .
So wie auch das chere mère ihr im Herzen wohl tat , daß sie wie ein Kind dabei kicherte .
Unserem rechtschaffenen Pfarrer Eiche wagte ich nicht die schnellen Fortschritte des Mädchens mitzuteilen , weil ich mir innerlich vielleicht selbst noch schmeichelte , daß ich ihr wohl zu viel tun möchte , und auch gern meiner Frau schonen wollte .
Also blieb mir nur der Trost , an Julchen diesen Brief zu schreiben .
" Ja , mein liebstes Kind ! noch vermisse ich dich und unseren Fritz allenthalben .
Oft denke ich , wenn in der Frühe meine Tür aufgeht , mein Julchen bringt den Tee und bietet mir freundlich einen guten Morgen :
denn du gute Tochter warst freilich immer freundlich , das kann ich sagen .
Da ich aber selbst in unsere Trennung gewilligt habe , obschon ich jetzt nicht begreife , wie das zugegangen ist , muß ich mich wohl beruhigen .
Ich habe noch kein Tagebuch von dir erhalten , wohl aber Briefe , die mich mit recht traurigen Besorgnissen erfüllen .
Zwar verarge ich es deiner Jugend und Unerfahrenheit nicht , daß du nach der Mode , und deiner gegenwärtigen Lage gemäß , gekleidet zu sein wünschest , und deshalb bestätige ich das Geschenk deiner Mutter .
Wende es immerhin zur Tändelei an , wenn du glaubst , daß es recht sei , eine Summe zu vergeuden , von der eine arme Familie ein Jahr lang leben könnte .
Verschleudre es zu Putz , in welchem du dich vielleicht schon künftigen Monat , ohne dich lächerlich zu machen , nicht mehr wirst zeigen können . -
Hüte dich die Schranken deines Vermögens und deiner wahrscheinlichen Bestimmung zu überschreiten .
Ich muß dir sagen , daß du nicht reich bist , und zur vornehmen Klasse gehört eines Amtmanns Tochter auch nicht , wovon du dich um so mehr überzeugen wirst , wenn du dich erinnerst , daß sonst allenthalben ein Amtmann nur der Pachter heißt .
Das ist aber auch eine von den Inkonvenienzen der Kostschulen , daß die geringere Klasse dort mit der vornehmeren über einen Leisten geschlagen wird , und alle mit einem und demselben Firnis überzogen werden .
Das wird auch dein Fall sein , mein liebes Kind , wenn du zu unbesonnen der Mode frönst .
Sie ist eine nimmersatte Hyäne ; die besten Frauenzimmer sind oft , ehe sie es glaubten , von diesem Ungeheuer ergriffen worden .
Meine liebe , lies doch das dritte Kapitel der ersten Epistel Petri ; beherzige besonders den 3. u. 4. Vers :
Welcher Geschmack soll nicht auswendig sein mit Haarflechten und Goldumhängen oder Kleiderumlegen ; sondern der verborgene Mensch des Herzens , unverrückt mit stillen sanften Geiste , das ist köstlich vor Gott .
Mein Töchterchen ! du wirst hoffentlich diese Ermahnung , darum , daß ein Apostel sie gibt , niemals zu altväterisch finden ; sie paßt für jegliches Zeitalter , für das jetzige aber ganz besonders .
Auch ist es mir nicht lieb , daß du die gute ländliche Sitte des Frühaufstehens , mit dem schädlichen Langschlafen vertauschen mußt .
Du sollst ein Kämmerchen für dich allein haben , und kostete es auch mehr als vier Friseurs .
Denke nur , mein Julchen , wie viel du weniger lebst , wenn von jedem Tage drei Stunden abgehen !
Fühlst du nicht jetzt schon , daß du dich um die Freuden der Erholungsstunden bringst ?
Denn bei so verkürzten Tagen wirst du schwerlich noch Stunden zu deiner Erholung aussetzen können .
Die lange üble Gewohnheit hat die Stadtdamen freilich dahin gebracht , daß sie alle ihre Tage zu Festtagen machen können , ohne die geringste Unruhe im Herzen dabei zu empfinden .
Du bist , Gottlob ! so nicht erzogen , meine Tochter .
Du hast früh gelernt , dich vor dieser trostlosen Vergessenheit deiner Bestimmung zu hüten .
Es ist dir aus übelverstandener Schamhaftigkeit nicht verschwiegen worden , daß auch du zu den Pflichten der Gattin und Mutter bestimmt bist .
Sei dessen fleißig eingedenk , und versäume keine Gelegenheit , das zu lernen , was zu diesem Endzwecke führt .
Aber die Vielwisserei ( du wirst mich verstehen ) fliehe wie die Unwissenheit .
Die kluge Frau von Lambert sagt in dem Rat , den sie ihrer Tochter gibt : mais songes que les vieles doivent avoir sur les sciences une pudeur presque aussi tendre , que sur les vices . In allem , was die Stadt Plaisirs nennt , empfehle ich dir eine besondere Nüchternheit .
Du würdest dir durch den Genuß geräuschvoller Vergnügen , den Geschmack an den einfachen Freuden der schönen Natur verderben , zu welchen man doch zu seiner Zeit wieder zurückkehren muß . Deinem Geschlecht insonderheit stehen Jahre bevor , wo die Männer von euren Personen sagen :
sie gefallen uns nicht ; und in welchen öffentliche Lustbarkeiten , euren schmucklosen Gesichtern nicht mehr anstehen .
Dann findet ihr den sichersten Trost in den Armen der treuen Freundin Natur , die eure Eitelkeit durch keinen empfindlichen Kontrast beleidigt .
Diese Bemerkung wird dir allerdings im fünfzehnten Jahre etwas zu früh angebracht scheinen .
Jetzt ahnest du auch jene Zukunft noch nicht , aber , Kind ! du wirst einst dieser Worte gedenken .
Die goldene Jugend verfliegt pfeilschnell , und wehe dem , der nicht zeitig genug an ihre Hinfälligkeit dachte .
Ich bin ernster geworden als ich es wollte .
Beruhige mich , und schicke mir bald dein versprochenes Tagebuch zu , damit ich mich mit meinen Augen überzeuge , daß du meiner Liebe wert bist . "
Mein gutes braves Weib , ( denn das war sie mir doch bei allen ihren kleinen Fehlern und Vorurteilen ) meinte :
ich würde unsere Tochter durch dergleichen Ermahnungen nur immer schüchterner machen .
Bei einem jungen Mädchen sei die Eitelkeit natürlich , und gäbe sich von selbst , sobald die Veranlassungen dazu nicht mehr vorhanden wären . -
Nach einiger Zeit erhielt ich Julchens Tagebuch .
Hier ist es unverändert .
Den 12. August .
Mein lieber Vater wünscht , ich soll frühe aufstehen , wie in Lindenau ; ja , wenn er nur wüßte , er würde es selbst sehen , daß es hier gar nicht angeht !
Wir gehen vor zwölf Uhr nicht zu Bette .
Gestern Abend zum Beispiel haben wir mit dem jungen Prediger , dem Neveu der Gouvernante , allerlei witzige Pfänderspiele gespielt .
Erst war ich blöde , und wollte mich von keinem Manne küßen lassen .
Überdem weiß ich ja wohl , was mein Vater von dergleichen hält .
Die anderen aber sagten , das wäre Ziererei , ich wäre eine kleine Landpute .
Das ärgerte mich ; ich zwang mich ein wenig , und da ging es recht gut .
Ich war so lustig wie die anderen , und wurde ordentlich übermütig , wie sie sagten .
Das brachte mir nun gleich den Vorteil , daß Fräulein Mariane von Lindenfels mich du nannte , und recht familiär mit mir tat ; nun werden_es die anderen auch wohl tun , denn Mariane ist die älteste und schon Braut .
Beim Schlafengehen war mir , von allem Lachen und Schäkern der Kopf so wüst und hohl , daß ich schlechterdings nichts Ernsthaftes denken , viel weniger aus dem Herzen beten konnte ; ich gestehe , daß ich daher nur flüchtig ein Abendgebet las , wobei mich aber die lustigen Mädchen unaufhörlich neckten und dazwischen trallerten .
Nachher konnte ich nicht einschlafen ; mich dünkte ich hätte Böses getan , und mir war wie beklommen ums Herz .
Noch ängstlicher wurde mir , als mir plötzlich einfiel , mein verehrungswürdiger Vater möchte wohl um eben die Zeit , da ich um Pfänder spielte , für mich gebetet haben ; denn das tut der liebe gute Vater gewiß immer .
Ich seufzte so , daß es Fräulein Mariane hörte , und mich fragte , was mir wäre ? -
ich schäme mich zu sagen , was sie vermutete , warum ich geseufzt habe ; sie ist so leichtfertig ; darauf gestand ich_es ihr .
Ach Närrchen , sagte sie ; wenn dir sonst nichts ist !
Desto besser , wenn der Vater für dich betet ; du wirst hier bei uns so das Beten bald satt kriegen ; solche Pedanterien schicken sich nur für das langweilige Dorfleben .
- Mich schauderte recht bei solchen Reden .
Lieber Vater , die Stadtleute sehen wohl nur von Außen so hübsch aus ?
Heute am 13. erwachte ich so spät , und war so damisch , daß ich wieder keinen Augenblick zu irgend einem ernsthaften Gedanken fand .
Die Maitresse kamen , und ich habe die erste Tanzstunde bekommen ; aber o weh ! ich dachte immer ich sei gut genug gewachsen , Monsieur Belair schüttelte mich aber so zusammen und riß mir die Schultern so zurück , daß ich vor Schreck und Schmerz laut aufschrie .
Die Füße wurden mir dabei in einem sogenannten Fußbrett so auswärts gedreht , daß ich sicher glaubte , sie wären mir verrenkt .
Ach und die Reverenz !
Denken Sie nur , die Damen machen keine Kniesenkung mehr , sondern gerade so einen Bückling , als wenn unseres Meyers Christel in die Stube trat , den ich immer nachzumachen pflegte .
Das erstemal als ich so einen vor dem Tanzmeister übte , machte ich in Gedanken einen Kratzfuß dazu ; da entstand ein gräulich Gelächter .
Ach , mir vergeht fast die Geduld , ehe ich alle die hiesigen Manieren inne haben werde .
Am Abend tanzten wir erst , und dann laß ich Madame Brennfeld etwas aus einem Buche vor , das Lessings Fragmente heißt .
Ich verstand zwar nicht viel davon ; Madame aber ist entsetzlich gelehrt , und wie mir Mariane sagt , eine Philosophin . Zuweilen soll ihr Vetter , ein junger Kandidat , herkommen , dann disputieren sie beide über allerlei Materien aus der Religion .
Das sei aber entsetzlich ennuyant , sagt Mariane .
Der Kandidat soll übrigens ein hübscher Junge sein , wäre er nur nicht so ein Pedant , meint das Fräulein .
Den 14 .
Ich habe meine Trägheit diesmal glücklich überwunden , und bin um fünf Uhr aufgestanden .
Ich wußte aber nichts mit mir anzufangen , denn hier , wo nur alles mit Zwang geschieht , habe ich an nichts eine rechte Freude ; darum macht mir auch mein bisschen Klavierspielen kein Vergnügen mehr .
Da soll ich immer Sonaten und Bachsche Sachen spielen , von denen ich nichts verstehe .
Zuweilen , wenn es niemand hört , spiele ich meine alten Stückchen , der lieben Mutter Lieblingslieder , und alles was mein Vater gern zu hören pflegte ; dann weine ich dabei , bis mir das Herz leicht wird .
Die Arbeit welche wir machen , kommt mir auch gar nicht wie Arbeit vor .
Es werden Börsen gestrickt , und allerlei Sächelchen gestickt , die man gar nicht braucht .
Ach ! wenn die Stunden aus sind , wird uns die Zeit immer entsetzlich lang .
Madame ist dann immer in ihrem Kabinett und schreibt oder liest ; wir sehen denn alle aus den Fenstern ob nichts Neues auf der Straße ist , oder schicken das Hausmädchen nach einem Kuchenladen , und schmausen dann wie auf einer Kindtaufe .
Das schmeckt uns denn auch , weil wir uns bei Tische von den behenden Gerichtchen selten recht satt essen können , und das Butterbrot Abends gar dünne und mager ist , immer vortrefflich .
Madame Brennfeld sagt zwar , so recht mit Appetit essen sei so animalisch , und Bier oder Wein trinken , errege Sinnlichkeit .
Kann sein ; aber wenn wir nur einmal über so eine Lindenauische Schüssel kämen , sie sollte unserem schlafen Magen recht gut tun . -
Die Tage kommen mir hier länger vor , als auf dem Lande ; da waren sie mir oft zu kurz , und ich erwartete den folgenden Tag mit Ungeduld , um die angefangene Arbeit vollenden zu können .
Den 15 .
Ach Gott ! wie bin ich innerlich beschämt !
Ich suchte einige Blumen und Bänder für meine Haare , und da fiel mir das neue Testament in die Hände , das die gute Mama hineinlegte , und zwar noch ganz so eingewickelt .
Ich wurde , so allein ich war , brennend rot im Gesicht , daß ich die teure Sorgfalt der guten Mutter so schlecht belohnt hatte !
Denn ich darf nicht leugnen , daß ich an dies liebe Buch hier noch gar nicht gedacht habe .
Nun , ich will alles nachholen , wenn_es die anderen nur nicht sehen , die necken einen dann , besonders Mariane , die immer französische Bücher in ihr Bette versteckt .
Das mögen freilich wohl die rechten sein , wenn sie so geheim damit tun muß .
Sie sagt , ihr Bruder , der ein Kornett ist , gäbe sie ihr .
Wie gefällt Ihnen das , Pasterechen ? unterbrach sich der Amtmann , und wischte sich den Angstschweiß ab .
Es ist lange her , aber Gott weiß , das Herz im Leibe wendet sich mir bei solchen Schlechtigkeiten um . -
Nun weiter .
Nachmittags sind wir in Charlottenburger Garten gewesen .
Hätten doch meine lieben Eltern das gesehen ; so schön , so prächtig !
Ach , was war da Amtmanns Julchen für ein armes kleines Licht .
Es tut doch dem Herzen weh , überall und überall die Geringste zu sein !
Davon habe ich in Lindenau nichts erfahren .
Freilich war ich da immer unter meines Gleichen oder Geringeren .
Mein Bruder ist mir auch mit einem seiner Lehrer begegnet .
Ach !
wie der arme Fritz so steif gegen die anderen aussah .
Meine Gefährtinnen lachten über ihn , da habe ich recht weinen müssen .
Wenn es ihm der liebe Vater doch schriebe , daß er sich ein wenig mehr nach seinen Mitschülern richtete , den Zopf nicht so dicht an dem Kopfe , und die Locken nicht so geklebt trüge .
Freilich ist_es mir manchmal ordentlich , als ob er so ehrlicher aussähe als die anderen .
Zuletzt als wir uns ganz müde gesehen und gelaufen hatten , fuhren wir auf Bauernwagen zurück .
Mir hüpfte recht das Herz vor Freude , als ich den Korbwagen bestieg .
Wenn es so nach Lindenau ginge , dachte ich , und doch war_es auch als wäre mir bei der Vorstellung ein wenig bange .
Vom Tor an gingen wir durch die Lindenallee zu Hause .
Da stand ein Mann mit einem Raritätenkasten , der Kaiser und Könige auf seine eigene Art reden ließ .
Mit einemmal aber hieß es : " da werden sie sehen den Herrn Christus am Kreuz ! " und alles lachte und belustigte sich daran .
Mein Gott , ich habe das schon so oft bemerkt , daß sich die Leute hier nicht so recht viel aus dem Herrn Christus machen .
Das sagen auch meine Mitschülerinnen , sogar unser Hausgesinde ; wenn sie unter einander sprechen , und bei diesen Spöttersinn erlaubt man auch noch , daß diese heilige Geschichte so öffentlich prostituiert wird ?
Mir traten Tränen in die Augen , und ich ließ meinen Unwillen darüber merken ; da wurde ich ausgelacht , und selbst Madame Brennfeld sagte , es wäre recht gut für mich , ich sollte nur bei meinen ländlichen Ideen bleiben .
Wenn meine Vernunft mehr Fortschritte gemacht haben würde , wäre mir das Weiterforschen unverwehrt .
Mir wird ganz bange , lieber Vater !
Bei solchen Reden scheine ich mir so einsam , als wäre ich unter einer fremden Nation , oder unter Juden , die meines Glaubens nur spotteten .
Den 16ten .
Ach !
ich bin recht entsetzlich erschrocken !
Ich und alle Pensionnairen sind zu einem Ball , bei dem Vater der Fräulein Lindenfels , eingeladen ; er will ihren Geburtstag feiern .
Ein Ball ! in meinem Leben habe ich nicht geglaubt , auf einen Ball zu kamen .
Es muß etwas erstaunlich Schönes sein , denn sie sind Alle ganz außer sich .
Ich würde mich auch noch mehr darüber freuen , wenn ich gewiß wüßte , daß mein lieber Vater es gern sähe .
Wenn er doch recht ausdrücklich beföhle , wie ich mich in gewissen Fällen verhalten soll !
Ich vermag es nicht , zu leugnen , daß ich den morgenden Tag kaum erwarten kann ; und die Ungewißheit , ob ich recht tue mich zu freuen , ist mir ordentlich zur Last , so daß ich die Anderen beneide , wie die sich so ungestört ihrem Entzücken überlassen .
Mit den Lehrstunden sieht es heute schlimm aus ; keine hat Gedanken dazu .
Wir wollen früh zu Bette gehen , damit es bald wieder Tag wird .
Den 19ten .
Drei Tage habe ich Dich nicht angesehen , Du mein ehrliches Tagebuch !
Jetzt will ich alles nachholen , und so tun , als ob ich meinen lieben Eltern selbst erzählte , wie mir auf dem Balle zu Mute gewesen ist .
Von meinen Gedanken und Empfindungen werde ich aber wenig Rechenschaft ablegen können , denn in meinem Kopfe ging alles bunt durch einander .
So viel erinnre ich mich wohl , daß bei dem Schönen auch viel Nichtschönes ist , was man von fern nicht entdeckt .
Erst hatte ich mich gefreut , wie ich geputzt sein , und mir das so hübsch lassen werde ; aber als ich neben den anderen stand , kam ich mir ganz schlecht vor : besonders als Madame sagte , mir würde immer ein je ne scais quoi fehlen , das ich doch für mein Leben gern hätte , wenn ich nur erst recht wüßte , was es wäre .
Wenn ich also das je ne scais quoi nicht ertappe , hilft mir alle die Marter im Fußbrett , alle das Schmerzliche Auseinanderrecken in der Tanzstunde nichts .
Ich fühlte mich so gedemütigt und niedergeschlagen , daß ich nun schon lieber zu Hause geblieben wäre ; um so mehr , da die adeligen Mitschülerinnen heute ganz fremd gegen mich taten , und sich unter einander schon immer im Voraus ma chère fröle , und mich Mamsell Grüntal nannten .
Meine lieben Eltern haben mich gelehrt , ich solle mich allenthalben mit anständiger Freimütigkeit betragen , ein tugendhaftes Gemüt scheue nur Gott .
Das sagte ich mir oft vor , mich dreist zu machen ; aber als ich in die große vornehme Gesellschaft trat , war Mut und alles hin :
ich wünschte mich weit weg .
Die Knie wollten unter mir einsinken ; und darum war es mir auch schon ganz recht , daß Madame Brennfeld dem alten Baron Lindenfels nur ihre adligen Kostgängerinnen vorstellte , und ihm die Titel ihrer Eltern hernannte ; mich aber gar nicht bemerken ließ .
" Und wer ist denn dies schöne Kind ? " fragte der Baron , indem er , mit dickgeschwollenen Beinen , durch ein großes Augenglas mich bekackend , an mich heranrutschte .
Ich schlug die Augen nieder , als Madame mit einem recht widrigen Tone sagte : " Es ist eines gewissen Amtmanns Tochter aus Lindenau ; ihr Vater ist sehr reich , und hat mich inständigst gebeten , sie unter meine Zöglinge aufzunehmen . "
" Also ein Töchterchen vom Lande ? " sagte der alte Herr , recht häßlich grinsend , wobei er mich immer noch durch seine Gläser anschielte ; dabei sah er recht gräulich aus , und wollte sogar mich in die Backen kneipen .
Ich trat zurück , und dachte : so was leide ich von einem Fürsten nicht !
" Kleiner schüchterner Narr , " fletschte darauf der Alte , und fragte :
" Sie ist wohl noch nicht lange hier ? " -
Ach , ich war so verdrießlich , daß Madame mir leise sagte : " Mon dieu , quel visage !
Prenez garde à ce que vous faites , Julie . "
Des Fräuleins Tante , eine bejahrte aber sehr munter gekleidete Dame , machte die Wirtin .
Es ist vielleicht nicht ganz recht , daß ich Anmerkungen zu machen mir herausnehme ; allein ich kann mich nicht enthalten , einer Sache zu erwähnen , wogegen mein ganzes Herz sich empört , wie Madame immer zu sagen pflegt .
Einst sprach mein lieber Vater über weibliche Kleinheiten , und rügte die Bitterkeit , mit der die Frauenzimmer oft Abwesende behandeln .
Da meinte meine sanfte , immer gütige Mutter : so häßliche Gemüter gebe es schwerlich , wie der Verfasser , aus dem der Vater uns vorlas , sie schilderte .
Hier ist , was ich selbst mit angehört habe .
Die Tante sagte , als alle im Kreise um sie soßten , und sie den Tee machte , auf eine lustigseynsollende Art : ( aber sie sah recht garstig dazu aus ) wir werden heute etwas von der komischen Art haben ; eine Repräsentation in aller Form .
Meines Bruders Agent , der Rat M.. , wird heute seine junge Gemahlin ( auf dieses Wort legte sie einen besonderen Nachdruck ) vorstellen .
- " So ? " sagten verschiedene alte Damen zugleich ; " und wer ist sie , wenn man fragen darf ? " -
Eines ehrbaren Handwerkers Tochter ich glaube Steinmetz oder Kupferstecher war der Vater .
Er hat bei dem Bau im neuen Schlosse viel verdient .
Sie nannte ihn , ich habe aber den Namen nicht behalten .
Darauf sagte eine angenehme Dame von mittleren Jahren : " O , das ist ja der berühmte Bildhauer !
Da freue ich mich , dessen Tochter zu sehen ; " aber die vornehme Erzählerin bemerkte es kaum , und fragte : ist Bildhauer und Steinmetz nicht einerlei Handwerk ? - dann fuhr sie fort : " sie soll eben nicht häßlich aussehen ; hat sich auch als Frau Rätin schön herausstaffiert .
Nun , der Rat mußte wohl aufs Geld sehen ; er war ein armer Schlucker , und wenn mein Bruder ihm nicht fortgeholfen hätte " - - " Ich erinnere mich - fiel hier eine ganz alte verzerrte Oberstin ein - wenn ich nicht irre , ist bei dem Mädchen ' Mal so etwas passiert ; so etwas Kleines , von einem Offizier . - -
Ja , wenn die Bürgermädchen ein bisschen gut aussehen , so wird so viel Aufsehens gemacht , indes manches Fräulein aus dem besten Hause Sitzen bleibt . "
- Mariane winkte mir boshaft zu , und blickte auf ihre Tante ; ich fand das alles nicht hübsch , und sah wo anders hin .
- " Neveu , fuhr die Tante fort , indem sie einem jungen Offizier eine Tasse reichte , ich dächte , Sie gäben uns die Farce , den jungen Ehemann ein wenig eifersüchtig zu machen . "
Ehe der Neveu antworten konnte , flog die Tür auf , und der Rat trat mit einem wirklich schönen jungen Frauenzimmer herein .
So eben sprachen wir von Ihnen , meine charmante Rätin , schrie das alte Fräulein , und ihre Augen funkelten so , als wenn unser schwarzer Mausekater im Dunklen sitzt ; dabei eilte sie ihr mit offenen Armen entgegen .
( Wie konnten diese guten Leute es sich wohl träumen lassen , daß sie einen Augenblick vorher so jämmerlich waren zerrissen worden ? ) " Ich achte es für ein Glück , daß es mir vergönnt ist , der Gesellschaft ein so würdiges Paar vorzustellen . "
Die alte Dame , die von dem Kleinen gesagt hatte , mußte sich doch noch schämen können ; denn sie sah aus wie das böse Gewissen , und als die Reihe an sie kam , die junge Frau zu küssen , blickte sie seitwärts .
- Gewiß , die junge Frau betrug sich weder lächerlich , noch auf irgend eine Art unschicklich ; auch war sie bei weitem die Schönste und am besten Gebildetste in der ganzen Gesellschaft .
Bald nachher fingen sie an zu tanzen .
Menuetts tanzten nur einige bejahrte Herren und Damen , und die jungen Tänzer standen schon Paarweise bereit , ihre munteren Tänze anzufangen .
Diese begannen denn auch so rasch , daß sie bald , wie die Bindermädchen hinter den Mähern , glühten .
Einige Stundenlang tanzten die Adligen erst nur unter sich ; mir fing an die Zeit lang zu werden , obschon ich im Grunde froh war , daß man mich vergaß .
Mir fiel ein , was mein Vater einst zur Mutter sagte , als die Forstmeisterin sich so impertinent in unserem eigenen Hause aufführte :
" Bleibe bei Deinen Genossen , so wirst Du nicht verstoßen . "
Das hat , glaube ich , Luther einmal gesagt .
Als ich mich des Tanzens schon begeben hatte , die Fräulein aber nicht mehr recht fort konnten , kam Marianes Bruder , und zog mich aus meinem Winkel hervor .
Die junge Rätin hatte es abgeschlagen , weil sie heute gar nicht tanzen würde .
Jetzt verging mir vor Blödigkeit beinahe Hören und Sehen .
Ich habe noch nie anders , als einige Menuetts auf meiner Cousine Hochzeit , getanzt , und dazu munterte mich mein lieber Vater selbst auf .
Die starr auf mich gerichteten Blicke meines Mittänzers brachten mich vollends aus der Fassung , und ich wußte nicht wohin ? mit meinen Augen .
Fräulein Mariane lachte mich entsetzlich aus ; sieh ' meinem Bruder nur immer ins Auge , sagte sie , er ist ein guter lieber Junge : nicht wahr , Louis ?
Der Kornett küßte ihr und mir die Hand mit recht ungezwungener Art , und sagte mir auch viel Schönes , wie gut ich es gemacht hätte .
Da wurde ich etwas dreister ; und nachdem mir Mariane warmen Punsch zu trinken gegeben hatte , verlor sich meine Schüchternheit ganz , so daß ich es sogar wagte , mich in eine Quadrille einzulassen .
Hier glaube ich , etwas von der Ursache bemerkt zu haben , weshalb mein lieber Vater oft sagte , er möchte mich lieber auf dem Krankenbette , als in dem Taumel eines wilden Tanzes sehen .
Es ist ganz unmöglich , bei der betäubenden Bewegung , durch welche man schwindlig wird , genau auf sich Acht zu haben , und sich der Dreistigkeit mancher zudringlichen Mannspersonen zu entziehen .
Ich schämte mich recht über die vertrauten Stellungen , die man gegen seinen Mittänzer annehmen muß ; unglücklicher Weise fiel mir gerade in dem Augenblicke ein , als ich vor den jungen Offizier hintrat , recht keck balancierte , und mich ein wenig zu zieren bemühte : " wie , wenn jetzt Dein guter Vater , und der sittsamste aller Männer , unser Pfarrer Eiche , hereinträten , wie würde ich ihnen wohl in der Stellung erscheinen ? "
Ich sah in dem Augenblicke , als ich so dachte , gewiß recht einfältig und weinerlich aus , als ich darauf meinem Moitie in die Arme eilte , und dahinschwebte , indem er mich im betäubenden Kreisel wie davon trug .
Ich machte mir allerlei ängstliche Vorstellungen .
Der Zustand kann nicht beschrieben werden ; es war mir wohl und wehe , und ich fand mich so erhitzt , daß ich wohl nicht bei vollem deutlichen Bewußtsein war , als ich mich , ohne es selbst gleich zu merken , an meinen Tänzer schmiegte .
Dieser Rausch , denn so war es , würde vielleicht länger angehalten haben , wäre der Kornett nicht so dreist geworden , unter dem Vorwande . an meine Blumen zu riechen , einen Kuß auf meine Brust zu drücken .
Ich war höchst beleidigt , und sprach in einem recht aufgebrachten Tone , was alles , weiß ich nicht mehr .
Da kam Madame Brennfeld dazu , und fragte was es gäbe ?
Der Kornett erzählte den Vorgang auf eine lustige Weise , und Madame , statt es ihm zu verweisen , sagte zu mir :
" Mon dieu , Julie , que cela sent le village ! N' apprendrez vous donc jamais , ce que c'est qu'un badinage ? " Wäre ich doch nur zu Hause bei der tauben Französin geblieben !
sie ist wenigstens gutmütig , und beschämt einen nicht vor den Leuten .
Der ganze Ball war so einen Verdruß nicht wert .
Das soll mir nicht wieder begegnen .
Das hieß doch aber im Ernst , seine Zeit verschleudert ! einen Tag um die Anstalten zum Ball , Haarkräuseln und hundert Kleinigkeiten zu machen ; dann der Ball selbst , und den dritten Tag das Damischsein .
Aber so ermüdet ich war , schwebte mir doch , ich möchte sagen um so lebhafter , die Musik und das ganze bunte Gewirr vor , und , wie mich dünkt , in weit schönerer Gestalt , als es wirklich gewesen war .
Selbst wenn ich mich zwang , etwas vorzunehmen , kamen diese Vorstellungen immer , so zu sagen , von selbst wieder , und so warm , daß mir das Herz recht davon wallte .
Einigemal fiel mir s ein , ob unsere kleinen Familienfeste , die wir manchmal mit unseren Nachbarn feierten , mir auch wohl solche Bewegungen zurückgelassen hätten .
An meine guten Eltern dachte ich zwar wohl mit Liebe , aber - - ich habe es ja dem guten Vater versprochen , immer alles aufrichtig zu sagen ; und da darf ich es nicht leugnen , daß wenn ich mir das Landleben gegen diese Stadtvergnügen dachte , sie mir einförmig , ja ich möchte beinahe sagen recht armselig , vorkamen .
Das jammerte mich dann wieder , und ich bat es den guten Landleuten ab .
Ich hoffe , ein Brief von meinen Eltern wird mich beruhigen , und diese gar zu lebhaften Eindrücke wieder verwischen .
Den 21sten .
Das geht !
Aus einer Lust in die andere !
An dieser Freude wird mein Vater gewiß nichts auszusetzen haben ; er , der selbst Musik über alles liebt !
Ich bin in einem Konzert gewesen .
Madame Brennfeld erwartete eine gelehrte Gesellschaft , die sie gern ungestört genießen wollte ; darum erlaubte sie uns allen , einigen hier , anderen dort hinzugehen .
Ich fuhr , zu meinem unaussprechlichen Vergnügen , mit Fräulein Mariane und ihrem Vater , dem alten Baron , ins Konzert .
Sie gaben Erwin und Elmire , da hätte mein Vater die Arie :
" Ihr verblühtet , süße Rosen , etc . " von der Mama einmal beruhigt wurde , als sie ein starkes Fieber hatte , hören sollen !
Wenn es wahr ist , daß die Seligen musizieren , so muß es gewiß in solchen Tönen sein ; und ich möchte , für mein Leben gern , einen Mann sehen , der sich solche himmlische Melodien ausdenken kann .
Ich war ganz außer mir , und wußte gar nicht mehr , wo ich , noch mit wem ich war .
Alles andere kam mir so recht schal vor .
Mich dünkt , Musik macht ordentlich fromm und andächtig .
Mein Herz war so weich wie Wachs , und es gingen schnell allerlei rührende Vorstellungen durch meine Seele , die zwar keinen recht bestimmten Gegenstand hatten , aber ich war doch gewiß zu allem Guten aufgelegt .
Allein auch dieses Vergnügen ging nicht ohne alle Unannehmlichkeit ab .
Unterwegs , als wir hinfuhren , war das Fräulein sehr freundlich gegen mich ; auch der alte Herr fragte mich so gutmütig nach allerlei Dingen , von Lindenau , von meinen Eltern , etc. , und schien mit meinen Kenntnissen recht zufrieden zu sein .
Sobald wir in den Konzertsaal getreten waren , sah sich Vater und Tochter aber gar nicht mehr nach mir um , und ich war in Todesängsten , daß ich sie in dem Gedränge verlieren würde ; denn mich an den alten Herrn zu halten , hatte ich nicht das Herz .
Endlich erreichte ich sie doch , als sie sich eben in der vordersten Reihe gesetzt hatten , und setzte mich neben Mariane .
Mir war es so recht Bedürfnis , mit jemanden mein Vergnügen zu teilen ; aber wenn ich sie anredete , sah sie gerade immer wo anders hin , oder rief einen von den vor uns stehenden Herren heran .
Ein ältlicher Mann , der wohl sehr vornehm sein mußte , denn er trug ein Ordensband , fragte sie , wer das schöne Mädchen neben ihr sei ? ob es zu ihrer Gesellschaft gehöre ?
Ich weiß nicht wer sie ist , antwortete sie ohne Anstoß .
Da dachte ich , er könne mich auch wohl nicht gemeint haben , und ich schämte mich , daß ich das Wort schön auf mich gezogen hatte .
Allein nach dem Konzert , da sie der alte Herr , den sie Exzellenz nannte , herausführte , ließ sie mich auf gut Glück zurück , ohne sich nur ein einzigesmal nach mir umzusehen .
Ich drängte mich in der Angst mit Gewalt durch , kam aber doch zu spät , denn eben rollte der Wagen fort .
Da stand ich nun weinend , in Angst und Verwirrung , als plötzlich , wie ein Engel , mir Marianes Bruder erschien , und mich dadurch , daß er mich zu Hause führte , aus der größten Verlegenheit riß , in der ich in meinem Leben gewesen bin .
Mariane war schon lange vor mir angekommen , und hatte es der Madame geklagt , daß ich mich gar nicht zu ihr gehalten hätte ; sie hätte sich Mühe genug um mich gegeben , aber mit solchen kleinen Landputen sei nichts anzufangen .
Madame schalt mich , in Ausdrücken , die ich nie von ihr zu hören vermutet hätte , ja ich möchte sagen , sie habe mich geschimpft , denn dummes Tier kann doch wohl gewiß für geschimpft gelten .
Ich sei der Ehre nicht wert , sagte sie , die mir ein Fräulein von solchem Stande erwiesen habe .
Zuletzt kam es noch darauf hinaus , daß ich förmlich abbitten mußte !
O wie wehe tat mir diese schreiende Ungerechtigkeit ; eine solche Behandlung habe ich noch nie erfahren .
Ich litt alles ganz still , hielt es aber , als wir allein waren , Mariane vor .
Sie umarmte mich , weinte , und bat , ich solle es ihr nur diesmal verzeihen , sie würde mir gelegentlich sagen , warum sie so habe handeln müssen .
Die Madame könne ich bald versöhnen ; sie sei entsetzlich geizig , und wenn ich ein Stück Zeug zum Geschenk für sie hätte , habe ich alle Freiheit , zu tun , was ich wolle .
Ich erschrak , und sagte , daß ich es nimmermehr wagen würde , ihr etwas anzubieten . -
Ach , warum nicht ? antwortete das Fräulein lachend , an die zierlichen Sentenzen , womit sie um sich wirft , muß man sich nicht kehren ; es ist eine ganz gemeine Seele !
Gib den schwarzen Taft her , den Dir die Mutter geschenkt hat ; er ist zum Mantel .
Sie riß ihn mir weg , und fort war sie damit .
Sie hatte ihn ihr wirklich in meinem Namen gebracht ; dafür nannte sie mich ein gutes liebes Kind .
Nun muß ich schließen .
Morgen gehst du , ehrliches Päckchen , nach dem lieben Lindenau .
Ach , tausend Grüße für die besten Eltern !
Mein Bruder wird mit dieser Gelegenheit auch schreiben ; er hat mich besuchen wollen , als ich eben im Konzert war .
Ich küsse meinen lieben Eltern die teuren Hände , u. s.w. Lieber Amtmann , begann in der Pause , die jetzt Grüntal machte , die Frau Pastorin , ich gestehe Ihnen gern , daß in dem allen viel Abschreckendes für Eltern liegt , die ihre Kinder außer dem Hause wollen erziehen lassen .
Aber sagen Sie nur , wie sollen die Kinder Französisch , und was sonst noch zur feinen Ausbildung gehört , lernen ?
denn heutiges Tages gehört doch das Französische zu den ganz unentbehrlichen Dingen .
Unentbehrlich ? rief der Amtmann ; nennen Sie mir unter hundert Frauenzimmern drei , denen es unentbehrlich wäre !
Sie verstehen es , aber wozu ?
ich will nicht ehrlich sein , wo sie seit dem Pensionsleben fünf Worte in dieser Sprache von sich gegeben haben .
Der Bücher , des Lesens wegen ?
Haben wir denn etwa der deutschen Bücher , und der gewiß guten Übersetzungen nicht genug ?
Als ich noch Student war , kam ich einst zu einer Frau Professorin , die im Rufe der Gelehrsamkeit stand .
Sie las in einer englischen Ausgabe , von Thomsons Jahrszeiten ; ich gab zu erkennen , daß ich es nicht im Original gelesen hätte ; so , sagte sie , also hat man das auch deutsch ?
Wer hier die Pedanterie nicht mit Händen greift , muß Handschuhe von englischen Sohlleder tragen .
Gesetzt nun , die französische Sprache wäre , wie Sie glauben , unentbehrlich , gibt es denn gar keine Mittel , diesen Talisman an sich zu bringen , als das unseligste , die Töchter deshalb auf Jahre , die gerade die gefahrvollsten sind , der mütterlichen Aufsicht zu entziehen ?
Und sollen denn die Töchter ihre , vielleicht ganz alltäglichen Gedanken , durchaus in einer anderen als der lieben Muttersprache auszudrücken wissen ; so setze man gewisse leere Stunden dazu aus , und nehme einen rechtschaffenen Lehrer an , der ihnen dann in einem halben Jahre das beibringt , was sie sonst oft mit Aufopferung ihres ganzen moralischen Charakters in vielen Jahren entweder gar nicht , oder doch sehr unvollkommen lernen .
Überdem , wie lernen sie es in den kostspieligen Instituten ?
Ich weiß der Beispiele genug , wo nach den eigentlichen Lehrjahren doch durch einen Sprachlehrer nachgeholfen werden mußte .
Hierzu kommt : daß , wo ein Frauenzimmer die Sprache lehrt , dieses nur immer unvollständig geschehen kann ; denn welche spricht ihre Sprache nach Regeln ?
- Den französischen Sprachlehrer lasse ich indes nur für große Städte zu , wo diese Sprache oft ein Mittel werden kann , ehrlich durch die Welt zu kommen .
Schickt aber ein Mann vom Lande oder aus einer kleinen Provinzstadt seine Mädchen nach der Residenz , und opfert seinen besten Erwerbe auf , um sich ein Zierpüppchen zurechtdrechseln zu lassen , das in seinem Haushalte nachher zu nichts taugt , als die Köpfe zu verwirren , so ist er was ich war , - wozu ich mich beschwatzen ließ , - ein Narr ! -
Und wenn nun auch unter hunderten Drei vernünftig bleiben , und einen zweckmäßigen Gebrauch von dem Erlernten zu machen wissen , sollen denn , um der drei Willen , sieben und neunzig verdorben werden ?
Überdem , was erwächst nicht für Nachteil aus der unseligen Vermischung der Stände in den Pensionen ?
Es liegt in der Natur der Sache , daß der Geringere sich nach dem , den er für vornehmer hält , bildet . -
Dies tun Erwachsene , wie sollten es Kinder nicht tun ?
Gehen sie in die erste die beste französische Schule , oder in das französierte Institut einer deutschen Erzieherin , da finden sie Gräfinnen , Fräulein , Geheimratstöchter , und so hinunter und herauf , durch alle Klassen des bürgerlichen Lebens .
Die Tochter des Handwerksmannes wird eben so gemodelt , wie das Fräulein .
Für diese Klasse mag das schon gut sein , allein , was fängt die Handwerkerstochter nun mit dem Zeuge an ?
Bei ihres Gleichen findet sie keinen Mann von ähnlichem Modeschnitt ; sie sieht sich unter den Söhnen des Landes um , ob ihr einer anstehe .
Ist sie reich , so findet sie einen , so brüstet sie sich mit dem Titel desselben , staffiert sich modisch heraus , und bringt nun in ihren Koterien alles an , was sie noch von der französischen Schule wie am Schnürchen hat ; sie erzieht Kinder , denen sie den verstimmten Ton von Jugend an vorsingt , und so geht es aus Generation in Generation , wenn nicht ein Trübsalswind die bösen Dünste vertreibt ; und das kann bei der üppigen Lebensweise kaum fehlen .
Muß eine solche verbildete Bürgerstochter sich , ihrer Glücksumstände wegen , mit einem Handwerker , wie ihr Vater war , begnügen , so verbittert sie ihm das Leben , oder achtet auf die Schmeicheleien eines Galans , der sich ihres ehelichen Mißverhältnisses bedient , sie zu verführen .
Grüntal sprach so eifrig , daß er nicht merkte , wie schläfrig seine Zuhörer waren , bis die Pastorin das Signal zum Aufbruch durch ein unverhaltenes Gähnen gab .
Grüntal verstand es , und ging ; war aber so voll von seinem Gegenstande , daß er sich zu Hause noch hinsetzte , und seine Geschichte schriftlich fortzusetzen anfing .
Ich erhielt Julchens Tagebuch , oder wie ich es sonst nennen soll , da meine Frau sich eben nicht zu Hause befand .
Wie mir dabei zu Mut war , kann sich nur der vorstellen , dessen liebste Hoffnungen schon getäuscht wurden .
Kaum ein Vierteljahr aus dem väterlichen Hause , und schon mehr als die ersten Spuren offenbarer Verirrung !
O der armen zerbrechlichen Menschheit !
Mein gutes Weib kam , und ich mußte wohl sehr wild aussehen , denn sie erblaßte , und fragte zitternd :
was mir widerfahren sei ?
Da , lies nur , sagte ich ; hier ist was von Julchen . -
Doch nichts Schlimmes ?
Nicht viel besser als schlimm , antwortete ich , indem ich ihr den Brief hinreichte .
- Sie las , und warf sich , da sie gelesen hatte , mir um den Hals .
Bester Mann , sagte sie sanft weinend , mache mir keine Vorwürfe ; ich habe es , weiß Gott , herzlich gut gemeint .
Sieh nur , Männchen , wir müssen der Madame schreiben , daß sie Julchen besser in Acht nehmen soll . -
Das kann keine Fremde ; das kannst Du nur und ich , wir , die ihr junges Herz geformt haben , und es wie unser eigenes kennen , - rief ich , so angegriffen , daß meine Frau für nötig fand , mir zur Beruhigung , wie sie glaubte , zu sagen , ich solle doch auch billig sein , und bemerken , wie tugendhaft unser Kind sei ; wie böse sie geworden , da der Kornett zu dreist wurde .
Was kannst Du - sagte sie - von so einem rechtschaffenen Gemüte besorgen ? -
Sie soll mir aber mit keinem Kornett tanzen ! rief ich , so aufgebracht , daß mein Weib leichenblaß wurde . -
Und überhaupt , da kennst Du Dein Geschlecht sehr wenig , wenn Du nicht voraussetzest , daß dieser Tanz und diese Stellungen , und das ganze süße Geschwätz des jungen Menschen ihr nicht ganz vorzüglich wieder einfallen werden .
Das sind eben die Szenen , die sich ihrer Einbildungskraft immer verschönert wieder darstellen ; das sind die Vergnügen , gegen welche ihr das Landleben armselig erscheint .
Ein großer Kenner des menschlichen Herzens , Cervantes , setzte ich hinzu , läßt den Sancho sagen :
" Wenn ein Jüngling einem Mädchen nur ein einzigmal sagt :
ich liebe Dich , so flüstert der Teufel es ihr wohl hundertmal ins Ohr , bis sie über und über in Liebe auflodert . "
" Großer Gott ! " seufzte meine Frau erschrocken , und faltete ihre Hände .
Hinterher sagte sie ganz sanft :
" Nun wohl , Männchen , wenn das Jahr aus ist , nehmen wir sie wieder in das Haus .
Gesetzt nun aber , sie machte in der Stadt ihr Glück ? "
Liebe Frau , davon träume nicht ; unter den Adligen , die das arme Mädchen verächtlich behandeln ?
Denkst Du denn überhaupt , daß die jungen Mädchen , die von einer Lustpartie zur anderen Forttaumeln , je ein vernünftiges Glück machen können , und daß ein gescheuter Mann sich seine Gefährtin auf dem Ball aus dem leichtfüßigen Haufen wählen wird ? -
Tanzen ist doch aber an sich eine recht unschuldige Sache , sagte meine Frau in einem so friedlichen Tone , daß sie mir ihre ganze unschuldig verbrachte Jugend darlegte .
An sich , da hast Du recht , mein liebes gutes Lieschen , und wie Du getanzt hast .
Das geschah bei sittlichen Familienfesten ; da tanztest Du eine ehrbare Menuett , und wenn es rasch ging , war_es ein feierlicher Polonoisengang , bei welchem Deine Lebensgeister in ihren stillen Pulsen blieben .
So mußt Du Dir aber die Picknicks in den Städten nicht vorstellen ; da ist ein zusammengeraffter Haufen oft sehr leichtsinniger Männer , von denen der beste oft nicht wert ist , den Handschuh eines rechtlichen Frauenzimmers zu berühren .
Hier aber hat er sich für sein Geld das Recht erkauft , sich so lustig zu machen , als es die Umstände nur immer zulassen , und die Mädchen , welche sich zu dieser Lustbarkeit einfanden , nach Belieben wacker herumzuschwenken .
Da werden rasche , wilde , ja tolle Tänze getanzt , welche die Sinnlichkeit unfehlbar auf regen .
Wie steht es da um die jungfräuliche Würde , mit der ein Mädchen die Zudringlichkeit dreister Männer zurückweisen soll ? und hat sich das Mädchen nicht schon zum Teil ihres Rechts , sie einzuschränken , dadurch begeben , daß sie sich in eine solche Versammlung wagt ? -
Du wirst vielleicht denken : sind doch Mütter und Aufseher dabei !
Mein liebes Kind , die Mütter gingen der l' Hombreparthie wegen , die sie dort finden , mit ; und wenn sie solo-tout und sechs Matador in der Hand haben , so mag indes die Tochter sich dem Ersten dem Besten überlassen .
- Von solchen Tänzen , sagte meine Frau , habe ich freilich keinen Begriff ; ich gab ihn ihr , so gut sich das tun ließ , und zeigte ihr den Takt und die Stellungen , die in den neuesten Tänzen vorkommen .
Das mochte sich nun freilich in meinem nicht ganz makellosen Schlafrocke , und mit der großen Troddelmütze ganz wunderlich ausnehmen ; denn sie geriet in ein so unmäßiges Gelächter , daß es schlechterdings untunlich war , wieder auf etwas Ernsthaftes einzulenken .
Bald darauf beantwortete ich meiner Tochter Tagebuch nach dem vollen Eindruck meiner Mißbilligung .
Ich machte den Leichtsinn verächtlich , mit dem sie alle die besseren Eindrücke der Erziehung , die sie im elterlichen Hause empfangen , von den glänzenden Marionettenspiel der vornehmen Welt bei sich verdrängen ließ , warnte sie nachdrücklich vor den vor nehmen Freundschaften , über deren Unzuverlässigkeit sie nun schon einige bedeutende Erfahrungen gemacht hatte ; denn es ist immer Hundert gegen Eins zu wetten , daß es für bürgerliche Personen in adligen Gesellschaften selten ohne Demütigung abgeht , ob ich schon , zur Steuer der Wahrheit , hinzusetzen muß , daß sich der Brandenburgische Adel durch Humanität auszeichnet , weil er für echte Geistesbildung Sinn , und das treffliche Beispiel der ersten Personen im Lande vor Augen hat .
Allein nach meinen Begriffen ist die Gleichheit , in mehr als einer Rücksicht , Erfordernis zur Freundschaft ; der adelige Freund kann Jahre lang den freundlichsten Umgang mit mir pflegen ; plötzlich tritt ein Vornehmerer dazwischen , und der bürgerliche Freund wird verleugnet .
Zugleich schrieb ich an die philosophische Bonne , ersuchte sie in den höflichsten Ausdrücken , meine Tochter , die nie auf Reichtum zu rechnen habe , nur bürgerlich leben zu lassen , und sie , so viel möglich , für diese ehrenvolle Klasse zu bilden !
Ich hätte freilich so meine ganz eigenen Grundsätze in Ansehung öffentlicher Lustbarkeiten , und fügte schließlich , zur Unterstützung meiner ganz gehorsamen Bitte , ein Fässchen Butter , und was sich sonst noch so an Küchenpräsenten transportieren ließ , dem Briefe bei .
Dies tat seine gehörige Wirkung ; ich erhielt bald darauf die verbindlichste Antwort , daß sie sich meine Absichten ganz gern gefallen ließe .
Übrigens sei es aber grundschade , Julchen wäre für eine höhere Sphäre geschaffen ; viele ihrer Anlagen hätten sich zum Erstaunen schnell entwickelt , ich würde sie kaum wieder kennen .
- Zuletzt denn noch ein künstlich gedrechselter Dank für die excellente Butter , und eine verblümte Aufforderung , bei so guten Dispositionen zu verharren , welches sich meine gutmütige Frau nicht umsonst gesagt sein ließ .
Fragte ich nach diesem und jenem , so lautete die Antwort :
" Liebes Männchen , das habe ich Julchens Madame geschickt . "
Dafür wurde denn die treuherzige Mutter immer mit einem Lobspruche auf das gute Betragen der Tochter erquickt .
Auch hatte das Mädchen wirklich so erstaunlich profitiert , daß ich sie hin und wieder schon auf mancher kleinen Unaufrichtigkeit ertappte .
Nach und nach bekam sie eine ordentliche Fertigkeit - ich will nicht sagen zu lügen - aber dem , was ich nicht wissen sollte , auszuweichen .
Dies betrübte mich recht herzlich , und ich war entschlossen , sie , trotz alles Widerspruchs , auf Ostern nach Hause zu nehmen .
So lange ich lebe ist_es mir aber so gut noch nicht geworden , die Umstände regieren zu können ; sie haben mich immer , ohne mein Zutun , da- und dorthin geschoben .
So ging mir es denn auch hier .
Einst an einem schönen Morgen kam unser Pastor Eiche zu mir .
Ich sah es seinem offenen Gesichte bald an , daß er etwas auf dem Herzen hatte ; es wollte sich irgend eine wichtige Mitteilung davon losarbeiten .
Für es erste kam es heraus , daß er , ganz ohne sein Mitwirken , einen Ruf nach Berlin bekommen hatte .
Zweitens erfuhr ich denn auch noch das , lange so sorgfältig verschlossene Geheimnis , daß er Julchen liebe , und sie zu heiraten wünsche , wenn sie alt genug sein würde , und wenn sie , wie sich das von selbst verstände , ihm nicht abgeneigt wäre .
Das wird sie nicht , rief ich , freudig ihn an mein Herz drückend ; wenn sie nicht ganz zur Törin wird , kann sie das nicht !
Aber wie ? holen wir das Mädchen gleich her ? -
Ich würde dann leider ! der Freude , sie zu sehen , bald verlustig werden :
denn ich trete bald an , es ist kein Witwenjahr zu bestehen , antwortete er , über meinen Eifer lächelnd .
- Nun , Pastor , da ist was zu lachen !
Meines Bedünkens wäre dies das Natürlichste .
- Mein lieber Freund , ich erwarte von Ihrer gesunden Überlegung , daß Sie keinen raschen Schritt , in Ansehung des liebenswürdigen Mädchens , tun werden , deren Herzen meine Sache ganz zu eigener Entscheidung überlassen werden muß .
Sie muß von unserem Plane auch nicht die fernste Ahnung haben ; es würde ihrem jugendlichen Sinne einen harten Zwang auflegen , sie würde sich in den Willen eines so guten Vaters aus Gehorsam fügen , und , - halten Sie mir diese kleine Eitelkeit zu gute , - ich möchte gern mit Zustimmung ihres eigenen Gefühls gewählt werden , ihre Liebe und Achtung mir verdienen , wenn ihre Vernunft Reife genug wird erhalten haben , um auch ein Wort zu meinem Besten mitzureden .
Wie so manches gute Mädchen warf sich einem Manne , den es nicht liebte , in die Arme , weil es keinen anderen kannte , und lernte dann zu spät den kennen , dem es mit ganzer Seele angehangen haben würde ! -
Wenn nun aber das Mädchen in der Stadt eitel wird , und ihr Herz verplempert ? rief ich ungeduldig ; denn , die Wahrheit zu sagen , auf solche Subtilitäten habe ich mich niemals eingelassen , - wie meine eigene Heiratsgeschichte das bezeugt . -
So verliere ich ein Gut , worauf ich mein wahrscheinliches künftiges Glück berechnet habe ; wenn Julchen aber mit einem Anderen so recht nach ihrem Herzen glücklich wäre , würde ich , wie das Pflicht und Notwendigkeit ist , zu resignieren wissen .
- Beinahe wäre ich böse auf ihn geworden , weil mir das zu vernünftig vorkam ; und ich hätte gewiß etwas Übereiltes gesagt , hätte er nicht mit dem sanftesten Ton , der je aus einem männlichen Munde kam , hinzugesetzt :
" Lassen Sie in Berlin sich ihre Talente ausbilden ; sie wird eine desto liebenswürdigere Gesellschafterin für den Glücklichen , den sie einst wählt .
In drei Monaten reise ich ja selbst hinüber , und ich verspreche mir viel von dem Vergnügen , ihr Zutrauen zu gewinnen , und dadurch in den Stand gesetzt zu werden , über ihre Bildung mit zu wachen . "
Jetzt leuchtete es mir plötzlich ein , weshalb er es gern sah , daß das Mädchen in der Stadt bliebe .
Die Freude , und der frohe Blick in die Zukunft , die in meinen Augen alles wieder gut machte , hatte die üblen Eindrücke gegen die Pension bei mir verwischt ; denn ich muß es nur gestehen , wenn es meine Freunde noch nicht selbst bemerkt haben sollten , daß ich mich , wie alle Schwächlinge , leicht von plötzlichen und augenblicklichen Eindrücken lenken lasse .
Dabei kam es mir auch selbst beinahe so vor , als ob zur Bildung einer Stadtpfarrerin , noch dazu in dem superfeinen Berlin , etwas mehr gehöre , als ich meiner Tochter auf dem Lande zu verschaffen im Stande wäre : worin ich aber ganz Unrecht hatte ; denn ich habe nachher wohl eingesehen , daß mein armes Kind mit dem , was es bei mir gelernt hatte , gewiß nicht unvorteilhaft gegen viele andere würde abgestochen haben .
Indes nahm ich mir vor , ihre Neigungen auszuforschen .
Ich schrieb deshalb an Madame Brennfeld , ob sie mir meine Tochter zu Weihnachten wohl zukommen lassen wolle ?
Wie mich das verdroß , daß ich mich in die Notwendigkeit gesetzt hatte , von einer Fremden Vaterfreuden zu erbetteln !
Ich erhielt bald eine bejahende Antwort , daß nicht allein Julchen , sondern auch die Frau Erzieherin selbst , nebst einem Schwarm kleiner gnädigen Gänselein entschlossen wären , während des Festes meine arme Landhütte mit ihrer hohen Gegenwart zu beehren .
Das war mir nun äußerst fatal ; denn ich wollte meinen Fritz auch holen lassen , und einmal wieder ein Weihnachtsfest nach der alten Weise feiern .
Ich mußte indes süß dazu aussehen , so sauer mir es auch ankam , und war im Grunde doch seelenvergnügt , weil ich gewiß hoffte , Eiche würde mein Schwiegersohn werden .
" Ei , Mann , so lustig habe ich Dich ja in mancher Zeit nicht gesehen !
was gibt_es denn ? " fragte mein Weib .
- Lieschen , studiere Du nur fleißig in Deinem Kochbuche ; aufs Fest bekommen wir vornehme Gäste .
- Nachdem ich sie eine Weile hatte herumraten lassen , überraschte ich sie mit der Nachricht :
Julchen käme herunter .
Die ehrliche Seele weinte laut vor Vergnügen , und küßte mich wohl hundertmal in der Freude ihres Herzens .
Bei der Gelegenheit mußte ich mir alle Gewalt antun , daß ich nicht mit meinem Geheimnis , nämlich Eichens Absichten auf Julchen , herausplatzte , so sehr war mein Herz im Zuge , sich zu ergießen .
Noch zur rechten Zeit besann ich mich ; denn was die Mutter wußte , wurde der Tochter immer warm mitgeteilt , und dies würde meinen Lieblingsplan zerstört haben .
Die jungen Äffchen pflegen zuweilen in ihrem jugendlichen Übermute einen ehrlichen Mann wohl vor den Kopf zu stoßen , weil diese und jene von den hundert meine Lieben sie damit aufzieht .
Je näher Weihnachten heranrückte , je lustiger wurden wir , und waren am letzten Advent beinahe ausgelassen .
Meine Frau war bei ihren Zurüstungen so flink und munter , wie ein Mädchen , das sich vor seinem Liebhaber sehen läßt .
Ich pfiff oder trallerte , wo ich ging und stand .
Eiche nahm stillschweigend Teil an unserer frohen Erwartung , und es müßte einem Dritten einen sonderbaren Anblick gewährt haben , zu sehen , wie wir alten Narren uns gebärdeten .
Endlich erlebten wir die erwünschte Woche ; ich ließ meine große Reisekalesche vom Hühnermist säubern , und meinen Gürgen sich recht stattlich ausputzen , damit die feinen Stadtdamen an dem ländlichen Aufzug nicht zu viel Ärgernis nehmen möchten , gab ein Reitpferd für meinen Fritz mit , und predigte es dem ehrlichen Dorfkutscher hundertmal ein , er solle ja hübsch behutsam fahren .
Meine Frau gab ihm so viel Pelze und Fußkörbe mit , als ob die Reise nach Nova-Zembla ginge .
Mein Fritz kam einen Tag früher , als die Frauenzimmer , an .
Der Junge war in dem halben Jahre beinahe einen Kopf gewachsen , seine Seele war tadellos , wie ich ihn von mir gelassen hatte ; aber er hatte sich bei einer Schrittschuhpartie eine Heiserkeit zugezogen , die von Folgen zu sein drohte , wie einige einsichtsvolle Ärzte geurteilt hatten , und es war zweifelhaft , ob er je wieder Stimme bekommen würde .
- Das war ein herber Schlag für die Mutter , die ihren süßen Jungen schon im Geist die Lindenauische Kanzel besteigen sah , und das Kanzellied zur Antrittspredigt bereits ausgesucht hatte .
Über alle Beschreibung aber entsetzte sie sich , als der junge Mensch mich ganz pathetisch anredete :
" Lieber Vater , die Güte , mit der Sie eingewilligt haben , mich nach meiner Neigung studieren zu lassen , läßt mich der festen Zuversicht sein , daß Sie es ebenfalls billigen werden , wenn ich bei dem Voraussehn , daß ich nun bei dem Verlust meiner Stimme weder zum Prediger , noch zum Schulmanne tauge , eine andere Laufbahn einschlage , auf der ich ebenfalls ein nützlicher Mensch werden kann .
Ich hätte große Lust , irgend ein Handwerk zu erlernen ; ich habe viele Gewerbe kennen gelernt , allen aber ziehe ich das Tischlerhandwerk vor , und dies um so mehr , weil ich es schon so ziemlich weit im Zeichnen gebracht habe . "
- Ich kriegte den braven Jungen beim Kopf , und herzte und küßte ihn , denn er hatte mir wie aus der Seele gesprochen .
" Von ganzem Herzen meinen Segen dazu ! werde ein so wackerer Mann , als Dein Großvater war , der eben dies Gewerbe mit Ehren trieb . "
- Daß die Mutter so ganz still dazu schwieg , wunderte mich ; aber nun war das Entsetzen an mir , als ich sie , totenblaß und alle Gesichtszüge starr , da sitzen sah .
" Um Gotteswillen , Mutterchen , was ist Dir ? "
- " Ach Gott ! " stammelte sie , " ich .. kann ... mich ... ja nicht ... so geschwind ... fa ... fassen ; der Schlag hat mich überwältigt !
Das war meine liebste Hoffnung ! "
- " Liebes Herzensweib , der redliche , fleißige Handwerker ernährt sich und noch viele Andere , indes der Pfarrer sich von Anderen muß ernähren lassen .
Der fleißige Professionist ist ein glücklicher , unabhängiger Mann .
Vielleicht , wenn der alte Amtmann längst zu seinen Vätern versammelt ist , pflegt dieser Meister Tischler Deines Alters . "
- Fritz stürzte gerührt auf ihre Hände :
" Mutter , ja , liebste Mutter , Sie sollen gewiß Freude an mir erleben ; alles , was ich erwerbe , soll Ihnen gehören , und - ich will gewiß kein Stümper werden ! "
- Ihr quält mich grausam , sagte das beinahe überwältigte Mutterherz , das im Begriff war , sich den Tränen ihres Herzblattes zu ergeben , aber doch noch , zum letzten Versuch , fragte : ob er denn nicht glaubte , predigen zu können , wenn die Kirche recht klein , z.B. wie unsere Lindenauische wäre , wo ihn die Leute von Kindheit an gekannt hätten ?
- " Nein , liebste Mutter , auch selbst in dem kleinsten Saale würde mir die Anstrengung Lungengeschwüre zuziehen , versicherte mir einer der geschicktesten Ärzte . "
- Wäre der junge Mensch listig gewesen , er hätte nicht vernünftiger einlenken , und mehr zum Vorteil seiner Sache sagen können ; denn dem widerstand ihre Zärtlichkeit nicht .
Nun denn , in Gottes Namen , wenn Du meinst , daß es zu Deinem Glücke ist , - hieß es . -
Recht so , Mutterchen ; Konsistorialrat wird nun wohl Dein Fritz nicht , aber gewiß ein so ehrenvoller Bürger , als einer in Deutschland .
- Sie bat , wir möchten ihr nur Zeit lassen , sich von der ersten Bestürzung zu erholen , dann würde sie sich wohl allmählich ganz mit der Vorstellung aussöhnen ; und das war denn auch nicht mehr als billig .
Nun hielt ich mich aber nicht länger , ich mußte dem Bruder nach seiner Schwester fragen .
" O Vater , die ist noch mehr gewachsen als ich , und Sie finden sie nicht mehr aus dem Stadtmädchen heraus .
Ich bin einigemal dort gewesen , aber die schnippischen Mädchen neckten mich immer ; und ein junger Prediger , der unter ihnen herumschäkerte , versuchte beständig seinen Witz an mir , darum bin ich nicht wieder hingegangen . "
- Braver Junge ! sagte ich , Du denkst wie Dein Vater !
was er aber von Julchen gesagt hatte , ging mir doch im Kopfe herum .
Bei jedem Wagen , den ich in der Ferne entdeckte , schlug mir hörbar das Herz .
Gegen Abend endlich wehte mir ein Luftstoß ein verworrenes Getöse von pfeifenden Stimmen zu .
Das waren sie denn , und bald nachher kam auch der Wagen zum Vorschein .
Sobald mich Julchen ansichtig wurde , riß sie hastig den Schlag auf , sprang herab , und schweigend stürzte sie in meine Arme .
Wer vermag Empfindungen zu beschreiben !
Also nur so viel :
ich drückte mein innigst geliebtes Kind an mein Herz , und kehrte mich an die ganze Welt nicht .
Die Duenna und den mitgekommenen Schwarm bewillkommte ich erst in meiner Wohnung , unterdes Julchen der Mutter am Herzen lag .
Diesen ersten Abend war mein Herz so froh und so sorgenfrei , daß ich an keine Bemerkung , noch an irgend etwas , wodurch meine Freude hätte gestört werden können , dachte .
Sogar das gelbe hagere naseweise Gesicht der Frau Erzieherin schien mir ganz hübsch , und sie selbst ein liebes gutes Weib zu sein , dem man nicht Liebe und Ehre genug erweisen könne .
Fräulein Lindenfels war mitgekommen , ihre Cousine , die Forstmeisterin , zu besuchen , und hatte sich gleich dahin begeben .
Die drei anderen waren kleine sieche Stadtmädchen , die von der schweren Reise , wie kranke Vögel , dasaßen , und nickten und pipten , bis meine Frau einer jeden ihr Kämmerlein anwies .
Nun erst , als wir mit unserer Tochter allein gelassen waren , bemerkt ich , daß sie nicht mehr so offen und zwanglos mit uns umging , wie ehedem .
Es verdroß mich , daß sie sich nicht , wie ich_es erwartet hatte , nach allen alten Bekannten auf dem Lande , bis auf Hund und Katze , erkundigte , sondern , vollgepfropft von Stadtneuigkeiten , mich mit lauter fremden und vornehmen Namen unterhielt .
Da war alles so ex cellent; wir hatten ganz und gar keine Idee , wie herrlich oder göttlich diese oder jene Lapperci war .
Ihre Beschreibungen übertrieben in Allem ; wenn ihr der Zwirn riß , so machte sie das ganz erstaunend unglücklich fiel eine Masche , so verzweifelte sie ganz und gar .
Mögen doch die lebhafteren Franzosen tout-a-fait desole sein , wo wir uns höchstens nur ein wenig ärgern , oder désespéré werden , wo wir kaum trübe blicken !
Uns kältere Deutsche kleidet der pretiöse Ton nicht ; er liegt nicht in unserem Charakter , nicht im Genius unserer energischen Sprache .
Ich unterdrückte jedoch jeden Tadel , der mir oft entwischen wollte , teils , um der entzückten Mutter die Freude nicht zu verderben , die mit einer Art von Ehrfurcht die Tochter betrachtete , teils auch , um Julchen nicht zurückhaltend zu machen , wodurch ich meine Hauptabsicht verfehlt haben würde .
So oft aber ein solcher , mir in der Seele widerstehender Ausdruck vorkam , blieb mir es gleichsam in der Kehle stecken ; ich hustete oder räusperte .
Spät erst führte die Mutter Julchen in ihre ehemalige Schlafkammer .
Ich eilte zu Bette , und stellte mich , da meine Frau wiederkam , als schliefe ich schon , um ihrem Sagen und Fragen , was ich von der Tochter hielte ? auszuweichen .
Sie versuchte mit Husten - " Männchen , schläfst Du schon ? " -
ob ich schliefe ; ich hielt mich aber ganz still , und so schloß sich der erste Abend .
Hier sei meinen Freunden ein Ruhepunkt vergönnt ; ist ihnen die Fortsetzung nicht zu langweilig , so wird sie nächstens erscheinen . am folgenden Morgen stand ich und meine Frau , wie gewöhnlich , sehr früh auf ; aber bei unseren Stadtdamen war noch tiefe Nacht .
Ich hustete ein paarmal scharf genug vor Julchens Tür ; - alles mäuschenstill .
Endlich wurde mir die Zeit zu lang ; ich steckte den Kopf hinein , und fragte :
" Mein Kind , willst Du denn noch nicht aufstehen ? "
- " Ist es denn schon so sehr spät ? " - rief sie , wie aus dem ersten Schlafe aufgeschreckt .
- " So spät , daß Deine gute Mutter schon seit drei Stunden auf den Beinen ist . "
- " Ach , sie stehen auch hier gewaltig früh auf ! " -
rief sie gähnend , und streckte träge die Hand nach ihren Kleidern aus .
- Mein Gott ! brummte ich für mich , indem ich mich entfernte .
Sonst hatte ich immer die Freude , besonders an den Festtagen , daß meine Kinder mir , wenn ich aufstand , schon schmuck und festlich angezogen , entgegeneilten ; wie ist das alles nun so anders !
Das Frühstück stand da ; Julchen ließ sich ein paarmal rufen , ehe sie erschien .
Fritz , der diesen Auftrag auszurichten hatte , kam ganz niedergeschlagen zurück ; sie hatte den armen Jungen angefahren , als er zum zweitenmal sie erinnerte , und gemeint , wenn man sich so ohne Friseur quälen müsse , ginge das nicht schneller .
Endlich erschien das Püppchen in einem zierlichen und gezierten Morgenanzug , ganz die ungekünstelte Kunst , die unsere Damen mit dem so beliebten einfach zu bezeichnen pflegen .
Bald nach ihr erschienen nun auch die anderen ; alle sehr nachlässig , und einige sogar - locker .
Ich halte es für Pedanterie , an allem , was Mode und Zeitgebrauch heischt , tadeln zu wollen , besonders wenn sie , so wie jetzt , sich immer mehr und mehr einem besseren Ideale nähern ; aber Tadelswert hat mich jederzeit das leichtsinnige Wechseln derselben gedünkt ; dieses allein hat schon manchen ehrlichen Mann um Haus und Hof , und um Ehre obendrein gebracht .
Ich verbiß meinen Unwillen , wenn ich auf meine Frage nach diesem oder jenem Kleidungsstücke meiner Tochter zur Antwort erhielt :
" Das war ja schon aus der Mode . "
Ich scheute mich nun , nach meiner Tochter Frömmigkeit und Sittsamkeit zu fragen , vielleicht hätte die Antwort auch gelautet :
" Mein Herr , die sind ja längst aus der Mode . " -
Nach dem Frühstück beschäftigten sich meine Damen mit dem , was man in der Kunstsprache Toilette machen heißt .
Ich dachte in allem Ernst , Julchen hätte sich wieder ins Bett gelegt , weil sie gar nicht wieder zum Vorschein kam .
Freilich mochte sie bei der kopfbrechenden Arbeit mein wiederholter starker Stiefelgang vor ihrer Tür vorbei in Angst gesetzt haben .
Sie erschien endlich ganz erhitzt , und in so feinen durchsichtigen Kleidern , daß ich eine Wielandsche Grazie vor mir zu sehen glaubte .
Ich leugne nicht , daß der griechische Schnitt des Rocks des Mädchens Gestalt ungemein verschönerte ; nur Schade , Schade , daß unser so ganz ungriechisches Klima diese an sich so schöne Tracht wieder zum Unsinn macht , und nichts als Gicht und Rheuma nach sich ziehen kann !
Es war nicht ganz Scherz , als ich Julchen , gar zierlich ihre Hand auf meinen Rockzipfel gelegt , zum Kanapee führte .
Ihre Schönheit und Grazie hatten mich dummen Dorfkerl seltsam überrascht ; ich neigte mich beinahe unwillkürlich vor meinem eigenen Fleisch und Blut .
Das arme Kind aber nahm es für Satire , und die Tränen traten ihr bei meiner Galanterie in die Augen .
Ich fand nicht für gut , ihr ihren Irrtum zu benehmen ; allein die Mutter , der die Augen vor Entzücken funkelten , war weniger zurückhaltend , und drückte ihr Wohlgefallen in den stärksten Worten aus .
Da gab sich mein armes Putchen ein Ansehen , und nannte der Mutter so viel Moden und Modenamen her , sprach so kunstfertig vom Journal des Luxus und der Moden , daß meine Frau , vor höchster Bewunderung , gar nicht wieder zur Sprache kam .
Dagegen nahm ich das Wort , und schüttete aus , was mir so lange schon gegen dieses unvaterländische Buch , ich meine dieses Luxusjournal , auf dem Herzen liegt .
Daß es so lange besteht , und länger als so manche würdige Zeitschriften , ist zwar allerdings ein Zeichen , daß es seinen Samen in sehr empfänglichen Boden ausstreut ; welches besonders an solchen Orten der Fall ist , wo die erforderlichen Nippes und Zeuge gleich bei der Hand sind .
Ich kann es auf Ehre beteuern , daß ich , in Leipzig besonders , Väter und Männer bittere Beschwerden über dieses Buch habe führen hören .
Sobald es in dem Buchladen angekommen ist , sieht man die Schneider , mit dem magischen Büchelchen unter m Arm , wie wild hin und her laufen .
Kleider , die kaum acht Tage seit ihrer letzten monatlichen Umschaffung im Schrank hingen , werden aufs neue geändert ; wenn man nun den beständigen Arbeitslohn für alle Kleider , neben der Gabe der Schneider , aus Vielem wenig zu machen , in Rechnung bringt , so muß ein Hausvater ja wohl den pomeranzenfarbenen Hausfeind mit Schrecken ankommen sehen .
Nach und nach hatten nun auch die anderen Damen ihre Toilettengeschäfte beendigt .
Die Erzieherin erschien , völlig so jugendlich angetan wie ihre Zöglinge .
Hier gab es ekelerregende Nuditäten , wie sie die ländliche Sittsamkeit , selbst bei säugenden Müttern , unserem Blicke vorenthält .
Fräulein Mariane bezeichnete durch ihren Anzug die verwegenste Üppigkeit , ganz wie sie sich zu ihrem kühnen Blicke und ihrer festen unweiblichen Stimme schickte .
Ich zitterte , wenn dieses kühne Geschöpf meiner Tochter mit der , in ihrem Verhältnisse liegenden Vertraulichkeit begegnete , und mit Schrecken bemerkte ich , daß Julchen eben an diesem verführerischen Mädchen vorzugsweise hing .
Madame Brennfeld nahm bald Gelegenheit , mich zu fragen , ob , und wo ich studiert habe ?
Als ich Halle nannte , fragte sie mich mit großer Geläufigkeit nach allen , durch philosophische Schriften bekannten Professoren ; gab Beifall , tadelte , hieß diesen tief , jenen seicht , mit einer Anmaßung , wie sie mir noch nie bei einem Weibe vorgekommen war .
Wenig gewohnt , mit Weibern der Art mich zu unterhalten , hätte ich mich beinahe durch die pomphaften Ausdrücke und szientifischen Worte verblüffen lassen , wäre es mir nicht durch einige ihrer Urteile , die mir noch aus einer gewissen gelehrten Zeitung ganz frisch im Gedächtnisse hafteten , einleuchtend geworden , wo der Weisheitsquell , aus welchem diese Dame schöpfte , anzutreffen sei .
Bei näherer Untersuchung war es mir auch nicht schwer , zu entdecken , daß sie nie selbst urteilte , sondern , bei ihrem guten Gedächtnisse , bloß buchstäblich nachbetete ; und wo die gelehrte Zeitung ihre Urteilskraft im Stiche ließ , hatte sie gewiß ihr Vetter , der Kandidat , inspiriert .
So seicht indes dieser Weiberkopf auch war , schien es ihr doch Herabwürdigung für sie zu sein , daß sie sich mit einem simpeln Landmanne über literarische Gegenstände unterhielt , und auf meine gute Frau sah sie nun vollends wie auf ein tief unter ihr stehendes Wesen herab .
Sobald ich dies merkte , brach ich ab , und brachte sie auf die , mir bei weitem wichtigere Materie , von meiner Tochter Ausbildung .
Ja , es ist wahr , Herr Amtmann , - sagte sie , sich gewaltig hebend , - ich habe es Ihnen ja versprochen , wegen des Plans zu Julchens Erziehung mit Ihnen zu Rate zu gehen . -
Ach , werte Madame , fiel ich ihr ins Wort , zu einem Erziehungsplan ist es bei Julchen in der Tat zu spät ; ihre eigentliche Erziehung ist vollbracht .
Das Gebäude war aufgeführt , ehe ich sie Ihren Händen übergab ; meine Frau wünschte nur noch einigen Putz und Stukkatur daran zu sehen . - -
Gut , gut , Herr Amtmann ; darauf verstehen wir uns besser , als sonst irgend jemand .
Ich werde für alles , was ihre Verfeinerung befördert , sorgen .
- Ich wollte , Sie sagten Veredlung , Madame .
Nur daß die feine Politur nicht ganz das Originalgepräge mit fortnehme .
Dieses habe ich immer sorgfältig bei einem jeden meiner Kinder sichtbar zu erhalten gesucht ; ich habe sie , so früh es nur anging , selbstständige Wesen sein lassen , habe sie nie gezwungen , ja zu sagen , wo ihr Herz nein sagte , habe ihnen Widerspruch gegen die elterlichen Meinungen erlaubt ; denn ich habe mir nie eingebildet , daß sich die väterliche Autorität über den Geist mei einer Kinder erstreckte , und immer fest an dem Glauben gehangen , daß es in England deshalb so viel Originalität der Charaktere gebe , weil die Kinder früh wie Menschen behandelt , und nicht alle auf einer Drehbank zu gleichförmigen Marionetten gedrechselt werden .
- Wir müssen uns indes doch nach den einmal eingeführten Gebräuchen richten , wenn wir uns nicht lächerlich machen wollen , entgegnete die Madame .
- In so fern sie vernunftmäßig , und dem Bedürfnisse jedes Individuums angemessen sind . -
Aber wir entfernen uns zu sehr von unserem Zwecke ; ich war Willens , mit Ihnen über den Religionsunterricht meiner Tochter zu sprechen .
- Wohl , Herr Amtmann !
Wenn es denn nun einmal so sein muß , daß der große Haufen eine positive Religion hat , so wünschte ich wohl , daß die Mamsell Tochter - - " Bei den einfachen Begriffen bliebe , die ich ihr beigebracht habe ! " fiel ich ihr hastig ins Wort .
Ich habe sie die Religion Jesu früh an sich selbst und ihrem Nebenmenschen durch Liebe und Tat ausüben lassen ; sie weiß bereits , daß es Dogmen und Unterscheidungslehren ihrer Konfession gibt , sie soll sie erfahren , und wenn ihr Verstand reifer wird , mag sie darüber nachdenken und weiter forschen .
Sollte sie aber nie den hierzu erforderlichen Grad der Gesetztheit erreichen , je nun , so wandle sie schlicht und einfach ihren Weg , und tue nach dem Glauben , den sie von ihren Vätern empfangen hat .
Was vor ihr Millionen Trost gewährte , wird auch diese zarte weibliche Natur nicht im Stiche lassen .
Diese Religion , die in unseren Tagen so undankbar verlästert wird , hat sich so entschieden in den Schwachen mächtig bewiesen , daß ich meiner Tochter keine kräftigere Stütze anraten kann , als die Ehrfurcht für sie .
Ich vermag nicht , echte Weiblichkeit von Frömmigkeit zu trennen , und ich gestehe Ihnen , daß der empörende dreiste Blick der jetzigen jungen Mädchen mir immer ein Herz zu bezeichnen scheint , das sich keine Fertigkeit erworben hat , sich dem höchsten Wesen im Gebete zu nahen ; kurz , ein vermessenes Geschöpf , das sich nie vor seinem Schöpfer gedemütigt hat .
Madame hatte mich nur so lange sprechen lassen , um eine Rede zu komponieren , worin sie mir bewies , daß ich von dem allen nichts verstände ; daß ich , als ein Landwirt , dem es mehr obläge , guten Dünger zu machen , als Erziehungsplane zu erdenken , nichts davon verstehen könne ; sie dürfe , als die Tochter eines Gelehrten , schon ein wenig mitreden ; sie habe Rousseau gelesen , und , wie sie sich schmeichle , den Kant nicht fruchtlos studiert .
Nun kamen die großen Worte " Moral-Prinzip , Kritik der Vernunft , " u. s.w. , wie am Schnürchen ; bei der Gelegenheit nannte sie sich selbst einigemal eine Freidenkerin , und dankte dem Himmel , daß sie sich von allem religiösen System losgerissen habe , und nun wie ein ausgescheuertes Gefäß sei .
- Sie brachte dies alles in einem so hochfahrenden Tone vor , daß ich sehr froh war , als die jungen Mädchen sie um Erlaubnis baten , der Frau Amtmannin die letzte Komödie , die sie aufgeführt , zu rezitieren .
" Gott behüte ! " entfuhr mir es ; " auch Komödie wird gespielt ! -
Spielt denn meine arme Tochter da auch mit ? "
- " Noch ist Mamsell Julchen nicht so weit ! " sagte eine Kleine sehr geziert .
" Gebe Gott , daß sie nie so weit komme ! " erwiderte ich mit einem Stoßseufzer .
- Was könnten Sie gegen kleine theatralische Übungen einzuwenden haben ?
Herr Amtmann ! - fragte Madame sehr süffisant . -
Durch nichts erwerben junge Damen mehr Grazie und Anstand , sich zu präsentieren .
Den jungen Berlinerinnen , die sich unaufhörlich und überall präsentieren , mag es Bedürfnis geworden sein , es mit Anstand und Grazie zu tun , damit diese Alltagsvögel , deren Gesichter durch das stete präsentieren allen Reiz der Neuheit verlieren , doch etwas zum Ersatz auszubieten haben .
Aber für was tauschen diese Komödienspielerinnen diesen Anstand wohl ein ?
Zu einer Zeit , wo sie einen Vorrat von Begriffen und Kenntnissen einsammeln sollten , in einem Alter , wo jede Minute kostbar ist , lernen sie Rollen auswendig , und verderben sich den Geschmack an jedem ernsthafteren Geschäft .
Sie üben sich , Charaktere darzustellen , die nicht ihre eigenen sind ; sie regen ihre Phantasie unnatürlich auf , und erfüllen sie mit Bildern einer idealischen Welt , wogegen die wirkliche , in die sie nun bald eintreten sollen , nicht immer zu ihrem Vorteile erscheint .
Endlich noch werden sie unausstehlich eitel und pretiös .
Die Schauspielkunst ist ein Bedürfnis unserer Zeit und Sitten geworden .
Auch ich verehre hier in meinem Lindenau die ausübende Kunst und den talentvollen Künstler von ganzem Herzen , ohne eben zu wünschen , daß meine Tochter ein Talent erwerbe , von dem sie nie Gebrauch machen wird , oder soll . Julchen - indem ich meine Tochter bei der Hand nahm - versprich mir , daß Du nie eine Rolle übernehmen , daß Du Deine Veredlung auf anderen Wegen suchen wirst .
Das liebe Kind wurde ganz weich , und sagte : " gewiß , lieber Vater , ich will alles , was Sie gern sehen ! " und die anderen Mädchen sahen mich an , als dächten sie : " das ist ein harter , tyrannischer Vater . "
Auch hatte Mariane es nicht hehl , wofür sie mich ansah .
Ich ließ das gut sein , brach das Gespräch ab , und lief mit meinem Sohne in der Gegend umher , für die , wie ich leider ! bemerkte , mein Julchen keinen Sinn mehr hatte .
Bei meiner Zurückkunft sah ich sogleich , daß Julchen geweint hatte .
Wie ?
Tränen im väterlichen Hause ?
Tränen statt der Freude des Wiedersehens ?
- Ich forschte , was es war , und es kam heraus , die Mutter hatte der Tochter das Leid geklagt , daß Fritz ein ordinärer Spießbürger werden wollte .
" Das werden Sie denn doch in Ewigkeit nicht zugeben ! " sagte die Tochter gar altklug .
Ich schalt nicht , gab mir auch nicht große Mühe , das eitle Ding zu belehren , sondern sagte kalt : Dein Großvater war eben ein solcher Spießbürger , ein Tischler ; Dein Eltervater , ein Bäcker ; und viele Deiner Verwandten sind ehrenvolle und geachtete Bürger .
Dein Vetter , der Geheimrat in W .. , sitzt auf der Festung .
Der Großonkel , Kapitän , ist wegen falschen Spiels kassiert .
Der Vetter , Superintendent , wurde eines häßlichen Verbrechens halber abgesetzt .
Seine Kinder bettelten und stahlen .
Fritz wird ein Tischler , wird recht tun , und niemand scheuen ; richte Dich so ein , daß er sich seiner Schwester nicht zu schämen braucht .
Julchen erschrak über meinen Ernst , küßte mir schmeichelnd die Hand , und wollte noch etwas sagen ; indem ging die Tür auf , und die Gäste , die zu Mittag geladen waren , erschienen .
Dies waren nun keine anderen , als meine adligen Dorfgenossen und mein lieber Pastor Eiche . Sobald die Duenna einen Gelehrten witterte , nahm sie weiter keine Notiz von mir armen Laien , sondern bestürmte den guten Mann mit Fragen : ob er dieses oder jenes neue Buch gelesen habe ? brach die Gelegenheit vom Zaun , eine Abhandlung über die Juden zu halten , und ob diese im Staate zu dulden seien ? bei welcher Gelegenheit sie mit ihrer Aufklärung und Toleranz zu prunken gedachte .
Sie wurde äußerst entrüstet , als ich plumperweise äußerte , die Modewelt beweise ihre Toleranz vorzüglich darin , daß sie sich den gutgarnierten Tisch und Keller der reichen jüdischen Häuser gefallen ließe ; und der jüngere und galante Teil suche den Umgang romanhafter und exzentrischer Israelitennen teils aus Finanzspekulation , teils , um ohne Kopfanstrengung Beweise seiner hellen Denkart zu geben .
Der Forstmeister , der keinen anderen Juden kannte , als den , der ihn zur Zeit seiner Fähndrichswürde geprellt hatte , wurde höchst erbittert , und geriet mit der gelehrten Duenna in einen Streit , der weder von seiner feinen Lebensart noch von ihrer Sanftmut Beweise gab .
Indes dieses Paar wütend auf einander losging , und dabei des Weines nicht schonte , suchte Fräulein von Lindenfels den rühmlichen Entwurf auszuführen , sich mit den sanften sittsamen Eiche eine Lust zu machen , die darin bestand , daß sie ihm eine ganze Armade ihrer Reize entgegenstellte , und ihr Netz auswarf , um , wie Julchen es nachher berichtete , die platte Landpartie dadurch einigermaßen pikant zu machen .
Dieses Fräulein war der Liebling der Erzieherin , weil sie zu den geforderten Geschenken das meiste Vermögen hatte ; bei der gewöhnlichen Abend-Whistpartie ihr Nadelgeld , ohne scheel zu sehen , an die Madame verlor ; nicht bemerkte , wenn Madame ihren Eleven , bei dem starken Kostgelde , elenden Kaffee gab , und , um die Triebräder der Maschine nicht in zu schnellen Umlauf zu setzen , ihnen Bier und ein Glas Wein versagte , womit sie den animalischen Teil ihres Menschseins aber , in ihrem Boudoir , pünktlich zu stärken pflegte .
Die Heuchlerin !
Mariane war ein vorzüglich schönes Mädchen , lebhaft und witzig ; ihre schönen schwarzen Augen wußte sie mit fürchterlicher Bedeutung zu gebrauchen .
Ihr Witz war boshaft ; ihr Verstand auf Kleinigkeiten und Modelektüre geschärft ; ihr Anzug und ganzer Anstand üppig und dreist .
Der arme Eiche , der ihr gegenübersaß , wußte nicht wohin ? mit seinem bescheidenen Blicke , wenn sie mit ihm sprach ; faßte sie ihn mit ihren brennenden Augen , so sank das seinige beschämt , und fuhr wieder erschrocken von ihrem frech entblößten Busen zurück , den auch nicht die dünnste Hülle einschränkte .
Was läßt wohl ein Mädchen von sich denken , dessen unsittlicher Anzug selbst Männern eine Schamröte abnötigt ? das Stirn genug hat , die Blicke dreister Jünglinge nicht etwa bloß zu ertragen , sondern durch Stellung und Blick zu noch größeren Frechheiten zu reizen ?
Mariane tat alles , was grobe Sinnlichkeit erregen , aber rechtschaffene Männerherzen gegen sie empören mußte .
Eiche wendete sich verächtlich von ihr , indes sie ihn , als einen unempfindlichen Pedanten , fahren ließ , und nun auch aus Rache derb auf das insipide Landleben schmähte .
Sie wiegte sich nachlässig mit ihrem Stuhl , unserer gar nicht achtend , und fragte wohl zehnmal die Madame : " machen wir nicht bald unsere Partie ? "
- Gleich nach Tische rasteten die Damen auch nicht , bis sie die Karten in den Händen hatten .
Ich war neugierig , was meine Tochter machen würde ; und da entging es meiner Beobachtung nicht , daß die Mutter den Geldschrank aufschloß , und der Tochter Dukaten aufzählte .
Wozu das , Mutterchen ?
Julchen kann unmöglich schon alle das Geld , das Du ihr schicktest , ausgegeben haben .
Oder hast Du , Kind ?
- Julchen errötete , und es kam heraus , daß sie es im Spiel an Madame und ihre Mitschülerinnen verloren hatte .
- " Julchen !
Geld , wovon mein Meier , und jeder , der hier im Schweiß seines Angesichts sein Brot ißt , mit Weib und Kind ein Jahrlang sich reichlich ernährt haben könnten ?
O , hat er auch Dich schon ergriffen , der Herz und Geist tötende Spieldämon !
Nun , dann fahre wohl sittliches Gefühl , und alles , was das Weib zum Weibe stempelt !
Diese Gier , dieses Erpichtsein aufs Spiel macht die Weiber unausstehlich , und richtet die Familien zu Grunde .
Die Immoralität weiblicher Spielsucht springt so stark in die Augen , daß ich kein Wort darüber zu verlieren nötig habe . " - Julchen wendete ein , sie spiele nur der Madame zu Liebe , und diese habe es überhaupt für nötig erachtet , sie mit den gangbaren Spielen bekannt zu machen , weil man ohne diese jetzt eine Null in Gesellschaften sei .
Ich ließ das hingehen , weil ich nicht gern mit meiner Herzenstochter , von der ich noch viel Freude erwartete , zürnte .
Auch die Mutter redete für das Beste ihres Kindes , und entfernte sich bald darauf mit demselben in ein anderes Zimmer .
Indes nahm ich Eichen auf die Seite , und fragte ihn um seine offenherzige Meinung von Julchen .
Er sah sie schon halb mit Bräutigamsaugen , das heißt , er bemerkte nur die rosenfarbene Seite .
Überall Vollkommenheit , sich entfaltende Geistesblüten , liebenswürdige Offenheit , und noch gar schöne Dinge , die ihn zum glücklichsten Manne machen würden .
So verschönernd war zwar meine Brille nicht ; allein es tat mir doch im Herzen wohl , Julchen loben zu hören , und ich fing an , mich selbst für zu strenge und parteiisch zu halten .
Nun fragte ich ihn , ob es nicht besser sei , dem jungen Dinge etwas von seinen Absichten merken zu lassen ? er aber bestand darauf , ihr Herz müsse sich noch einige Jahre überlassen bleiben ; indes wolle er sie nach und nach daran gewöhnen , ihn als ihren treusten Freund anzusehen .
Denn , - setzte er hinzu , - er wolle die teure Gefährtin seines Lebens keiner Überraschung des Herzens , auch keinem flüchtigen Eindrucke der Einbildungskraft zu danken haben .
- Alles schön und gut , Freund , sagte ich ; wenn nun aber die Mädchen nicht so vernünftig behandelt sein wollen ?
Läßt man ihnen Zeit zu überlegen , so - kurz , sie überlegen eigentlich nichts , sondern handeln nach momentanen Eindrückken , die sie uns als Früchte ihrer Vernunft verkaufen ; und wenn der Reiz des Neuen und Ungewohnten für sie dahin ist , so - - genug , mich ahnet , das Mädchen wird uns Sprünge machen !
Sie wird Romane und Gedichte lesen , Komödien sehen , von ewiger glühender Liebe , von interessanten Verwicklungen und Hindernissen , die den Genuß würzen , und von dergleichen schwatzen hören ; wird bunte , geschniegelte Herrchen kennen lernen ; und dann , fürchte ich , wird der schlichte schwarze Rock , der , verzeihen Sie es , ohnedem nicht mehr sonderlich hoch im Kurs steht , mit der schlichten vernünftigen Liebe , die sogleich vom heiraten spricht , den gewünschten Eindruck nicht machen .
- " Lieber Grüntal , " sagte er mir freundlich die Hand drückend , " wollen Sie mir denn in nichts meinen Willen lassen ?
Ich werde in Berlin über Julchens ferneren Unterricht selbst mit wachen können ; sie wird mir auf väterliche Empfehlung ihr Zutrauen schenken , ich werde ihr ein treuer Bruder sein .
Sollte ich denn nicht ihre Liebe verdienen können ? "
Er machte mir nun seinen Entwurf so anschaulich , daß ich selbst glaubte , meine Tochter könne für unsere Absicht nirgends besser als in Berlin , sobald er nur da sein würde , aufgehoben sein ; als ob das alles so am Schnürchen ginge , als ob die Mädchen immer gutem Rate folgten , zumal wenn er gerade ihre Lieblingsideen bestreitet !
Es wurde nun auch noch verabredet , daß ich an meine Nichte , Karoline Falk , schreiben , und sie recht herzlich bitten sollte , die Mitaufsicht über meine Tochter zu übernehmen .
Diese Nichte war in Berlin an einen Mann , der in einer guten Bedienung stand , verheiratet .
Ihn kannte ich wenig , sie aber als eine Person , die ihrem Geschlecht Ehre machte .
Sie war es auch , die Julchens Religionsunterricht bei einem würdigen Geistlichen besorgte , welches mir einen Stein vom väterlichen Herzen gewälzt hatte .
Diese Unterredung stimmte mich so gut , daß ich den übrigen Teil des Abends mit leidlichem Anstande der faden Unterhaltung beiwohnte .
Freilich war es kein Schatten von dem Vergnügen , das mir dieser Besuch meiner Tochter eigentlich gewähren sollte ; doch , genug von diesem Tage !
Der folgende verstrich eben so unter seelenlosen Geräusch in des Forstmeisters Hause ; nur bemerkte ich mehr noch , als vorher , daß Julchen mit der mir so fürchterlichen Mariane innigst vertraut war , worüber ich in neue Besorgnisse geriet , um so mehr , da Mariane Julchen bedeutend drohte :
sie wolle es ihrem Bruder , dem Kornett , sagen , wenn sie so viel nach dem Pedanten ( das war , mit Ehren zu melden , mein armer Eiche ) hinüberkuckte .
Ich nahm den Abend Julchen ernsthaft vor ; sie entschuldigte sich aber so kunstlos mit Marianes übergroßer Lustigkeit , daß ich mich nur zu leicht beruhigen ließ .
So verstrichen die Tage , auf deren Genuß ich mich so innigst gefreut hatte , in einem ununterbrochenen Wirbel von Faseleien und Kleinigkeiten .
Er war so ansteckend , daß keiner von uns an ein herzliches Gespräch denken konnte .
Bald wollten die Damen Schlitten fahren , bald da- , bald dorthin ; das war eine Rastlosigkeit , ein beständiges Abwechseln der Zeitvertreibe , und dennoch genossen sie nie des Augenblicks , sondern sehnten sich nach dem , was erst noch kommen sollte .
Bei jedem Schritt den wir taten , bekam sowohl die tiefgelahrte Erzieherin als ihre Untergebenen Anlaß , ihre grobe Unwissenheit über jeden Gegenstand des gemeinen Lebens an den Tag zu legen. Z.B. , die großsprechende Lindenfels hatte in ihrem Leben noch nicht daran gedacht , woher die Wolle käme ; sie war außer sich vor Verwunderung , daß die einfältigen Schafe doch so nützlich wären ! -
Von der Baumwolle habe ihr maître de Geographie ihr gesagt , sie wüchse en Italie an sehr hohen Bäumen .
Wenn ich dem Äffchen dann erklärte , wie es mit diesem oder jenem zuginge , nahm Madame Brennfeld , der es ohnedem zu geringfügig war , sich davon zu unterhalten , mir die Worte aus dem Munde , setzte mit kalten , nachlässigen Tone die Erklärung fort , und sagte gewöhnlich das Gegenteil von dem , was ich zu sagen hatte .
Aber ihre Selbstgenügsamkeit ließ sich nicht irre machen ; über den einfachen Mechanismus des Pfluges sprach sie ein Langes und Breites , und als es zur Sache kam , hielt sie die Egge für den Pflug .
- Sultan , der alte respektable Haushund , sprang Julchen freudig entgegen , als er sie ansichtig wurde .
Er war , so zu sagen , ihr Milchbruder ; denn bei ihrer Geburt hatte er der Mutter den Überfluß an erster Kindesnahrung abgesogen .
Sie erwiderte seine Liebkosung , wie seine lang bewährte Treue es verdiente .
" Fi , Julie , " - rief Madame , indem sie selbst mit allen ihren jungen Gänschen , voll Grausen , zurücksprang ; - " Fi ! wer wollte sich mit einem Hunde abgeben !
Überhaupt finde ich nichts fader , als diese abgeschmackte Neigung gegen Tiere .
Ich glaube , Julie hat ihren Hänfling lieber als uns alle .
Ich sage ihr so oft " - sagte sie , sich gegen mich wendend , - " daß man seine Zeit wohl besser anwenden könne , als sie mit Tieren zu vertändeln . "
- ( Ja , dachte ich , z.B. man kann in der Zeit einige Robbers Whist spielen ! ) - Laut sagte ich : nun , das freut mich doch , daß Julchens Sinn für diese kleinen schuldlosen Freuden noch nicht abgestumpft ist !
Was das Fade betrifft , so kann man Friedrich den Zweiten , der sich viel mit Hunden abgab , wohl eben nicht beschuldigen , daß er so gar fade gewesen sei .
Wenn Julchen nicht so viel Zeit auf Spiel oder zweckloses Umherstreifen verschwendet , wird sie immer Zeit genug behalten , dieser kleinen unschuldigen Neigung nachzuhängen , für die ich ihr kleines Mädchenherz recht geflissentlich gebildet habe , damit keine der zarten Neigungen , die der Schöpfer in die Seele des Weibes legte , unentwickelt bliebe .
Und wie so manches holde Blümchen mehr streut dies auf ihre Pfade hin !
Wohl meiner Tochter , so lange sie noch mit Vögelchen und Hunden tändelt !
Leider wird der Aufenthalt in der Stadt wahrscheinlich die Zeit früher herbeiführen , wo sie diese Spielzeuge mit weniger unschuldigen und kostspieligeren vertauschen wird ! - -
Diese ganze Apostrophe diente zu nichts , als die Madame zu überzeugen , ich sei ein einfältiger Landtropf , dem es nicht der Mühe wert sei , die Schätze ihres besseren Erkenntnisses zu eröffnen .
Da es des Tages nur zu viel Auftritte der Art gab , war ich beinahe froh , als sich das plappernde hirnlose Völkchen zum Abschied anschickte .
Ich ermahnte noch vorher meine Tochter mit väterlichem Ernst , sich fest an das , was ich sie gelehrt hatte , zu halten , und sich nie von dem Modeton , der nach einer mißbrauchten Jugend ein freudenleeres Alter gebiert , hinreißen zu lassen .
Laß es , sagte ich , mich nie bereuen , daß ich mir meine Einwilligung habe abschwatzen lassen .
Wäre es nach mir gegangen , wir verlebten hier noch stille , frohe Tage mit einander .
Julchen war nicht ungerührt , aber doch fühlte es mein , auf die Liebe dieser Tochter eifersüchtiges , Herz , daß sie uns nicht mehr so ungern verließ .
Die scharfäugige Erzieherin hatte sich bei meiner Frau besonders beliebt zu machen , und , als wahre , schlaue Kennerin , ihre Schmeicheleien an dem rechten Orte anzubringen gewußt .
Auch hat sicherlich jedes Lob , das sie den Talenten der Tochter mit freigebiger Zunge spendete , ihr ein Fässchen Butter , ein Stückchen Leinen , ein Dunenbett , oder sonst ein Kontingent zur Wirtschaft eingebracht .
Sie schied mit übertriebenen Freundschaftsversicherungen .
Sie war so höchst unglücklich , uns schon verlassen zu müssen , und auch wieder so sehr glücklich , unsere interessante Bekanntschaft gemacht zu haben ; dann machte sie wieder das Abschiednehmen so unglücklich , und bald darauf war sie so glücklich , sich mit der Hoffnung , uns bald in der Stadt zu sehen , trösten zu können .
- So ging es in einem Atem fort .
Julchen wollte noch einmal kindlich an mein Herz eilen ; aber ihre Mariane rief :
" Komme , Liebe ! was machst Du Dir das Herz schwer ? "
Julchen folgte ihrem Ruf , stieg in den Wagen , warf mir noch einen Kuß , ganz im neuesten Stil , zu , und hin rollte der Wagen .
Ich sah ihm wehmütig nach , raffte mich zusammen , und ging an meine , indes ziemlich gehäufte Arbeit ; ein Rat , den ich jedem gebe , dem es Ernst ist , sich zusammenzunehmen .
Bis jetzt war die Bildung und Erziehung meiner Kinder meine größte Sorge , und mein Hausstand beinahe ununterbrochen glücklich gewesen ; unsere stillen genügsamen Herzen hatten auch den bösen Tag für gut genommen , weil der Herr beide werden läßt .
Jetzt sollten wir auch Menschentücke erfahren .
Meine Frau war von einer ihrer alten Tanten zur Erbin eingesetzt worden ; ein anderer Verwandter protestierte dagegen , und da mir nun die Erwerbung dieses Vermögens ganz rechtmäßig schien , hielt ich_es , meiner Kinder wegen , für Pflicht , mein Recht zu behaupten .
Auf diese Art wurde ich in einen weitläufigen und kostspieligen Prozeß verwickelt .
Meine gute , gar zu empfindliche Frau nahm sich diesen Vorgang , und den Verdruß , der mir daraus erwuchs , so zu Herzen , daß sie in eine Schwermut fiel , die ich weder durch vernünftige Vorstellungen , noch durch Liebkosungen zerstreuen konnte .
Der Prozeß erforderte viel Reisen nach der .... schen Regierung ; das nahm Zeit weg , und meine Wirtschaft litt sichtbar darunter . -
Ich sah mich genötigt , eine Wirtschafterin ins Haus zu nehmen , die aber höchst unredlich haushielt .
Sie verführte das Gesinde , und das unbestechbare verleumdete sie .
Julchen war noch zu jung und ungeübt , einer so schweren Wirtschaft vorzustehen .
Mein Prozeß wurde immer verwickelter , und meine Frau immer kränker .
Der Arzt , den ich kommen ließ , schüttelte den Kopf ; es war die Auszehrung .
Ihre Gemütskräfte waren so abgestumpft , daß sie auch nicht einmal nach ihren Kindern verlangte .
Ich sah die Redliche vergehen , und verging vor Schmerz beinahe mit ihr .
Mein teilnehmender Freund Eiche war schon , seit Ostern , in seine neue Stadtpfarre eingezogen .
Seine Stelle bei uns war mit einem jungen Manne besetzt , der den Bauern für sein Leben gern Freiheit und Gleichheit gepredigt , und die französische Vernunftreligion gelehrt hätte , wäre die liebe Obrigkeit und der Landrat nur nicht gewesen , der die Kantons fleißig bereiste .
Marat war sein Heiliger , und Robespiere mordete noch nicht genug .
Oft ging er bei Wind und Wetter dem Zeitungsboten Meilen Weges entgegen .
Meinethalben mochte er , wenn er mir nur auch meinen Sinn verstattet hätte ; aber dieser Enrage schlug oft in seinem revolutionären Eifer mit der Faust auf den Tisch , und weckte meine arme Kranke , wenn sie in heißersehnten Schlummer gesunken war .
Das schreckte mich von seinem ungelenkigen Umgange so ab , daß ich mich verleugnen ließ , wenn er mit neuen Zeitungen angesprengt kam .
Es fehlte mir also durchaus an einem teilnehmenden Freunde , da mein Leiden zu schwer wurde , als daß ich_es allein ertragen konnte .
Jetzt fühlte ich_es , wie wohl dem Menschen ist , wenn er sich den Gedanken an Gott nicht zu fremd hat werden lassen ; wenn Kreuz und Not hereinbricht , ist die ununterstützte Vernunft eine zerbrechliche Stütze !
Zwar sang ich keine Danklieder , als mein frommes Weib an meinem Herzen verschied ; auch vermochte ich nicht , so gleich zu sagen : was Gott tut , das ist wohl getan ; aber mein Herz verschloß sich nicht widerspenstig den Tröstungen der Religion , die ich , in ihrer ganzen Kraft , auf meine Seele wirken ließ .
Meine Freunde werden hier dem schwergebeugten Herzen gern einen Ruhepunkt verstatten .
Wer eines solchen Weibes ohne innige Rührung gedenken kann , war nicht wert , an ihrer Seite zu leben .
Ich habe ihrer kleinen Schwächen und Eitelkeiten erwähnen müssen , in so fern sie dem Schicksale meiner Tochter eine Richtung gaben , die nicht diejenige war , welche ich ihm zu geben wünschte .
Aber sträflich wäre_es , gedächte ich nicht auch ihrer ungeheuchelten Frömmigkeit , ihres reinen , unbefleckten Lebens , ihrer Treue in Erfüllung aller häuslichen Tugenden , und der unverbrüchlichen , zärtlichen Liebe gegen mich .
In diesem allen konnte sie ein Vorbild ihres Geschlechts genannt werden .
Und was war sie mir dennoch durch ihren hellen Sinn für jede Art von wirtschaftlicher Ordnung !
In allen Fächern des Hauswesens hinterließ sie Denkmäler ihres Fleißes und Ordnungsgeistes .
Sie verstand in einem hohen Grade , Wohltätigkeit mit vernünftiger Sparsamkeit zu verbinden ; eine Tugend , ich meine diese letzte , der wir Männer nicht immer mit der gehörigen Achtung begegnen , weil sie mit unseren , im ehelosen Stande angenommenen Gewohnheiten oft im Widerspruche steht .
Wir übersehen im Unmute oft , wie viel wir von dem Wohlstande und der Bequemlichkeit , die sie um uns her verbreitet , ihr zu verdanken haben .
Diesen Vorwurf habe ich freilich nicht auf mich geladen ; denn ich fühlte in einem hohen Grade , was die Verbindung mit diesem würdigen weiblichen Wesen seit meinem Justiziariat aus mir gemacht hatte .
Die Entwicklung so mancher guten , mir selbst unbewußten Anlage , den Sinn für häusliche Ordnung und alles das , worin uns das weibliche Geschlecht so weit überlegen ist , verdanke ich der trefflichen harmlosen Seele , über deren Aschenhügel noch am späten Abend meines Lebens manche Träne hinfließen wird .
Der Tod meiner Frau gab meiner damaligen Empfindungsart eine ganz entgegengesetzte Richtung .
Meine liebsten Zeitvertreibe wurden mir gleichgültig , und selbst das sonst immer rege Gefühl für meiner Kinder Wohl schien darunter zu leiden .
In Ansehung meiner Tochter beruhigte ich mich eine Zeitlang gänzlich mit den Nachrichten , die sie mir selber von sich gab , und die Eiche mehrenteils bestätigte .
Es ging aber dem redlichen Manne , wie es vielen jungen und auch wohl alten Gelehrten geht , es fehlte ihm an Weltkenntnis und hinreichenden Erfahrungen , die besonders ein Geistlicher nur selten zu erlangen Gelegenheit hat .
Eiche sah und urteilte mit dem parteiischen Blicke der Zuneigung ; sein wohlwollendes Herz ließ ihn nur die gute Seite erblicken , wie ich schon an ihm gewohnt war , und wodurch er mein strengeres Urteil zur Parteilichkeit hinneigte .
Ich nahm mir von Zeit zu Zeit vor , nach Berlin zu reisen , und selbst zu sehen ; es kamen mir aber so mancherlei Hindernisse in den Weg , daß gegen anderthalb Jahr verstrichen , ehe ich meinen Vorsatz ausführen konnte .
In dieser Zwischenzeit verlor ich meinen Prozeß , und ließ meinem , noch immer wunden Herzen eine zweite Ehe aufschwatzen .
Ein reiches Mädchen nahm die Stelle meiner geliebten Frau , zwar nicht in meinem Herzen , doch aber in meiner Haushaltung ein .
Nur der offenbare Verfall alles dessen , was die geliebte Selige , durch so redliche Anstrengung eingerichtet hatte , bewog mich zu dem mir selbst so fatalen Entschluss , meine Kinder Stiefkinder werden zu lassen .
Meine zweite Frau hatte die alltäglichsten Vorurteile gegen Stiefkinder und war gegen die ihrigen , die sie noch nicht einmal kannte , schon so eingenommen , daß ich keines von den Drei zur Hochzeit einladen durfte .
Von Julchen erhielt ich bei dieser Gelegenheit einen kalten abgezirkelten Brief , der mein eingeschlummertes Gefühl aufs lebhafteste erweckte und mit Bitterkeit erfüllte .
Von meinem Herzenskinde vermochte ich das nicht zu ertragen , nun wollte und mußte ich nach Berlin , so bald die Ernte vorbei sein würde .
Das stete " Gut und Gut sein lassen " des gar zu gutmütigen Eiche fing an mir verdächtig zu werden .
Julchens Briefe bewiesen mir nur zu sichtlich , daß eine bedeutende Veränderung mit ihr vorgegangen sein mußte .
Ihre einfache ungezwungene Schreibart war so merklich von einer aufgeregten Phantasie zu den hochfliegenden Ausdruck gewisser Romane hinaufgeschroben , daß ich das Mädchen notwendig für eben so verändert , wie ihre Briefe , halten mußte .
Die Fortschritte ihrer sogenannten feineren Ausbildung , und die Wirkung der Pensionserziehung nicht aus den Augen zu verlieren , werde ich alles , wo sie selbst spricht , wie es der Zeitfolge nach hierher gehört , beilegen .
Zuerst die Fragmente ihres Tagebuches , wie sie es zu verschiedenen Zeiten über ihr Herz gehalten hat .
Vom März .
Ich nähere mich der heiligsten und ehrwürdigsten Handlung meines Lebens .
In kurzem werde ich mein Glaubensbekenntnis ablegen .
O daß meine immer und immer gleich geliebte Mutter das nicht erlebt hat !
Wie würde ihre fromme Seele zu der meinigen gesprochen haben !
Sie würde mich sanft über die Leere , die ich mit Schrecken in meiner Seele erblicke , getröstet haben !
So war es sonst nicht .
Ach ich lohne die treue Sorgfalt meines rechtschaffenen Vaters nicht wie ich sollte ; das bekenne ich mir wehmütig !
Wie innig erhob sich sonst mein Herz , wenn ich in kindlicher Einfalt betete !
Wie dankte ich Gott für jeden einfachen Genuß meines stillen harmlosen Lebens .
Ach nein , nein , so ist es nicht mehr .
In dem ewig umtreibenden Kreise abwechselnder Zeitvertreibe bleibt das Herz fürchterlich leer .
Mein verengtes Herz ist ein Tummelplatz kleinlicher Leidenschaften geworden .
Es ist mir augenscheinlich gewiß , daß das Kartenspiel zur Verunedlung meines Herzens am stärksten mitgewirkt hat .
Auch nicht die kleinste Kraft ist mir geblieben , mich zu meinem Schöpfer im Gebet zu erheben .
Ich sinke gleich wieder kraftlos und erschlafft zu Boden , wenn ich auch auf einen Augenblick Mut gefaßt habe , den Versuch zu wagen .
Dann habe ich mir wohl das Herplappern einiger Formulare , aus welchem unsere sogenannte häusliche Andacht besteht , als Gebete angerechnet .
Wie kalt blieb das Herz !
Aber es muß , es soll anders werden , und dazu wird die heilige Handlung mich stärken .
Am Karfreitags-Abend .
Noch schwimmt meine Seele in den erhabenen seligen Gefühlen , von welchen ich , in dem wichtigen Augenblicke , da ich das heilige Abendmahl genoß , bis zur Erschöpfung überwältigt wurde .
Der Himmel ging in meiner Seele auf !
Gott !
Gott ! sollte ich je aus diesem seligen Zustande wieder in jene trostlose Lauigkeit zurücksinken können ?
Nein , stark und fest ist mein Entschluß , nur Gott und das Gute will ich lieben !
Sähe mein lieber Vater in mein Herz , Freudentränen würde er weinen !
Wie entsetzlich leichtsinnig ist doch diese Mariane !
Wie sie meine Rührung verspottete !
Wie unheilig war ihre Neckerei über das , was sie Bigotterie nannte !
O mein Gott , du Heiligster ! sieh mich vor dir in den Staub geworfen , und nimm das Opfer meines Herzens gnädig an !
Nie , nie soll es sich wieder den leichten lockenden Tönen meiner Gespielinnen öffnen .
Nur zu oft ließ es sich hinreißen !
Dies Tagebuch , das ich schon manchmal auf meines Vaters dringende Bitte über mich hielt , soll mir das heilige Band sein , daß mich an meinen jetzt gefaßten Vorsatz und Entschluß knüpft .
In diesem Tone der größten Exaltation , fuhr sie acht Tage lang fort .
Die feierliche Handlung hatte auf ihre Imagination so lebhaft gewirkt , daß sie sich in ihrer Moralität , auf welche ihr würdiger Religionslehrer sie aufmerksam gemacht hatte , hinlänglich gegründet zu sein dünkte .
Sie hielt sich in allem Ernst über die sie umgebenden Torheiten erhaben .
Wie es aber den bloßen Empfindungschristen mehrenteils geht , das Köpfchen kühlte sich nach und nach wieder ab , und es erfolgte in dem Tagebuche , welches ein heiliges Band zwischen ihr und ihrem Schöpfer sein sollte , eine traurige Lücke .
Und das mußte so sein , wenn ich den Einfluß mit in Anschlag bringe , welchen der strafbare Leichtsinn ihrer Aufseher sowohl als ihrer Gespielinnen , auf das junge unerfahrene Mädchenherz natürlich haben mußte .
Ich erfuhr nachher durch besondere Veranlassung , daß die philosophische Madame Brennfeld nebst ihrem philosophierenden Vetter , dem Kandidaten , Julchen zur Gesellschaft mit zum Abendmahl gegangen sei , weil das junge Ding so viel Mutlosigkeit gezeigt hatte .
Vor- und nachher hatte der Herr Kandidat seine , vom Doktor Bart geschöpfte , Weisheit ausgekramt , und der lieben Jugend insonderheit die Auferstehungslehre nach Bahrtischen Grundsätzen erklärt , bei welcher Gelegenheit Madame Brennfeld ihnen weidlich vom höchsten Moralprinzip und kategorischen Imperativ , wovon sie nicht das geringste verstand , vorperoriert hatte .
Diese schönen , mißbrauchten Ausdrücke erdachte wohl der edle Weise nicht , um sie atheistischen Weibern zur Losung dienen zu lassen .
Im August schrieb sie wieder an dem Buche : Mein Vater ( bemerken Sie , lieber Seelmann , sonst hatte sie mir immer zärtliche Beinamen gegeben ; hier hieß es schon schlichtweg " mein Vater " ) wird mich vielleicht in diesem Herbste besuchen .
- Was ist das ?
Was ist denn in der Vorstellung , das mich erbeben macht ?
Freude ist dies nicht ; denn was weiß Freude von Furcht ?
- Mein Vater wird kommen , und nach dem Zustande meines Herzens forschen .
Er sieht so scharf , beobachtet so genau , wird die unverhaltene Offenherzigkeit von mir fordern , die er sonst an mir zu loben pflegte ; und diese verliert sich doch so leicht , wenn man sich nicht mehr täglich Sicht .
Zwar tue ich wohl nichts böses , aber der Vater fordert so viel , und in meinen Jahren kann man doch nicht so ernsthaft an Gott denken , und sich mit diesen erhabenen Gedanken beschäftigen , wie ein Mann in den seinigen .
In meiner Lage ist es nicht möglich , sich an regelmäßige Andachtsübungen zu binden .
Der Morgen ist so kurz , daß er kaum zu den Lektionen zureicht , und des Abends ist man zu schläfrig , oder von den mancherlei Gegenständen , die man um und neben sich hat , zu zerstreut , um sich zum ernsthaften Nachdenken zu sammeln , oder das Herz zum Gebet erheben zu können .
Als ich Madame Brennfeld neulich meine Bekümmernisse darüber mitteilte , beruhigte sie mich dadurch , daß sie mir aus einem Buche vorlas , das Gebet sei überflüssig , es gehe alles seinen einmal von Ewigkeit her bestimmten Gang , Gott verändere , unserer Bitten wegen , nichts an seinen weisen Planen .
Auffallend war_es mir schon immer , daß mir ohne Gebet dasselbe Gute widerfährt , dessen ich genoß , als ich noch regelmäßig und andächtig betete .
Doch genoß ich damals , ich kann es nicht leugnen , eine Ruhe , eine Zuversicht , ich war so gut , so menschenfreundlich , und ging mir es nicht ganz nach meinem Herzen , dann betete ich , und die Zuversicht , daß Gott mir helfen werde , machte mich immer recht froh in meinem Gemüt .
Aber das ist nun freilich leider ! vorbei .
Ich wollte doch , daß ich in meinem Leben den häßlichen Kandidaten nicht gesehen hätte !
So oft ich mich zu träge zum Gebet fühlte , wiederholte ich mir was Madame las ; doch wollte ich noch , zu meiner besseren Beruhigung , mich bei dem Vetter der Madame Rats erholen .
Der lachte aber , der leichtsinnige Mensch , und sagte : ein hübsches Mädchen müsse sich den Kopf nicht mit dergleichen zerbrechen , das verderbe den Teint .
Seitdem nannte er mich immer seine kleine Philosophin .
Mein Vater empfahl mir die Freundschaft des Predigers Eiche .
Ich gestehe , daß ich die Rechtschaffenheit dieses Mannes verehre ; und ich würde allerdings mehr Zutrauen zu ihm gefaßt haben , hätte mich die liebe lose Mariane nicht mit ihm aufgezogen .
Auch scheint mir sein Leben so streng , und er ist so ängstlich gewissenhaft , daß ich armes , schwaches Mädchen in seinen Augen gar zu fehlerhaft erscheinen würde .
Lieber Himmel , die Zeit der Jugend ist ohnedies flüchtig genug ! sollte es denn so Unrecht sein , sie zu genießen ? - -
Den 24sten .
Guter Gott !
Was ich mir auch sagen mag , und so gern ich mich betäuben möchte , so fühle ich doch im Innersten , ich fühle es recht bitter , daß etwas in mir liegt , womit ich nicht werde bestehen können , wenn mein Vater mich zur Rechenschaft auffordert !
Mein Vater ! sage ich ? -
Ach ! wenn_es der nur wäre ! aber eine Stimme , tief in meinem Innersten , ruft mir zu :
" Du bist nicht , was Du sein sollst ! wiege Dich nicht in betäubenden Schlummer ein ! "
Was Madame und ihr Vetter ; der Geistliche , auch sagen mögen , es gibt so eine Stimme .
Wer sie nur sein mag ?
Gestern war ich seit langer Zeit zum erstenmal wieder mit der Cousine Falk in der deutschen Kirche .
In der französischen , in die uns Madame Poulet zur Sprachübung hineintreibt , bin ich gar nicht andächtig ; die Sprache kommt mir nicht so feierlich vor , die Gesänge erbauen mich nicht , und die geschwind Gesagte Predigt verstehe ich nicht .
Darüber habe ich mich beinahe schon gewöhnt , die Kirche als einen öffentlichen Ort zu betrachten , wo wir unseren Putz auslegen , um ihn sehen zu lassen .
Wie wurde ich nun durch das schöne Lied von Gellert plötzlich getroffen :
" Nach einer Prüfung kurzer Tage , " u. s.w. , und dann Eichens Predigt , über die Rechenschaft , die wir von dem Gebrauch unserer Zeit werden ablegen müssen .
Jeder Zug traf besonders mich , und es war mir , als wäre allein unter allen Zuhörern ich der ungerechte Haushalter .
Meine Tränen flossen reichlich ; denn ich versetzte mich zurück in die Tage meiner kindlichen Unbefangenheit , wenn Eiche in unserer Lindenauischen Kirche so sanft und herzlich wie zu Brüdern und Schwestern sprach .
Damals war ich eine treue fleißige Haushälterin , unter dem Schutz und Schirm meiner liebenden Eltern ! -
Ich verlor mich ganz in diesen Betrachtungen .
Auf einmal wurde ich den Kornett Lindenfels gewahr ; er hatte seine Augen starr auf mich geheftet , und flüsterte mir im Vorbeigehen zu : " Heilige Juliane , bitte für uns ! "
Ich kam aus meiner ernsthaften Fassung , es durchlief mich wie ein Feuer , meine Gedanken lenkten sich auf so fremde und entgegengesetzte Gegenstände , daß ich nur noch dem Körper nach in der Kirche blieb , und das letzte Lied gedankenlos mitsang .
Nach der Predigt war Eiche bei der Cousine .
Seine Güte beugte mich diesmal ; ich wagte es kaum , ihn anzusehen .
- Er kann Dir in der Seele lesen , - dachte ich , und das peinigte mich so , daß ich mich nicht lange aufhielt , sondern unter einem Vorwande zu Hause ging .
Da fand ich den leichtfertigen Kornett , der den ganzen Auftritt schon erzählt hatte .
Madame Brennfeld lächelte , und sagte :
" Ihrer Jugend kann man wohl den Irrwahn zu gute halten ; ihr guter Kopf läßt mich hoffen , daß sie einst selbst denken , und etwas mehr als bloß empfinden wird .
Ihr Kopf ist noch ganz unphilosophisch dunkel , und mit verworrenen Prinzipien angefüllt . "
Der Kornett hörte nicht drauf , und klimperte auf dem Klavier : " Vive le vin , vive l'amour , " etc .
Nun ich wieder allein bin , fühle ich , daß ich nicht verdiente , ausgelacht zu werden .
Die Leute haben aber so etwas Überredendes :
Madame mit ihrer Gelehrsamkeit wohl eben nicht ; aber Lindenfels mit seinen brennend schwarzen Augen , die einem immer ins Herz blitzen , so daß ich oft meine eigenen und gewiß nicht schlechteren Einsichten verleugnen kann .
Späterhin bekam ich noch einige Briefe von Julchen , über ganz allgemeine Gegenstände , und in einem kalten , zurückhaltenden Tone abgefaßt .
Dagegen empörte sich mein ganzes Vaterherz .
Der Erwerbe in der Wirtschaft durfte mir nicht wichtiger , als die Wohlfahrt meines Kindes sein , und ich flog nach Berlin , ehe die brennenden Augen des Kornetts mein armes Julchen ganz verzehrten .
Ich stieg bei Karolinen ab ; sie nahm mich kindlich auf ; ihr Mann war eben nicht zugegen .
Nach der ersten Bewillkommung bat ich sie , mir jemanden zu geben , der mich zu meiner Tochter führte .
Sie bestand darauf , ich solle Julchen nicht so plötzlich überraschen ; sie könnte zu heftig erschrecken . -
Erschrecken ?
Vor ihrem Vater ? sagte ich .
Hat sie nicht Ursache sich zu freuen , so mag sie immerhin erschrecken ! -
Ich ließ nicht ab , bis Karoline mir ihren Bedienten mitgab .
Nun ging es an ein Traben aus einer Straße in die andere ; ich dachte , der Kerl hätte mich zum besten , wenn er aus einer meilenlangen Straße in eine noch längere einlenkte .
Was um und neben mir vorbeirauschte , hüpfte und stolperte , bemerkte ich nur flüchtig .
Mein ganzer Sinn stand auf den Empfang gerichtet , den ich zu erwarten hatte .
" Hier ist es , " sagte jetzt der Bediente , und zeigte auf eine schöne Treppe , die wir hinauf mußten .
Mir schlug bangahnend das Herz .
So rasch ich gelaufen war , so langsam und bedächtig stieg ich die Stufen hinan , und befand mich endlich zwischen zwei Stubentüren , vor denen ich , wie ein furchtsamer Schulknabe stand , unentschlossen , an welche ich klopfen sollte .
Endlich wählte ich die , vor welcher es wie Bisam und Moschus roch .
Auf mein leises , bescheidenes Klopfen erschien ein keckes , freches Hausmädchen ; sie betrachtete mich von oben bis unten , und fragte trotzig : zu wem ich wolle ?
Als ich Mamsell Grüntal nannte , bekam ich zur Antwort :
" Die ist nicht zu Hause ! " und husch flog die Tür wieder ins Schloß .
Die kecke Berlinische Jungfer stand mir nicht weiter Rede ; und ich hätte noch lange warten , oder unverrichteter Sache abziehen müssen , wäre nicht ein kleiner leichtfüßiger Hase , in einer bunten Jacke , vor mir vorbeigehuscht ; er trallerte sich aus vollem Halse ein Stückchen , holte aus seiner Tasche einen Drücker , schloß auf , und schlüpfte in die Tür hinein , vor der ich , blöde wie ein Bettler , stand .
Betroffen genug , rief ich ihm nach , mich einzulassen .
" He !
was sukt her ihr ? " rief die Fratze zur Tür hinaus , ohne mich anzusehen .
Dies war der Tanzmeister , der die Äffchen mit Grade kokettieren lehrte .
Er war indes so höflich , mich anzumelden , und so wurde ich doch wenigstens in das Vorzimmer eingelassen .
Die Frau Prinzipalin sei nicht zu Hause ; hätte ich aber etwas zu suchen , so könne ich mein Gewerbe bei der Sausgouvernante anbringen , hieß es .
Mit unsäglicher Mühe bedeutete ich der alten harthörigen Frau wer ich wäre , und was ich wollte ?
Sie verstand zehnmal Unrecht , und schon riß das letzte Fädchen meiner Geduld .
Endlich entschlüpfte ein kleines schlaues Ding dem Tanzmeister , und schrie der alten Frau aus Leibeskräften ins Ohr : ich sei der Monsieur Amtmann , Juliettes Papa , und wolle diese sprechen ( solch ' buntscheckiges , verstümmeltes Französisch ist in diesen Treibhäusern einheimisch ) .
" Juliette ? " - sagte die Alte betreten - " mais vous savez , qu' elle n'y est pas ! "
Wo ist sie denn ? schrie ich , als stände ich auf dem Wollmarkt .
" Sie is gegange sich promenier , " antwortete die Alte , auf deren grundehrlichem Gesicht ich die Gesagte Unwahrheit sehr deutlich sah .
- Das ist mir sehr unangenehm :
ich werde sie also wohl erwarten müssen ; - sagte ich verdrießlich .
" O , da würden Sie lange warten müssen ! " versetzte die Kleine , die schon wieder vor dem Tanzmeister zappelte , " sie wird spät wiederkommen . "
- Sie wissen also wo sie ist , Fräulein ?
- " Ich weiß es recht gut , " sagte das Ding vertraut ; " sie haben mir aber verboten , es wiederzusagen . " -
Meine Bestürzung stieg aufs höchste .
Endlich drang ich es dem Kätzchen ab , daß Julchen von Mariane zu einen Picknick abgeholt sei , Mariane sei jetzt bei ihrem Vater , und würde in der anderen Woche den Herrn von K ... heiraten ; der heutige Picknick werde in dem **** schen Garten gehalten .
Kann ich da wohl hingehen ? - fragte ich das Kind .
- " O freilich , es kann ja ein jeder hin ; es ist ein öffentliches Haus . "
- Schnell entschloß ich mich , hinzugehen , und meine leichtsinnige Tochter eine Zeitlang unbemerkt zu beobachten .
" Da zeigt Sie jedes Kind hin ! " sagte die Kleine , die sich ein boshaftes Fest daraus zu machen schien , Julchen in Verlegenheit zu setzen .
Ich ließ mich nach den **** schen Garten hinbringen , und folgte meinem Führer gewiß mit schwerem Herzen .
Unter dem Gewühl der aus- und eingehenden Bedienten war es leicht , mich unbemerkt in den Garten zu schleichen , und mich , dem Tanzsaale gegenüber , in eine Laube zu setzen .
Julchen , mein stilles , sanftes Julchen , hier , in einem öffentlichen Hause , verstrickt in wilde Tänze !
- diese Vorstellung preßte mir Tränen ab .
Wer ist die Gesellschaft , die da tanzt ? fragte ich einen Marqueur .
" Das weiß der Himmel , " - antwortete der Mensch , - " wie es mit den Picknicks ist ; alles bunt durch einander , Juden und Christen , wer bezahlen kann , und einen guten Rock auf dem Leibe hat ! "
Kennt Er aber gar keinen von dieser Gesellschaft ?
- " Ein Paar junge Offiziere kenne ich nur zu gut ; sonst , glaube ich , sind kaum sechs dabei , die einander kennen mögen . "
- Jedes seiner Worte war mir ein Stich ins Herz .
Wenn ich mir dagegen meine Tochter in ihrer ehemaligen liebenswürdigen Unschuld dachte !
- unter diesem bunten Haufen ! -
Jetzt ging die Tür auf ; ich verschlang den Anblick , so widrig er mir auch war .
Es kamen Kerlchen zum Vorschein , Kerlchen , lieber Seelmann , die kaum noch das Leben zu haben schienen .
Dieser fatale Saal sah viel eher einem geöffneten Krankenhause ähnlich , aus dem die armen Siechlinge herausschlichen , sich an Gottes Sonne zu wärmen , als einem Orte der Freude .
Es gingen viele aus und ein , alte und junge Knaben , geschminkte und fahle Gesichter ; aber meine Tochter kam immer noch nicht zum Vorschein .
Schon glaubte ich , die kleine Pensionsschlange habe mir etwas aufgebunden , als plötzlich die Musik aus einem englischen Tanz in einen wilden Walzer fiel .
Nun flog Paar für Paar vor der offenen Tür vorbei ; Fräulein Lindenfels mit einem kleinen schwarzbraunen Pigmäen , den ich sogleich für einen jungen Juden erkannte , dessen sittlicher Ruf eben nicht fein war ; hinter ihr tummelte sich - ach Gott ! es war - - es war wirklich meine Tochter ! -
Ein junger Kavallerieoffizier hatte sie fest umschlungen , und schwenkte sie in kleinen schnellen Kreisen herum .
Eins verschlang des anderen Blicke : Auge an Auge , Mund an Mund ; der junge Lecker mußte die Glut ihrer brennenden Wange fühlen .
Ich sprang bei dem Anblick , wie von einer Schlange berührt , auf , wollte sie dem Milchbart aus den Armen reißen , und was weiß ich , was ich in der ersten Bestürzung alles wollte .
Indes ich noch unschlüssig da stand , war der Tanz zu Ende , und nun kam Paar für Paar herausgeschlendert , und verteilte sich in die Gänge .
Meine Tochter kam mit ihrem Tänzer zuletzt .
Ich trat in meine Laube zurück , die schmerzliche Beobachtung fortzusetzen , und meine Hitze sich abkühlen zu lassen .
Nachdem sie die Allee einigemal auf- und abgegangen waren , führte der Offizier Julchen in die Laube dicht neben mir .
" Aber sagen Sie mir , englisches Mädchen , " ( so redete er sie an , indem er ihre Hand lange an seine Lippen drückte , welches sie nicht hinderte ) " warum antworten Sie auf meine Briefe nicht ?
Ich hoffe , der schurkische Magot wird sie doch richtig bestellt haben ? "
- Julchen schwieg , machte ein läppisch Gesicht , und sah schweigend auf ihren Fächer .
- " O so sprechen Sie doch ein Wort !
Wenn werden Sie doch endlich diese entstellende Blödigkeit ablegen ? "
- Gottlob , Gottlob ! mir wälzte sich ein Stein vom Herzen , daß sie noch blöde war .
Gottlob , Gottlob ! rief ich beinahe unwillkürlich .
- " Herr von Lindenfels , " stammelte sie endlich , " ich schreibe nie an eine Mannsperson .
Ihre Briefe habe ich bekommen ; ich würde sie aber nicht angenommen haben , hätte Magot sie mir nicht in Beisein von Madame gegeben .
Sie würde sie gesehen haben , wenn irgend ein Wortwechsel dabei vorgefallen wäre . "
- " Und was wäre das für ein Unglück gewesen ? " fragte Marianes Bruder , - denn der war er - " Glauben Sie es mir , meine Beste , ich wäre reich , hätte ich so viel hundert Dukaten , als süße Briefchen von Friseurs und Tanzmeistern in Pensionen praktisirt werden !
Ich stehe dafür , daß ihre weise Duenna wohl selbst zuweilen ein Auge zudrückt , wenn nur die Zufuhr nicht ausbleibt . "
- " Fi donc , wer wird so arg sprechen ! " sagte Mamsell Grüntal , albern geziert , und begleitete diese Worte mit einem Fächerschlage .
Der Bube verstand die Aufforderung , die das unerfahrene Mädchen , ohne es vielleicht zu wollen , in diese Bewegung legte ; er wurde dreister und zudringlich . -
Nun ist es Zeit , dachte ich , stieß , was mir im Wege stand , um , riß mich durch das Laub , das sie von mir trennte , und stand , ohne noch zu wissen was ich sagen oder beginnen würde , vor Julchen .
Dem jungen Herrn war diese Unterbrechung sehr ungelegen , er sprang auf , und suchte mich zurückzudrängen ; ich aber war angewurzelt , wie eine Eiche .
" Es ist mein Vater ! " - schrie meine Tochter , die starr und betäubt sitzen blieb , dann aber doch in meine unwillkürlich geöffneten Arme stürzte .
Ich weinte und schluchzte wie ein Kind , nicht achtend , wie das Bürschchen sich so breit machte .
- " Unglückliches Kind ! verdienst Du es , daß ich Dich mit dieser Inbrunst an mein Herz drücke ? "
- Julchen antwortete mit keiner Silbe , und hielt sich beide Hände vor die Augen .
- " Gott hat gewollt , daß Dein Vater in diesem Augenblicke zu Deiner Rettung herbeieilte ! "
- Das Mädchen war immer noch einer Ohnmacht nahe .
Indes hatte der Herr Kornett sich aus dem Staube gemacht , wahrscheinlich um der Gesellschaft von dieser Wundererscheinung Nachricht zu geben .
Während der Zeit war ich wieder in so fern zur Besonnenheit ge kommen , daß ich überlegte :
jedes Aufsehn würde dem guten Namen meiner Tochter nachteilig sein ; ich tröstete sie also mit Liebkosungen , bis sie sich erholte .
Aber mir in die Augen zu sehen , wagte sie nicht .
Nun kam nach und nach die übrige Gesellschaft herbei .
Mariane überhäufte mich mit Vorwürfen , wobei sie mich ganz vertraulich Du nannte .
" Bist Du toll , Alter ?
Deine Tochter so auf den Tod zu erschrecken !
Glaube mir , Deine Galanterie schmeckt nach der Amtsstube !
Armes , armes Julchen !
Und der Louis ist vor Schreck wohl gar davon geflogen ? "
- So ging es in einem Atem fort , indes Julchens vermeinte Ohnmacht wohl fünfzig Riechfläschchen in Bewegung gebracht hatte .
Sie stand wie im Platzregen ; die jungen Herren wollten durchaus das Verdienst ihrer Herstellung haben .
Ich stellte mich dabei ganz munter und lustig , machte so tiefe Bücklinge und Kratzfüße , entschuldigte mein unverhofftes Eindringen wider meine eigene Erwartung so manierlich und kaltblütig , daß die Gesellschaft , nachdem einige junge Herren , die vielleicht die Unternehmer des Picknicks sein mochten , die Köpfe zusammengesteckt hatten , endlich ganz herablassend beschloß , ( wahrscheinlich meiner schönen Tochter zu Liebe ) mich an dem Feste Teil nehmen zu lassen .
Ich nahm das Anerbieten an , sowohl aus Schonung für meine Tochter , als auch , um einen Begriff von dem Tone der Gesellschaft zu bekommen , der mich dann schnell zu der Überzeugung führte , daß der ein Narr ist , der diesen sogenannten Lustbarkeiten eine der echten Freuden des Lebens , oder auch nur seine häusliche Bequemlichkeit aufopfert .
Es wurde auch kein gescheutes Wort , kein einziger , auch nur einigermaßen witziger Einfall vorgebracht ; gar nichts , das des Belachens wert gewesen wäre .
Wer einen sogenannten Scherz , der nur Persiflage war , vorbrachte , mußte seinen Einfall auch zuerst belachen ; dann erst stimmten wohl einige aus Höflichkeit , wenn der Witzling eine betitelte Person war , mit ein .
Bei den Zweideutigkeiten , deren gar viele mit unter liefen , waren es allemal die Damen , die durch helles Gelächter ihrem Scharfsinne , auf Kosten ihrer Schamhaftigkeit , ein Kompliment machten .
- Sie erinnern sich der Zeiten , lieber Pastor , da die jungen Männer durch Schön- und Süßsein , durch verunglücktes Kopieren des Werther , und anderer , minder trefflichen Romane dieser Periode , bei vernünftigen Frauenzimmern Ekel erregten .
Seit der Zeit ist das Kind mit dem Bade ausgeschüttet , die Ritterromane und Schauspiele haben Ton und Manier so derb , so zufahrend und zurückschreckend gemacht , daß ich die Mädchen bedauern würde , wenn auch sie sich nicht der zarten Weiblichkeit entschlagen hätten , und etwas affektierten , das Deutschheit sein soll ; wie denn leider ! so viel Mißgriffe in dieser Hinsicht gemacht werden , und Rohheit oft für Deutschheit gelten muß .
Daß dieser dem Zeitalter gar nicht harmonische Ton noch gehört wird , der schon lange zu unseren Sitten nicht mehr stimmt , veranlassen die Dichter , welche die eisernen Männer der vergangenen Jahrhunderte durch ihre Dichtung so verschönert und oft zwitterartig darstellen , welche die Gediegenheit der vorigen Zeit , mit der Kultur und Urbanität der jetzigen gepaart , in ein liebenswürdiges Gemälde bringen , das denn freilich Nachbildner reizt .
Ein Berlichingen , ein Wittelsbach erhebt die Schwingen ihrer Phantasie ; ein Richelieu , ein Orléans schmeichelt ihrer Sinnlichkeit .
Und welchem Vorbilde folgen sie ? Beiden ; jenem in der Derbheit , diesem in der Sinnlichkeit .
Wie steht es da aber um die Weiber , die solchen Männern gefallen wollen ?
Lieber Seelmann , ich meine den großen Haufen ; denn vielleicht gibt es an keinem Orte in der Welt so viel ehrenvolle Ausnahmen , als in Berlin .
Aber für jemanden , der sein Kind diesem wogenden Meere anvertrauen soll , ist es denn doch über alles schwer , den Klippen oder Untiefen auszuweichen .
Nach Verlauf einer Stunde hatte ich das alles satt und übersatt .
Mariane , als sie sah daß ich mich mit Julchen entfernen wollte , nahm mich schmeichelnd bei Seite , und strich mir die Backen .
" Liebes Väterchen , Du sagst doch der Frau Sirach ( sie meinte die Erzieherin ) nicht , daß Julchen hier mit mir gewesen ist ? "
- fragte sie sehr naiv .
Tröstend war mir_es , zu hören , daß Madame Brennfeld an diesem Unfuge unschuldig , und von den Mädchen hintergangen war .
Mariane hatte vorgegeben , sie führe mit Julchen nach einem nahgelegenen Lustschlosse ; das war in so fern unschuldig , obgleich Marianes Führung nie unschuldig sein konnte .
Jetzt nahm ich mein Töchterchen unter 'm Arm , und schlich unbemerkt mit ihr aus dem Garten .
Draußen stand ein Wagen ; ich stieg mit ihr hinein , und hieß dem Kutscher , zu Falk's hinzufahren .
Wir saßen einander gegenüber , und sprachen kein Wort .
Mir schwebten Vorwürfe auf den Lippen , aber sie jagte sie durch Tränenströme immer wieder in mich zurück .
Ihre Seelenangst , womit sie offenbar kämpfte , war mir unerträglich ; ich sah bald zu dem einen , bald zu dem anderen Kutschenschlage hinaus , und war bemüht , mich gegen ihre Tränen zu verhärten .
" Liebster Vater , " schluchzte sie endlich hervor , und griff nach meiner Hand .
Ich machte ein strenges Gesicht , und verweigerte sie ihr ; sie zog die ihrige zitternd zurück , wurde blasser , und es war wieder still .
- " Liebster " - begann sie noch einmal , beide Hände ringend .
Was willst Du , Juliane ? sagte ich mit fester , ernster Stimme .
" Können Sie mir verzeihen , mein Vater ?
Können Sie mich noch lieb haben ? "
- Wenn Du selbst Dir List und unwürdiges Beneh men verzeihen , wenn Du es vergessen kannst , daß Du mich und Deine Aufseherinnen hintergehst , so will ich_es zu vergessen suchen , daß Du der Liebling meines Herzens gewesen bist . -
Während dieses , meinem Herzen so schmerzlichen Dialogs waren wir vor Karolinens Wohnung angekommen .
- Julchen weinte laut und trostlos ; ich sprach ihr einigen Mut ein , denn sie jammerte mich innigst , und beschloß , den Vorgang niemanden merken zu lassen .
Karoline bewillkommte uns , wie ich es an ihr gewohnt war , mit unendlicher Gutmütigkeit ; als sie Julchen aber so gebeugt und niedergeschlagen sah , erwähnte sie , zu des Mädchens großer Pein , daß sie mir es wohl abgeraten habe , Julchen nicht zu überraschen .
Die große Freude habe auch ihre Schrecken ; denn sie glaubte nicht anders , als meine Tochter sei vor Freude und Überraschung so bewegt .
- Falk , Karolinens Mann , gefiel mir nur halb ; er schien mir auch ein schwankendes , karakterloses Wesen zu sein .
Karoline liebte ihn zärtlich , und ich hätte es keinem geraten , gegen ihren Karl etwas einzuwenden .
Nun wurde Eiche eingeladen , und so blieb Julchens Niedergeschlagenheit unter dem lauten Jubel des Wiedersehens ziemlich unbemerkt .
Gegen zehn Uhr brachte ich meine Tochter nach Hause .
Das schon erwähnte schnippische Hausmädchen kam uns entgegen , und entschuldigte Madame Brennfeld damit , daß sie schon schliefe ; flüsterte aber Julchen laut genug zu , daß ich_es hören konnte : " der Vetter ist drin , und liest noch . "
Ich legte meiner Tochter , zur guten Nacht , noch Verschiedenes ans Herz .
Tränen waren ihre einzige Antwort , als ob sie jede andere Sprache verlernt hätte .
Nun ging ich in mein Nachtquartier , zu Falk's , zurück .
Daß die Eindrücke des vergangenen Tages jede Anwandlung von Schlaf fern von mir hielten , wird man , ohne mein Erwähnen , leicht glauben .
Ein nicht aufzuschiebendes Geschäft fordert meine Gegenwart , ich behalte mir daher die Fortsetzung auf gelegenere Zeit vor .
Sie erfolgte diesmal in mündlicher Unterredung in Seelmanns Pfarrhause .
" Der Herr Amtmann blieben da , wo Sie Ihre Tochter von dem Picknick holten , " fing die Frau Seelmann das Gespräch an . -
Ganz recht , antwortete Grüntal , ich blieb bei dem - - Picknick .
Hier entfuhr ihm ein unartiger Fluch , den die Frau des Pastors mit einem eben so nachdrücklichen " Gott behüte uns ! " erwiderte .
- Ich habe Ihnen gesagt , daß ich die Nacht über in Falk's Hause kein Auge zutat .
Morgens war ich der Erste im Hause , weckte Karolinen , entdeckte ihr beim Frühstück alles , was mir auf dem Herzen lag , und verschwieg ihr auch Eichens Absichten auf Julchen nicht .
Die ehrliche Seele weinte mit mir , verteidigte doch aber Julchen aus allen Kräften .
" Der Grund ist noch gut , " sagte sie ; " was Sie beunruhigt , sind üppige Auswüchse , durch die Unart ihrer Mitschülerinnen hervorgebracht .
Dies ist allenthalben der Fall , wo in dergleichen Anstalten viele junge lebhafte Menschen in enger Verbindung leben . "
Freilich , freilich sitzt da der Knoten ; aber was ist zu tun ?
Wie helfen wir dem Übel ab ? -
Falk meinte , das Beste sei : der sorglosen Erzieherin den Kopf tüchtig zu waschen , und Julchen in eine andere Pension zu bringen .
Nein , sagte Karoline , Julchens guter Name würde darunter leiden , wenn sie so plötzlich wegkäme .
Und was würde dabei gewonnen werden ?
Die Mängel , welche der Onkel mit so vielem Rechte zu Herzen nimmt , sind nicht der Brennfeldischen Anstalt allein eigen , sie liegen in der Sache selbst .
Mir ist kein Beispiel bekannt , daß ein Frauenzimmer ein solches Institut aus Gefühl ihres inneren Berufs zum Erziehungsgeschäft errichtet hätte ; es ist bei ihnen nur Erwerbssache .
Zwar gibt es hier Anstalten , wo beide Absichten so glücklich verbunden sind , daß man versucht wird , Liebe zur Sache für die Haupttriebfeder zu halten ; diese sind aber leider ! mehr für das erste Geschlecht , als für das unsere errichtet .
Und Frauenzimmer , welche den ehrwürdigen Namen Erzieherin oder Institutritze ganz unrechtmäßig usurpieren , unternehmen es , der Jugend etwas geben zu wollen , was ihnen selbst fehlt : Bildung und Erziehung .
Die fehlenden Talente hoffen sie durch einen Schwarm von Lehrmeistern zu ersetzen ; unter diesen wählen sie alsdann die wohlfeilsten , wobei denn natürlich die Wahl , in Absicht des moralischen Wertes dieser Menschen , nicht sehr strenge sein kann .
Meine Schwester wurde nach unserer Eltern Absterben von dem Vormund in eine Pension getan , wo die Frau Prinzipalin an dem ganzen Erziehungsgeschäft keinen anderen Anteil nahm , als daß sie der Jugend einigen Unterricht im Putzmachen gab , wobei sie den armen jungen Mädchen , wenn es ihnen nicht geriet , manche Ohrfeige zuteilte .
Überhaupt stehen die meisten ihrem Berufe mit dem größten Widerwillen vor ; er ist nur traurige Notwendigkeit .
Wehe der Jugend , wenn die Erzieherin eine Kinderfeindin ist , und mit Ekel ans Werk geht .
Bei der immer zunehmenden Menge der Erziehungsanstalten kann es einige geben , die weniger von den allgemeinen Mängeln haben ; es können , auf den Rat einsichtsvoller Männer , bessere Lehrer gewählt worden sein ; die Erzieherin selbst kann ein würdiges Subjekt sein :
aber wie so selten verstehen Gelehrte den wahren Wert eines Weibes zu würdigen !
Wie so oft gilt ihnen Geschwätz für inneren Gehalt ; Worte für Tat ; ein wenig Manier für Wesen ; Lektüre für Selbstdenken !
Ach , und diesen Irrtum müssen Tausende büßen , die einer , durch ihre Außenseite gefallenden , Frau in die Hände fallen !
Wenn die Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft es auch notwendig macht , daß die Söhne außer dem elterlichen Hause die Quellen der Kenntnisse aufsuchen und benutzen müssen , so sollten doch die zarteren Blumen nicht so früh vom mütterlichen Boden hinweg in fremde , kalte Erde verpflanzt werden .
Wie viel Liebe und Wohltaten fordert ihre Pflege ? und wer kann Liebe verkaufen , oder mit Gelde bezahlen ? -
Was soll ich aber mit Julchen anfangen ? fragt ich Karolinen , die von dem Eifer , womit sie peroriert hatte , recht rot geworden war ; denn vieles und langes Reden lag nicht in ihrer sanften , stillen Natur .
- " Stimmt mein lieber Mann hierin mit mir überein , " sagte sie , ihrem Karl zärtlich die Hand drückend , " so wohnt Julchen bei mir , bis sie heiratet .
Indes übt sie sich in der Stadtwirtschaft , und kann in Ruhe und Stille ihre Lehrstunden abwarten .
Wir wollen ein Herz und eine Seele sein , wenn Sie mir nur das liebe Mädchen anvertrauen , lieber Onkel . "
- " Den Augenblick sollen Sie sie haben , Nichte !
Ob ich Sie Ihnen anvertraue ?
Ei , mit Leib und Seele soll sie Ihnen gehören ! " rief ich , so freudig , daß die Stube widerhallte ; denn ich sah_es Falk an den Augen an , daß er den Vorschlag genehmigte .
" Liebes Onkelchen , " fiel mir die altkluge Karoline ins Wort , " nicht so rasch !
Julchen muß ihr volles Jahr dort bleiben ; ihr guter Name muß sich jetzt , da sie im Begriff ist in die Welt zu treten , zu dem bilden , was er bleiben soll . "
In meinem Kopfe ging es jetzt herum , ob ich nicht besser täte , Julchen ohne alle Umstände nach Lindenau zu nehmen ? aber , ach Gott ! wie hätte es da um den lieben Hausfrieden gestanden !
Meine Frau zitterte vor Ärger , wenn sie nur das Wort Stieftochter hörte .
Julchen , glaubte sie , hätte von der Stadt gewiß schon so viel weg , daß sie eine Staatsdame geworden wäre , und in unseren Haushalt sich nicht schicken würde .
Überdem war meine Frau ihrer Niederkunft nahe , und da machte ich mir ein Gewissen , ihr in irgend einer Sache entgegen zu sein .
In der Lage mußte ich mir allerdings den Vorschlag , als den besten , gefallen lassen .
Als nun alles dahin Gehörige fein ordentlich verabredet war , eilte ich zu Eichen , ihm diesen Plan mitzuteilen .
Er nahm ihn mit aller Freude eines vernünftigen Mannes auf , der nun der Erfüllung seines Wunsches entgegensieht .
Um Julchens Vermögensumstände hatte er mich nie gefragt , obgleich die seinigen nicht die besten waren , und sein Einkommen größtenteils von den guten Gesinnungen seiner Gemeine abhing .
Wir rechneten auf die Genügsamkeit meiner Tochter und Karolinens guten Rat .
Mit Verabredungen der Art hatten wir eine gute Stunde hingebracht , und ich mich in eine Zukunft versetzt , bei der ich mir Picknick und alles übrige Herzweh aus dem Sinne schlug .
Dann umarmte ich meinen künftigen Schwiegersohn , und eilte mit erheitertem Gemüt zu Julchen .
Ich ging da ohne alle Umstände in die Lektionsstube .
Der Herr Kandidat , der die jungen Damen mit sehr vieler Artigkeit Christentum , Geschichte , Naturhistorie , Erdbeschreibung , Logik , Deutsch , Anfangsgründe der Geometrie , Briefstiel , und beiher auch etwas Englisch lehrte , war so eben dabei , den Kindern den eigentlichen Sitz der Denkkraft zu beschreiben .
Er hatte , wie_es aus den griechischen und lateinischen Benennungen klar war , chirurgische und medizinische Kollegia gehört , und wurde , da meine Gegenwart ihn nun noch aufmunterte , so entsetzlich gelehrt , nannte jede Puls- und jede Schlagader bei ihrem anatomischen Namen , daß die Mädchen ein Schauer überfiel , und sie ihn baten , für diesmal lieber ihre Briefe durchzusehn .
Julchen hatte zum Briefthema bekommen :
" Danksagung an eine Fürstin , die der Briefschreiberin ein Geschenk gemacht hatte . "
Die Briefe waren steif und geziert dennoch fand sie der Herr Kandidat , bis auf die Fehler gegen die Rechtschreibung , vortrefflich .
Mir wurde siedend heiß , als er Julchens Brief zur Durchsicht nahm ; denn sie schrieb wahrlich ! in ihrem zwölften Jahre besser , als er je geschrieben hatte .
Er fand ihren netten natürlichen Brief trivial , aber doch nicht ganz schlecht .
Nun gab er den kleinen Mädchen auf , wobei achtjährige waren , einen Aufsatz über den Stolz auszuarbeiten .
Lieber Seelmann , kleinen Kindern , über den Stolz !
Denken Sie doch , welchen Nutzen diese sinnleeren Übungen für Kinder haben konnten ! - -
Nach diesem erschien der Klaviermeister , ein kleines luftiges Männchen , in schöngewesenen Kleidern und schmutziger Wäsche .
Er warf sich nachlässig neben Julchen auf einen Stuhl vor dem Klaviere , ließ sie eine Weile ein schweres Bachisches Konzert hacken , wobei dem armen Mädchen die Schweißtropfen von der Stirn flossen , tändelte indes mit Julchens herabhängenden Locken , oder spielte mit dem kleinen Hunde , und sang passagenweise aus voller Kehle mit .
Durch das schwere Allegretto mußte Julchen sich allein , ohne seine Hilfe , durchklappern ; denn der Musikmeister hatte sich indes in ein weitläufiges Gespräch mit einem der jungen Mädchen über das gestrige Konzert eingelassen .
Julchens stümperhaftes Spielen tönte ihm wahrscheinlich zu unangenehm in sein musikalisches Gehör ; er ließ abbrechen , und akkompagnierte dafür eine sehr schwere Bravourarie , bei deren Gesang Julchen eigentlich nur zeigte was sie nicht vermochte , und bei der ich zehnmal dachte : schade um ihre schönen natürlichen Anlagen , um die Herzlichkeit die sie , schon als erste Anfängerin , in kleine Lieder von Reichard zu legen wußte .
- Zu meinem Trost war diese Stunde gewiß keine 60 Minuten lang .
Ich hatte sie bewundernswürdig schnell überstanden ; allein das heißt nun Unterricht in der Musik , den wir armen Eltern so teuer bezahlen ! -
Mit der Zeichenstunde hatte es , wie ich nachher erfuhr , eben dieselbe Bewandtnis .
Den Mädchen , welche der junge Zeichner besonders wohl wollte ( das waren denn immer die hübschesten ) , malte er die Zeichnungen aus , und die kleinen Lügnerinnen schickten sie dann den erstaunten Eltern als eigene Arbeit zum Neujahrsgeschenk .
So steht es im Grunde mit allem Unterricht in solchen Schulen ; und dafür geben und entbehren alte unbemittelte Eltern alles , was sie nur aufbringen können , damit ihre Töchter etwas rechtes lernen sollen !
Seelmann lächelte , und sagte , indem er seine Frau schalkhaft ansah :
" Nehmen Sie sich in Acht , lieber Grüntal , meine Frau ist zwar nicht in Berlin , aber doch in einer Stadtpension erzogen . "
- " Ja , Herr Amtmann , das bin ich ! " fiel die Frau Pastorin ihrem Herrn ins Wort , - indem sie ihr artiges Köpfchen trotzig in die Höhe warf , - " und ich denke , mein Mann hat noch nicht Ursache gehabt , auf die Pensionen zu schmähen .
Nicht wahr , Männchen ? "
- Seelmann war ein höflicher Mann , er wich der Antwort aus ; auch ließ ihm Grüntal nicht Zeit , denn er antworte hastig :
" Kann sein , kann sein , daß nicht alle gleich in die Augen fallende Ursachen haben , so wie ich , die Pensionen zur Hölle zu wünschen .
Aber die Hand aufs Herz , Frauchen , wie viel haben Sie noch von den Pensionskünsten behalten ? und welche finden Sie auf Ihre häusliche Verfassung als Frau und Mutter anwendbar ?
Macht es Ihren Mann oder Sie glücklicher , daß Sie vordem einmal kleine Strichelchen mit Bleifeder aufs Papier krizzelten ?
Den echten Kunstsinn nehme ich allemal ehrfurchtsvoll aus ; und dieser wird auch wahrlich ! durch alle Schwierigkeiten späterer und häuslicher Verhältnisse sich Bahn brechen : allein diese kleinen Talente , die nicht von den Fingerspitzen zu Kopf und Herzen dringen , und , bei erster Veranlassung , gegen hundert andere kleine weibliche Eitelkeiten vertauscht werden , achte ich für wahren Zeitverlust . "
- " Ei , Herr Grüntal , " sagte die Pastorin innerlich aufgebracht , " es scheint , als ob Sie Küche und Kinderstube für die angeborene Sphäre meines Geschlechts hielten ! "
- Vielleicht hätte ich darin nicht so ganz Unrecht , antwortete der Amtmann in eben dem Tone ; aber Sie müssen es ja schon aus der Erziehung , die ich meiner Tochter zu geben suchte , gesehen haben , daß ich ihre Tugend und das Gefühl ihrer Pflichten nicht auf Unwissenheit gründen wollte .
Ich erkenne dankbar die Mühe , die Ihr , von mir gewiß innigst verehrtes Geschlecht sich gibt , uns durch sittliche Ausbildung und Veredlung die Tage der irdischen Wohlfahrt mit Rosen zu bekränzen ; ich verstehe den Wert der Tugend , deren Basis vernünftige Erkenntnis des Schönen und Guten ist , und fühle tief den Unterschied zwischen einer gebildeten Frau und einer gelehrten Pedantin , die ich für das gelbe Fieber weiblicher und männlicher Gesellschaft halte .
In eben dem Maße ekelt mich vor Roheit und grober Unwissenheit , der Mutter so manches Lasters , und des dümmsten Aberglaubens , wo weder gesunde Vernunft die Gefühle des Herzens veredelt , noch sie auf die edleren Gegenstände des Lebens hinlenkt .
Diese Ausbildung wird aber nie die Frucht einer Pensionsschule sein ; und , aufrichtig gesagt , ich halte dafür , daß , je mehr dergleichen Anstalten ausposaunt werden , je mehr Vorwand gibt dies eitlen oder trägen Müttern , sich der Erziehung ihrer Kinder zu entledigen , um sie mit schweren Kosten einer Fremden aufzutragen , die es wenig oder gar nicht interessiert , ob die Kinder einschlagen , oder nicht ; wenn nur übrigens , so lange sie unter ihrer Aufsicht sind , nichts Lautbares vorfällt , das ihrer schönen lebendigen Nahrung schaden könnte .
Unglücklicher Weise gibt es Fälle , in welchen die Pension das kleinere Übel ist , und wo eine wohlmeinende Erzieherin weniger Schaden stiftet , als eine schlechte Mutter , die ihren Kindern ein böses Beispiel gibt .
Auch für Waisen ist die Pension oft der geringere Nachteil .
Diese einzelnen Fälle wiegen aber den Schaden bei weitem nicht auf , den die Pensionsanstalten im Ganzen stiften .
Wenn Sie mir erlauben , meine Erzählung fortzuführen , werden Sie Ursache finden , die Bitterkeit zu entschuldigen , die vielleicht wider Willen mit einfließt .
Ich wohnte , wie ich schon erwähnt habe , einigen Lehrstunden bei .
Es fiel mir besonders auf , daß keine von den Gouvernantinnen , deren doch drei waren , wenigstens der Form wegen zugegen war .
Es ist wahr , von Zeit zu Zeit ging die alte taube Französin , die den Kleineren das Buchstabieren beibrachte , durch das Zimmer ; das trug aber mehr zur Störung als zur Ordnung bei .
Bei dem Klaviermeister insonderheit schien ein wenig mehr Aufsicht nötig zu sein ; er schielte mehr auf das Gesicht seiner Schülerinnen , als auf ihre Finger .
Julchen gestand , daß er zuweilen so freche Histörchen vorbringe , daß sie die Stunden abbrechen müsse .
Die drei Gouvernantinnen hatten die Geschäfte auf folgende Art unter sich verteilt :
Madame Brennfeld , - als Prinzipalin , - hatte Einnahme und Ausgabe , teilte den Unterricht und die Lehrstunden nach ihrer Bequemlichkeit ein , spürte allenthalben nach den wohlfeilsten Lehrern umher , denen sie monatlich für alle Schülerinnen nur so viel bezahlte , als etwa zwei oder drei derselben dazu beitragen mußten .
Sie besorgte ferner die Berechnung mit den Eltern der Zöglinge , sammelte die Geschenke ein , und teilte , was ihr davon nicht anstand , ihren Mitarbeiterinnen zu .
Sie selbst gab den Zöglingen einige Stunden in den kleinen Gesellschaftsunterhaltungen , welche sie Lebensphilosophie zu nennen beliebte .
Ob sie die Kunst , Whist und l' Hombre zu spielen , mit dahin rechnete , weiß ich nicht gewiß .
Auch ließ sie die größeren Mädchen zuweilen aus französischen Büchern übersetzen , wozu sie mit einer besonderen ihr eigenen Gabe stets die unzweckmäßigsten wählte .
Endlich , wenn sie nicht notwendig mit dem Vetter Kandidat zu lesen und zu disputieren hatte , übernahm sie auch wohl die Mühe , Morgens und Abends mit den jungen Damen zu beten .
Da sie aber von dieser geistlichen Übung nicht viel hielt , so ersparte sie sich die Ennui dabei , und überließ sie gewöhnlich der dritten Aufseherin , die ich bald werde auftreten lassen .
Wohnte sie zuweilen , Anstands wegen , diesen sogenannten Morgen- und Abendandachten bei , so musterte sie indes die Kleidungen und Haltung der Schülerinnen , legte dieser die Locken anders , kämmte jener das Haar mehr in die Stirn ; hier war der einen der Unterleib hereinzudrücken , dort einer anderen die Schultern zurückzuziehen .
Zur Erhaltung guter Andacht und Ordnung wurde unter den kleineren hier und da eine Ohrfeige oder ein Stoß in den Rücken , und eine große bête unter die bürgerlichen größeren Mädchen ausgeteilt ; denn die Adligen hatten auch hier ihr Privilegium , ungeahndet arrogant zu sein , nicht umsonst .
Die erste Unter Gouvernante war eine geborene Pariserin , stocktaub , und sprach nur einige Worte gebrochenes Deutsch .
Ihr Amt war , die Kleinen französisch buchstabieren und lesen zu lehren ; sie zog sie aus und an , war , ihrer schadhaften Füße und ihrer unscheinbaren Kleidung wegen , der beständige Haushüter wenn alles ausflog , und die arme Lastträgerin , auf welche alles geworfen wurde , wenn es etwas zu verantworten gab .
Die dritte Figur war nur eine Art von Kammerjungfer , spielte aber doch bei der Bildung der Jugend eine wichtige Rolle :
sie lehrte sie Putzmachen , oder vielmehr die Kunst , sich zu putzen .
Überdies mußte sie , geschickt oder ungeschickt dazu , die Arbeiten übernehmen , die Madame Brennfeld nicht anrühren mochte .
Sie war geschmeidig , wie dergleichen Personen , welche sich durch die Vertraulichkeit Vornehmerer ernähren , immer zu sein pflegen .
Sie ließ sich von den jungen Damen zu allerlei Dienstleistungen gebrauchen , sagte ihnen Schmeicheleien vor , und versicherte , dieser oder jener vornehme Herr habe sich fast die Augen nach ihnen ausgesehen , u. s.w .
Noch hundert Kleinigkeiten der Art könnte ich Ihnen zu Rechtfertigung meiner Abneigung erzählen , besorgte ich nicht , Ihnen durch diese Weitläufigkeit Langeweile zu machen .
Also zu meinem Geschäft bei Madame Brennfeld .
Ich sagte ihr , daß ich gesonnen wäre , nach einem halben Jahre meine Tochter nach Hause zu nehmen ; auch bat ich , sie nicht zuviel ausgehen zu lassen , weil ich darin meine eigenen Grillen hätte .
Übrigens würde ich für die Mühe , die sie sich mit der Bildung meiner Tochter gegeben hätte , ewig dankbar sein . Ihr Gesicht hatte sich zu Anfang meiner Anrede in hundert grämliche Falten gezogen , und ich war auf eine vulkanische Eruption gefaßt ; aber bei dem Worte dankbar sein ging mir plötzlich das helle Sonnenlicht ihrer zwei fahlbraunen kleinen Augen auf .
" Meine Tochter , " sagte sie , " wäre ein bezauberndes Mädchen ; - in kurzem würde sie die Krone ihrer Eleven geworden sein ; - es sei ihr leid , sehr leid ; -
und wieder nicht leid , wenn sie bedächte " - - und was der Alltagssprüche mehr waren .
Nach diesem ging ich mit Julchen in ein besonderes Zimmer , und kündigte ihr meine Absicht mit ihr an , doch ohne ein Wort von Eichen zu sagen .
Sie wurde blaß und zitterte , daß sie sich nicht aufrecht halten konnte ; dann sagte sie mit gedämpfter Stimme etwas von Gehorsam und Folgsamkeit her , wobei ihr die heißesten Tränen über die Wangen liefen .
- Was ist das ?
Mädchen !
( fragt ' ich ) weißt Du noch , wie Du mich batest , Dich recht bald von diesem häßlichen , zwangvollen Orte wegzunehmen ?
O , Du bist ein verwahrlostes Geschöpf ! -
Gehe , ich liebe Dich nicht mehr !
- " Mein Vater , erbarmen Sie sich !
Um Gotteswillen , nicht diese Härte !
( sie streckte weinend ihre Hände nach mir hin )
Ich will tun , was Sie mir befehlen ; aber ich muß Zeit haben , mich zu fassen !
Mein Herz ist ein so wunderliches , weiches Ding ; ich gewöhne mich so leicht an etwas . " - -
Du hängst Dich auch leicht an etwas ; nicht wahr ? -
Zeige mir doch , wenn Du noch nicht alle Zucht aufgegeben hast , die Briefe , die der Friseur Dir heimlich zusteckt . -
Nun wechselte auf ihrem Gesicht Totenblässe mit dem höchsten Karmin ab ; sie war unschlüssig , ob sie leugnen oder bekennen sollte .
Mein Herz litt bei dieser Strenge kaum weniger als das ihrige .
Liebe war in meinen Augen nie Verbrechen ; aber hier war doch die Operation notwendig , so schmerzvoll sie dem guten Kinde auch war .
Als sie immer noch anstand , sagte ich ganz erweicht :
" Liebes Julchen , gib sie mir . "
Diesem Tone widerstand sie nicht ; sie holte ein , über und über mit Vergißmeinnicht und Silhouetten verziertes , Taschenbuch hervor , und übergab es mir mit einer Bewegung , die ganz unzweideutig den tiefsten Schmerz ausdrückte .
- " Hm ! in so zierlichem Gewahrsam ?
Ein so ansehnliches Paket ? "
- Ich schlug es aus einander , sah flüchtig hinein , und dann wieder auf das tief beschämte Mädchen .
Und hier sage ich : wehe dem Herzen , das mit Wohlgefallen auf die Demütigung eines armen , schwachen Mädchens blicken , und sich seiner ruhigeren Stellung überheben kann !
Wehe dem Vater oder der Mutter , die in solchen Momenten nur ihre Rechte fühlen ; deren Gefühl kein Wörtchen für die arme Menschennatur spricht !
Das gute Julchen hielt meine gewiß nicht strengen Blicke nicht aus ; sie sank auf einen Stuhl , und verbarg das Gesicht mit beiden Händen .
Die Briefe waren so dumm und voll der fadesten Schmeicheleien , daß ich nur darüber erstaunte , wie das sonst so kluge Mädchen sie der geringsten Aufmerksamkeit gewürdigt hatte ; aber die armen schwachen Geschöpfe sind so eitel , hören sich so gern schön nennen , daß sie einen achtjährigen Knaben liebgewinnen würden , der ihnen das vorsagte .
Nachdem ich mich von dem Inhalte der Briefe hinreichend überzeugt hatte , gab ich sie ihr zurück , neugierig , was sie damit machen würde ?
denn es war mir aus allem deutlich genug geworden , daß der Bube ihr Herz gefangen hatte .
Jetzt aber - o Gott , es war wohl zum letztenmal ! - siegte noch der gute Grund , den ihre erste Erziehung in sie gelegt hatte ; sie stürzte in meine Arme , und - ach ! wer vermag es auszusprechen , wenn nach herben Leiden Vaterfreude ihn erquickt ! -
ihre und meine Tränen vermischten sich , ich drückte sie innigst an mein Herz , und - verzieh .
Gestimmt zu den süßesten Regungen gingen wir nun beide zur Nichte , wo wir den Tag in stiller Heiterkeit zubrachten .
Nachher stellte auch Eiche sich ein ; mein volles Herz trieb mich unzählig oft an , seine und meiner Tochter Hände in einander zu legen , aber Eiche selber hielt mich durch die ehrerbietige Entfernung , in der er von dem Mädchen blieb , davon zurück .
Jetzt nahm ich auch gelegentlich eine Musterung mit meiner Tochter Kenntnissen vor , die mir , den Aufwand in Kleidern ungerechnet , 800 Taler kosteten ; aber ich bemerkte bald , daß sie , in mancher Rücksicht , wirklich zurückgegangen war .
In ihrem Kopfe war ein Chaos von gar mancherlei ; die Begriffe schwankten und schwammen durch einander ; ein Gegenstand des Wissens verdrängte den anderen .
Die Kaiser und Könige spukten ohne Zweck und Ordnung in ihrem Kopfe herum ; mit der Naturgeschichte war es eben so , man hatte sie in den Stunden überladen , und sie litt offenbar an Indigestion .
Dazu kamen noch die harten Brocken , die Madame Brennfeld ihr von ihren philosophischen Lesereien mit dem Vetter zugeworfen hatte , und die bei ihr eine völlige Zerrüttung aller gesunden Kräfte drohten .
Das mußte nun alles erst wieder fort , ehe ihre moralische Genesung gewiß werden konnte ; und dieses Stück Arbeit hatte ich schon in meinem Sinne ihrem künftigen Gatten zugeteilt .
Mit ihrem Klavierspielen wollte es auch nicht fort .
Die kleineren Sachen , wodurch so oft unsere häusliche Freude war erhöhet worden , hatte sie wegwerfen müssen , und nun spielte sie stümperhaft Sonaten und Konzerte , daß einem die Ohren weh taten .
Mit ihrem Gesang hielt sie hinterm Berge , weil es nicht virtuosenmäßig wäre .
Gott ! wie so oft waren wir überirdisch froh bei unserem und ihrem einfachen ländlichen Gezwitscher gewesen !
Gegen Abend , da wir recht lustig zu werden begannen , kam ein Bote von Hause , mit der Nachricht , daß meine Frau von einem toten Sohn entbunden sei .
Sie vermisse mich sehr zur Unzeit im Hause , ließ sie mir sagen ; ich mußte mich also geschwind aufmachen .
Meiner Tochter hinterließ ich meinen herzlichsten Segen , übergab sie im Voraus der Falkschen Familie zur künftigen Hausgenossenschaft , führte sie auch Eichen zu , der ihr mit einem herzlichen Handschlag zusagte , als ihr bester Freund für ihre Zufriedenheit sorgen zu helfen .
" Du lieber , guter Mann ! " dachte ich , " Dein Wille ist unverbesserlich ; aber Dein Herz , voll parteiischer Liebe , und Deine arglose , kein Übel ahnende Seele , sind nicht zu Wächtern gemacht ! " -
wie denn auch die Erfahrung bewiesen hat .
Darauf warf ich mich mit nicht ganz leichtem Herzen in den Wagen , und rollte meinem Dorfe zu .
Jetzt knallte gerade Gürge mit der Peitsche vor dem Pfarrhause , und erinnerte Grüntale , daß es jetzt auch Zeit sei der Heimat zuzueilen .
Der Amtmann brach für diesmal ab , und wünschte seinen Freunden eine gute Nacht .
Nun erhielten Seelmanns von Grüntal , zur Ergänzung der Begebenheiten , die Briefe nach ihrer Zeitfolge .
( Ein Billet von Mariane an Julchen . )
" Ganz etwas Neues , mein Liebchen !
Ich heirate ; - es ist unique ! - aber nicht den Herrn Bräutigam , den Du die Ehre hast zu kennen : dem habe ich in Gnaden seinen Abschied erteilt .
Denke Dir den Biedermann von dreihundert Jahren her , der sich einfallen ließ , von Einschränkungen neuerfundener Bedürfnisse , von süßem Genuß häuslicher Glückseligkeit , wie er die Monotonie des Ehestandes zu nennen beliebt , und dergleichen altfränkischen Jargon mehr , mir vorzureden !
Auf Ehre , der Mensch kann kein Edelmann sein ! -
Sein Vater war sicher ein Gewürzkrämer , oder irgend ein Federkäuer .
- Nein , mein häuslicher Herr Baron , ich bin des Zwanges herzlich müde , den mir mein übel disponierter Papa und seine fette Dulzinne in Geldangelegenheiten auflegen .
Chaqu'un à son tour . Doch zum neuangeworbenen Promis .
Du wirst Dich zu Tode lachen ; denn es ist kein anderer , als der , ich denke sechszigjährige Herr von K .. , über dessen Gurkengesicht und Spindelbeine wir so oft unser Späßchen hatten .
Der Herr hat gütigst bemerkt , daß Fräulein Mariane schön und witzig ist , daß ein junges galantes Weib seinem baufälligen Ansehn ein Relief geben würde , und darauf war denn Fräulein Mariane so großmütig , sich seine wirklich fürstlichen Geschenke gefallen zu lassen ; aber Juliette , der Ring war auch dabei .
Der Ring ! -
Bei allem Mute seufzt ' ich doch .
Wie ? wenn das verwünschte Rund ewig hieße ? wenn die baufällige alte Burg auf festerem Grunde stände , als unser eins ihr zutraut ? -
Gut , gut , auch dann gibt_es Mittel !
Höre , Mädchen , heute muß ich Dich sprechen ; Du mußt wissen , wie ich den ersten Seladon losgeworden bin .
Das Ding war komisch ; und man wußte es einzukleiden , daß bei dem alten Papa alle Schuld auf ihn fällt .
Julie , Du mußt kommen , Louis ist hier ; der rotäugigen Schulmeisterin sage , Du gingest zur Muhme Sainte Beate : die Falk meine ich .
Mein Spindelfüßchen wird Dir sein Kompliment machen .
Wenn der Geck nur nicht so verliebt täte !
Das verwünschte Deutschschreiben wird mir blutsauer ! -
A dieu , chère amie ! Komme hübsch bei Zeiten zu Deiner Mariane v. L.. " ( Julchens Antwort . )
" Wie glücklich sind Sie , Mariane !
Ihre muntere Laune verläßt Sie auch bei den ernsthaftesten Gelegenheiten nicht !
Sie ?
Sie werden glücklich sein ; aber ich ? ach ! ich werde es nie werden !
Der arme Baron !
Seine Leiden gehen mir zu Herzen !
Er hat Sie redlich geliebt ! - Spotten Sie meiner Cousine nicht ; wollte Gott ich wäre eine Betschwester , wie sie es ist !
Sonst war ich auch wohl fromm ; aber jetzt ! -
Wenn Sie wüßten , wenn ich Ihnen sagen dürfte - -
doch ich komme immer wieder auf den Baron .
Er dauert mich von Herzen !
Kein Leiden geht über gekränkte Zärtlichkeit .
Leben Sie wohl , mein Fräulein !
Ich bin so ganz verstimmt , daß ich besser tue ich breche ab .
Julie Grüntal . " Mariane beantwortete diesen Brief in dem mutwilligsten Tone ; Julie ( glaubte sie ) hätte wahrscheinlich in einer alten Postille , oder , noch ärger , wohl gar in der Bibel gelesen , daß ihr so weinerlich geworden sei .
Es sei mehr als Narrheit , die besten Jahre mit Skrupeln zu verderben .
Auch sie habe sich sonst wohl mit Grillen geplagt , und am kränkelnden Gewissen gelitten ; sie habe sich aber nachher eines Besseren bedacht , und den alten Wust und Tand , der ihr noch von den Katechismusjahren angeklebt hätte , ausgefegt .
Man müsse nichts halb sein ; entweder voller Genuß , oder gar keiner .
" Sei ganz gut , oder ganz - böse ? - nein , nur leichtsinnig " ; hieß es .
Überhaupt bestehe der Unterschied zwischen gut und böse nur in einem mehr oder weniger lebhaften Temperamente , das man sich am Ende doch nicht selbst gegeben habe .
Zum Beschluß schickte sie noch eine nachdrückliche Ermahnung , die altväterischen , von der elterlichen Erziehung sich herschreibenden , Grillen aufzugeben , der Jugend zu genießen , und ihr die Angelegenheiten ihres Herzens zu entdecken , die sie aber vielleicht schon recht gut wüßte .
Julchens Antwort bezeichnet merkwürdige Fortschritte auf der Bahn des Leichtsinns , wie Sie selbst bemerken werden .
" Sie haben wohl recht , meine Beste .
Ich quäle mich selbst , und ändre nichts damit .
Mein Herz geht seinen Weg unaufhaltsam fort , wenn gleich die Vorurteile meiner ersten Erziehung mir zuweilen wie Gespenster erscheinen , und meine Seele mit Schrecken erfüllen .
Sollte das Sünde sein , was der Schöpfer selbst mit glühenden Buchstaben in unsere weiblichen Herzen schrieb ?
War es denn Sünde , daß mein Vater meine Mutter liebte , ehe sie die Seinige wurde ?
Er wurde glücklich ; sollte denn ich es nicht auch werden können ? -
Warum hat er mir doch so ängstliche Grundsätze beigebracht ?
sie martern mich , und stören mich in den süßesten Gefühlen meines Jugendlebens .
Hätte ich immer die Einsichten gehabt , die ich jetzt erlangt habe , wie viel bittere Stunden zählt ich weniger ! "
( Zur Erlangung dieser Einsichten war ihr nicht sowohl Fräulein Mariane , als die alte unwissende taube Französin behilflich gewesen ; denn da Madame Brennfeld es zu sehr unter ihrer philosophischen Würde hielt , sich mit solchen Kleinigkeiten zu befassen , als die Zeitverkürzungen junger Mädchen sind , hatte die alte Frau sich gern ihrer Jugend erinnert , indem sie mit ihren Untergebenen ihre Lieblingslesereien wieder einmal aus dem alten morschen Koffer , der alles war , was sie auf dieser Welt besaß , hervorholte .
Diese bestanden nun in nichts anderem , als der Prinzessin von Kleve , dem glücklich gewordenen Bauer von Mariveaux , den Denkwürdigkeiten eines Mannes von Stande , Crebillon's Schriften , und mehr dergleichen feuergebenden Romanen , welche die geheimsten Tiefen ihrer Empfindung durchwühlten , und in gehrender Hitze zum Aufbrausen brachten . )
Julchen fährt fort :
" Und doch , Mariane , wäre es vielleicht besser , ich wüßte von dem allen nichts .
Mich grauet , wenn ich mir die einfachen , herzlosen Auftritte des häuslichen Lebens denke , wenn ich mir die niedrigen , elenden Geschäfte einer bürgerlichen Wirtschaft vorstelle , zu welchen ich wahrscheinlich bestimmt bin .
Ich weiß nicht gewiß , was für Absichten mein Vater mit mir hat ; aber etwas ahne ich davon , und ich wollte lieber sterben als es eingehen .
- Mariane , ich stehe an , Ihnen mein Herz zu entdecken ; aber es geht in sich selbst zu Grunde , wenn es sich nicht einer treuen Freundin mitteilt .
Unterstützen Sie mich mit Ihren Einsichten .
Hier haben Sie , was mich quält . " - -
Nun folgt eine unendlich lange Zergliederung der süßen , namenlosen Gefühle , welche ihr Herz durchschauert , als sie Marianes Bruder zuerst gesehen .
Als sie auf dem ersten Balle den Walzer mit ihm getanzt , habe unnennbare Wonne durch ihr ganzes Wesen gezuckt .
Sie schildert mit vieler Lebhaftigkeit und sehr romanhaft alle die Kämpfe , die es ihr gekostet ; die sie nämlich hätte bestehen sollen , aber mit keinem Gedanken bestanden hat .
Erst war sie zu schüchtern gewesen , seine , ihr durch den Friseur zugestellten , Briefe anzunehmen ; dann , wenn sie wieder bedacht hätte , daß Andere , die besser geachtet würden , als sie , nicht so viel Umstände machten , hätte sie einen raschen Entschluß gefaßt , und einen in der Eile angenommen und zu sich gesteckt .
Dann sei es ihr doch vorgekommen , als wäre das nicht recht , und sie habe ihn uneröffnet zurückgeben wollen .
Hundertmal habe sie ihn besehen , ach ! und jeden Buchstaben , den die teure Hand aufgezeichnet , und jedesmal habe ihr armes Herzchen stärker geschlagen .
Endlich , in einem fatalen Augenblicke , da sie sich den dachte , gegen den ihr Herz sie so unwillkürlich fortriß , ihn sich mit aller der Liebe , in alle seinen Reizen dachte , da tausend Vorstellungen dieser Art sich allmächtig vor ihrer Seele drängten , in einem solchen Moment zerknickte das Siegel ( ganz von ungefähr , wie sie beteuerte ; - vermutlich haben die Küsse es zerschmolzen ) , und nun tränkte sie ihr Herz tropfenweise mit allen den Süßigkeiten , mit welchen der verführerische Bube ihre müßige , weichliche , und durch fade Romane empfänglich gewordene Seele vergiftete .
- Sie wurde von unwiderstehlicher Wonne berauscht , und wiederholte sich hundertmal die Worte , die ihrem Gefühle die schmeichelhaftesten waren .
Von da an versank sie nun völlig in Untätigkeit ; sie fühlte sich zu jedem ernsthaften Geschäfte , so wenig es auch deren in solchen Schulen gibt , unaufgelegt .
Dem ungeachtet antwortete sie ihm zu der Zeit noch nicht ; und sie hatte sogar noch so viel Gewalt über sich erhalten , daß sie den Herzgeliebten , wie wir bei der Pickeniksszene gehört haben , bat , sie ferner nicht so zu plagen .
Meine Dazwischenkunft hatte den Strom ihrer Leidenschaft , der sie unaufhaltsam forttrieb , einigermaßen gehemmt ; in meiner Gegenwart hatte sie kaum das Herz gehabt , ihrer Lieblingsidee nachzuhängen , so stark war die väterliche Gewalt ; - sie fürchtete , ich könne in ihrer Seele lesen .
Als sie mir die Briefe herausgeben müssen , sei ihr gewesen , als trennte ich ihr Leib und Seele .
In der ersten Angst habe sie alles gesagt , was ich von ihr zu wissen verlangt hätte ; sobald ich aber Abschied von ihr genommen , und sie sich von den ersten Schmerzen der Trennung erholt gehabt , sei ihr Herz mit verdoppeltem Feuer zu seinen unterdrückten Gefühlen zurückgekehrt , und sie habe nicht ohne Schrecken bemerkt , daß des Vaters Entfernung ihrem Herzen Wohltat gewesen sei .
Louis wurde wieder ohne Rückhalt ihr Taggedanke , und ihr Traum bei Nacht ; sie spürte in dem Gesichte der Schwester jeden Zug , der dem Bruder gehörte , und konnte dann Stundenlang ihr Auge von Mariane nicht wegwenden , verlor sich in süßen Schwärmereien ; - und was des verliebten Mädchengeschwätzes noch mehr war .
Nun kam es aber zur Hauptsache , bei der sie nicht recht mit der Sprache herauswollte .
Sie ging ganz kunstreich , nach Mädchenmanier , um den Berg herum , schickte eine feine Schutzschrift aller verliebten Torheiten voran , und dann hinkte sie mit der Tatsache hinten nach .
" Am Montage war ich bei Falk's gewesen .
Bei dem rührenden Anblick des Glücks , das Karoline in ihrer Liebe zu ihrem Karl findet , wurde mein Herz ungewöhnlich erweicht .
Voll dieser Empfindungen kam ich nach Hause , und begab mich in das Kabinett neben der Lektionsstube .
Der Mond dämmerte durch die Weinreben am Fenster .
Ich warf mich auf einen Stuhl .
Mein Herz war voll und gepreßt .
Ich dachte nichts Bestimmtes ; ein dunkles Sehnen stimmte mich zur Wehmut .
Tränen brachen unwillkürlich heroor ; ich erschrak über meinen Zustand , und die Tränen flossen noch häufiger .
Sonst lenkte sich mein Herz in dem Zustande der Erweichung wie von selbst zum Urquell der Liebe ; es erhob sich im Anschauen der Natur .
Mein kleiner Gram oder meine kindischen Freuden ergossen sich so in Gebet , als ob ich an meiner Mutter Busen geschmiegt mit ihr spräche .
O Mariane , gewiß , das war doch auch Glück !
Reiner , unzuverkümmernder Genuß !
Diesmal fiel mir kein Gedanke von dem allen ein .
Ich faltete mechanisch die Hände , dachte , wie gern ich nur einen Blick der vorigen Zeit zurückrufen möchte ; aber das war denn auch alles .
Mein Herz strebte hinaus , aber nicht hinauf .
Indes wurde ich gerufen .
Madame hatte ein neues Buch bekommen ; ich sollte laut lesen , sagte sie , der Vetter könnte diesmal nicht kommen .
Es war mir ärgerlich .
Aber Mariane . welch ein Buch war das !
Vermutlich kennen Sie es , wenn gleich ich Neuling es nicht kenne ; es heißt die neue Heloise .
Jedes Wort war mir aus der Seele geschrieben , jedes schrieb sich glühend in mein Herz .
Sogar Übereinkunft der Namen .
Julie ! -
Die Stimme versagte mir zuweilen , wenn ich ihn aussprechen sollte ! -
Es war als hörte ich ihn jemand anders rufen .
Ich versetzte mich leicht in Juliens Lage ; und gewiß , ich glühte über und über .
Wir lasen bis zwölf Uhr ; und ich hätte , ohne müde zu werden , wieder bis zwölf Uhr gelesen .
Jetzt zu Bette zu gehen , war mir unmöglich .
Meine Seele war wie aufgelöst ; tausend Bilder umschwammen mich .
Ich war Julie , und - o Mariane , haben Sie Mitleiden mit mir ; ich darf Ihnen nie wieder ins Gesicht sehen - meine Einbildungskraft war aufs höchste gespannt .
Ich setzte mich hin , und ergoß in einem Briefe an Ihren Bruder , meinen angebeteten , ewig geliebten Louis , mein glühendes , so mühsam verhaltenes Gefühl .
Meine arme Vernunft trat auch nicht ein Mal zu dem schwächsten Kampfe hervor .
Fragen Sie nicht , was ich schrieb .
Es war alles Herz , alles Feuer und Seele , was ich in vollen Strömen auf das Blatt vor mir goß ; und nun ging ich , wie entledigt drückender Bande , zu Bett .
Meine Phantasie war aufs lieblichste angeregt .
Ein sanfter Rosenschimmer umfloß mich , Nachtigallen sangen ein himmlisches Chor , und feierten die erste Liebe meines jungfräulichen Herzens .
Ich schwärmte mit meiner Phantasie in der Laube , in welcher Julie ihrem St Preux feierlich den ersten Kuß gab ; ich war - - o Mariane , hätte mein Vater , hätte Gott vor mir gestanden , das zauberische Gewebe würde mich nicht weniger verstrickt haben !
Ermattet von dem Feuer meiner Vorstellungen senkte sich ein leiser Schlummer auf meine Augenlider .
O diese Träume , Mariane ! nie , nie kann die Wirklichkeit bezauberndere Momente herbeiführen !
Unwillkürlich streckte ich meine Arme nach der geliebten Erscheinung aus .
Nie wird eine solche Nacht mein sterbliches Dasein wieder beglücken !
Beim Erwachen standen die lieblichen Bilder noch ganz frisch vor meiner Seele ; doch leugne ich nicht , ich erschrak , als ich den Brief fand , den ich geschrieben hatte ; er sollte ihn lesen .
O Gott ! -
Indem trat Magot ins Zimmer .
Mein Mut , der schon im Sinken war , verließ mich nun vollends ; nie werde ich mich diesem fremden Menschen anvertrauen können ! dachte ich .
Magot stand im Begriff zu gehen ; noch war der Brief in meiner Hand , die Tür ging auf , jemand aus dem Hause trat ins Zimmer , und rasch entschlossen flog der Brief in Magot's Hut .
Er gab ein Zeichen , daß er mich verstehe .
Ich schämte mich , und wandte mich schnell um , meine Röte zu verbergen . -
Nun hat Louis den Brief , er und Sie werden mich verachten , und ich werde das elendeste Geschöpf auf Gottes Erde sein .
Diesen Brief wird Ihnen Monsieur Belair zustellen .
Lassen Sie mir ein paar Zeilen Antwort zukommen .
O , wie beb ich , sie zu erhalten !
Mir wird das Gesicht vergehen , finde ich den Namen Louis ; und finde ich ihn wieder nicht , so - - o , ich Ärmste ! mir ist nicht zu helfen .
Heute soll ich an meinen Vater schreiben ; Gott weiß , wie ich das machen soll !
Es ist , als ob sich mein Herz vor ihm zurückzöge , seitdem er wieder verheiratet ist , u. s.w . "
Sie sehen , lieber Seelmann , wie mein armes Mädchen sich selbst täuschte , und ihre traurige Entfernung von dem Vaterherzen nicht in sich , sondern in meiner zweiten Heirat zu finden meinte .
Ich erstaune , wo ich den Mut hernehme , Ihnen alle diese Umstände , die mein Herz so ganz zerbrochen haben , zu wiederholen .
Marianes Antwort war völlig so , wie sie sich von einem so verzerrten Charakter erwarten läßt .
Julchen , - schrieb sie , - würde sich durch ihre alberne Bedenklichkeiten noch völlig unglücklich machen ; das wären die tristen ( traurigen ) Früchte der pedantischen Erziehung , die ihr Vater ihr , zu ihrem Unglück , gegeben hätte .
Die würden ihr , wenn die feinste Berlinische Welt noch hundert Jahre an ihr bildete und deniaisirte , immer noch ankleben .
Was es denn nun für ein wundergroßes Unglück sei , einem hübschen Jungen gut zu sein ?
Sie wollte wohl schwören , dies sei Julchens erste Liebe , so vieles Aufsehn mache sie davon , und so arkadisch drücke sie sich aus .
So viel sie sich erinnre , sei sie schon in ihrem dreizehnten Jahre eperdüment in einen allerliebsten Fähndrich verliebt gewesen , dessen Schwester auch bei Madame Brennfeld in Pension getan war .
Damals wären viel junge Herren aus- und eingegangen ; ein böser Dämon hätte aber einst den alten Eisenfresser , den Obersten von ..... hingeführt , dessen Tochter auch der Erzieherin anvertraut gewesen .
Dieser Grobian habe einen so gewaltigen Lärmen über die Besuche der jungen Herren angefangen , daß die Madame , aus Furcht vor mehreren dergleichen Auftritten , sich auf einmal in die Philosophie geworfen habe .
Sonst sei sie eben keine Prüde gewesen ; und der Herr Vetter wäre noch so ein Andenken der lieben vorigen Zeit .
Julchen möchte mit den patriarchalischen langweiligen Begriffen von ehelicher Zärtlichkeit zu Hause bleiben .
Karoline sei ihr deshalb entsetzlich zuwider .
Heirat und Liebe reime sich gerade , wie Eis und Sommerhitze ; - und was der verderblichen Grundsätze mehr waren .
Zuletzt lud sie Julchen dringend ein , zu ihr zu kommen .
Sie solle ihren Schäfer in der blühendsten Laube finden , und die Nachtigallen sollten ihre Schüchternheit in Liebe auflösen , wenn sie mit dem ersten heiligen Kuß feierlich ihm den Sold der Minne geben würde .
Julchen hatte nun den ersten , viel kostenden , Schritt getan ; der zweite , den sie zu ihrem Verderben tat , war der Besuch , welchen sie bei Mariane abstattete , und wozu sie von ihrer sogenannten Aufseherin um so leichter Erlaubnis erhielt , da diese es kurz vor der nahen Verheiratung ihrer Lieblingin nicht noch am Ende mit ihr verderben wollte .
Überdem erfuhr ja der grillenhafte alte Spießbürger , der Amtmann , nichts davon , wenn man nur in Worten fein strenge war , und die Wörter Moral und Moralität fleißig im Munde führte .
Bei diesem unseligen Besuche wurde das arme verblendete Mädchen ganz zu den elenden Grundsätzen des Bruders und der Schwester hingerissen .
Sie kamen über den Ort ihrer Zusammenkunft überein , verabredeten alle die Ränke , durch welche die Aufseherin und der arme leichtgläubige Vater hintergangen werden sollten ; und wenn der Pfaffe ( Eiche ) sich drin zu mischen gedächte , so sollten junge Offiziere , des Kornetts Spießgesellen , dies durch irgend eine öffentliche Beleidigung rächen .
So war denn alles Freude und Lachen .
Zu Hause nährte die arme Betrogene ihre Leidenschaft durch die fortgesetzte Lektüre des Rousseauschen Romans , vor welchem er junge Mädchen selbst warnt .
Ich erhielt nur selten Briefe von ihr , und diese waren steif und kalt .
Es fehlte nur noch , daß sie mich Herr Vater genannt hätte .
- Mir wurde aufs neue bange um mein Julchen ; denn ich konnte es mir ungefähr vorstellen , wie lange die Grundsätze eines weichen Mädchenherzens gegen das unablässige Untergraben eines verführerischen geliebten Buben Stich halten würden .
Ich teilte meiner Nichte meine Besorgnisse mit .
Sie stillte sie wohl einigermaßen mit der Nachricht : daß meine Tochter wenig ausginge , und den Sonntag bei ihr zubrächte , wobei denn gemeiniglich auch Herr Eiche sei ; sie wollte aber bemerkt haben , daß Julchen diesem absichtlich mit der äußersten Kälte begegne , wodurch der bescheidene Mann nur noch schüchterner in seinem Umgange mit ihr gemacht wäre .
Fräulein Lindenfels sei jetzt , schrieb sie , auf einem der Güter ihres Bräutigams , wo sie mit ihm getraut werden sollte .
Überdem rücke ja die Zeit immer näher , da Julchen ihre Hausgenossin würde .
- Das war nun gut genug ; und ich hätte mich auch vielleicht beruhigt , wäre nicht am darauf folgenden Posttage ein Brief von Madame Brennfeld eingelaufen , worin sie mir vorschlug , ihr Julchen ganz zu überlassen .
Dieses talentvolle Mädchen , hieß es , wolle sich gern dem Erziehungsfache widmen , und sich unter ihrer Anweisung dazu bilden .
Ihr Glück würde dadurch für die Zukunft gegründet .
Mamsell Juliette sei ungemein liebenswürdig geworden .
Sie habe ihr nicht so viel Empfänglichkeit für die feineren Sitten zugetraut ; auch habe sie sich die Achtung aller ihrer adligen Zöglinge erworben .
Ich warf , höchst aufgebracht , den närrischen Brief auf die Seite , und nahm ihn nur wieder , um noch stärker dagegen zu streiten .
Julchens Brief war ein bloßes Nachbeten des einfältigen Zeuges ; sie war aber doch nicht schlau genug , die Gründe gehörig zu bemänteln , um welcher Willen sie den Vorschlag der chère Madame so annehmlich fand .
Ich setzte mich aber in der ersten Hitze hin , schlug beiden alles ab , und das in Ausdrücken , wie meine Mißbilligung sie mir eingab ; wobei ich mich gern jeder Gefahr aussetzte , was die beleidigte Philosophin mir dagegen für Ehrentitel würde geben wollen .
Meiner Tochter antwortete ich mit ungewohnter Strenge , so daß sie mich gewiß einen grausamen Vater genannt haben wird .
Ich schrieb ihr , sie sollte keine Stunde über das bestimmte Vierteljahr in dem verwünschten Hause bleiben , das mir so viel Herzleid gemacht hätte .
Hierauf hat sie ihrer Herzensfreundin folgenden Brief geschrieben :
" Was soll aus mir werden , Mariane ?
Mein Vater begegnet mir grausam ; unseren Plan verwirft er gänzlich .
Mit ganzer Seele würde ich mir den unangenehmen Beruf einer Unterhofmeisterin haben gefallen lassen , weil der Lohn so unaussprechlich süß gewesen sein würde .
Wenn ich nun aber bei Falk's bin : ach , dann ist es beinahe ganz unmöglich , daß ich meinen Geliebten sprechen kann !
Karoline ist so strenge , ihr werde ich mein Herz nie entdecken können ; mir bleibt denn nur die Kirche übrig , und auch dahin wird die ehrliche Plagerin mit mir gehen .
Ich hasse schon in Voraus alles , was mir im Wege steht .
Zuweilen werde ich zu Madame Brennfeld gehen .
Sie wird ihm gewiß erlauben , sie zu besuchen ; er ist ja Ihr Bruder , und dann weiß sie ja auch das zehntemal nicht , wer bei ihren Kostgängerinnen ist , wenn sie sich in die spekulativen Wissenschaften , wie sie sie nennt vertieft hat . -
Aber Mariane , er wird mich vergessen , wenn er mich so selten sieht ; Schwierigkeiten werden ihn abschrecken ; er wird seine Julie verlassen ! -
- Ihnen , Mariane , darf ich es wohl gestehen , daß ich oft , mitten im höchsten Rausch der Liebe , innerlich leide .
Marternde Erinnerungen , o , wie verbittern sie mir jugendlichen Genuß !
Sie werden darüber spötteln , Mariane ; allein im Herzen sind Sie mir doch gewogen , und verstatten mir , um mein selbst Willen , die Erleichterung des Mitteilens .
Gestern suchte ich etwas unter meinen Papieren , Sie raten wohl was ?
Da fiel mir ein Brief meiner lieben seligen Mutter in die Hand ; unwillkürlich drückte ich das teure Andenken an meine Lippen , und widerstand nicht dem Drange , es zu lesen , so sehr mich_es ahnte , das es mich angreifen würde .
» Wir wenden alles an Dich , mein bestes Kind , « heißt es darin , » damit Du uns einst Ehre und Freude machen sollst .
Bleibe ja fromm und rechtschaffen ; behalt Gott im Herzen , wie Du es uns so heilig versprochen hast .
Es würde mein Tod sein , wenn Dein Vater mir mit Recht Vorwürfe machen könnte , daß ich an Deinen Aufenthalt in Berlin Schuld bin . «
Ach Gott ! wer so , wie ich , den sanften , herzeindringenden Ton ihrer Bitten kannte !
O , ich kann , ich kann diese so einfachen , rührenden Worte nicht wieder loswerden !
Und dann noch die entsetzliche Vorstellung , daß ich ihr die Leiden ihrer letzten Tage vielleicht noch erschwert , daß ich ihre segnende Hand nicht an meinem Herzen gefühlt habe ; o , Mariane !
sie starb mit einem kummerbeschwerten Herzen , wozu ich Unglückliche vielleicht auch beigetragen hatte !
In eben dem Kästchen , worin der teure Brief lag , fand ich auch den Anfang eines Tagebuchs , das ich in verschiedenen absetzen , auf Anraten meines Vaters , über mein Herz hielt .
Mariane , es war nichts geringeres als ein feierlicher Bund , den ich , nach Anleitung des frommen Doddridge , mit Gott errichtet hatte .
Ich habe eine feierliche Zusage , immer fromm und rechtschaffen zu sein , aufgesetzt , und eben gestern war es ein Jahr , daß ich diese Zusage tat .
Ach , guter Gott , ich habe seitdem mit keiner Silbe wieder daran gedacht !
Meine Andachtsbücher , mein Zollikofer , Hermes Handbuch der Religion , etc. , alles liegt bestäubt da ; mein Herz ist von allen frommen Empfindungen durchaus gesichtet , selbst kein äußeres Hilfsmittel . verschafft mir auch nur eine Minute andächtiger Rührung .
Mein Herz ist wie versteinert .
Beunruhigt über den peinlichen Zustand meines Inneren , setzt ich mich ans Klavier , und prüfte mein Herz mit dem Liede aus Rollens Liedersammlung :
Wie ist mein Herz so fern von Dir , etc . ; da kamen Tränen , mein Herz öffnete sich , und ich weinte bitterlich .
Vorsätze dämmerten in meiner Seele auf ; aber die Dämmerung wurde nicht Licht , eine trübe Wolke düstern Unmuts umhüllte sie , es folgte bald ein Zustand der Erschöpfung , und ich verfiel in Gedankenlosigkeit und Zerstreuung .
Im Nebenzimmer wurde gesprochen ; ich trocknete meine Tränen , verschloß die Briefe , versteckte das andächtige Notenbuch , und begab mich zur munteren Gesellschaft .
Unter dem frohen Geräusch der mutwilligen Scherze trat auch allmählich wieder das Bild des Geliebten in meiner Seele hervor .
Die Gesellschaft ging erst spät aus einander ; in meinem Kabinett erwarteten mich die schwermütigen Vorstellungen , denen ich vorher entgangen war .
Sie zu zerstreuen wollte ich an meinen geliebten Louis schreiben ; aber es gelang mir durchaus nichts .
Da wurde ich unmutig , und die ganze Welt war mir zuwider .
Mein Vater hätte mich nicht hierher schicken , oder mich nicht mit strengen Begriffen von Eingezogenheit und dergleichen plagen sollen ; das paßt zu meiner Lage gar nicht .
Ach , Mariane , Sie mögen wohl recht haben , entweder ganz gut , oder ganz dem Leichtsinne gelebt . O , diese Rückfälle , sie sind tödlich !
Noch wenige Jahre , und die Rosenzeit ist dahin !
Jahre , ach Gott ! eine Krankheit , ein bleichender Kummer , und dahin ist sie !
Mariane , schelten Sie nicht , wenn ich Ihre frohen Augenblicke trübe ; ich werde mich bemühen , heiterer zu schreiben .
Für diesmal meinen Gruß und Kuß . "
Bald nachher schrieb sie wieder :
" Noch immer keine Silbe von meiner neu vermählten Freundin !
Haben Sie mich vergessen , Mariane ? verdrängen interessantere , neuere Bekanntschaften die arme Julie ? -
Ihr Bruder ist auch noch nicht von seinem Urlaub zurück .
Liebte er wie mein Herz ihn liebt , würde er dann so lange säumen ?
O , trösten , trösten Sie mich !
Sie , seine Schwester , sein schönes Ebenbild !
Sie , meine Mariane ! - ich darf Sie doch noch mit diesem vertraulichen Namen nennen ? -
Ach , ich leide viel !
Meine Lage in diesem Hause wird immer unleidlicher ; seitdem Madame den abschläglichen , unfreundlichen Brief von meinem Vater erhalten hat , läßt sie es mich entgelten .
Ja , Mariane , nur Ihnen sage ich es , sie hat mich mit den niedrigsten Namen geschimpft ; - sie hat mich geschlagen , als ich mich sehr sanft wegen eines mir angedichteten Fehlers rechtfertigen wollte .
Das Hausmädchen versichert mir , Madame sei eifersüchtig auf mich , weil der Vetter mir einige Artigkeiten gesagt hat .
Fast sollte ich glauben , die Dörte habe recht .
Er lobte die blendende Weiße meiner Haut , und nannte mich ein reines Maiblümchen .
Bald nachher schimpfte die Madame auf meinen faden weißen Teint , und riet mir , die ungeheure Menge blonder Mähnen , wie sie mein Haar nannte , mir aus der Stirn zu schneiden ; ich sähe einem Löwenpudel gleich , besonders mit meinen seelenlosen blauen Augen . -
Dann lobte sie ihre Augen , Mariane , ihre pikante Physiognomie , und setzte hinzu : es sei ihr lieb , daß sie braune Augen habe , und kein schales Blondinengesicht wäre . -
Auch fordert sie jetzt beinahe niedrige Dienstleistungen von mir , und gibt mir Tagaufgaben , die ich schlechterdings nicht bestehen kann .
Mir einige Erleichterung zu verschaffen schenkte ich ihr das Tischgedeck , was mir meine liebe selige Mutter zuletzt schickte ; aber wenn ich dergleichen Liebesproben nicht alle Tage geben kann , bin ich wenig gebessert .
Unter dem Vorwande , mich in Wirtschaftsgeschäften zu üben , schafft sie eine Arbeiterin nach der anderen ab , und läßt mich deren Stelle vertreten .
In Gesellschaft demütigt sie mich damit , daß sie sagt :
sie wolle sich nie wieder mit plumpen Landvolke abgeben ; wenn man sich die undankbare Mühe gegeben hätte , ihre Kinder abzuhobeln , wären sie hinterdrein noch grob .
Was der Amtmann für ein erzgemeiner Mensch sei , sähe man daraus , daß er seinen jüngsten Sohn bei einem Tischler in die Lehre gegeben hätte ; sie schäme sich recht , wenn der Hobeljunker zu seiner Schwester käme . -
Freilich sei der Junge wohl simpel , und tauge zu nichts Besserem ; aber ihrem Hause solle man nicht zumuten , solche Leute , die von allem Gefühl für feine Schicklichkeit entblößt seien , aufzunehmen .
Ach , Mariane , wie mir zu Mut wurde , als diese Person , die mich eine Stunde vorher mit niedrigen Schimpfnamen belegt hatte , von Gefühl für Schicklichkeit deklamierte !! - -
Ach !
ich sehne mich mit ganzer Seele aus dieser Hölle , in der man noch obendrein mit Hunger und Durst geplagt wird !
Wohin ich aber möchte ? weiß ich wahrlich nicht ! -
Sei_es , wohin es wolle ; nur wünschte ich , nicht in einer traurigen Entfernung von allem , was mir auf Erden teuer ist , schmachten zu müssen . "
Endlich antwortete Mariane :
" Um des Himmels Willen , Liebe , quäle nicht auch mich noch mit Deinen trübseligen , schwärmerischen Grillen !
Findest Du Dein Glück in dem andächtigen Gewinsel : gut , so winsele Du ; aber mich verschone damit .
Warum sollte man sich , wenn die Rosenzeit ( wie Du sie nennst ) da ist , und der Himmel schöne , gedeihliche Frühlingstage gibt , sie mit Vorstellungen und Besorgnissen von Herbst und Winterstürmen verderben ?
Bist Du unzufrieden mit Deinen Herzensbuben ?
Laß ihn laufen ; es gibt der Töffel mehr , die besser sind als et Legt die insolente Schulmeisterin Dir ihre üble Laune in den Weg , so lache sie aus und wirf ihr Deine Geschenke vor .
Daß sie eifersüchtig über Dein wunderschönes Larvchen ist , habe ich längst bemerkt .
Du hast so ein süßes Idyllengesichtchen , das besonders den jungen gefühlvollen Theologen zuzusagen pflegt und bei welchem sie in eine elegischpoetische Stimmung geraten ; aber dergleichen verzeihen diese Sentenzenkrämerinnen nicht .
Sie wird Dich mit ihren Orakelsprüchen bas plagen ; doch höre nicht drauf , sondern singe Dir eins , und kucke aus dem Fenster .
Besser kann ich Dir nicht raten .
Mir geht es auch nicht nach Wunsch , aber so bald lasse ich die Flügel nicht hängen .
Doch eins muß ich Dir umständlich erzählen .
Als ich aus dem lustigen Stadtgewühl plötzlich in diese ländliche Einöde versetzt wurde , wurde mir bei aller meiner Keckheit doch ein wenig bange um_das Herz ; denn was die Dichter auch über das Landleben so blumenreich phantasieren , mir ist ein Baum ein Baum , und die Strohhütte das traurigste Asyl auf Erden .
Üble Laune ergriff mich wider meinen Willen , und der Herr von L.. wurde mir mit seiner bräutigamsmäßigen Zudringlichkeit unsäglich zuwider .
Ich mußte meine ganze Politesse zusammennehmen , um ihn nicht bei jedem Worte , bei jeder Schmeichelei , womit er mich peinigte , anzufahren .
In der Stadt , wo man von ganzen Schwärmen lieber Jungen umflattert wird , merkt man nicht so ganz die Lästigkeit eines solchen Amanten ; aber , mein Schatz , im einsamen Landschlosse , da ! -
Doch weiter .
Der Hochzeittag kam immer näher heran ; ich schwärmte ganze Tage mit meinem Kammerkätzchen und dem närrischen Franzmann , dem Friseur , herum .
Dieser drollige Mensch vertrieb den Dämon übler Laune durch seine munteren Einfälle so ziemlich .
Herr von L.. beklagte sich über meine Abwesenheit .
Warum gehen Sie nicht auf die Jagd ? sagte ich ; ich kann mich nicht einsperren lassen , das wußten Sie ja .
Er küßte mit reumütig die Hand , und bat um Erlaubnis , mich auf meinen kleinen Wanderungen begleiten zu dürfen .
Das schlug ich gleich mit einem : » wir müssen einander nicht genieren « ab , und der Mann war Narr genug , mit ekelhaft verliebten Gesten seine Beistimmung zu allem , was mir gefiele , zu geben . -
Nun kamen nach und nach die Hochzeitgäste .
Zuerst mein schwerfälliger Herr Papa , der mir mit Moral und Sittensprüchen entgegenkam , womit ich so frei war , ein wenig munter umzuspringen .
Aber er ist doch gut ; denn er nahm es von der besten Seite , und nannte mich , so wie er pflegt wenn er mir wohl will , une folle . Und drauf der Hochzeittag , mein Kind .
Meine Kleider hast Du gesehen .
Ohne Eitelkeit , ich gefiel mir .
Rosen und Myrthenfestons im silberglänzenden Flor .
Leicht schwebte der Myrtenkranz auf meinem braunen lockigen Haar .
Alles schön , nur der Bräutigam nicht ; sein Haar dünn und beinahe schon ehrwürdig , sein Teint gelb und Oliven ; doch Du kennst ihn ja .
Wie viel Paar Strümpfe er mochte angezogen haben , um nur eine Art von Verhältnis zwischen Bein und Körper herauszubringen , kann ich nicht sagen .
Ein Hochzeitgast war des Bräutigams jüngster Bruder , ein schöner blonder Junge ; einer von unseren Elegants .
Hätte der bei der Trauung nicht mein vis-à-vis gemacht , und mich durch sein possenhaftes Mienenspiel aufgemuntert , ich glaube , mir wäre übel geworden ; denn es ist bei dem allen doch ein fürchterlicher Auftritt .
Die Fête nahm sich für eine Dorfgala nicht übel aus . -
Nun höre , was weiter geschah :
Kein Mensch außer meiner Nannette wußte um mein Vorhaben .
Als man uns mit den gewöhnlichen steifen Zeremonien in die Brautkammer geführt hatte , ließ ich meinen alten Geck seine veraltete Zärtlichkeit herperorieren ; dann trat ich mit schalkhaftem Lachen vor ihm hin , machte ihm meinen besten Knicks , und sagte :
mein Herr von L.. , wenn Sie geglaubt haben , sich eine nächtliche Gesellschafterin an mir zu erheiraten , so verstanden Sie mich entweder Unrecht , oder - ich habe mich sehr undeutlich erklärt .
Dies Schlafzimmer ist das Ihrige , das meinige ist dort ; nur eine Mauer trennt uns .
Ich wünsche Ihnen angenehme Träume von Ihrer schönen Braut .
Ich öffnete das Nebenzimmer , und ließ ihm mein Bette , meinen Nachttisch , und was sonst noch zum Schlafzimmer gehört , sehen .
Ich ging , und warf meine Tür ins Schloß .
Er verhielt sich ganz stille .
Ich plauderte noch mit meiner Jungfer , und bald nachher , als ich sie entlassen hatte , dünkte es mich als hörte ich ihre Stimme in dem Zimmer meines Gemahls ; es war mir sogar , als ob ich sie lachen und meinen Namen nennen hörte .
- Zur Gewißheit habe ich indes diesen Argwohn nicht gebracht ; ich möchte die Närrin nicht gern erzürnen .
Die Folgen dieses Einfalles hatte ich nicht genau berechnet ; ich sah bloß das Ridiküle , das auf den jungen sechszigjährigen Ehemann fallen würde : aber der Schalk hatte seine Partie sogleich ergriffen .
Des Morgens beim Frühstück erzählte er der Gesellschaft den Vorgang , und so eingekleidet , daß er die Lacher auf seine Seite zog .
Verlegener als ich war noch niemand gewesen !
Diesen Abend wünschte er mir zuerst eine gute Nacht , und ging ganz freundlich in sein Schlafzimmer . -
Der hämische Kerl ! wie gleichgültig er meine Verachtung ertrug ! -
Schon gut , dachte ich ; es wird denn doch etwas zu erfinden sein , das Dich verdrießt .
Ich tat schön mit seinen hübschen Bruder ; aber auch das verschlug ihm nichts .
So verhetzten wir uns acht Tage lang gegen einander , bis die Gesellschaft sich nach und nach verlor , und ich mit meinen zärtlichen Gatten allein blieb .
Nun wurde mir bange ; das Heimweh stellte sich ein .
Werden wir nicht auch in die Stadt zurückkehren , Herr von L.. ? fragte ich ganz freundlich .
Ja , antwortete er eben so , morgen gedenk ich abzugehen .
Ich rüste mich also in möglichster Eile zur Abfahrt .
Den Morgen beim Erwachen überreicht mir Nannette einen Brief vom heimtückischen Menschen ; er war fort , und hatte mich zurückgelassen .
Sein Brief enthielt folgendes :
» Da ich die Einsamkeit zu lieben schiene , so wolle er meinem Hange nicht entgegen sein .
Sein Landhaus stände mir zu Befehl , aber in seiner Stadtwohnung müsse er für jetzt meine Gegenwart verbitten ; seine Umstände erlaubten nicht , daß ich ihm im ersten halben Jahre dahin folgen könne . «
- Ich raste , als ich dies schändliche Komplott entdeckte .
Allein , auf einem einsamen Dorfe , keine andere Gesellschaft als den Pfarrer , einen alten traurigen Mann , und seine alte knurrige Hälfte !
Meine Nannette ist noch das einzige menschliche Wesen , das mich versteht ; sie hat Welt , ist in Wien , Leipzig , und Gott weiß wo ? herum gewesen ; aber mein Friseur , Monsieur Leopold , ist auch in alle Welt gegangen , und hat den witzigen Einfall gehabt , meine Uhr und goldene Dose mitzunehmen . -
Mag er , der luftige Franzose !
Dergleichen Leute sind schwatzhaft , und sagen vielerlei , wenn ihnen zugesetzt wird .
Was fange ich nun an , mein Schatz ?
Setzt mir Herr von L.. ein gutes Jahrgeld aus , so ist meine Absicht erreicht .
Ich habe an meinen gewesenen Bräutigam geschrieben , und ihm alles vergeben ( kannst Du mir nicht sagen , Julchen , was er getan hat ) ?
Ich habe ihn ersucht herzukommen ; vielleicht kommt er .
Lieber tot , als so ohne Unterhaltung ! -
Ich nehme zehnmal ein Buch in die Hand , ich werfe mich zehnmal an den Flügel hin , aber das sind gar leidige Tröster .
Die Tage kriechen wie Jahre .
Von Louis sehe und höre ich nichts ; sein Urlaub ist zu Ende .
Lebe wohl , gutes Kind !
Ist Dir wohl , so heirate in Deinem Leben nicht .
Schreibe mir fleißig ; ich verschlinge was mir aus der Stadt zukommt .
A dieu , cher coeur . Mariane . N. S.
Schicke mir doch die hochgepriesene Heloise .
Bis jetzt habe ich mich nie an ein Buch gewagt , das mehr als fingerdick war .
Schicke mir auch von den neuesten Hüten .
Und Du , Kind , hüte Dich vor den andächtigen Rückfällen ; Du verbitterst Dir Dein Leben .
Nenne mich doch Du .
Schönheit adelt und macht alles gleich , sagt ein alter Franzose .
A dieu , à dieu , die Langeweile macht mich zur Briefstellerin .
Je t'embrasse de tout mon coeur . " Julchen fand das Benehmen ihrer Freundin gegen ihren Mann höchst witzig und lose .
In allen Gesellschaften , sagte sie , würde davon , als von einer bonne plaisanterie gesprochen .
Madame Brennfeld gedenke nie ohne Lachen des Auftritts in der Brautkammer .
Mariane sei schon immer ein loser Schelm gewesen .
Von Louis , schrieb sie ihr , sei noch keine Nachricht da .
Der Urlaub sei seit drei Wochen verflossen .
Es sei schon vom Regimente an den Großonkel , wo er sich aufhalten solle , geschrieben .
Da wäre er gar nicht gewesen .
Sie habe auch nun , vor Unruhe und Besorgnis , gar keine bleibende Stelle mehr ; sie wanke rastlos umher .
In vierzehn Tagen ziehe sie zur Cousine .
Es wäre ihr als ob sie in den Tod sollte ; im Grunde sei ihr aber nirgends wohl .
Was die andächtigen Rückfälle beträfe , so habe Mariane nicht Unrecht .
" Ich martere mich damit ab , " - schrieb sie , - " und kann mich doch , wenn mir es auch das Leben kostete , den Begriffen meiner ersten Erziehung nicht wieder anpassen .
Erinnerungen , ja dieser werde ich mich wohl lebenslang nicht ganz entschlagen können ; Szenen aus dem frühen Jugendleben bleiben für es ganze Leben teure Andenken .
Vorige Woche fuhr ich mit Falk's auf das Land ; Eiche war in der Gesellschaft .
Das Dorf war freundlich und gut , wie mein Geburtsort .
Wie frisch lebten da alle meine ersten Jugendgefühle in mir auf !
wie gern hätte ich mich so meines Lebens wie damals erfreut ! aber Gott weiß es , was für ein banges drückendes Gefühl sich den helleren Vorstellungen entgegensetzte .
Die lieblichste Erinnerung löste sich in Seufzer auf .
Ein Hügel , von dem man eine weite Aussicht hat , erinnerte mich besonders an die Stelle , auf der ich den letzten Abend vor meiner Abreise mit meinem Vater stand .
Er segnete mich der gute Vater , und ich weinte an seinem Herzen .
Wie so gar anders ist es nun !
Karolinens sanftes , gefälliges Wesen erinnerte mich an die zärtlichste der Mütter .
Ich würde mich in Vorstellungen der Art ganz verloren haben , hätte nicht Falk , welcher der angenehmste Mann von der Welt ist , den munteren Ton unter uns zu erhalten gesucht .
Ich glaube , sein guter Humor wird viel zu meiner Zufriedenheit in seinem Hause beitragen .
Eiche ist ein sehr rechtschaffener Mann , und ich glaube er ist auch schön , wenn man keinen anderen kennt .
Er ist aber so sehr zurückhaltend , daß ich nie ein Herz zu ihm fassen kann .
Er hat sicher noch keinem Mädchen die Hand geküßt .
- Mit Anderen verglichen , kommt er mir entsetzlich steif und trübsinnig vor .
Mich wundert , daß er hier nicht ein wenig mehr Welt annimmt .
Auch unter seinem Stande gibt es allerliebste lustige Männer .
Freilich vergleiche ich alle mit einem mir teuren Ideal , und da verlieren selbst die besten .
Das Kolorit der Liebe wohnt sonst nirgends in der Natur , und die Kunst erreicht es vollends nicht .
- Indes habe ich eine sonderbare Szene mit Eichen gehabt .
Der Abend war so schön , die Lüfte wehten so lau , daß wir uns entschlossen , den Weg zurück zu gehen , und die Wagen nachfahren ließen .
Der Mond schien auf einer düstern Tauwolke zu ruhen .
Der ganze Himmel war mit falben krausen Wölkchen überstreut ; zwischendurch flimmernde Sterne .
Unser Weg führte uns längs einer Wiese , laue Abendlüfte wehten uns den Duft des frisch gemähten Grases zu ; an der anderen Seite war ein lichtgrünes , sanftwallendes Kornfeld .
Die Stille war feierlich ; nur eine Wachtel schlug von fern , und am Wege hier und da ein Heimchen .
Mariane , öffnete Ihr Herz sich je dem Einflusse der lieblichen Abenddämmerung ?
- Mein Herz erlag unter der Herrlichkeit dieser Erscheinungen .
Fromm und unheilig zugleich , betete ich .
Ja , ich betete :
» Nur einen solchen Abend , o Gott , gib mir am Arme des Geliebten ! «
Ich versank in die Fülle meiner Empfindungen , dachte mir meinen schönen heiteren Jüngling , wie auch er vielleicht jetzt in den Mond sieht , und sich seine Julie denkt .
Kaum bemerkt ich meine Gesellschaft noch .
Auch Eiche schien besonderen Vorstellungen nachzuhängen ; das ist indes bei ihm nichts ungewöhnliches : aber ich schauerte zusammen , als er meine Hand faßte , und sie leise aber innigst drückte .
- Der Mond schien ihm ins Gesicht , da sah ich eine Träne in seinem Auge zittern , und auch mir traten Tränen in die Augen .
Er ergriff von neuem meine nicht widerstrebende Hand , und schien sie an sein Herz drücken zu wollen .
Lachen Sie nicht über mich , Mariane ; ich vergaß die Welt , dachte mir in einem süßen , täuschenden Moment den Geliebten , und erwiderte den Druck der Hand mit Wärme und Innigkeit .
Nun fiel mein Irrtum mir aufs Herz , da mir der Mann mit unbeschreiblichem Ausdrucke ins Auge blickte .
Ich zog meine Hand lebhaft zurück ; und mochte wohl verstört ausgesehn haben , denn der Mann seufzte kläglich aus der Tiefe der Brust .
Ich schwieg unmutig , wendete mich von ihm , und erwartete Karolinen , die etwas zurückgeblieben war .
Die Unterhaltung wurde wieder allgemeiner , und der Abend wurde noch ganz leidlich beschlossen .
Zu Hause wurde ich sehr unfreundlich empfangen ; Madame Brennfeld sagte , das späte Ausbleiben schicke sich nicht ( es war noch nicht zehn Uhr , so genau pflegt sie es sonst nicht zu nehmen ) .
Ich antwortete nicht , und dachte : die kurze Zeit will ich still sein und dulden .
Ich habe doch in ihrem Hause manche Freude genossen :
ihr habe ich Sie zu verdanken ; Ihnen den Geliebten .
Sie hat Gefühle , die verworren in mir lagen , entwickeln helfen ; sie hat mir Schätze des herrlichsten Geistesgenusses geöffnet , die ich in dem einförmigen Kreise der häuslichen Geschäfte und des trockenen Umganges mit meinen Verwandten nie kennen gelernt hätte .
Wie hätte ich auf dem Lande von dieser feinen Geistesbildung etwas ahnen können ? -
Sie haben ja meinen Vater gesehen .
Ich unterstehe mich nicht , ihn zu tadeln ; aber was ist er doch , bei alle seiner Rechtschaffenheit , für ein rüder Mann ! -
Nie ist_es mir so einleuchtend gewesen , als da ich ihn zuletzt sah .
Gott , wie unempfänglich jedem sanfteren Eindruck !
Ich war halb ohnmächtig , wenn er in so wenig gewählten Ausdrücken alle Einrichtungen unseres Instituts tadelte , und sie Wind und zwecklose Zeitverschleuderung nannte .
In seinen Augen geht nun einmal nichts über eine gute Wirtin und Kindermutter . -
Lieber Gott !
ich denke das ist alles recht gut und schön zu seiner Zeit ; aber da wäre unserem Geschlecht ein recht elendes Los zu Teil geworden , wenn es bloß dem Manne Essen und Wäsche besorgen sollte , und sich mit den Kindern zu quälen hätte .
Gott weiß , wie mir , in der Rücksicht , vor dem Aufenthalte bei Falk's graut !
Ich werde das vis-à-vis zweier Eheleute sein , welche sich die interessanten Ereignisse ihrer häuslichen Einrichtung mitteilen : um wieviel Zeit die Köchin vom Markte gekommen ist ? und ob die bunte oder die schwarze Henne legt ?
Karoline ist ein braves Weib , aber für eine so junge Frau ungemein ernsthaft ; und wenn sie liest , sind es ernste Bücher , die ein Kirchenrat lesen könnte , und die sie wie ein Magister beurteilt .
Künftig werde ich dabei sitzen , und wehmütig in die frohe Zeit zurückblicken , die ich in dem bunten Kreise junger munterer Leute in stets abwechselnder Unterhaltung verlebte ; in die Wonnezeit , da ich täglich einen süßen Beweis der Zärtlichkeit von dem Geliebtesten unter allen Menschen an meine Lippen drückte , u. s.w . "
Wie gefällt Ihnen nun das Mädchen , lieber Seelmann , das sonst keinen besseren Mann kannte , als ihren nur zu schwachen , zärtlichen Vater , den sie nun einen rüden Menschen schilt , weil er sich einer sie verderbenden Neigung entgegensetzte ?
Ist es Ihnen jetzt anschaulich , Frau Nachbarin , daß der Pensionenwind die Köpfe schwindeln macht ?
Sie haben es gesehen , mein Mädchen war brav und gut , als ich sie der verwünschten Residenzbildung übergab ; ich war selbst schwachköpfig genug , dem Grunde zu trauen . der durch ihre erste Erziehung in ihr gelegt war .
Julchen war kein kleines Kind mehr , als ich sie in die Windmühle brachte , die Landmädchen in Stadtdamen metamorphosieren soll ; auch hat sie sich etwas länger gehalten als manche andere , und doch zuweilen durch einen flüchtigen Rückblick vor dem gänzlichen Flattern bewahrt .
Die erste gute Erziehung hielt die Waage noch eine Zeit herunter , bis die unselige Bekanntschaft mit dem Kornett , und verführerische , Sinnlichkeit erregende Bücher ihr einen so mächtigen Stoß gaben , daß sie gewaltsam in die Höhe schnellte .
Die Bemerkung wird Ihnen , meine Freunde , nicht entgangen sein , wie geschwind des Mädchens Stil sich gebildet hatte .
Das tat nun wahrscheinlich die Liebe , die so oft aus Affen Menschen , und Menschen zu Affen macht . -
Dieses hätte aber eben so gut im Dorfe als in der Stadt eintreten können .
Setzen Sie indes einmal den Fall , daß ein Mädchen , welches die allerersten Eindrücke außerhalb dem elterlichen Hause erhalten , und beinahe schon mit der Milch die Maximen der sogenannten verfeinerten Lebensart eingesogen hat ; das man , ehe seine Begriffe sich noch entwickelten , seine wahren Empfindungen unter einen Schwall ungefühlter Komplimente verstecken lehrte , und welches dann in eine solche , halb oder ganz französische Schulanstalt kam : und zeigen Sie mir unter hundert , so erzogenen Mädchen nur eines , ja nur eines , das eine gute Gattin und Mutter geworden wäre , so will ich sagen : geben Sie Ihre Tochter hin , vielleicht tut Gott ein Wunder , und bewahrt ihr Herz vor Eitelkeit .
Denken Sie sich nur , daß die armen jungen Geschöpfe sich nie unterstehen dürfen , nach ihrem eigenen Gefühl zu sprechen ; daß die Aufseherinnen nie einen eigenen Gedanken bei dem Kinde aufkommen lassen ; daß die Gouvernante , wenn man ihren Zögling um etwas fragt , sogleich ins Wort fällt , ihren eigenen Witz anbringt , und ein Kompliment herleiert , welches das arme kleine Ding oft mit weinerlicher Stimme nachbetet .
- Müssen dadurch nicht falsche Menschen gebildet werden ? und ging nicht auf diesem Wege die belobte deutsche Treuherzigkeit verloren ? -
Aber wo gerate ich hin !
Doch Wahrheit steht immer am rechten Orte ; und weil ich einmal dabei bin , Seitensprünge zu machen , so erlauben Sie mir , noch einen Mißbrauch zu rügen , der - mit Erlaubnis , Frau Pastorin , - ihrem ganzen Geschlecht als Erbübel eigen ist :
ich meine die Schwachheit , einen ausgezeichneten Wert auf körperliche Vorzüge zu legen .
In einem gesunden Leibe kann eine gesunde Seele wohnen .
Sie tut es nicht überall und jederzeit , aber der Satz ist richtig ; und daher ist alle Pflege , die auf Gesundheit des Körpers abzweckt , höchst vernünftig .
Die weibliche Aufsicht geht indes gemeinhin nur auf Schönheit aus , und das ist nicht recht .
Schon in meinem Knabenalter fiel mir es besonders auf , daß die lieben Weiberchen , sobald dies oder jenes Frauenzimmer genannt wurde , gleich mit der Frage drüber herfielen : " Ist sie hübsch ?
Ist sie gut gewachsen ? "
Ich habe nachher in allen Frauengesellschaften die nämliche Bemerkung zu machen Gelegenheit gehabt .
Nie wird gefragt : ist sie sittsam ? ist sie häuslich ? hat sie weibliche Geschicklichkeiten ? etc .
- Ihr glaubt_es nicht , liebe Weiberchen , welchen Eindruck das auf Eure Töchter von früher Jugend an macht .
Natürlich denken sie : Schönheit , und alles , was diese geltend macht , sei des höchsten Bestrebens wert ; um so mehr , wenn sie bemerken , daß gute liebe Mädchen , welche die Natur nicht begünstigte , oft sogar von ihren Eltern zurückgesetzt werden .
Die Schönheit ist ein dankenswertes Geschenk der Natur , doch aber nicht das erste und vorzüglichste ; wozu sie freilich dann erhoben wird , wenn die Menschen zu roh sind , moralischen Wert zu fühlen .
- " Der Amtmann ist ein Schwätzer , " rief die Pastorin lachend , " die Schönheit wird doch ihren Wert behalten ! "
- Ganz gewiß , liebe Nachbarin , ( entgegnete Grüntal ) ihren Wert , aber nicht den Preis und damit sei es für heute genug .
Ich hatte in langer Zeit nur drei oder vier Briefe von Julchen bekommen .
Es war mir nicht möglich , ihr keine Vorwürfe deshalb zu machen , wobei mir Anspielungen auf den wahren Zustand ihres Herzens entfallen sein mochten .
Sie beantwortete dies in einem beleidigten Tone , der mich das sanfte , folgsame Mädchen gar nicht wieder erkennen ließ .
Dabei entschuldigte sie sich mit mancherlei Abhaltungen ; sie verfertige z.B. allerlei kleine Andenken für ihre Hausgenossen , u. s.w. , kurz , der Vater mußte gegen diese zurückstehen .
Indes hatte sie folgenden Brief von ihrer leichtsinnigen Freundin erhalten :
" Dein Brief , liebe Juliette , hat mich ungemein amüsiert . Habe ich es Dir nicht schon lange gesagt : der Pfaffe hat ein Auge auf Dich ?
Um alles in der Welt , mein Schatz , werde mir keine Priesterfrau !
Hörst Du ? werde es ja nicht !
Das sind die Unausstehlichsten aller Unausstehlichen !
- Du schickst Dich nicht dazu ; denn Du bist in allem Ernst demütig und bescheiden , verstehst Dich schlecht auf Getratsche , und bist bei weitem nicht eitel und abgeschmackt genug , Dir auf fremdes Verdienst etwas zu gute zu tun .
Ich habe einen wahren Greuel an dem niedrigen Stolze dieser Gattung .
Das erlaube ich Dir allenfalls , Deinen Spaß mit dem frommen schüchternen Amanten zu haben .
Wie erbärmlich ! nicht einmal einen Handkuß bei seiner taubenartigen Schönen zu riskieren !
Es versteht sich , daß Du mir nicht verschweigen mußt , wie weit er sich mit seinem gottseligen Herzchen hervor wagt ; ich will Dir dann schon sagen , wie Du Dich zu benehmen hast .
Gönne Dir immerhin die Lust ; denn mit meinem Bruder mag es so nicht so ganz richtig sein .
Deine romanhafte Anhänglichkeit fällt ohnedem - nimm mir es nicht übel , Kind , - ein wenig ins Schäferliche ; mit einem Worte : ins Ridiküle .
Bei mehrerer Erfahrung wirst Du finden , daß in der Abwechslung der wahre Lebensgenuß liegt . - C'est un mariage , que de n' en Eimer qu'un ! Denke ' doch !
Der insolente Baron , mein verabschiedeter Bräutigam , beantwortet meine Einladung ganz kalt , und wünscht mir Glück zur neuen Verbindung .
Der Unverschämte ! meiner Rache entgeht er nicht . -
Wäre ich so grillenhaft wie sonst jemand , so hätte ich nun schönen Stoff , in empfindsame Tränen auszubrechen .
- Im Vertrauen , Julie , ich bin schon mehr als halb getröstet über den Unfall , der mir den Genuß der Stadt versagt ; es gibt hier herum ganz hübsche Leute , man muß sich nur orientieren .
Sage das aber nicht weiter , damit es meiner dürren Hälfte nicht zu Ohren kommt , die ich posttäglich mit Klageliedern heimsuche .
Schon hat er mir den Streiche gespielt , mir , unter einem elenden Vorwande , den Postzug wegführen zu lassen .
Nun fahre ich in meinem Whisky , oder lasse mich bei üblem Wetter in des Pfarrers alter Kalesche mit ledernen Vorhängen herumrütteln .
Deine Heloise ist unleidlich .
Tugend und Liebe , und Liebe und Tugend , das einem die Ohren weh tun !
Hier ist sie zurück .
Schicke mir Komödien von der sauersüßen Gattung , hörst Du ?
Was doch in aller Welt mit dem Louis sein mag !
A dieu , portez vous bien !
Mariane . " ( Julchen an Mariane . )
" Ich bin verloren , Mariane !
Unglücklicher ist noch kein Mädchen in der Welt gewesen !
Ihr Bruder ist fort .
Man hat Nachricht , daß er sich , unter fremden Namen , in Hamburg aufhält , und daß er da mit den dänischen Werbern umgeht .
O , es kommen entsetzliche Dinge heraus !
Ich wage es kaum , seinen Namen zu nennen , und doch müssen Sie alles erfahren !
Seit vorgestern , da ich die unglückliche Nachricht erhielt , habe ich so viel geweint , daß mein Kopf ganz ausgetrocknet ist .
Ich schreibe dies mit trockenen Augen ; die Tränen sind versiegt .
Schon seit einiger Zeit fuhr ich immer zusammen , wenn ich Magot kommen sah .
Es fehlte mir an Mut , ihn nach - o , wie nenne ich ihn jetzt ? - zu fragen , und doch wenn der Mensch fort war , und nichts von ihm gesagt hatte , war ich den ganzen Tag wehmütig .
So hoffte ich von einem Morgen zum anderen .
Vorgestern bemerkte ich , daß Magot mit der Madame angelegentlich sprach .
Ich hörte einigemal den Kornett nennen , und sah , daß sich Madame entsetzte .
Ich zitterte am ganzen Leibe .
Beim Herausgehn nahm Magot seine Zeit so gut wahr , daß er mir einen Brief , oder vielmehr ein Paket , in die Hände spielte .
Der Atem verging mir vor Schreck .
In einer ganzen Stunde hatte ich keine Gelegenheit es zu erbrechen .
Erst während der Klavierstunde schlich ich mich ins Kabinett .
O , mein Gott , welch ein Unglück ! - ein Brief von einer fremden Hand , - alle meine Briefe an ihn , - ein Schattenriß , - eine rabenschwarze Locke , die doch von mir blondem Mädchen nicht sein kann ! - - Lesen Sie doch den beleidigenden Brief :
» An Mademoiselle Grüntal .
Liebenswürdigstes Mädchen !
Der Mensch , den Sie mit Ihrer Liebe beglückten , ist derselben , wie er selbst gesteht , nie wert gewesen .
Seine verzweiflungsvolle Lage hat ihn genötigt , sich vom Regimente zu entfernen .
Die ungeheure Verschwendung seiner Mätresse , der Figurantin Annette , wogegen ihn die Freigebigkeit des reichen Judenmädchens nicht schadlos halten konnte , hat ihn bewogen , einen falschen Wechsel auf seinen Schwager v. L.. zu machen .
Er würde der Festung schwerlich entgangen sein , hätte er nicht das Weite gesucht .
Ich habe die Ehre , Ihnen Ihre so angenehmen Briefe wieder zuzustellen ; der Auditeur hat sie mir ungern ausgeliefert .
Wenn ein treuerer Liebhaber Sie über den Verlust eines leichtsinnigen trösten kann , so schlage ich mich Ihnen vor .
Schon lange war ich ein aufrichtiger Verehrer Ihrer Schönheit .
Der Leutnant , Graf von ***. N. S.
Magot wird mich Ihnen näher bekannt machen , englisches Mädchen . «
Fühlen Sie die entehrende Demütigung , Mariane ?
Ich bin tief , tief an meiner Ehre gekränkt .
Wie verabscheue ich ihn ! ihn , mich , und alle , alle die dazu beitrugen , mich elend zu machen !
Gott , wäre ich nur schon aus diesem Hause !
Der Fußboden brennt unter mir !
Könnte ich mich in die Erde verkriechen !
O ! und habe ich ihn nicht so treu , so einzig geliebt ?
Mehr als mein Leben hätte ich für ihn hingegeben ; und er ? eine liederliche Tänzerin , ein wollüstiges Judenmädchen neben mir ! -
Ein armes , unerfahrenes , liebevolles Mädchen so zu hintergehen ! -
Ich werde sterben , Mariane .
Wünschen Sie mir_es .
Ich verachte ihn , und kann ihn doch nicht hassen .
Arme Schwester , ich bedaure Sie !
Gott beruhige Ihr Herz ! "
Mariane an Julchen .
" Das ist bei dem allen ein böser Streiche von Louis !
Wo es mich nicht geahnt hat !
Hätte er nur auf v. L.. keine Schulden gemacht !
Dieser Unhold wird es mich nun entgelten lassen .
Es ist schlecht von meinem Bruder , das gestehe ' ich .
Sonst wundre ich mich , liebes Kind , daß Du wegen der kleinen Seitensprünge des losen Vogels so außer Dir bist .
In der Tat , ich glaubte Du wüßtest das alles .
Du hast sie auf den Picknick gesehen , von welchen Dein Vater Dich heimholte .
So auch sein Rachelchen , von der vermutlich die rabenschwarze Locke ist , die , - ich muß wahrhaftig lachen , ich kann mir nicht helfen - drollig genug , gerade in Deine Hände geraten mußte .
Ich rate Dir , nimm es heute zu Tage mit den Männern so genau nicht .
Wir lassen sie machen , und Du weißt , eine Höflichkeit ist der anderen wert .
Einmal , mein Schatz , mußte das Ding doch ein Ende nehmen .
Bedenke selbst , was sollte , was konnte daraus werden ?
Du bist zwar ein sehr schönes Mädchen ; aber ich brauche Dir nicht erst zu sagen , was makelloser Adel sagen will .
Ich muß zwar selbst gestehen , daß der Louis ein arger Libertin ist ; aber er bleibt dabei doch immer ein Edelmann , aus einem der ältesten Häuser , die sich nie mit Bürgerblut vermengt haben .
Rein haben wir_es erhalten , rein wollen wir es unseren Nachkommen übergeben .
Sprechen die Leute über Dich ? -
Laß sie ; sie können doch nicht sagen Du habest Dich gemein gemacht ; es war doch immer ein Mann von Stande .
Und dann so laß Dir zum Trost sagen :
in Berlin genießen Mädchen und Weiber immer erst eines gewissen Respekts , wenn sie ein paar Aufsehen erregende Abenteuer bestanden haben .
Es ist wahrhaftig eine ordentliche Demütigung , wenn gar nicht von einem gesprochen wird .
Du kannst die Wahrheit meiner Behauptung darin bestätigt finden , daß der Graf von *** Dir Anträge macht .
Was wüßte der von Julchen aus Lindenau , hätte mein Bruder Dich nicht en vogue gebracht ?
Übrigens sterben wirst und mußt Du nicht. O weh , wie viele Leichen würde es geben , wenn man von fehlgeschlagenen Liebeleien stürbe ! -
Übel disponiert hat mich indes das Geschichtchen doch .
Schreibe mir bald , ob der Graf Dich getröstet hat .
Adieu , armes Mädchen , leidende Schöne !
Wie interessant Du sein wirst !
Gehe , ich beneide Dich ! bin aber doch Deine Freundin Mariane . "
Nach diesem Vorfalle blieb meine Tochter noch ungefähr acht Tage in der Pension , und zog dann , unter tausend Tränen und krank an Leib und Seele , zu meiner Verwandten .
Karoline hatte ein Herz , das ganz zum Trost des ihrigen geschaffen zu sein schien .
Sie hatte zu Julchens Aufnahme alles mit der zärtlichsten Freundschaft und Aufmerksamkeit veranstaltet .
Obgleich Julchen ihre sorgsame Liebe nicht mit der Offenherzigkeit lohnte , welche eine so rechtschaffene Freundin verdiente : so behandelte diese doch das herzkranke Mädchen mit aller der Schonung und Feinheit , welche ihr jetziger Gemütszustand erforderlich machte ; denn sie erriet nur zu gut die Ursache der tiefen Schwermut , welche ihre Cousine mit zu ihr brachte , obgleich Julchen alles auf die lange , zur Anhänglichkeit gewordene , Gewöhnung an das Haus der Erzieherin schob .
Ihrer Empfindlichkeit zu schonen , verhütete Karoline sogar , daß sie in den ersten vierzehn Tagen Eichen zu sehen bekam .
Sie war unablässig geschäftig , Zeitvertreibe und Zerstreuungen für sie zu erfinden , suchte sie nebenher in häusliche Arbeiten zu ziehen , und bei ihr den Geschmack an den Geschäften des häuslichen Lebens wieder zu wecken .
Sie gab , wider ihre Gewohnheit , Besuche , veranstaltete kleine Lustbarkeiten und Fahrten aufs Land , und ließ sich durch die kalte , beinahe unfreundliche Art , mit der das Mädchen ihre Liebe aufnahm , im geringsten nicht abschrecken , in ihrem edlen Eifer fortzufahren .
Sie erreichte aber ihre Absicht so wenig , daß das undankbare Mädchen vielmehr , verdrießlich darüber , folgendes an Mariane schrieb :
" Wenn ich_es den Leuten nur sagen dürfte , wie sehr mich ihre Zudringlichkeit wartet !
Es liegt ein recht peinigendes Gefühl darin , daß ich ihre Freundschaft nicht erwidern kann .
Sie stellen meinetwegen allerlei sogenannte Lustbarkeiten an ; aber , o wie steif und seelenleer !
Mein Herz wird sich nie an den ungeheuren Abstand zwischen diesen Gesellschaften und jenen munteren , ungezwungenen gewöhnen können , deren Seele eine Mariane war , und ein - ach , daß er so liebenswürdig sein mußte ! -
Da kommen denn die förmlichen deutschen Degenknöpfe , mit ihren Frau Gemahlinnen am Arm , und unterhalten die Damen mit Politik oder den Ereignissen bei der letzten l' Hombreparthie .
Noch nie befand ich mich in einer so unangenehmen Lage .
Es ist mir alles verdrießlich ; es ekelt mich alles an ; es kostet mir Überwindung , den Leuten auch nur höflich zu begegnen .
Und wenn ich zuweilen ein einsames Stündchen erhasche , so kommt die dienstfertige Karoline , und zeigt mir die Herrlichkeiten , welche sie in ihrem Hauswesen vornimmt , oder verlangt gar ich soll ihr helfen .
In der Tat , eine interessante Partie !
Ich möchte vergehen .
Ihre Wirtlichkeit ist mir zuwider , ihr Hauswesen geht mich nichts an .
Was will denn die Frau ?
Wäre sie doch lieber mürrisch ; ihre immerwährende Heiterkeit ist mir ein wahres Hauskreuz .
Die träge , stumpfe Seele !
Es sollte mir sehr leid tun , meine Beste , wenn Sie meine Unbehaglichkeit einem Rückfalle von Liebe zuschrieben .
Ich verachte sein Andenken ; aber er füllte meine Seele so ganz , er war mir ein langer zusammenhängender Gedanke , ein Begriff , auf den ich alles bezog .
Und nun plötzlich so schmerzhaft abgerissen !
Es ist als hätte ich aufgehört zu leben ; ein Stillstand aller meiner Kräfte , eine entsetzliche Lücke , eine düstere Totenstille herrscht in meiner Seele !
Sein Bild war in meinem Herzen so lebendig , so feurig ; er war mein zweites inneres Leben .
Nun bin ich mir allein nicht mehr zum Leben genug !
Wohl Ihnen , Mariane , daß Sie so leichtes Blut haben , und so frohen Herzens sind !
Ich irre unstet umher , und suche ängstlich etwas , das die Gefühle der Vergangenheit in meiner Seele erneuen soll .
Es wäre mir alles willkommen , wenn nur diese Stille , diese Öde nicht wäre .
Einmal bin ich bei Madame Brennfeld gewesen , aber auch dort befriedigt mich nichts mehr .
Ich bin aus dem liebenswürdigen Kranze hinweggepflückt , und habe aufgehört dort einheimisch zu sein ; ach ! in dem Hause , das mir so lieb wie das väterliche , ja noch lieber geworden war ! "
Dies sind die merkwürdigsten Stellen ihres Briefes , die den unlustigen widrigen Zustand der Leere am deutlichsten bezeichnen , welcher auf die Erschütterung aller heftigen Leidenschaften zu folgen pflegt .
Das übrige enthielt einige gelinde Vorwürfe über die Art , wie Mariane sie lehrte ihren Verlust zu ertragen .
Mir meldete sie in ganz allgemeinen Ausdrücken , daß sie zu ihrer Cousine hingezogen und sehr gütig aufgenommen wäre , sich aber noch immer nicht an ihren jetzigen Aufenthalt gewöhnen könne .
- Zuletzt empfahl sie sich unbekannter Weise ihrer Frau Stiefmutter , und verblieb meine gehorsame Tochter .
Ich hoffte indes alles von Karolinens Verstande und trefflichem Herzen , auch von Eichens naher Bewerbung um Julchen .
Ich dachte : wenn er ihrer Zuneigung gewiß ist , soll in anderthalb Jahren die Hochzeit sein .
Gern hätte ich die Heirat früher vollzogen gesehen ; ich konnte es aber nicht über mein Herz bringen , einem Manne , den ich ehrte und liebte , ein Mädchen , das vielleicht noch unter dem Einflusse einer unwürdigen Leidenschaft stand , zur Gattin und Mutter seiner Kinder zu geben .
Überhaupt trug ich als ein ehrlicher Mann Bedenken , diese Heirat unter solchen Umständen befördern zu helfen ; aber dann mahnte mich der Vater , die Tochter je eher je lieber der Gefahr zu entreißen .
Karoline , der ich_es zur heiligsten Pflicht gemacht hatte , mir stets ganz offenherzig Nachrichten von meiner Tochter zu geben , schrieb mir :
sie müsse gestehen , daß es schwer sei , Julchens Herzen , bei ihrer geflissentlichen Zurückhaltung , beizukommen .
Ehedem habe es wohl geschienen , als ob sie Eichen mit vorzüglicher Achtung begegne ; jetzt aber betrage sie sich sehr sonderbar gegen ihn , nehme ihn auf einen gewissen leichten Fuß , und beantworte seine zärtliche Aufmerksamkeit mit einer lustigen , nicht achtenden Art , die den trefflichen Mann , wie sie gewiß wüßte , in der Seele kränkte .
Der gute Eiche selbst bestätigte Karolinens Nachricht , obgleich in den schonendsten , zärtlichsten Ausdrücken .
Er beklagte sich sehr rührend , daß er ihr Vertrauen nicht gewinnen könne , und gedachte des Abends , dessen Julchen gegen Mariane erwähnt , wo sie ihm bei der Rückkehr vom Dorfe einen anscheinenden Beweis von Zuneigung gegeben hätte .
Sein Herz habe aus diesem Augenblicke , dem ersten , in welchem er gewagt seine herzliche Neigung sprechen zu lassen , die süßeste Beruhigung geschöpft ; jetzt meide sie ihn augenscheinlich , und es tue ihm weh , daß sie seine unverkennbare Zärtlichkeit mit leichtsinnigem Scherze , und in einem Tone , den er nicht zu verdienen glaube , erwidere .
Ich dachte : das Mädchen ist albern .
Die jungen Dinger bilden sich zuweilen ein , es kleide ihnen gut , wenn sie einen rechtschaffenen Mann quälen , und dadurch , daß sie ihre Liebhaber bei der Nase herumziehen , ihrer kleinen Person eine besondere Bedeutsamkeit geben .
Möchten doch Erzieherinnen , die bei der Bildung ihrer Zöglinge ihre Zuflucht zu Romanen nehmen , ihnen den Charakter des Fräulein Biron zu beherzigen geben , damit sie sähen , welcher redlichen Offenheit sich dieser weibliche Engel befliss !
Aber der Grandison wird jetzt verlacht , weil ihn niemand mehr kennt ; einer betet dem anderen mechanisch nach , und spottet eines Werkes , das ihm kaum durch Hörensagen bekannt wurde .
- Grandison wird verspottet , weil einige Narren ihn mißverstanden und mißbrauchten .
Die hohen Urbilder haben des Kontrastes wegen , den sie so grell bemerkbar machen , alle einerlei Schicksal ; das Ehrwürdigste in der Wirklichkeit , wie das Idealische in der Dichtung .
- Die Kunstrichter mögen Recht haben , wenn sie als solche sich gegen die Darstellung unerreichbarer Ideale der Tugend er klären ; aber dem Menschenfreunde , der die Tugend gern so allgemein und so groß geehrt und geübt sähe als möglich , müssen sie ehrwürdig sein .
Jene wollen Künstler bilden , dieser Menschen zur Tugend und Glückseligkeit führen ; und - glauben Sie mir - die Menschen bleiben immer unter dem Vorbilde , dem sie nachstreben , und ahmen an dem ehrwürdigen oft nur die Schwächen nach , die doch außer der Verbindung mit solchen Vorzügen nicht zu dulden wären .
- Halten Sie mir doch diese gelegentliche Herzensergießung zu gute , ich bin bereit , wieder einzulenken .
Ich antwortete Eichen : er müsse sich nicht abschrecken lassen , und - was ich mir heute noch nicht verzeihn kann - das Mädchen sei ihm gut , ich wisse es .
Diese Versicherung vom Vater gab ihm Mut , seine Bewerbung um sie ernstlicher zu betreiben .
Indes wurde das Mädchen durch den Beifall , den ihre Schönheit in allen Gesellschaften erhielt , noch eitler und aufgeblasener , und begegnete ihrem würdigen Verehrer bald mit jugendlichem Übermute , bald mit kalter Sprödigkeit .
Dies schrieb mir von Zeit zu Zeit Karoline , gegen welche sie eine fortwährende Zurückhaltung beobachtete ; indes freute sich das gute arglose Weib , daß Julchen in ihren Mann viel Vertrauen zu setzen schiene .
" Er hätte " - schrieb sie - " sich alle Mühe gegeben , sie aufzuheitern , und ihr den Aufenthalt in ihrem Hause angenehm zu machen ; es wäre ihm auch so ziemlich gelungen , und sie wäre gegen ihn weniger kalt und zurückhaltend . "
Die gute Seele setzte ein unbegrenztes Vertrauen in alle die , denen sie gut war , und es hielt schwer , sie von den Fehlern solcher Personen zu überzeugen .
Ihren Karl vergötterte sie beinahe , und ich hätte es keinem raten wollen , auch nur den Schatten eines Fehlers an ihm zu entdecken .
Sie hatte einen weit richtigeren Verstand und besseres Urteilsvermögen als er ; aber ihre Bescheidenheit ging so weit , daß sie sich ohne Widerrede seinen Aussprüchen unterwarf .
Bei dieser Stimmung hatte sie auch natürlich nichts dagegen , daß Falk es sich angelegen sein ließ , der jungen Hausgenossin die Zeit zu vertreiben .
Er führte sie beinahe täglich ins Schauspiel ; denn wo auch nur eine Geige gestrichen wurde , da war er abonniert .
Er veranstaltete Lustbarkeiten , und führte Julchen in Gesellschaften ein , die keinen anderen Zweck des Lebens , keine andere Bestimmung kennen , als das Vergnügen , es sei von welcher Gattung es wolle .
Durch Falk wurde die Gedankenlose mit allen Gesellschaftsspielen bekannt , und so , nicht aus Geldgeiz sondern aus Eitelkeit , eine leidenschaftliche Spielerin , die keinen Tag ohne Karten hinbringen konnte .
Blieben sie einmal zu Hause , so lasen sie mit einander Gedichte , Romane und manches andere , was die Seele zur Üppigkeit hinneigt .
Zur Abwechslung musizierten sie , sangen zärtliche Duetten , und die Lücken füllte eine Pikettpartie .
Dadurch gewöhnte sich das Mädchen , ihre redliche Freundin von alle ihren Planen auszuschließen , und sie für entbehrlich zu halten .
Der Mann der Freundin war ihr zum angenehmen Lebensgenuß ja ganz allein notwendig .
Karoline konnte unmöglich mit dieser Einrichtung zufrieden sein .
Sie äußerte ihre Mißbilligung auf die sanfteste Art , stellte ihrem Manne vor , daß er der jungen Person vollends alle ernsthafte und ihrer Bestimmung entsprechende Tätigkeit verleide , und durch die unaufhörlichen Zerstreuungen Eichens Absichten auf Julchen Hindernisse in den Weg legte .
Zuweilen wurde sie auch wohl böse , wenn Falk ihr im scheinbar scherzhaften Tone antwortete : was der Pedant mit dem hübschen Mädchen solle ? die sei für ihn zu gut .
Es fiel der ehrlichen Seele , der Karoline , wohl zu spät auf , daß es für eine Frau immer eine mißliche Lage ist , wenn der Mann stündlich Gelegenheit hat , neben ihr ein schönes Mädchen zu sehen , - ihre bloß häusliche Nettigkeit mit der raffinierten Zierlichkeit zu vergleichen , in der das junge Äffchen täglich erscheint , weil es kein wichtigeres Geschäft kennt , als auf neuen Putz zu sinnen .
Karoline setzte ein unbeschränktes Vertrauen in ihren Mann , das er keineswegs verdiente , und mir , bei einer übrigens so einsichtsvollen Frau , unbegreiflich ist .
Mir gefiel der Mensch nicht ; mein Gefühl war gegen ihn , ob ich gleich aus Gründen nichts gegen ihn einwenden konnte .
Er war nach dem allgemeinen Begriff eine schöne Mannsperson von vollem , gesunden Wuchs , und stach gegen seine galanten Mitbrüder wenigstens so ab , wie der Vollmond gegen das letzte Viertel .
- Denn lieber Seelmann , sähen Sie die armen Knochenmännerechen , wie matt und kraftlos die meisten von ihnen umherschleichen , es würde Ihnen weniger auffallen , wenn uns die Zeitungen verkündigen , dieses oder jenes nützliche Staatsmitglied sei noch vor dem vierzigsten Jahre an Entkräftung gestorben .
- Sie wissen , wie viel Gelächter dies in den Provinzen erregt , wo noch deutsche Kraft wohnt .
Ehe ich Julchens Brief anführe , der die Spuren trauriger Selbstvergessenheit immer deutlicher an sich trägt , muß ich ein Wort von Eichen sagen , um die törichte Blindheit des irregeführten Mädchens in ein noch helleres Licht zu setzen .
Weil jedem Mädchen die Außenseite das wichtigste ist , so will ich bei dieser anfangen .
Als der Rechtschaffene um Julchen warb , war er zwei und dreißig Jahr alt .
Seine Größe übertraf etwas die gewöhnliche Mannslänge ; sein Wuchs war schlank und zierlich ; er trug seinen wohlgebildeten Körper wie ein feiner Weltmann , doch ohne in gesuchte Manieren zu fallen .
Sein Gesicht war regelmäßig , sein Auge schön und seelenvoll .
Bei ruhiger affektloser Stimmung war heiterer Ernst darin ausgedrückt ; lächelte er , so war_es das Lächeln der Vernunft und eines wohlwollenden Herzens ; zuweilen mischten sich Strahlen des feinsten Witzes ein , der aber nie in beißende , verwundende Laune ausartete .
Nur seine Herzensfreunde kannten diese Seite an ihm .
Er besaß mehr als einseitige Gelehrsamkeit ; allein in Gesellschaften vermied er den wissenschaftlichen , und noch mehr den lehrenden Ton .
Gegen Frauenzimmer war er zurückhaltend und bis zur Ängstlichkeit behutsam .
Ich gestehe daß dies wenig zur Annehmlichkeit des geselligen Vergnügens beitrug ; da es aber aus seiner Gewissenhaftigkeit entsprang , so wage ich nicht , es zu tadeln .
Sein Herz war bis zur Weichheit empfindlich ; aber nie sprach er von Gefühl , noch weniger prunkte er mit dem , was ihm ganz von Natur dem besseren Menschen angeeignet dünkte .
Sie mit seinem vollen moralischen Wert bekannt zu machen , wäre zu weitläufig .
Nur noch dies , lieber Seelmann :
er war einer Ihrer würdigsten Amtsbrüder , und seiner ihn liebenden Gemeinde , was mein lieber Seelmann der seinigen ist .
So gut und edel war der Mann , den meine arme unbesonnene Tochter in ihrem jugendlichen Übermute abwies .
Auf meine ihm gegebene Versicherung , das Mädchen sei ihm gut , war er , wie ich schon gesagt habe , in seiner Bewerbung um sie ernstlicher geworden ; der Wunsch , über eine Sache , die ihm so sehr am Herzen lag , Gewißheit zu haben , war sehr natürlich .
Er schrieb also mit dem vollsten Ausdruck der Liebe an meine Tochter , und trug es Karolinen auf , Julchen den Brief zu übergeben .
Sie tat es , und das arme verlorene Mädchen drückt sich im folgenden Briefe an Mariane höchst lieblos darüber aus .
" Ich würde glauben Sie wären gestorben , meine beste gnädige Frau , hätte ich nicht den Maskenhabit gesehen , welchen Ihnen Madame Douillet überschicken soll ; Sie leben also noch , und sind für es erste auch noch nicht Willens , an den Tod zu denken .
Auch Ihr Gemahl scheint sich noch lange seines Lebens freuen zu wollen ; er hat Anetten , bei deren Namen mich noch schaudert , eine schöne Equipage geschenkt , und wohnt mit ihr in einem Garten .
Vielleicht ist Ihnen diese Nachricht nicht ganz angenehm , denn Sie werden nun wahrscheinlich wenig von der Stadt genießen .
Ihr Herr Vater verhält sich sehr ruhig , weil das Podagra ihn an seinen Lehnstuhl fesselt , u. s.w .
Das sind freilich trübselige Dinge , aber dafür nun auch etwas Lustiges .
Was Sie weissagten ist erfüllt .
Seine Hochehrwürden , Herr Eiche , haben sich ganz förmlich als meinen - Liebhaber ? o nein , dazu sind wir zu fromm ! -
als meinen Freier erklärt .
Karoline hat mir einen Brief von ihm gegeben , der ein wahres Original in seiner Art ist .
Er tat mit zu wissen , daß er , von meinem Herrn Vater aufgemuntert ( ich dächte doch , man fragte erst die Tochter , ob auch sie aufmuntern will ) , es wage , um meine Freundschaft - nur Freundschaft , wie genügsam ! - und - um meine Hand zu bitten .
- Sie sehen , die Heiligen machen nicht viele Umstände . -
Dann folgt eine weitläufige Berechnung aller Freuden , die unser Hausstand gewähren würde , - die mir Blödsichtigen aber gar nicht einleuchten .
- Endlich - im Ernst , er ist bei allem dem entsetzlich kühn - erklärt er mit dürren Worten , wie ich mich , als Frau eines Geistlichen und als seine geliebte Hälfte , - oho !
so weit sind wir , dem Himmel sei Dank ! noch nicht ; - zu betragen hätte .
Er liebe nämlich die Eingezogenheit , - gut , daß er_es vorher sagt ; ich liebe sie eben nicht - und er gestehe offenherzig : seine Umstände erforderten Häuslichkeit , - so heirate der Mann lieber nicht - und verlangten eine billige Einschränkung eingebildeter Bedürfnisse .
Doch - fügt er recht priestermäßig galant hinzu - dies würde er , in jeder Rücksicht , meinen Einsichten überlassen .
- Aber was plage ich mich ? hier ist die lesenswerte Pièce selbst ; allein ich erbitte sie mir zurück , mein Vater möchte sie sehen wollen .
Falk , wie er nun so ein drolliger allerliebster Mann ist , rät mir , ich soll Eichen einige Zeit in Ungewißheit hinhalten ; das will ich auch , der komischen Auftritte wegen , die das geben muß .
Karoline behandelt die Sache so ernsthaft , als wäre von ihr selbst die Rede .
Als sie mir den Brief gab , machte sie ein erstaunlich feierliches Gesicht .
Zum Vorspiel umarmte sie mich so oft , weinte , und sah mir so fest in die Augen , daß ich wirklich zitterte , und glaubte mein Vater sei etwa tot , und das würde mir denn doch recht nahe gehen .
Als ich mich nur erst überzeugt hatte was es war , fing ich laut an zu lachen .
- Liebes Julchen , - sagte sie mit kläglichem Gesicht , - der Mann liebt Sie so innig und redlich , er verdient , daß Sie seinen ehrenvollen Antrag ernsthafter aufnehmen .
Desto schlimmer für ihn , wenn er mich liebt ! -
antwortete ich , und lachte noch ausgelassener .
Ihr Vater , - fuhr sie fort , - hat sein ganzes Herz auf diese Heirat gesetzt .
Das hätte er nicht tun sollen ! - fiel ich ihr , noch immer schäkernd , ins Wort .
- Julchen , Julchen , sehen Sie doch den redlichsten der Männer , Eichen , nicht so an , wie die jungen Gecken , die in Gesellschaften Sie umflattern ! -
Ich glaubte , sie hätte im Sinn mir Vorwürfe zu machen , und das bewog mich , ihr in einem beleidigten Ton zu sagen :
es tue mir leid , wenn mein Vater sein Herz auf eine Sache gerichtet hätte , die mich notwendig unglücklich machen müßte . -
Unglücklich ?
Cousine , Sie bedenken nicht was Sie sagen !
Wird es Sie nie gereuen ? -
Da kam mir der lose Einfall , daß man den steifen Freier wohl für seine kecke Anmaßung ein wenig züchtigen könne .
Ich zwang mich in einen recht treuherzigen Ton hinein , und bat Karolinen , man möchte mir Bedenkzeit verstatten .
Karoline dankte mir so ehrlich , daß es mich beinahe gejammert hätte .
Sie umarmte mich ; und so endigte dieser feierliche Anwerbungsaktus wie er begonnen hatte , - mit einer Umarmung .
Im Vertrauen kann ich_es Ihnen wohl sagen , meine Liebe , ich glaube , die Frau wäre mich gern los .
Ich habe schon bemerkt , daß sie still wird , wenn der Consin viel und freundlich mit mir spricht .
Neulich sang ich mit ihm das göttliche Duett : Selmar , ich liebe Dich , etc . ; von der Gewalt der Worte und der Musik ergriffen , verhallte unser Gesang , und löste sich in ein leises Lispeln auf ; seine Wange ruhte an meiner Wange , wir weinten die wonnigsten Tränen , und ohne daß wir es selbst wußten , hatte sich seine Hand um meinen Leib geschlungen .
In diesem Moment der wunderbarsten Trunkenheit war unbemerkt Karoline hereingekommen .
Falk sprang betroffen vom Stuhle auf , und ich sah , glaube ich , entsetzlich einfältig vor mir auf die Noten hin . -
Wie Du einen erschreckst ! sagte Falk , Du schleichst so leise .
Er küßte ihr dabei flüchtig die Hand .
Allerdings hätte er etwas klügeres sagen können ; aber woher Geistesgegenwart nehmen , wenn man wie vom Traum erwacht ?
Ich bin gar nicht hereingeschlichen , sagte sie mit bebender Stimme , und sah leichenblaß aus ; dann fiel sie ihm mit einer konvulsivischen Bewegung um den Hals , und entfernte sich schnell .
Karl und ich blieben stumm und verwirrt zurück , und standen , wie Adam und Eva nach dem Sündenfalle mögen da gestanden haben .
Endlich erholte sich Karl , und sagte zu mir , ich möchte seiner Frau doch nachgehen ; sie sei so grillenhaft , daß sie sich wohl gar einbilden könne , uns liege daran , allein zu sein .
Ich tat es .
Sie hatte die Tür ihres Kabinetts hinter sich verriegelt ; aber durch den Vorhang der Glastür , den der Zugwind verschoben hatte , sah ich daß sie vor einen Stuhl kniete , und betend die Hände rang . -
Ihr gutmütiges Auge schwamm in Tränen .
Dieser Anblick durchschauerte mein ganzes Wesen .
Ich wünschte mich tausend Meilen weit entfernt ; mein Herz zerfloß in Mitleid .
Weinend eilte ich in mein Zimmer .
Schrecklich war mir nachher der Augenblick unserer Wiederzusammenkunft ; ich bebte wie eine arme Sünderin , hatte den ganzen Abend hindurch nicht das Herz , die Augen aufzuschlagen , und so brachten wir alle drei einen höchst peinlichen Abend zu .
Karoline bemühte sich , heiter zu scheinen ; es gelang ihr aber schlecht :
denn es brachen oft mitten in ihrem Gespräche Tränen aus ihren Augen .
Nun scheute ich nichts so sehr , als mich allein mit ihr zu befinden ; und doch war es unvermeidlich .
Am folgenden Morgen , als Karl ausgegangen war , und wir mit unserer Näharbeit neben einandersaßen , sah ich ihr es an , daß etwas in ihr arbeitete , was sie gern los sein wollte , wozu sie aber den Anfang nicht finden konnte .
Endlich brach es mit einen Tränenstrom los .
Sie weinte lange an meinem Busen , ehe sie ein vernehmliches Wort vorzubringen im Stande war .
Cousine , - schluchzte sie endlich hervor , - ich wollte Sie nicht kränken ; aber ich bin ein armes schwaches Weib , ich kann es nicht zurückhalten ! - -
Ich wollte in der ersten Verwirrung mich befremdet stellen .
- Julchen , liebes Julchen , fuhr sie fort , Sie verstehen mich ganz sicher .
Ich gestehe , es ist unverzeihliche Schwachheit ; und billig hätte ich es Ihnen längst schon sagen sollen , daß ich einen Hang zur Eifersucht habe . -
Sie sind so schön , mein Kind , wirklich , so ungemein schön , und ich habe nur meine Liebe und Treue dagegen aufzuweisen .
Wenn Ihnen meine Ruhe nicht ganz gleichgültig ist , so vermeiden Sie doch meinen Mann , so oft er allein ist . -
Auftritte wie der gestrige - Gott weiß , wie weit ich entfernt bin Ihnen Vorwürfe zu machen , denn die Schuld muß wohl in mir selbst liegen ; - aber solche Auftritte müssen unsere allseitige Ruhe untergraben .
Ich verstummte , und wußte nichts dagegen zu sagen , nahm mir aber heilig vor , Karln in Zukunft aus dem Wege zu gehen .
Karoline jammerte mich sehr , denn ich fühlte , daß Karl mich ihr vorziehn muß ; als aber der erste lebendige Eindruck dieser Unterredung allmählich schwächer wurde , konnte ich es wieder nicht über mich gewinnen , ihm wehe zu tun .
Soll er denn gestraft werden , wenn sein Herz unwillkürlichen Eindrücken , die zu nichts Bösem führen , nachgibt ?
Schon einigemal hat er mich recht wehmütig gefragt :
was er mir zu Leide getan hätte ?
Wenn er wüßte , daß seine Frau an meiner Zurückhaltung Schuld sei , würde er es sie schon fühlen lassen .
- Diese Lage der Sachen ist äußerst marternd .
Sagen Sie mir , Mariane , was ich tun soll . "
Es ist beinahe unglaublich , daß mein armes Mädchen so schnell jede Stufe moralischer Verwilderung erreicht haben konnte .
Bei einer erwachsenen und vollendeten Person würde es indes mehr Ursache zum Erstaunen geben , als bei einer jungen empfänglichen Seele , deren Erwartungen besonders waren erregt worden , die in einer ihr unbekannten Zone vom Glanze des Neuen und Ungewohnten geblendet wurde .
Und wäre dies alles nicht , so konnten Weichlichkeit und Müßiggang unmöglich ihres Zwecks verfehlen ; denn dem , an wahre Tätigkeit gewöhnten , Mädchen mußten die kleinen Spielereien der Mode gar nicht als Arbeit vorkommen , wie sie das auch zu Anfang selbst geäußert hatte .
Daneben der Umgang mit schon verderbten Gespielen ; das Lesen so manches wollustatmenden Buchs ; und mehr als dies alles , die , alle Moral und religiöse Grundsätze zerstörenden , Mitteilungen ihrer freigeistigen Lehrerin und ihres Vetters .
Man denke sich ein zartes Gemüt , in dem der Keim einer biederen Gesinnung lag , welches eine Fertigkeit gewonnen hatte , alle sein Tun und Lassen an religiöse Gedanken zu knüpfen ; ein Herz , das immer in Hinsicht auf seinen Schöpfer und allgegenwärtigen Wohltäter empfand und handelte , gerät nun mit einemmal unter Menschen , von welchen es ganz das Gegenteil hört ; Menschen , die unter dem Schein und mit den Floskeln höherer Geistesbildung ihre dorfmäßige Gewissenhaftigkeit lächerlich machen , ihr eine Seelenstärke vorspiegeln , die das Gute aus reiner Liebe zum Guten , ohne Hinsicht künftiger Belohnung wolle , ihre Eitelkeit erregen , und ihr von selbstständigem Sein vorschwatzen .
Und das möchte noch hingehen , wenn sich nicht eine überwiegende Sinnlichkeit , eine Leidenschaft dazwischen gestellt hätte , welcher denn allerdings kein Begriff willkommener war , als der von selbstständiger Unabhängigkeit , der die altväterische Frömmigkeit im Wege stand , und die alles hinwegräumte , was ihren Ausbrüchen hinderlich sein konnte .
Wie so einfach und ruhig wäre des Mädchens Leben im väterlichen Hause dahin geflossen !
Rein und voll Unschuld hätte ich sie der Liebe eines braven Mannes hingegeben , und meine gut erzogenen Enkel hätten meinen Grabhügel mit Rosen umpflanzt !
Jetzt - - Grüntal verbarg sein Gesicht , und vermochte lange nicht , weiter zu sprechen .
Seelmann und seine Frau waren gerührt , und wagten es nicht , seinen Schmerz zu unterbrechen .
Nach langem Schweigen gewann endlich der unglückliche Vater so viel über sich , daß er seine Erzählung wieder fortsetzen konnte .
Julchen bildete sich wirklich ein , es sei Herabwürdigung ihrer Reize , wenn ein Mann wie Eiche , dem blendendes Glück und volltönende Titel fehlten , der nicht in poetischen Phrasen sprach , sich einfallen ließe , sein Auge zu ihr zu erheben .
In Gesellschaften war ihr mancher Unsinn vorgesagt worden , der ihrer Eitelkeit so wohl tat ; und das Mädchen , welches bis ins fünfzehnte Jahr die Ehrlichkeit selbst war , hatte eine Fertigkeit erlangt , ihre wahre Herzensmeinung hinter leere Worte zu verstecken , und in ihren Antworten so vielseitig zu sein , daß sie auf mehr als eine Art verstanden werden konnten .
Eine solche erhielt auch Eiche , und der ehrliche Mann war so wenig mit den Ränken kleiner weiblichen Seelen bekannt , daß er , was sie ihm sagte oder geschrieben hatte , ganz treuherzig für eine Einwilligung hielt , die sie , sittsam verschleiert , ihm zu verstehen gebe .
Diesem zu Folge betrug er sich wie ein Liebhaber , der nun bald in die Rechte des Bräutigams treten wird .
Sie hatte ihm ihr Stammbuch gegeben , - eine Mode , welche eben zu der Zeit Ton unter den jungen Mädchen war , - er gab es ihr bei dieser Gelegenheit zurück , und , statt sich durch ein Reimlein ihren albernen Freunden zuzugesellen , hatte er ein schönes feurigzärtliches Gedicht hineingelegt .
Das gefiel dem eitlen Dinge ; denn von ihren hirnlosen Verehrern konnte sie dergleichen nicht erwarten .
Sie dankte ihm sogar schriftlich , in Ausdrücken , die ihm , im gegenwärtigen Verhältnisse und bei seiner gänzlichen Unerfahrenheit in den krausbunten Mädchenlaunen , für Beweise ihrer Zuneigung galten .
Indes vertraute sie es großen Koterien junger Mädchen , daß Eiche ihr einen Heiratsantrag gemacht hätte , Falk erzählte es dem Departement bei welchem er angestellt war , und Eichens Gedicht lief in Abschrift umher , ehe noch der redliche arglose Mann eine bestimmte Antwort erhalten hatte .
Endlich bat er in den feinsten Ausdrücken um eine solche .
Dies bewog Julchen , der Sache früher , als es ihr Wille war , ein Ende zu machen .
Karoline bat sie aufs rührendste , nicht übereilt zu handeln ; ich drang mit größter Zärtlichkeit darauf , daß sie uns alle durch einen vernünftigen Entschluß glücklich machen möchte ; aber vergebens ! -
Sie gab Eichen einen förmlichen Korb , versicherte , wie die Mädchen denn immer wortreich sind , wenn sie einen dummen Streiche beschönigen wollen , sie schätze ihn ungemein hoch , sie würde untröstlich sein , wenn er aufhörte sie mit seiner Freundschaft zu beglücken ; aber in ein näheres Verhältnis mit ihm zu treten , sei ihr schlechterdings unmöglich .
Warum ? könne sie nicht sagen . -
Wahrscheinlich weil sie es selbst nicht wußte .
Mit diesem Gänsegeschnatter wurde einer der würdigsten Männer abgefertigt .
Was die eitle Törin und ihr elender Ratgeber gehofft hatten , geschah nicht .
Sie glaubten , er solle nun noch lange winseln , flehen , und so des übermütigen Geschöpfes Triumph recht vollständig machen ; allein acht Tage nachher schrieb er mir mit einer Ruhe , die seiner würdig war : die liebliche Täuschung sei vorüber , - Julchen liebe ihn nicht , - die so lange freundlich genährte Hoffnung sei dahin , - sein Herz fühle die Lücke , aber ihr Glück läge ihm mehr als sein eigenes auf der Seele ; doch besorge er , sie sei nicht auf dem rechten Wege , es dauerhaft zu gründen .
Jetzt wäre es ihm Pflicht , das teure Bild aus seinen Herzen zu verwischen .
Heiraten würde er nun vielleicht nie .
Diesen Entschluß müsse er um so eher fassen , da er durch einen Todesfall in seiner Familie zu Pflichten der Mitteilung aufgefordert würde .
Er bat mich , ihn mit meiner Freundschaft zu trösten und zu unterstützen , wenn ich je Rückfälle einer unglücklichen Neigung bei ihm bemerken sollte , u. s.w .
Jede Zeile dieses Briefes grub sich in mein bluten des Herz wie mit Dolchstichen .
Ich ärgerte mich , daß er die Sache so gleich aufgab , und beschuldigte ihn der Fühllosigkeit .
Dann konnte ich ihn auch wieder meine Hochachtung nicht versagen , daß er sich nicht wegwarf , nicht den verliebten Seufzer machte , und sich einen zweiten Korb holte ; aber auf das Mädchen fiel mein ganzer Unwillen .
Wohl ihr , daß ich sie nicht bei mir hatte ! -
Ich wollte sie mir holen , wollte sie mit Gewalt ihrem verführerischen Umgange entreißen , und sie durch anhaltende Tätigkeit zahm machen , möchte sie auch dabei zu Grunde gehen !
In meinem Unwillen wünschte ich sogar , daß ihr , sie zur Närrin machendes , Gesicht durch irgend einen Unfall entstellt werden möchte .
Unglücklicher Weise ließ ich gegen meine Frau etwas von Zuhausenehmung der Tochter fliegen ; das zog mir ein anderes Ungewitter über den Hals , und ich , dessen Gefühl man schon so mürbe gemacht hatte , war endlich noch froh , daß nur alles beim alten blieb , und meine Frau wieder besänftigt wurde .
Die junge Dame in der Stadt bekam einen derben Verweis ; denn den mußte sie wenigstens haben , da sie mir einen Plan vereitelte , auf den die Freuden meiner alten Tage berechnet waren .
Nun hielt sie es für nötig , ihr törichtes Benehmen in dieser Sache , allenthalben wo sie hinkam , zu beschönigen , und in Teagesellschaften rechtfertigen zu lassen . Hin und wieder fanden sich vernünftige Frauen , welche wenigstens die Art ihres Benehmens Tadelswert fanden ; aber die Mädchen , selbst die jüngsten Gelbschnabel , hatten insgesamt Ursachen zur Verteidigung ihres Mitgänschens anzuführen .
" Er soll immer nach Tabak aus dem Munde riechen , " sagte eine .
" Er hat ihr im Leben noch nicht die Hand geküßt ! " eine andere .
" Ich weiß es aus zuverlässigen Nachrichten , daß sie neulich in einer Gesellschaft ihr Strickknäuel fallen ließ , wo er dabei saß , und sie sich selbst danach bücken mußte , " erzählte eine dritte .
" Sie tanzt gern und gut , das müßte sie als Predigerfrau auch aufgeben , " lispelte eine vierte hinzu .
Madame Brennfeld war der unmaßgeblichen Meinung : das Mädchen habe ganz recht ; Eiche sei ein trübseliger Theologe , der über und über nach alter Orthodoxie rieche .
Julchen habe doch nun schon hellere Begriffe bekommen , und könne daher mit ihm auf keine zufriedene Ehe rechnen .
Der armen Karoline widerfuhr die Kränkung , daß der Tadel den das Mädchen verdiente , zum Teil mit auf sie fiel ; denn ihre Gutmütigkeit duldete keine nachteilige Urteile über Julchen , so sehr sie selbst mit ihrem Betragen unzufrieden war , und so viel Achtung sie für Eichen hatte .
Die Welt glaubte in ihr Julchens Ratgeberin und Vertraute zu sehen , und tadelte sie mit Bitterkeit ; selbst diejenigen , die den Leichtsinn meiner Tochter witzig fanden .
So parteiisch und inkonsequent urteilt meistens der große Haufen , dessen Meinung wir oft die Ruhe unseres Lebens aufopfern !
In der ersten Aufwallung war ich selbst unbillig genug , ihr Vorwürfe zu machen .
Sie beantwortete sie sanft , und sagte : sie leide selbst viel dabei , und habe nun den Verdruß , daß Eiche ihr Haus meide , um Julchen nicht zu sehen .
Über Julchen schrieb sie mir :
sie wage es kaum , etwas Entscheidendes über ihren Charakter zu sagen ; sie besorge aber in der Tat , daß sie nur durch herbe Prüfungen von der Bahn des Leichtsinnes und der Zerstreuung zurückgebracht werden könne .
Doch Sie hören vielleicht lieber Karolinens eigene Worte ; hier ist ihr Brief : " Ich bin noch zu jung , und zu weich von Natur , als daß ich mir ein zurechtweisendes Ansehn geben könnte , wenn ich vergebens bitte und rate .
Julchen will ihre natürlichen und erworbenen Talente nicht gern in der Abgezogenheit vergraben .
Mein Mann führt sie in Konzerte und andere öffentliche Lustbarkeiten , und sie knüpft Bekanntschaften mancher Art , bei welchen sie nur auf die Stimme des Vergnügens horcht .
Darunter sind einige junge Frauen , die sich schämen würden , wenn sie im Verdacht ehelicher Treue ständen , und , um sich recht fest in ihrem Rufe zu setzen , sich allenthalben mit den Männern anderer Frauen zeigen .
- Gegenwärtig ist Julchen dabei , eine Rolle zu einem Schauspiel auf einem Privattheater zu lernen .
Ich habe es ihr auszureden gesucht , indem ich Ihre Mißbilligung , lieber Onkel , ihr zu beherzigen gab .
Sie sagte : es sei zu spät , zurückzutreten ; ich möchte Ihnen nichts davon schreiben , künftig solle es nicht wieder gegeschehn .
So ganz darf ich es ihr nicht verargen , wenn sie nicht so eingezogen wie ich zu leben wünscht ; denn ich fühle mich nicht stark genug , mit dem großen Strome zu schwimmen , und darf und will anderen meinen Sinn nicht aufdringen .
Indes wäre zu wünschen , daß Julchen ihre Gesellschaften wenigstens mit mehr Auswahl aufsuchte .
Mein Mann ist , denke ich , in der Tat darin ein wenig wunderlich , und will sich nichts einreden lassen .
Sonst war er gern zu Hause , und wir verlebten manchen schönen Abend bei einem guten Buche oder bei traulichen Gesprächen ; jetzt hat er sich aber dadurch , daß Julchen Unterhaltung finden soll , so in Gesellschaften verwickelt , daß ich ihn wenig mehr sehe , viel weniger zum Gespräch mit ihm komme .
Wäre unsere Ehe nur mit einer einzigen süßen Hoffnung gesegnet , so würde diese das Band zwischen mir und meinem Karl fester knüpfen . " - -
Was das gute Weib mir nur wie durch einen Nebel zeigte , verstand ich erst , da die unselige Entwicklung nicht mehr zu hintertreiben war ; was ich aber davon fassen konnte , brachte mich so außer Fassung , daß ich mich auf der Stelle entschloß , meine Tochter aus der Stadt zu holen , und sie bei meinen Schwiegereltern unterzubringen , weil meine Frau sie durchaus nicht um sich haben wollte .
Die Anstalten zu meiner Abreise betrieb ich mit großem Eifer , ob ich mich gleich sehr krank fühlte , und Fieber und Krampf durch meine Nerven wühlten .
Meine Frau widerriet mir die Reise , sie sah mit Schrecken , wie bleich und schwankend ich umherging ; aber ich dachte es durchzusetzen .
Als ich den Wagen bestieg , fiel ich in Ohnmacht , und als ich wieder daraus erwachte , raste ich , und kannte keinen der Umstehenden .
Die Krankheit nahm bald überhand , und dauerte bei zwei verschiedenen Rückfällen gegen vier Monate .
Meine Söhne warteten und pflegten mich .
Fritz , der ehrliche Tischler , wollte seine Schwester holen ; wenn man aber das Mädchen nur nannte , wurde mein Zustand so heftig , daß es keiner wagte , mich sie sehen zu lassen .
Gleich zu Anfange meiner Krankheit hatte sie folgenden Brief an Mariane geschrieben :
" Sie antworten mir nicht , beste Mariane !
Was ist das ? -
Haben Sie mich vergessen , so muß ich Sie wohl an Ihre Juliette erinnern , und Ihnen einiges von ihrer gegenwärtigen Lage mitteilen .
Den verdrießlichen Freier habe ich geschwinder abfertigen müssen , als ich wollte .
Darüber ist mir mein Vater entsetzlich hart begegnet , so daß ich , wenn ich die Eingebungen der Stiefmutter dazu nehme , glauben muß , er haßt mich .
Diese Vorstellung hat für mein Herz eine wirklich versteinernde Kraft .
Indes würde ich mir doch in einem anderen Falle Gewalt angetan haben , mich seinem Willen aufzuopfern ; aber hier ? -
Lieber mag er mein Leben fordern , als diesen Beweis meines Gehorsams .
Mein Herz ist in Ansehung dieses Mannes statt und kalt ; er ist nicht der , der meine ganze Seele füllen kann .
Seine Begriffe vom Einklange der Herzen und inniger Seelensympathie schmecken nach Theologie .
Anwerben , und hinterdrein gleich heiraten ! -
Das ist ordentlich fürchterlich .
Obendrein ist er so jämmerlich bescheiden , daß er blutrot werden konnte , wenn ihn von ungefähr auch nur mein Handschuh berührte .
- Unserem Geschlecht kann diese strenge Sittsamkeit zuweilen zur Verschönerung dienen ; aber einem Manne steht sie , in meinen Augen , gar nicht an , und setzt ihn herab .
Nicht wahr , Liebe ?
Ich wüßte wohl einen , den mein Herz mit innigster Liebe umfassen könnte , der meine ganze Seele füllen würde , hielten nicht unselige Bande - - » Wie grausam das Geschick Seelen trennt , die es doch für einander geschaffen hat ! « sagte Falk gestern bei einer gewissen Veranlassung .
- Der Schöpfer sollte nicht hart und ungütig sein , wenn er anders sich überhaupt um uns bekümmert .
- Karoline ist eine fromme , andächtige Seele ; gleich fährt ihr Herz ängstlich zurück , wenn sie Religionsspott ahnet :
was sie nämlich so dafür hält .
Falk ist nun einmal ein loser lieber Mann .
Er zog sie letzthin mit ihrem frommen Eifer auf , und war so witzig , daß ich wider Willen mitlachte .
Da machte die Frau ein jämmerliches Gesicht über das andere , und rief mit einer an ihr ungewöhnlichen Stärke :
» Auch diese Gattung von Leichtsinn schon aufgenommen !
O Julchen , möchte doch Gott Ihr Herz in seine Hand nehmen !
Sie sind auf bösem , bösem Wege ; Sie Arme ! « -
Ich kann nicht leugnen , daß mir ihr andringender Ton auffiel , und ich ihr , vielleicht etwas trotzig , zur Antwort gab :
Das , Cousine , überlassen Sie nur getrost meinem eigenen Gewissen ; denn vermutlich werde ich für mich selbst Rechenschaft geben müssen .
Ich schämte mich ein wenig , als sie mir darauf die Hand freundlich mit den Worten darreichte :
» Nicht böse , liebes Mädchen ; ich hatte nichts Arges im Sinn . «
Das hat die gute Seele freilich niemals ; aber dem ungeachtet stehen wir seit der Zeit auf einem feierlichen Fuße mit einander , und , was mir sehr lästig ist , sie sieht mich zuweilen mit Tränen im Auge an .
Dann zieht sich mein Herz wider Willen ängstlich zusammen , und es jammert mich die arme Frau .
Das muß doch Hypochondrie sein !
Denken Sie nur , Mariane , des Morgens betet sie , oder ist doch zu andächtigen Betrachtungen eine halbe Stunde für sich .
Um dies zu können , steht sie von allen im Hause am frühesten auf .
Nach Tische läuft sie wieder in ihr Kabinett , und bleibt einige Minuten still für sich .
Anfangs , als ich noch vertrauter mit ihr war , fragte ich sie :
was sie nach Tische immer allein täte ?
Sie gestand , daß sie sich einige Minuten sammle , und Gott um Mut und Kraft zur Erfüllung auch der schwersten Pflichten , zu welchen sie etwa aufgefordert werden könnte , bäte .
Wird Ihnen Ihre Bitte gewährt ? fragt ich .
» Die Vorstellung , daß der Urheber meines Daseins um mich weiß , daß ich ihm mein Anliegen vortragen kann , gibt mir ein Bewußtsein , das mir zum großen Segen wird .
Ich weiß nicht , wie mein schwaches weibliches Herz manchen Kummer tragen würde , wenn mich der Gedanke an einen allsehenden Wohltäter meiner armen Menschennatur nicht stärkte . «
- Sie riet mir , mein Herz dem Gedanken an Gott ja nicht entfremden zu lassen .
» Die Religion , zu der wir uns bekennen , - fuhr sie fort , - ist ein fester Pfeiler , da hingegen die Philosophie , wie unsere Modedamen sie treiben , nur ein Spazierstöckchen ist .
Bei guten , weit umfassenden Köpfen mag sie eine innere Kraft sein , die ein wohltätiges Licht auf dem Lebenswege verbreitet ; aber bei mittelmäßigen und Weiberköpfen ist sie nur Behelf , sich den nähern Pflichten einer positiven Religion zu entziehen . «
- Sagen Sie selbst , Mariane , kann ein junger munterer Mann , wie Karl , mit einer solchen Andachtlein , einer so ernsthaften Person , glücklich sein ? -
Meine Brüder melden mir , daß mein Vater krank ist .
Gern wäre ich bei ihm ; aber die ewigen Vorwürfe schrecken mich ab .
Er mag wohl sagen : es ist alles eitel ; er hat von allem gekostet .
Und doch würde ich mich über seine Strenge wegsezzen , wenn meine Stiefmutter sich artiger gegen mich betrüge .
Unmöglich kann ich ihr den ersten Besuch geben .
Ich bin kein Kind mehr , und es ist wohl an ihr , mich aufzusuchen .
Mir fällt zuweilen ein , Sie könnten wohl krank sein , und dann schaudre ich vor Schreck zusammen .
Ich wäre untröstlich ; auf den Flügeln der heißesten Liebe würde ich zu meiner innigstgeliebten Mariane eilen !
Reißen Sie mich doch je eher je lieber aus der Angst , u. s.w . "
Hören Sie wohl , lieben Freunde , wie Julchen sich über ihren totkranken Vater ausdrückt ?
Wie sie die Abneigung gegen seine Warnungen und gegen ihre Pflicht mit einem kindisch-preziösen Wesen entschuldigt ? wie sie ihr Herz geflissentlich gegen ihn verhärtet ?
wie warm hingegen , und mit welcher Herzlichkeit sie über Marianes mutmaßliche Krankheit spricht ?
Ein eigener charakteristischer Zug unserer Zeit , die nahe liegenden Pflichten mit Füßen zu treten , und sich entferntere selbst zu schaffen , bei deren Erfüllung der Eitelkeit geschmeichelt wird ; seine Freunde in Europa zu verstoßen , um in Amerika zum Wohl der Menschheit mitzuwirken .
- Freilich muß man an diese heißen Freundschaften nicht immer glauben ; die aufgenommene Kraftsprache drückt sich oft etwas zu genialisch aus .
Einige Dichter wollten es so , und die prosaische Welt findet sich im Nachlallen schön und schmuck .
Aber es tut doch weh ! -
Auf der einen Seite ein totkranker , so herzlicher , liebevoller Vater ; auf der anderen eine neugeknüpfte Bekanntschaft .
Und welche Bekanntschaft ?
Guter Gott , ich dachte , ich hätte es vergessen ! -
Grüntal seufzte tief , und ließ seinen Kopf schwermütig in seine Hand sinken . -
Nach einer Weile sagte er matt : hier ist Marianes Antwort .
" Ja , Juliette , ich bin krank , und zwar sehr ernstlich .
Dieser Zustand ist mir äußerst neu .
Mich wundert , daß Sie es nicht wissen ; ich habe doch einen Arzt aus der Stadt holen lassen .
Freilich , für die Stadt bin ich längst tot ; sie ist eine leichtsinnige , undankbare Freundin , im Wohlstande lächelt sie ihrem Anbeter zu , und bei Schmerz und Krankheit zieht sie sich zurück .
Das Schreiben fällt mir sehr schwer , auch hat der Arzt es mir verboten ; aber es wäre schon ein herber Vorschmack des Todes , wenn ich mich nicht mehr mit der einzigen Freundin , gegen die ich mein Herz darf reden lassen , unterhalten sollte .
Julchen , liebstes Julchen , Krankheit ist ein sehr nachdrücklicher Lehrer !
Ich habe diesen so oft wiederholten Gemeinspruch nie recht verstanden ; jetzt wird er mir in seiner ganzen fürchterlichen Bedeutung erklärt .
Julchen , wenn ich dürfte , wenn es mich gerade nicht zu schlecht kleidete , ich würde Ihnen sagen : lassen Sie sich durch mein Beispiel warnen .
Ach , ich achte der Lehre zu spät !
Dieser ernste Ton , der für diesmal nicht Persiflage ist , muß Sie erschrecken .
- Ach Julchen , in dieser Stunde , in der sich mein ganzer trostleerer Zustand fürchterlich deutlich mir vor die Seele drängt , kann ich nicht mehr Ich sein .
Wenn in einzelnen Minuten die Phantasie mir ihre bunten Bilder einer hellen Zukunft vorzaubert , dann Spott ich des Grabes , und versetze mich aufs neue in jene frohen Szenen , welchen ich meine Gesundheit aufopferte .
Meine Lage ist sonderbar schwankend .
Nachmittag um 4 Uhr .
Was ich diesen Vormittag geschrieben habe , ist alles närrisches , melancholisches Zeug !
Ich war so engbrüstig , und Hute viel Blut ausgeworfen , da wähnt ich mich schon an der schwarzen Pforte des Todes .
Noch dazu war ich drei Tage hindurch ganz alleinige Wesen , und hatte niemanden gesehen , als den alten Pfarrer , der wohl glauben muß , es gehe mit mir zu Ende .
Jetzt habe ich lieben Besuch aus der Nachbarschaft gehabt .
- Ich ließ mir einen Spiegel geben .
Gott behüte , wie sehe ich blaß und verfallen aus !
Ist das die Schönheit , die uns so viel Wert geben soll ? -
Schicke mir geschwind ein Bonnet , eins , das verdeckt , ohne zu gräßlichen .
Hörst Du ?
Mit den Coeffüren will es nicht recht fort .
Nun wirst Du allerdings auch wissen wollen , was es mit mir gegeben hat , und wie ich in einen so ungewohnten Zustand geraten bin .
Höre ' an , und merke Dir_es .
Das Maskenkleid hast Du gesehen , und wirst also erraten haben , daß es in meiner Nachbarschaft einen Ball geben sollte .
Du hast keine Idee , welchen trefflichen Effekt meine Figur in dieser Kleidung machte .
Ich gefiel mir , und gewiß auch anderen .
Es war ungemein viel Gesellschaft da .
Ich nahm mir vor , ohne Rückhalt zu wirken , alle die Landschönen weit hinter mir zu lassen , und es gelang mir auch über Erwartung .
Du kennst mich wenn ich einmal ans Tanzen komme .
Sie mußten mir alle weichen , und vergingen vor Neid ; denn wie die Sonne zog ich alles an mich .
Die übrigen saßen da wie abgelebte Jungfern , Verzweiflung in Haltung und Miene .
Sie hätten mich jammern können , die armen Geschöpfe , wären sie nicht auch zu ihrer Zeit , wenn sie , ihrer Meinung nach .
Geringere vor sich haben , unverschämt und arrogant .
Als eine Pause , ich weiß nicht wodurch ? eintrat , sprang ich auf ; mit dem Wesen , das Du kennst , riß ich mir einen aus dem Kreise meiner Bewunderer heraus , und kreiselte mit ihm im raschen Walzer , bis die Wände um mich her tanzten , und das Bewußtsein mir verging .
Ich stürzte ohnmächtig hin , und erholte mich erst , als ein gewaltiger Blutsturz mir Luft machte .
Es war ein grausenvoller Augenblick , Julchen , gräßlich ! gräßlich !
Tod und Verzweiflung schwebte vor mir , kalter Schweiß floß von der Stirn ; die Augen dunkel ; Gesause und Geläut vor den Ohren ; in der Seele Schrecken des Todes . - -
Ach Julchen , das kecke , das mutwillige Herz war ganz gebrochen !
Fürchterlich , sich ans Grab hingetanzt zu haben !
hier alles zurückzulassen , und nichts zu besitzen , was man dorthin mitnähme !
O Julchen , Julchen , ich muß es aus dem Sinne haben , oder ich winsele wieder wie heute früh !
Doch dringt der Wunsch sich mir wider meinen Willen auf : wäre ich doch , was ich bei Dir wegspöttelte !
Liebes Julchen , Sie waren ein frommes , gutes Mädchen , als Sie zuerst zu uns kamen ; Sie könnten es noch sein , wenn Sie bei den Ihrigen geblieben wären .
Ich habe leider !
nie Eltern gekannt ; sie übergaben mich von der Geburt an fremden gedungenen Händen , durch welche meine beiden ersten Lebensjahre verwahrloset wurden .
Damals herrschte unter dem Adel mehr als jetzt die unselige französische Sitte , die Kinder außer dem Hause säugen zu lassen .
Ich hatte meine Mutter kaum kennen gelernt , als sie mich wieder von sich stieß , und mich einer französischen Pension übergab .
Man bemerkte bald , daß Unreinlichkeit und Hunger meiner physischen Ausbildung hinderlich wären , und nahm eine Französin ins Haus .
Sie war ein hübsches , leichtsinniges Mädchen ; meine Mutter glaubte Ursache zur Eifersucht zu haben , und hieß sie wandern .
Ich blieb dann eine Zeitlang den Domestiken überlassen , spielte mit den Knaben , die zu meinem Bruder kamen , und gab früh genug Gelegenheit zu Bemerkungen , welche den Vorsatz , mich in strengere Zucht zu geben , beschleunigten .
Ach Julchen , zum erstenmal in meinem Leben dünkt mich , ich sollte besser sein ; die Leere in Kopf und Herzen ist fürchterlich !
Wenn man nun so da liegt , und sich auf sich selbst verlassen soll !
Ach , mein Julchen , komme ich wieder auf , und ich habe mich mit meinen Gemahl ausgesöhnt , - denn das habe ich dem Himmel angelobt , - so will ich gewiß selbst Mutter sein , wenn ich Kinder habe !
Da kommt der Arzt ; ihn darf ich nicht sehen lassen daß ich schreibe . "
Der Prediger des Orts fügte diesem ununvollendeten Briefe folgendes Blatt bei : " Frau von L.. ist durch einen abermaligen heftigen Blutsturz außer Stand gesetzt worden , Ihnen , meine werte Demoiselle , den Brief , von ihr selbst beendigt , zu überschicken .
Sie hat es mir aufgetragen .
Ich soll Sie zugleich ersuchen , ihr in ihrem wahrhaft trostlosen Zustande beizustehen .
Ich trete dieser Bitte von ganzem Herzen bei .
Ein unvorsichtiger Dienstfertiger hat ihr die Nachricht hinterbracht , daß sich ihr Bruder in H.. erschossen habe , als er der Obrigkeit in die Hände fiel , weil er einen beleidigten Ehemann , dessen Frau er verführt , im Duell getötet hatte , und sich vor Schulden nicht mehr zu retten wußte .
- Seit dieser Nachricht , hat der Arzt alle Hoffnung zum Aufkommen der gnädigen Frau aufgegeben .
Gott erbarme sich der armen Dame !
Sie ringt nach Trost , den ich ihr vergebens darreiche .
Wie könnte sie sich auch die frohen Hoffnungen einer Religion zueignen , die sie ihr ganzes Leben hindurch verlacht hat ?
Ihre Seele ist für kein frommes Gefühl empfänglich .
Bei der sichtbaren Auflösung ihrer Kräfte schaudert sie trostlos in martervoller Ungewißheit zurück .
Sie betet , und ängstigt sich dann , daß sie mit den Worten , die ich ihr vorsage , keinen Sinn verbinden kann .
Nie , nie habe ich einem traurigeren Krankenlager beigewohnt .
Mein Herz blutet in mir .
Herr , gehe nicht ins Gericht mit ihr !
Wer wird bestehen , wenn Du willst Sünde zurechnen ? -
Vor einer Stunde rief sie mich an ihr Bette .
Sie lag mit gefalteten Händen .
Ich mußte mich zu ihr hinabneigen , denn ihre Stimme ist schwach und gebrochen .
Lieber , guter Mann , - sagte sie , - ich glaube Ihnen , ich habe es sonst schon gehört , daß die Religion kein leeres Wortgepränge ist .
Daß ein Gott sei , glaubte ich immer ; aber ich dachte ungern an ihn , und wenn es flüchtig geschah , so war es unter seltsamen verworrenen Begriffen .
Ach , ich glaubte , es sei noch Zeit genug an ihn zu denken , wenn ich aufhörte jung zu sein , wenn die Welt mich verließe !
Jetzt , jetzt , lieber Mann , denke ich an Gott ; aber seine Schrecken haben meine Seele ergriffen !
Er wird mich verstoßen !
Sagen Sie , sagen Sie , - rief sie fast brüllend , - wird er ?
Ich sagte ihr , was ich unter solchen Umständen für das Schicklichste hielt .
Mein Herz war durch ihren dringenden Ton , in welchem wilde Verzweiflung lag , im Innersten zerrissen .
Sie wagen es nicht , mir Gnade zu versprechen ? -
fing sie erschöpft an ; - sagen Sie , sagen Sie_es nur , ich bin verworfen !
Sie weinte händeringend , und versank dann in stilles Nachdenken .
Bald nachher begann sie in einem Selbstgespräch mit erschöpfter Stimme : ach , daß ich von dem ärmsten Bauer geboren wäre ! jetzt wäre ich gesund , und litte nicht diese Höllenqualen !
Arme Grüntal , auch Dich zog ich mir nach !
Die schreckliche entscheidende Stunde ist da ! -
rief sie nach einer Weile , richtete sich im Bette auf , und sah fürchterlich wild um sich ; - betet , betet , alle , alle , alle ! -
Ich rief den Arzt , dem es gelang , sie zu beruhigen , und bald verlangte sie nach Ihnen und ihrem Gemahl .
Von ihrem Vater will sie nicht hören ; er hat , ihrer Aussage nach , an ihrem Elende Schuld .
Jetzt hat sie Kaffee verlangt , und , - ach , daß ich es sagen muß ! -
sie spottet des Todes , und verbietet mir den Zutritt , weil , wie sie sagt , meine traurige Gegenwart sie auf Schreckbilder führt , und ihre Phantasie verwildert .
Sie würden sehr wohl tun , liebe Demoiselle , wenn Sie Ihre sterbende Freundin besuchten .
Das Sterbebette derselben wird gewiß einen recht gesegneten Einfluß auf die Festigkeit Ihrer christlichen Gesinnungen haben , u. s.w . "
Julchen flog auf den ersten Wink zu ihr .
Kaum nahm sie von Karolinen Abschied .
Für mich hinterließ sie einen trockenen Zettel , der mir übergeben werden sollte , wenn ich anfinge mich zu besseren .
Er enthielt nur Worte und Komplimente , die das Vaterherz von einer nur zu geliebten Tochter zu tief verwundeten , als daß ich sie wiederholen könnte .
Herr von L.. weigerte sich standhaft , Mariane noch einmal zu sehen .
Er würde sich vielleicht entschlossen haben , ihrer Bitte zu willfahren ; -
denn hassen konnte er so wenig als lieben , dazu sind diese Weltmenschen meist zu karakterlos , - aber es wäre eine Unterbrechung seiner Freuden gewesen , hätte ihn vielleicht traurig machen , und einen störenden Rückblick auf sich selbst veranlassen können .
Auf Erden war ihm nichts verhaßter , als Traurigkeit ; und so versagte er der Person , die er so sehr geliebt hatte , den Trost , den er ihr schlechterdings schuldig war .
Sie starb , ohne ein Wort der Versöhnung von ihm zu hören .
Nach einigen Monaten wich die Krankheit von mir , aber meine Nerven waren so geschwächt , daß ich nur wenige Personen um mich leiden konnte .
Der leiseste Fußtritt schien mir zu hart , die bedachtlichste Bewegung zu jähe .
Alle Vorstellungen der letzten Ereignisse vor meiner Krankheit waren wie weggewischt aus meiner Seele .
Mit desto frischeren Farben malte dagegen meine Imagination die Bilder meines vormaligen glücklicheren Zustandes mir vor , besonders die Jähre meiner ersten Ehe .
Mit kindischem Behagen hing ich an Kleinigkeiten , welche mir damals wert gewesen waren ; ich konnte ein Glas , eine Tasse stundenlang betrachten , und eben so war auch das Bild meiner ehedem so guten und unschuldigen Tochter in mir aufgelebt .
Ich führte mir selbst Veranlassungen herbei , wodurch ich Gelegenheit bekam , ihren Namen recht oft zu nennen .
Schlummernd streckte ich meine Hände nach ihr aus , und fuhr auf , wenn ein Wagen kam , weil ich mir vorstellte , sie würde mich liebevoll überraschen wollen .
In jedem Gesicht suchte ich Nachricht von ihr , und zürnte wie ein Kind , wenn ich mich getäuscht fand .
Sehnsuchtsvoll war mein Auge unablässig auf die Tür gerichtet , wo ein Brief hereingebracht werden konnte .
Endlich sagte meine Frau :
es wäre gleich zu Anfange meiner Krankheit einer von ihr angekommen .
Es war der eiskalte , dessen ich schon erwähnt habe .
Wie unbefriedigend für so heiße Erwartung !
wie kalt und unkindlich sie über meinen Zustand spricht ! wie gezirkelt und geziert ! -
Voll Widerwillen warf ich den Brief auf die Seite , nahm ihn hundertmal wieder vor , und suchte endlich im Umschlage , ob ich da nicht noch ein tröstlicher Wort fände .
Mir entfuhren Klagen darüber in Gegenwart meiner Frau , so behutsam ich sonst auch darin gewesen war .
" Es ist noch ein anderer Brief da , " sagte sie unbesonnen herausfahrend ; " den soll ich Dir aber erst geben , wenn Du völlig genesen sein wirst . "
Von Julchen ? rief ich , hastig gegen sie hinfahrend .
" Ihre Hand ist es nicht , " sagte sie ; " Du mußt Dich aber gedulden , denn es steht ausdrücklich auf dem Umschlage , daß Du den Inhalt nicht eher wissen darfst , bis Du völlig wieder hergestellt bist . "
Der Brief war auch wirklich in einen Umschlag an Fritz , und enthielt diese Weisung .
Nun stellen Sie sich leicht vor , daß ich nicht eher Ruhe hatte , bis ich den traurigen Brief halb erbettelt und halb erscholten hatte .
Ich erkannte sogleich Karolinens Hand .
Mein Herz klopfte als wollte es aus seiner Höhle , und meine Hände zitterten so , daß ich das Siegel kaum erbrechen konnte .
Hier ist er , seiner ganzen Länge nach :
" Bester Onkel !
Sie werden hoffentlich weder den Entschluß , von dem ich Ihnen jetzt Nachricht geben will , noch die Empfindungen , die ihn veranlaßten , überspannt finden , wenn ich Ihnen eine treue Darstellung meiner , oder besser , unserer Lage werde vorgelegt haben .
Da Sie selbst mich sonst schon die Besonnene - zu nennen pflegten , so werden Sie es jetzt meinen reiferen Jahren nicht zutrauen , daß ich mich durch einen raschen Entschluß um diesen Namen sollte bringen wollen .
Doch Ihre Erwartung muß nun aufs höchste gespannt sein ; ich verschone Sie mit einer umständlicheren Einleitung , und beginne mit der Geschichte der letzten Monate , die ich Ihnen - vielleicht aus strafbarer Weichlichkeit - verschwieg ; welches ich mir aber aus Selbstgefälligkeit als kluge Schonung anrechnete .
Ich hoffte durch eine lange Unterdrückung meines leidenden Gefühls das alte schicklichere Verhältnis wieder herzustellen , duldete und schwieg ; da wurden aber meine Leiden größer , als meine Kräfte .
Ich kämpfte manchen bitteren Kampf , und warf mich endlich in meiner Not dem allgütigen Tröster in die Arme .
Die Überlegung , daß diese Leiden gewiß zu meiner Erziehung für einen vollkommeneren Zustand nötig seien , beruhigte mich nach und nach ; und das Ende aller meiner heimlichen Kämpfe , und , Gott gebe ! auch meiner Leiden , war der Entschluß , der jetzt fest und unbeweglich vor meiner Seele steht : meine nun für es ganze Leben gekränkten Rechte einer Geliebteren abzutreten . "
Sie können sich vorstellen , lieben Freunde , unterbrach sich hier Grüntal , daß diese Vorrede , die mich auf etwas Außerordentliches und Unerwartetes vorbereiten sollte , mich fast vernichtete .
Doch schlüpft ich leise darüber weg , um nur das Wesentliche zu erfahren .
" Ich gestehe , " ( fährt Karoline fort ) , " daß mir , als ich meiner Cousine mein Haus anbot , kein Schatten von einigem Mißtrauen gegen ihr Betragen und meines Mannes Grundsätze in die Seele kam .
Ich glaubte an seine Liebe , weil ich die meinige zu ihm kannte .
Vielleicht wäre ich auch nie aus dem süßen Traume geweckt worden , hätte nicht mein Karl Gelegenheit gehabt , das , was er für mich fühlte , was er wohl selbst für Liebe hielt , mit der Leidenschaft zu vergleichen , die ihm der stündliche Anblick und Umgang mit einer jungen , vollkommen schönen Person einflößte .
Und diese junge Person , mein Onkel , wollte gefallen . "
Hier schildert nun meine Nichte die Fortschritte der gegenseitigen Leidenschaft bei Beiden , wie sie solche hat bemerken können .
- Der Brief ist lang ; ich übergehe , was dir zum Teil schon selbst haben bemerken können , und einige lebhafte Auftritte , welche das Verhältnis anschaulich machen , die Sie in Julchens Briefe an Mariane gelesen haben .
" Gott weiß es , " - schreibt nun die Nichte weiter , - " daß mir nicht ein Wörtchen , nicht eine Klage , die Unmut oder Bitterkeit verriet , entfuhr .
Ich duldete und schwieg .
Wenn etwas einem Vorwurfe ähnliches geschah , so war es lediglich meine sich immer gleichbleibende Liebe und Gefälligkeit im Umgange .
Ich suchte keinen Vertrauten meines Kummers .
Sie wissen , lieber Onkel , daß man dann sein Herz mit um so vollem Vertrauen dem hingibt , der allein aus der Angst erretten kann .
Ihm übertrug ich meine Angelegenheit , ich wage nicht , zu sagen , mit Ergebung ; denn wenn mein Mund dies Wort aussprach , widersprach mein empörtes Herz , und schauerte erschrocken bei der Vorstellung zurück , daß vielleicht mein ewiges Los an der Trennung von dem Manne hängen könnte , den ich noch immer über alles liebte .
- Ich gestehe daß Julchen wirklich zurückhaltender gegen meinen Mann schien , als ich sie einst mit tausend Tränen gebeten hatte , dem unsäglich Schwachen auszuweichen .
Meine Lage wurde nur noch peinlicher ; denn nun ließ er mich Julchens scheinbare Zurückhaltung entgelten , und war herrisch und auffahrend .
Sie vermochte nicht , seinen Trübblick aufzuheitern , sie näherten sich einander noch mehr , und von nun an wurde ihr Umgang von Tage zu Tage inniger .
Mir begegneten sie mit kalter erkünstelter Höflichkeit , die mir in die Seele schnitt .
Doch blieb ich unerschüttert fest dem Vorsatze treu : meines Mannes Herz durch keinen Vorwurf von mir zu entfernen , oder ihm durch mürrisches Wesen einen Vorwand wider mich zu geben .
Ich weiß , daß meine arme Mutter durch sanfte Nachgiebigkeit und Geduld meines Vaters Herz sich wieder gewonnen hatte .
Bei dem allen war ich mir und uns allen vor den Augen unserer Bedienten , die für die Geheimnisse und Fehler ihrer Herrschaft nur zu scharfe Augen haben , eine Schonung und Behutsamkeit schuldig , die meine Lage mir unendlich erschwerte .
Dieser Zustand dauerte , bald trüber bald erheiterter , bis zu Julchens Abreise zur sterbenden Mariane .
Den Abend vorher verschaffte mir ein unvergeßlicher Auftritt jene traurige Aufklärung über die Gesinnungen , auf die ich von Seiten meines Mannes jetzt nur noch zu rechnen hatte .
Ich war mit Anstalten zu Julchens Reise beschäftigt ; denn ich nahm ihr immer gern ab , was sie ungern selbst tat .
Als ich damit fertig war , suchte ich sie , wegen noch einiger Verabredungen , in ihrem Zimmer auf .
Ich fand sie nicht .
Mein Hausmädchen sagte mit schlauem bedeutendem Blicke :
» Mamsell Grüntal ist bei dem Herrn ; sie lesen wieder mit einander . «
Ich unterdrückte den Unwillen , der in mir aufstieg , und ging , so gefaßt als es mir nur möglich war , dahin .
In meines Mannes Arbeitszimmer waren sie nicht ; aber in dem anstoßenden Kabinette hörte ich ihre Stimmen , und , - ja , ich muß nur gestehen , daß ich es tat , - ich blieb vor der Tür stehen .
Sie lasen wirklich .
Karl deklamierte ihr mit dem feurigsten Ausdrucke , in einer der Sache anpassenden Stellung , eine Szene aus Göthe's Stella vor .
Sie kennen den verführerischen Reiz des Ausdrucks in diesem Stücke .
- Wechselsweise las Karl und Julchen .
Ich hatte vorher noch nie ihren Ton sich so bis zur höchsten Leidenschaft erheben hören .
Sie saßen auf einem , der Tür gegenüberstehenden , Sofa , sich fest umschlingend . -
O , mein Gott , wie wankte ich zurück ! wie weh tat dieser Anblick meinem armen Herzen , das den Leichtsinnigen nicht fassen konnte !
Sollte ich nun hineindringen , die Falschen beschämen , oder den Ausgang dieses gefährlichen Auftritts abwarten ?
Ich entschloß mich zum letzteren .
» Wenn Karoline , « sagte der Liebhaber , » eines solchen Opfers fähig wäre ! «
- » Ach , « seufzte das liebetrunkene Mädchen lispelnd , » das kann sie nicht ! wo schlägt ein Herz , das sich zu einer solchen Selbstverleugnung groß genug fühlte ? «
- Sie schmiegte sich enger an ihn , ich sah es in einem verräterischen Spiegel ; und nun eine Stille , in der für mich Todesqual lag .
» Wenn ich nun Karolinen meine ganze Kälte , meine Abneigung mit ihr zu leben , meine glühende Liebe für mein göttliches Mädchen , etc. blicken ließe , auch dann sollte sie mich nicht loslassen können ? glauben Sie es nicht , Liebste ? «
- » Nein , nein , sie wird , sie kann es nicht ! «
- » O , glauben Sie mir , Teuerste , das gute Weib liebt mich zu innig , als daß sie sich meinem wahren Glücke in den Weg stellen sollte .
Ihre Begriffe von Edelmut und Heldentugend sind zu romantisch gespannt , als daß sie sich nicht zu dieser Höhe sollte erheben können . «
- » Ja , besonders wenn sie erst ein paarmal Betstunde gehalten hat ! « sagte Julchen höchst bitter . -
O , wahrlich , dies , dies verdiente ich nicht um sie ! mein Onkel , dies verwundete mein Herz in seinem edelsten Teile !
Ich erlag fast , und wie in weiter Ferne tönten mir die Versicherungen ihrer strafbaren Liebe ins Ohr .
Ich vergoß die bittersten Tränen , die ich in meinem Leben geweint habe .
Es wird Sie in Erstaunen setzen , lieber Onkel , daß ich Mut genug hatte , einen solchen Auftritt auszuhalten .
- Ungewöhnliche Vorfälle geben der Seele ungewöhnliche Kräfte , so wie auch die physischen Kräfte bei gewaltsamen Zumutungen des Schicksals sich auf einen wirkenden Punkt konzentrieren , und oft wundervolle Stärke äußeren .
Ich würde aber schwerlich im Stande sein , Ihnen die wild durch einanderlaufenden Vorstellungen und Entschlüsse dieses Momentes auseinanderzusetzen .
Leidenschaften , stark , wie ich sie zuvor nie in mir bemerkt hatte , erhoben sich in meinem Innersten , und wurden von ganz entgegengesetzten verdrängt .
Jetzt , da ich die ganze schmerzliche Szene noch einmal durchempfunden habe , fühle ich hell und bestimmt , was zu der Zeit dunkel in mir aufstieg : daß ich mir weiter kein Glück in der Verbindung mit einem Manne versprechen dürfe , dessen Herz mich entschieden aufgegeben habe , und für eine Andere schlüge .
Überraschung der Sinnlichkeit hätte ich der schwachen Menschlichkeit verziehen ; aber einen durchdachten Plan !
Ich sah eine Zukunft voll der bittersten Leiden und anhaltender Kämpfe voraus , wenn ich mich seinen Absichten widersetzte ; also ein Kampf , für tausend , die ich vielleicht in der Folge nicht immer bestehen würde .
Oder sollte ich ruhig seiner Wiederkehr warten ? zufrieden sein mit dem Teile seines Herzens , welcher der Hausfrau bliebe , wenn irgend Krankheit oder Unfall ihn der Geliebten gleichgültig gemacht hätte ? -
Sein Glück ist mir teurer als mein eigenes ; ich will ihm das Opfer ruhig und freiwillig bringen .
Er gehöre der Geliebteren .
Ich wagte aber nicht , den im Tumulte so mannigfacher Leidenschaften gefaßten Entschluß auszuführen , bis er durch öfteres Beschauen und kaltes Betrachten zu besserer Reife gediehen war .
Doch , er siegte in allen Prüfungen , und jetzt erwartete ich nur eine schickliche Gelegenheit , um ihn den Hauptpersonen mitzuteilen .
Sie ereignete sich einige Wochen nach Julchens Abreise .
Mein Mann war nicht zu Hause , als ein Brief von Julchen an ihn ankam .
Ich unterlag der Versuchung , ihn zu lesen , nicht ; denn nun stand es deutlich vor mir , daß ich ihn zur Ausführung des Plans nützen könne , der bis zum Erkranken meiner physischen Kräfte in mir arbeitete .
Nach Tische pflegte mein Mann in seinem Zimmer zu arbeiten ; ich ging zu ihm , gab ihm den Brief , und beobachtete ihn dabei so ruhig als möglich .
Er wurde über und über rot ; es versetzte ihm den Atem , er zitterte , besah das Siegel , und legte ihn hin .
» Nun ?
es ist schon gut , Frauchen ; « sagte er , und tat als wolle er fortarbeiten .
- Ich ging zur Tür , und blieb stehen .
Er sah sich , gebückt wie er saß , nach mir um , und sagte etwas ungeduldig :
» Nun ? «
Ich sagte in einem vielleicht wankenden Tone , - denn seine Betroffenheit richtete meinen sinkenden Mut auf : - ich dachte , der Brief sei von Julchen , und da wüsste ich doch gern , wie_es ihr geht .
» Von Julchen sollt ' er sein ? « sagte er , den Kopf schüttelnd , als hätte er es nicht gleich gesehen ; » hm ! «
- - Erbrich ihn doch , lieber Karl , er ist gewiß von ihr . -
Nun musste er wohl , aber nur mit flüchtigen Blicken durchlief er ihn ; ich bin gewiß , er faßte kein Wort von dem Inhalte .
Die Hände zitterten ihm ; er erblaßte .
Weiter wollte ich die Rache nicht treiben ; ich trat vor ihn hin , und da ich meiner Stimme Festigkeit genug zutraute , nahm ich seine Hand mit der wahrsten Gutmütigkeit , und sah ihm mitleidig ins Auge , denn sein Zustand , in welchen ich mich ganz versetzte , ging mir tief zu Herzen .
Dann sagte ich : lieber , lieber Mann , glaubst Du , daß ich Dich mehr wie mein Leben , mehr wie mein irdisches Glück liebe ?
Ich schlang meinen Arm um ihn .
Er sah mich verwundert an ; die Frage : » was das werden sollte ? « schwebte auf seinen Lippen , doch fragte nur sein Auge .
Jetzt legte ich ihm unser verstimmtes Verhältnis rein und deutlich vor ; er unterbrach mich nur selten , bewunderte zwischendurch , was er meine Großmut nannte , verteidigte sich nur schwach wenn ich seiner Leidenschaft erwähnte , und widersprach meinem Entschluss , ihn der geliebteren Juliane abzutreten , gerade nur so viel , daß er dann um so schicklicher zu einer Lobeserhebung meiner Seelengröße , und zu einem Dank , worin sich die glühendste Leidenschaft für meine Nebenbuhlerin ergoß , übergehen konnte .
Ich leugne nicht , daß ich betroffen und höchst bewegt wurde , da er anfing die Trennung von der juristischen Seite zu betrachten , und unter einigen Punkten , welche sie erleichtern würden , auch den meiner schwächlichen Gesundheit anführte , die mich zur Bestimmung des Weibes , im weiteren Umfange , unfähig machte ; aber diese Bemerkung diente zugleich , mich in meinem Entschluss zu bestärken , da ich wohl einsah , daß ich jetzt noch freiwillig geben konnte , was man mir in der Folge herrisch abgefordert haben würde .
Ich sah nur zu klar , daß ihm die Vorstellung der Trennung nicht mehr neu war ; ich war ihm bloß zuvorgekommen .
Ich überließ ihm , der Geliebteren das Resultat dieser peinlichen Unterredung zu melden ; und übernahm es , sie zu ihrer Einwilligung zu bewegen .
Da Ihre Liebe zu mir , mein Onkel , derselben im Wege stehen könnte , so beteure ich Ihnen heiligst , daß ich auf keinen möglichen Fall bei ihm bleiben werde .
Auf Glück und häusliche Freuden müßte ich , bei meiner Art zu empfinden , für immer Verzicht tun .
Meine Vermögensumstände lassen es ebenfalls zu .
Ich will nicht unnütz in der Welt sein ; eine kleine Stadt in Ihrem Kreise soll mich aufnehmen , und ich will junge Mädchen lehren , gute Frauen und Mütter zu werden .
Ich will erziehen und bilden .
Unschicklich wäre es auf jeden Fall , wenn Julchen jetzt in unserem Hause lebte ; darum ist beschlossen , daß sie sich bis zur Entscheidung bei ihrer Madame Brennfeld aufhalten soll .
Wenn Sie bedenken , daß sie nun mit einemmal den Gefahren entrissen wird , so muß das einen Stein von Ihrem Herzen wälzen .
Der arme Eiche ! wie wird sein ehrliches Herz von neuem bluten ! -
Man wird freilich in Gesellschaften diesen seltenen Fall Beträtschen ; aber irgend ein Wochenbett oder neues Schauspiel wird auch diese neue Mär verdrängen .
Ich füge noch hinzu - denn , erfahren müssen Sie es doch : - mein Mann hat geeilt , die Sache unwiderruflich zu machen .
Die Scheidepunkte sind schon eingegeben .
Gott stärke uns alle ! etc . "
Es fällt mir schwer , ja fast unmöglich , Ihnen den Eindruck zu schildern , den diese höchst unerwarteten Nachrichten und Äußerungen meiner Nichte auf mich machten .
Gänzliche Betäubung , Stillstand , Hemmung aller meiner Seelenkräfte könnte ich meinen damaligen Zustand am füglichsten nennen .
Diesem , und der vom hitzigen Fieber zurückgelassenen Abspannung meiner Nerven muß ich es wohl zuschreiben , daß ich an Falken , an Karolinen und meine Tochter in unbestimmten , der Stärke meiner Mißbilligung wenig entsprechenden , Ausdrücken schrieb , und mich leidend verhielt , weil ich nichts mehr abwenden zu können glaubte .
Mein , in gesunden Tagen nicht unwirksamer , Geist war ohne Spannkraft , und ich gab es auf , dem immer zunehmenden Leichtsinne meiner Tochter entgegenzustreben .
Sie hat Ehre und Tugend aufgegeben , was wird ihr ferner Kindespflicht sein ? -
Ich gab stillschweigend zu , was ich nicht hindern konnte , und was sie , ohne mich zu fragen , getan haben würden .
Mein Unvermögen , über die verhaßte Sache mich deutlich auszulassen , war so groß , daß ich mich in meiner Antwort an Karolinen sogar ganz kurz faßte , und mich in nichts Bestimmtes einließ .
Meine sonstige Empfindlichkeit war bis zum Stumpfsinn verhärtet .
Das liebende Paar hatte sich auf gewaltigen Sturm meiner Seits gefaßt gehalten ; nun gerieten beide in unnennbares Entzücken , da sie mich wider Erwarten so bereitwillig fanden , ihre feurigsten Wünsche zu befriedigen .
So drückten sie sich in ihren Briefen an mich aus .
Julchen hatte im Herzen immer nicht gezweifelt , daß ich aufrichtig ihr Glück wolle .
Sie zierte sich unausstehlich , sprach vom unwiderstehlichen Drange gleichgestimmter Seelen , von erstaunlichem Kummer , vielleicht betrüben zu müssen , und von der höchst traurigen Notwendigkeit , der besten , edelsten Frau einen geliebten Mann zu rauben . -
Meine Freunde , erlassen Sie mir eine zergliederte Erzählung meines Jammers .
Ich eile über diesen Zeitpunkt leise hinweg ; es ist der schmerzlichste Teil meiner Wunde .
Diese , meinen Abscheu erregenden , Briefe beantwortete ich gar nicht .
Die Scheidung ging bei Zustimmung der Parteien leicht vor sich .
Indes war Julchen von Mariane zurückgekommen .
Das arme , von Grund aus verwahrloste Geschöpf war den jammervollen Tod gestorben , der die unausbleibliche Folge schwankender Begriffe über die Zukunft , und eines tief verletzten Gewissens ist .
In den Augenblicken , wo sie sich mit der Rückkehr ins Leben geschmeichelt hatte , waren ihre guten Entschlüsse und ihre Reue über die Torheiten ihres Lebens wieder in phantastische Träume eines bunten Welttaumels übergegangen , worauf sie noch rechnete .
Der redliche Prediger , ihr Beistand , wurde hart angelassen , weil seine Gegenwart sie an den Tod erinnerte .
Als sie aber fühlte daß ihr Herz brechen würde , rief sie ihn mit aller Kraft , deren sie noch fähig war , und umklammerte seine Hände , als ob er sie retten und für sie sprechen sollte .
So starb die Unglückliche , mit Verzweiflung ringend ; und Julchen hatte von diesem warnenden Sterbeauftritte weiter keinen Nutzen , als daß sie ihre Briefe an die Verstorbene zurückerhielt , eine Woche weinte , und dann wieder abreiste , um sich bei Madame Brennfeld so lange aufzuhalten , bis der Wohlstand verstatten würde , die unselige Verbindung zu vollziehen .
Madame Brennfeld nahm ihre ehemalige Untergebene triumphierend und mit offenen Armen auf .
Falk hatte sie schon von der anstößigen Geschichte unterrichtet , und sie hatte sich selbst erboten , die Demoiselle aufzunehmen , damit die Dehors gerettet würden ; denn im Grunde ( glaubte sie ) käme doch alles nur auf die Meinung der Welt an , und ständen wir bei dieser gut , so sei unsere Wohlfahrt fest genug gegründet .
Übrigens könne man es einem so liebenswürdigen Manne nicht verdenken , wenn er sich von der Himmelsstürmerin ( Karolinen ) lossagte .
Diese Heiligen , die bei jedem Schritte zusähen , ob sie auch nicht fallen würden , wären ihr in der Seele zuwider .
Julchen habe außerordentliche Fortschritte in dem Gebrauch ihrer Vernunft gemacht , und sie sei doch nun endlich ein selbstständiges Wesen geworden , das die traurige Anhänglichkeit an verjährte Vorurteile glücklich abgeschüttelt habe . -
So ungefähr urteilten auch die feinen Gesellschaften und Klicken .
In anderen tadelte man Karolinens Nachgiebigkeit , als strafwürdige Schwäche , die ein böses Beispiel gäbe .
Nur der würdige Eiche und einige ganz vertraute Freunde bewunderten die Größe ihres Entschlusses , und ihre edle Beharrlichkeit , die um so rühmlicher war , da sie , ihres Mannes und ihrer Nebenbuhlerin zu schonen , alle diese schiefen Urteile hinnahm , ohne ein Wort zu ihrer Rechtfertigung zu verlieren .
In dieser unglücklichen Zeit erhielt ich viele Briefe von Eichen , in welchen er , bei dem redlichen Bestreben , mich zu trösten , mit großer Delikatesse über die traurige Angelegenheit sprach , die er freilich ohne Affektation nicht ganz mit Stillschweigen übergehen konnte ; aber aus der Heiterkeit , die er vorgab und mir mitzuteilen suchte , blickte ein tief angegriffenes Herz hervor .
Ich fühlte es immer schmerzlicher , daß dieser Vortreffliche nicht mein Schwiegersohn geworden war .
Die Heirat , die ich mehr als den Tod verabscheute , wurde durch einen Vorfall beschleunigt .
Madame Brennfeld hatte in einem schwachen Augenblicke vergessen , daß ihr an der Meinung der Welt alles liegen müsse .
Jetzt wurde sie von einem Vorfalle überrascht , der , so klein er war , doch gewaltig viel Lärmen machte . -
Unverblümt : - sie genas eines kleinen Weltbürgers , den sie , zufolge ihres hellen Vorurteilfreien Geistes , der sich über die Fesseln hergebrachter Konvenienzen zu erheben wußte , mit herzlicher Freude aufnahm .
- Nur der Umstand störte ihre Mutterfreude , daß der Ritter sich durchaus nicht zur Vaterschaft verstand , sondern sie einem jungen Israeliten zuschob , welcher der Dame Logik und Anfangsgründe der Mathematik beigebracht hatte .
Doch , auch über diese Verlegenheit schwang ihr fesselfreier Geist sich hinweg ; war die Vaterschaft streitig , so war doch ihre Mutterschaft keinem Zweifel unterworfen .
Sie freute sich der Frucht ihrer gelehrten Vorlesungen , erzog sie selbst ganz öffentlich , und ließ das Problem unaufgelöst .
Indes war die Welt weniger tolerant , als die Dame vermutet hatte .
Sie , die für jedes Laster , jede Abweichung von dem Wege des Guten einen toleranten Spruch hatte , wurde jetzt mit unerbittlicher Härte verdammt , und die Eltern nahmen in möglichster Eile ihre Kinder zurück .
Auch Falk , diesem tugendhaften Manne , gab dies einen erwünschten Vorwand ; er eilte , sein Julchen zu holen , und , um den Wohlstand zu retten , ließ er sich , in Gegenwart einiger Zeugen , sogleich mit ihr trauen , welches ihm gegen Erlegung einer namhaften Summe nicht verweigert wurde .
Nun sollte ich hinterher meinen väterlichen Segen schicken . -
Ach Gott ! durfte ich ihnen denn fluchen ? -
Karoline hatte mit einer ehrwürdigen Seelengröße ihren Vorsatz ausgeführt ; sie kam aber nicht zu mir , aus Besorgnis , dies würde nur unseren gemeinschaftlichen Gram nähren .
Ich selbst wurde , ungeachtet des inneren Kummers , den ich in keiner Stunde meines Lebens ganz vergaß , nach und nach wieder hergestellt .
Meine Söhne , die trefflichen Jungen , taten alles , um mir Ersatz für die verwahrloste Tochter zu sein ; auch nahm ich mir ganz im Ernste vor , nun weiter nicht eigensinnig auf Freuden von der Seite her zu bestehen , sondern meine Söhne desto inniger an mich zu schließen .
In meiner häuslichen Verfassung fanden sich auch mancherlei Zerstreuungen .
Eine von der Regierung niedergesetzte Kommission , die Ämter und Pachtungen zu untersuchen , nahm mir viel Zeit weg .
Es vergingen anderthalb Jahre , in welchen ich bloß durch einen seltenen Briefwechsel Nachricht von den Turteltäubchen aus der Stadt bekam .
Ein bei der Kommissohn befindlicher Rat hatte mir zwar zu verstehen gegeben , daß Falk's Umstände die besten nicht wären ; - - aber der Schlag war mir nichts desto weniger höchst unerwartet und betäubend , da ich das Ehepaar in den öffentlichen Blättern als Verschwender bekannt gemacht fand .
Dieser Umstand entflammte meinen ganzen väterlichen Zorn aufs neue .
Nun , ( dachte ' ich ) wenn ich denn züchtigen soll , so sei es ; ich will den Elenden sehen , und meine Vorwürfe sollen ihn bis aufs Blut martern .
Ich warf mich aufs Pferd , ohne meiner Frau Bescheid über mein Vorhaben zu geben .
Ich trieb mein Tier bis zum Stürzen , eilte zur Stadt , und lief dann mit schwankenden Knien und bebenden Lippen nach Falk's Wohnung .
Auf dem Wege dahin ordnete ich die Vorwürfe , die ich dem schändlichen Menschen der Reihe nach machen wollte :
Julchens zerstörtes Glück , meinen Frieden , alles , alles ! -
Ich fand alles verschlossen und versiegelt ; es war niemand da , der mir Bescheid gegeben hätte .
Schon wollte ich wieder fort , als aus einer Hintertür eine Matrone hervorkroch , und mich bat , in ihre Stube einzutreten .
Ich hütete mich zu sagen , daß ich der Vater wäre ; und so hörte ich denn Nachrichten , die den Kältesten und Gefühllosesten bis aufs Mark erschüttert haben müßten .
Von der Hochzeit an war es ein Jubilieren ; heute Ball , morgen Konzert , den dritten Tag Konversation , und die Zwischenzeiten wurden in den Ressourcen vertrödelt .
Die junge Madame war immer tiefer in diese Lebensart verwickelt worden .
Herr Falk äußerte Mißbilligung und Eifersucht ; der Hausfriede war gebrochen und das Übel ärger geworden .
Darauf habe Herr Falk ein schönes junges Mädchen ins Haus genommen , unter dem Vorwande : seine Frau brauche bei ihrer vornehmen Lebensart eine Kammerjungfer .
Diese habe er gar prächtig gehalten .
Dagegen habe Madame , um sich zu rächen , Besuche von einen vornehmen Russen angenommen , von diesem große Geschenke erhalten , wie denn überhaupt dessen Freigebigkeit die Wirtschaft noch eine Zeitlang zusammengehalten habe .
Mit einemmal sei es aber stiller geworden ; Falk verbrannte Schriften , die Madame hielt sich inne und weinte ; es habe verlauten wollen , der Herr werde arretiert werden ; indes sei er in der Nacht mit der hübschen Kammerjungfer verschwunden .
Die Madame habe nicht viel Wesens daraus gemacht .
Den Abend danach , als schon alles versiegelt gewesen , und man stark vermutete , die Dame werde mit ihrer Person für den Mann haften müssen , sei sie in einer Reisekutsche mit sechs Extrapostpferden weggefahren .
Wohin ? wisse niemand ; doch wollten einige Nachbarn den Kammerdiener des Russen im Wagen gesehen haben .
Nur die Furcht , mich zu verraten , hielt mich bei Anhörung dieser zermalmenden Erzählung aufrecht .
Gott !
Gott ! meine arme tief gesunkene Tochter ! -
O , der heillosen Leichtgläubigkeit , die sich durch schwache und kurzsichtige Freunde hinhalten ließ , bis das Übel zu dieser fürchterlichen Größe anwuchs !
Unerfahrener Eiche !
Leichtgläubige Karoline !
Doch Ihr meintet es gut ; ich , ich allein war der Narr , der von seinem Schoßkinde gern das Beste glaubte !
Aber diese fürchterliche , diese alle meine Kräfte übersteigende Strafe verdiente der arme , schwache und liebevolle Vater doch nicht !
O , mein Herz ! mein Herz ! -
- Aus der Alten , die mir diese Nachrichten mitteilte , brachte ich noch Tag und Stunde ihrer Abfahrt heraus .
Ich lief , ich flog auf die Post , und erfuhr , daß um die bezeichnete Stunde der russische Fürst *** abgereist war .
Ich ging nicht lange mit mir zu Rate , schrieb meiner Frau kurz weg : meine Angelegenheiten erforderten eine weite Reise ; dann aber nahm ich Extrapost , und verfolgte ihre Spur bis in Livland .
Der Fürst hatte sich einige Tage bei einem Verwandten aufgehalten , und in Riga war ich ihnen schon nahe auf der Ferse .
Durch einen zurückgelaßenen Jäger hatten sie erfahren , daß ihnen jemand nachsetze , und aus der Beschreibung , die der Mensch von mir machte , mußte meine Tochter mich erkannt haben .
In Riga wurde mir im Posthause folgender Brief eingehändigt :
- doch , lesen Sie ihn selbst , lieber Seelmann ; er bricht mir immer noch das Herz .
Seelmann und seine Frau lasen den Brief stillschweigend .
Grüntal verbarg indes sein Gesicht , und schluchzte laut .
" Ich weiß , daß mein Vater mich einzuholen sucht .
Was soll ihm eine Tochter , die seine Tochter nicht mehr sein kann , da sie so entstellt ist ? -
Dem mit Recht erzürnten Vater auszuweichen , würde ich bis ans Ende der Welt flüchten .
Tief im entferntesten Rußland werde ich meine Schande vergraben .
- Des Vaters Strafe und seine Güte würden mich in gleichem Grade elend machen .
- Ich bin ja nicht mehr wert , von Vateraugen gesehen zu werden .
Schande , Elend und Gewissenspein werden die Beleidigung aussöhnen ; für mich ist auf ewig alles , alles verloren !
- Ich wollte lieber sterben , als je wieder in dem ehemaligen Zirkel meines besseren und schuldloseren Lebens der Demütigung und Verachtung preisgegeben sein .
O Lindenau !
O du Grab meiner Mutter ! - -
Für mich ist alles dahin ! -
Dies ist das letzte Lebewohl , das die zerdrückte , vernichtete Tochter dem - ach ! dem unaussprechlich unglücklichen Vater zuruft !
Juliane . "
Nach langer , ängstlicher Pause brach Grüntal , als er sprechen wollte , wieder in einen Strom von Tränen aus .
Ich fand ihre Spur nicht wieder ; ich habe nie erfahren - - sprach er aus tief beklommener Brust .
Leben Sie wohl , meine Freunde . -
Er sprang ungestüm auf , und stürzte durch die Tür .
Seelmann wollte ihm nach ; aber er war schon zum Hofe hinaus , und sein Fußtritt schallte ihnen nur noch aus der Ferne zu .
Er eilte in einer finsteren regnerischen Nacht allein und zu Fuß nach Hause .
Zweiter Teil Zweiter Teil Minna und ihre Freundin genossen nach einem schwülen Tage die Kühle des Abends , unter der Linde vor dem angenehmen Landhause , welches die Freundin bewohnte , und in dessen Nähe Minna ein mäßiges Gütchen besaß .
Schweigend sahen beide in den Mond , der freundlich durch die schöne Akazie blickte , die ihnen gegenüber rauschte .
Es wetterleuchtete in fernen grauen Streifwolken .
Sie lauschten , ob ein Donner ihnen ein gefürchtetes Gewitter drohe ; als plötzlich Minna's Löwenhündchen von ihrem Schoße stürzte und bellend in die Nachtviolenhecke fuhr . -
Eine männliche Gestalt näherte sich , und sagte den beiden Erschreckten mit bescheidener Stimme : " meine gütigen Damen , könnte wohl ein wandernder Handwerker hier ein Obdach gegen das heraufziehende Gewitter finden ?
Die Hitze des Tages hat mich ungewöhnlich ermattet ; ich erreiche vor Mitternacht nicht mehr das nächste Städtchen , und das Wetter würde mich in dem Walde überfallen . "
Die Stimme des Bittenden nahm für ihn ein , und beide Frauen waren geneigt den Müden zu erquicken .
Minna antwortete zuerst : meine Freundin ist hier selbst ein Gast ; aber meine eigene Wohnung ist nicht fern , diese hat Obdach und bequeme Ruhestätte für jeden Rechtschaffenen .
Gehe er dort links , mein Freund ; sage er :
ich schicke ihn ; mein Mann wird ihn gewiß gastfreundlich aufnehmen .
Der Wanderer war indes ihnen näher getreten , und der Mond schien ihm eben silberhell ins Gesicht .
Ida , Minna's Freundin , sah ihn an , und fuhr , wie vor Entsetzen , von ihrem Sitz auf .
Minna erschrak , faßte ihre Hand und fand sie kalt und zitternd .
- " Ida ! um Gottes Willen !
Ida , was ist Ihnen ? "
Nichts , gar nichts , - sie faßte nach dem vor ihr stehenden Glase voll Wasser .
- Mir ist schon wieder wohl ; -
eine entfernte Ähnlichkeit dieses Mannes hat mich erschreckt , weil - weil sie mich erinnerte - - " Woran , Liebe , woran ? " -
rief die lebhafte Minna - O fragen Sie nicht , Teure ! es ist vorüber ; es war nichts ; ein Schattenbild das mich erschreckte .
- Der Reisende stand betroffen und in flehender Stellung da ; es tat ihm wehe die Frauen erschreckt zu haben .
Er sagte nichts , bis Ida ihn fast blöde fragte :
ich bitte , lieber Fremdling , wer ist er ? -
Hat er noch Eltern ?
- Ich bin , wie ich schon gesagt habe , ein reisender Professionist .
Mein Leben und meine Schicksale haben nichts besonders .
Von meinen Eltern lebt nur noch mein alter Vater , den der Gram um eine pflichtvergeßene Tochter vor der Zeit zum stumpfen Greise machte .
Jetzt will ich heim gehen , sein Alter zu trösten .
Ida war in stumme Wehmut versunken ; Minna lobte sein Vorhaben , und gab ihm Anweisung , wie er sich in ihre Wohnung einführen sollte , wohin sie bald folgen werde .
Er ging ; und jetzt erst bemerkte sie , wie ihre Freundin bleich und in Tränen gebadet neben ihr saß .
Auf ihre zärtliche Frage erhielt sie bloß zur Antwort : Erinnerungen , Liebe , Erinnerungen , - sie fielen schwer auf mein Herz , als ich die Bildung dieses Menschen sah , der Ton seiner Stimme durchdrang mich .
Aber nun fragen Sie nicht weiter ; ich will verschmerzen und vergessen .
- Schlafen Sie wohl , Teure , fuhr sie fort , indem sie aufstand ; morgen sehen wir uns wieder .
- Nein , nicht so , meine Ida ; so lasse ich Sie nicht .
Ihr Herz drückt ein ungewöhnlicher Kummer ; es ist mir nicht entgangen , wie oft eine Träne unwillkürlich diese schönen Wangen hinabschleicht ; verschließen Sie Ihr Herz nicht ; gönnen Sie sich den Trost der Teilnahme , nirgends finden Sie sie wärmer , als in dem Busen Ihrer Minna .
Leiden Sie nicht so allein , schöne Seele ! -
Schöne Seele ! wiederholte Ida schmerzlich ; ach ! ich hätte es sein können ; ich - ich würde sprechen , wenn mir Mut gemacht würde . - Würde es Ihnen Mut geben , wenn ich zuerst spräche ? antwortete Minna schmeichelnd .
War Ihre frühere Jugend vielleicht nicht ganz tadelfrei ? drücken Erinnerungen an die Vergangenheit dies arme Herz :
so will ich mit Offenheit vorangehen .
Sie sollen mich kennen lernen , damit auch Ihr Herz sich öffne ; wir werden ein froheres Dasein neben einander haben , wenn wir jede Falte unserer Charaktere kennen .
Morgen Abend beginnt meine einfache , aber in ihren Folgen für mich sehr bedeutende , Geschichte .
Für heute leben Sie wohl , Ihr angegriffenes Herz bedarf der Ruhe .
- Sie schieden voneinander , und gingen eine jede ihrer Wohnung zu .
Als am folgenden Tage die Sonne hinter den Wald gesunken war , und die Dämmerung eintrat , fanden sich unsere Freundinnen wieder unter der freundlichen wertbaren Linde ein .
Ida fragte sogleich mit sichtlicher Bewegung , was aus den Wanderer geworden wäre ?
Gern hätte sie ihn noch einmal gesehen .
- Er zog heute früh mit der Sonne seine Straße , nachdem wir ihm gütlich getan .
Ihre Ursachen mögen sein , welche sie wollen , meine Ida , der junge Mann war interessant .
Ja ich möchte sagen , ich hätte Züge an ihm entdeckt , in Auge und Mund - -
Doch still , still , ihr Gesicht zeigt Besorgnis ; kein Wort mehr davon . -
Lassen Sie uns davon abbrechen , Minna .
Sie bemerken richtig : dies Gespräch quält mich .
Halten Sie lieber Ihr Versprechen ; denn noch frag ich mich oft : wer ist sie ? warum ruht auf dem lieben Gesicht so oft ein Zug stiller Trauer ? warum ist , wenn stiller Gram bei mir sich in unwillkürliche Tränen auflöst , die sympathetische Träne sogleich bereit , aus ihrem klaren Auge hervorzuquellen ?
Minna , länger dulde ich Ihr Schweigen nicht ; denn auch ich suche ein Herz , in welchem ich meinen Kummer niederlegen kann .
Minna wurde unruhig ; schweigend drückte sie der Freundin Hand .
Jetzt nicht , jetzt nicht , Liebe ; was ich zu sagen habe , verträgt nicht dieses Licht .
Wenn die grauere Dämmerung mich schützt , dann - -
Ida lenkte klug das Gespräch auf die große Heerstraße des Alltagslebens hin , und erst als der Mond an den Gipfeln der Bäume dämmerte , begann Minna mit einem aus beklommener Brust hervorbrechenden Seufzer :
" Der liebenswürdige Sonderling von Genf schrieb seine Confession , vermochte aber nicht ihre Bekanntwerdung bei seinem Leben zu ertragen .
Ich stehe im Begriff weit beschämendere Bekenntnisse abzulegen : zwar nicht vor dem Publikum , aber die Beichte ist demunerachtet immer ein Punkt , der große Überwindung kostet .
Wo werde ich Stimme , wo Kraft hernehmen , sie , selbst gegen eine liebende Freundin , auszusprechen ? wo die Ehrlichkeit , da ohne Schminke zu erscheinen , wo die scheue Weiblichkeit sich gern in sich selbst zurückschmiegt .
Aber in einer heiligen einsamen Stunde habe ich es mir zur Pflicht gemacht , Ihnen mein Herz mit allen seinen Verirrungen darzulegen .
Wie stark muß Ihre Liebe sein , wenn sie mich dann noch ferner erträgt .
Sie wird , ja sie ist entschlossen zur entschiedensten Nachsicht !
Ach , wem sollte ich nicht nachsehen müssen ! seufzte Ida gerührt , und legte ihre Hand auf Minna's gefaltete Hände .
Diese trocknete einige Tränen , und begann :
Ich bin die Tochter des Bürgermeister Rosenau , in der angenehmen Provinzstadt A. Mein Vater war ein Mann von Kopf und Herz , und seine Berufsgeschäfte ließen ihn Muße genug , sich oft Tage hindurch seinem Lieblingsstudium , der Geschichte und den alten Klassikern , vorzüglich aber der neuen schönen Literatur zu widmen .
Diese stand damals in ihrer schönsten Blüte , und , wenn ich so sagen darf , im reinsten Schäferlichen Schmucke ; die Lesewelt war noch nicht so ekel aus Übersättigung , und das Rezensionswesen machte noch nicht ein eigenes , so überflüssig angebautes Feld deutscher Schriftstellerei aus .
Mein Vater sah mich gern meine Feierstunden mit Gesners Hirten vertändeln , und freute sich , wenn er mich mit Zacharia's Tageszeiten in die Gartenlaube eilen sah .
Auch meine Mutter , die von ihrem Vater , dem Rektor B. in S. , eine Art von gelehrter Erziehung , nach damaliger Weise , erhalten hatte , teilte meines Vaters Hang zu den Wissenschaften , und war innig froh , wenn er ihr nach vollendetem Tagwerke vorlas , wobei ich arbeitend zugegen war .
Dadurch gewann ich unvermerkt an Geistesbildung , und zeichnete mich vor den anderen jungen Mädchen des Orts aus .
Diese geistigen Unterhaltungen entzogen mich aber auf keine Weise unserer stillen Häuslichkeit ; ich arbeitete , so jung ich war ; spann , nähere und strickte für meine Älteren und jüngere Geschwister , mit so innigem Behagen , als obs kein Buch in der Welt gegeben hätte ; sah , wenn der Winter vorüber war , mit Verlangen nach den ersten Schwalben aus ; weil dann die Gartenarbeiten anfingen , denen ich vorstehen sollte , wenn ich würde größer sein .
Und über den Spaß in der Ernte ging mir nichts , wenn der mit blanken Bändern und Blumen geputzte Schnitter ins Haus trat , und nach Ortssitte von den Mägden mit Wasser überschüttet wurde . - -
Hieraus können Sie schließen , daß die Lebensweise im elterlichen Hause höchst einfach und patriarchalisch war ; - und noch blicke ich , mit herzlichem Wohlgefallen , in diesen meinen ungetrübten Lebensfrühling zurück .
Diese Einförmigkeit ist wohltätig für junge unverwöhnte Herzen ; sie bildet zum ausharrenden Wohlgefallen an den stillen Freuden des künftigen Hausstandes .
Bei uns herrschte sie unverrückt ; und nur an den Vorabenden solcher Tage , an welchen etwa der General des dort in Garnison stehenden Regimentes den Geburtstag des Königes , oder seiner Gemahlin feierte , fand eine Ausnahme statt . -
Er pflegte die Notablen des Orts einzuladen .
Das Vorlesen , stricken und Spinnen fiel dann aus ; und statt dessen kräuselte Mütterchen sich und ihrem ältesten Mädchen die Haare ; schwefelte Flor , färbte alte Bänder , wusch seidene Strümpfe , lüftete die seidenen Kleider , oder stickte der Tochter ihres an , wenn sie herausgewachsen war .
So ging_es in allen Häusern wo junge Mädchen waren ; denn an einem solchen Tage , von dem das ganze Jahr hindurch gesprochen wurde , da Galts !
Wir wähnten uns in unserem zusammengestoppelten Staate sehr geputzt , besonders wenn_es uns gelungen war , irgend einen Modeschnitt zu erhaschen .
Das Fest selbst regte , trotz der großen Zurüstungen , nur die kleinlichsten Leidenschaften , der Eifersucht und des Kleiderneides auf .
Man erboste , man haßte und verfolgte sich Jahre lang , wenn der General beim Auffordern zur ersten Menuett , nicht die strengste Rangordnung beobachtet hatte ; die Vorgezogene brüstete sich so kindisch , als die Zurückgesetzte sich gedemütigt fühlte . -
Eine solche Stimmung der Gemüter machte sie , schon ihrer Natur nach , für die Eindrücke zärtlicher Gefühle unempfänglich .
Ob schon eine Menge junger Personen beiderlei Geschlechts zusammen kamen , hatte doch nie die Liebe sich ins Spiel gemischt .
Wort und Sache standen unter dem strengsten Bannfluch ; denn die jungen Männer waren Edelleute , und die Mütter führten ihre Töchter mit der strengsten Warnung dahin : um die Welt , mit Keinem sich auch nur ins Gespräch einzulassen .
Wie stumm , wie steif und kalt diese Lustbarkeiten ausfielen , wie scharf die Abstandslinie zwischen Adligen und Bürgerlichen gezogen war , können sich nur die vorstellen , welche die Anmaßungen des Provinzadels , und die elende Kriecherei der Kleinstädter mit Augen gesehen haben .
Die adligen Herren Leutnants und Fähndriche hielten sich in großer Ferne , und ließen sich nur dann erst herab , uns bürgerliche Töchter zum Tanz zu fordern , wenn auch das adlige Mädchen im Schnürkleidchen nicht mehr tanzen mochte .
Mich verdroß und störte das weiter nicht in meiner überirdischen Freude an diesen Festen ; ich nahm , ohne sie zu bemerken , jede Demütigung des arroganten Dorf- und Regimentsadels unbekümmert hin .
Wenn ich nur Gelegenheit hatte , meine Anzahl Menuetts und Polonaisen abzutanzen , so war ich übrigens ganz unbekümmert , wie ? und mit wem ? dies geschah .
Den Genuß meiner jugendlichen Freuden unterbrach aber der Tod meines vortrefflichen Vaters .
Ich fühlte diesen Verlust so tief , als man so etwas im elften Jahre zu fühlen im Stande ist , das heißt :
ich weinte ungestüm , und wurde im Herzen halb getröstet , wenn ich mir die prunkenden Trauerkleider , die mich zur erwachsenen Person in meinen Augen erhoben , recht lebhaft dachte .
Dann weinte ich wieder , wenn die gute Mutter weinte , und rührend über ihren Wittwen- und unseren Waisenstand sprach .
Wenn ich aber hörte , daß wir nun unser Haus und unsere Gärten , Felder und Wiesen verlieren würden , heulte ich , und war nur durch hartes Zureden zu beruhigen .
Aber es kam gar anders ; diese schönen Dinge , an denen mein Herz hing , wurden nicht verkauft .
Es ereignete sich etwas , das , wie ich es damals verstand , besser , in der Tat aber schlimmer war , als Garten-und Feldverlust , - ich bekam einen Stiefvater , der an Witz und übler Laune seines gleichen suchte .
Doch das muß ich in der Ordnung erzählen .
Herr Moorheim , ein Rechtsgelehrter , folgte meinem Vater in der Justizbürgermeisterstelle .
Er war ein trefflicher Kopf ; aber sein Herz ? - nicht ein Schatten von dem Herzen meines Vaters .
So bald er von Berlin im Städtchen angekommen war , erschien er bei uns .
Meine Mutter war immer noch eine Frau , die gefallen konnte ; in ihrem lieblichen Gesichte wohnte ein Geist , der nicht altern läßt , und Friede und Wohlwollen auf der weißen ebnen Stirn .
Sie gefiel ihm ; er war galant , und hatte in der feineren Welt gelebt ; er machte ihr förmlich den Hof ; sie gab seiner Anwerbung Gehör , und , anderthalb Jahr nach meines armen Vaters Tode , wurde Moorheim mein Stiefvater .
Es fehlte wenig , daß mein Herz sich nicht von meiner Mutter abgewandt hätte .
Ich war in meines Vaters Seele eifersüchtig ; aber ich tat ihr Unrecht .
Sie hatte ihren Gatten nicht vergessen ; es fehlte ihrem ruhigen Sinne nur an dem Grad von Wärme und lebhafter Vorstellungsgabe , die uns auch für nicht mehr anwesende Gegenstände befeuern .
Sie war an einen gewissen Wirtschaftsschlendrian gewöhnt , in welchen sie , weil sie nun Leere fühlte , wieder einzutreten wünschte .
Doch wer fragt denn nach Gründen zu der alltäglichsten Sache von der Welt ?
Warum sollten die Witwen sich ewigem Harm weihen , wenn die Witwer schon in der tiefen Trauer den zweiten Bräutigams Ring tragen ?
Da ich mir aber vorstellte , daß es meiner Mutter im Herzen bald gereuen würde , so söhnte ich mich wieder mit ihr aus , und mein Mitleid sowohl , als gemeinschaftliche Leiden , gaben meiner Liebe zu ihr neue Schwingen .
Ach , Ida !
was erfuhren wir von diesem herrischen Manne , diesem Hausdespoten !
Es hieß bald an allen Orten :
Herr Moorheim sei sehr hypochondrisch !
Dies pflegt eine Rubrik zu sein , die jede Ungezogenheit , jede Verwahrlosung des Herzens , jede Grobheit aufnehmen muß .
Hat einer sich gewöhnt , den Eindrücken übler Laune nachzugeben , plagt er seine Hausgenossen bis aufs Blut , so heisst er hypochondrisch .
Ist er übel gelaunt , und schämt sich die unbedeutende Ursache dazu anzugeben , so sagt er : » ach !
ich bin heute so hypochondrisch ! «
- So mein Stiefvater , der im Hause nie mit einem Zutrauen erweckenden Namen genannt wurde , sondern immer der Herr hieß .
Nie ist der süße Vaternamen gegen ihn über meine Lippen gekommen ; wie denn auch er mich gegen meine Mutter nie anders als Deine Tochter zu nennen pflegte .
Ein übellauniger Hausgenosse gehört wahrlich zu den größeren Trübsalen des Hausstandes .
Wenn ihm aber noch der beissendste Witz zu Gebote steht , so ist kein Hauskreuz diesem zu vergleichen .
Mein Stiefvater hatte Verstand wie ein Engel , und dieser gab ihm die Gewalt alle Herzen zu gewinnen .
Aber er handelte unwandelbar nach dem Despoten Grundsatz : die Untergebenen müssen nie wissen , wie sie mit ihrem Oberherrn daran sind .
Diesem zu Folge , war kein Wetterhahn veränderlicher als er in seinem Betragen gegen uns .
Abends scherzte er , und man widerstand der Annehmlichkeit seines Umganges mit Mühe .
Am folgenden Morgen erschien er steif , feierlich , auffahrend bei Kleinigkeiten ; alles an ihm verkündigte einen nahen Orkan .
Zu Mittage schlich jedes still und ängstlich zu Tische , und stand ehrerbietig , bis der Herr uns mit kalter Höflichkeit gegrüßt hatte .
Herr Moorheim schnitt Brot ; das Messer glitt von der harten Rinde ab :
- Wo hat der Schurke Johann das Brot geholt ?
Immer läßt sich der Tölpel altgebackenes in die Hand stecken .
- Keiner wagte zu äußeren , daß das Brot nicht alt sei .
Warum tut denn Niemand den Mund auf ?
zu sagen , daß es nicht alt ist . -
Ich glaube , das große Mädchen da versteht nicht einmal .
Es ist zu hart gebacken , und es zu zerarbeiten , gehört ein Hundsgebiß dazu - Indes war die Suppe herumgegeben .
- Immer und ewig Rindssuppe ! weißt du denn gar nichts anders anzugeben , Louischen ?
- Ich meinte , Sie äßen sie am liebsten , entgegnete meine sanftmütige Mutter . -
Nun schlang er die Suppe kochend herunter .
Die Suppe ist versalzen ; oder nein ! - indem er sie aus dem Munde auf den Teller zurücksprudelte - sie ist nicht genug gesalzen .
Der Teufel ! wo so eine große Tochter im Hause ist , sollte dergleichen nicht vorkommen .
- Erlauben Sie , meine liebe Mutter hat selbst - -
Husch ! schüttete er das Wasser aus seinem Glase über den Tisch weg , mir ins Gesicht .
Da saß ich , wie eine Flußgöttin , mit herabströmender der Flut von Kopf und Brust .
Meine arme Mutter saß daneben , blaß und zitternd , und wagte es nicht ein Wort für mich einzulegen ; und doch entging sie nicht dem Vorwurfe :
» Das arme Töchterchen jammert Dich wohl ? «
Ausbrüche so pöbelhafter Laune entwischten dem sonst klugen Manne sehr oft , und wurden , oft noch acht Tage nachher , durchgeknetet , bis ich nicht mit verbißenem Ingrimm herabließ , wie er es verlangte , mich zu demütigen , und kniend Abbitte zu tun .
Dies gab dann meiner armen Mutter den Frieden wieder ; wenn es dem Haustyrannen nicht gefiel , mich zu verstoßen und kniend liegen zu lassen .
Aber ich wende mich von den empörenden Szenen hinweg , deren ich auch im Greisen Alter nie ruhig werde gedenken können .
Was in dem durchaus versäumten Charakter dieses Mannes Andacht und Religion war , kann man sich leicht vorstellen .
Als mein Vater sie uns durch sein Beispiel , nicht in Worten , sondern im Wesen lehrte , war die Gottesverehrung in unserem Hause eine erweckende , freudenvolle Sache , woran jeder gern Teil nahm , weil er sich durch sie froher und glücklicher fühlte , und einer noch froheren Zukunft entgegen zu leben glaubte .
Auch meiner Mutter Gottesfurcht war heiter , und unseren kindischen Begriffen mit großer Klugheit angepaßt .
So aber nicht mein Stiefvater .
Sein Frommsein mußten alle Hausgenossen entgelten , denn sie sollten_es nach seiner überspannten Weise sein .
Am liebsten schreckte er uns mit dem Gott Abrahams , Isaaks und Jakobs , der die Missetat der Väter an den Kindern bis ins vierte Glied heimsucht .
Diese altjüdischen Begriffe waren wie für das Schreckenssystem , womit er über uns herrschte , ausdrücklich ausgesprochen .
Eben so die schwermütige Vorstellungsart der alten Theologie , von der Buße .
Bei jeder Kommunionsfeier sollte Reue , Wehklagen und Zerknirschung über unsere Sünden auf jedem Gesicht bemerkbar sein .
Bei meiner ersten Kommunion sollte ich mich aller , im alten Kommunionbuche hergerechneten , Sünden anklagen , von welchen ich dazumal kaum den Sinn erriet .
Sonntags las er viele Predigten , wenn wir vorher , höchst mißtönig und verstimmt , Lieder gesungen hatten , wobei jeder Vers neu intoniert werden mußte , weil wir wenigstens um eine Quinte tiefer fielen , und uns zuletzt in den tiefsten Bass verloren .
Die Predigten wurden zwar aus den neueren berühmten Rednern ausgesucht ; allein unser häusliche Gottesdienst begann erst , wenn längst der öffentliche vorbei war , und jedermann schon zu seiner Sonntagserholung eilte .
Wir jüngern Zuhörer hatten dann wenig Ohr und Herz dafür , wenn alles im Ort fröhlich umherschwirrte , wir noch immer leise umhertrippelten , und verdrossen den Augenblick erwarteten , wo es dem Herrn gefallen würde , seine profane Lektüre abzubrechen .
Durch diese Behandlung war es ihm gelungen , die Religion , welche bis dahin die freundliche Führerin meiner Kindheit und ersten Jugend gewesen war , in das traurigste und peinigendste Ding , das dem Menschen zu seiner Qual gegeben ist , zu verwandeln .
Der Gott , den ich , wenn gleich unter höchst verworrenen Begriffen , als meinen eigentlichen Vater geehrt und geliebt hatte , war mir jetzt ein immer strenger und zürnender Herrscher , der ganz menschlicher Weise , immer im Zorn aufzulodern pflegte , und nur dann vom Schelten abließ , wenn das arme ohnmächtige Geschöpf tief zerknirscht und gedemütigt vor ihm im Staube kroch .
Diesen Jehova , wie mein Stiefvater ihn am liebsten nannte , fürchtete ich so sehr , daß ich gewiß nichts versäumte , was die Menschen sehr menschlicher Weise seinen Dienst nennen .
Sonntags wagte ich nicht eher ein profanes Buch in die Hand zu nehmen , bis ich das mürrische zänkische Wesen , welches ich Gott nannte , durch das Lesen einer Predigt , oder mit sonst etwas Geistlichem , abgefunden hatte .
Wer darf sich wundern , wenn eine solche Religion dem Menschen etwas ganz von ihm isoliertes ist ?
Denn wo ist eine Freude , ein Genuß , der sich mit dem Begriff eines immer finsteren und scheltenden Wesens vereinigen ließ , eines Wesens , das im seinem Grimm endlich nur durch Blut zu besänftigen war .
Es ist schrecklich , dem Menschen zu verbittern , was ihn beglücken soll ! -
O , ich wurde so fromm , wahrlich ! aus Angst so fromm , daß ich beinahe den Teufel mit angebetet hätte .
Ich quälte mich ganz matt , wenn an Kommuniontagen mein jugendliches Herz nichts von jener geforderten Zerknirschung empfand , von jener Scheu , und dem Zittern , womit man sich dem Heiligtume nahen soll !
Wie ich in Tränen zerfloß , und nur mit an mir selbst verzweifelnder Demut die Hand nach den äußeren Zeichen ausstreckte , - weil ich mich mit allen hererzählten Lastern behaftet glaubte , und mir die Verdammnis zuzuziehen fürchtete , wenn ich unwürdig genösse .
Glücklicher Weise waren diese Begriffe von der Art , daß man sie gar nicht aufs gewöhnliche Menschenleben übertragen konnte .
Wenn dergleichen feierliche Handlungen überstanden waren , legte ich das Ganze , wie eine drückende Last , bei Seite , und dachte nicht daran , bis etwa eine nahe Veranlassung sie mir wieder zu meinem Schrecken ins Gedächtnis brachte .
Den Herrn Christus hatte ich lieb , weil ich in ihm einen Unglücksgefährten sah , der , so wie ich , unter dem Zorn des Vaters stand .
Den heiligen Geist begriff ich nicht ; doch kam er mir untergeordnet vor , und er war mir unter dem Bilde der Taube sehr lieb .
Die Lebensweise in unserem Hause war seit meines Vaters Tode gar nicht mehr dieselbe .
Unsere Lesereien hatten eine andere Wendung bekommen .
Herr Moorheim zwang uns seinen Geschmack auf , daher denn ein jeder gern für sich las .
Mir waren bei der Gelegenheit , daß meines Vaters Bibliothek geordnet wurde , einige Bücher in die Hände geraten , die der sorgsame Vater weislich versteckt gehalten hatte .
Freilich sollte niemand Gift in seine Vorratskammer legen ; -
es war aber nun einmal da , und ich sog es mit langsamen Zügen ein .
Ich erinnere mich nicht der Titel ; es waren aber üppige französische Romane , die auf eine unglaubliche Art auf mich wirkten .
- Mein Herz , - meine Sinnlichkeit entwickelte sich mit Schnellkraft .
Noch lange , ich behaupte es , hätte bei meiner nüchternen , arbeitsamen Lebensart jeder Trieb , mich unter den Söhnen des Landes umzusehen , ohne die Dazwischenkunft jener Bücher in mir geschlummert .
Ich sah mich um ; aber da war keiner dem ich es zutrauen konnte , die Hauptrolle eines Romans zu übernehmen .
Die Bürgersöhne waren schlichte , biedere Menschen , still ihrem Berufe nachgehend .
Die Offiziere der Garnison standen unter dem mütterlichen Bannstrahl .
Es war Todsünde , von einem gegrüßt zu werden ; und nur hinter den rohrnen Fensterkörben wagten es die Töchter , sie mit verstohlenen Blicken zu mustern .
Als ein blühendes , schnell herangereiftes Mädchen stand ich nun auf dem schlüpfrigen Scheidewege , und man fing an , mich zu bemerken .
Der uns gegenüber wohnende Leutnant von Sonnenstern fing an , sein Auge auf mich zu richten , und ließ sich herab , um die Langeweile der Garnison zu verkürzen , einen Entwurf zu einem Roman mit des Bürgermeisters Minna zu machen , der mit beständigem Herübersehen und Komplimentieren hinterm Rücken der Mutter begann .
Bei dem ersten bedeutenden Blicke flog ich scheu zurück , glühte vor Scham , vielleicht auch vor Freude , die ich mir selbst noch nicht gestand , wie eine Purpurrose , und wagte es nicht , der Mutter ins Auge zu blicken , wenn ich , zitternd vor Schrecken und mit verhaltenem Atem , vor sie hintrat . -
Der erfahrene Paladin hatte des Mädchens Zurückziehen sehr richtig zu deuten verstanden ; denn auch er spielte nun den scheuen Betroffenen , ließ sich seltener sehen , und blies zärtliche Lieder auf der Flöte , wenn ich des Abends mit meinen jüngern Geschwistern vor der Tür saß .
Welch ein süßes Spiel war dies für meine nun schon aufs höchste gereizte Phantasie !
Auch das liebste Buch fesselte mich nicht mehr ; mit dem letzten Bissen , bei dem unfreundlichsten Wetter , stand ich zur bestimmten Stunde auf meinem Posten , oft nur , um bei Licht in seinem Zimmer seinen Schatten hin- und herwanken zu sehen .
Ich erstaune , daß diese Rastlosigkeit meinen Eltern entging .
Mir ist sie bei jedem jungen Mädchen oder Weibe ein untrügliches Merkmal erregter Leidenschaft , oder doch irgend einer leidenschaftlichen Erwartung .
Der junge Nachbar verstand sich auch sehr gut auf diese Kennzeichen .
Noch glüht meine Wange bei der Erinnerung an diese jugendliche Unbesonnenheit .
Als ich eines Abends mit einem unserer Dienstmädchen eine häusliche Besorgung hatte , steckte sie mir einen Brief in die Hand .
- » Vom hübschen Nachbar ! « -
sagte sie .
Noch wachte der Keuschheitswächter , jungfräulicher Stolz , über mein Herz .
Ich fuhr das Mädchen an , und wies den Brief zurück .
Indem ließ sich die Mutter hören , und die erfahrene Magd ließ den Brief schnell in mein Busentuch schlüpfen .
Im Herzen war ich froh , denn ich glaubte daß der Brief nun ohne mein Zutun mein geworden war .
Ihn zu lesen , fand ich den ganzen Abend keinen Augenblick .
Aber wie nenne ich das Gemisch von Empfindungen , die mich bald froh , bald bang durchschauerten ?
mein Gesicht bald brennend rot , bald totenblaß , meinen Gang schwankend , und meine Glieder wie von Fieberfrost durchschüttert , machten ? -
Meine Mutter fragte : ob ich krank wäre ?
Ach nein , Krankheit war es nicht ; es war der laute Puls der Liebe , der durch alle meine Nerven zuckte .
Die ersehnte Schlafstunde half mir nichts , denn ich schlief mit meinen Geschwistern zusammen .
Ich legte den Brief als ich schlafen ging an mein lautklopfendes Herz .
Die innere Unruhe verstattete mir keine Minute Schlaf .
Mit der frühesten Morgendämmerung schlug ich leise , leise den Brief auseinander , den ich bei ruhigerer , uneingenommener Stimmung ganz unausstehlich schlecht gefunden haben würde ; so aber überlas ich unzähligemal den unorthographischen , geklecksten und schwülstigen Unsinn , ohne mich an die unschickliche Form des Äußeren , das grobe unbeschnittene Papier , die blasse ausgelaufene Tinte , so wenig , als an die Überschrift » schönster Engel ! « zu stoßen . - Nichts , nichts von diesem allen vermochte meine Freude an dem einzigen , nie wiederkehrenden Moment meiner Rosenzeit zu schwächen .
Verargen Sie mir es nicht , meine Ida , daß ich , bei aller Mißbilligung der Sache an sich , jetzt noch mit frohklopfendem Herzen auf diesen Punkt meiner Existenz sehe , wo eine süße ahnungsvolle Dämmerung die Seele umfließt , wo rosige Gemälde lächelnd im Hintergrunde stehen , und zu hochgestimmten Phantasien bezaubern .
Gott ! welche Seligkeit , wenn das junge weibliche Herz sein Dasein zu ahnen beginnt , und sich , jungfräulich verschämt , vor sich selbst verbirgt ! -
Dieser extasirte Zustand dauerte nicht länger , als bis ich eine Zusammenkunft mit meinem Amoroso gehabt hatte .
Diese war Abends vor der Tür .
Ich wußte sie nicht einzuleiten , und benahm mich so linkisch dabei , daß es ein Wunder war , wenn mein Roman nicht das Märchen der Stadt wurde .
Die Zusammenkunft war dem poetischen Schwunge meiner Imagination sehr ungünstig ; denn es gab wahrlich ! in der ganzen Provinz keinen prosaischeren Junker , als den Leutnant von Sonnenstern .
Der einzige Brief , den ich ihm geschrieben hatte , wimmelte von Amorin und Zephyrretten , die damals nach der Lektüre von Gleim's und Jakobi's Briefen in meinem Gehirn noch obenauf schwammen .
Sein herber bäurischer Stil stach seltsam dagegen ab .
Die erste Anrede geschah mit » mein Engel ! « ; sie wurde von einem schallenden Kusse , den er sich unterstand meinen Lippen aufzudrücken , und von einem quetschenden Händedrucke begleitet .
Mein zartes Gefühl empörte sich ; dies war keins von den Idealen Geßners , die sich meinem Herzen eingeprägt hatten .
Ich brachte die Nacht schlaflos und mit Tränen zu .
Durch ernsthafte Überlegungen stärkte ich mich in dem Entschluss , diesen herabwürdigenden Handel abzubrechen , und mich meiner Mutter zu entdecken .
Zu eben der Zeit wurde ich in der Religion unterrichtet .
Zufällig - nein , wohl nicht bloß zufällig , - sprach der Geistliche in einer bald darauf folgenden Stunde über Reinheit des Herzens und Sinnes , und der bestimmte Ausdruck :
» selig sind , die reines Herzens sind ! « ergriff mich .
Ich las damals gerade die Schriften der Frau le Prince de Beaumont , die , bei allen ihren papistischen Grundsätzen , dennoch unendlich schätzbar sind .
Sie bestärkten mich in dem Vorsatze , rechtschaffen zu sein .
Tiefer als alles Vorhergegangene beugte mich ein unverdienter Lobspruch , welchen meine nichts argwöhnende Mutter meiner jungfräulichen Sittsamkeit gab , Bei mehr Verhärtung im Unrecht hätte er mir wohl getan ; so aber fiel er mir , die ich nur Neulingin war , mit zermalmender Gewalt aufs Herz .
Meine redliche Mutter sah mich leidend , hielt es für körperliche Unbehaglichkeit , redete mir freundlich zu , und schenkte mir zur Erheiterung eine ihrer Stickereien .
Diese Güte brach mir das Herz , und ich klagte mich als die undankbarste aller Töchter an .
Dieser Gemütszustand lastete so entsetzlich auf mir , daß ich , trotz der Furcht vor dem Stiefvater , dennoch beschloß , mein Elend von mir zu werfen , und meiner Mutter alles zu entdecken .
Sie erschrak zum Hinsinken , als ich , verstört und laut schluchzend , zu ihr kam , und erblaßte , als ich die Tür abschloß . -
Zu ihren Füßen legte ich das demütigende Bekenntnis ab .
Noch sehe ich die Treffliche , Himmlischsanfte ihre Hände , die ich küssen wollte , zurückziehn , dann sie mir wieder entgegenreichen und auf meine Schultern stützen .
Ihre Tränen flossen über meine Stirn .
Sie vergab mir , die Unvergeßliche !
Vielleicht hatte sie ein noch entehrenderes Bekenntnis gefürchtet .
- » Wie konnte meine gute Tochter , ( sagte sie ) meine Minna sich so vergessen ? wie wird Herr Moorfeld erschrecken ! wie soll ich_es ihm nur vorbringen ? « -
Ach , freilich war das schrecklich ; deutlich hatte ich mir die Folgen meines Geständnisses nicht gedacht , - und an den Stiefvater eigentlich gar nicht . -
Jetzt schauderte ich , und fast reute mich der Schritt .
Aber die gute Mutter wollte ja alles auf sich nehmen , alles ebnen und wieder gut machen .
Sie befahl mir , mich ruhig zu verhalten , und den anderen Morgen nicht eher zu erscheinen , bis sie ihren Gatten vorbereitet haben würde .
Voll dieser bangsten aller Erwartungen schickte sie mich zu Bette .
Im Herzen war ich leichter ; durch das offene , freiwillige Geständnis hatte ich mich wieder bei mir selbst in einige Achtung gesetzt .
Nun war ich mutig entschlossen , alles still hinzunehmen , wie auch immer der Ausgang sein möchte .
Diese Art , meinen Fehler zu büßen , schien mir Größe zu sein .
Meine Eitelkeit mischte sich ins Spiel .
Doch war_es ein saurer Gang , als mich am folgenden Morgen meine Mutter nach stundenlangem Harren abrief .
Gütig und Trost einsprechend unterstützte mich die fromme , vor innerer Angst und Beklemmung schwankende Mutter .
Als die Tür zu meines Stiefvaters Studierzimmer aufging , war ich ohne Atem .
Ich sah sein strenges , strafendes Gesicht .
Von Scham unwillkürlich getrieben floh ich hinter einen Vorhang , und verdeckte das Gesicht .
» Minna ! «
- sagte er mit leidlich gemilderter Stimme , - » Sie haben sich schwer vergangen ; aber ich verzeihe Ihnen .
Sie haben mit der Ehre Ihrer Familie ein schändliches Spiel getrieben ; aber Ihrem Unverstand verzeihe ich es .
Wenn Sie schon jetzt so beschämt vor uns sich zeigen , wie werden Sie einst vor dem Richterstuhle des Weltrichters in Ihrer Armut und Schande da stehen !
Wie werden Sie zittern , wenn es heißen wird :
Gehet hin zu meiner Linken ! -
Stadt daß Sie sollten schaffen , selig zu werden mit Furcht und Zittern , bereiten Sie sich ihre eigene Hölle .
Tun Sie Buße , und legen Sie Ihr böses Wesen von sich . «
- Ich kniete in der Angst mechanisch vor ihm hin , während er in demselben Tone fortfuhr .
Endlich sagte er : » Stehe ' auf , meine Tochter , Deine Sünden sind Dir vergeben ! « -
So pflegte er in alles , was er sprach und tat , Schriftstellen einzumischen , und unschicklicher Weise seine widrige Person an die Stelle des höchsten Lehrers der Menschen zu setzen .
Als er dies gesagt hatte , glaubte ich mich absolviert , aber nein , er hatte nur diese , ihm passend scheinende Stelle anbringen wollen ; denn nun wendete er sich zur Mutter , und sagte : » Was meinst Du , Louischen , das wir tun ? «
Sie stand verlegen da , und ließ es auf ihn ankommen .
» Andere Eltern , « - fuhr er in einem rauhen Tone fort , - » würden so ein ungeratenes Kind verstoßen ; aber ich bin entschlossen , sie nach Berlin zu meiner Schwester , der Rätin Brennfeld , zu geben . « "
" Brennfeld ? " unterbrach Ida ihre Freundin .
" Brennfeld ? doch nicht die Erzieherin ? "
- " Eben die ; das ist sie aber erst geworden , als ihr Mann sich von ihr schied . "
Minna bemerkte nicht , wie sehr Ida bei diesem Namen erblaßte , und fuhr in ihrer Erzählung fort .
" Wie , mein Lieber ? "
- sagte meine kluge Mutter , - " Sie werden doch meine arme Minna nicht aus dem Hause stoßen , und Gelegenheit zu allerlei Gerüchten geben ? "
- " Nennst Du das verstoßen , Louischen , wenn sie die Ehre hat , Gesellschafterin meiner Schwester zu sein , die ein treffliches und geehrtes Weib ist ? "
- " Das bestreite ich nicht , lieber Moorheim , " - erwiderte meine Mutter mit ihrer süßen , reinen Stimme ; - " aber ich dächte , Minna verdiente jetzt auf ihr freiwilliges , edles Geständnis den Lohn des unbedingten Zutrauens .
Von jetzt an stehe ich für meine Tochter ; und nun kein Wort mehr von ängstlicher Beschränkung .
Das väterliche Haus sei ihr kein Jungfernzwinger .
Zwang gebiert List .
Ihr Herz mag wählen .
Wir halten nach alter Art die Töchter , als würden sie zum strengsten Cö @ bat erzogen .
Weiß ich doch aus eigener Erfahrung , was Liebe zu einem edlen Manne der Moralität des Mädchens ist .
Die Stunde , in der Minna's Herz sich einem würdigen Gatten ergibt soll mir gesegnet sein . "
- " Du siehst sehr weit , Louischen ; indes bin ich in so fern Deiner Meinung , daß es zur Erleichterung ihrer Wahl gut sein wird , wenn sie in meiner Schwester Hause mehrere Männer sieht .
Wen soll sie hier im Städtchen wählen ?
Den Meister Böttcher , oder den Meister Fleischer ?
Es geht nicht ; das siehst Du selbst , Überdem möchte ich einen zweiten Anfall verliebter Laune , den das Mädchen etwa haben könnte , nicht so geduldig hinnehmen .
Minna , Sie bereiten sich zur Reise , in acht Tagen bringe ich Sie hin . "
Was er in diesem Tone sprach , war unwiderruflich .
Das wußte meine Mutter so gut als ich ; Tränen drängten sich aus den Augen der Schweigenden , und sie winkte mir zu , nicht weiter mit fruchtlosen Bitten in ihn zu dringen .
Es wäre auch vergeblich gewesen ; denn er entließ uns , um auf der Stelle an seine Schwester zu schreiben .
Von diesem Augenblicke an war der Frohsinn meines Jugendlebens dahin ; selbst in Gegenwart meiner so geliebten Mutter fühlte ich mich gedrückt .
Zufälliger Ernst schien mir Strenge , und die sanfteste Zurechtweisung ein Vorwurf .
Ich versagte mir jeden Genuß , um ihr Mißtrauen nicht zu erregen .
O , Bewußtsein , wie unleugbar bist Du der Tod aller Lebensfreude !
- " Minna ! " rief hier Ida , " Minna , wozu diese Bemerkung ?
Sie machen mich elend , ohne es zu ahnen . " - Fällt meine Erzählung Ihnen schmerzlich , meine Ida ?
so breche ich ab ; ich werde sie nicht unaufgefordert fortsetzen .
Wohl , wohl , für heute denn : gute Nacht ! -
Die Freundinnen trennten sich , und gönnten einander die Ruhe , die auch dem Leser hier vielleicht nicht unwillkommen sein wird .
Ida war am folgenden Abend heiter genug , ihre Freundin mit dem Scherz zur Fortsetzung ihrer Erzählung aufzufordern , daß sie dieselbe ihre Scheherazade nannte .
Minna wußte genau , wo sie abgebrochen hatte , und fing folgendermaßen an :
- Die auserlesenste Güte meiner Mutter vermochte nichts über meinen Trübsinn ; denn nach meines Stiefvaters schwermütiger Vorstellungsart war die Unschuld und Reinheit meines Herzens unwiederbringlich verloren .
Ich war jeder Wohltat des Christentums unwert ; nur durch eine Zerknirschung , die ich immer nicht hinreichend für die Größe meines Fehlers hielt , sollte ich können gereinigt werden .
Mein Sinnen , wie ich diese hervorbringen wollte , grenzte nahe an Verstandeszerrüttung .
Auch meine arme Mutter litt viel .
Ihre stille , harmlose Seele erlag unter der Qual meines inneren Gemütszustandes , der ihr nicht entging .
Der heftige , exzentrische Moorfeld haranguirte bei allen Gelegenheiten mit einer an Verzückung grenzenden Spannung .
Sie war von Herzen fromm ; aber ihre feine , liebende Seele schätzte und verehrte Tugend und Rechtschaffenheit , ohne das Laster mit Leidenschaft hassen zu können .
Ihr Herz faßte keinen Haß , und ihre Religion war das Einfachste und Zweckmäßigste , was je eine menschliche Seele zur strengen Erfüllung aller Pflichten antrieb .
Sie litt sichtlich , wenn ihr Gatte mit erschütternder Stimme und Gebärde über religiöse Gegenstände sprach ; und als er uns einst in dieser Manier eine Passionspredigt vom seligen Kramer vorgelesen hatte , klagte sie über Schwindel und Nervenschwäche .
Jetzt traf diese Heftigkeit ein geliebtes Kind , den lebendigen Abdruck eines , in ihrem stillen Herzen noch lebenden , geliebten Gatten .
Unser Verhältnis wurde mit jedem Tage gespannter , so , daß es uns allen Wohltat war , als ein Brief von der Rätin Brennfeld ankam , der mir Aufnahme in ihrem Hause zusicherte .
Meine kleine Reiseequipage war bald zusammengebracht .
Die gute Mutter besorgte alles ; ich war ganz untätig und wie betäubt .
Noch einmal wagte die Arme mir das Wort zu reden , indem sie ihrem Gatten vorstellte , daß durch mein Verschwinden der Verleumdung freies Spiel gegeben würde .
Dadurch erhielt sie so viel , daß er dem jungen Nachbar Leutnant , der an dem ganzen Unwesen Schuld war , einen Besuch abstattete , ihm meine edle Offenheit rühmte , des Herrn Leutnants Edelmut ebenfalls in Anspruch nahm , und sich die Briefe ausbat , die er von mir erhalten hatte .
Es war nur ein einziger , mit Lalage unterschrieben .
Mein Stiefvater war redlich genug , ihn ungelesen ins Feuer zu werfen ; im Herzen wünschte meine Eitelkeit aber , er möchte ihn lesen , denn ich war überzeugt , er würde über das Talent der Briefstellerin in Bewunderung ausbrechen .
Ich war ohne Fassung , als die Stunde der Abreise schlug .
Wer es kennt , was es heißt sich von geliebten Personen , von lieben Gewohnheiten loszureißen !
- " Ach , wohl kenne ich das !
O , es ist das Schmerzlichste ! unbeschreiblich schmerzlich !
Ja , Minna , ich kenne es , und denke mit zerrißenem Herzen zurück ! "
- sagte Ida , mit nassen Augen .
Es war ein schöner Maitag , - fuhr Minna fort .
Als ich zögerte und zitterte , und immer nicht vermochte , gab mir ein Blick meines Stiefvaters , der zu fragen schien , was daraus werden sollte ?
Kraft , mich loszureißen .
Er setzte sich zu mir in den Wagen , und entriß mich einem Städtchen , das der Reisende kalt betritt und verläßt , mir aber eine Welt voll Seligkeit gewesen war .
Der Frühling hatte sich eben in seiner ganzen verherrlichten Gestalt entfaltet .
Über die Fluren wallte ein mildes Grün ; an allen Wegen war Blütenduft und Vogelgesang .
Meinem armen , fast gebrochenen Herzen wäre eine freudenleere Einöde lieber gewesen , denn die mich umgebenden Schönheiten ließen mich eiskalt .
Mein herrschendes Gefühl war Trennung von der Mutter , und Abscheu gegen den Ort meines künftigen Anfenthaltes .
Mein Stiefvater fühlte menschlich genug , um mich einige Stunden mir selbst zu überlassen ; sobald er aber bemerkte , daß die äußeren Gegenstände wieder bei mir Eingang fanden , fing er ein Gespräch an , worin er mir hunderterlei Erinnerungen gab , wie ich mich nun in Zukunft zu betragen hätte ; wie sehr meine kleinstädtischen Sitten abstechen würden ; wie erbärmlich wenig ich gelernt hätte ; -
mein bisschen Musik wäre dort kaum Geklimper ; meinem Französisch fehle es an der rechten Aussprache ; welche ungemeine Ehre es für mich sei , in den Kreis seiner Familie versetzt zu werden ; wie tiefe Ehrfurcht ich seiner Schwester , die eine vornehme und geehrte Person sei , erweisen müsse , wobei der Handkuß nicht vergessen wurde .
Durch alle diese Vorspiegelungen suchte er in mir das demütige Gefühl meiner Unbedeutsamkeit zu erwecken , und es gelang ihm nur zu gut .
- Mein kleiner Ehrgeiz war empört ; ich haßte im Voraus die Menschen , die mich so zu nichts machen würden , und verwünschte von ganzer Seele meinen künftigen Wohnort , als er sich mir unerwartet von einer Anhöhe darstellte .
So nahe waren wir ihm schon .
Da lag nun vor mir , von der Abendsonne übergoldet , die schöne Königsstadt mit ihren hohen Türmen und vielen tausend prahlenden Dächern .
Ich brach in einen Strom von Tränen aus , und machte meinem Herzen durch Äußerungen des heftigsten Widerwillens Luft , die mein Reisegefährte mit leidlicher Geduld anhörte , und mit nur die Weisung gab , meine unverschämte Meinung für mich zu behalten , und ihm nicht den Genuß des ersten Wiedersehens der herrlichen Stadt zu verkümmern .
Ich wurde stille , und darüber verwandelte sich selbst mein Unmut in bange Erwartung , aber das ungewohnte Gewühl mißfiel mir , ich hatte damals noch keinen Sinn , Freude an dem Erwerbgeiste , dem Bestreben und der Industrie der Einwohner zu finden .
An allen Ecken versperrten prächtige Equipagen unserem kleinstädtischen Fuhrwerk den Weg ; denn unsere drei , mit weißleinenen Decken behangenen , Landtraber gingen gar breit auseinander .
Hier gerieten sie zwischen Mehlfuhren , dort zwischen Holzhauer ; dann fuhren sie nahe an Hökerbuden , so daß unser arme Christoph beinahe den Kopf verlor , und nun ganz toll und blind hineinsprengte , so schnell die müden Klepper nur vermochten .
So kamen wir endlich , nach manchem Zwiste mit Kutschern und Trägern , in der Abenddämmerung vor dem Hause des Rat Brennfeld an .
Mit lautem Herzklopfen betrat ich dieses Haus , im bangen Vorgefühl alles Ungemachs , das mich hier erwartete .
Ein junges geschniegeltes Hausmädchen empfing uns , und berichtete mit affektiertem Schnarren : die Frau Rätin seien nicht zu Hause , würden aber unfehlbar zum Abendessen erwartet .
" Meine Schwester vermutete unsere Ankunft doch ? "
- fragte mein Stiefvater .
" Ja ; aber die Frau Rätin sind schon seit vierzehn Tagen beständig engagiert gewesen .
Heute ist Tee dansant bei - - ich weiß nicht mehr wem ?
Sie konnten es nicht abschlagen . "
Das schnippische Mädchen musterte mich von oben bis unten indem sie sprach , und als wir die Treppe hinaufgingen , hörte ich sie laut lachen , und der Köchin zurufen :
" Die sieht verzweifelt kleinstädtisch aus ! "
- Dieser Pöbelwitz , den ich zu jeder anderen Zeit nicht bemerkt haben würde , schlug mein gepreßtes Herz vollends nieder , und , kindisch genug , drückte ich mein kleines Hündchen an mich , indem ich ausrief : " Ach , arme Kolombine , wie wird_es uns hier gehen ! "
Das Wohnzimmer der Dame , in welches man uns eintreten ließ , war kalt und unfreundlich , und noch naß vom Scheuern , weshalb uns auch das Mädchen die Weisung gab , uns ja auf den von Leinwand gelegten Fußsteigen zu halten .
In diesem unwirtbaren Zimmer sah man keine Spur einer weiblichen Niederlassung , außer einem mit Büchern bepackten Sofa , und einem mit Visitenkarten eingefaßten Spiegel .
Mein Stiefvater schien über den seltsamen Empfang betroffen zu sein .
In der Tat machten wir , jeder auf seinem Leinwandstreifen dem anderen gegenüberstehend , eine possierliche Gruppe ; er , auf den Fußtritt seiner Schwester lauschend , ich , in mich gekehrt , meine Kolombine im Arm , den Blick vom gegenüberhängenden Spiegel abwendend , aus Furcht , die Figur zu erblicken , die im Hause schon Lachen erregt hatte .
Nach einer halben Stunde erschien zuerst Herr Brennfeld , ein Mann von mittleren Alter , dem Frieden und Vollgenuß im angenehmen Gesicht saß .
Er hieß uns liebreich willkommen , und entschuldigte die Abwesenheit seiner Frau , so gut es anging .
Der Ton seiner Unterhaltung war ungekünstelt , treuherzig und Zutrauen einflößend ; ich glaubte meinen seligen Vater zu hören .
Der gütige Mann gab mir Gelegenheit zu sprechen , und hob dadurch ein Gewicht von meinem Herzen , welches in seiner stummen Verschlossenheit zum Zersprengen voll war .
Um Sie durch Weitläufigkeiten nicht zu ermüden , eile ich zur Zuhausekunft der Frau Näthin , die erst nach einer guten Stunde erfolgte .
Mir schlug das Herz , als ich auf der Treppe eine hohltönende weibliche Stimme fragen , oder vielmehr schreien hörte :
" Wo ist mein Bruder ? wo ist er ? "
Die Tür flog auf , und eine hagre Gestalt stürzte mit theatralischem Anstande dem Bruder in die Arme .
Stadt der Rührung empfand ich Widerwillen gegen diese Art , Freude auszudrücken ; denn der Ton ihrer Stimme war nicht der Ton der Freude und schwesterlichen Liebe , er war rauh und unbiegsam , und es schien mir eine Lieblingsmelodie , der ein fremdartiger ( heterogener , würde Madame Brennfeld sagen ) Text untergelegt wird .
Nach dieser geräuschvollen Bewillkommung eilte sie mit offenen Armen auf mich zu :
" Tochter meines Bruders , - schrie sie , - mein Herz heißt Dich willkommen ! "
Sie sagte noch mehr , was herzlich sein sollte , an meinem Herzen aber eiskalt hinstreifte ; denn ich hatte diese Wendungen erst ganz kürzlich irgendwo gelesen .
Meine Antwort bestand in einigen unvernehmlichen Worten , und wohl einem Dutzend blöder Knickse , die ich in ehrerbietiger Ferne rasch hinter einander machte , und die zu nichts dienten , als meine Verlegenheit anzudeuten , welche durch den entsetzlichsten Verstoß meiner Kolombine gegen alle Lebensart , aufs höchste getrieben wurde .
Sie hatte sich den Bewillkommungstumult zu Nutzen gemacht , und , trotz des frischgescheuerten Fußbodens , getan als ob sie zu Hause wäre .
Ich war erstarrt vor Schrecken , und kam aus aller Fassung , als die Dame mit fürchterlichem Kreischen schrie : " O pfui !
was ist das für ein Hund ? "
- Sie erklärte kurz und rund heraus :
Hunde dulde sie in ihrem Hause nicht , öffnete die Tür , und scheuchte die widerbellende Kolombine mit dem Schnupftuche hinaus .
Ich stammelte etwas zur Entschuldigung , aber kein Mensch verstand es .
Der gütige Hausherr bemitleidete meine Verlegenheit , öffnete leise die Tür , das kleine Tier schlüpfte ungesehen herein , und schmiegte sich reumütig an meine Füße .
Mein Stiefvater hatte versichert , daß seine Schwester das unnütze Geschöpf loswerden solle , weil er mir befehlen würde , es sogleich abzuschaffen .
Ich seufzte tief .
So unbedeutend an sich dieser Vorfall ist , so war er mir ein klarer Beweis , wie wenig Nachsicht und Schonung die kleinen unschuldigen Neigungen meines Herzens in dieser Familie zu erwarten hatten .
Madame Brennfeld war hagerer Gestalt , mit schlangenartiger Biegsamkeit begabt ; in der Sprache der feinen Welt nannte man sie degagiert .
In ihrem damals noch jugendlichen Gesichte lag eine Härte , die mir gleich gar nicht zusagte .
Sie galt im Ganzen für hübsch ; bei genauerer Untersuchung fand man aber , daß es der feine , überlegt gewählte Putz war , der jeden Teil des Gesichts und der Gestalt in sein vorteilhaftestes Licht setzte .
Ich habe dagegen nichts einzuwenden , auch nicht gegen das wenige Rot , welches sie auflegte , die bleichste Gesichtsfarbe zu heben ; denn in meinen Augen hat Rotauflegen und Puder in die Haare streuen eine Absicht , und beides ist als Verschönerungsmittel gleichgültig , in so fern die Gesundheit nicht darunter leidet .
In ihrer Unterhaltung zeigte sie bald die Gelehrte , durch hochtönende Worte sowohl , als durch Zitate von Autoren aus allen ihr bekannten Sprachen , der französischen , englischen und italienischen .
Bei dem allen machte sie ihrem Bruder doch viel Herzleid , der gegen grammatikalische Unrichtigkeiten ein so empfindliches Ohr hatte , wie der Tonkünstler gegen falsche Töne .
Er unterbrach sie bei jeder Phrase mit Bemerkungen , daß hier der Dativ und dort der Genitiv stehen müsse .
So pries er auch ein Frauenzimmer als ganz trefflich , weil er sie noch nie auf einem Sprachfehler ertappt hatte .
Die Frau Rätin hätte sich gewiß weder ihres Bruders , noch viel weniger meinetwegen in Kosten der Unterhaltung gesetzt ; denn ihr Bruder schien ihr in der kleinen Stadt verspießbürgert , und mir traute sie nicht einmal zu , daß ich Notiz von mehr als meiner Muttersprache haben könne .
- Ihr Aufwand von Redekunst und gelehrtem Prunk wurde eines jungen Herrn wegen gemacht , den sie aus der Teegesellschaft mitgebracht hatte .
Sie stellte ihn ihrem Mann als den Baron von Löwenberg , den Neffen der Frau Ministerin , vor .
Der Rat schien an dergleichen Vorstellungen gewöhnt zu sein , und fand es nicht unbequem , wenn seine wortreiche Gattin die ganze Unterhaltung allein bestritt .
Der junge Mann war nicht uneben , jagte nach Witz , den er oft glücklich genug erhaschte , und da die Frau Rätin sich trefflich auf Eitelkeit verstand , so schmeichelte sie der seinigen sehr angenehm damit , daß sie ihn bat , von seinen Gedichten vorzulesen .
Er hatte ein ganzes Volumen davon bei sich , und deklamierte sehr niedliche Sächelchen , die selbst mein Stiefvater , kein übler Kenner , bis auf grammatikalische Richtigkeit recht hübsch fand ; Madame aber rief einmal über das andere :
" Gott , Gott , wie schön ! o , exzellent , exrellent ! o , das müssen Sie mir geben , Baron ; ich will es an J.. für sein Journal schicken . "
Oder sind Sie Mitarbeiter einer Zeitschrift ?
- " Nein , " sagte der ganz Bescheidene , " mein Talent ist noch zu roh ; und ich kann nicht leugnen , daß eine Rezension in dem jetzt üblichen Tone mir weher tun würde , als der Beifall mir wohl tun könnte . "
- " O nicht doch , Baron , " fuhr die Rätin fort ; " Ihre Bescheidenheit geht zu weit !
Geben Sie mir_es , geben Sie mir_es !
Morgen schreibe ich an J.. ; kein Rezensent soll Sie packen , ich stehe Ihnen dafür !
Es kommt ja alles auf Konnexion und Anhang an , und diese kann ich Ihnen verschaffen . "
- Sie bemächtigte sich seiner Papiere , und legte sie in die Rücklehne ihres Sofas .
Bald trat noch ein junger Geistlicher ein , der sich ebenfalls als ein demütiger Verehrer der Dame zeigte .
Seine überschwengliche Redseligkeit schien ihr indes wenig zu gefallen .
Er sprach in zehn Minuten gewiß über dreißig verschiedene Materien ; knisterte auch mit einem Manuskript , welches aber nicht Eingang fand , sondern auf die nächste gelehrte Zusammenkunft ausgesetzt wurde .
Der junge Geistliche war auch ein Dichter ; da ihn jedoch die Rezensenten erst kürzlich jämmerlich zerfleischt hatten , so mochte er vielleicht die wunden Stellen neuer Berührung nicht bloßstellen wollen .
In diesem Fache überließ er dem Baron das Feld .
Zu meinem Troste erschien der Bediente , der uns zu Tische rief .
Noch gedenke ich mit Widerwillen jener Abendmahlzeit , als der drückendsten , der ich je beiwohnte .
Ich fühlte , daß ich in dieser Familie nie einheimisch werden könne ; der Ton derselben war mir durchaus fremd und mißfällig .
An altdeutsche Fülle und Überfluß gewöhnt , bemerkt ich allenthalben den kargen Zuschnitt , nebst dem lächerlichen Bestreben , es größeren Häusern gleich zu tun .
Der , immer auf meine Bedürfnisse aufmerksame , Rat Brennfeld bemerkte , daß ich meinem armen kleinen Tiere ein wenig Brot hinreichte ; er schnitt sogleich Braten für dasselbe ab , welches aber Madame mit einem " Fi donc , mon cher , Sie werden doch nicht " - - mißfällig bemerkte .
Gegen Mitternacht hatte ein jeder die Freiheit , sich in sein Zimmer zu begeben .
Auch der Raum , wohin man mich wies , hieß hier ein Zimmer .
Wie ich überhaupt schon bemerkt hatte , daß es hier zum Tone gehörte , die gemeinsten Dinge mit schönen Namen zu putzen , so nannte man bei Tische zähes Schmorfleisch " à la Daube , " gemein gekochte Krebse " à la Dauphin , " einen , an der Treppe stehenden , baufälligen Kleiderschrank " eine Garderobe , " u. s.w .
Dieses Zimmer denn also , welches mir zur Wohnung angewiesen wurde , war ein Gegenstück zu den Zimmern in der Bastille , und an der Beschaffenheit des darin befindlichen Mobiliars merkte ich bald , was ich in dieser Familie sein würde .
Stadt mich niederzulegen , setzte ich mich auf den einzigen alten Stuhl , der vorhanden war , und weinte bitterlich .
In einem Nebenzimmer hörte ich meinen Stiefvater , auf und abgehend , mit lauter Stimme ein Abendlied singen .
Diese bekannten Töne , die ich so oft , in Gegenwart meiner guten Mutter , gehört hatte , durchdrangen mein Innerstes aufs schärfste .
So saß ich trauernd , bald mich selbst , bald mein Hündchen beklagend , bis das kurze Stümpfchen Licht , welches mir gegeben wurde , ausgebrannt war , und ich im Finsteren nach dem Bette tappte .
Und das wollen wir jetzt auch tun .
Sie husten , meine Ida .
Die Nacht ist kalt .
Bis auf frohes Wiedersehen !
Der folgende Abend brachte die Freundinnen wieder zusammen , und Minna setzte ihre Erzählung also fort :
Die Frau Rätin , die ich am folgenden Tage sah , als sie um zehn Uhr aufgestanden war , schien mir eine ganz andere zu sein , als die , der ich Abends zuvor eine gute Nacht gewünscht hätte .
Sie zankte mit ihren Mägden ; und als eine arme Frau ihr Handbesen verkaufte , drückte diese elegante Dame das arme Weib , um zwei Pfennige weniger zu geben , bis aufs Mark .
In Putz und Spiel schien sie nicht so karg zu sein , wie ich häufig genug bemerkt habe .
Ich übergehe die unlustigen anderthalb Jahre , die ich in diesem Hause der Zwietracht und der Widerwärtigkeit verlebt habe , und erwähne nur noch einer Szene , wodurch Madame bis zu Tränen gedemütigt wurde , und die mir unvergeßlich geblieben ist .
Zu den Abendessen , welche sie ihre gelehrten Donnerstage hieß , fanden sich immer viele junge Herren , die Schöngeisterei trieben , ein .
Ihr Liebling und erklärter Verehrer war ein junger Edelmann aus der Provinz , den sie so verstrickt hatte , daß er seinem Berufe nicht mehr oblag , und seine meiste Zeit in behaglichem Müssiggange zubrachte .
An einem schönen Donnerstage - Madame war so besonders guter Laune , daß sie sogar mich , der armen Lastträgerin , eine Stelle in der gelehrten Zusammenkunft anwies , und mich das Fortepiano spielen ließ , - blieb der erwähnte junge Herr aus ; schickte aber an Madame einen Brief von seiner Mutter an sie , der ihm als Einlage zugeschickt war .
Das war ein Fund für die Übermütige !
- " Ha ! " rief sie , " ein Brief von einer Landedelfrau !
Das wird sehr amüsant sein , ich versichere Sie !
Lesen Sie , Baron , meine Augen sind mir zu lieb ; " ( indem sie einem jungen Herrn den Brief zureichte ) .
Der Baron erbrach und las : " Wohlgeborene Frau !
( wahrhaftig , eine vielversprechende Überschrift ! ) Meine Verwandte , die mit Ihnen an einem Orte sich befinden , haben mir einen hohen Begriff von Ihrem Verstande , (o ! sehr gütig ! ) aber zugleich auch von Ihrem Talente , junge Männer - - ( des Barons Stimme stockte ; die Rätin rief : so lesen Sie doch ! ) junge Männer von ihrer eigentlichen Bestimmung abzuziehen , beigebracht . "
( Was will die Frau damit sagen ? ) " Sie haben meinem Sohne einen Ekel vor jeder ernsthaften Amtsbeschäftigung durch Tändelei und jede Modelektüre eingeflößt . "
( Wie ? ist sie toll ? ist sie toll ?
Der Baron las unbarmherzig mit schallender Stimme weiter ; denn er beeifersüchtelte den Abwesenden um ihre Gunst . )
" Bedienen Sie sich doch der Gewalt , die Ihnen seine Weichlichkeit über ihn eingeräumt hat , und geben Sie ihn mir , geben Sie ihn seinen Pflichten zurück , dann können Sie auf den Dank einer Mutter rechnen , der es nichts gilt , daß ihr Sohn ein alter Edelmann ist ; die aber untröstlich sein würde , wenn er , uneingedenk seiner Bestimmung als nützlicher Staatsbürger , seine kostbare Zeit vertändelte .
- Fährt er fort Ihre Ketten zu schleppen , so werden seine Vormünder dafür sorgen , daß er , weit von Ihnen entfernt , in eine andere Laufbahn versetzt werde .
Ich bitte dies zu beherzigen , und habe die Ehre etc . "
Das ging der Dame bitter ein ; sie war einer Ohnmacht nahe , und hätte besonders mich gern mit den Augen getötet , weil ich mich unterstand zugegen zu sein .
Ich saß da wie auf Kohlen , und wünschte mich weit weg .
Mir traten Tränen in die Augen ; denn es war wirklich schrecklich , diese stolze Frau so aufs Blut gedemütigt zu sehen .
Dieser Vorfall , - sollten Sie es glauben ?
Ida ! - verschaffte mir die Verehrung eines Mannes , der nachher mein Gatte wurde .
Er , dem es bekannt war , wie die Rätin mich zu mißhandeln pflegte , hatte mich beobachtet , ob ich triumphierend auf sie hinblicken würde ; als er aber das Gegenteil sah , dachte er gut genug von meinem Herzen , um mir das seinige nebst seiner Hand anzubieten .
Seit diesem unseligen Auftritte ließ es sich die Rätin immer deutlicher merken , wie sehr ich ihr zuwider sei , und wie gern sie mich los zu sein wünsche .
In dieser Rücksicht beförderte sie die Bewerbung des Rat Thalheim aufs eifrigste .
Ich hatte nichts entgegenzusetzen , als daß mein Herz ihn gar nicht auszeichnete ; er war mir , wie alle übrigen Männer in der Welt , gleichgültig .
Von dieser Seite war ich völlig frei und unbefangen .
Der Wunsch meiner redlichen Mutter , mich versorgt zu sehen , wurde durch meine Zustimmung aufs vollständigste erfüllt ; denn Herr Thalheim hatte nicht nur ein einträgliches Amt , sondern auch eigenes Vermögen , und machte einen an ständigen Aufwand .
Seine Person war nicht übel ; sie streifte an die damalige Art von Eleganz , für die ich einen ungemeinen Respekt hegte .
Sein Verstand gefiel mir .
Er war von der heiteren Art , liebte Scherze und witzige Einfälle , brachte selbst welche vor , die immer zu gefallen pflegten , und , was das Beste und Liebste war , er hatte Geschmack genug gehabt , mich zu bemerken , und mich aus dem Druck und Hungerelende meiner höchst untergeordneten Lage im Hause der Madame Brennfeld hervorzuziehen .
Sobald ich die Einwilligung meiner Mutter wußte , zögerte ich nicht mein Jawort zu geben ; die Anstalten wurden eifrig betrieben , und meine gütige Mutter kam bald mit der schon fertigliegenden Ausstattung an .
Sie war sehr zufrieden mit ihrem zukünftigen Schwiegersohne , und gab uns ihren Segen , als die priesterliche Hand uns zusammengefügt hatte .
Bis jetzt , meine Ida , haben Sie mich als ein leidlich gutes Mädchen kennen gelernt ; aber der zweite Akt meines Lebens ! - ach , Ida , was für eine Erzählung steht Ihnen bevor ! - - Die jugendliche Liebelei abgerechnet , die mir nicht ins Herz drang , war ich wohl ein gutes Mädchen :
denn mir gefiel zwar die Liebe , die meinem Wesen Bedürfnis des Herzens schien ; der Geliebte war es jedoch nicht , den ich eigentlich meinte .
Ein Besserer würde mir besser gefallen haben ; aber der , an dem ich meine Schwungkraft übte , war mir der Nächste , und lief mir in den Weg .
Ach , ich fühlte mich so ganz geschaffen , durch Liebe zu beglücken , und beglückt zu sein ; aber ich sollte auf anderem Wege die Glückssonne finden , welche die zweite Hälfte meines Sommers erwärmt !
" Der zweite Akt , liebe Minna , der zweite Akt !
Ich bin begierig , die Rätin Thalheim kennen zu lernen ! "
- rief Ida .
Ich zog triumphierend in meines Gatten wohleingerichtetes Haus ein , und brüstete mich ein wenig , da verschiedene Domestiken mir als Frau Rätin huldigten .
- In meiner bisherigen Unterdrückung war ich , außer dem gelehrten Häuflein bei Madame Brennfeld , wenig in fremde Familienzirkel gekommen ; die Welt , in die mein Mann mich einführte , war mir also eine neue Erscheinung , so wie ich es ihr war .
Ich meinerseits betrat sie mit großen Erwartungen ; ob sie sich die Mühe gegeben , etwas von mir zu erwarten , - das weiß ich nicht .
Ich hatte meine neue Haushaltung mit dem festen Vorsatze betreten : im ganzen Umfange des Worts Hausfrau zu sein .
Diese Pflicht , dachte ich , wird ja wohl mit Weltgenuß nicht unvereinbar sein ? -
Ich will haushälterisch mit meiner Zeit umgehen , und mir nur dann erst Erholung verstatten , wenn ich sie mir durch Fleiß und Häuslichkeit verdient habe .
Ich ging alles Ernstes daran , jedes Fach des Hauswesens zu ordnen , jedem Dienstboten seine Bestimmung und Arbeit anzuweisen ; aber ach ! ich war bei weitem noch nicht mit meinen häuslichen Einrichtungen zu Stande gekommen , als ich dem Gebrauche frönen , und mich den Forderungen der Konvenienz hingeben mußte .
Da rollte ich nun Tage lang durch die Straßen , und schickte an Familien , die mir sogar dem Namen nach fremd waren , Katten , mit meinem , ihnen wahrscheinlich sehr gleichgültigen , Namen .
In meinem Zimmer fand ich ebenfalls den Spiegel mit mehr als hundert unbekannten Namen verbrämt .
Ich hatte niemand kennen gelernt , und doch hieß das Bekanntschaft machen . Dies fand ich sehr langweilig .
Durch die Gastgebote , die dem jungen Paare zu Ehren veranstaltet wurden , hoffte ich nun meine Erwartungen von den Freuden des geselligen Lebens erfüllt zu sehen .
In dieser Hinsicht unterwarf ich mich geduldig dem entsetzlichen Zwange einer dreistündigen Toilette , bei welcher ich nicht ohne Rührung an die Simplizität meiner Vaterstadt dachte .
Mein schön gewählter Putz und mein ins Gehör fallender Titel schienen mich zu einigem Selbstvertrauen aufzumuntern , und ich trat mit einer Zuversicht , die mir sonst gefehlt haben würde , in den großen Zirkel ein .
Allein du stolzer Mut , wie tief sankst Du in Dich selbst zurück !
Ich fühlte mich in jeder Rücksicht verdunkelt ; hier war mehr Eleganz in Kleidern und Putz , dort mehr Anstand und Grazie .
Mehr als alles aber waren mir die , sich so zu sagen überbietenden , Titel verdrießlich .
Ich fühlte , daß man , um wirklich etwas zu sein , nichts sein müsse .
In diesem Augenblicke hätte ich den Titel , auf den ich noch eine Stunde vorher so geprunkt hatte , der sich nun unter höhestrotzenden demütig hinwegschlich , um eine Stecknadel hingegeben .
Doch der längere Weltgebrauch hat mich nachher gegen diese Torheit , durch leeren Schall schimmern zu wollen , so abgestumpft , daß ich mich hätte Exzellenz betiteln hören können , ohne mir etwas dabei zu denken .
Die ganze Unterhaltung bei Tische lief auf Gemeinplätze hinaus ; aber der artige Stil des Vortrags bestach mein Urteil , und ich hielt es für ganz hübsch .
Indes fühlte ich recht gut , daß ich hätte mitsprechen können , aber ich wagte mich nicht hervor .
Meiner Sprache fehlte die Geläufigkeit des Ausdrucks und der Wendungen ; auch entging ihr das Gepränge gewisser Modewörter , ohne welche sie nur falsche oder abgesetzte Münze ist . -
Nach Tische , dachte ich , wird es besser gehen ; ich werde mich an ein weibliches Wesen anschließen , und vielleicht , vielleicht fügt es das gütige Verhängnis , daß ich eine Freundin finde , nach deren Genuß mein entgegenstrebendes Herz sich längst sehnt ; denn immer war Freundschaft der goldene Traum meiner Jugend gewesen .
Aber im Kaffeezimmer war ich um nichts gebessert ; und wäre ich aus Indien gekommen , ich hätte ihnen nicht fremder sein können .
Sie sammelten sich in Gruppen , unterredeten sich von Lottchen und Katchen , und hatten ihre Lokalspäße , ihre Lokalerinnerungen , als wäre ich gar nicht da gewesen . -
Dies Gespräch war mir wie eine Vorlesung aus der chaldäischen Bibel . -
Keine nahm Notiz von der Fremden ; ich strickte daß mir der Schweiß von der Stirn rann . -
Eine ältliche Frau schien meine unbehagliche Lage zu bemerken ; sie näherte sich mir , und tat eine Frage nach meinem Geburtsort und Eltern , wie man sie einem Kinde tut .
Plötzlich schoß nun das ganze Geschwader mit Fragen über mich her , deren Beantwortung gar kein Interesse für sie haben konnte ; und dies dauerte ununterbrochen fort , bis die Damen ihre Partien machen sahen , mich plötzlich plantirten , - wie der Franzos es sehr ausdruckvoll nennt , - und nun mit wahres Gier über die Karten herfielen .
Die ältliche Frau , welche den Fragern die Bahn gebrochen hatte , blieb zu meiner Gesellschaft allein übrig .
Sie war noch immer unersättlich in ihrer Wißbegierde , aber leider ! war jetzt mein Mund wie versiegelt .
Als dieser Abend nun auch überstanden war , bat ich meinen Mann , mich fernerhin nicht mehr so traurigem Vergnügen auszusetzen .
Er fragte mich lachend : ob mir in meinem Städtchen Gänsespiel , Tipp- und Sandhäufchenspiel besser gefallen habe ? -
Wir lachten wenigstens dabei aus frohem Herzen , niemand fühlte sich zurückgesetzt , und Jung und Alt waren froh ohne großen Aufwand , antwortete ich .
- " Wenn Du nur erst den Ton gefaßt haben wirst , wird es schon besser gehen , " - meinte mein Mann .
Von dieser Zeit fing ich an auf den Ton auszugehen , und alles dafür zu halten , was von dem Gewohnten abstach .
Das Geräusch der Kokette , womit sie Aller Augen auf sich zu ziehen suchte , die Pedanterie der Anspruchvollen , die mit studiertem Ausdruck ihre Belesenheit auskramte , jede Besonderheit hielt ich für das rechte .
So wurde ich immer ungewisser in dem , was ich eigentlich sein müßte ; und erst lange nachher , als ich zu vergleichen Gelegenheit und Reife genug hatte , fand ich , daß ich einem Phantom nachgejagt war ; daß es in der karakterlosen Menge keinen bestimmten Ton gibt noch geben kann ; das alles Beginnen und Treiben nur Konvenienz und Laune des Augenblicks ist , und daß auf schwankendem Grunde nie etwas Festes und Dauerndes aufgeführt werden kann .
Nach langem Umherschwirren und lästigem Selbstbewirten wurden wir endlich zu einer Gesellschaft solcher Männer eingeladen , die ich aus ihren Schriften , gleich unsichtbaren wohltätigen Gottheiten , verehrt hatte .
Bei der Vorstellung , daß ich diese erhabenen Wesen jetzt in der Nähe von Angesicht zu Angesicht sehen würde , ergriff mich ein heiliger Schauer , mein Geist neigte sich ehrfurchtsvoll , und ich besorgte , mit meinen fünf Sinnen die Weisheit nicht auffassen zu können , die mir zu hören bevorstand .
Ich ging , und hörte an dem Ausdruck :
" wir Rezensenten " - - sehr bald , wer die meisten dieser Herren waren .
Da gedachte ich eines französischen Reimleins , was mein Vater einst bei einer sehr hämischen Rezension sagte :
" Haine de philosophe est un feu qui devore , Haine de gazettier est mille fois pis encore . "
" Ich habe die Vorrede gelesen , " sagte einer , " das Buch soll nicht sonderlich sein ; ich werde es schön kappen ! " -
Dann ein anderer :
" Haben Sie meine Rezension von dem - - in dem - - gelesen ?
Ich habe mir einen Spaß mit dem Verfasser gemacht .
Das Ding ist eigentlich ganz gut ; aber so einer - - muß nicht aufkommen .
Hat der Mensch sich es nicht beikommen lassen , unser Journal zu bekritteln ? " -
Von einem liebenswürdigen Dichter hieß es :
" Er hat Verdienste , der Mensch ; aber wer kennt ihn ?
Er ist ja zu keiner Seele gekommen , als er hier war . "
Die Frauen nahmen auch hier , so wie in den anderen Gesellschaften , keine Kunde von der Unterhaltung der Männer , und flüsterten einander ihre kleinen Unbedeutsamkeiten zu .
Ich verließ auch diesen Zirkel unbefriedigt , weil ich zu hohe Anforderungen gemacht hatte ; aber diese Namen , dieser Ruf , berechtigten doch zu etwas mehr als dem Gewöhnlichem !
Mein Mann nahm mir es übel , als ich meinen Widerwillen gegen den Rezensentenklub zu erkennen gab .
" Sollte sich denn nirgends Genuß für meine achtzehnjährige Philosophin finden ? " sagte er verdrießlich .
" Heute ' führe ich Dich ins Schauspiel ; und gewährt Dir dieses nichts , so muß ich es wohl aufgeben , Dir Freuden außer Deinem Hause zu verschaffen . "
Der liebe Mann !
Er fühlte nicht , daß eben darin der Mißgriff geschehen war .
Wer Glück und Freuden außer seinem Hause zu suchen sich aufmacht , der umreise wie Anson und koke die Welt , er durchschaue Höfe und Palläste :
er findet es nicht ; denn er ließ es oft in seinen vier Wänden , auf einem armen Plätzchen am Kamin , in seinem schlechten Lehnstuhle zurück .
Sie kennen gewiß die über alles liebenswürdige Allegorie : Bathmendi von Florian ; sie ist ein schöner Kommentar über das , was ich jetzt sagte .
Ich rechne mir es nicht zum Verdienst an , daß ich im Schauspiele ein Vergnügen fand , das mich ganz an sich zog .
Ifflands Jäger fesselten mich durch ihre Wahrheit und reine Natur , die ich kannte .
Iffland ist der Stolz und die Ehre der Nation ; seinen vielfachen Wert nicht fühlen wollen , hieße sich selbst herabsetzen .
Ich sah alles , was von ihm war , und von der Zeit an überließ ich mich diesem Vergnügen mit Leidenschaft .
Mein Herz öffnete sich wieder sanfteren Eindrücken ; die gesellschaftlichen Zerstreuungen , die nichtssagenden Unterhaltungen hatten es , wie mit einer Kruste von Eis , umgeben .
Bei manchen Vorstellungen wurde ich weich ; ich gedachte des Morgenrots der Liebe , die einst einem so unwürdigen Gegenstande in meinem Herzen aufging .
Ach , mein Herz bedurfte der Liebe , wie die Blume des Taues !
Wenn mir der Himmel , so wie ich es gegenwärtig einsehe , Töchter zu erziehen gegeben hätte , ich würde dafür sorgen , sie mit hunderterlei kleinen Spielereien , zu der Zeit , wenn ihr Herz zu erwachen anfängt , zu umgeben ; mit Hündchen , Hühnchen , Täubchen , Blümchen , etc .
Ich würde ihnen einen Garten einräumen , den sie im eigentlichen Verstande bearbeiten müßten ; ich würde sie durch kleine Tändeleien , die das Herz beschäftigen , hinzuhalten suchen , um dem Drange , zu lieben , den Rang abzulaufen .
Denn , wenn dieser hervortritt , liegt gewiß die Sinnlichkeit im Hinterhalte , und springt , gleich einer gereizten Schlange , in dem ersten unverhofften Augenblicke hervor , den bei rascher Jugend ein Tanz , ein Glas Wein , ein von ungefähr ins Ohr gefallenes schlüpfriges Wort herbeiführen kann .
Ida , ich überhebe mich nicht , weil ich in dem ersten Versuche nicht fiel ; eine Zusammenkunft unter Gottes freiem Himmel , - ein Liebhaber , dessen Plumpheit meinem Gefühle widerstand ! - wer weiß , was schon damals aus dem unbesonnenen Mädchen geworden wäre , wenn die Mißverhältnisse nicht so gar grell ins Auge gefallen wären .
- Ich war überdem zur Schamhaftigkeit erzogen , und hatte aus Geßners Idyllen mein erstes Ideal von Liebe geschöpft .
Ich kehre zu meinen Bekenntnissen zurück .
Das Schauspiel fesselte mich so , daß ich gleichsam in eine idealische Welt versetzt war .
Meine Phantasie hatte einen so lebhaften Schwung bekommen , daß mir die kälteren Verhältnisse meines Hausstandes zum Ekel wurden .
Der ruhige , bloß freundschaftliche Umgang mit meinem Manne schien mir träge Abspannung zu sein ; mich graute vor aller häuslichen Beschäftigung ; ich verrichtete sie obenhin und mit Widerwillen .
Das Leben im Hause war mir ein bloßer Mittelstand , welchen ich ertrug , in so fern et Zubereitung zu der besseren Existenz im Schauspielhause war .
Anfänglich lächelte mein Mann , wenn er meine Extase über alles , was auf Schauspiel Bezug hatte , bemerkte .
Ach , möchten ihm doch diese Anzeigen , wie leidenschaftlich ich jede Zerstreuung ergriff , für die mein lebhafter Sinn so empfänglich war , nicht entgangen sein !
Und dennoch drängten sich mir mitten im Rausch der Freude an meinen Lieblingszeitvertreib unwillkürliche Erinnerungen an solche Abende stillen häuslichen Glückes auf , wo , wenn ich fleißig und flink gearbeitet hatte , die Mutter zum Vater sprach : " Sieh ' , Väterchen , wie unsere Minna wacker und schmuck ist !
Sie wird einst eine brave Hausfrau sein .
Sie macht uns Freude , und soll auch Freude durch uns haben . "
Diese Erinnerungen peinigten mich , besserten aber nichts .
Zerstreuung und Zeitvertreib gehörten nun schon zu meinen Dasein ; ich wollte nur amüsiert sein .
Dies war die Losung aller Weiber meiner Bekanntschaft !
Ich ließ nicht ab , bis die Geburt meines Sohnes mich zwang , meine Residenz im Hause zu nehmen , wobei ich zugleich zu einer Tätigkeit gezwungen war , die Bezug auf meinen Zustand hatte .
Ein Gewitter , das sich durch schreckliche Blitze verkündigte , unterbrach die Freundinnen ; sie kamen erst nach vielen Abenden wieder auf ihrem schönen heimlichen Plätzchen zusammen .
" Wir verließen Sie neulich im Kindbett .
- Wie vermochten Sie damals diese Einsamkeit zu ertragen ? "
- fragte Ida .
Die Leiden meines neuen Standes - fuhr Minna fort , - wirkten allerdings einige Rückkehr zu mir selbst .
Nach meinen , in dem Städtchen , oder vielmehr vom Stiefvater mir eingebläuten , Begriffen nahm ich mir vor : den strengen Herrn wieder gut zu ma chen , und geistliche Bücher zu lesen .
Deshalb nahm ich meine Zuflucht zu meines Mannes Bibliothek .
Was mir geistliche Bücher zu sein schienen , waren gerade solche , worin eben alles , was ich glaubte , bestritten wurde .
Nie hatte ich auch nur die Möglichkeit geahnt , daß gewisse Sätze , und was mir Wahrheit war , einigem Zweifel unterworfen sei .
Und hier waren es nicht bescheidene Zweifel , die der wahrheitsuchende Forscher aufwarf , sondern frecher Spott und beißender Witz .
Bei dem ersten Blick darauf dachte ich , die Erde müsse mich verschlingen , oder Feuerregen auf mich fallen ; aber die Neugier brannte lichterloh , ich las , und nährte mich unglücklicher Weise mit einem Gifte , das nachher meine besten Lebenssäfte aufzehrte .
Dann bemächtigte ich mich des Systeme de la nature mein armer , schwacher Kopf hatte keine Widerlegung zur Hand , ich nahm blindlings an , was ich mit so wahrscheinlichen Gründen behauptet fand , und was man mir als Religion mitgegeben hatte , hielt auch nicht einen Augenblick dagegen Stand .
Mein Mann schalt , als er meine Lesereien untersuchte ; aber er tat nichts , dem Gifte entgegenzuwirken .
Und hiermit war es denn ausgemacht , was künftig aus mir werden konnte , wie ich immer tiefer sinken sollte , da der Grund untergraben war .
Zum Unglück war der Arzt , der mich besuchte , ein äußerst freidenkender Mann ; er sah was ich las , widerlegte zwar in einzelnen Stellen das verruchte Natursystem :
was er aber billigte und noch hinzusetzte , wirkte stärker auf mich , als was ich gelesen hatte .
Den Arzt verehrte ich grenzenlos ; seine Äußerungen wurden mir gefährlich .
- Er , der mir nachher wohl tat , ahnte nicht , wie viel seine freigeistigen Meinungen zu meinem Falle beigetragen hatten .
Als die Wochenstube von überflüssigen Wärterinnen und Besuchen gereinigt war , und ich dem ruhigeren Nachdenken überlassen blieb , dachte ich ernstlich über den Beruf nach , den mir jetzt die Natur angewiesen hatte .
Ich sollte ein Wesen zum Menschen , zum nützlichen Mitgliede der Gesellschaft bilden !
Wie sollte ich das anfangen ? - den Weg einschlagen , den meine braven Eltern gegangen waren ?
Ganz gut : meine Brüder waren liebe , gute und viel versprechende Knaben ; aber diese Erziehungsmethode war zu altmodisch , ich setzte mich dadurch der Nachrede und dem Verdachte der Unwissenheit aus : also etwas Neues und Auffallendes .
Ich durchblätterte alles , was ich von pädagogischen Schriften auftreiben konnte , und das System , welches ich zuletzt gelesen hatte , schien mir immer das anwendbarste zu sein .
Mit meinem geraden Menschensinn sah ich wohl ein , daß die meisten neueren Pädagogen die Unarten der Kinder in Schutz nehmen ; daß an die Stelle der alten Pedanterie Ungezogenheit und Grobheit getreten ist ; daß , bei dem unmerklichsten Mißgriffe , die bezweckte Freimütigkeit in Ungebundenheit und Insolenz ausartet , bei der die Mütter unaufhörlich in Verlegenheit geraten ; daß , um die Kinder früh zu Menschen zu machen , sie zu zeitig aufhören , das , wozu sie ihr physischer und moralischer Zustand bestimmt , Kinder zu bleiben ; daß die unverständige Wichtigkeit , die jetzt den Kindern gegeben wird , eine Generation von unausstehlichen Egoisten bildet , die , weil ihre Eltern alles auf sie Beziehung nehmen ließen , sich dann einbilden , das Sonnensystem sei ihretwegen da , und die Welt müsse sich nach ihnen bequemen , wie Mama und die Kindermuhme taten ; daß es Unrecht sei , den Kindern immer merken zu lassen , wie in der Eltern Hause alles ihretwegen so und nicht anders sei .
Ihretwegen , ja , nur ihretwegen wird mancher Aufwand gemacht , ihretwegen werden die Wohnungen so oder anders geordnet , ihre kindischen Reden werden ganzen Gesellschaften wie Orakelsprüche wiederholt ; und das alles , weil der alte Bürger von Genf einst gesagt hat : die Mütter sollen Mütter sein . -
Ja , hätte er den Müttern seine Hände auflegen und seinen Geist mitteilen können !
Was fruchtet es , daß die Mütter ihre kleinen Äffchen unaufhörlich verhätscheln ?
Lieben etwa jetzt Kinder die Eltern mehr als ehedem ?
Ach !
die öffentlichen Blätter beweisen es nicht , worin oft trostlose Eltern die ungezähmten , entlaufenen Söhne flehentlich einladen , nur wiederzukehren , und in rührenden Ausdrücken dem Flüchtlinge die erwartete Nachsicht und Verzeihung beteuern !
Die Pädagogik machte mich unsinnig ; denn ich wollte durchaus nicht dem schlichten , geraden Menschensinne , sondern einem erdachten System folgen .
Bevor ich mich aber zu irgend einem bestimmt hatte , war auch der Grund zum Verziehen des Kindes schon unabänderlich gelegt ; denn , statt auszuüben was ich wußte , las ich , um zu lernen was ich nicht wußte .
Fragte ich meinen Mann um Rat , so hieß es : " Tue ' , was Du willst ! "
Er gestand seine Unkunde in dem Fache , und war mit meinem guten Willen so befriedigt , daß er zu fragen vergaß , ob sich meine Erziehungskunst über die Grenzen des guten Willens erstrecke ?
Die ungewohnte Regelmäßigkeit , die sich während dieser Ereignisse gleichsam von selbst im Hauswesen eingefunden hatte , machte meinem Manne Langeweile , und scheuchte ihn fort .
Er besuchte täglich eine Gesellschaft , in welcher ihn der l' Hombretisch bis um Mitternacht festhielt .
So fand ich mich , da seine Gesellschaft mir am unentbehrlichsten war , allein gelassen , und vernachlässigt , wie ich es nannte .
" Habe ich das um Dich verdient ? " sagte ich einst im Unmute , als ich ihn bis gegen den Morgen erwartet hatte .
" Ich kann mich nicht so einschränken ! " antwortete er un willig ; " warum gehst Du nicht mit ?
Meinst Du , es sei etwas Verdienstliches , ewig im Hause zu hocken ? oder erwartest Du , ich werde Dir diese Trägheit , die hier gern im Gewande der weisen Zurückgezogenheit erschiene , als Tugend anrechnen ?
Du bist eine Grillenfängerin ; kein Mensch steht Dir an .
Wer so delikat sein wollte , müßte in eine Einöde fliehen .
Man erträgt die Schlechten der Guten wegen ; und wo lebt der Mensch , der nicht eine Seite hätte , von der er mißfallen würde , wenn man diese zuerst an ihm erblickte ?
Minna , laß uns ertragen , damit wir wieder ertragen werden ! "
Diese weisen Sprüche überzeugten mich in so weit , daß ich nur noch einwendete das Kind könne nicht ohne mich sein .
" O , das dreivierteljährige Kind , " - antwortete er , - " bedarf Deiner noch nicht .
Es ist ein kleines Tier , das Deiner nicht achtet , wenn ein Anderer seine physischen Bedürfnisse befriedigt . "
Er hat recht !
dachte ' ich wider besseres Wissen und Gewissen , entwöhnte mein Kind , überließ es einem jungen wollüstigen Kindermädchen , und begleitete meinen Mann Tag für Tag in seine Gesellschaft .
Anfangs sagte sie mir wenig zu ; denn da Alle spielten , so war ich ihnen sehr unbedeutend .
Die Langeweile , welche mir das machte , brachte mich dahin , daß ich einige der gangbarsten Spiele lernte ; ich begriff sie leicht , und der lebhafte Geschmack , den ich dieser neuerworbenen Geschicklichkeit abgewann , wurde bald zur unbesiegbaren Leidenschaft .
In meinem Hause ging es während dieser täglichen Auswanderungen kraus und bunt durch einander .
Die Domestiken , welche es sehr gut wußten , daß ihre Frau zu gewissen Stunden abwesend war , machten ebenfalls ihre Partien in und außer dem Hause , spannen Liebeshändel an , und belogen und betrogen mich an allen Ecken . - Meinem Kinde wurde ich fremd , der Knabe war mir abgeneigt ; denn wenn das arme verwahrloste Geschöpf weinte , wurde es mit der Mama bedroht .
" Sie kommt , sie soll Dich schon strafen ! " hieß es ; und dadurch war ihm Mama so sehr zum Popanz geworden , daß es sich ängstlich verbarg , sobald es nur meine Stimme hörte .
Das rührte mich aber nicht , wie es wohl gesollt hätte .
Die neue interessante Leidenschaft besaß mich ganz , und es schmeichelte meiner Eitelkeit , daß ich nun mit so leichter Mühe die charmante Frau aller derer war , die so gefällig waren , mir mein Geld abzugewinnen ; denn vermutlich spielte ich schlecht , weil ich überall , wo ich spielte , bares Geld war .
Eine Zeitlang nahm mein Mann dies ganz gut auf ; hatte er aber selbst namhafte Summen verloren , so hieß es : Du solltest Dich doch etwas mehr in Acht nehmen .
Ich tat es nicht , weil ich dachte , er , der größere Summen aufs Spiel setzt , sollte sich noch mehr in Acht nehmen .
Durch diesen Widerstand wurde meine Spiellust bald Spielwut .
Mein Nadelgeld , wofür ich mir Putz und Kleider anschaffen sollte , reichte nicht mehr aus , und ich borgte von dem zur Haushaltung bestimmten Gelde .
Anfangs ersetzte ich es gewissenhaft ; dann nahm ich es weniger genau , ob ich gleich noch vor mir selbst errötete , wenn ich für manchen Einkauf größere Summen in das Wirtschaftsbuch eintrug , als sie gekostet hatten .
Da aber alle diese geringen Behelfe nicht mehr hinreichten , sprach ich unseren Hausarzt um eine Summe an , und gab einen edlen Gebrauch derselben vor .
Der Blick , mit welchem der edle Mann mir das Geld hinreichte , drang mir tief in die Seele .
" Er hat in Deinem Herzen gelesen , " sagte ich mir ; " er kennt Dich , sieht Dich so schlecht , als Du Dir selbst erscheinst . "
So , meine Ida , lag das bessere Ich mit dem hingerissenen , vom Strudel ergriffenen in stetem , erschöpfenden Kampfe .
Aber das Bessere siegte so selten , daß ich vielmehr , immer mutloser zum vergeblich unternommenen Kampf , von einer Stufe der Verderbtheit zur anderen herabsank .
Zu den Zügen , die mir noch heiß auf der Seele brennen , gehört einer , bei dessen Erinnerung ich noch erschrocken zurückfahre , weil er das Verderben eines Menschen nach sich zog .
Das schöne bare blanke Geld , welches mir mein Mann gab , um den Domestiken ihren Lohn auszuzahlen , jammerte mich , und ich hatte von ganz gut renommierten Frauen gehört , daß sie ihren Mädchen , statt der versprochenen Münze , alte abgelegte Kleider gaben .
Das schien mir nachahmungswürdig ; ich sichtete meinen Kleidervorrat , fand viel Veraltetes , legte es in bester Gestalt auf Stühlen aus , machte unmäßige Preise , und rief meine Mädchen herein .
Die jüngste , ein eitles , törichtes Ding , haschte gierig nach dem modischen Plunder , ließ sich jeden Preis gefallen , und die Frau Rätin strich richtig die blanken Taler ein .
Bald nachher strotzte sie in dem zusammengestoppelten Flitterstaate , und ich beging nun noch die zweite unverzeihliche Schwachheit , es ihr nachzugeben , daß sie unter dem Vorwande , den Schneiderlohn zu ersparen , die Kleider in dem Schnitte trug , wie ich sie getragen hatte .
Das nicht übel aussehende Mädchen fing an , von den Männern bemerkt zu werden , und ein rosaseidenes Jäckchen trug ihr manches reichliche Trinkgeld , und manchen verstohlenen Kuß beim Hinausleuchten ein .
So durch Liebkosungen gereizt , ergab sie sich bald den gröberen sinnlichen Ausschweifungen .
Ich schaffte sie ab , ein Bekannter meines Mannes unterhielt sie ; aber bald überschritt ihre Liederlichkeit alle Grenzen , und nach nicht gar langer Zeit beschloß sie ihr Leben im öffentlichen Krankenhause .
Ein zweites Wochenbett , worin ich meine Tochter gebar , war mir eine unangenehme Unterbrechung meiner Lebensweise .
Ich nahm eine Amme , um geschwinder loszukommen .
Diese war von einem heimlichen Übel angegriffen ; sie teilte es meinem armen Wurme so sehr mit , daß das unschuldige Kind unheilbar schlimme Augen und einen Fehler am Nasenbeine bekam , wodurch es die schnüffelnde widrige Sprache erhalten hat , deren Laute mich oft aus meiner süßesten Ruhe aufschrecken , und mir meine Verbrechen vorrücken .
Noch war es nicht zu spät umzukehren , hätte mein Mann nur ein Fünkchen Glauben an stille häusliche Zufriedenheit gehabt .
Kam die gewohnte Stunde zur Abendgesellschaft , so war_es als würden wir mit einem Schlage beide elektrisiert .
War zu dieser Zeit jemand bei uns , so wurde es auffallend und lächerlich , unsere Zerstreuung zu bemerken , zu sehen , wie wir einander winkten , und die Sprache nur dann erst wiederfanden , wenn der Gast Miene machte , gehen zu wollen .
Wenn Sie , meine Ida , mich zu fragen scheinen :
" Wie konnte ein liebendes , herzliches Mädchen so schnell ein kopf- und herzloses Weib werden ? " -
so kann ich Ihnen nur antworten : " ich weiß es selbst nicht ! "
Wie wahr ist es doch , was ein bekannter Schriftsteller von uns sagt : " Das Mädchen hat keinen Charakter ; das Weib entwickelt ihn mit schneller Fertigkeit ! "
Sollte es aber nicht ein Fehler der gewöhnlichen Mädchenerziehung sein , daß man den Begriff von Tugend uns zu sehr vereinzelt , und beinahe die Keuschheit ausschließend darunter versteht ?
Diese an sich so schöne , so göttliche Tugend muß dann oft bei wahren Hausdämonen für den Mangel aller übrigen schadlos halten .
Mich dünkt , es war Anna von Bretagne , die böse und geizig , aber sehr keusch war , von welcher ihr Gemahl sagte : " ich wollte , sie wäre etwas weniger keusch ! "
Und , - was soll ich_es bergen ?
- mein Ideal von einer glücklichen Ehe war unerfüllt geblieben .
Die Basis aller meiner guten Anlagen war immer Liebe gewesen ; zwar kindliche , aber dennoch immer Liebe !
Auch meinem Gatten hätte ich gern aus vollem Herzen Liebe gegeben , wäre sie nur seinem Herzen wert gewesen .
Ach !
Liebe will Gegenliebe ; sie will empfunden , gewürdigt , erwidert sein !
Ihm war aber die Liebe , - an welcher sein Herz nicht Teil nahm , - zur Gewohnheit , zu einem Zeremoniell geworden , wobei er kalt blieb , und womit er mein heißes Gefühl zur kalten Gefühllosigkeit herabstimmte .
In meinem Herzen blieb eine Leere , welche auszufüllen ich mich dunkel sehnte .
Noch erlaubte ich mir auch nicht das fernste Hindrängen zum anderen Geschlecht ; allein Erfahrung hat mich beinahe überzeugt , daß die unzähligen Gelegenheiten des Beieinanderseins beider Geschlechter , und der vertrauliche Ton , der daraus entsteht , das Band der Ehen locker machen .
Auf alle Temperamente wirkt es freilich nicht gleich stark ; aber mich dünkt , Mann und Weib gewöhnen sich gegenseitig leicht einander als entbehrlich betrachten .
Die süße Gewohnheit , sich alles zu sein , wird geschwächt ; der Reiz des häuslichen Lebens verliert unmerklich gegen die gesellschaftliche Mannigfaltigkeit .
Warum wäre sonst in den vornehmeren Klassen eine glückliche Ehe eine so seltene Erscheinung ?
Bei dem ganz gemeinen Manne ist tierische Roheit ein Hindernis .
Allein man sehe nur , mit welchen Prätentionen die Modefrauen in Gesellschaften erscheinen !
Jede zeigt sich so liebenswürdig , so sonntagsmäßig !
Die schönsten Seiten werden im schönsten Lichte produziert !
Dagegen erscheint die Hausfrau mürrisch ; sie muß sich mit den Leuten ärgern ; sie läßt waschen , oder die Köchin hat das Essen verdorben ; oder - noch schlimmer - die Frau fordert Geld ; die Kinder brauchen Kleider ; welches Gesicht wird nun dem Manne besser behagen , das Sonntags- oder Alltagsgesicht ?
Eben so die Frau .
Die fremden Männer bemerken ihre Schwächen nicht , weil sie nicht interessiert sind , sie aufzusuchen .
Alle Weiber sind ihnen charmant , und keiner wird es je an Eicisbeen fehlen , sobald sie bestimmt merken läßt , sie sei nicht abgeneigt , Aufwartung anzunehmen .
Aber Ida , der Vollmond steht hoch über uns ; es muß über Mitternacht sein !
Ich sehe , es ist Ihnen jetzt Bedürfnis zu ruhen , und nicht zu hören .
Ida hatte sich diesen Abend zuerst unter dem lieben traulichen Baume eingefunden ; sie sang zur Mandoline in sanften zärtlichen Akzenten das rührende Mathisonsche Lied : " Wenn bei des Vollmond's Dämmerlichte , " etc .
Ihr Blick hing bethränt an dem Monde .
Es war sichtbar , daß schwerer Kummer , Erinnerung oder ahnendes Vorgefühl an ihrem Herzen nagten .
Minna hatte der schönen Stimme gelauscht ; küßte dann freundlich die Tränen von ihrer Wange , nahm die Mandoline , und sang ihrer Lieben die Abendempfindungen von Schlegel :
" Hinaus , mein Blick , hinaus ins Tal ! " etc . -
Ida horchte auf die beruhigenden Töne ; ihre Stimmung ging in sanfte Heiterkeit über , und die Unterredung wurde bald auf den eigentlichen Gegenstand ihrer Zusammenkunft geführt .
" Sie haben mir , " fing Ida an , " etwas zu denken gegeben , als Sie sagten : die Folge der häufigen geselligen Zerstreuungen sei Lockerwerden , oder vielleicht gar Auflösung ehelicher Bande .
Wenn dem so ist , so möchte man den Erfinder des Kartenspiels segnen ; denn meines Bedünkens trennt es wenigstens die Herzen , und macht sie den zärtlichen Gefühlen unzugänglich . Habe ich recht , Minna ? "
Was soll ich sagen ?
Vielleicht gedeiht echte , hingebende Liebe nie im Geräusch der großen Welt , und eine Liebe , wie der Mann und das Weib der Zerstreuung sie fühlen , ist bloßes Bedürfnis der Langenweile .
Eine solche findet auch am Spieltische statt .
Ein von ganzer Seele liebender Mann würde der jetzigen Mode zu leben ein seltenes Schauspiel gewähren , und sich in den Augen der persiflierenden Menge zum Narrenhause qualifizieren ; kaum duldet man ihn ja noch in Romanen oder auf der Bühne .
Geßners Hirtenwelt ist uns vorübergegangen , und die Manier des Empfindens mit der Zeit verschwunden , da jeder Jüngling sich durch einen blauen Frack und gelbe Weste zum Werther zu stempeln glaubte .
Das Kind ist mit dem Bade ausgeschüttet ; Wir Deutschen lieben die grellen Abstiche .
Es wird alles gut gehen , sagte Ida ; sehen Sie nur unverwandt auf die größere Maße des Guten und Besseren hin .
Wir sind fortgerückt .
Ungern ließe ich mir die herzerhebende Vorstellung von Menschenglück durch fortschreitende Vervollkommnung rauben .
- Diese Betrachtungen haben uns aber himmelweit von Ihrer Erzählung abgebracht ; ich bitte um die Fortsetzung .
Ich gehe willig Ihren Bemerkungen nach , - entgegnete Minna , - weil ich Sie gern so lange als möglich von dem Zeitpunkte meines Lebens zurückhalte , der mich so unaussprechlich erniedrigt darstellt .
Der Schluß unserer gestrigen Unterredung hat Sie vermutlich auf das vorbereitet , was ich zu sagen habe .
Unsere fortwährende zerstreute Lebensart erforderte einen Aufwand , der vermutlich meines Mannes Einkünfte übersteigen mochte .
Er fuhr gleichwohl fort , täglich zu spielen , und verlor Summen , deren Größe ich selten erfuhr .
Das veranlaßte Einschränkungen im Hauswesen , die mir lästig fielen , weil sie mich zu mehrerer Tätigkeit aufforderten .
Wenn mir mein Mann , nach zehnmal vergeblichem Fordern , das Geld , seine elend versorgten Kinder zu kleiden , mürrisch hinwarf , so mußten mir wohl die schönen Dukaten einfallen , die das l' Hombrehinwegraffte .
Wurde ich unmutig genug , eine solche Bemerkung laut werden zu lassen , so bekam ich den Vorwurf zehnfach zurück .
Durch solche Auftritte entstand Kälte , dann Abneigung , und zuletzt etwas , das dem Hasse ganz nahe kam . - Wehe , wehe dem Weibe , das Abneigung gegen den Gefährten seines Lebens einzugestehen wagt !
Sie hat den ersten Schritt auf dem Irrwege getan .
Jungen Weibern fehlt es nie an spähenden Beobachtern , deren Scharfblicke das eheliche Verhältnis nicht entgeht .
Sobald Kälte eintritt , fangen die galanten Kaper an zu kreuzen , und mehrenteils ist ihnen ein solches Weib eine gute Prise .
Schon längst war mir_es heimlich aufgefallen , daß meine sehr artige Figur und jugendliche Frischheit so wenig Sensation erregte , indes Weiber von ganz gemeinem Ansehn es durch die Kunstgriffe der Toilette dahin brachten , für schön zu gelten , und Liebhaber an sich zu ziehen .
Bei der jetzigen Lage meines Herzens verdroß es mich , und ohne daß ich mir_es gestand , erlaubte ich mir nach und nach einen Freiern , ins Auge fallenderen Anzug .
Es wirkte ; man fand mich anziehend , und wunderte sich , es so spät bemerkt zu haben .
Der gute Erfolg gab mir Mut und Erfindungskraft , meine Außenseite durch alle Modebehelfe zu heben .
Ich glaubte indes bloß mein unschuldiges Spiel mit den Männern zu haben ; aber sie hatten ihr Spiel mit mir , und ich lief ins Netz , als ich es noch kaum ahnte .
Ein junger Mann , von schönem Äußeren und schwarzer Seele , war mir auf allen meinen Irrwegen unbemerkt nachgeschlichen .
- Ihm , dem Weiberkenner , war die Revolution in meinem Putze nicht entgangen , und er hatte ihre Bedeutung richtig zu entziffern verstanden .
Nicht auf einmal , sondern wie der Tiger sich seinem Raube nähert , näherte er sich mir .
Der Listige !
Zuerst schien er nur aus Freundschaft für meinen Mann sich für mich mehr als für Andere zu interessieren .
Beim Spiel war er immer mit von meiner Partie .
Er schmeichelte meinem Hunde , und fand die Unarten meiner Kinder allerliebst witzig .
Durch hundert kleine Aufmerksamkeiten kam er mir näher , und immer näher .
Im Scherz , aber nur ganz im Scherz , gab er mir zu verstehen :
mein Mann mache einer gewissen Dame die Cour ; doch gab er sich das Ansehn , es zurücknehmen zu wollen , sobald er sah , daß ein Funken Eifersucht in meinem Herzen gefangen hatte .
Dadurch wäre ihm aber um ein Haar sein ganzer Plan vereitelt worden ; denn es schien sich in meinem Herzen die eingeschläferte Liebe zum Manne wieder zu regen , der Wunsch , mir aufs neue seine Zuneigung zu gewinnen , glomm noch einmal auf , und hätte dieser pflichtvolle Gedanke gerade einen freundlichen Punkt seines Betragens gegen mich getroffen , so war alles gut , und ich gerettet .
Aber er war unfreundlich , ließ mich hart an , und der unselige Gedanke fiel mir aufs Herz :
" Er entläßt Dich Deiner Pflicht ; Du darfst , Du mußt Dich rächen ! "
Ich machte es mir von nun an zum Geschäft , ihn genau zu beobachten , und es schien mir wirklich , als ob er einer hübschen Frau , die eben nicht im Rufe der Frömmigkeit stand , nicht abgeneigt sei .
Wenn er sie anredete , hatte sein Ton etwas weiches durchdrungenes , welches mir die wahren Akzente der Liebe zu sein schienen ; in seinen Reden gegen mich war er hart , trocken und herrisch .
Diese Entdeckung wirkte sehr unglücklich auf mich .
Ich gab ihn auf , und erniedrigte mich zu der verächtlichen Klasse solcher Weiber , die sich Liebhaber erlauben .
- Die Rätin Brennfeld hatte einst in einem Anfalle munterer Laune den Spruch hingeworfen : eine Frau könne einen Liebhaber haben , das müßten die Mädchen sich aber nicht herausnehmen wollen .
- So wenig mir ihre Sentenzen sonst des Aufbehaltens wert geschienen , hatte doch diese , wie mit schwarzer Schrift , unvertilgbar in mir gehaftet .
Es gab noch Augenblicke , wo ich zusammenschreckte , wenn ich mir_es lebhaft dachte , in welchen Orden ich eingetreten war .
Mein demütigendes Selbstgefühl wies mir nun einen sehr niedrigen Platz in der Gesellschaft an ; und meine stolzen Anmaßungen würden in Selbstverachtung zusammengesunken sein , hätte mich nicht unverdiente Achtung , die man mir jetzt , eben jetzt bewies , ja selbst die tausend kleinen Aufmerksamkeiten , mit denen man mir entgegenkam , und die zu sagen schienen : " jetzt ist sie worden wie unser eine ! " aus meinem Versinken wieder heraufgezogen .
Nachher habe ich diese Menschen selbst bitter verachtet , und es für einen Raub an der besseren Menschheit gehalten , wenn verächtliche Personen gleich den achtbaren aufgenommen werden .
Es ist höchst Unrecht , zweierlei Genuß an sich reißen zu wollen ; die geheime verbotene Frucht , und die öffentliche gute Meinung .
Aber der Zustand der inneren Selbstverachtung peinigte mich doch oft aufs schmerzlichste .
Ein liebkosendes Wort , selbst die Benennung Mutter von meinen Kindern , ein Brief von meiner nun sehr kränklichen Mutter , erschütterten mich gewaltsam .
Dann hätte ich mich in meines Herzens Beklommenheit gern an ein höheres Wesen gewendet , die brennende Unruhe durch Gebet und Hingebung gelindert ; aber der Bösewicht , der meine Ehre zu Schanden machte , hatte mich nach und nach durch atheistische Meinungen vollends um allen Glauben und Hoffnung gebracht .
Auch der Glaube an mich selbst war dahingegeben ; die Rückkehr war mir beinahe moralisch unmöglich gemacht .
Ein schwacher Überrest von Ehrgefühl oder Stolz hatte mich abgehalten , meine Domestiken zu Vertrauten meines Liebeshandels zu machen .
Der hereinbrechende Winter erschwerte unsere Zusammenkünfte .
Mein Verderber gab darüber viel Trauerns vor .
Als ich in ihn drang , mir seine Meinung über unsere Zusammenkunft zu sagen , gab er zu verstehen : uns sei geholfen , wenn ich ihn hinreichend liebe , mich über einige kleine Vorurteile hinwegzusetzen .
Ich machte mich anheischig , ihn jeden Beweis meiner Zuneigung zu geben , den er nur fordern würde ; und so geschah es , daß ich mich zu Zusammenkünften in einer abgelegenen Straße bei einem , solchem Unwesen gewidmeten , Weibe bereden ließ .
Die Elende , die sich für Geld zu einem so niedrigen Gewerbe hergab , bediente ihre Gäste mit teuren Leckerbissen , die nicht abgelehnt werden durften , wenn das Siegel ihrer Verschwiegenheit halten sollte .
Diesen Aufwand zu bestreiten , reichte der Finanzbestand meines - ach , daß ich ihn Verführer nennen dürfte ! - nicht zu .
Er ließ es , mit gewissen Winken begleitet , merken , die ich nur zu geschwind verstand .
Ach Ida !
auch hier muß ich es wiederholen : der Mensch sinkt von einer Stufe des Verderbens zur anderen , sobald er seine Moralität nicht an ein religiöses Interesse knüpft , oder die Ahnung der bürgerlichen Gesetze zu fürchten hat !
Die Tugend , die sich durch sich selbst belohnt , mag starken , denkenden Köpfen , oder kalten , leidenschaftlosen Temperamenten gelingen ; aber den Menschen , die so zu Tausenden auf der breiten Heerstraße des Daseins dahertreten , die dem Eindrucke des Augenblicks nachgeben , ist sie nicht gewährt .
Ich hatte eine lohnende sowohl als eine strafende Zukunft bespötteln und bezweifeln hören ; jetzt war mir_es bequem , sie wenigstens für ungewiß zu halten .
Niemand sah mich , niemand konnte es erfahren ; ich wurde , - ach , Gott erbarme sich ! -
da ich auf der imfamirenden Bahn nun schon nicht mehr , ohne mich der Schande auszusetzen , umkehren konnte , eine Diebin ! ich bestahl meines Mannes Kasse ! -
Sie werden blaß , Ida ! die Dämmerung hindert mich nicht , es zu bemerken . -
Ida antwortete mit Tränen :
" Ich bedaure Sie von ganzer Seele !
Es hat einst jemand gesagt : » man erkennt die Geliebte in dem Liebhaber . «
Ein tugendhafter Mann hätte Sie zum Engel erhoben .
Wir sind so wachsartig , daß wir unvermerkt die Gestalt des Geliebten annehmen . "
Sie setzen das Unmögliche , Ida ; erwiderte Minna .
Ein besserer Mann würde nicht sein strafbares Auge auf seines Freundes Weib geworfen haben .
Aber lassen Sie mich leise über diese noch immer schmerzhafte Narbe meines Gewissens wegeilen .
- Wir lebten von diesem Blutgelde - es war aus einer Depositenkasse von Kindergeldern , - herrlich , aber wahrlich ! nicht in Freuden denn so oft ich die unselige Schwelle betrat , bemächtigte sich ein entschiedener Trübsinn meiner Seele , der beinahe Verzweiflung wurde , als ich einst bemerkte , daß ich nicht die einzige Frauensperson sei , welche dieses Haus in verbotener Absicht besuchte .
Eine Figur , verhüllt in einen Florschleier , schlüpfte bei einer Glastür vorüber .
Das Kleid , die Leibbinde und den farbigen Handschuh hatte ich gestern noch in einer Gesellschaft gesehen ; es war die einzige Tochter eines angesehenen Mannes , die hier mit einem Figuranten aus der Oper zusammenkam .
Tief , ungemessen tief beugte mich die Vorstellung , daß ich mich in einem öffentlichen , dem Laster geweihten Hause befand !
Aber die schreckliche Entwicklung lag mir nicht mehr fern .
Einst ging ich , um kein Aufsehn zu machen , in einem schlichten Anzuge früher in das unselige Haus .
Die Domina führte mich in ein unteres , mir unbekanntes Zimmer , weil , wie es hieß , das gewöhnliche vom Reinigen naß sei .
Mit klopfendem Herzen ging ich , im Vorgefühl der mir bevorstehenden Katastrophe , auf und nieder .
Ich blieb lange allein , bis sich hörbar ein männlicher Tritt der Tür nahte .
" Hier in diesem Zimmer finde ich sie ? " hörte ich die , mir nur zu gut bekannte , Stimme meines Mannes fragen .
Schrecken , Angst und Scham trieben mich wie ein Blitz in den entlegensten Winkel der Stube .
Die Tür flog - wie es mir vorkam wurde sie wütend aufgerissen - hastig auf , und ich hörte meinen Mann das ihn hereinlassende Mädchen zehnmal in einem Atem fragen : " aber wo , wo ist sie denn ? "
Da ich nicht einen Augenblick zweifelte daß ich gemeint sei , so stürzte ich aus dem mich übel verbergenden Winkel hervor , stieß ein kläglich-wimmerndes Geschrei aus , und fiel über einen mitten im Zimmer stehenden Stuhl mit ihm zugleich zur Erde .
Durch das Poltern meines Falles herbeigezogen , kam die Wirtin mit Licht herein .
Wer vermag wohl den jetzigen Auftritt zu schildern ?
Bei mehr Besonnenheit , oder weniger scheuem Gewissen , hätten wir uns gegenseitig täuschen und vorgeben können : einer suche den anderen ; aber so entdeckte sich es bald , daß auch mein Mann in der unrühmlichen Absicht hier war , seine Dame zu sehen , dieselbe , auf die mein Liebhaber mir Argwohn beigebracht hatte .
Die Verwechslung der Zimmer war Zufall , und war durch des kleinen Dienstmädchens Unwissenheit geschehen , wodurch ganz natürlich diese Entwicklung herbeigeführt wurde .
Mein Mann stand vor mir , in ungewisser Haltung und mit Verlegenheit im Gesicht .
" So ganz ohne Mut ?
Sie sind eine erbärmliche Sünderin , Madame ! " sagte er bitter ; " was werden Sie jetzt beschließen ? "
- So übel ihm , dem nicht minder Strafbaren , dieser Ton auch anstand , drang er doch tief in mein zermalmtes Herz .
Weit von allem Trotze entfernt , rief ich , weinend und vor ihm hinkniend :
" Ich beschließe , hier nicht eher aufzustehen , bis ich Deine Vergebung erflehet habe , bis Du mein reuiges Herz wieder aufnimmst . "
- Darauf war er nicht gefaßt gewesen .
Ich küßte seine mir dargereichten Hände , benetzte sie mit Tränen , und rief , glaube ich :
" Verstoßest Du mich jetzt nicht , so soll mein , ganzes künftiges Leben Dir ein fortwährender Beweis meiner Liebe und Treue sein . " - Er war erschüttert aber nicht erweicht , doch sagte er ziemlich milde :
" Komme , Minna , keine Szenen an diesem Orte ; vor solchen Zeugen müssen wir nicht handeln . "
Er sagte der Wirtin einige Worte , und schleppte mich mit sich fort , denn gehen konnte ich im buchstäblichen Sinne des Worts nicht .
Dieses Bekenntnis ist mir über alle Beschreibung schwer geworden .
Ich fühle mich nicht im Stande , heute mehr zu sagen ; meine Kräfte sind alle von dieser entsetzlichen Erzählung erschöpft .
Ach Ida , möchte ich jetzt einen Blick in Ihr Herz wagen dürfen !
- Mußte denn ich , ich selbst die schöne Täuschung , die Sie an mich band , zerstören ?
" Die Minna , welche ich liebe , ist nicht mehr die Gefallene ; nein , das schöne Antlitz der edelsten Menschheit ist ganz wieder in ihr hergestellt !
Diesen Glauben an Ihre wieder in die alten Rechte eingetretene Würde sollen Sie selbst mir nicht rauben können ! " sagte Ida schwärmerisch .
" Doch , kein Wort weiter ; Sie bedürfen Schonung und Ruhe . "
Das tete-a tête , - fing Minna am folgenden Abend ihre Erzählung an , - welches mir mit meinem an seiner Ehre gekränkten Manne bevorstand , erforderte einen Mut , zu dem meine gebeugten Kräfte sich nicht erheben konnten , obgleich seine eigene unrühmliche Absicht mich hätte aufrecht halten können .
Als ich in sein Zimmer trat , war ich einer Ohnmacht nahe :
er aber schien seine Fassung in meiner Ohnmacht zu finden , behandelte mich vor den Domestiken wie eine Kranke , ließ mich auskleiden , mir Tee geben , und schien so sanft und verzeihend , daß mir endlich wieder ein Fünkchen Mut aufging , und ich seine Hand an meine Lippen zu drücken wagte .
Er entzog sie mir nicht ; als ich aber über den bewußten Vorfall sprechen wollte , rief er : " Still ! keine Silbe vom Vergangenen ! wir bedürfen beide besonderer Nachsicht , und haben viel , sehr viel gut zu machen .
Verhalt Dich ruhig , die Zeit verwischt viel . "
Das , wodurch die brennende Wunde meines Gewissens Linderung erhalten sollte , wäre mir zur anderen Zeit ein entsetzliches Übel gewesen .
Ich verfiel nämlich in ein hitziges Fieber , welches lange anhielt , und wogegen meine ganze Jugendkraft kaum das Gegengewicht halten konnte .
Ich besserte mich sehr langsam , und erst nach einigen gefährlichen Rückfällen .
Da wurde ich mit Vergnügen gewahr , daß mein Mann nur dann von meinem Lager wich , wenn dringende Geschäfte ihn abriefen .
Daher vergaß ich leicht , daß auch er gefehlt hatte , und nun sah ich nur noch die Größe meines Vergehens .
Doch , Dank sei es der zerrüttenden Gewalt des Fiebers , es erschien mir jetzt schon mehr in einer matten Dämmerung ; mein Entschluß war aber fest und unwandelbar , daß , sobald meine Kräfte mich hielten , ich meinem Manne die abscheuliche Größe meines Verbrechens ganz gestehen wollte .
Durch Worte , die mir während der Fieberhitze entfuhren , hatte er es schon zum Teil argwöhnen können .
An einem heiteren Morgen , wo ich zuerst außer dem Bette war , nahm er meine Hand , und fragte mich in einem , gar keine Erwartung erregenden Tone :
ob ich wohl je aus Versehn Geld aus seiner Kasse genommen habe ?
er wäre vielleicht nicht sorgfältig genug gewesen , diese Gelder von seiner Privatkasse abzusondern ; da sei es möglich , daß , wenn ich von dem meinigen zu nehmen geglaubt habe , aus Versehn - -
Ich hüllte voll Entsetzen mein Gesicht in ein Tuch ; glühende Scham überzog das kranke , bleiche Gesicht .
" Du weißt es also ? -
Auch diese Schmach ! " -
Ja , ich Elende ! ja - - " Wie viel ? wie oft ? " fragte er .
Ich nannte die nicht kleine Summe .
Er entfärbte sich .
" Großer Gott ! " seufzte er , " Minna , bist Du stark genug , es zu hören ? doch , erfahren mußt Du es ohnehin bald .
Wir haben auch hier beide gesündigt ; wir haben aus einem unrechtmäßigen Fond den Aufwand unserer unerlaubten Freuden bestritten .
Das trügliche Lotto sollte mich retten , hoffte ich , und es beförderte meinen Sturz .
Ich gebe mich , ich bin verloren !
Rette Deine Mitgift . "
- Keinen Heller ! nicht einen , so weit es nur immer zum Ersatz zureichen mag : rief ich standhaft zusammengenommen .
In diesem kritischen Moment zeigte sich mir in der Ferne ein großes Mittel , mich wieder zu einiger Würde und einigem Verdienste um meinen Mann zu erheben ; ich fühlte Mut und Entschlossenheit , mit zu tragen und mit zu leiden .
Was steht uns bevor ?
was müssen wir tun ? rief ich stark und entschieden .
- " Dieses Haus räumen , Minna , und es mit allem was es enthält , den Defekt zu decken , hingeben .
Mich wird man , bis zur ausgemachten Sache , festsetzen und kassieren .
Dann werden wir uns klein , sehr ins Kleine zusammenziehen müssen , und ich werde , wenn mir besondere Gnade widerfährt , vielleicht einen kleinen Dienst bekommen , vielleicht auch nicht . "
- Und ich , fiel ich ein , werde arbeiten , und werde Dich , den ich zu Grunde richten half , und unsere Kinder nicht im Unglücke vergehen lassen .
War ich doch , ehe ich Dein Weib wurde , der Arbeit gewohnt .
Es gibt eine Vorsehung .
Sie wollte mich mit Milde führen ; ich achtete ihrer nicht , und nun kommen mir die Heerlinge , von denen die Bibel spricht , welche mir die Zähne stumpfen werden .
- Mein Mann erstaunte über die Kraft , die er mir gar nicht zugetraut hatte ; aber ich fühlte , daß der Beifall meines eigenen Herzens mir noch mehr wert war , denn nur ich wußte genau , daß ich nicht Tatenleere Worte hinprunkte .
Es traf alles genau so ein , wie mein Mann gesagt hatte .
Uns widerfuhr das strengste Recht .
Auf Mitleiden durften wir nicht rechnen ; denn er hatte die Schwachheit gehabt , seine Revisoren und viele Adelige oft zu bewirten .
Eben diese waren es , die das Schwert mit Schärfe über uns schwangen .
" Es konnte nicht anders kommen , " hieß es ; " auf des Mannes Tisch kam Rheinwein , wie der König ihn kaum hat .
Das Kleine wurde vergrößert , und das Mittelmäßige zum Übermäßigen erhoben .
Die Frau war ebenfalls eine Närrin ; sie trug Federputz und Brillanten , wie eine Adlige .
Solche krasse Bürgerliche wollen es dadurch der vornehmeren Klasse gleichtun , und es hat doch weder Art noch Geschick .
Es geschieht ihnen ganz recht . "
- So sprachen die , welche wahrlich nicht scheel sahen , als der edle Rheinwein ihnen in unseren Gläsern zublinkte .
Wie liebkosend hatten jene Herren oft die Hand geküßt , an welcher der beneidete Brillant einst schimmerte ! und nun waren . sie emsig , die Sinkenden noch tiefer in den Staub zu drücken .
Doch , glücklicher Weise war unser noch übriggebliebenes Vermögen zur Erstattung hinreichend ; mein Mann kam mit Kassation , ohne Verhaftung , durch .
Wir lebten nun in einer Beschränkung , die nahe an Dürftigkeit grenzte .
Er schrieb Noten , und las Korrekturen für einen Buchdrucker .
Ich nähte , wusch Flor , Putz und seidene Strümpfe , wobei mir manches Kleid unter die Hände kam , das ich ehedem zu verdunkeln mich bestrebt hatte .
Jetzt wurde ich auch mit Entsetzen gewahr , wie sehr meine armen Kinder durch meinen Leichtsinn verwahrloset waren , und dies war_es eigentlich , was mich bei unserer Armut tief in den Staub beugte .
Die Folgen dieser Verwahrlosung konnte ich gar nicht berechnen .
Meinen Sohn hatte ich , ehe er noch ein Jahr alt war , einem jungen , und , wie es sich zeigte , liederlichem Mädchen überlassen .
Dieses Geschöpf hatte den Hang zum Naschen in ihm erregt , um diese Untugend zu ihren Absichten zu benutzen ; sie war auch bald ganz sicher , daß Fritz nichts verriet , wenn sie ihn mit einem Törtchen oder Äpfelchen den Mund versiegelt hatte .
Als er größer und fähiger wurde , gebrauchten ihn die Mägde , mich auszuspähen , und zu erfahren , wenn ich ausgehen und wie lange ich wegbleiben würde .
Mein Fritz hatte das Gewerbe des Spionierens so gut inne , daß er mir immer gegen seine Gönnerinnen , welches die Mädchen zu sein schienen , mit dem treuherzigsten Gesicht allerlei vorbrachte , um ihnen meine Beschlüsse über sie hinterbringen zu können .
Schrecklicher aber noch als diese Falschheit war der Hang zur gröbsten Sinnlichkeit , womit die wollüstigen Dirnen ihn angesteckt hatten .
Die weibliche Bescheidenheit verbietet mir , umständlicher davon zu sprechen .
Er wurde bläulich , bleich , schwankend , Hals und Rücken krümmten sich unangenehm vorwärts hin , die Stimme wurde heiser und unrein .
Ein guter Arzt hielt diesen Zustand für nicht natürlich ; er forschte , und entdeckte zu spät , daß dies Symptome heimlicher Ausschweifungen waren . -
Der Knabe wurde schwachsichtig , die Gedächtniskraft war ganz erloschen ; er zehrte sich allmählich ab , und sein Tod befreite mich zwar von einem redenden Beweise meiner Strafwürdigkeit , allein hier im Inneren ist der Wurm , der nicht stirbt , und das Feuer , das nicht erlischt .
Nach dem Tode meines unglücklichen Kindes fiel ich in einen Zustand von Gemütsschwäche , die mich für jeden Eindruck äußerst empfänglich machte .
Unter so großen Leiden hatte meine Seele eine gewisse Schwungkraft erhalten , durch welche sie über sich selbst erhoben wurde ; aber sie wollte unter den täglich sich wiederholenden Neckereien des Schicksals erliegen .
Was mir sonst Religion gewesen war , das schwankende , unzureichende Gefühl , das Christentum des weichen weiblichen Herzens war im Winde des Modelebens zerflattert ; was ich mir an dessen Stelle anvernünfteln wollte , hatte keine Lebenskraft .
Ich haschte nach allem , was mir eine Art von Trost gewähren sollte , und verfiel oft auf unwürdige , abergläubische Kindereien .
So ließ ich mich einst von dem kleinen Dienstmädchen ( denn nun hielt ich keine stattliche Jungfern mehr ) bereden , eine Wahrsagerin kommen zu lassen , die aus Karten und Kaffee die Zukunft in bunten lustigen Bildern zu sehen vorgibt .
Das Weib , welches ich in meines Mannes Abwesenheit zu mir kommen ließ , war eine der listigsten und gewandtesten ihrer Gattung ; und ich schämte mich schon weniger dieser Schwäche , als ich hörte , daß ich sie mit vielen vor nehmen Frauen gemein hatte , welche sie heimlich bei sich einführen ließen .
Wie sehr irren doch diejenigen , welche über zu viele Aufklärung schreien , und immer besorgen , sie werde im großen Haufen zu weit um sich greifen !
So lange dieser noch so wenig von den ihn umgebenden Naturkräften kennt , kann die abergläubische Trägheit und Dummheit nur ganz unbekümmert auf ihrem weichen Polster schlummern .
Mitten in einer , wegen ihrer Aufklärung beinahe berüchtigten , Stadt treibt diese Betrügerin ihr Gewerbe so öffentlich und mit solchem Erfolg , daß sie bei Veränderung ihrer Wohnung ihre Adressen umherschickt .
In ihrer Wohnung wird sie so von der leichtgläubigen Dummheit belagert , daß sie nur immer sechs Personen auf einmal vorlassen kann .
Mir weissagte sie viel Gutes in einer hellen Zukunft ; ich glaubte es freilich nicht , hörte aber doch gern von einer frohen Aussicht sprechen , und fing an auf diese Phantasien Luftschlösser zu gründen , wodurch ich mir einige trübe Stunden erhellte .
Eines Abends kam mein Mann ungewöhnlich heiter von dem Buchdrucker , dem er Korrekturen gebracht hatte , zurück .
Ich sah ihn forschend an .
" Liebes Weib , " - rief er mir so munter , wie er lange nicht gewesen war , zu , - " es hat sich ein helles Wölkchen an unserem Horizonte gezeigt .
In der Buchdruckerei traf ich den Sekretär des *** von **** ; er sagte mir : es sei eine Stelle bei dem ** schen Departement offen , die sein Herr vielleicht nicht abgeneigt sein würde mir zu geben , nur müßte ich schriftlich deswegen einkommen . "
Daß bei diesen Worten ein Sonnenblick sich in meine verdüsterte Seele stahl , ist begreiflich .
Dieser Abend wurde uns ein Fest , desgleichen wir lange nicht gehabt hatten , und wogegen die üppigen Freuden unserer vorigen Lebensweise nur Trauertage waren .
Ich bereitete ein Lieblingsessen meines Mannes , und er war eben reich genug , dem kleinen Mahle eine Flasche Wein beifügen zu können .
Der nun schon ungewohnt gewordene Trank erhöhte unsere Lebensgeister so , daß wir ordentlich wetteiferten , wer von uns die beste Zukunft ausmalen würde .
Auch gelobten wir uns heilig , daß , wenn uns wirklich einst noch das Glück wieder lächeln sollte , wir es mäßig und in nüchterner Häuslichkeit , in einem kleinen Kreise geprüfter Freunde genießen wollten .
Ach , unser geträumtes Glück bestand nur in diesem einzigen frohen Abend !
In der ersten langentbehrten freudigen Aufwallung unserer Herzen hatten wir es freilich nicht bedacht , daß dem alles vermögenden großen Manne nur durch seine rechte Hand , den Rat *** , beizukommen war , und daß dessen Vermittlung und Vorwort nur durch Aufopferungen zu erhalten war , zu welchen unsere Armut nichts herzugeben hatte .
Sehr niedergeschlagen kam mein Mann von dem Versuche , den er auf des Mannes kieselhartes Herz gemacht hatte , zurück .
" Minna , " - sagte er , - " wir werden nicht durchkommen ; dem Menschen ist nur durch Bestechung beizukommen ; so unrühmlich wollen wir den Bissen , den wir uns mit unseren Händen noch erarbeiten können , nicht erlangen . "
- Ich war seiner Meinung , so ungern ich die geliebte Hoffnung aufgab .
Über die Niederträchtigkeit der Menschen wagte ich nicht zu klagen , weil wir uns unseren Fall wahrlich ! nicht durch unsere Rechtlichkeit zugezogen hatten .
Still und bekümmert verstrich uns dieser Tag .
" Eine mühselige Korrektur ! "
- seufzte mein Mann einigemal ' bei seiner Arbeit .
" Der Nähnadelverdienst ist es nicht minder ! "
- antwortete ich , mit ebenfalls beklemmtem Herzen .
- " Denke daran , daß wir unser Gutes genossen haben , Minna . "
- " Ach freilich , freilich , mein Lieber ! wiewohl nur eine kurze Zeit . "
- " Wir haben unseren guten Tagen selbst ein Ende gemacht , Minna . "
- " O , das ist die tief einschneidende Seite meines Grams ; und dann : daß ich ihn nicht mit dem kindlichen , hingebenden Zutrauen auf Vorsicht und Menschheit tragen kann !
Den Glauben raubte mir frecher Witz .
Die spottende , leichtsinnige Welt spielte mir tändelnd einen festen , haltbaren Stab aus der Hand , und gab mir dagegen ein dünnes , zerbrechliches Röhrchen , das nun , da die Stürme des Lebens über mich gehen , zerknickt .
Ich schämte mich meiner Katechismusreligion wie eines kleinstädtischen Kleidungsstückes , wußte aber nichts an ihre Stelle zu setzen ; denn die kühnen Äußerungen , welchen man in den meisten Gesellschaften ausgesetzt ist , hatten zwar bei mir eingerissen , aber Bonmots sind kein Ersatz .
Ich blieb einer düstern , unbestimmten Zweifelsucht preisgegeben , die mich in einzelnen Augenblicken , gleich einem plötzlichen Schreck , angriff .
Dies war aber zu vorübergehend , als daß es hätte bis zur Unruhe steigen können .
Und , wie denn bei dem gewöhnlichen Menschenschlage die Religion ein isoliertes , mit dem Tun und Wesen derselben in keiner Verbindung stehendes , Ding ist , so kamen auch mir diese ernsteren Stunden , so lange wir im Wohlstande waren , ziemlich selten ; aber da der Sonnenschein der guten Tage vorübergegangen war , empfand ich mit Schrecken , wie viel ich an dem eingebüßt hatte , was mir in früheren Tagen die Religion galt . "
Still für mich stellte ich diese Betrachtungen an , und brach dann noch einmal in die Worte aus : " O , daß ich diese Stadt und diese Menschen nie mit Augen gesehen hätte ! "
- " Minna , " sagte mein Gatte , " laß uns nicht ungerecht sein !
Laß uns nicht diese gute Stadt anklagen , weil wir sie mißbrauchten !
Vielleicht gibt es wenig große Städte , die so viele öffentliche und Privattugenden aufzuweisen haben ; aber sie zu finden , muß man freilich nicht den Weg einschlagen , den wir wählten .
Die Trefflichen und Guten lauern nicht am breiten Wege der üppigen Freuden , daß der Vorübertaumelnde sie wild an sich reiße .
Im stillen Kreise geräuschloser Freuden wirken sie im Verborgenen , und nehmen den Suchenden mit entgegenkommender Güte auf .
Wir rangen nach Betäubung , nicht nach Glück .
Jene wurde uns eine Zeitlang gewährt , und dieses , - mein Herz sagt mir_es , - werden wir noch finden , sobald wir ernstlich wollen .
Mein Rausch ist auf immer vorüber .
Die Jahre und die Veranlassung zum ernsten Nachdenken sind da ; überlege auch Du , meine arme Minna , mit Nüchternheit .
Es wird noch wieder gut ; das ahne ich sehr deutlich . "
- Er legte die Feder hin , kleidete sich an , und verließ mich , ohne weiter zu sprechen .
Dieser Tag war einer der bittersten meines Lebens .
Ob schon unsere Lage sich im Wesentlichen um nichts verschlimmert hatte , so war ich doch um eine Hoffnung ärmer geworden , und damit war jede , schon mehr als halb verharschte , Wunde aufs schmerzlichste wieder bei mir aufgerissen .
Ich legte unmutig meine Arbeit zur Seite , die mich ungewöhnlich anekelte , und überließ mich einem unmäßigen Schmerze , der in Tränenströme überfloß , so daß ich , ganz in mich versenkt , es kaum bemerkte , als mein Dienstmädchen sehr angelegentlich einen Herrn anmeldete , der mich sogleich zu sprechen wünsche .
Wer er war ? wußte sie nicht ; aber ein recht hübscher und freigebiger Herr wäre es :
denn er hatte dem jungen Mädchen einen harten Taler geschenkt , daß sie ihn nur recht schnell melden sollte .
Unerwarteter als dieser Vorfall konnte mir nichts begegnen ; denn mit unserem Wohlstande waren Herren und Damen verschwunden , welche ehedem die fröhliche Lockpfeife der Tischfreuden herbeigeflötet hatte .
Noch ehe ich Zeit gewann , mein ärmliches Zimmer ein wenig in Ordnung zu bringen , trat ein ältlicher , wohlbeleibter Mann , in einen Überrock gehüllt , zu mir herein .
Sein hellfarbiges , breites Gesicht verkündigte den Vollgenuß der Tischfreuden ; die starren , unbiegsamen Gesichtsmuskeln , und der offene Mund , der nicht mehr in sein Charnier schließen wollte , den häufigen Genuß starker Weine .
Dieser lebendige Kommentar zum Begriff von Fleischeslust und hoffärtigem Leben stellte sich mir als den Rat *** vor , als den , von welchem meines Mannes Anstellung abhing .
Er trat so dicht , mit etwas mehr als Freundlichkeit , an mich heran , daß ich einige Schritte zurücktreten mußte ; und als ich zu einiger Fassung gekommen war , nahm er vertraulich meine Hand , und führte mich zu einem Sitz , nahm aber den seinigen so dicht neben mir , daß wir unbequem saßen .
- " Ihr Herr Gemahl ist bei mir gewesen , " - hob er in einem , von Fett schnarchenden , Tone an ; - " er bewirbt sich um einen Posten , zu dessen Erteilung ich in der Tat mitwirken kann .
Jetzt will ich mich durch diesen Besuch , den ich mir die Ehre gebe Ihnen zu machen , überzeugen , ob seine Lage in der Tat so dringend ist , und ob seine schöne Frau ihn und sich genug liebt , um zu seiner Beförderung mit beitragen zu wollen . "
Und wie kann ich das ?
mein Herr Rat !
( fragt ' ich ) .
Ich bin bereit , so schwer es auch sein möchte .
- " O , gar nichts Schweres , schönstes Weibchen !
Es kommt nur darauf an , daß Sie einem Manne , auf den Ihre Reize einen unauslöschlichen Eindruck gemacht haben , etwas gütig begegnen . "
- Mit diesen Worten legte er beinahe die ganze Last seines Körpers auf meinen Schoß , um meine Hand , so wie sie da lag , zu küssen .
Ich sprang unwillig auf .
Er wollte mich mit Gewalt auf meinem Sitze festhalten .
- " Nicht so zornig , meine Allerliebste !
( fuhr er fort ) Sind Sie nur ein wenig gütig , ein wenig ertragend , - so erhält Ihr Mann weit mehr , als er zu bitten sich je unterfangen wird . "
Bei einem solchen Vorfalle mich gehörig zu betragen , fehlte es mir an Gegenwart des Geistes .
Ich drückte mich in aller Stärke meines Verdrusses aus .
Zuerst kroch er wie ein gemißhandelter Pudel ; zuletzt aber wurde auch er aufgebracht , und spielte auf meine unglückliche Begebenheit an , die , wie er sagte , ihm Mut gemacht hatte , auf ähnliche Gefälligkeit gegen ihn zu rechnen .
Diese Äußerung erregte mir den bittersten Schmerz .
Ich hatte gehofft ich sei vergessen , und jetzt sah ich deutlich , daß meine Vergehen noch in regem Andenken standen .
O , nie , nie wird des Guten so lange und lebhaft . gedacht ! -
Indes gelang es mir doch , den frechen Menschen durch mein festes Benehmen zu überzeugen , er habe sich in meinem Charakter geirrt .
Nach langem verdrießlichen Wortwechsel ließ er sich herab , mich um Stillschweigen auch gegen meinen Mann zu ersuchen ; er fühlte nicht , der Undelikate , wie viel mir selbst daran lag , daß mein Mann durch nichts an diese kränkenden Umstände erinnert werden möchte !
Zuletzt , als er mich einigermaßen gefaßt sah , ließ er noch verlauten : entgegen wolle er meinem Manne nicht wirken ; aber der Sekretär bei dem großen Manne , auf den es doch am eigentlichsten ankomme , befördere keine Bittschrift , die mit leerer Hand überreicht würde .
- Ich nahm diese Weisung ziemlich mürrisch an .
Nachdem er noch viel Unwesentliches zur Sache gesagt hatte , empfahl sich der Herr Rat , der mir von seiner Niedrigkeit so redende Beweise gegeben , obschon er in der Welt unter der allgemeinen Benennung eines rechtschaffenen Mannes bekannt war .
Bald nachher kam mein Mann in sehr düsterer Stimmung nach Hause .
Ich sagte ihm , wer bei mir gewesen war , und erwähnte , als Zweck dieses Besuches , der Nachricht , die den Sekretär betraf .
" Also auch ein Schurke ! " sagte mein Mann bitter .
" Und wir sollen darum , daß sie_es überall sind , kummervoll darben ?
Mein Freund , der Buchhändler , sagte mir eben : nehmen Sie doch , als ein erfahrener Mann , die Welt , wie sie ist ; wir werden sie nicht reformieren , wohl aber untergehen , wenn wir nicht mit dem Strome schwimmen .
- So sei es , Minna !
Laß uns , was wir aus dem verschuldeten Schiffbruche retteten , was wir für den Notfall hinlegten , laß es uns einpacken .
Dies sei der Notfall , für den wir_es aufbewahrten !
Der Elende , der für Geld hilft , mag es auf seine Lumpenseele nehmen . "
Ein Ring , eine Dose , nebst einigem Silbergeschirr , die Pathengeschenke meiner Tochter , wurden in eine modische Tabatiere , mit 30 Dukaten gefüllt , umgeschaffen .
Meine Hände zitterten beim Einpacken , nicht darum , weil es das Allerletzte war , was wir aufzubringen vermochten , und einem Raube an meiner Tochter glich , sondern , weil ich mir dachte : das ist Bestechung ! O pfui , des schändlichen Weges !
Wie ? wenn der Mann nicht ganz so schlecht ist , und schleudert_es uns verächtlich zurück !
Ist der nicht auch schlecht , der die Frechheit hat , Bestechung anzubieten ? -
Diese meine Besorgnis war vergebens .
Die Antwort auf die Bittschrift erfolgte sehr schnell , ohne jedoch des beigefügten Opfers zu erwähnen .
" Die Sache , " hieß es , " solle nächstens zum Vortrage kommen .
Ihre Exzellenz wären ganz geneigt , einer würdigen Familie wieder aufzuhelfen , " u. s.w .
Nun wiegten wir uns aufs neue in Träumen süßer Hoffnung ; die hellere Zukunft schien uns näher gerückt ; wir waren wie neu belebt .
Die Arbeit ging rasch und flink von statten , und wir sprachen viel und oft von dem sehnlichst erwarteten Ausgange der Bittschrift , welcher bald genug erfolgte .
Mein Mann wurde durch einige Zeilen zum Sekretär gefordert .
Lesen , ankleiden und wegeilen war das Werk einiger Minuten .
Ich blieb , bebend vor Furcht und Hoffnung , zurück , und lief untätig umher ; denn um die Welt hätte ich keine Arbeit anrühren können .
Ich wankte bald zum Fenster , bald zur Treppe , dem Manne die Nachricht , noch ehe er spräche , aus dem Gesichte zu lesen .
Er kam , und ich las sie wirklich von Weitem schon auf seinem blassen , Unglück weissagenden Gesichte .
Mit Worten wagte ich es nicht , ihn zu fragen ; auch hatte meine Brust nicht Atem genug zu reden .
Endlich , nach bangem , minutenlangen Schweigen , in welchen er noch immer nach Fassung strebte , fing er mit mattem , erschöpften Tone an :
" Minna , nun ist wohl alles vorbei !
Der Minister wollte helfen ; nachdem aber der Rat *** , eben der , welcher uns diesen Weg angeraten hat , bei ihm gewesen war , ließ er den Sekretär hereinrufen , und überhäufte ihn mit Vorwürfen , daß er ein solches Subjekt zu empfehlen gewagt habe ; einen Menschen , der Kindergelder angegriffen , und sich durch seine und seines liederlichen Weibes Tollheiten zu Grunde gerichtet habe .
» Dergleichen unterstehn Sie sich in Zukunft nicht mehr ! « hat er höchst entrüstet hinzugesetzt .
Mit diesem Bescheid ist unser Schicksal auf immer entschieden , arme Minna ! "
Auch dieses war einer von den entscheidenden Momenten des Lebens , wo zuweilen die Seele durch einen raschen Entschuß sich aus dem Abgrunde emporschwingt .
Ich umarmte meinen Mann leidenschaftlich , indem ich zu ihm sagte : " Ich folge Dir bis in den Tod ; Dein Los sei das meinige ! -
nur laß uns diese Welt , die uns ausstößt , nachdem sie unseren Lebenssaft mit aufzehrte , laß uns diese elenden Menschen meiden !
- Ihre Nähe ist Schmach ! "
- " Aber wohin ? wohin wenden wir uns , armes Weib , das ich mit in mein Schicksal verwickelte ? "
- " Aufs Land , zu einfachen Menschen , zur einfachsten Lebensart ; in ihr liegt ganz gewiß das Glück , welches wir unsinniger Weise im Strudel der Üppigkeit suchten . "
Ich gedachte in diesem Augenblicke eines Gartens , den ich mit meiner Tochter und einem Dienstmädchen bearbeiten wollte .
Es waren wahrscheinlich Ideen meiner ersten Jugend , die in mir auflebten .
Der Einfall war im Grunde unreif , aber die Stimmung des Augenblicks rechtfertigte ihn .
Auch das möge ihn entschuldigen , daß mein Mann ohne Bedenken zustimmte , und sogleich alle Anstalten machte , ihn ins Werk zu richten .
Allein ein Herzleid sollte uns doch noch widerfahren , ehe wir von dannen schieden .
Ich war gegen Abend ausgegangen , um einige Kleinigkeiten anzuschaffen , und war nicht lange ausgeblieben .
Bei meiner Zurückkunft fand ich meinen Mann in ausnehmender Bewegung ; er fuhr ungestüm auf mich los , einen Brief in der Hand haltend .
" Weißt Du davon ?
Minna ! " ( fragte er ) ; " weißt Du um diese Schandtat ? "
- " Wie ?
was hast Du ?
Ich begreife Dich nicht ! "
- " Nicht ? so lies ! " -
Er reichte mir ein Billet hin ; es war vom Rat *** , der mir erklärte , daß er , zu meinem Besten , die Sache wegen meines Mannes Versorgung habe hintertreiben müssen ; er könne das nicht der Feder anvertrauen , bäte mich aber , beikommende Kleinigkeit als einen geringen Ersatz vor der Hand anzunehmen , bis ich ihm erlaube , in wesentlicheren Dingen seine achtungsvolle Wertschätzung an den Tag zu legen . -
Diese Kleinigkeit waren 50 Dukaten .
Ich verteidigte mich gar nicht bei meinem Manne ; er mußte sehen und fühlen , daß ich unschuldig war .
Jetzt gestand ich ihm auch die Anträge des Rats , die ich ihm , aus Schonung für uns beide , verschwiegen hatte .
Allerdings war es Unrecht , hier zu schweigen ; denn ich würde durch die Entdeckung der ehrlosen Absichten jenes Herrn den Versuch verhütet haben , welcher meinem Gatten eine so schimpfliche Zurückweisung zuzog .
Jetzt war_es offenbar : der Rat wollte daß wir das letzte aufopfern sollten , um nachher durch Dürftigkeit gezwungen zu sein , seinen beleidigenden Anträgen Gehör zu geben . -
Das Päckchen und den Brief hatte er meinem Dienstmädchen selbst gegeben , und diese hatte es aus Bosheit oder Dummheit , ich hielt es für das erste , meinem Manne eingehändigt .
Da der Mann sich in seinem Billet genannt hatte , so schickten wir Brief und Päckchen mit einem , der Sache angemessenen , Schreiben an ihn zurück .
Wir haben nachher nie wieder seinen Namen gehört , als da sein , im sechs und vierzigsten Lebensjahre an Entkräftung erfolgter , Tod in den öffentlichen Blättern bekannt gemacht wurde .
Nun waren wir endlich frei , und leicht genug , unseren Weg nach der neuerwählten Heimat anzutreten .
Unser Gepäck war klein , unser Geldvorrat gering ; aber freudiger konnten wir uns nicht auf den Weg machen , wäre für uns auch das größte Gut zu erwarten gewesen .
So wohl tut dem Herzen das Selbsterwählte !
Unsere gute Stimmung wankte selbst nicht bei dem niederschlagenden Anblicke des verfallenen Wohnhäuschens und der schmutzigen Ärmlichkeit des Ganzen ; denn die Überzeugung , daß hier Zufriedenheit bei uns wohnen würde , war aus uns selbst geschöpft .
Wir legten frisch die Hände ans Werk .
Ich mietete ein Mädchen aus dem Dorfe .
Mein Mann pflückte und schüttelte das Obst , ich und meine kleine Tochter lasen es auf , und suchten es aus ; mein Dienstmädchen trug es zu Markte .
Dies wechselte mit Arbeiten , die unserer Weichlichkeit freilich etwas härter fielen ; aber der gute Wille half , und es ging .
Jetzt kamen mir meine , in der frühen Jugend erworbenen , wirtschaftlichen Geschicklichkeiten zu statten ; ich war unermüdet , sie auszuüben , und das Gedeihen unseres Fleißes war so sichtlich , daß unser Mut dadurch immer mehr wuchs .
Das harmlose , gute Landvolk um uns her , das , wie es sich ausdrückt , seinem Gotte in der Einfalt seines Herzens dient , belebte die Erinnerung jener Zeit , wo auch ich kindlich an meinen Schöpfer gedacht hatte , aufs neue ; aber aus eigenen Kräften vermochte ich nicht , mich in die Gefühle meiner zarten Jugend zurückzusetzen .
Die Vorsehung wollte indes , daß ich es sollte ; sie veranstaltete die Dazwischenkunft eines Mannes , dessen Andenken mir ewig gesegnet bleiben wird .
An unsere kleine Besitzung , die wir in Pacht genommen hatten , grenzte die eines Mannes , eines Weisen , für den meine Dankbarkeit noch keine bezeichnende Benennung gefunden hat .
Auch er hatte sich von den Stürmen des Lebens , aber mit unverwundetem Gewissen und unvergeudetem Vermögen hierher zurückgezogen .
Der Tod seiner eben so trefflichen Gattin hatte ihm die Einsamkeit zum Bedürfnis gemacht .
Er durfte sich auf seine eigene Gesellschaft verlassen ; denn er brachte einen reichen Schatz in seinem Inneren mit .
Sein gesunder Kopf war mit Kenntnissen aller Art bereichert .
Mit seinem schönen Herzen stand er sich eben so gut .
Sein Umgang wurde für jeden , den er damit beehrte , eine Wohltat .
Die Landleute , die nicht recht wußten wer er war , nannten ihn den klugen Herrn die Frauen aber sagten immer von ihm : der gute Herr . Die Kinder standen , wenn er sich zeigte , ehrfurchtsvoll , und nahmen ihre Mützen ab ; er beschenkte sie , und erlaubte daß sein alter Bedienter , Gottfried , ihnen etwas erzählen , und sie belehren durfte , wobei sie stricken oder spinnen mußten .
Der Untätige war von dieser Unterhaltung ausgeschlossen , und das achteten sie für eine entsetzliche Schande .
Doch ich will ja nur gedenken , was der kluge und gute Herr uns wurde .
Er hatte von uns gehört ; unser Entschluß , uns auf uns selbst zu verlassen , hatte ihn für uns eingenommen ; er sah uns ; wir waren so glücklich , ihm zu gefallen ; auch unsere Einrichtungen hatten seinen Beifall .
Er kam nun öfterer zu uns , arbeitete mit uns , und nie ging er , ohne uns irgend einen guten anwendbaren Rat oder eine ausführbare Angabe hinterlassen zu haben ; immer fühlten wir unseren Mut gestärkt , und der Wunsch , ihn recht bald wieder zu sehen , blieb beständig bei uns rege .
Sein scharfer Blick hatte leicht meine schwankenden Begriffe von dem , was mir das Wichtigste sein mußte , erspäht .
Ich jammerte ihn ; er gab sich die Mühe , meine Kenntnisse und das zu prüfen , was mich hinderte , mich einer freudigen Gottesverehrung hinzugeben .
Sein Tadel war ohne Bitterkeit , und sein Mitleiden beleidigte nicht .
Er räumte mit ausharrender Geduld in meinem Kopfe auf ; fegte alles hinaus , was schlechte Früchte tragen konnte ; lehrte mich einen Gott kennen , der eben der war , den meine frommen Eltern so treu und freudig verehrten .
Mit meinem Manne ließ er sich in gelehrte Untersuchungen ein , welchen ich indes auch die Freiheit hatte beizuwohnen .
Der einfachere Unterricht war für mich , und auch bei meiner Tochter gründete er eine Kenntnis von Gott , die tausendmal mehr als Katechismusunterricht wert war .
Ich will Sie , meine Ida , nicht mit dem Detail seiner Unterredungen ermüden ; aber das Resultat war : daß er uns zu glücklichen Menschen umbildete , die mit heiterem Auge in die Zukunft blicken durften .
Auch im Anfange unserer Haushaltung unterstützte er unsere Dürftigkeit doch jederzeit so schonend , daß wir nur den Wohltäter errieten , und ihm nie mit Worten danken konnten .
Die strenge Arbeitsamkeit , zu der unsere Armut uns verpflichtete , befestigte meine Gesundheit .
Ich blühte , so zu sagen , von Neuem wieder auf ; denn das ewigbewährte Rezept gegen die Üppigkeit , Armut , hatte auch bei uns seine Dienste getan .
Auch mein Mann und meine Tochter genossen einer Stärke der Gesundheit , von der sie bis dahin durch sich selbst keinen Begriff gehabt hatten .
In unseren Mußestunden , deren wir aber nur wenige hatten , lasen wir aus dem Büchervorrate unseres Freundes ; da ich mich aber in allem Ernst vor dem Bücherlesen fürchtete , so schränkte ich mich größtenteils auf Spaldings schätzbare Schriften ein .
Der sanfte Geist , der darin atmet , tat meinem Herzen unendlich wohl .
Doch las ich auch wirtschaftliche Schriften , Naturhistorie , Physik , etc. und unser Freund brachte mir einige praktische botanische Kenntnisse bei .
Unser kleines Hauswesen gedieh so gut , daß wir uns in kurzer Zeit schon nach Erweiterung des Raumes , den wir inne hatten , umsahen .
Uns war so wohl , wir dachten so wenig an die Welt , die wir , oder vielmehr die uns verlassen hatte , zurück , daß es uns beinahe eine schmerzliche Nachricht war , als meines Mannes Tante starb , und uns eine gute Erbschaft hinterließ .
Die Eingeschränktheit hatte uns in steter Spannung und Tätigkeit erhalten ; ich fürchtete jetzt den Wohlstand wie eine Hyäne .
Allein wohl mir ! meines Mannes Gefühl war gereinigt , wie das meinige .
Er hob die Erbschaft , brachte nur so viel Zeit , als eben zu diesem Geschäfte erforderlich war , außer dem kleinen Bezirke unserer Zufriedenheit zu , baute uns nachher unsere Hütte bequemer und anständiger auf , kaufte das Land , das wir nur in Pacht gehabt hatten , und das ist nun eben das Häuschen , in welchem Sie , meine Ida , Ihrer Freundin so einfach und so überaus glücklich ihre Tage verrinnen sehen ! -
Der kluge , gute Herr , dem wir unsere bessere Existenz verdanken , ruht dort unter den beiden Linden , über welchen die vergoldete Kirchturmfahne hervorragt .
Ich gehe den Hügel , der seine teure Asche deckt , nie vorüber , ohne meine Tochter dabei verweilen zu lassen , das Andenken dieses unseres Heiligen zu segnen , und mir den Spruch zu wiederholen , den ich oft von seinen werten Lippen gehört habe :
" Wo Tugend und Arbeitsamkeit herrschen , da wohnt auch das Glück . " Minna schwieg als sie ihre Erzählung geendigt hatte , und Ida saß tief in sich versenkt , mit zurückgelehntem Kopfe . -
Also Armut und strenge Arbeitsamkeit wurde Ihnen der Weg zum Glücke !
Gut , das braucht man ja nur zu wollen !
Arbeiten , o ja , arbeiten ist sehr gut !
Nüchternheit reinigt die Seele , sagt man . -
So redete sie in abgebrochenen Sätzen , als wenn sie allein wäre .
Minna erschrak , und schlug ihren Arm liebend um der Freundin Nacken .
- Was bewegt Sie so sonderbar , meine Liebe ? meine Erzählung hat Sie empört .
Nicht wahr ?
Sie sinnen , wie Sie nur ein Herz von sich entfernen wollen , das Ihrer Liebe nicht immer wert war . -
O nein , nein ! rief Ida , und brach in Tränen aus ; ich sann , ich gestehe es Ihnen , ich sann , wie ich dem Versprechen , Sie mit mir bekannt zu machen , wenigstens noch auf einige Zeit ausweichen könnte , und da erschrak ich , daß das Ende Ihrer Begebenheiten mich ereilt hatte , ohne daß ich vorbereitet war .
Und nun , Minna , hat mich der Schluß derselben , Ihr Edelmut , die Größe Ihrer Beharrlichkeit , Ihre Entschlüsse , das alles hat mich vernichtet ; ich habe Ihnen größere Fehler , und weniger Mut , sie gut zu machen , mitzuteilen .
O , erlassen Sie mir die bittere Aufgabe ! nur noch auf einige Zeit erlassen Sie sie mir !
Sie sollen alles hören ; aber mich sogleich neben Sie , die Gute und Edlere , zu stellen , das vermag meine Eigenliebe nicht .
Ich bin klein , sehr klein , wie Sie sehen ; aber ich war nicht immer so arm , so mutlos .
Einst , - ach , es war eine schöne Zeit ! - durfte ich mit freiem Blick um mich schauen ; doch das ist lange her , und seitdem - - - Hier trat der Verwalter des Edelhofes , den Ida seit einiger Zeit bewohnte , zu ihnen .
Er redete Ida an :
" Madame , es tut mir recht leid , daß ich Ihnen etwas sagen muß , das Ihnen unangenehm sein wird ; Sie sind ohnehin immer so traurig .
Ich gehe schon seit gestern mit dem Gedanken um , wie ich_es Ihnen vorbringen soll .
Nun , da eben die Madame bei Ihnen ist , kann die Sie trösten ; die ist ja immer so lustig wie ein Finkenmännchen . "
- Diese Einleitung machte einen sichtbar unangenehmen Eindruck auf die Frauen .
Ida hatte nicht den Mut , zu fragen , was das für eine Nachricht sei .
Minna drängte den Mann , daß er damit herausrücken mußte .
" Ja , " fing er langsam stammelnd an , " als der gnädige Herr nach Mecklenburg ging , ließ er mich kommen , und sagte : » Höre ' Er Mal , Schulz , ich reise zu meinem Bruder , der ist krank , und werde bis zum Oktober wegbleiben .
Da steht nun das Haus und alle die Wirtschaft allein .
Es ist Schade , daß kein Mensch in der Blumenzeit hier sein soll .
Findet sich jemand , nämlich ordentliche , rechtliche Menschen , so kann Er die Zimmer da unten zum Sommerplaisir vermieten tun , und das Geld soll Seine sein .
Weil Er mir immer ordentlich gedient hat , so ist_es billig , daß ich mich bei allen Gelegenheiten dankbar gegen Ihn beweisen tue .
Ich habe_es Ihm nicht vergessen , Alter , wie Er mich bei Torgau aus dem Getümmel trug . « - Denn sehen Sie nur , unser Herr war damals Kornett , und das Pferd wurde ihm unterm Leibe totgeschossen , und er bekam eine Wunde , sehen Sie nur , justement hier ging sie ihm vorbei , die Kugel . " - -
Gut , gut ! fiel ihm Minna ungeduldig ins Wort ; die Nachricht , lieber Herr Schulz , die Nachricht !
- " Ja , daß ich Sie nicht zu lange aufhalte .
Der Abend ist ein wenig frisch ; um diese Zeit ist es immer so , ich weiß , als ich noch ein kleiner Junge war " - -
War Er ein lieber , munterer Knabe , nicht wahr ?
und wurde leicht ungeduldig , nicht wahr ? - rief Minna noch ungeduldiger .
- " Herr Jemine , unser einer kann ja nicht so fix mit der Sprache heraus ! " fuhr der Alte langsam fort .
" Nun , was ich sagen wollte , da sagte ich denn : wenn der gnädige Herr es erlauben tut , so wüßte ' ich wohl jemand , dem mit dem Sommerplaisirchen gedient wäre .
Da hat mir mein Schwager geschrieben , wenn sich hier herum so etwas fände , bei ihm in Orte hielte sich - tat er mir schreiben - eine Dame auf , von der kein Mensch wüßte , wo sie her gestoben und geflogen wäre .
Es müßte wohl so eine Mätresse sein .
Er für sein Teil früge nicht danach ; sie wäre hübsch und fein , und bezahlte auch gut : bei ihm lebte sie still und ordentlich ; nur daß sie manchmal so rappelköpfisch wäre , daß sie stundenlang weinen täte , und über Papieren säße .
- Weiter , mein Freund :
ich höre , er meint mich , - sagte Ida ; - ja , geweint habe ich viel , mich drückt ein schwerer Kummer , das ist wahr . -
Na , darum jammerte es mich auch ; und ich dachte , ich wollte_es Ihnen zuwenden , weil der Schwager doch schrieb , Sie bezahlten auch ordentlich .
Meine Alte brummte auch wohl , und sagte , ich würde wohl allerlei ins Haus schleppen , ich könne die alten Soldatenstückchen noch immer nicht vergessen .
Aber , mein Seele ! noch hat es mich nicht gereut , Sie sind eine gute liebe Madame .
Nur schade , daß die Freude so bald ein Ende nehmen soll ; da schreibt nun der gnädige Herr : - er las den Brief : » Mein lieber Schulz , wenn das Heu herein ist , so Sorge er doch - nun das dient Ihnen nicht zu wissen .
- Und - ja wo ist es denn nun ? -
Von wegen der Wohnung , Sorge er , daß sie geräumt wird .
Es sei denn , daß die fremde Dame sich mit dem kleinen Gartenhause , auf dem Berge behelfen wolle .
Denn ich bringe einen alten Freund mit , den ich in der unteren grünen Stube gern einquartieren möchte . «
- Da war_es heraus , Madamchen .
Nun tun Sie , was Sie wollen .
Morgen oder Übermorgen kommt die Herrschaft .
- Das Gartenhäuschen ist wohl hübsch .
Eine , zwei - ja warten Sie Mal ; ein , zwei Stuben und zwei Kammern .
Der Kamin ist geräumig genug zum kochen .
Und ne Aussicht , Pots tausend !
man sieht bis in anderer Herren Land . "
Ida , welche etwas schreckliches besorgt hatte , sagte mit erleichtertem Herzen :
ich nehme es an , lieber Schulz ; mir liegt daran , noch eine Weile in dieser Gegend zu bleiben , wo ich eine so liebe Freundin gefunden habe , und wo ich den Ausgang meiner Angelegenheiten abwarten will .
- Sein Herr ist also wohl ein recht braver Herr ? ist er verheiratet ? -
O er ist ein charmanter lieber recht gemeiner Herr ; ob schon ein großer Generals Sohn , und so alt von Adel , daß es bald gar nicht mehr wahr ist ; so ist er doch gar nicht großmütig , wie die anderen Herren vom Adel , die da immer denken , unser einer wäre von anderen Kot zusammengesetzt .
Denn sieht er wohl , lieber Schulz , - sagte er oft , - ich bin aus der Mutter Schoß gekommen , wie mein Knecht , und muß meine alten Knochen dahinlegen , wie er ; was sollt ' ich mich denn überheben , wenn meine Vorfahren brave Kerls waren ?
Und seine Dame , ob schon sie nicht von Adel ist , so tut sie auch nicht so dicke tun , wie wohl andere , die in der Welt zu was kommen .
Sie ist eine fromme demütige Dame , die nicht hoch 'raus will , und man immer sich mit der Armut abgeben tut :
da tut sie die Kinder dies und das lehren ; o unsere Mädchen sind auch weit und breit berühmt , daß sie sich so gut können mit Kindern behelfen ; das lehrt sie alles die gnädige Frau .
Die Madame Nachbarn wird wohl schon davon wissen .
Sie hat einen ungemeinen Ruf , sagte Minna ; ich kenne sie selbst noch nicht , aber meine Auguste hat ihre Bekanntschaft schon gemacht , und erhebt sie bis in den Himmel , wegen ihrer Güte .
Allein , damit wir doch endlich etwas beschließen , liebe Ida , Sie müssen also das grüne Zimmer , des alten Hausfreundes wegen , der mit kommt , räumen .
Schade ! das Zimmer ist so traulich , und die Rosen und Weinreben , die ins Fenster kucken .
- Wollen Sie das Berghäuschen nicht beziehen , so habe ich noch zwei Gaststuben .
Einen lieberen Gast dürften Sie schwerlich je aufzunehmen haben .
Nun , Ida ? schlagen Sie ein ? -
Nein , Minna , das Berghäuschen soll es sein .
Ich bin Ihnen dann näher , ohne Ihnen lästig zu sein .
Herr Schulz , morgen früh beziehe ich es .
Dann mag Ihr Herr kommen , ich werde mich freuen , den braven Mann kennen zu lernen . -
Gut , sagte Minna ; mein Mann verreiset vor Tages Anbruch :
ich werde bei Ihnen sein , und Ihnen beim Umziehen helfen .
Die erste Mahlzeit auf dem Berge bereite ich , und verzehre sie in ihrer lieben Gesellschaft .
Für heute ist_es Zeit aufzubrechen .
Herr Schulz , Sie bringen mich durch den Küchen Garten , so komme ich um zehn Minuten früher an .
Auf diese Weise befreite sie Ida von dem redseligen Alten .
Und so schieden sie für diesmal .
Ida bezog die kleine freundliche Wohnung auf dem Berge , und genoß in Gesellschaft der treuen Freundin , der schönen weiten Aussicht , als sie eine Reise Equipage in dem Edelhofe ankommen sahen .
Ida schauerte zusammen , ohne sich Rechenschaft geben zu können , was die ankommende Familie des Herrn von Auefelde auf ihr Gefühl zu wirken habe .
Die Entfernung war zu groß , als daß sie etwas anders , als zwei Herren und zwei Frauenzimmer , welche ausstiegen , hätte bemerken können .
Bald erschien einer der Herren im Hofe , besah die Wirtschafts Gebäude , und kam den Garten hinab , bis auf eine kleine Strecke von dem Orte , wo die Frauen saßen , die den Fremden nun ganz deutlich erkannten . -
Allmächtiger Gott !
was ist das ? rief Ida erblassend , und mit den Augen auf die Stelle hinstarrend , wo der Fremde stand , der sie aber nicht zu bemerken schien .
Minna , so lebhaft sie auch der Freundin zu Hilfe eilte , kam doch zu spät , um sie aufzufassen ; sie war schon ohnmächtig von dem Stuhl herabgesunken .
Indes hatte der Fremde sich von der anderen Seite entfernt , und wir eilen die Veranlassung dieses Vorfalles in einem Briefe mitzuteilen , welchen Madame Thalheim an ihren abwesenden Mann schrieb .
Liebster Mann !
" Du wünschtest , ich möchte Dir schreiben .
Ich würde Dir gar nichts zu sagen haben , als daß die große englische Henne ihre Küchelchen glücklich ausgebracht , und der Wind Deine Nelken abgeschlagen , und noch sonst manches , das wir mit eigener Hand zogen , verwüstet hat , hätten sich hier in Kleedorf auf dem Edelhofe , nicht wunderliche Dinge zugetragen ; recht so wie in den Romanen , oder Komödien , wo die Väter und Onkel , eben so zur rechten Zeit aufzutreten pflegen .
Die Ida hat -
doch ich muß Dir das in der Ordnung erzählen .
Als Du abgereist warst , mein Lieber , übergab ich Augusten die Aussicht des Hauses , und ging zu Ida , die nun nicht Ida mehr ist .
Ich fand sie schon in ihrer neuen Wohnung eingerichtet ; und wir überließen uns dem Vergnügen , das jede neue Situation uns Weibern zu gewähren pflegt .
Wir schauten in die weite Aussicht umher , und stritten um die Lage der Örter .
Nein : das ist Ruheim , nein : das ist nicht Ruheim , das ist Vogelfelde u. s.w. , als eine schnell anfahrende Reisekutsche unsere Aufmerksamkeit auf sich zog .
Das ist der Edelmann , sagte ich so zufällig hastig , daß Ida zusammenfuhr , und die üble Gewohnheit , sie durch meinen vorlauten Ton zu erschrecken , schalt .
Er war wirklich der Gutsherr , sie stiegen im Edelhofe ab ; der Herr , der alte Freund , die Dame , und ein untergeordnetes Frauenzimmer , wie ich an den schmieg- und biegsamen Wesen bemerkte .
Das war gut , und wir sprachen von etwas anderem .
Nach einer Weile erschien im Hofe der Herr , der nicht der Gutsherr war ; er sah , und ging , und kam endlich den Gang herunter , bis nahe zu uns hin .
Ich erkannte einen hübsch aussehenden , nicht jungen Mann , der mir weiter nicht bemerkenswert schien .
Aber Ida sah mehr , sie tat einen kläglichen Schrei , faltete die Hände vorwärts hingegestreckt , und sank zu Boden .
Der Vorfall entsetzte mich um so mehr , da Niemand zur Hilfe in der Nähe war , und der Fremde , der uns gar nicht bemerkt hatte , schon in einen Seitenweg eingelenkt hatte .
Diesmal tat mir die Gewohnheit , mein Wasserglas überall neben mir zu haben , gut ; ich besprengte die Ohnmächtige , und nach einigen heftigen Zuckungen der Brust , erholte sie sich .
Ida , meine Ida , wie war Ihnen ?
Ach ach ! die Erscheinung dort unten .
O ! der Fremde !
ach Minna , Minna , verbergen sie mich ; Lassen Sie uns von hier eilen :
er muß mich jetzt noch nicht sehen . -
Wer ? wer soll Sie nicht sehen ? -
Sie bückte sich an mich heran , und sagte mit verstörtem Blick : - der Fremde war mein Vater , der Amtmann Grüntal :
er war_es gewiß .
Kommen sie nur geschwind , kommen Sie , daß er mich nicht sieht .
Sie ergriff mich , und schwankte nach dem Hause hin .
Meine Bestürzung machte , daß ich ihr stillschweigend folgte .
Sie sank erschöpft in einen Stuhl , und rang nach Luft ; ich half so gut ich konnte , ohne sie mit Fragen zu quälen , so sehr mich selbst die Neugier quälte .
Nachdem wir über eine Stunde so zugebracht hatten , erlangte sie etwas mehr Fassung .
Ich äußerte , sie könne auch wohl irren ; es gebe täuschende Ähnlichkeiten .
O nein ! nein !
er ist_es , erwiderte sie :
ich habe es nicht aus dem Herzen gelassen , das liebe redliche Gesicht , das so freundlich war , und ach ! jetzt mir so schrecklich ist !
Ich suche ihn , aber so plötzlich , so überraschend , wollte ich ihn nicht finden .
Erst wollte ich sein Herz erforschen .
Ach !
er wird es mir auf immer verschlossen haben .
Und doch , war er nicht selbst da noch Vater , als die Unglückliche , pflichtvergessene vor ihm floh ? -
Sie erzählte mir in wenig Worten ihre Geschichte , daß sie vom Lande , in die Kostschule der Rätin Brennfeld gekommen , dort von einer adligen Kostgängerin zum Leichtsinn verführt worden , dann vom aufgebrachten Vater zu einer Verwandten getan , deren Mann sie von derselben abwendig machte , so daß er sich von ihr schied , und sie heiratete .
Drauf sei die romanhafte Liebe bald erkaltet ; der Mann habe bankrott gemacht , sei mit einem Mädchen durchgegangen , und sie die Unglückliche , habe der Schmeichelei eines russischen Fürsten Gehör gegeben , und sei diesem nach Rußland gefolgt .
Nach mancherlei Schicksalen sei sie wieder nach Deutschland verschlagen , und hier in die Gegend gekommen , um sich dem Vater nach und nach zu nähern .
Aber so schnell , so unversöhnt , ohne alle Vermittlung , wage sie es nicht , vor ihm zu erscheinen .
Was nun erfolgte , wirst Du Dir , mein Lieber , leicht denken .
Eine Bitte , um meine Vermittlung .
Nach einigem Bedenken übernahm ich es ; denn sie jammerte mich von Herzen ; und wir mischen uns ja für unser Leben gern in fremde Händel .
Je intrikater , je lieber !
Das erste was ich in der Sache tat , war daß ich mich bei dem Verwalter erkundigte , wer der mitgekommene Fremde sei ?
Es war richtig der Amtmann Grüntal .
Nun ging ich einigemal in dem Garten umher , mich zu dem nicht leichten Geschäfte zu sammeln .
Als ich mich hinlänglich vorbereitet glaubte , schickte ich den alten Freund Schulz ab , mich bei Herrn Grüntal zu melden .
Ich wurde angenommen , und in das untere Zimmer geführt , das Ida , nun Julchen , bis dahin bewohnt hatte .
Mir schlug das Herz wie damals , als ich vor meinem Stiefvater , nach einer gewissen Begebenheit , die ich in meinem Ehrendenkmal nicht angeführt zu haben wünschte , erscheinen mußte .
Herr Grüntal kam mir entgegen , freundlich , doch so wie man jemanden aufnimmt , von dem man nicht weiß , wie er uns stimmen wird .
Er ist ein Mann , in den ersten der fünfzig , von geradem deutschen Anstande , mehr hager als fett ; auf sein regelmäßiges Gesicht hat der Gram , wie es scheint , tiefe Falten eingefurcht ; eine ähnliche Bildung habe ich , denke ich , schon auf mancher Gemme gesehen .
Sein Ernst hatte nichts abschreckendes , und ich atmete wieder freier , als er mich mit einer reinen Tenor Stimme um mein Gewerbe fragte .
Sie sind eine von den Damen des Hügels ? fragte er freundlich .
Ich bin keine Bewohnerin desselben , sondern gehöre auf dem nahe Vorwerk zu Hause , wo ich schlichtweg eine Bäuerin bin .
Aber die Bewohnerin des Hügels , welche Sie aus diesem Ziem mehr vertrieben haben , schickt mich an Sie ab ; - o , unterbrach er mich galant , dann ist es ja an mir , an sie abzuschicken , oder wenn sie_es erlaubt , ihr aufzuwarten , daß ich ihr meine Entschuldigung mache . -
Ach Herr Grüntal , was die Entschuldigungen betrifft , so fürchte ich , Sie haben viel bei ihr zu entschuldigen .
Es ist die Absicht meiner Sendung . -
Er stutzte .
Wie käme ich dazu ?
ich habe nicht die Ehre sie zu kennen .
- Sie hat Sie ehedem sehr wohl gekannt .
Sie haben in zärtlichem Verhältnisse mit ihr gestanden , sie hat sich schwer an Ihnen versündigt , und sehnt sich jetzt , Ihnen ein reuiges Herz zu Füßen zu legen . -
Wie , wie , stammelte er außer Fassung .
Versündigt hat sich an mir Niemand , als , - o nein ! nein !
das ist nicht , das kann nicht sein !
Madame Sie halten mich auf der Folter : wenn Sie nicht meine unglückliche Tochter meinen , - er brach in eine Flut von Tränen aus ; wenn Sie die nicht meinen , so kann Ihr Gewerbe nicht an mich gerichtet sein . -
Und wenn sie es nun wäre ?
was dürfte sie hoffen ? -
O hüten Sie sich , Madame , in einer so schrecklich angreifenden Sache , meiner zu spotten , reden Sie , ohne Umstände .
- Es ist Ihre Tochter . - O Gott , o Gott ! schrie er , und stürzte zur Türe : wo , wo haben Sie sie ?
- Sie ist nicht hier ; - aber ganz nahe - Sie müssen Sie mir nicht vorenthalten , - rief er , indem er mich ungestüm nach sich zog , und an sein Herz drückte , daß ich es merklich fühlte .
Dann ließ er mich plötzlich los , - und sagte : - nein , nein !
ich darf sie nicht sehen .
Sie würde meiner Schwäche nur spotten .
Konnte sie doch so manches Jahr hindurch , den Vater trostlos sich härmen lassen ; was kümmert_es sie , ob er verzeiht , oder nicht ?
Sie hat ja vornehme Beschützer , die ihr den Vater ersetzen . -
O Herr Grüntal , werden Sie nicht bitter ; Ihre Tochter ist allein , ist hülf- und schutzlos .
Der Gram , die Sehnsucht reibt ihre Lebenskräfte auf .
Sie müssen , Sie werden verzeihen .
- Kennen auch Sie mich schon so gut ?
- Hat sie Ihnen denn schon gesagt ?
- Sie hat mir nichts gesagt , als daß sie Ursache hat zu verzweifeln ; und doch ohne Sie versöhnt zu haben , nicht leben kann . -
Er stand still in sich gekehrt , unentschlossen und wiederholte für sich : nein , nein , verzweifeln soll sie nicht .
Dann war er wieder still . -
Herr Grüntal , fing ich wieder an , was soll ich meiner Freundin für eine Antwort bringen ?
Er schreckte auf , faßte hastig meine Hand , und sagte : - nun so kommen Sie , kommen Sie denn , ich bin von Herzen bereit .
Doch ! sollte die Verzeihung suchende nicht zum Vater kommen ? -
O pfui pfui , Herz an Herz , und wenn_es Liebe sein soll , dann ohne Rückhalt !
Kommen Sie . -
Er riß mich fort .
Ich hatte Mühe , seinen von der feurigsten Bewegung angetriebenen Schritten zu folgen .
Er flog voran , indem ich mir fast die Lunge zersprengte ihm zuzurufen , mit dieser Hast , und diesem Überraschen könne er seiner Tochter den Tod bringen .
Die Eile war ohnedem vergeblich ; denn es hatte sich indes etwas ereignet , das uns beide gleich unvermutet und schreckhaft überraschte . -
Ida , nicht doch , - Julchen , hatte , von banger Erwartung gefoltert , meine Zurückkunft nicht ruhig in ihrem Zimmer erwarten können .
Sie war mir gefolgt , und hatte mich wahrscheinlich in einer Laube des Gartens erwarten wollen .
Dort fanden wir sie zu den Füßen der Frau von Auerfeld ohnmächtig , und diese Frau zitternd und in Tränen gebadet .
Ich verzage , lieber Wilhelm , Dir ein anschauliches Bild von dieser , in ihrer Art , einzigen Szene entwerfen zu können .
Grüntal schoß an mir vorbei , indem er unartikulierte Töne ausstieß , die mir durch Mark und Bein drangen .
Mir war um des Mannes Verstand bange .
Er riß die ohnmächtige Tochter auf , nahm sie wie ein Kind in den Arm , küßte und überströmte sie mit seinen Tränen ohne zu sprechen , oder Notiz von uns Umstehenden zu nehmen .
Julchen öffnete die Augen , schrie auf , als sie sich in ihres Vaters Armen fand , und umklammerte ihn konvulsivisch .
Lieber Onkel , sagte die Frau von Auefelde mit lieblicher Stimme , Sie werden beide der Gewalt dieser Eindrücke unterliegen .
Still , Karoline ! weißt Du , wie dem Vater war , als er den verlorenen , den reuigen Sohn wieder umarmte ? -
Als nach einer Weile die Tochter zu sich kam , rief sie noch immer , den Vater fest umklammernd : Vater , Vater , auch Karoline nimmt mich wieder an ; sie vergibt mir , - Liebstes Mühmchen , antwortete die herzige Frau , laß das Vergangene uns vergangen sein .
Mein heißester Wunsch war , dich wieder zu finden ; nur der alten Liebe wollen wir uns erinnern .
Julchen riß sich vom Vater los , und stürzte zu den Füßen der liebreichen Frau hin , und legte angetrieben , man sah_es deutlich , angetrieben von tiefer zerknirschender Demut , ihr Gesicht in den Staub hin . -
Frau von Auerfeld vermochte den Anblick kaum zu ertragen , sie winkte dem Vater , daß er die Tochter aufheben möchte ; der es dann mit einer Bewegung tat , die ich nie vergessen werde .
Julchen , mein Kind , mein armes Kind , hast Du so vor deinem Schöpfer in den Staub dich gebückt , so ist die Schuld bei dem Barmherzigen getilgt , und wir müssen Dir die Hände zur herzlichen Versöhnung reichen .
Sieh nur , Julchen , wie Du der armen Karoline das Herz brichst .
Liebe Nichte , Ihnen ist ohne dies schon nicht wohl .
Schonen Sie sich .
Lassen Sie mich , ja lassen Sie mich die Freude allein tragen .
In diesem Augenblick beneide ich jeden , mit dem ich Julchen teilen muß .
Karoline , gehen Sie jetzt zu Ihrem Gemahl , und bereiten ihn vor , wen er zu erwarten hat .
Die arme Karoline war für diese angreifende Szene zu schwach geworden ; ihr war so übel , daß ich ihr meine Unterstützung anbot , sie nach ihrer Wohnung zu führen Als wir uns entfernten , hörte ich , daß Julchen wieder Worte gewann , und in liebkosenden Tönen mit dem Vater sprach .
Da mein Brief zu einer solchen Länge herangewachsen ist , breche ich hier ab ; künftig lernst Du den Gutsherrn kennen .
- Auguste küßt Dir kindlich die Hände ; ich umarme Dich zärtlichst und bin ewig die Deine. Wilhelmine . " Minna zur Fortsetzung .
" Deine Abwesenheit , mein Lieber , macht mich zur gewaltigen Schreiberin .
Verzögert sich Deine Zurückkunft , so fürchte ich gar ein Buch zur Welt zu bringen .
Ich stelle mir vor , daß Dich die Geschichten , die hier zu Lande vorgehen , sehr interessieren , und da Du Ida immer gern leiden mochtest , wirst Du gern hören , was weiter aus ihr wird .
Ich gehe also frisch ans Werk .
Ich bin , wenn Du Dich erinnerst , noch mit der Dame auf dem Wege nach ihrer Wohnung .
Sie fragte beim Eintritt in das Haus , wo ihr Mann wäre ?
Der Herr Oberst sind in ihrem Zimmer und schreiben , sagte der Jäger .
Sie war so matt , daß sie ein Glas Wasser forderte .
Sie sehen mich in einiger Verlegenheit , fing sie an , als sie sich etwas erholt hatte : - mein Mann ist groß und gut , aber er hat seine eigene Arten .
Von dem armen verirrten Julchen wollte er nie hören , weil er meinem Onkel so sehr gut ist ; er wird ihr den Kummer schwerlich verzeihen können , den sie seinem Freunde gemacht hat . -
Ich gestehe , daß mir selber bange wurde , wie das gehen würde .
Jetzt erschien der Oberst ; ein Baumgroßer Mann , von Kraft und Wesen ein echter alter Deutscher .
Du willst mich sprechen , liebe Frau ?
Er wurde mich gewahr , und machte mir , als er meinen Namen hörte , ein verbindliches Kompliment .
Aber - es gibt hier etwas , Liebchen ? Dir ist nicht wohl ?
ich bitte Madame , ich bitte um eine Erklärung .
- Karoline faßte seine Hände , und drückte sie innig an ihre Brust .
Lieber , lieber Mann ! jetzt muß ich Deine ganze Liebe und Nachsicht in Anspruch nehmen . -
Er umfaßte die kleine zart geformte Frau so kraftvoll , daß mir bange wurde .
Allerliebste Karoline , wie kannst Du Nachsicht brauchen ?
ich will ja was Du willst .
Bist Du doch die Beste von der Welt .
Aber - was ist geschehen ?
- Lieber Mann , wir haben einen Gast bekommen .
- Ist er Dein Gast , Liebe , so soll er mir von Herzen lieb sein .
- Mein Gast , eigentlich aber meines Onkels Besuch .
- Je nun , was des Oheims ist , ist unser , und unseres ist des Oheims , das ist Eins . -
Ach lieber Mann ! was sollen die Umschweife bei einem Herzen , wie das Deinige ?
Des Onkels Tochter , die arme Verlorene ist wieder da .
- Was ! rief er mehr erstaunt als erfreut ; Die ist es ? hat der Dame beliebt , einmal wieder aufzutauchen ?
Hm hm ? -
O sprich nicht so lieber Auefelde .
Dein Herz sagt anders .
- Nein , beim Teufel , in meinem Herzen steht sie auf dem schwarzen Register .
So einem Vater , wie der Grüntal ist , zu entlaufen .
Ich gebs der Landstreicherin in meinem Leben nicht :
hole mich der Teufel , wo ich_es ihr vergebe .
- Liebster Mann , sagte nun Karoline ihm sanft schmeichelnd , der Onkel hat ihr aber schon verziehen .
- Hat er , die alte Nachtmütze ? so soll ich auch wohl ? nicht wahr ? -
Du würdest mich unaussprechlich glücklich machen .
Sieh nur , Lieber , die Vorsehung hat ja alles so zum Besten gelenkt . -
Ja , da hat die Vorsehung freilich ein sauber Stück Arbeit gehabt , die dummen Streiche wieder gut zu machen .
- Lieber Auefelde , ich wäre nicht Deine glückliche Gattin . -
Ah Frau !
Weib ! willst Du mich so bestechen ?
Darum brauchte sie aber nicht in alle Welt zu gehen .
Nein ! nein ! mit der Vorsehung , die mit zum schlechten gewirkt haben soll , kommt ihr mir nicht durch . -
So sieh die Arme doch nur erst . -
Ah !
Du denkst das nette Gesichtchen , und die Tränen in den blanken Augen , werden bei dem Alten das Beste tun .
Kann sein .
Dagegen hat es hier ( er berührte sein Herz ) immer nicht so recht Stich gehalten .
Nun so mag sie kommen . -
Aber lieber Mann , versprich mir , sie gütig aufzunehmen . -
Ich werde tun , was ich kann ; heucheln kann ich nicht .
Schlecht bleibt schlecht ; und wenn_es auch in der Familie geschieht .
- So sieh Sie doch nur erst ! -
Ach !
und wenn sie so schön wäre , wie unsere Kronprinzessin , und wäre nicht so edel , rechtschaffen und liebenswürdig wie diese , so sollt ihr mir nichts einreden .
- Während dieser Debatten hatte Grüntal sich dem Hause mit der Tochter genähert , er steckte den Kopf zur Tür hinein , und fragte mit freundlichem Gesicht , welchem etwas eingemischt war , was ich Blödigkeit nennen möchte : nun wie steht_es ? darf ich sie Ihnen bringen , Neffe ?
Des Obersten Antwort fing mit einem bedenklichen , je nun ! an , welches seine Frau mit einem Kuß , und einem , ich bitte , mein Lieber ! unterbrach .
Indem trat Grüntal mit Julchen ins Zimmer , Ihre Haltung mußte durchaus Mitleiden erregen , sie stutzte , als sie den Obersten sah , dessen kolossalische Gestalt mit beitragen mochte , sie , in ihrem Zustande von Schwäche zu erschüttern .
Als sie einige Schritte im Zimmer gemacht hatte , blieb sie ungewiß stehen ; in flehender etwas vorwärts geneigter Stellung , den Kopf nach der linken Schulter mit abwärts gewendetem Gesicht , gelehnt .
Das gewaltsam unterdrückte Weinen brach in lautes Schluchsen aus .
Die Oberstin eilte ihr entgegen , faßte schmeichelnd ihre Hand , und führte sie vor dem Obersten hin , der nun nicht ferner widerstrebend sie umfaßte , und mit der edelsten Gutmütigkeit sagte :
Da widerstehe ein Anderer !
Von Herzen willkommen in der Freundschaft .
Von nun an Vetter und Mühmchen !
Da Sie von selbst wiederkommen , müssen Sie doch auch gut sein wollen : nicht wahr ?
Sie ergriff seine Hand und wollte sie küssen ; er aber umarmte sie noch einmal .
Grüntal sah schweigend dem Auftritte zu , und wischte sich die Augen .
Als die erste lärmende Bewillkommung überstanden war , gelangten alle wieder zu ruhiger Fassung .
Wir setzten uns im Kreise , Grüntal hatte die Hand seiner Tochter in der Seinigen liegen , als ob sie ihn noch einmal wieder genommen werden könnte .
Nicht wahr ? sagte er einmal - heute darf ich nach nichts fragen ?
Wir sind noch alle zu voll , zu froh ! -
Sie sollen alles erfahren , liebster Vater , antwortete Julchen : so weh es tut , sich selbst anzuklagen , fügte sie leise hinzu , so haben Sie doch ein zu entschiedenes Recht , alles zu wissen .
- Einmal entwischte es mir , sie Ida zu nennen : Wie ?
was war das ? nicht Julchen ? nicht mehr Julchen ? ach , sagte sie errötend , als ich unglücklich , und weit von Ihnen war , konnte ich die Laute eines Namens nicht ertragen , den mein Vater oft so zärtlich ausgesprochen hatte .
Ich war eifersüchtig auf den Namen , der mich an glücklichere , unschuldsvolle Tage erinnerte .
Ich legte ihn zurück , bis ein Tag wie dieser ihn mir wiedergeben konnte .
Grüntal lauschte mit Wohlgefallen auf Ihre Stimme , als ob er den Tönen einer entfernten Musik horchte .
Der ehrliche Mann tat so Schmuck und festlich , als wenn sein Hochzeitstag wäre .
Die Frau von Auefelde war so erschöpft und angegriffen , daß der Oberste auf frühen Abschied und Trennung drang . Uns , mit den starken Nerven , sagte er , wird es freilich nichts anhaben ; aber da die Armen , mit den zarten seidenen Fäserchen ; - entlaße sie , Grüntal .
Oheim , Ihr übertreibt .
Die Frauen werden uns erkranken .
Sieh nur meine arme Lina ; sie schwebt nur noch .
Diese Rede des biederen Obersten wirkte .
Eine Stunde nach dem Abendessen begab sich ein jeder zur Ruhe .
Julchen für diesmal noch nach dem Hügel , und ich verlangte nach unserer kleinen Heimat entlassen zu werden , wo ich jetzt nach Mitternacht noch sitze , Dir diese Ereignisse mitzuteilen .
Morgen früh bin ich wieder hinbeschieden .
Da Auguste sich so tätig der Wirtschaft annimmt , so kann ich einige kurze Abwesenheiten wagen .
Lebe wohl , Du Lieber , und gedenke Deiner Wilhelmine T . " Fortsetzung .
" Wir versammelten uns zum Frühstück in der Jasmin Laube , in der ich so manche glückliche Stunde mit Ida zubrachte Ach wie so lieb und wert die ersten Eindrücke sind , nie , nie werde ich den teuren Namen Ida , unter welchem sie mir zuerst bekannt wurde , ohne freudige Schauer aussprechen !
Die Gesellschaft fand sich bald zusammen .
Julchen war durch die Ruhe der Nacht zu einer besseren Fassung gelangt .
Grüntal sah ihr recht scharf in die Augen , und sagte dann , mit dem Finger auf die Augen zeigend :
Da sitzt Gott Lob !
noch recht viel vom ehemaligen Julchen aus Lindenau .
- Die Augen schwollen ihr bei dieser Anrede ; sie drückte seine Hand an ihr Herz und antwortete : auch hier , lieber Vater !
Ihr Julchen wird aus dem gereinigten Sinn und Willen wieder hervorgehen .
Bei dieser Gelegenheit machte sie eine Bewegung mit der Hand , wodurch ihm ein prächtiger Brilliant in die Augen fiel , den sie zu tragen pflegte .
Sein Blick wurde wie mit einer düstern Wolke bezogen , und mit Unwillen in Ton und Gebärde fragte er : hattest Du das schon , als Du noch - als Du noch - er wußte sich nicht auszudrücken .
Sie verstand ihn vollkommen , und indem sie tief beschämt den Ring abzog , stammelte sie ein : Nein !
Er faßte sich , und erwiderte schnell , gut ; das gehört den armen abgebrannten Nachbarn . -
Und auch dieses , setzte sie hinzu , indem sie noch ein Kleinod , welches sie am Halse trug , hinzufügte .
- Julchen , tue mir den Gefallen , wenn Du wieder unter uns leben willst , - dies sagte er ihr halb leise , - bringe nichts fremdes mit , Du verstehst mich .
Du sollst mit allem , was Dir fehlt , reichlich versorgt werden .
Sie bückte sich auf seine Hand und küßte sie dankbar .
Mühmchen , fing der Oberst an , daß wir nicht wieder in den gestrigen Ton fallen , hätte ich große Lust , Ihnen zu erzählen , wie meine würdige Lina zu dem alten Degenknopf gekommen ist , den sie mit ihrer Hand beehrt hat .
Lina soll ich ?
Karoline sagte , sie wollten sich in die Erzählung teilen , wenn es ihm beliebe .
Gut , - sagte er , - so mache ich den Anfang .
Ich war Kommandeur des Regimentes , welches in in Garnison liegt .
Meine Lebensart war die eines Garçon , der gutes Leben und wenig zu tun hat , ich schlief , ging auf die Parade , nahm einen Schnaps in der Apotheke , wenn die Wachparade abgeführt war , ging in mein Quartier , blätterte in Büchern und Landkarten , aß mit den Offizieren meiner Eskadron , schlief dann wieder , ließ den Braunen satteln , ging mit meinem Tiras auf die Jagd , aß wieder und ging zu Bette .
Diese Lebensweise war bis auf die Exerzierzeit , die etwas mehr Strapaze , und weniger Schlaf gewährte , so unabänderlich einförmig , wie der Küchenzettel im Kloster .
Man wird derselben so gewohnt , daß eine Abänderung zur Anstrengung ungeübter Kräfte wird ; denn endlich wird einem der buntgefiederte Hahn des Nachbars , und die weiße Kuh der Frau Gevatterin , das , was in der großen Welt ein Stutzer , und eine neue Maitresse ist .
Einst erscholl im Örtchen plötzlich die Nachricht , es sei eine fremde Dame angekommen .
Sie beziehe ein Haus und Garten in der Vorstadt , und so reich sie auch sei , würde sie doch aus wohltätigem Hange , eine Erziehungsanstalt errichten .
Da war nun mit einem Male eine neue Erscheinung , auf die nicht nur alle Augen des Örtchens , sondern der umliegenden Gegend gerichtet waren .
Wer ist sie ? von wo ist sie ?
wie sieht sie aus ? ist sie alt oder jung ? und die Antworten lauteten immer nur , sie soll so oder so sein ; denn noch hatte Niemand die liebe Lina gesehen .
Als dies so eine Zeitlang gewährt hatte , erkaltete die tätige Neugier , und es war nur noch die Rede von ihr , wie etwa von der weißen Frau :
sie soll umgehen , aber keiner hat sie gesehen .
Indes wirkte die Gute doch schon wohltätig im Stillen .
Sie hatte Mädchen , das heißt , junge Bürgertöchter zu sich genommen , welche sie unentgeltlich in Arbeiten unterrichtete ; und zu Kindermädchen bildete .
Man fand die Sache lächerlich , - nimm mir es nicht übel , Lina , - sie lachten Dich aus , als ob einen das gelehrt zu werden brauchte .
Zum Spaße versuchte die Gräfin von P. nach einem Jahr , ein Mädchen aus dieser Anstalt zu nehmen , und schrie nun über Wunder .
Das Mädchen hatte die Qualitäten einer Gouvernante .
Jetzt wurde übertrieben , und alles wollte von diesen Mädchen haben .
Indes hatte sich meine gute Lina die Witwe des Rektors , und die verwitwete Stadtschreiberin beigesellt , welche sie so reichlich unterstützte , daß auch diese unentgeltlich mitarbeiteten , das heißt : daß die Bürgerschaft nichts bezahlte ; und nun nahm alt und jung Teil an diesem Unterricht , der die wohltätige Absicht hatte , Erzieherinnen für die erste Kindheit zu bilden .
Die Sache fing an so viel Aufsehen zu machen , daß ein jeder die wundersame Frau kennen zu lernen wünschte .
Da sie sehr eingezogen lebte , und außer ihren Zöglingen niemanden sah , war es nicht leicht , diesen Vorzug zu erlangen ; der mir aber einst unverhofft zu Teil wurde .
Ich kam von der Jagd , und eben vor dem Gartenhause , das ich so oft vergebens umgangen und umritten war , wurde mein Pferd vor einem Karren mit Kraut scheu , und drängte mich so heftig gegen die Mauer des Hauses , daß ich durch eine starke Quetschung genötigt wurde , abzusitzen , und durch meinen Jäger um Erlaubnis bat , mich in ein unteres Zimmer führen lassen zu dürfen , bis er mir einen Wagen bringen würde .
Dies war nicht abzuschlagen .
Ich wurde in ein niedlich aufgeputztes Zimmer geführt , wo ich eine junge Frau in das reinste Weiß gekleidet fand , die mich mit allem Anstande einer feinen Weltfrau bewillkommte .
Die Schmerzen meiner Quetschung hinderten mich , den reinen und unbefangenen Blick , aus dem heitersten blauen Auge , und den edlen , wohlwollenden Zug des Mundes zu bemerken .
Das kann die Frau des Hauses nicht sein , dachte ich , denn dem Begriffe von Erzieherin hatte sich bei mir immer eine dunkle Vorstellung von Strenge beigemischt , welche ich nicht davon trennen konnte .
Ihre Unterhaltung gewährte mir eine Erquickung , bei der ich völlig vergaß , weswegen ich eigentlich herein gekommen war , und ich hätte den Jäger prügeln können , der mit dem Wagen so bald ankam .
Beim Weggehen warf ich einen Blick in den Garten , stellte mich , als ob er mir besonders gefiele , und nahm daher Gelegenheit um Erlaubnis zu bitten , zuweilen darin ansprechen zu dürfen .
Meine gute Lina erlaubte es sehr verbindlich , doch mit dem nicht ganz in mein Kremchen paßenden Nachsatz , wenn sie gleich nicht immer die Ehre haben würde mich willkommen zu heißen , so stehe doch der Garten zu meinem Befehl .
Mein Kopf , und wie mir_es beinahe vorkam , mein Herz war voll von dem , was ich gesehen und gehört hatte .
Die fremde Dame schwebte mir unaufhörlich auf der Zunge ; aber wenn sie herunter wollte , schickte ich sie immer wieder in mein Herz zurück ; denn kein Unheiliger , kein Adjutant oder Subaltern , sollte ihren Namen hören .
Am anderen Morgen sobald es der Wohlstand erlaubte , schickte ich meinen Jäger , mit einem Danksagungs-Komplimente an sie ab ; denn so viel Galanterie hatte ich noch von meinem Pagenstande ronservirt , obschon sie diesmal gerade aus dem Herzen kam .
Der Jäger brachte mir mit dem artigsten Gegengruß , einen schönen , blühenden Rosenstock mit , welchen sie dem Kranken schenkte .
Seit meinem Lieutenantsstande war ich nicht eigentlich wieder verliebt gewesen : und jetzt wunderte ich mich nicht wenig , daß dem alten Knaben mit einem Mal das Herz wieder aufging .
Ich fragte dem Jäger rück- und vorwärts ab , was er gesehen und gehört hatte , und immer blieb noch ein Umstand , den ich nicht recht begreifen konnte .
Es kostete mir Zwang , abzubrechen , aber wie gut ich nun dem Kerl war , kann ich nicht beschreiben ; auch hatte ich den ganzen Tag seine Dienste nötig , und behielt ihn um mich .
Ob ich nicht mit dem Rosenstocke geheime Unterredungen gehalten habe , kann ich nicht gewiß sagen .
Das liebe Geschenk zog ein Gegengeschenk , einen kleinen Rehbock für die Küche , nach sich .
Auf diesen folgten die ersten grünen Erbsen , die eine liebe Hand selbst gelegt hatte , und die dem noch immer Leidenden wohl tun würden .
Gegen den Balsam , der für mich in diesen Erbsen lag , ist Hirschelse Wundersalz mit allen Goldtinkturen der Alchimisten nur Kindertand .
Die Tischgänger hätte ich erwürgt , wenn sie_es gewagt hätten , nur eine davon anzurühren .
Das ging volle sechs Wochen so seinen Gang .
Unser Regimentschirurgus hatte die glückliche Gabe , aus kleinen unbedeutenden Üblen große zu machen ; auch bei mir war_es ihm gelungen .
Mein erster Ausgang verzögerte sich bis zum Herbst .
Wohin er gerichtet war ? versteht sich von selbst .
Ich ließ mich melden , wurde angenommen , und fand nun die allerliebste häusliche Frau in einem leichten weißen Röckchen mit ihren Zöglingen beim Obsteinsammeln .
Ich hatte noch von meiner Mutter her eine Freude an häuslichen , besonders an ländlichen Frauen .
Diese Tugend an der Dame meines Herzens zu entdecken , war eine ungemeine Erhöhung der Achtung , die mir ihr gebildeter und gerader Verstand eingeflößt hatte .
Ihre Kenntnisse , ihre solide Belesenheit , waren mir nicht entgangen ; ich hatte Respekt ohne jene besondere Furcht und Abneigung , die ich immer vor den Drätensionen belesener Weiber empfunden hatte .
Dies alles , was ich so lange gesucht , und noch nie in dem Grade bei einer Person vereinigt gefunden hatte , bei einem allerliebsten guten Gesicht , das gerade nach meinem Geschmack schön war , wirkte gar wunderlich auf das alte Soldatenherz .
Ich kam und ging , kam wieder , und dachte doch dabei .
Du kommst zu oft , oder Du gehst zu bald .
Das Ding brachte mich aus meiner Tramontane , und ich merkte bald . daß es so nicht bleiben konnte .
Heiraten ? hm ! da werden Dich die jungen Lassen , die geschniegelten Offizierchen , auslachen .
- Aber wie denn ?
Abschied nehmen ?
da ist aber wieder das Vaterland !
Und kann dem Vaterlande denn nur mit dem Degen in der Faust gedient werden ?
Ist der Nährstand nicht so wohl , und mehr noch Stütze des Staats , als der Wehrstand ? Habe ich als Gutsbesitzer nicht Pflichten auf mir ?
Ich werde im Militär vielleicht einem Fähigeren Platz machen .
So lange es einen so zahlreichen unbegüterten Adel gibt , wird es dem Staate nie an Offizieren fehlen .
Der Landadel kann vielen und bleibenden Nutzen stiften ; er kann auf Generationen wirken .
Eine Landedelfrau , wie meine Herzensdame !
Ei , das geht , das muß gehen !
Georg , meine neue Uniform ! die neue Feder auf den Hut !
Der alte Oberste machte sich blank und schmuck ; die braune Blesse mit der Revueschabracke wurde vorgeführt , bestiegen , und so im anständigen Schritt in die Vorstadt .
Angemeldet .
Madame sei nicht recht wohl ; sie bäte sich die Ehre auf ein andermal aus . O weh !
eine so wohl geordnete Anrede steht einem nicht alle Tage zu Gebote ; die soll so für nichts und wieder nichts ausgedacht sein ? -
Noch einmal hinein , Georg ! nur um fünf Minuten Gehör !
Es wurde gewährt , und nun klopfte dem alten Narren das Herz .
Was nun folgt , solltest Du , liebe Line , erzählen ; wie ich mich benahm , wie ich sprach ; nur würdest .
Du zu bescheiden sein , und den alten Reuter zu gut durchkommen lassen .
Kurz , die Audienz nahm ihren Anfang mit Komplimenten , und endigte mit einer förmlichen Erklärung . -
Leinchen saß da , ganz überrascht , aber doch nicht , wie ich gefürchtet hatte , unwillig .
Und nun die Antwort auf meine Anfrage !
Das zarte Stimmchen räusperte und stockte , fing an , und brach ab .
Ich saß wie am Bratenfeuer .
Endlich kam es heraus : gegen meine Person und Charakter könne sie vernünftiger Weise nichts einwenden , ( ich muß hier bemerken , daß Karoline sich unbemerkt entfernt hatte , als der Oberste an diese Stelle seiner Erzählung kam ) ; allein mir sei es vielleicht unbekannt , daß sie eine Geschiedene Frau sei , ( hier wurde Julchen blaß , und zitterte ) .
Zwar könne diese Scheidung ihren Charakter nicht beflecken ; die Welt sei aber immer geneigt , Geschiedene Frauen ungünstig zu beurteilen , ( man sah , daß Julchen gern entschlüpft wäre ) , und diese Urteile könnten dem Herrn Obersten nachteilig für die Ehre seines Hauses , und die Ruhe seines Lebens werden .
Überdem sei die Familie von Auefelde von altem stiftsmäßigen Adel , und sie fühle sich nicht stark genug , die Geringschätzung dieser Familie auszuhalten , der sie zuverlässig von irgend einem Teil derselben ausgesetzt sein würde .
Sie gestände freimütig :
sie liebe den Adel nicht , und nach jetzigen Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft halte sie ihn für eine Herabwürdigung der Menschheit , und für einen Eingriff in ihre besseren Rechte .
Diese Äußerung meiner Lieben hätte mich schier verdrossen , wenn ihre Erklärung nicht gleich hinterher gefolgt wäre :
es täte ihr jederzeit in der Seele des vernünftigen und besseren Edelmannes wehe , wenn ihm alle seine natürlichen und erworbenen Fähigkeiten die Achtung nicht verschaffen könnten , in der ihn der große Haufen wegen der Zufälligkeit der Geburt halte .
Dem wackeren und klugen Manne müsse dann sein Adel und die Konvenienzen zur Last fallen .
Nun fand ich wieder , daß sie recht , und ich im Herzen schon lange eben so gedacht hatte , nur daß ich es nicht in so netter Ordnung entwickeln konnte .
Überlegen Sie , Herr Oberst , was ich Ihnen in Absicht meiner Meinung über den Adel gesagt habe , und ich werde es Ihnen gar nicht übel nehmen , wenn ich Sie , wenigstens in diesem Gewerbe , nicht wiedersehe .
Ich habe , setzte sie noch hinzu , Verwandte , deren Urteil mir nicht gleichgültig ist , und die hierin völlig meiner Meinung sind ; noch mehr :
ich lasse mein ganzes Schicksal von der Meinung meines Oheims abhängen .
Damit meinte sie hier den alten Freund Grüntal .
Ja , Du Alter !
( indem er ihn beim Kopf nahm , und auf altdeutsche Art küßte , daß es widerhallte ) ; Du hast mir schöne Sprünge gemacht !
Ich muß es nur sagen , er hatte eine ganz andere Mariage für seine Nichte im Kopfe .
He ? war es nicht so ?
Sie sollte die Frau eines Pfarrers werden ; aber der geistliche Herr laborierte glücklicher Weise noch an einer fehlgeschlagenen Liebe , und hatte noch einen mächtigen Korb zu verdauen .
War es nicht so ?
Alter ! so rede doch !
Grüntal sah seine Tochter bekümmert an , und sagte dann : ja , ja , es war so was daran ; aber erzählen Sie nur fort , Neffe .
Ich habe es wahrhaftig nicht böse gemeint ! -
Nun , das weiß ich , das weiß ich ! -
Auf die Einwürfe gegen meinen Adel war ich nicht gefaßt gewesen ; denn ich hatte es schier vergessen , daß mir so etwas anhing .
Wenn man in der Welt eine Weile mitgelaufen ist , und in allen Ständen so viel Gutes und Edles gewacht wird , und dann auch wieder Edelleute findet , die wie das liebe Vieh sind :
so muß man es ja wohl endlich vergessen , daß es leider ! solche Unterscheidungsprivilegien gibt , die an einer bloßen Zufälligkeit kleben .
Indes tat mir das , was die liebe Line gesagt hatte , im Herzen weh .
Ich empfahl mich auf ihr eigenes Begehren für diesmal , und nahm mir vor , die Sache ordentlicher durchzuarbeiten , mehr ihret- als meinetwegen .
Ich leugne nicht , daß mir manches aufs Herz fiel ; unter anderen mein Vetter , der verstorbene Minister in Gotha , der sich es noch auf seinem Krankenlager berühmte , daß in seinem langen Leben kein Bürgerlicher über seine Schwelle gekommen sei ; ferner : daß es ein Kind aus meiner Familie war , welches einem großen Arzt die Hand zu geben sich weigerte , und als der Arzt nach der Ursache dieses Eigensinns forschte , zur Antwort gab :
Mama hat mir_es verboten , ich soll keinem Bürgerlichen die Hand geben ; vom Arzt aber zur Antwort erhielt : sage Deiner Mutter , sie wäre nicht recht klug .
So rührt leider ! auch aus meiner Familie die Anekdote eines Fräulein von B .. her , die auf einem Ball mit einem Hrn Schmidt , dem Hofmeister des jungen Grafen von L.. , tanzte .
Mitten im Tanz fällt_es ihr ein , ihren Mittänzer um Namen und Stand zu fragen .
Als er sich nennt , läßt sie ihn stehen , mit dem Bedeuten , sie habe ihrer Mutter versprochen , mit keinem Bürgerlichen zu tanzen .
Aber , mein Cousinchen wurde übel bezahlt .
Herr Schmidt , der Hofmeister , klagt es seinem jungen Grafen , der es über sich nimmt , seinen Freund zu rächen .
Er fordert das Fräulein auf , das sich denn neben der gräflichen Moitie gar gütlich tat .
Mitten im Tanz fragt der Graf : wen er die Ehre habe zum Tanz aufzuführen .
Das Putchen nennt sich , und wirft sich in die Brust .
Ja , da muß ich tausendmal um Verzeihung bitten , erwidert Graf L.. , ich habe meinem Vater versprochen , mit keiner anderen als mit einer Gräfin zu tanzen , und das Fräulein sah sich plantirt , wie sie dem Bürgerlichen getan hatte .
Endlich , so war es ja meine liebe Großtante , die Gräfin S .. , gewesen , welche , als einst einer ihrer Enkel einer Bäuerin , die ihn bediente , mit der Gabel nach den Augen stach , und diese sich zurückzog , meinte : es sei wenig daran gelegen , ob solch eine Kanaille Augen hätte , oder nicht ; solch ' Pack müsse es sich für Ehre halten , wenn vornehme Kinder mit ihm scherzten .
- Diese und noch mehr ähnliche Züge meiner ahnenstolzen Familie fielen mir schwer aufs Herz , da ich in noch langsameren Schritte , als ich gekommen war , Heimritt .
Ich kam gar unfreundlich bei mir an , kramte in meinen Papieren , fand mein Wappen , meinen Stammbaum , besah mir die Quartiere : - bei Dir hat_es ein Ende ! - dachte ich .
Mag_es !
es muß doch einmal ein Ende nehmen !
Und was hilft es allen denen , die da ruhen , daß ihre Quartiere voll waren ? und wenn Du so weit bist wie diese , was wird es dann sein , ob neben Dir unterm Leichensteine eine Hochgeborene , Hochwohl- oder Hochedelgebohrne ruht ? -
Ein anderes mag_es gewesen sein , zur Zeit des Faustrechts , da es noch keinen gebildeten und wohlhabenden Mittelstand gab ; ja , da war es vielleicht der Verfassung des Adels angemessen , keine Leibeigene oder auch nur Freigelaßene zu heiraten ; aber wo liegt jetzt etwas Wesentliches in der Sache , seitdem Erziehung die bemittelten Stände gleich gemacht hat ? -
Die Unterscheidungslinie der beiden Stände liegt jetzt in den Vorurteilen , welche die Abneigung nur unterhalten und fortpflanzen .
Und bin ich nicht Mannes genug , diesen Vorurteilen Trotz zu bieten ? Habe ich kein Verdienst um mein Vaterland , als meine Geburt ?
Soll ich diesem Wahne das Glück und die Freude meiner alten Tage opfern ? -
Nein , daraus wird nichts !
Frau Line muß aber auch nicht eigensinnig das Glück eines nicht unwürdigen Mannes einer Abneigung aufopfern , die in einzelnen Fällen auch zum Vorurteile herabsinkt .
Ich schreibe geradezu an den Onkel ; wenn er ein Mann ist , wird er auch Vorurteile zu besiegen wissen .
Onkel , sprich ! wie gefiel Dir mein Brief ? -
Er enthielt Äußerungen eines Mannes , von dem mir mein Herz sagte , daß ich ihn sehr lieb gewinnen würde ; und daß die Liebe in dem Herzen eines Obersten , - die in unserem Dienste keine junge Lecker zu sein pflegen , - kein vorübergehendes Flämmchen sein werde , konnte ich mir auch vernünftiger Weise sagen .
Und , Kinder , war es denn nicht für den Charakter des Mannes ein entschiedener guter Zug , daß er so stilles Verdienst aufzufinden und zu würdigen Sinn und Gefühl genug hatte ? - Freilich , der Adel wollte mir nicht recht zu Sinn ; aber wenn der Mann sonst so gut ist , wie er zu sein scheint , wer wollte ihm das zurechnen , woran er nicht Schuld hat !
Das schrieb ich Ihnen , Neffe , und schrieb_es auch der Nichte ; denn mein Projekt , sie mit einem gewissen Eiche zu verplempern , war mir schon an des Mannes festem Sinne gescheitert . -
Nun denn , fuhr der Oberste fort , sobald ich des Onkels Brief mit der Einlage an Linnen in Händen hatte , zog ich damit triumphierend in die Vorstadt .
Die gute , liebe Frau wurde gar verlegen und rot , als ich ihr mein Kreditiv überreichte ; sie hatte nicht bedacht , daß ein alter preußischer Soldat eine Belagerung nicht so leicht aufhebt .
Sie las , und schien ihren Augen kaum zu trauen , als sie des Oheims förmliche Einwilligung , oder vielmehr Billigung , sah .
Das Köpfchen sank in die kleine Patschhand .
- Lieber Herr Oberst , Sie sind nicht edel , wenn Sie mich so in die Enge treiben !
Ich muß von Herzen mit Ihnen sprechen :
ich war verheiratet , ich liebte den Mann wie meine Seele ; und sollte es nicht in mir gelegen haben , daß ich mir seine Liebe nicht erhalten konnte ?
Wie ? wenn die Fehler , die Schwächen , welche damals meinem Glücke im Wege standen , die Sie noch nicht an mir kennen , wenn die auch jetzt Ihrem Glücke , Ihrem Charakter und Temperamente entgegenständen ?
Und dann so müsse sie es mir gestehen , daß ihr das Schicksal eines Mannes , mit dem sie so lange im freundlichen Wahn gegenseitiger Liebe gelebt habe , nie gleichgültig werden könne ; sie würde nie einen Schritt tun , ihrem Schicksale eine bestimmte Wendung zu geben , bis sie von seiner gegenwärtigen Lage unterrichtet sei .
Ich mußte dieses ihr Zartgefühl billigen , und die Bürgschaft meines eigenen Glücks in diesen liebenden Eigenschaften ihrer Seele finden .
- Aber dann , wenn ich diesen Forderungen Ihres schönen Herzens werde Genüge geleistet haben , was darf ich dann hoffen ?
Werden die Jahre , die ich vor Ihnen voraus habe , kein Hindernis sein ? -
Lieber Oberst , altern denn die Seelen auch ?
Ihr Gleichmut , Ihr fleckenloses Gewissen - gestatten Sie mir den altväterischen Ausdruck - Ihre feste Gesundheit , der Sie nicht durch eine Lebensart Trotz bieten , die in Ihrem Stande keine Seltenheit ist ; alles dieses läßt mich mit Zuversicht voraussetzen , daß Ihnen kein mürrisches , abschreckendes Alter bevorsteht .
Ich bin zwar jung , aber durch Schicksale und Beschäftigung vor der Zeit zum Ernst der mittleren Jahre gediehen .
Von der Seite hätten sich unsere Charaktere genähert .
Sie lieben munteren Scherz , ich hasse ihn nicht ; und wenn mir vielleicht das Talent fehlt , selbst anziehend zu scherzen , so bin ich doch gern bei Personen , die es besitzen .
Es bleibt mir weiter keine Einwendung , als Ihre Geburt und Ihre Familie .
- Während dieser Unterhaltung hatte sich die Liebe , bei aller ihrer Bedächtigkeit , doch in so fern verschnappt , daß sie sich so ein ganz klein wenig nach meinen Sitten und Charakter erkundigt hatte .
Das gab mir einen Mut , den alles , was sie sagte , mir nicht hatte geben können , und ich beantwortete ihre Einwürfe mit einer Force und Gründlichkeit , die mir wohl der liebe Gott eingeben mußte ; denn das liebste Weib gab nach , und nun blieb nur noch die Auskunft wegen ihres Ungetreuen .
( Grüntal sah Julchen sehr unruhig werden ; er faßte ihre Hand mit Rührung , und sagte zum Obersten : lieber Neffe , diesen Teil Ihrer Erzählung erlassen wir Ihnen für jetzt ; sagen Sie uns nur , wie es kam , als Sie mit Allem ins Reine waren ) .
Der Oberste schlug sich drollig an die Stirn , und rief : alter Dummkopf , daß Du auch auf nichts merkst !
Sein Sie außer Sorgen , Mühmchen !
Julchen errötete , daß ihr die Augen übergingen ; sie neigte sich auf ihres Vaters Hände , und blieb einige Minuten in dieser Stellung .
- Indes war auch Karoline wieder hereingekommen .
Als sie vernahm , wie weit ihr Mann in seiner Erzählung gekommen war , sagte sie : » nun ist es an mir , Heinrich ; was jetzt folgt , gehört in mein Departement , denn beim Brautwesen und Hochzeitfeiern gehören wir zu Hause . «
Als der liebe Mann hier mich aus allen meinen Verschanzungen herausgetrieben hatte , und seine persönliche Trefflichkeit ( hier wurde der alte Herr ordentlich ein wenig rot , und verneigte sich recht galant gegen seine Line ) mich über den Übelstand ungleicher Heiraten weggehoben hatte , willigte ich mit dankbarem Herzen ein .
Mein großmütiger Bräutigam überschüttete mich nicht nur mit Geschenken , sondern erlaubte auch , daß ich einen beträchtlichen Teil meines Vermögens der , nun ohne mich bestehenden , Einrichtung einer Bildungsschule für Erzieherinnen kleiner Kinder und junger Dienstmädchen geben durfte .
Überhaupt gab er mir Anlaß , seinen Charakter täglich inniger zu schätzen , und ich ergreife gern diese Gelegenheit , im Angesicht mehrerer Personen , deren Urteil mir etwas gilt , zu erklären , daß mein zweiter Brautstand reicher an echten Freuden war , als der erste .
Anfänglich dachte ich es nicht ohne Schmerz , daß ein wackerer Krieger meinetwegen eine Laufbahn verließ , die er mit Auszeichnung und Ehre gegangen war ; aber seine Gründe für das Landleben leuchteten mir ein , denn durch den Tod seines älteren Bruders , dessen Güter an ihn gefallen waren , hatten die Pflichten gegen seine neuen Untertanen einen größeren Wirkungskreis erhalten .
Er forderte und erhielt einen ehrenvollen Abschied .
Es hat meinem Glücke keinen geringen Zusatz gegeben , daß sein edler Bruder und seine verdienstvolle Schwester seine Wahl gebilligt haben . -
Nun mag die Schwester Else in ihrem Stifte die Nase rümpfen , liebe Line , uns tut es nichts ! nicht wahr ? " -
fiel der Oberste seiner Gemahlin ins Wort .
" Es würde mir angenehm gewesen sein , antwortete sie , wenn von keinem Mitgliede Mißbilligung statt gefunden hätte .
Unsere Heirat feierten wir so still , als es unserer beiderseitigen Abneigung gegen öffentliches Gepränge angemessen war .
Unsäglich froh machte es uns , daß hier mein lieber , guter Oheim Vaterstelle bei mir vertrat , und nicht nur Hochzeitkleider , sondern auch Hochzeitlaune mit zu uns brachte .
- Und ich darf sagen , daß es immer einer der schönsten Tage meines Lebens war , als ich diese zwei edelsten und teuersten Herzen einen schönen dauernden Bund schließen sah , der sich auf Anerkennung ähnlicher Redlichkeit und deutscher Treue gründete .
Seitdem ist mein Leben eine Kette von ungestörtem , freudigen Lebensgenuß gewesen , der nun durch die Ankunft einer so lieben Verwandten um ein Beträchtliches erhöhet ist ; denn ich setze voraus , daß uns von nun an nichts mehr trennen wird , daß der Onkel , Julchen und alles was mir wert ist , hier die Dame ( sie meinte meine Wenigkeit ) mit eingeschlossen , nur eine Familie ausmachen wird , und daß die junge Muhme das Häuschen auf dem Hügel von ihren Verwandten wird annehmen wollen , " - " die sich eine Freude daraus machen , es ihr zum Eigentum auf ewige Zeiten zu überlassen , " - fiel der Oberste treuherzig ein .
Julchen verneigte sich schweigend , und sagte nach einer Weile : " über meinem Verhängnisse ruht noch eine düstre Wolke ; ich fühle , daß ich Ihnen jetzt die Erzählung meiner Verirrungen schuldig bin .
Ich habe von Zeit zu Zeit daran gearbeitet , sie schriftlich aufzusetzen , um mir , auf den heißersehnten Fall der Wiedervereinigung , die Angst des mündlichen Selbstbekenntnisses zu ersparen .
Sie sollen es erhalten , und es alsdann dieser edlen Freundin , meiner Minna , der ich es schuldig bin , mitteilen , oder , wenn Sie wollen , mit ihr durchgehen ; nur vermag ich nicht zu ertragen , daß es in meiner Gegenwart geschehe .
- Sie wurde von Allen herzlich umarmt , und mit Nachsicht getröstet .
Lieber Wilhelm , wenn alle Reuigen so aufgenommen würden , wäre es ein ordentliches Verdienst um die Menschen , zu fehlen , damit ihr Edelmut ans Licht käme .
Doch , ich habe meine Probe überstanden , und ich hoffe auch bestanden . Unsere Liebe ist befestigt , meine Auguste wird gut , was bleibt mir noch für ein Glück zu wünschen ?
Ich erwarte jetzt mit Sehnsucht Deine gesunde Rückkehr , um Dich in die ehrenwerte Gesellschaft einzuführen .
Lebe wohl !
Ewig Deine Wilhelmine . "
Der Amtmann Grüntal an den Prediger Eiche .
" Ja , liebster Freund , Sie haben wohl recht , wenn Sie voraussetzen , daß die Freude meinem alten , von Gram geschwächten Kopfe zu stark sein dürfte !
Die erste Freude war groß , übergroß , und ich glaube , daß ich mich dabei nicht ganz so benommen habe , wie es ein gescheuter Mann und ein tief gekränkter Vater gesollt hätte ; aber es ist mir mein ganzes Leben hindurch nicht gegeben gewesen , in solchen Momenten abzuwägen , und meine Empfindungen unter Zucht und Schere zu halten .
Ich habe es freilich der Wiederkehrenden leicht , wohl gar zu leicht gemacht ; aber die anderen haben es ja auch um nichts gescheuter angefangen .
Hat nicht Karoline , die am schwersten beleidigt ist , ihr gleich beim ersten Anblick verziehen , und sie geherzt und geküßt , als wäre gar nichts von der Art vorgefallen ?
Der alte Oberste , der so streng auf Pflicht und Ehre hält , hat er sie nicht auch wie eine Tochter vom Hause aufgenommen ?
Aber Sie hätten sie auch sehen sollen !
Schön wie ein Engel , und gebeugt von Reue und Scham .
Wie sie ihr Engelsgesichtchen vor Karolinen in den Staub legte , und kein Auge zu ihr aufzuheben vermochte ! -
Könnten Sie es doch über sich erhalten , sie zu sehen ! -
Was sie zu werden versprach , ist nichts , gegen das , was sie geworden ist .
Es ist für mich ein ordentliches Glück , daß sie gefallen ist , ich würde sonst am Ende wahrhaftig ! zu viel Respekt vor ihr haben ; aber , wenn mir denn wieder einfällt , daß ich ihr keinen Namen zu geben weiß , o dann , dann sehe ich sie wehmütig an , und fühle mich geneigt , mir , allein mir alle Schuld beizumessen !
Meine schwache Nachgiebigkeit bereitete ihr den Fall ; und wenn es mir denn einfällt , was jetzt aus ihr werden soll ? - wie in diesem irdischen Zustande nun weiter an kein wahres inneres Glück mehr für sie zu denken ist ; wie das zerstörende Bewußtsein sie noch am liebevollen Herzen der Ihrigen verfolgt ; wie sie , im Schoße der Liebe und Freundschaft selbst , am meisten verzagen muß ; wie jede Liebkosung sie martert ; wie jeder noch so unbefangene Rückblick ihrer Lieben ihr Tränen ablockt ; - lieber Eiche , die Freude des Wiedersehens , glauben Sie mir , hat alle Bitterkeit des Kummers , wenn nicht etwa Zeit und Gewohnheit ihren wohltätigen Einfluß auf uns beweisen .
Wir könnten hier ein paradiesisches Leben führen , in einer solchen Gegend , unter diesen Menschen , in so günstiger Glückslage ! - Karoline ist alles , was eine Frau sein muß ; und es scheint mir oft , als habe es so sein müssen , wie alles gewesen ist , damit jede ihrer schönen Anlagen sich entwickeln konnte .
Der Oberste betet sie , ihrer Tugenden wegen , an ; kein Fürstenstamm , sagt er mir oft , hätte ihm eine solche Gattin zu geben vermocht .
Die Gutsbewohner nennen sie Mutter , und sie verdient es .
Sie hat sich die Geschichte des Dörfchens Traubenheim zum Muster genommen , und führt aus , was hier zu Lande ausführbar und anwendbar ist .
Wahrlich , wen Gott lieb hat , dem gibt er solch ein Weib ! -
- Sie schafft mit Kopf und Händen ; ihr Mann geht ihr treu zur Seite , und spart keinen Aufwand , ihre edle Tätigkeit zu unterstützen .
Wie der elende Mensch , den Falk meine ich , wie der dieses Kleinod verkannt hat !
Seinen Namen nur zu nennen , ist mir fatal ; und doch muß ich zu der traurigen Notwendigkeit schreiten , ihn in öffentlichen Blättern zitieren zu lassen , damit die Unglückliche an dieser unseligen Fessel nicht durch es ganze Leben zu schleppen habe .
Den letzteren Nachrichten zufolge , ist er von Hamburg , wo er eine Zeit lang , auf Kosten eines angesehenen Handelshauses , figuriert hat , nach Amerika , dem letzten Freihaven aller Taugenichtse , gegangen , und ist nun Schulmeister in German Town . -
Er hat Karolinen in einem zurückgelaßenen Briefe gebeten , ihn wie einen Gestorbenen anzusehen .
Wegen der armen Verirrten sagt er :
alle Schuld läge auf ihm ; er habe sich in sie , beim ersten Anblick , verliebt , und gleich den Vorsatz gefaßt , sie zu verstricken ; sie habe seinen Lockungen nicht widerstehen können ; man müsse in der Familie es ihrer Unerfahrenheit nicht zu hoch anrechnen .
Was nachher erfolgt sei , käme ebenfalls auf Rechnung seines Leichtsinnes , und des bösen Beispieles , welches sie an ihm gehabt .
Er selbst habe dem Russen Anleitung gegeben , sich ihrer Eitelkeit zu ihrem Fall zu bedienen ; das habe ihm die Reisekosten und den ersten Aufwand in Hamburg bestreiten helfen .
O , der Verruchte !
er hat sein eigenes Weib verkuppelt ! meine Tochter ! und doch bittet er :
ich solle ihm meinen Fluch nicht übers Meer nachschicken !
Ach freilich , freilich wäre es Unrecht ! und dann so heißt es ja : » Vergib uns unsere Schuld , so wie wir vergeben unseren Schuldnern . « O , du gesegnetste Religion , wie veredelst Du unsere arme gebrechliche Menschennatur !
Denn , sagen Sie , Eiche , liegt es nicht klar in unserer Menschennatur , diesen Menschen zu hassen , und bis ans Ende der Welt zu verfolgen ?
Bereiten Sie sich , mein Freund , nächstens meiner armen Tochter Begebenheiten und Bekenntnisse zu erhalten .
Sie hat in verschiedenen Absätzen daran geschrieben .
Nahe wird es Ihnen gehen , mein Lieber , diese Glorie der Unschuld ihrem Bilde entnommen zu sehen .
Für diese Welt ist sie dahin ; aber das Unglück , die Angst der bittersten Reue , hat ihren Sinn und Willen gereinigt .
Sie soll fortschreiten auf dem Wege der Rechtschaffenheit , und so weiß werden , wie sie gewesen ist .
Ach , Lieber , sie ist sehr weich und demütig ! wo man sie nur anrührt schmerzt es ihr ; jede Erwähnung einer besseren Tugend , als die ihrige gewesen ist , betrübt sie aufs empfindlichste .
Da werden Sie sich vorstellen , daß an Vorwürfe nicht zu denken ist .
Ich gedenke mir den Apostel Paulus , wie er vor dem Festus und der Drusilla von der Gerechtigkeit und Keuschheit redete , und da durch schwerer ihre Herzen traf , als wenn er gesagt hätte : Du bist der Ungerechte !
Du bist die Unkeusche !
Indem er ihr Selbstgefühl beleidigte , hätte er sie aufgebracht , aber der kluge Mann sprach von den entgegengesetzten Tugenden .
Das soll mir ein Vorbild sein .
Aber meine arme Juliane ist doch bei weitem keine Drusilla !
Ich gehe jetzt zu ihr , sie wird mir ihre wehmütigen Aufsätze geben , und ich werde in Schmerz versenkt werden .
Leben Sie wohl , und gedenken Ihres jammernden Freundes Grüntal . " Julchen an ihren Vater .
" Mein Herz wird schwach , und mein Mut verläßt mich , wenn ich an diese traurige Arbeit gehe .
Wer vermag sein Innerstes mit festem Blick zu beschauen , wenn er so fehlte wie ich ?
Ich schaudre bei jedem neuen Beginnen , und verzage an meinen Kräften .
Ja , wahrlich ! wenn ich_es beschaue , so ist meine beste Tugend wie ein beflecktes Gewand , wie die Schrift sich ausdrückt .
Ich weiß keine Worte für meine Torheit ; Torheit ? o , wäre es die nur !
es war gottloser Hochverrat an meiner besseren Überzeugung .
Das weiß , das fühle ich im Innersten .
Wenn gleich selbstgefällige Eigenliebe mir heimlich zuflüsterte : Dein Vater legte den Grund durch seine Nachgiebigkeit , Karoline riß Dich durch ihre romanhafte Aufopferung in den Abgrund ; - so kann ich es mir doch nicht leugnen , daß bei jedem Schritte , denn ich im Labyrinthe meiner Verirrungen forttaumelte , eine innere Stimme , - mag sie das Gewissen oder anders heißen , - daß diese Stimme mir unablässig zurief : stehe still ! gehe nicht weiter ! auf Deinem Wege lauern Sünde und Verderben ; aber die übertäubende Eitelkeit fand den Sieg der Schönheit größer und lockender , als das stille Bewußtsein der Selbstüberwindung .
Ach Bewußtsein , wie hast Du Dich gerächt ! wie in jeder Minute mir Trost und Beruhigung geraubt ! wie jede erheiternde Aussicht in Dunkel gehüllt ! wie jede neuaufkeimende Blüte meines Herzens zerknickt !
O , Du starker Rächer , wie hast Du die Quellen auch meiner besseren Freuden getrübt , wenn Du mir den Spiegel vorhieltest , und mir zuriefst : Du verdienst das nicht !
Du bist eine Ehe - - - O nein , mein Vater , wenn Sie je dies Blatt in die teuren Hände nehmen , wenn die Flüchtige Sie nicht mordete , so sprechen Sie das harte , entehrende Wort nicht aus !
Karoline , die Sanfte , die Fromme , die Christin , hat mir verziehen ; ihr holdseliger Mund wird die Unglückliche nicht mit dieser entsetzlichen Benennung brandmarken !
Ach , und doch - - - Ich wollte die Begebenheiten der Unglücklichen , nicht ihre Gefühle , die Martern ihrer Seele , erzählen .
Diese folgten jenen mit entsetzlicher Eile auf dem Fuße nach .
Jene habe ich , wie mir_es vorkommt , nicht erlebt , sondern ich bin von einer fremden unwiderstehlichen Gewalt durch ein Labyrinth durchgerissen ; meine Besinnung ist übertäubt ; ich kann nicht sagen , wie mir in jedem einzelnen Falle zu Mute gewesen ist .
Von dem Augenblicke an , da der unselige Knoten unwiderruflich zusammengezogen war , da ich von dem Herzen des gütigsten Vaters mich losgerissen hatte , ergriff mich ein Taumel , dessen Betäubung mir wohl tat ; denn die Rückkehr auf mich selbst machte mich halb unsinnig .
Die romanhafte idealische Liebe zerflatterte , wie sie entstanden war ; wir sahen uns gegenseitig in unserer wahren Gestalt , und heimliche Verachtung trat an die Stelle dessen , was wir Liebe genannt hatten .
Mein innerer Friede war zerstört ; in meinem Hause war die Hölle , ich floh es , und suchte das Glück da , wo kein Vernünftiger es gefunden hat .
Meine häufigen Abwesenheiten veranlaßten , daß ich nur spät erst die Bemerkung machte , wie der , dessen Namen ich nun führte , seine Liebe einer Nebenbuhlerin zuwandte , und daß mein Kammermädchen diese Nebenbuhlerin war . -
Ich fühlte mich gedemütigt , ohne die Beleidigung so zu empfinden , wie ich in jedem anderen Verhältnisse getan haben würde .
So hatte ich ihn geraubt , so wurde er mir wieder geraubt .
Nur die Arroganz des Mädchens , welches mir vorgezogen wurde , tat mir weh ; doch wagt ich nicht , mich zu beklagen , weil ich eine vorwurfsvolle Antwort besorgte .
Diesem häuslichen Verdrusse gesellte sich noch der Geldmangel bei , der mich zu Einschränkungen nötigte , auf die ich nicht gerechnet hatte , indes Babet ( so hieß das Mädchen ) im Überflusse strotzte .
Ich machte bald , auf Anraten einer meiner Bekanntinnen , Versuche , meine Finanzumstände durch das Lotto zu verbessern , und geriet dadurch in ein Labyrinth von Geldverlegenheiten , aus welchem mich nur neue Vergehungen erretten konnten .
In eben diesem , für mich so kritischen Zeitpunkte wurde in der Gesellschaft , die ich am häufigsten besuchte , weil sie , die Wahrheit zu sagen , aus jungen Weibern meines Gelichters bestand , ein junger russischer Kavalier , der Fürst Demetrius , eingeführt .
Er zeichnete mich bald vor den anderen aus , und es entstand ein Wettstreit unter den Weibern um seine Eroberung .
Ich tat damals in Wahrheit keinen Schritt , ihn für mich zu gewinnen ; doch wage ich nicht , diese Untätigkeit Pflichtgefühl zu nennen , weil der , welchem ich Pflichten schuldig war , sie mir , wie ich glaubte , durch seine Untreue erlassen hatte .
Der Fürst war von dem Tage seiner ersten Erscheinung an meine Partie beim Spieltische ; er spielte galant , und machte den Zerstreuten .
Der tägliche Gewinnst im Spiel machte meine häusliche Lage bequemer ; ich bezahlte Schulden , und war nun um so leidenschaftlicher eine Spielerin .
- Dem Fürsten entging dies nicht .
Er verlor beständig ; anfangs kleidete er diese Freigebigkeit mit äußerster Delikatesse ein , allein vielleicht glaubte er in der Folge , sich dieser Schonung überheben zu können , als er fand , daß ich um zu gewinnen spielte .
In meinem Hause veranlaßten die Summen , durch welche ich einen beträchtlichen Aufwand bestritt , auch nie die entfernteste Neugier , und - o , des elenden Behelfs ' - damit entschuldigte ich meinen entehrenden Eigennutz gegen mich selbst .
Aufgemuntert durch diese entfernteren Versuche , bemühte sich der Fürst , nach und nach seinen Absichten näher zu kommen .
Auf einer Redoute war er mein Führer ; dies erregte Neid , und ich fand mich geschmeichelt .
Unter dem Schutz der Maske wurde er kühner , und ich nachgiebiger .
Er sprach von Liebe , und ich setzte ihm nur Zweifel daran entgegen .
Er beteuerte , und ich hörte ihn an .
Er schlug eine Entfernung von der Gesellschaft vor , nach seinem oder einem anderen Hause , das weiß ich nicht .
Diesmal noch stand mir mein guter Genius zur Seite ; ich verwarf den Vorschlag mit Abscheu , und der Fürst zog sich in die Grenzen der Ehrerbietung zurück , weil er die Zeit mit Zuverlässigkeit berechnen konnte , wo ich mich ihm selbst überliefern würde .
Meine häusliche Verfassung wurde von da an sichtlich immer mißlicher ; man spielte in Gesellschaften darauf an , und gab mir Winke , die ich damals mir nicht erklären konnte .
Meinen Hausgenossen sah ich zu selten , um Unruhe an ihm zu bemerken ; doch fand ich eines Tages , daß er sehr tätig seine Schreibereien durchsuchte , und große Pakete im Kamin verbrannte .
Ich fragte um die Ursache , und erhielt zur Antwort :
es sind alte Scharteken , für die man , wenn sie sich anhäuften , endlich einen zu großen Raum haben müßte .
Das war mir genug ; ich forschte nicht weiter , kleidete mich an , und ging zum Tee .
Meine Erscheinung erregte Verwunderung ; man fragte mit bedeutenden Winken und Flüstern : wie mein Mann sich befinde ? ob er zu Hause , ob er allein sei ?
Meine Bejahung schien zu befremden ; Einiger Blicke ruhten schadenfroh , anderer mitleidig auf mir , dessen erinnerte ich mich nachher .
Ich setzte mich zum Spiel ; der Fürst war , wie gewöhnlich , von meiner Partie .
Er begleitete mich in seiner Equipage zu Hause , und es fiel mir auf , das er meinem Bedienten etwas Heimliches sagte , welches mir dieser aber ableugnete , als ich mich danach erkundigte .
- In dem Arbeitszimmer des Hausherrn war noch Licht ; ich ging zu Bette , wie ich das immer tat , und schlief auch wie gewöhnlich ein , ohne die Anwesenheit meines Stubengefährten abzuwarten .
Ich stellte an diesem Abend , wider meine Gewohnheit , einige Betrachtungen über meine seltsame Lage an , und weil sie mich auf sehr traurige führen mußte , brach ich ab , und bemühte mich , einzuschlafen .
- Es gelang mir sehr schnell ; aber durch die ungewohnte Anstrengung des ernsthaften Denkens war mein Blut erhitzt , und meine Phantasie sonderbar rege geworden .
Im Traum sah ich ein bedeutendes Bild der Schicksale , welchen ich mich entgegenstürzte .
In einem dunklen Kerker erschien mir eine häßliche aber glänzende Gestalt , mit abenteuerlichen Verzierungen behangen ; sie reichte mir die Hand , ich ergriff sie bei gierig , und plötzlich erhob sie sich mit mir zu einer steilen Anhöhe , welche mit einer spiegelglatten Fläche umgeben war .
Über derselben schwebten Gestalten , worunter ich meinen teuren Vater und meine Brüder am deutlichsten erkannte .
Wie mein Blick sich auf sie heftete , verloren sie sich in einen matten Schimmer weit und immer weiter hin ; die glänzende Gestalt neben mir hatte sich indes in einen häßlichen braunen gestaltlosen Klumpen verwandelt , auf welchem von dem , was er zuvor gewesen , nur noch die bunten Verzierungen sichtbar geblieben waren .
Im äußersten Schrecken griff ich danach ; da fühlte ich mich von einer entsetzlichen Faust ergriffen , und von der Höhe herab auf die schlüpfrige Fläche hingeworfen .
Aus der hellen Dämmerung ging meines Vaters Gestalt wieder hervor ; aber ich vermochte es nicht , ihr näher zu kommen , weil meine Füße auf der ungewohnten Glätte ausgeleiteten .
Ich warf mich trostlos auf den Boden , die väterliche Gestalt war mir ganz nahe , ergriff mich , und plötzlich saß ich neben ihr in einer duftenden Laube .
Nun umflatterten mich bunte Traumgestalten , der feste Schlaf ging in leisen Morgenschlummer über , und dieser wurde durch das Rufen meines Namens abgebrochen .
Ich erschrak , eine alte Frau , die im Hinterhause wohnte , in meinem Zimmer zu sehen . -
Nehmen Sie mir es nicht übel , daß ich mich so dreist zudränge , - fing sie an ; - die Ziem mehr stehen alle offen , es möchte ein Fremder hereinkommen .
- Wo sind denn meine Leute ? -
Seit 4 Uhr , da der Herr abreiste , habe ich keine Seele wieder gesehen . -
Voll Entsetzen sprang ich auf ; eine Ahnung flog durch meine Seele ; ich warf in möglichster Eile Kleider über , indem trat Fürst Demetrius G ins Zimmer .
Er sah bekümmert aus ; und da er mich eben in der größten Bestürzung fand , so fragte er : Sie wissen also schon ? - - Ich weiß nichts , gar nichts .
- Der Kassendefekt ist heraus ; heute sollte er arretiert werden .
Er hat sich mir entdeckt .
Durch einen angemessenen Vorschuß habe ich ihn in den Stand gesetzt , für seine Sicherheit zu sorgen , und habe ihm mein Ehrenwort gegeben , es auch für die Ihrige zu tun .
Es ist ausgemacht , daß , wenn Sie nicht schnelle Maßregeln ergreifen , man sich Ihrer statt seiner bemächtigen wird . -
In der entsetzlichsten Betäubung stürzte ich ihm zu Füßen ; ich glaube , daß ich seine Hände geküßt habe , denn er wurde mächtig ergriffen , sank bei mir nieder , umfaßte mich mit den heiligsten Beteuerungen , und schwor , mein Schicksal sei an seine Seele gebunden ; er übernehme es , mein Los zum glücklichsten zu machen ; seine überschwengliche Liebe setze ihn über jede andere Betrachtung hinweg ; ich verdiene nicht nur eine Fürstin zu sein , sondern auf einen Thron erhoben zu werden .
- Soll ich es sagen , daß ich mit Wohlgefallen auf seine Reden achtete ? daß mir der Gedanke auch nicht einfiel , mich in der Not zum natürlichsten Asyl , zu meinem Vater zu flüchten ? -
Ach , die lockenden Töne der Verführung schlichen sich so süß in mein Herz , und es war gewonnen , ehe die Vernunft aus ihrem langen Schlummer erwachte ! -
Aber wohin ?
mein Fürst ! -
Wohin ? meine Göttliche !
Wo Ihr Demetrius ist , da ist Ihr Asyl ; kann es für die Geliebteste ein anderes geben ?
Aber lassen Sie uns die Zeit benutzen !
Ich bestelle Pferde .
Nehmen Sie nur die ersten Notwendigkeiten mit , bei meiner Mutter sollen Sie mit allem versorgt werden .
Ich würde Unrecht tun , wenn ich sagte ich hätte überlegt .
Nein , ich überlegte , ich dachte mir nichts deutlich ; auch kann ich nicht sagen , daß mich die Liebe verführte .
Der Fürst ist jung und liebenswürdig ; aber nie sah ich in ihm den Mann , dem mein Herz sich hätte ergeben mögen , nur meine Eitelkeit flüsterte mir zu :
er zieht Dich den anderen vor , er ist ein Fürst , und kann Dich zu sich hinaufziehen .
Die Not des Augenblicks , Gefängnis , Armut und Verachtung standen in gräßlichen Gestalten vor mir .
An der Hand des Fürsten winkten mir Reichtum und Wohlleben , und der Müßiggang , dem ich mich besonders im letzten Abschnitte meines Lebens geweiht hatte , stand in der Perspektive .
Auch keinen einzigen Augenblick stand ich an , das Anerbieten des Fürsten anzunehmen .
Auf die Einwendung , die der Wohlstand , doch nur ganz leise , machte , antwortete ich : er bringt Dich ja zu seiner Mutter ! unter welcher Gestalt ? untersuchte ich nicht .
Mir blieb auch wenig Zeit zur Unentschlüssigkeit und Untersuchung übrig .
Ein junger Mensch , dem ich einiges Gute erwiesen hatte , schickte mir einen Zettel , worin es hieß : Retten Sie sich sobald Sie können .
Diesen Abend werden Sie an der Stelle Ihres Mannes , für den Sie mit Ihrer Habe haften sollen , arretiert .
Ich nutzte den Wink , und spornte meine Tätigkeit zur Eile . -
Nun erst vermißte ich Jungfer Babette , meine besten Kleider , und einige Juwelen ; ich war aber bei diesem Verlust ganz gleichgültig , bei der Mutter des Fürsten sollte ich ja mit allem versorgt werden .
Um 4 Uhr Nachmittags erwartete ich , zur Reise gerüstet , meinen Begleiter .
Um 5 Uhr erschien sein Kammerdiener in einer Mietkutsche , und brachte mich an den Ort , wo sein Herr mit den Postpferden auf mich wartete .
Fühllos verließ ich das Haus , worin ich durch ein schweres Vergehen Frau geworden , und mein innerer Zustand eine aneinanderhängende Marter gewesen war .
Mit einem anderen Herzen wandte ich der Stadt den Rücken , worin sich eine zweite Periode meines Lebens angesponnen , und nun so über alle Erwartung schrecklich entwickelt hatte .
Als ich , an der Seite des Fürsten , mich im Freien fühlte , ergriff mich der Gedanke : was hast Du vor ?
wie ein gieriges Raubtier .
Ich verbarg mein Gesicht , und konnte dem Manne nicht ins Auge blicken , dessen Willkür ich nun so unbedingt mich übergeben hatte .
Wir fuhren durch das nämliche Tor , in welches meine brave Mutter mich hereingebracht hatte .
Mein Elend zu verstärken , erkannte ich jeden Baum , jeden Feldweg wieder , wie ich ihn mir beim ersten lebhaften Anschauen gemerkt hatte .
Stumm , und in den tiefsten Schmerz versenkt , saß ich da ; mein Reisegefährte bot seinen ganzen Witz auf , mich aus mir selbst herauszuziehen , aber er erhielt nichts , als endlich die dringende Bitte , mich zurückzubringen .
Wie ? wohin wollen Sie ? fragte er besorgt ; soll ich Sie ihren Verfolgern ausliefern ? trauen Sie meinem Ehrenworte nicht ? sollte ich die , die meine ganze Seele liebt , nicht ehrenwert halten ? -
Die Frage : was werde ich Ihnen , was Ihrer Mutter sein ? schwebte mir auf den Lippen , aber die Furcht , jetzt schon aus meinem Wahne gerissen zu werden , hielt sie zurück .
Und dann : er sah so gut , so ehrlich aus ; seine Bedienten bezeigten mir Ehrfurcht bis zur Demut ; ich hoffte , die Äußerung , daß ich seine Gemahlin werden wurde , sollte ihm entwischen ; aber noch immer hatte er sich nicht bestimmt erklärt .
Ich war nicht schlau genug , die Veranlassung herbeizuführen ; doch als er in mich drang , ihm die Ursache meiner Betrübnis zu entdecken , sagte ich listig genug : aber , Fürst , ich bin die Frau eines anderen , wie kann ich bei Ihnen mit Anstand sein ? -
Wenn dieser Andere mir seine Rechte gegen ein Äquivalent abtritt , sind Sie dann nicht die meinige ?
Die Gesetze meiner Kirche achten die Verpflichtungen , welche Ihnen die Ihrige auflegt , für ungültig .
Unserer Liebe steht nichts im Wege , meine Ida ! ( denn von nun an war ich Ida .
Juliane , Julchen ! - o , der teure Mund , der dies sprach ! - der Name soll unentweiht bis auf bessere Tage ruhen ) .
Da ich diese unbestimmte Äußerung des Fürsten für eine Art von Erklärung gelten ließ , so beruhigte ich mich ; ich wurde erträglich , bis es Nacht wurde , und die Dunkelheit mir Gelegenheit gab , von den äußeren Gegenständen ab- , und in mich selbst hereinzugehen .
Der Traum der vorigen Nacht ruhte , gleich einer schweren Last , auf mir , und ein Teil desselben ging schon in buchstäbliche Erfüllung .
Die glänzende Gestalt , mit Ehrenzeichen behangen , reichte mir die Hand , mich aus dem Kerker zu befreien .
Auch sie wird es sein , die mich mit eiserner Kraft in den Abgrund schleudert .
Im Hintergrunde stand der Vater , aber ein schwer beleidigter zürnender Vater , und Brüder , die mich verachten mußten .
Wie übermütig hatte ich oft auf den Bruder , der jetzt ein Handwerksgenosse war , herabgesehn !
Wie konnte nun er , der Fleißige , der Rechtliche , auf seine Schwester herabblicken ?
Wie mußte es ihm bei seinen Genossen zum Vorwurf gereichen , wenn es hieß : sie ist mit einen Russen durchgegangen ! -
Als dessen Frau ? -
Nein , als seine - - - O , mein Gott , wie erniedrigend war einem jeden von uns das Wort Mätresse !
Des redlichen , aller Orten geachteten Amtmanns Tochter ist nun zur Mätresse eines Fremden herabgesunken !
Diese und ähnliche nagende Betrachtungen zerrütteten meine Gesundheit , und ich sah mit tränenschwerem Auge , blaß und erschöpft , den Morgen anbrechen .
Der Fürst war mir nun zuwider ; ich sah ihn im Nachtkleide , von allen Orden und Ehrenzeichen entblößt , im schlichten Reiserock , mit ungeordnetem Haarputz ; er erschien mir wie ein gemeiner Mensch , der sich mit seinen Bedienten verwechseln ließ .
Es ist ein Jammer , daß wir oft unsere Ehre und das Glück der Unsrigen von einem Stückchen Bande , einem Sterne oder Kreuze abhängen lassen !
Wäre mir der Fürst früher in so unscheinbarer Gestalt genaht , ich wäre schwerlich in seine Hände geraten ; daß es wirklich so war , wird nachher deutlicher werden .
Wir fuhren drei Tage Tag und Nacht , und rasteten endlich in einem Dorfe in Hinterpommern .
Es war an einem Sonntage .
Die Gemeinde stand in ihrem festlichen Anzuge , und erwartete den Prediger .
Der Gottesdienst begann , und , angetrieben von einem unwiderstehlichen Gefühl , mischt ich mich unter den Haufen , der zum Gotteshause wallte , und ging mit hinein .
Der Gesang erschütterte mich ; lange schon hatte ich keiner öffentlichen Versammlung beigewohnt , und nun unter diesen Umständen !
Ich zerfloß in Wehmut .
Der bejahrte , ehrwürdige Prediger sprach mit Kraft und Nachdruck über den Text :
» Es wird mehr Freude im Himmel sein über einen Sünder , der Buße tut , als über neun und neunzig Gerechte . «
Mancher gute Entschluß stieg in meiner Seele auf , und einmal flüsterte mein guter Engel mir zu : » Kehre um , noch bist Du unentweiht ! « -
Aber wer wird es glauben ? und zu wem soll ich gehen ? -
Jetzt trat der Fürst , der mich gesucht hatte , in die Kirche , von seinen Bedienten umgeben , in Anstand und Miene den vornehmen Mann , wenigstens mit dem angetan , was diesen Leuten das Bewußtsein ihrer Überlegenheit gibt , und meine eitle Seele wurde wieder ganz leer von guten Gedanken .
Seine Zärtlichkeit wirkte allmählich auf mein Herz , und - o , der Schande ! -
ich wurde von da an ruhig , und immer ruhiger , bis wir hinter Riga kamen , wo ich erfuhr , daß mein unglücklicher Vater mir auf der Spur sei .
Hier warf ich mich dem Fürsten zu Füßen , und flehte , mich in die Arme meines Vaters zurückzugeben .
Ich sprach mit dem Ungestüm einer Wahnsinnigen .
Der Fürst schloß mich in seine Arme ; meine Ida , - sagte er , - meine Einzige , womit verdiene ich ein so unzerstörbares Mißtrauen ?
Noch lange sind wir nicht am Ziel unserer Reise ; nur wenige Zeit werde ich meinen Freunden in Petersburg schenken , dann aber erwartet uns in einer entfernteren Gegend meine Mutter , bei der meine Ida schon durch die empfehlende Eigenschaft , eine Deutsche zu sein , eine freundliche Aufnahme finden wird . -
Als was ?
Fürst ! fragt ich unruhig .
Er stand einen Augenblick an . -
Ida findet gewiß eine mütterliche Aufnahme , fuhr er fort ; sie wird geliebt werwerden , wo sie nur aufgenommen sein will . -
Prinz , schicken Sie mich zu meinem Vater , noch ist nicht alles verloren ; da er mich sucht , will er mich nicht verstoßen ! -
Der Fürst sagte galante Gemeinplätze , und befahl heimlich seinen Leuten , mich streng zu beobachten .
Sie taten es so sehr , daß ich keinen Schritt nach einem Glase Wasser tun durfte , ohne von einigen um mein Geschäft befragt zu werden .
Der Jäger , ein Stockrusse , sah mich weinen .
Was weinst Du ? sagte er in gebrochenem Deutsch ; Du wirst hoch , sehr hoch kommen !
Wenn Du Fürstin bist , da weinst Du nicht mehr . -
Diese einfachen , herzlich gesprochenen Worte beruhigten mich in so weit , daß ich einen Brief an meinen unglücklichen Vater schrieb , der in Riga im Posthause abgegeben wurde .
Mein Schmerz beim letzten Abschied , den ich ihm bot , grenzte nahe an Stumpfheit ; er hatte die Höhe , welche das Herz zu fassen und zu tragen vermag , überstiegen , und nun war alles öde und abgestorben in meiner Seele .
Ich gab mich , ich gab alles verloren , und achtete es nun nicht mehr der Mühe wert , durch Selbsttätigkeit eine Änderung meines Schicksals zu bewirken .
Sobald ich das ewige Lebewohl an den würdigsten der Väter versiegelt hatte , sah ich mich als eine Gestorbene an , die nun der Vergeltung entgegeneilt .
Das Andenken an meinen Vater hatte die Bilder meiner ersten unbefangenen Jugendjahre aufs lebhafteste in mir erneuert .
Wenn ich die Grade der Verschlechterung betrachtete , die ich - einst Julchen aus Lindenau , nun die erlogene Ida eines russischen Fürsten - durchlaufen war , schien ich mir nicht mehr dasselbe Wesen ; am wenigsten schien mir Rückkehr möglich , seitdem ich mich unter einen fremden Himmel , und unter ein so sehr fremdes Volk versetzt sah .
Ich überließ mich nun dem waltenden Verhängnisse , wie ich es nannte , und folgte dem Fürsten still und ergeben , als wir die Reise fortsetzten .
Von Riga bis Petersburg unterließ er nichts , was die feurigste Liebe zur Beruhigung der Geliebten zu ersinnen vermag ; nur auf positive Erklärung ließ er sich nie ein , so vielen Mut ich auch nachher bekam , sie herbeizuführen .
Endlich erklärte er sich , daß er in Petersburg meinem Schicksale eine günstige Wendung zu geben gedenke ; ich solle mich auf seine Ehre , mehr aber noch auf seine Liebe verlassen .
Die unendliche Mannigfaltigkeit der Gegenstände zerstreute mich wider Willen .
Mehr als alles zog mich der unaussprechliche Reiz der russischen Sommernächte an .
Der sanfte Schimmer der kaum untergetauchten Sonne rötet den Horizont , und verschönert die Gegenstände .
Die Erwartung der kommenden Nacht täuscht sich selbst , und man sieht sich durch eine angenehme Überraschung um den Schlaf gebracht , wenn die ersten Strahlen der Sonne schon wieder die Gipfel der Bäume vergolden .
Alle Erscheinungen um mich her erregten meine Neugier und Erwartung .
Gestalten , wie ich sie noch nie sah , wandelten um mich her , eine fremde Sprache , ein fremder Boden ; fast überlief mich ein Grausen , wenn ich die fremdartigen Gesichter sah , aber allenthalben stießen wir auf frohe , singende Menschen , die in Stellung und Gebärde Demut äußerten , ohne von harten Sklavensinn niedergedrückt zu scheinen .
Mein Reisegefährte machte mich auf alles aufmerksam und erklärte es mir , aber wie viel er mich auch von Petersburg's Pracht hatte erwarten lassen , wurde ich doch zum höchsten Erstaunen hingerissen , als ich die Größe und Pracht dieser bewundernswürdigen Stadt sah .
Der Pallast des Fürsten lag im Admiralitätsteile , und sein Inneres entsprach der ungemeinen Pracht seiner Außenseite .
Allein ein unbekanntes Grausen befiel mich , als ich , die ich immer jemand von meinem Geschlecht um nicht gehabt hatte , mich unter ein ganzes volles Haus von Männern versetzt sah .
Unter dem zahlreichen Hausgesinde hatte ich nur zwei Mädchen bemerkt , eine dicke geschminkte Russin , und eine Kalmückin zur gröbsten Hausarbeit .
Mir wies der Haushofmeister prächtige Zimmer an , und ich begriff aus seiner Pantomime , daß die Fürstin sie bewohne , wenn sie sich in Petersburg aufhalte .
Es war mir unmöglich , mich in dieser Pracht einheimisch zu fühlen ; ich starrte darauf hin , ohne sie mir anzueignen .
Der Gedanke : was bin ich in diesem Pallaste ? fiel mir abermals zentnerschwer aufs Herz .
Der Fürst besuchte mich in meinem Zimmer ; er bemerkte meinen Mißmut , und weil er mich erriet , ließ er mich nicht zu Worte kommen .
- Ich verstehe die Tränen in diesen lieblichen Augen , sie sollen mir nicht lange mehr Vorwürfe machen .
Aber Ida , darf ich auf keinen , nicht einen Beweis Ihrer Zuneigung rechnen ? hält dieses schöne Herz auch nicht ein Mal mich einer Täuschung wert ? -
Mein Prinz , wenn Sie zu der Wohltat , mich aus den Händen der Gläubiger meines Mannes gerettet zu haben , auch die noch hinzufügen : mir eine , meinem Stande angemeßene , Bestimmung festzusetzen , so rechnen Sie auf das dankbarste aller Herzen . -
Ida , wenn Sie mich lieben , so ist Ihr Los auf immer festgesetzt .
- Ich war schwach genug , eine hoffnungerregende Antwort zu geben , und nun - o der Angst ! - konnte nur mein noch wacher Schutzgeist mich von seiner Zudringlichkeit und meiner erregten Sinnlichkeit erretten .
Ich wage es nicht , irgend etwas zu meiner Entschuldigung anzuführen .
Ich rang gegen die Wut seiner Umarmungen ; aber sein Arm umschlang mich mit einer Kraft , der ich nicht widerstehen konnte .
Ich sank vom Widerstreben matt zu Boden , und fiel gegen die Ecke des Sopha's so hart , daß im Augenblicke mein Kleid und der Fußteppich mit Blut überströmt waren .
Der Prinz hob mich auf , jammerte , und rief nach Hilfe ; mein Kopf war gefährlich verwundet ; ich fiel in Ohnmacht , und als ich wieder zu mich kam , sah ich mich mit fremden Gesichtern umgeben .
Ganz besonders fiel mir ein altes ehrwürdiges , mit weißem Barte , auf .
Der Mann sah mich freundlich an , sprach aber kein Wort .
Als ich ihn um etwas fragen wollte , legte er mir den Finger auf den Mund , und sagte gebrochen Deutsch :
» Fieber haben , nicht reden . «
- Diese alte Gestalt war mir zum besonderen Trost , weil ich keine Person meines Geschlechts zu meiner Bedienung um mich sah .
Der Fürst trat herein , und sagte zu dem Alten freundlich : bist Du da , Michael Popoff ?
Ich vernahm nun , daß es ein russischer Priester sei , der bei den Hausoffizianten einen Kaplan abgab .
Michael verließ mein Bette nicht ; und als er mir erlaubte zu sprechen , fragte er freundlich : wer bist Du ?
Mädchen oder Frau ? -
Frau ! - sagte ich beherzt ; fühlte aber meine Wange sich röten .
- Warst Du gut , ehe Du in dieses Haus kamst ?
( er sprach alles gebrochen Deutsch ) , Was willst Du hier werden ?
Frau ! -
Ich antwortete nicht ; mein Blick sank beschämt von dem ehrwürdigen Gesicht auf meine Decke , - Wird die Fürstin Dich sehen ? -
Die Fürstin ? die Mutter des Fürsten ? - Nicht Mutter !
Frau , Gemahlin ! -
Er stand auf , und zeigte auf ein schönes weibliches Bild , welches ich für ein Ideal gehalten hatte .
Verstört , aufgeschreckt rief ich aus : wie ? ist der Fürst vermählt ? -
Ja , mit Eudoxia , aus dem Hause ' P ... - Gott , Gott ! darum die Ungewißheit , das Zögern , sich zu erklären !
Was bin ich nun ? o , gräßlich ! gräßlich ! -
Weib , hast Du einen Vater ? - fragte Michael . -
O schweig , alter ehrwürdiger Mann , mein Fall in diesen Abgrund wird ihn umgebracht haben ! -
Ich fiel in eine Raserei , die Wunde fing aufs neue an zu bluten , und Michael bat mich um sein Leben Willen , ihn nicht zu verraten .
Ich wurde etwas ruhiger , als er mir versprach , mein Vermittler zu werden , und mich in eine anständigere Lage zu bringen .
Bald nachher erschien der Prinz .
Ich zwang mich , wenigstens still zu sein .
Nachdem ich eine Zeitlang geschwiegen hatte , zeigte ich auf das Porträt , und fragte : wer ist dies himmlische Gesicht ?
- Ein Ideal , Ida ; was geht das Sie an ?
Sie sind tausendmal schöner .
- Geht das Bild auch Sie nicht an ?
Prinz ! -
Er wurde rot .
Ida , - stammelte er nach einigem Schweigen , ich sehe , ich bin verraten ; meine Verwandten haben mir eine Gemahlin aufgedrungen , die mich unglücklicher Weise bis zur höchsten Leidenschaft liebt .
Dieser zu entgehen , verließ ich mein Vaterland , und gab alle Ansprüche auf Ehrenstellen auf , zu welchen mein Rang und Vermögen mich berechtigten ; ich durchreiste die südlichen Länder , kein Weib zog mich an sich , bis ich in Ihrem Berlin fand , wonach sich mein Herz so lange gesehnt hatte .
Ida , nun opfern Sie mein Glück nicht einem Hirngespinste auf !
Was ist das nun , daß Eudoxia für diese Welt mein Weib ist ?
Mag sie immer die Teilhaberin meines Ranges und Vermögens sein , mein Herz habe ich nur für die reizende Ida ! -
Ich überschüttete ihn mit Vorwürfen , die er endlich , hofmännisch freundlich , damit beantwortete , daß er mich daran erinnerte , wie er kein Zwangsmittel und sehr wenig Überredung angewandt habe , mich zur Reise zu bewegen .
Tief beschämt und erschüttert , wie ich es sein mußte , verließ er mich , und der alte Priester trat an seine Stelle .
Mein Zustand , meine bitteren Tränen gingen ihm zu Herzen ; er fragte zutraulich : ist es Dein Ernst , daß Du nicht werden willst eine - - - O ja , ja , ehrwürdiger Mann , wie Du mich auch retten willst , ich gehe alles ein . -
Gut , so warte noch drei Tage ; Deine Krankheit wird Deine Rettung ein .
Aber vor allen Dingen danke Gott , danke ihm , wie Du gelernt hast mit ihm zu sprechen ; er und der heilige Nikolas werden Dich beschirmen .
Der Wink des Alten fiel brennend in meine Seele . -
Ach , wenn ich beten könnte ! aber wie kalt , wie durchaus entfremdet ist mein Herz diesen frommen Empfindungen ! -
Als ich allein war , falteten sich meine Hände von selbst , die beklemmte Brust arbeitete heiße Seufzer hervor , mein betrenntes Auge richtete sich zum Himmel , und ich wünschte mit unbeschreiblicher Angst , daß Gott mich hören , und mich erretten möchte .
War dies Gebet , so ist nie ein brünstigeres emporgestiegen .
Mein Herz war erleichtert , als der Prinz ins Zimmer trat .
Er bemerkte meine ruhigere Stimmung mit Zufriedenheit , und wartete nicht , bis ich die vorhin abgebrochene Materie wieder aufnahm , sondern fing selbst an davon zu sprechen . -
Ida , ein rasches Wort hat Sie vorhin beleidigt .
Ich wollte das nicht ; da wir aber in der Entwicklung so weit gekommen sind , muß ich als ein Mann von Ehre sprechen .
Ich liebe Sie unaussprechlich , Ihre Schönheit , Ihre Anmut muß Ihnen das sagen ; aber ich will Sie nicht verderben .
Ob es immer in meiner Gewalt stehen würde , dem raschen jugendlichen Feuer zu gebieten , wenn so viele anziehende Reize mich umgaukeln , darf ich nicht versprechen .
Ida , ich darf Ihnen nicht verschweigen , daß Michael Popoff nachdrücklich für Sie gesprochen hat ; er hat meinem schlummernden Sinne für Güte und Rechtschaffenheit eine neue scharfe Richtung gegeben .
Ich schlage Ihnen das Haus der Fürstin Eudoxia zum Asyl vor .
Sie ist eine gutes , ein tugendhaftes Weib ; Sie sollen vor ihr , als die verlaßene Frau eines unglücklichen Mannes , erscheinen , der Sie mir empfohlen hat .
Sie dürfen nicht erröten , Ida ; Sie kommen rein und unentweiht aus meinen Händen .
Ich werde Sie immer noch anbeten , aber nur selten sehen ; in diesen Augen ist zu viel Gefahr für mich . -
Mit ganzem Herzen stimmte ich in den Vorschlag des Prinzen .
Sein Edelmut überwältigte mich ; nie war er in meinen Augen so liebenswürdig erschienen , und - daß ich alles sage , - in der tiefsten Falte meines Herzens regte sich etwas , das einem Unmute über diese freiwillige Entsagung glich .
Mein Dank war so feurig , daß er dem Prinzen beinahe den edlen Sieg über sich selbst aus den Händen gerissen hätte .
Popoff erschien , und die Unterredung nahm eine ruhigere Wendung .
Nach drei Tagen , in welchen ich den Prinzen nur auf kurze Augenblicke , Popoff aber beständig um mich hatte , verkündigte mir ein Getöse und Pferdetritte im Hofe des Pallastes die Ankunft der Fürstin .
Ich kleidete mich anständig , und erwartete jeden Augenblick , daß sich etwas ereignen werden ; allein es blieb diesen Tag und Abend still , selbst der alte Priester ließ sich nicht sehen .
Erst spät nach Mitternacht wurde es ruhig im Pallaste .
Ich blieb auf , und brachte den übrigen kurzen Teil der Nacht am Fenster zu .
In diesen wollüstig-angenehmen Nächten verliert sich zwar in den Petersburger Straßen die geräuschvolle Tätigkeit , wird aber nicht , wie in Berlin , zur toten , bangen Stille .
Überall hört man den Fußtritt von Spaziergängern , die sich häufig von Musik begleiten lassen .
Auf der Newa und auf allen Kanälen schwimmen Schaluppen , von welchen der einfache melodische Gesang der Matrosen ertönt .
Ich überließ mich , zum erstenmal seit langer Zeit , einer freundlich-winkenden Hoffnung besserer , unschuldvoller Tage .
Die Fürstin dachte ich mir unter mannigfaltigen , lieblichen Gestalten ; aber ach ! wohin ich den Blick wendete , war Anstrengung und Arbeitsamkeit die unerläßliche Bedingung besserer Zeiten !
Was konnte ich für Talente aufweisen ? was für Geschicklichkeiten hatte ich mir erworben ?
Keine einzige , die mich über den Troß gemeiner Bedienten erheben konnte !
O , weh mir , wie habe ich die goldenen Tage der Muße mit Armseligkeiten verschleudert !
Ich fühlte es tief in der Seele , daß ich nur in die niedrigere Region einer kleinen Haushaltung gehörte ; daß es etwas Leichtes gewesen war , unter den lustigen Weibern , mit welchen ich meine Zeit vertändelt hatte , einen Platz zu behaupten , die sich außer dem Whisttische und Putzladen in armer Unbedeutsamkeit verlieren .
Diese Betrachtungen waren eben nicht geschickt , mich zu einer Zusammenkunft mit meiner künftigen Beschützerin gehörig vorzubereiten .
Indes war es Tag geworden ; der Kammerdiener brachte mir Frühstück ; ich wagte keine Frage an ihn .
Bald nach ihm erschien Popoff .
Sein freundliches Auge verkündigte mir lauter Gutes .
Du wirst es gut haben , wenn Du willst , sprach er ; Eudoxia will Dich haben , wenn Du ihr gefällst . -
Ach Gott !
wie muß ich sein , wenn ich ihr gefallen soll ? -
Sie ist den Deutschen gut .
Aber , meine Tochter , etwas muß ich Dir sagen : bei ihr lebt ein Weib , das ihre Erzieherin war ; sie ist eine jähzornige Französin ; bitte den heiligen Christ , daß er Dir es eingibt , wie Du das Herz dieses Weibes gewinnen mögest .
- Mir sank der Mut , die Tage der Unbefangenheit waren dahin , und die Last des entkräftenden Bewußtseins lag schwer auf mir . -
Was Dir auch begegnen möge , jede Erniedrigung wirst Du verdient haben ! -
Ich wies mir den niedrigsten Platz an , und wagte keine Klage , kein Murren .
Der redliche Popoff verwies mir meine Niedergeschlagenheit .
- Du bist nicht gut und dankbar , meine Tochter , sagte er ; hat Gott nicht Wunder zu Deiner Errettung getan ?
Willst Du darum verzagen , weil er so gütig ist ?
Sammle Dich ! in kurzem wirst Du vorgelassen ; ich bleibe Dir zur Seite .
Es war gut , daß er das sagte , sonst wäre ich umgesunken , als der Kammerdiener der Prinzessin erschien , um mich abzuholen .
Popoff begleitete mich .
Ich wurde durch eine lange Reihe Gemächer geführt , deren Pracht mir imponierte .
In einem der letzteren fand ich die Prinzessin auf einem Sofa ; eine ältliche , in Braun gehüllte , Gestalt vor ihr , bediente sie mit Schokolade .
Die Fürstin sah ihrem idealischen Bilde vollkommen ähnlich .
Eine schöne Spitzenhaube beschattete zum Teil das reizende Gesicht ; ein großes , flatterndes , hinten aufgestecktes , buntseidenes Tuch gab ihr ein fremdes , höchst reizendes Ansehn , wozu ein , im orientalischen Geschmack gesticktes und geschnittenes , weites Gewand noch mehr beitrug .
Am Eingang verneigte ich mich ehrerbietig , wie ich es auf dem Theater gesehen hatte .
Popoff hielt mich , und führte mich ihr näher .
Sie streckte eine wunderschöne Hand nach mir aus , und hieß mich in angenehmen Französisch näher kommen .
Meine Haltung mochte unter diesen Umständen noch weniger Festigkeit als gewöhnlich haben ; denn die braune Französin am Tisch merkte an , daß sie wetten wolle , ich sei nur eine Deutsche .
Cet air , ce maintien , cette timidite , - sagte sie leise zur Fürstin , - zeigten sehr deutlich , zu welcher Nation ich gehöre .
Was die Gebieterin antwortete , verstand ich nicht ganz ; aber ich unterschied , zu meinem Trost , die beruhigenden Worte : tres-aimable , und diese gaben mir Mut , mich gegen ihr Gewand hinzuneigen ; sie reichte mir aber gütig die Hand zum Kuß .
Ich ergriff sie , und küßte sie mit einer Innigkeit , die , so wie sie aus meinem Herzen kam , in das ihrige drang .
Sie sah mich mit Wohlgefallen an , und sagte etwas auf russisch zu Popoff , der es mit dem Lächeln der Zuneigung anhörte .
Allein jetzt wurde der Auftritt bänglicher für mein Herz .
Die schöne Frau erkundigte sich nach meinem Vaterlande , meinen Eltern , meinen Verbindungen , und endlich - was ich mit großer Herzensbeklemmung erwartet hatte - um mein Verhältnis zum Fürsten .
Ich entfernte mich in meinen Antworten , so wenig es sich tun ließ ohne anstößig zu werden , von der reinen Wahrheit .
Als ich auf die Frage : ob ich noch Eltern habe ? wehmütig meinen Vater nannte , hieß sie mich mitleidig : arme Kleine ; als ich aber auf die Erkundigung , ob ich mit dem Fürsten zusammen in einer Kutsche gereist sei , Ja antwortete , umwölkte sich das schöne Auge , und sie sagte mit kleinmütigem Tone zur Lebrün etwas , wovon ich nur das trop belle verstand .
Das rötete meine Wangen , und eine bittere Träne des Bewußtseins stieg in mein Auge .
Ich sah traurig auf meinen ehrlichen alten Begleiter , und gab schon alles verloren .
Er sprach russisch , und die Prinzessin sah mich wieder an .
Was kann ich , was muß ich für Sie tun , mein Kind , ( sagte sie ) wenn Ihnen geholfen sein soll ?
Ich begreife , daß Ihre Schönheit und Jugend nicht schutzlos bleiben kann .
- Mein guter Genius , oder vielmehr das dringende Bedürfnis meines Herzens , gab mir ein , vor ihr hinzuknien , und mit Inbrunst um Aufnahme unter ihre Frauen , und Schutz von ihr , zu flehen .
Popoff nickte mir freundlich seine Billigung zu , und ich hatte zur glücklichen Stunde gesprochen ; die edle Frau küßte mich liebreich auf die Stirn , und gewährte warum ich bat .
Jetzt entrunzelte auch die saueräugige Gouvernante ihre gelbe Stirn , und fragte mich mit offenbar neidischem Tone , was ich denn arbeiten könne ? meine Landsmänninnen hätten gewöhnlich gar wenig aufzuweisen ; ein wenig Stricken ?
ein wenig caquet ? n' est ce pas ? setzte sie in einer mehr boshaften als scherzenden Manier hinzu .
Sie hatte leider ! recht .
Das gütevolle Herz der Fürstin sah meine Verlegenheit , und sagte schnell einfallend :
Sie werden doch lesen können , mein Kind ?
Sie werden mir bei meinen kleinen Arbeiten vorlesen ; meine arme Lebrün leidet ohnehin an den Augen .
Freilich , erwiderte diese , werde ich nachgerade eine unnütze Dienerin meiner gnädigen Fürstin . -
O , das nicht , liebe Lebrün , Du wirst meinem dankbaren Herzen nie entbehrlich sein !
Diese junge Person wird in ihren Funktionen von Dir abhängen ; Deine Zurechtweisungen werden ihr nützlich sein . -
Madame Lebrün ließ sich nach diesem Beruhigungsmittel herab , mich zu umarmen , und meiner Wange von dem überflüssigen Tabak , der an ihrer Hakennase hing , mitzuteilen , und - nun war ich angenommen .
Von diesem Augenblicke an nannte mich die Fürstin Du ; mir wurde ein Gemach neben der Lebrün angewiesen , welches ich sogleich in Besitz nahm .
Popoff , der ehrwürdige Priester , weinte Freudentränen , als ihm sein schönes Werk gelungen war .
Er segnete und küßte mich beim Abschiede , und ermahnte mich , dem heiligen Christ und meinem Schöpfer für mein Glück zu danken .
Als er von mir ging , schenkte er mir ein schönes Kreuz , und befestigte es an meinem Halse , indem er sagte : gedenke Deines Erlösers , meine Tochter ; aber bedenke auch , daß nicht immer Wunder zu Deiner Errettung geschehen werden .
Damit verließ er mich .
Die Prinzessin hatte eine schätzbare Sammlung deutscher Klassiker aus allen Fächern .
Es war mein Amt , ihr daraus vorzulesen .
Sie liebte unsere Sprache , und drückte sich gut darin aus .
Ihre Mutter war eine Liefländerin gewesen .
Sobald das erste deutsche Wort gelesen wurde , pflegte die Lebrün mit solchen Zeichen des Widerwillens und Ekels das Zimmer zu verlassen , als ob eine , Grausen und Abscheu erregende , Operation vorgenommen würde .
Die gute Fürstin bemerkte es zu ihrer Belustigung , und fand es drollig , wenn die übelgelaunte Französin ce Fichu allemand ! sagte .
Ich hatte nun schon eine ganze Woche mein Amt versehen , und täglich mehrere Stunden vorgelesen , aber noch immer hatte ich nicht bemerkt , daß der Fürst auch nur ein einzigesmal seine Gemahlin gesehen hätte .
Sie fing an , merklich zerstreut zu werden ; ich mußte oft eine Stelle mehrere Male lesen .
Wenn ich kam , fand ich sie weinend ; ihr schönes Herz erlag unter irgend einem geheimen Kummer .
Einst fand ich sie schreibend ; indem sie siegelte , fielen Tränen auf den Brief herab ; sie wollte sie trockenen , besann sich aber , und sagte :
er soll sie sehen !
Der traurige Brief war an den kaltsinnigen Gemahl gerichtet .
Der Kammerdiener , der ihn überbracht hatte , brachte zur Antwort :
Se Erlaucht würden noch diesen Vormittag aufwarten .
- Die arme Dame geriet in eine seltsame Bewegung , die sich erst in Tränenströmen Luft machte , und dann in eine wehmütige , rührende Freude überging .
Arme Eudoxia ! rief sie einigemal wie aus der Tiefe ihres Grams .
Sie wollte Toilette machen , unterließ es aber wieder , und brachte bloß etwas mehr Nachlässigkeit in ihren Morgenanzug .
Als ich ihre Befehle erwartete , ob ich gehen oder bleiben sollte , sagte sie : Du gehst ; nein , Du sollst bleiben ; doch , es ist besser Du gehst . -
Dann lehnte sie ihren Kopf auf meine Schulter , und sagte daß es mir ins Herz schnitt : nicht wahr , Ida , ich jammere Dich ?
Als sie mich weinen sah , sagte sie gütig : Du bist eine sehr gute Seele , ich habe Dich recht lieb ; aber - setzte sie zärtlich und halb scherzhaft hinzu - hier bleiben darfst Du doch nicht , wenn mein Gemahl da ist .
Diese letzten Worte hörte die Lebrün , und sagte französisch : es sei besser , ich bliebe , so würde man doch sehen - - - Die Fürstin billigte den Rat , und ich blieb .
Aber mit welchem Aufruhr in meinem Inneren , das mußte mein verstörtes Gesicht sagen ; denn die Lebrün sah mich unverwandt durch ihre Brille an , und schüttelte bedenklich den Kopf .
Ich hatte nicht Zeit , mich recht zu saßen , denn in dem Augenblicke sprangen die Flügeltüren auf , und der Prinz erschien in größter Gala .
Er eilte auf seine Gemahlin zu , küßte der halb Ohnmächtigen die Stirn , und dann die Hände , wobei er einige russische Worte sagte .
Sie sprach keinen Laut , ihre zitternden Füße versagten die Dienste , und Demetrius führte sie mehr galant als zärtlich zum Sofa , wo er dann seinen Platz ihr gegenüber nahm .
Jetzt watschelte die Französin an ihn heran , und bückte sich auf seine Hand .
Sie haben uns lange verlassen , Monseigneur , - sagte sie ; - aber das schöne Geschenk , was Sie uns von Ihren Reisen zurückgebracht haben , Monseigneur ! -
( sie deutete hämisch auf mich hin ; ich versank , und wagte nicht aufzublicken ) .
Indes hatte sich die Fürstin wieder erholt , ihr edles Herz fühlte meine Angst , und sie unterbrach den boshaften Ausfall ihrer Gouvernanten dadurch , daß sie dem Fürsten für die schöne Gabe dankte , die er ihr in mir gegeben hätte .
Ich schöpfte wieder Atem .
Die Worte des Fürsten machten zwar seinem Verstande und Weltklugheit Ehre ; aber seine Blicke , seine Bewegungen , der Ton seiner Rede , waren so unzweideutig , so ganz der Ausdruck eines unwillkürlich hervorbrechenden Gefühls , daß der Fürstin kein Zweifel über unser Verhältnis auf der Reise bleiben konnte .
Und ach , so muß ich denn mein Herz in seiner ganzen Schwäche darstellen ! -
ich härme mich , ich schäme mich dieses Momentes : aber es ist so ; ich darf es nicht leugnen , da mein Vorsatz , gut zu werden , so unverrückt vor meiner Seele steht .
Der ganze Zauber der Liebe umwand in diesem Augenblicke mein Herz .
Schon beim Eintritt des Fürsten waren mir die Bewegungen desselben verdächtig gewesen ; jetzt fiel die ganze Gewalt meiner sonderbaren Lage auf mich .
Der Zwang , unter welchem ich ihn sah , seine unverkennbare Leidenschaft , sein edler Kampf ; - nie , nie hatte ich ihn so gesehen .
Jetzt erschien er mir , mit allem Glanze seines Standes umgeben , leidend , und - meinetwegen ! -
Gesegnet sei die Vorsehung , die mich vor mir selbst rettete !
denn nie war ein gefährlicherer Feind in meinem Inneren gegen mich aufgetreten .
Ich wagte aufzublicken , und der Fürstin ins Auge zu sehen .
Sie zwang sich sichtlich , Tränen zurückzuhalten ; das Zucken ihrer niedlichen Lippe , die aufgespannte Stirn , alles zeugte davon .
Sie hatte eben ihr Auge aufmerksam auf mich geheftet ; aus ihrem Blicke sprach tiefe Bekümmernis , von mir wendete sie es langsam auf den Gemahl , und da vermochte sie die erleichternde Träne nicht länger zurückzuhalten .
Sie reichte im losbrechenden Gefühl eine ihrer schönen Hände ihm hin , und rief mit unbeschreiblichem Ausdruck : Prinz !
Demetrius !
Ihre Stimme verhallte süß : der Prinz widerstand nicht ; er fiel auf ein Knie vor ihr nieder , küßte ihre Hände , und schnell , ohne ein Wort zu sprechen , verließ er das Zimmer .
Unglücklicher Weise war der Fürstin der Blick nicht entgangen , mit dem er schied , und der nur für mich gewesen war .
Sie wendete sich plötzlich zu mir , und auch meine unsägliche Verwirrung entging ihr nicht ; denn jetzt rief sie erschöpft : es ist zu viel ! nein , nein , länger trage ich das nicht ! -
Die Französin trat herein ; als sie ihre Gebieterin so bewegt fand , erriet sie die Ursache , ergriff ziemlich unsanft meine Hand , und führte mich ins Nebenzimmer , wo sie mich meinen sorgenvollen Betrachtungen überließ ; sie selbst aber eilte zur Fürstin zurück , und rief noch zur Tür hinaus : daß niemand uns störe !
Ohne mich unbescheiden der Tür zu nähern , hörte ich die Gebieterin in einem wehmütig-klagenden , und die Französin in einem heftigen , fast möchte ' ich sagen gebietenden Tone sprechen .
Es ahnte mich ; das Resultat dieser Unterredung mußte mich betreffen ; krampfhafte Angst umnebelte beinahe meine Sinnen .
Wie heiß wünschte ich , diesen Pallast der Sorgen nie betreten zu haben ! -
Nach einer halben Stunde öffnete sich die Tür wieder ; die Prinzessin befiehlt , Sie sollen zu ihr kommen ! sagte Madame Lebrün gebieterisch ; sie selbst ging zu einer anderen Tür hinaus .
Ich nahte mich langsam dem Zimmer , wo mir jetzt , wie ich mir vorstellte , mein Urteil gesprochen werden sollte .
- Ich fand die schöne Frau auf dem Sofa liegend , den Kopf sorgenschwer in die Hand gestützt , mit der anderen reichte sie mir einen Teil von Göthe's Schriften hin . -
Da lies , mein Kind , sagte sie ; ich brauche Fassung .
Ich gehorchte mit ungewisser Stimme , sah aber wohl , daß sie nach Ruhe rang ; denn über eine Weile sagte sie : auch das tut es nicht !
- Ich hielt inne .
Einigemal fing sie an : sage mir doch , liebe Ida , - - - dann schwieg sie wieder , als schäme sie sich gleichwohl eine Schwäche zu bekennen . -
Sage mir doch , - fing sie wieder an ; - ich hielt mit Lesen inne .
- Warst Du denn ganz allein mit dem Fürsten , als Du mit ihm reistest ? -
Der menschliche Fürst erlaubte seinem Kammerdiener Francon , uns im Wagen gegenüber zu sitzen . -
Immer ? immer ? den ganzen langen Weg über ? -
Ja , gnädigste Fürstin .
- Ich war röter , als ich sonst in meinem Leben gewesen bin ; sie sah bedenklich aus . -
Und Du warst so hübsch ! - fuhr sie fort , wie für sich . -
Ich schlug die Augen nieder .
- Der Fürst kannte Deinen Gatten ? -
Ja , gnädigste Frau .
- Und Dein Gatte verließ Dich ? -
Er wurde unglücklich durch Leichtsinn . -
Und - als ob sie Kräfte zu dem , was sie sagen wollte , zusammennähme , - und der Fürst liebte Dich nicht ?
- Sie wollte mir scharf ins Auge blicken , aber ihre Stimme bebte , und ihr schönes Auge sank auf ihren Busen hin .
- Des Fürsten Edelmut war seiner würdig ; er rettete meinen Mann , und hatte ihm meine Befreiung versprochen .
Er hat sie großmütig ausgeführt , da er mich der Trefflichsten aller Fürstinnen übergab . -
Schmeichlerin !
- Aber - - - Was , aber ? dachte ich erschüttert .
- Aber hat der Fürst Dir nie von Liebe vorgesagt ? -
Es wäre Anmaßung , diesem Worte mehr Bedeutung zu geben , als es im Weltgebrauche hat , wenn Männer von Ton und Rang es gegen Geringere aussprechen .
- Du weichst mir aus , Ida ! die Blicke des Fürsten redeten bestimmter .
Du verkennst mich , Ida ! ( sie zeigte auf ihr Herz ) .
Hier liegt etwas , das die Schwächen Anderer rechtfertiget ; aber sage mir nur , Kind , ist der Fürst nicht höchst liebenswürdig ? -
Er ist edel und liebenswürdig , groß und gut .
- Du sprichst aus meiner Seele ; zum Andenken dieses Augenblicks trage dies . -
Sie zog einen schönen Ring vom Finger , und steckte ihn selbst an den meinigen .
Ich bückte mich , ihre Hand zu küssen ; da fiel das Kreuz von Popoff aus meinem Busen in meine Hand , und mit ihm fielen mir seine Worte aufs Herz .
Ich fühlte meine Errettung , und gelobte mir heilig , selbst tätig zu sein , ohne Wunder zu erwarten .
Jetzt kamen die Frauen der Fürstin , und kleidrten sie an ; ich begab mich in mein Zimmer , und diesen und den folgenden Tag fiel weiter nichts vor .
Es schien mir am dritten Tage von übler Vorbedeutung zu sein , daß Madame Lebrün mir schon früh sagen ließ , sie werde in meinem Zimmer frühstücken .
Sie erschien mit einer Freundlichkeit , die ihr nicht natürlich war , und die mich auf etwas besonderes vorzubereiten schien .
Nach dem Frühstücke fragte sie mich um Verschiedenes aus meinem vorigen Leben , hielt sich besonders bei dem Umstande auf , daß ich eine verlaßene Frau sei , holte noch weiter aus , und dann lenkte sie plötzlich wieder mit der Äußerung ein : daß die Fürstin mich gern versorgt sehen würde , wenn sich eine Partie fände . -
Gott ! will denn jetzt schon die Fürstin mich los sein ?
Unter ihrem Schutze habe ich mich für versorgt gehalten !
- Sie würden es sein , wenn nicht gewisse Besorgnisse - - gewisse Blicke - - - Sie verstehen mich wohl . -
Sollte der Geschmack von der schönsten Rose auf eine gemeine Feldblume fallen können ? -
Man hat Beispiele .
Denken Sie indes auf den Vorschlag , den Ihnen die Fürstin wegen einer Heirat macht . -
Ich gab zu verstehen :
ich glaube , der Vorschlag komme von ihr selbst .
- So ? das ist also mein Dank !
O , mein Kind , man fürchtet sich nicht so geschwind vor jedem Dinge , das ins Haus geschneit kommt !
Alte Dienste und geprüfte Treue vergißt man nicht um jeden Fremdling , der , wer weiß woher ? kommt .
Sagen Sie mir doch , warum ich Sie gern los sein sollte ?
Hm !
mich verdrängt keiner ; am wenigsten certaines gens , ( gewisse Leute ) , die Monseigneur empfiehlt .
Als die Alte mich tief genug gekränkt und gedemütigt sah , schien ihr Stolz befriedigt zu sein , und sie sprach gelinder .
Es hätte sich wirklich eine Partie gefunden , welche die Fürstin für mich zu machen wünsche :
ein junger hübscher reicher Mann , der mein Landsmann sei .
Sie müsse nur sagen , daß er mir heute Abend vorgestellt werden sollte .
Ich könne ihn doch wenigstens sehen , denn sonst müsse die Fürstin meine Weigerung auf eine gewisse Rechnung setzen . - -
Mir ist nicht bange ihn zu sehen , Madame ; wenn er hört , daß ich verheiratet bin , wird er nicht mein zweiter Mann sein wollen . -
Verheiratet ?
Hoho ! ein entlaufener Mann ist kein Mann !
Das ist plaisant !
Und dafür sind die öffentlichen Blätter ; zitiert und geschieden , das ist bald gemacht !
Damit ich es kurz mache : auf dem jetzigen Fuße bleiben Sie nicht länger bei der Fürstin .
Soll die Gute sich zu Tode härmen ?
Die Französin betrieb ihr Werk so emsig , daß sie gegen Abend wirklich einen Mann bei mir einführte ; ( ich darf nicht übergehen , zu sagen , daß sie mich den Tag über offenbar absichtlich von dem Zimmer der Fürstin abgehalten hatte , unter dem Vorwande : diese Dame sei an den Hof gegangen ) .
Der Mann ging strotzend , in schönen Kleidern , welche wie die abgelegte Garderobe eines Vornehmen aussahen ; seine Haltung stand im auffallendsten Kontraste mit seinem Anzuge , welcher durchaus seinem Stande nicht zu entsprechen schien .
Er fragte seine Führerin sogleich etwas ungeschickt : ist das die Madame ?
Sie bejahte es , nötigte ihn , ohne mein Zutun , zum Sitzen , und fing an , von seiner neuen Equipage mit ihm zu sprechen ; offenbar , um mir eine hohe Meinung von ihrem Schützlinge beizubringen .
Während dieser Unterhaltung strickte ich ; denn jene hatten sich es ebenfalls so ganz bequem gemacht .
- Wie geht es im Klub ? - fragte die Lebrün .
Ach , antwortete er , es ist für mich jetziger Weile eine böse Zeit !
Ich verlor gestern drei Robber nach einander , und da waren dreißig Rubel heidi , als wenn man sie weggepustet hätte .
Nach ähnlichem , hin und wieder geredeten , Geschwätz wendete er sich an mich :
Die Madame sind aus Berlin ?
- Wenigstens aus der Gegend . -
Also wohl vom Lande ? der Herr Papa war vielleicht ein Prediger ? - Nein , mein Herr , ein Amtmann . -
Ja , das Berlin ist auch ein schöner Ort .
Meine Eltern wohnten in der Fischerstraße , und hatten hernach ihr Häuschen im Vogtlande .
Sie hatten ihr gutes Auskommen ; aber wir Kinder richteten unseren Sinn immer aufs Ausland , und nun bin ich ein Russe geworden .
Wo unser einer sein Stückchen Brot hat , da ist man zu Hause . -
Sie haben wohl Recht , mein Herr , in dem schönen Petersburg und unter seinen guten Einwohnern kann man Berlin wohl vergessen . -
Na , ich höre schon , die Madame verlangt auch nicht wieder zu Hause .
Ja , wenn es einem vollends nicht sonderlich an 'nem Orte gegangen ist ! - -
Ich wurde rot , und fühlte meine Stirnader anschwellen .
- Der Herr Liebste war ein königlicher Bedienter ? -
Er diente dem Staate bei einer Kasse .
- Und ist ? -
Auf Reisen gegangen , sagte ich hastig , das Folgende abzuschneiden . -
Ja , ja ! sagte er dumm lachend , als wollte er zu verstehen geben , er wisse es besser .
- Ich stand , oder sprang vielmehr auf ; und als er mich beleidigt sah , bat er auf eine tölpische Art um Verzeihung , und platzte nun mit der eigentlichen Absicht seines Besuches heraus , weil ihm bange wurde , ich möchte ihm entwischen .
Er stelle sich vor , daß eine Person in meinen Umständen nicht viel Wesens machen werde ; er habe sein reichliches Brot , und beschäftige in der Zeit der Hoffeten über zwanzig Gesellen ; er wolle eben nicht prahlen , aber er tausche mit keinem Berlinischen Kriegsrate ; - ich solle mich bedenken ; - es sei doch hart , anderer Leute Brot zu essen ; eigener Herd sei Geldes wert , u. s.w . -
Ich stand stumm , versteinert , voll Schmerz und Reue ; war es so weit mit mir gekommen ?
O , ehrwürdiger Eiche , wie schwer wurdest Du jetzt gerächt ! - - Madame Lebrün sah mich gleichgültig an , und sagte dann störrisch :
Herr Große , wir wollen der Madame Zeit zum Überlegen lassen ; in zwei Tagen geht die Fürstin nach den Gütern zurück , und ich verspreche Ihnen , während dieser Intervalle soll die Sache abgetan werden .
- Herr Große , der Schneider , machte einen linkischen Bückling , und ich blieb allein ; allein , in einem Augenblicke der entsetzlichsten Zerrüttung aller meiner Gemütskräfte ! -
Ich sah kein Mittel , mich der Fürstin zu nähern , wenn die boshafte Französin mich von ihr entfernt wissen wollte .
In zwei Tagen schon verreiste sie .
Dem Fürsten mich zu entdecken , war gefährlich ; Michael Popoff hatte ich lange nicht gesehen .
Gott , welche Verwirrung ! in einem fremden Lande !
In der fürchterlichsten Angst meiner Seele kniete ich vor meinen Stuhl hin , und das Kreuz erinnerte mich abermals an die Worte meines ehrwürdigen Alten ; ich blickte sehnsuchtsvoll zum Himmel auf , und ergriff die Feder , um einige Zeilen an Popoff zu schreiben .
Ich bat ihn dringend , zu meiner einer Rettung herbeizueilen .
Wie ich ihm dies Billet zustellen würde ? wußte ich nicht .
Jetzt hörte ich den Ofenheizer auf dem Gange ; er war ein Kosak , mit der ehrlichsten Bildung ; konnte aber kein Deutsch . ich nannte ihm den Namen Michael Popoff , er verstand mich , ich reichte ihm meinen Zettel , und zeigte ihm das Kreuz :
er sollte um diesen Willen mir helfen .
Der ehrliche Mensch fiel demütig auf seine Knie , küßte die Erde , verrichtete eilig seine Arbeit , und eilte dann mit dem Zettel fort .
Ich war voll Angst , wie das ablaufen würde .
Nach einer Stunde kam der brave Priester selbst .
Er redete mich bekümmert an , und fragte : was ist Dir , meine Tochter ?
Ich erzählte ihm weitläufig den Vorgang der letzten Tage ; mein Gespräch mit der Fürstin , bis auf den Abschied des Meister Große .
Der Fürst darf es nicht erfahren , - sagte er ; - aber die Fürstin mußt Du sehen .
Sie wird von Czarskojeselo zurückerwartet .
Ich werde sie erst sprechen , und Dich dann zu ihr führen .
Mit diesen Worten verließ mich mein guter Engel .
Beruhigter erwartete ich nun den Ausgang .
Spät , als ich nichts mehr hoffte , kam der ehrwürdige Mann zurück , und rief mir die frohe Nachricht entgegen , daß ich sogleich zur Fürstin kommen sollte .
Ich folgte seiner Anweisung mit klopfendem Herzen .
Die Fürstin saß halb entkleidet , und winkte mich liebreich an sich heran . -
Du bist bekümmert ?
Tochter !
O , Du mußt nicht weinen !
( mir waren Tränen ins Auge gestiegen ) ; nein , nein , ich war heute so glücklich ! so unbeschreiblich glücklich ! meine arme Kleine , Du sollst nicht weinen . -
Aber so erzähle mir doch . -
Ich sah schüchtern um mich her . -
Nein , nein , sagte sie lachend ; sie hört Dich nicht . - Sprich , sprich wie es aus Deiner Seele kommt . -
Ich kniete neben dem Sofa , und sprach ganz nach dem Eindrucke der Kränkung , die mir widerfahren war .
Die Prinzessin hörte mich geduldig an , und sagte einigemal : armes Kind !
Ach freilich ! -
brach sie endlich mit Rührung aus , - es ist schrecklich !
Demetrius und der Schneider !
- Ich fiel zusammen , als ich sie so sprechen hörte .
- Es ist kein Vorwurf , Liebe , ( fuhr sie fort ) ; ich kann das jetzt ruhiger sagen , da mir ein schöneres Glück aufgeht .
Ida , bald habe ich gesiegt ! meine Liebe , meine Beharrlichkeit wird das schönste der Herzen überwinden .
O , es ist ein Himmel , wenn die Liebe mir aus diesem strahlenden Auge lächelt !
Ida , vollende , mache mich ganz glücklich .
- Ich ? meine Fürstin !
mein Leben - - Nichts vom Leben , Du sollst nicht sinken , um mich auf den Thron seines Herzens zu heben ; aber sehen , sehen muß er diese himmelsüßen Reize nicht mehr !
Jetzt nichts mehr .
- Sie schellte , ihre Frauen erschienen , sie ließ sich ein zierliches Nachtkleid anlegen , und war nun unwiderstehlich schön .
Nach der Abendtafel befahl sie mir , ihr zu folgen .
Die Lebrün war krank ; ein Schälchen zu viel hatte ihr einen Krampf zugezogen .
Wir bestiegen eine kleine Schaluppe auf dem Nevakanal ; es begann ein Genuß für mich , dessen ich mich nie ohne Rührung erinnern werde .
In dieser unbeschreiblich lieblichen Dämmerung einer solchen Sommernacht hörte man das taktmäßige Plätschern der herumrudernden Schaluppen , von welchen froher Volksgesang , zuweilen auch der majestätische Ton der russischen Jagdmusik erklang .
Eudoxia saß in süßem Schlummer versenkt ; ich wagte es nicht , diese heitere Stille ihrer Seele zu unterbrechen .
Sie winkte ihren Jägern , mit der Waldmusik zu schweigen , ließ sich die Mandoline reichen , und sang eine russische , sehr schmelzende Arie .
Liebe und Bewunderung durchschauerte mein Herz gegen diese unvergleichliche Frau .
Wie schön mußte diese Natur sein , daß eine Lebrün nichts darin verderben konnte ! -
Nach dieser gefühlvollen Szene folgte eine Stille , während welcher ich mich ehrerbietig zurückzog ; denn ich sah ihre Seele tief bewegt , und in sich beschäftigt .
Wie aus einem Schlummer erwacht , rief sie mich ; ich mußte dicht neben ihr sitzen , und sie lispelte mir zu , indem sie ihre sanfte Hand auf meine Schulter stützte :
Ida , ich sehe , Du liebst mich ; Dein Herz steht in Deinen Augen .
Es ist mir hohes Bedürfnis , ein fühlendes weibliches Herz an meiner Seite zu haben ; aber um Dein , um mein und um noch eines Dritten Willen , es kann nicht sein !
ich muß Dich aufgeben !
Erschrick nicht , meine Arme ; ich baue mein Glück nicht auf Deinen Untergang .
Ich habe eine Jugendfreundin in Deutschland , die Herzogin von ihr Gemahl vernachlässigt sie ; Du sollst ihr Trost sein .
Ich schicke Dich zu ihr ; Popoff begleitet Dich .
Ich statte Dich aus , und Du bleibst , wenn gleich fern von mir , meinem Herzen stets teuer .
- Ich willigte ein ; mir blieb keine Wahl .
Das süße Wort Deutschland war wie der schönste Wohllaut mir in es Ohr gefallen .
Ich fühlte mich erleichtert , und doch beklommen , wenn ich mir die Trennung von diesem Engel dachte .
Noch verstrichen vierzehn Tage unter ausharrender Liebe und Freundlichkeit von Seiten der Prinzessin , und herzlicher , dankbarer Ergebenheit von der meinigen .
Selbst die Lebrün kam mir mit Freundschaft entgegen , sobald es ihr gewiß war , daß ich reisen würde .
Nur einmal noch sah ich den Fürsten .
Er trat unerwartet ins Zimmer seiner Gemahlin ; sie war froh bestürzt , und sah mit einiger Unruhe auf mich hin .
Ich war im Begriff , mich zu entfernen : der Fürst konnte das nicht geschehen lassen , ohne etwas zu sagen ; es wäre Affektation gewesen zu schweigen .
Es tut mir leid , sagte er , wenn ich jemand von einer so schönen Stelle vertreibe ; er zeigte galant auf den Platz , den er , seiner Gemahlin gegenüber , eingenommen hatte .
Die Fürstin nahm diese Gelegenheit wahr , ihm zu sagen , daß ich sie in Kurzem verlassen würde .
Die Probe war stark ; aber er bestand sie , und erkundigte sich mit fester Stimme , wohin ich zu gehen gedächte ?
und warum ich ein anderes Haus dem Schutze der Fürstin vorzöge ?
Er hoffe allerdings , daß meine Angelegenheiten in Berlin unterdes eine günstigere Wendung genommen haben würden .
- Darauf habe ich nicht zu rechnen , - sagte ich ; das übrige beantwortete die Fürstin mit der ihr eigentümlichen Klugheit .
Der Prinz sagte , sich verneigend , einige russische Worte , worüber sie sehr vergnügt schien ; und als er sie bald darauf verließ , fiel sie mir entzückt um den Hals .
Ich danke Dir , - rief sie freudig , - ich danke Dir , daß Du ihn mir wiedergibst !
O Ida , wie kannst Du meinen heldenmütigen Demetrius aufgeben ! -
Meine teuerste , gnädigste Frau , sein Sie nicht ungerecht gegen sich selbst ; dies Gesicht neben diesem ! -
Dies sprach ich mit inniger Überzeugung .
Ich verlor mich gegen die strahlenden Reize dieser Frau , wie ein gemeines Blümchen am Wege gegen die prachtvolle Lilie , oder die schönste Rose .
Die Wolken des Kummers waren nun von der schönen Stirn verschwunden , und ihre Reize gingen mit neuer , anziehender Kraft hervor .
Dies war die letzte Zusammenkunft , welche ich mit dem Fürsten gehabt habe .
Ich habe ihn nicht wieder gesehen .
Die Fürstin besorgte mütterlich meine Ausstattung , wie sie es nannte , beschenkte mich mit Kostbarkeiten von hohem Werte , worunter ihr Bild mir unschätzbar ist ; und damit meine künftige Existenz gesichert sei , setzte mir die Gütige zweihundert Rubel jährliche Pension aus , die ich , so lange ich lebe , unter allen Lagen , worin ich noch kommen kann , von einem Berliner Bankier hebe .
Den Abschied aus diesem Hause überhebe ich mich zu beschreiben .
Ich schied wie von meinem eigenen Herzen , als ich ihre Hand zum letztenmal an meinen Lippen fühlte .
Da ich schon ihr Zimmer , aufgelöst in Tränen , verlassen wollte , hielt sie mich noch zurück ; sie öffnete ein Kästchen , und überreichte mir ein Miniaturgemälde des Fürsten .
Sie müssen ihn nicht vergessen , den Edlen , - sagte sie .
Alexander war nicht tugendhafter , als er die Gemahlin des Darius zurückschickte !
Sein Bild und das meinige müssen ungetrennt in Ihrem Herzen leben ! -
Dieser Zug ihrer großen Seele überwältigte mich .
Ich sank auf meine Knie , was ich sagte , weiß ich nicht mehr ; aber sie fühlte sich mächtig ergriffen , warf mir einen Kuß zu , und verschwand , innigst erschüttert , in ihr Kabinett .
Popoff , welcher diesem Auftritte beiwohnte , flossen die alten Augen über ; er schob mich sanft zur Tür hinaus , und einige Stunden nachher traten wir unsere Reise an .
Sie ging über Warschau , durch einen Teil von Preußen , die Neumark , u. s.w. Sobald ich mich den Grenzen meines Vaterlandes näherte , erwachte mein Herz zum Dankgefühl für so manche Rettung .
O , mein Vater !
ich vernahm , daß Sie lebten ; daß Sie Ihre ungehorsame Tochter aufgegeben hätten ; daß meine besseren Brüder die Flüchtige Ihrem Herzen tausendfach ersetzten ! -
O , was hörte ich nicht alles , wobei ich weinte und schwieg !
Seitdem ich den teuren Vater verlassen hatte , war Weinen mein Los gewesen , und der Quell meiner Tränen war jetzt beinahe versiegt .
Wir setzten unsere Reise ununterbrochen fort , hielten uns nur auf , den Pferden die nötige Erholung zu geben , und so kamen wir ohne merkwürdige Ereignisse in , an dem kleinen Hofe der Fürstin von an .
Sie war durch Briefe der Prinzessin Eudoxia benachrichtigt , und günstig für mich eingenommen worden .
Ganz das Gegenteil hatten aber diese Empfehlungen für mich bei ihrem Hofstaate bewirkt , insonderheit bei den Kammerfrauen , unter welchen mir eine Stelle angewiesen wurde .
Sie haßten mich schon vorher , hatten sich vorgenommen , der Neueingetretenen das Leben sauer zu machen , und sie haben redlich Wort gehalten .
Ich wurde in die Garderobe geführt , und bald kamen , unter mancherlei Vorwand , hohe und niedere Hofdiener und Dienerinnen , mich zu mustern .
- Was Hagedorn irgendwo sagt , daß nichts verwegener , stolzer und kühner , als großer Herren kleine Diener sind , fand ich hier sehr genau bestätigt .
Noch hatte ich den ehrlichen Vater Popoff an meiner Seite .
Sein befürchte Gesicht und schneeweißer Bart machten hier einen seltsamen Kontrast gegen die flachen , nichtssagenden Physiognomien .
- Nachdem ich einige Stunden zur Schau gesessen , und manche unbescheidene Frage beantwortet hatte , wurde ich zur Fürstin abgerufen .
Ich ging mit unbekümmerten Herzen , denn hier flößte mir nichts Scheu oder Ehrerbietung ein ; auch fühlte ich , daß mir die Aufnahme der Gebieterin dieser leichten Menschen gleichgültig sein würde .
Ich fand sie nach vollendeter Toilette im üppigsten Morgenkleide .
Sie war sehr schön ; aber eine auffallende Ähnlichkeit mit Mariane von Lindenfels , deren verderbender Umgang meinem Betragen eine so entschieden unglückliche Richtung gab , erschreckte mich ; eben der Blick , eben das Spiel mutwilliger schwarzer Augen , nur die Stimme war weicher und weiblicher .
Ihre Freundlichkeit hätte verführerisch sein können , wäre mein Herz nicht verwöhnt gewesen , und hätte es nicht verglichen .
Da verlor sich aber die Anwesende in den tiefsten Schatten , neben der strahlenden Glorie der himmlischen Eudoxia .
- Ich gefiel , ohne gefallen zu wollen ; denn die Fürstin gefiel sich bei einer genauen Zergliederung meiner Gestalt und Bildung , wobei ich mehr als einmal rot wurde .
Mit meinen kleinen Talenten war sie ebenfalls zufrieden .
Von ihrer Freundin , der Fürstin Eudoxia , war ihr nichts wichtig , als ob sie noch so schön sei ? ob das Feuer ihrer Augen noch unvermindert , und der weiße Busen fest und rund wäre ?
Diese Audienz endigte damit , daß ich zur Vorleserin bestätigt , und auf den Hofetat unter den Kammerfrauen aufgeführt wurde .
Sobald diese es erfuhren , erstickten sie mich mit Liebkosungen und Umarmungen .
Die Fürstin fand den Namen Ida süß und romantisch , und alle fanden es so , und nannten mich die schöne Ida .
Was mir vor Augen geschah , hätte mich vergnügen sollen , aber ich war von Herzen betrübt ; denn mein väterlicher Freund , Michael Poposf , hatte mich verlassen , und es war vorauszusetzen , daß ihn meine Augen nie wiedersehen würden .
Da erst ekelte mich die Freundlichkeit der mir so fremden Rasse recht sehr an ; es war nichts von dem natürlichen , liberalen und frohen Wesen der Pallastbewohner in Petersburg ; selbst die herbe Natur der Lebrün war mir lieber , als das Lachen dieser , zum Lachen immer offenen , Mäuler .
Die Fürstin war gütig , zu gütig gegen mich ; aber dieser Güte fehlte das Herzliche und Rührende von Eudoxia's holdem Wesen .
Oft las ich noch spät nach der Abendtafel , wenn die Fürstin sich schon zur Ruhe gelegt hatte ; sie selbst suchte die Stücke aus , welche ich lesen mußte , und ich gestehe , daß es immer solche waren , welche die geheimsten Tiefen der Sinnlichkeit aufregten .
Dann mußte ich mich ganz nahe zu ihr setzen , sie schlang ihren Arm fest um mich , und ließ ihre Finger sich so verirren , daß ich Fassung und Stimme verlor .
Sie schmiegte ihr Gesicht an meinen Busen , und ließ sich zu Küssen herab , welche sie erwidert haben wollte ; aber , ich weiß nicht welch eine unüberwindliche Abneigung sich dann meiner bemächtigte , so daß ich mich zuletzt mit Angst und Schaudern dem Lesekabinette näherte .
Unter ähnlichen Beschäftigungen und dem einförmigen Wogen des Hofgeräusches vergingen sechs Monate .
Die Gunst der Fürstin und der Neid der anderen nahmen zu .
Ich fand meine Lage so widrig , daß ich schon mehr als einmal meinen Abschied fordern wollte , als ein unerwarteter Vorfall ihn mir plötzlich verschaffte .
Die Fürstin war einige Tage kränklich , oder vielmehr in einem schmachtenden Zustande gewesen , wobei sie über Krämpfe klagte .
Ich durfte ihr Zimmer und ihren Sofa keinen Augenblick , auch bei Nacht nicht , verlassen .
Sie ruhte in meinem Arm , und ihr Benehmen wurde mir immer rätselhafter .
Sie hing oft lange mit wollüstigen Küssen an meinen Lippen , welche sie Rosenlippen nannte ; mein Halstuch löste sie unter dem Vorwande auf , daß es sie drücke , wenn sie an mir Ruhe , und bald war ihr dieses , bald jenes meiner Kleidungsstücke zu ihrer Bequemlichkeit im Wege .
- Ich wünsche einen dichten Vorhang über die Begebenheit , und über die Schrecken des letzten Augenblicks , der mich auf ewig von ihr trennte , ziehen zu können ; - ein Augenblick , wo die letzte und schwächste der Schranken durchbrach , die ihre strafbare Sinnlichkeit gehalten hatte .
Sie stürmte wie ein gewaltiger Strom auf mich los ; empörte Sinnlichkeit des ungestümsten Mannes kann nicht gewaltsamer sein !
Ich rang , stieß die Wahnwitzige zurück , und sank betäubt , oder vielmehr ohnmächtig , zu Boden hin .
Da hörte ich sie ihre Glocke anziehen , die aufwartende Kammerfrau erschien , und die aufgebrachte Dame befahl , man solle mich wegschaffen , ich habe sie im konvulsivischen Anfalle erdrosseln wollen .
- Die letzten Worte vernahm ich , ungeachtet meiner Betäubung , sehr deutlich ; o nein ! nein ! rief ich unvorsichtiger Weise , indem ich mich aufrichtete .
Kaum hörte die Fürstin meine Stimme , welches sie vermutlich besorgen ließ , ich würde mich deutlicher erklären , so schrie sie , gleich einer Wütenden , man möchte eilen , mich fortzuschaffen , sie fürchte den Anblick des Wahnwitzes .
Die dienstfertige , innerlich höchst erfreute , Kammerfrau machte mit kummervoller Miene Anstalt , mich fortbringen zu lassen ; aber ich ersparte dem armen Dinge die Mühe , und ging ganz fest nach dem Entresol , wo meine Kammern waren .
Bald nachher erschien der Leibarzt , legte mir besondere Fragen vor , und schien verwundert , daß ich nicht irre redete .
Er war so fest von der Wahrheit der fürstlichen Aussage überzeugt , daß er , als ich sagte , ich habe längst schon gewünscht , diesen Hof zu verlassen , sehr weise meinte : ach , nun merke er ; ich habe mich also irre gestellt !
Was für verschrobene Menschen sind diese Hofschranzen größtenteils !
Ich hatte Mühe , mich ihm verständlich zu machen , ohne die Fürstin zu kompromittieren .
Er verordnete mir zum Schein ein kühlendes Tränkchen , und dieser Tag , der so fatal für mich angefangen , endete mit der frohen Aussicht , nun bald im vollen Genusse der Freiheit zu sein , mich meinem Vaterlande wieder zu nähern , und mich um die Verzeihung meines geliebten Vaters zu bewerben .
Der Hofmarschall hatte schnell meinen Abschied ausgefertigt , und in der kleinen winzigen Stadt und am Hofe selbst ging die Rede :
ich habe im Zimmer der Fürstin ein Kind bekommen .
Einige wollten sogar den derben Knaben schreien gehört haben . -
Die diensthabende Kammerfrau affektierte ein geheimnisvolles Wesen darüber , und bestätigte dadurch die Sage .
Ich brachte seit langer Zeit die erste , recht ruhige und vergnügte Nacht zu .
Am frühen Morgen kam der Leibarzt , und bot mir zur Abreise die Gesellschaft seiner Frau an , die ins Bad reiste .
Ich bedachte mich nicht lange , packte mit frohem Sinne meine Effekten zusammen , und fuhr ab , ohne die Fürstin noch einmal zu sehen .
Ihretwegen hatte ich darum angehalten , aber ihre Weigerung war mit sehr angenehm ; denn ich würde mich ihr nicht ohne Schaudern und Abscheu genähert haben .
Wie so ganz anders verließ ich den Engel Eudoxia ! nie , nie wird das Bild dieser Tugend aus meinem dankbaren Herzen weichen !
Von dem Örtchen , welches ich vorzugsweise vor der Hand zu meinem Aufenthalt wählte , erinnerte ich mich , in meiner Kindheit viel Gutes gehört zu haben .
Die Vorsehung selbst hat mich in diese Gegend geführt , wo ich meine edle Verwandten , und den über alles , alles teuren Vater so unverhofft angetroffen habe !
Will er , der allerbeste und treuste , mich neben sich leben lassen , so soll jeder Augenblick meines Lebens seiner Pflege und Erheiterung geweiht sein !
Vielleicht duldet er mich !
Die Großmut der tugendhaften Russin setzt mich in die glückliche Lage , niemanden mit meiner Versorgung beschwerlich fallen zu dürfen .
Wenn meine redliche Verwandte es vergessen können , daß mein Leichtsinn jede Freude des Lebens ihnen raubte , daß ich strafbar wurde , um mir ein Glück auf seichtem Grunde zu bauen , daß jeder Schein wider mich war , daß ich einer strafbaren Neigung nachhing , und der bessre Frau den Mann raubte ; daß ich einem fremden Manne in ferne Gegenden auf seinen leisesten Wink folgte ; daß ich , am Rande des Abgrunds , dem eitlen Gedanken , er könne mich zu seiner Gemahlin erheben , nachgab ; wenn dies alles vergessen werden kann ; ich meine , wenn Andere dies vergessen könnten , so gibt es noch ein Glück für mich , in so fern das marternde Bewußtsein der Fehlenden sie es genießen läßt .
Während ich dieses Heft übergeben habe , während es gelesen wird , wird mein Herz in Ungewißheit verzagen .
Aber meine edle Minna wird mich vertreten ; sie wird die Urteile milderen , wo sie hart über mich ergehen .
Aber o mein Herz , sei still !
Hast Du nicht am Herzen der verzeihenden Karoline , am Herzen des versöhnten Vaters geschlagen ?
Sei still , demütig , und hoffe ! - "
Grüntal an Eiche .
" Und nun , mein lieber Freund , wenn ich je in Ihrem Herzen zu lesen wünschte , so wäre es jetzt !
Unwille , oder Mitleid ? freilich , freilich ; - - die Szene in Petersburg , mit dem Demetrius - sie ist ganz stark ; aber doch , mir hat die Haut geschauert , ehe sie fiel , und sich den Kopf zerschlug .
- Ich dachte wahrhaftig , sie würde ganz anders fallen .
Es war ein glücklicher Fall , der sie wieder zu sich brachte .
Eiche !
Ich rede in der Freude meines Herzens !
Wenn Sie könnten : wenn Sie nichts verschworen hätten !
Aber nein , nein !
es geht nicht , es geht freilich nicht , Sie haben Recht ; wären Sie nicht in einem Amte , wo Sie so hell und rein strahlen müssen , so ging es noch eher .
Lesen Sie dies lieber nicht ; ich will Sie nicht beleidigt haben .
Antworten Sie mir auch darauf nicht .
Ich könnte es nicht ertragen .
Die Freude hat mich toll und laut gemacht ; aber wir sind alle nicht um ein Haar anders ; der Oberst wie wir Verwandte , die fremde Frau da , die Minna , wie der Oberst .
Hören Sie , ich bin so jung geworden , als wäre ich mein Sohn .
Aber Sie sollten sie auch sehen , und hören . -
Das muß man der Welt lassen , sie versteht ihre Leute zu dressieren - was wir gemein gegen sie aussehen !
Und wie das Gesichtchen so ein edles Gepräge bekommen hat .
Doch Sie werden sie schon einmal sehen ; ob ich gleich nicht glaube , daß sie Ihnen ins Gesicht wird blicken können ; denn ehe man sich_es versieht , weint sie , und klagt sich an .
Ich glaube , wenn der Hagel meine Kornfelder zerschlagen hätte , würde sie sich dessen anklagen .
Bei dem Allen sind wir noch unentschlossen , wie wir leben wollen .
Der Neffe und die Nichte wollen uns nicht lassen , und auch mir ist_es , als müßt ich hier bleiben , wo sie mir wiedergegeben ist .
Da hat ihr der Neffe ein Haus und Garten geschenkt .
Er sagt , sie sei im Grunde doch die unmittelbare Ursache , daß er seine Lina habe . -
Nicht weit von uns wohnt die Frau Minna , die einen ganz gescheuten Mann haben soll .
Mein Sohn , der Amtmann , ist auch nur ein vier Meilen von hier ; nur dem armen Fritz , dem Tischler , kann ich nicht zumuten , daß er Särge für Bauern mache .
Wer hätte gedacht , daß der Himmel mir einst so noch wieder lachen würde !
Aber Sie haben mir wohl mit Recht immer gesagt : » Wer Gott vertraut , hat wohl gebaut . «
Die jungen Leute rufen nach dem Alten ; ich verlasse Sie , weil mir so wohl ist , daß ich mich aufjauchzen muß !
Gott grüße und bewahre Sie .
Ihr Grüntal . " Eiche an Grüntal .
" Gott Lob , daß Ihnen wohl ist , mein Freund !
Ihre Freude verbreitet einen heiteren Schein über meine Tage ; wie Ihr Kummer auch die meinigen trübte !
Ich werde Sie so bald noch nicht sehen , weil mein Kollege verreiset ist ; aber sobald er zurückkehrt , komme ich zu Ihnen , um mich ein Paar Tage mit Ihnen zu freuen .
Doch muß ich zuvor wissen , ob meine Gegenwart auch niemanden unangenehm sein könnte .
In diesem Fall würde ich mir auch dieses schönste aller Vergnügen versagen , noch einmal mit meinem alten Freunde einige frohe Tage auf dem Lande zu verbringen ; denn in Zukunft , mein Freund , werden neue Verpflichtungen mich an meinem Wohnort festhalten .
Die Tochter meines Kollegen willigt ein , mein kleines Los mit mir zu teilen .
Ein gutes mildes Herz , und ein sehr gebildeter Verstand , der ihr einen zuverlässigen Charakter gab , lassen mich auf eine heitere Zukunft rechnen .
Sie gönnen es mir von Herzen , mein Lieber , das weiß ich . -
Gestern hatte ich einen Vorfall , der mich sehr sonderbar bewegt hat .
Mein Aufwärter meldete eine Frau mit einem Kinde bei mir an , welche sich wegen Armengelder meldete .
Ich ließ sie vor : mit einer Art von alter Vertraulichkeit drängte sie sich zu mir ; ihr schlechter Anzug hätte sie mir unkenntlich gemacht , wenn nicht der alte Schwall von Worten mit die Madam Brennfeld verraten hätte .
Sie schalt sehr bitter die Intoleranz der Menschen , welche sie ausgestoßen hatten , nach dem Beweis , den sie von ihrer eigenen toleranten Denkart gegeben hatte .
Sie habe den Vater ihres Kindes heiraten wollen , aber da sie standhaft darauf bestanden , er müsse ein Jude bleiben , habe kein Geistlicher sie trauen wollen .
Nun sei ihre Kostschule auseinander gegangen .
Ihr Liebhaber habe sich mit einer jungen reichen Person seiner Nation verheiratet , und ihr Vetter , der Kandidat , sei in einer entfernten Provinz versorgt , habe die Philosophie aufgegeben , und sei nun von ganzem Herzen bigotter Priester .
Ihre Lage sei traurig :
aber sie rechne auf Unterstützung , weil ihre Verdienste um den Staat , in Bildung einer künftigen Generation , auffallend genug wären .
Man könne sie nicht abweisen , wenn sie Pension fordre ; indes wolle sie sich mit dem dürftigen Anteil , den ich ihr reichen könne , begnügen Ich hatte nichts zu verteilen , und gab ihr aus meinen Mitteln ; sie nahm es mit ihrem bekannten Übermute an ; und tat , als ob sie Wohltat erwiese , indem sie Wohltat empfing .
- Ich hoffe nicht , daß ich diese unangenehme Erinnerung öfter sehen werde : sie ist mir ein Vorwurf meiner unbesonnenen Leichtgläubigkeit . -
Etwas Angenehmeres hoffe ich Ihnen in diesem dicken Pack von Ihrem guten Sohne Fritz zu überschicken ; fällt Ihre Antwort günstig , das ist bejahend , aus ; so ist er nächstens bei Ihnen , und holt Sie alle zur Hochzeit ab .
Wie auch alles gehe , so rechnen Sie immer auf einen Freund , der in frohen und trüben Tagen ganz Ihr eigener war und bleiben wird .
Eiche . " Fritz Grüntal an seinen Vater .
Liebster Vater !
" Mein letzter Brief aus Neuwied benachrichtigte Sie , daß ich nächstens meine Rückreise aus Neuwied nach Berlin antreten würde .
Der Abschied von einem Orte , und von Personen , bei welchen mir so mannigfaches Gute widerfahren ist , war nicht leicht Auf meiner Heimreise widerfuhr mir etwas Seltsames , lieber Vater .
Nach einem heißen Tage zog ein Gewitter auf , und ich übernachtete auf einem Edelhofe , wo ich eine Dame traf , die meiner verlorenen Schwester so ähnlich sah , so ähnlich ! daß ich wetten wollte , sie sei es selbst gewesen ; nur , daß sie mir größer , schöner und stärker vorkam , und ihre Stimme voller und wohllautender war .
Die Dame erschrak , als sie mich sah und sprechen hörte , und schaffte mich fort ; so daß eine Freundin mich für die Nacht aufnahm .
Ich hatte nicht das Herz , mich näher zu erkundigen ; denn , war es Julchen , so schien es , als ob sie sich meiner schämte ; und dann würde ich mich ihrer ebenfalls schämen .
Aber , lieber Vater , das tun Sie denn doch , und erkundigen sich in der Gegend , wer die Person ist , welche diese auffallende Ähnlichkeit an sich trägt ?
Es ist der Mühe wert , sie zu sehen .
Hier in Berlin bin ich wieder in meine alte Werkstatt gegangen .
Der gute Meister ist vor einem Jahre gestorben , und ich bin bei seiner Witwe in Arbeit .
Das ist eine herzensgute liebe Frau , wie Sie gleich hören werden .
Der Erziehung und des Beispiels eingedenk , welches Beides ich von meinem ehrenwerten Vater im Herzen trage , bin ich immer still und ordentlich gewesen , habe mich guter Arbeit beflissen , und bin Sonntags , wenn ich Zeit hatte , indes die Anderen schwärmten , zu unseren Herrn Eiche gegangen ; der mir dann dieses oder jenes gute Buch mitgab , woraus ich Abends , beim Feierabend , dem Meister und seiner Frau vorlas .
Sie sahen gern , weil ich nichts damit versäumte , und die Anderen oft damit vom Saus und Trunk abhielt .
Da zeichneten mich die guten Menschen aus , und hielten mich wie ihr Kind ; und ich habe oft Gott gedankt , daß mein Entschluß , mich diesem Gewerbe zu widmen , unter so biedere Menschen mich versetzt hat , wenn gleich ihr Gepräge ein wenig scharf und eckig ist :
so weiß man dagegen auch , was man an ihnen hat .
Wie ich nun zurückkam , fand ich die Meisterin als Witwe wieder .
Sie nahm mich freundlich bei sich auf , und übergab mir , gegen erhöhten Lohn , die Besorgung ihrer Geschäfte .
Ich habe sie mit Fleiß und Treue betrieben ; und es schien ein Segen auf allem , was ich unternahm , zu ruhen .
Vor einigen Tagen - es war eben ein Sonntag - ließ die Frau Hermannen mich zu sich rufen , und hieß mich neben sich setzen .
Ich habe_es sonst nie getan , denn ich respektiere sie wie eine Mutter ; sie redete mich so an .
Mein lieber Monsieur Grüntal , Sie werden sich nicht wenig über das wundern , was ich Ihnen zu offenbaren habe .
- Ich vermerke , daß ich verfalle .
- Ich bin nun ein und sechzig Jahr alt ; und der liebe Gott kann bald ein Ende mit mir machen ; obschon ich mich , dem Himmel sei Dank , noch ganz gut befinde .
Mein Mann seliger , hat mir ein großes Vermögen hinterlassen , welches er durch seinen Fleiß erworben hat .
Nun sähe ich gern , - und wenn er_es wissen könnte , würde er es auch gern sehen , - wenn das schwere Geld wieder an einen fleißigen Mann käme .
Ich habe zwar Verwandte , das ist aber alles reiches und üppiges Volk ; Leute vom Handwerksstande , die alle Tage dazu schaffen .
Und wieder die anderen - der Herr Vetter Hofrat da , ja , lieber Gott ! für den waren wir immer viel zu schlecht ; über seine Schwelle durfte mein Mann seliger nicht kommen .
So wollt ich Ihnen vorschlagen , Monsieur Grüntal , ob Sie mich ehelichen wollen ? damit Ihnen ohne Einrede mein Vermögen zu Teil werden könnte .
Verstehen Sie mich nicht Unrecht , und halten mich nicht für eine alte verliebte Schwester ; über solche Schwachheit ist man , in meinen Jahren , hinweg .
Sie sollen mein Sohn , und ich Ihre Mutter sein ; nur bloß daß der Priester den Segen über uns spricht .
Sie können hier im Hause wohnen , wo Sie wollen , und ich bleibe in meiner Verfassung .
Nur das müssen Sie mir versprechen , daß Sie meine alten Tage nicht zum Besten haben wollen , und sich vor der Welt so stellen , als ob wir wie Mann und Frau lebten .
Ich werde Ihnen auch nicht im Wege stehen , wenn Sie in Zucht und Ehren nach einem jungen Mädchen sehen , auch nicht darum zanken , wie die alten Frauen wohl zu tun pflegen .
Nein ; Sie sollen sehen , wie es bei mir gemeint ist .
Sobald wir getraut sind , mache ich mein Testament ; und Sie können mit dem lieben Gut schalten und walten , wie_es Ihnen gefällt .
Denn da Sie so überaus feine und künstliche Werke schaffen können , wird es was großes mit Ihnen werden , wenn Sie Auslage machen , und Ihr Werk im Großen treiben können .
Nun , lieber Monsieur Grüntal , habe ich Ihnen weiter nichts zu sagen ; antworten Sie mir nicht gleich ; sondern nehmen Sie die Sache in Überlegung , und fragen Sie die Ihrigen , und Ihren würdigen Beichtvater um Rat .
Hiermit Gott befohlen auf heute !
Meine Bestürzung war groß , lieber Vater , aber auch meine Dankbarkeit .
Ich kann mein Leben darauf lassen , daß die respektable Frau es so meint , wie sie es sagt .
So lange ich sie kenne , ist ihr Wandel still und ehrbar , fromm und wohltätig :
ich habe ihren rechtschaffenen Gang oft im Stillen bemerkt , und mich gefreut , daß noch so viel Tugend in dieser übel berufenen Stadt ist .
Überhaupt möchte ' ich sagen , daß , so weit ich Gelegenheit gehabt habe , Bemerkungen zu machen , in dieser Klasse des Bürgerstandes , noch viel echte Rechtschaffenheit , und viel , oft recht erhabene Tugend , ist ; freilich ist ihr Gepräge altmodisch und schwerfällig , aber sie hat eine Zuverlässigkeit , von der die feinere Welt schon gar keine Ahnung mehr hat .
Ich bitte mir also Ihren Willen aus , mein lieber Vater , nach welchem ich unbedingt handeln werde .
Herr Eiche hat mir im Voraus seinen Segen gegeben , hat sich aber , wie er mir sagt , enthalten , Ihnen umständlich darüber zu schreiben , weil er Ihre gute Meinung nicht bestechen wollte .
Eine schöne Aussicht gewährt es mir , wenn ich durch ein so gutes Vermögen , welches ich durch Arbeitsamkeit noch vermehren würde , im Stande wäre , meinem über alles geliebten Vater ein ruhiges sorgenloses Alter zu verschaffen , und wenn es der Himmel gäbe , daß meine arme Schwester sich wieder fände , auch dieser ein anständiges bequemes Leben zu bereiten !
Mißbilligt aber mein bester Vater den ganzen Entwurf , so bin ich gewiß , daß er die verneinende Antwort so einkleiden wird , daß ich sie der gradsinnigen Frau mitteilen kann .
Es würde ihr wackeres Herz tief verwunden , wenn sie glaubte , ihr Vorschlag habe irgend eine lächerliche Seite .
- Nehmen Sie mir_es nicht ungütig , lieber Vater , daß ich so zutraulich und ganz schlicht weg schreibe ; unser einer geht gerade durch ; und derbe Arbeit gibt derben Sinn .
Ich verehre und liebe Sie von ganzem Herzen , und bin Ihr gehorsamer Sohn .
Friedrich Grüntal . " Grüntal an seinen Fritz .
" Da ! da !
Hier ! nimm meinen Segen , und herzliche Einwilligung ; was denkst Du , Junge ?
Ich sollte eine lächerliche Seite an dem Benehmen der würdigen Frau auffinden ? die meinem lieben Fritz so wohl will ?
Nein , mein gutes Kind ! ich habe noch Glauben an Menschentugend , und ehre , wie Du weißt , die erwerbende und produzierende Klasse von ganzem Herzen .
Bringe Deiner neuen guten Mutter mein herzliches Ja !
und Liebe und Dank daneben .
- So gibt es denn aller Orten für mich Friede und Freude , nach so mancher kummervollen Stunde .
Komme zu uns ; da sollst Du die Dame sehen , die Julchen so ähnlich ist ; als ob sie es selbst wäre , Komme und sieh ! -
Dann ziehen wir mit Dir , und jubilieren , feiern die Hochzeit , und ich tanze mit Deiner Braut den Ehrentanz .
- Hiermit gehabe Dich wohl .
Dein guter Vater .
Grüntal . Fritz ließ sich die Einladung nicht zweimal sagen , er schnürte seinen Reisebündel , und kam auf des Obersten Gute an .
Der überraschende Anblick der Schwester machte einen seltsamen Eindruck auf den gutmütigen Menschen .
Erst wagte er sich nicht an sie heran . weil sie ihm zu vornehm vorkam ; aber Julchen stürzte ihm um den Hals , Schwester und Bruder blieben sich nicht länger fremd , und wurden , wie in den ersten goldenen Tagen der Kindheit , wieder ein Herz und eine Seele .
Grüntal blieb in einem ununterbrochenem lauten Jubel ; und wünschte immer ums dritte Wort , daß sein Lieschen das noch erlebt haben möchte .
Die Familie war nun , bis auf den jungen Amtmann Grüntal , beieinander , und Minna und ihr Mann , der von seiner Geschäftsreise zurückkam , wurden als werte Mitglieder derselben angesehen .
Noch vor der Ernte reisten sie alle nach Berlin , Fritzens Hochzeit beizuwohnen .
Eiche war mit seiner würdigen jungen Frau dabei , und verrichtete die Trauung .
Daß er verheiratet war , milderte Julchens Verlegenheit in seiner Gegenwart .
Der Oberst ließ sich es nicht nehmen , mit seinen alten steifen Reiterbeinen die Braut-Menuett zu tanzen : der alte Grüntal aber hielt es mit dem Kehraus , und sang dabei nach alter Sitte , wie er es sich vorgesetzt hatte :
Als der Großvater die Großmutter nahm , Da wurde der Großvater ein Bräutigam !
Als die Freudentage der Hochzeit vorüber waren , reiste die ganze Familie , das neuverheiratete Paar nicht ausgeschlossen , nach dem Gute des Obersten zurück , wo der alte Herr sich so nach seiner eigenen Weise eine Freude ersonnen hatte .
Er hatte eine der gesegnetsten ernten gehabt , und davon wollte er das Fest recht feierlich begehen .
Seine Lina und sein alter Georg standen ihm bei der Veranstaltung treulich bei .
Grüntal war wie im Himmel , daß er wieder im Kreis der Seinigen ein solches Fest begehen sollte !
Der schöne Tag brach an ; ein heiterer wolkenfreier Himmel , und allenthalben heitere wolkenfreie Stirnen !
Das Alter war zur Freude gestimmt , wie die Jugend .
Grüntal sang von früh an , was er von Sommer- und Ernteliedern wußte : und ihm war es recht im Herzen wohl .
Als die Feierlichkeit beginnen sollte , führten der Oberst und Lina den alten Grüntal und seines Sohnes Frau auf eine Anhöhe , nicht weit vom Edelhofe .
Von ferne tönte eine gute ländliche Musik .
Grüntal schöpfte kaum Atem , um keinen der ihm so teuren Laute zu verlieren ; sein Blick war erwartend nach der Gegend hin gerichtet , von wo sie kommen sollten .
Der schöne ländliche Aufzug erschien ; und - o der Wonne ! -
Julchen als Erntekönigin , wie ehemals , in weißem Kleide mit hellgrünen Bändern , geschmückt mit Blumen , wie der ländliche Garten sie gab ; sie ging zwischen ihren Brüdern wie ehemals , und trug den Kranz .
Der Zug nahte sich dem Hügel ; er umschloß die Alten , indem der herzerhebende Kirchengesang :
Nun danket alle Gott ! angestimmt wurde .
Grüntals Herz erlag der Allgewalt dieser Gefühle und Erinnerungen !
Er brach in lautes Weinen aus ; streckte die Arme , wie zu einer Umarmung , empor , und rief schluchzend : o , mein gutes Lieschen !
Sieh herab , hier sind sie alle .
Gott !
Gott !
Heiligster , Gütigster , ich danke Dir ! -
Seine drei Kinder flogen an sein Herz ; alle Umstehenden nahmen Teil , und kein Auge blieb trocken !
CC-BY

Holder of rights
Bildungsroman Projekt

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Korpus. Julchen Grünthal. Julchen Grünthal. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0c6.0