Vorwort .
Der Verfasser hatte diesen Roman vollendet , ehe noch die Franzosen im letzten Kriege Rußland betraten .
Eine notwendig fortlaufende Berührung des Buches mit den öffentlichen Begebenheiten verhinderte damals den Druck desselben .
Später faßte die gewaltige Zeit den Dichter selbst , er focht in den Reihen der Vaterlandsretter rühmlich mit , und alle seine Muße , Gedanken und Kräfte wandten sich auf den gemeinschaftlichen Zweck .
Nachher meinte er , es sei der Zeitpunkt einer allgemeinen Teilnahme für diesen Roman vielleicht inzwischen verstrichen .
Ich war und bin nicht dieser Meinung ; auch schien es mii nicht wohlgetan , die Fäden dieser Geschichte in die neuesten Ereignisse herüber zu spinnen , oder auch prophetische Aussichten auf die erfolgte Weltbefreiung mit Absichtlichkeit darin aufzustellen .
Die Ganzheit der so echt lebendigen und wahrhaften Dichtung hätte darunter gelitten ; sie wäre nicht geblieben , was sie ist : ein getreues Bild jener gewitterschwülen Zeit , der Erwartung , der Sehnsucht und Verwirrung .
Der Verfasser ging in meine Ansichten ein , und gibt den Roman daher wörtlich und ohne die geringste Änderung so , wie er ihn damals aufgeschrieben hatte .
In seinen Mitteilungen hierüber an mich finden sich unter Anderem folgende denkwürdige Worte :
" Es lieben edle Gemüter , sich mitten aus der Freude nach den überstandenen Drangsalen zurückzuwenden , nicht um hochmütig über sich selbst zu erstaunen , wie sie seitdem so Großes vollbracht , sondern um sich noch einmal mit jenem heiligen Zürnen , jenem gerüsteten Ernste der Bedrängnis zu erfüllen , der uns im Glücke eben so Not tut , als im Unglück .
Diesen weihe ich das Buch als ein Denkmal der schuldgedrückten Vergangenheit . "
" Alle Kräfte , die in uns aufgewacht , schlummerten oder träumten schon damals .
Aber Rost frißt das Eisen .
Die Sehnsucht hätte sich langsam selbst verzehrt , und die Weisheit nichts ausgesonnen , hätte sich der Herr nicht endlich erbarmt , und in dem Brande von Moskau die Morgenröte eines großen herrlichen Tages der Erlösung angezündet .
Und so laßt uns Gott preisen , Jeder nach seiner Art !
Ihm gebührt die Ehre , uns ziemet Demut , Wachsamkeit und frommer , treuer Fleiß . "
Diesen Kernworten , wie aus dem Innersten und Besten meiner Seele gesprochen , weiß ich nichts hinzuzufügen , als den herzlichen Wunsch : möchten sie und das ganze jugendlich frische Dichterwerk unseren teuren Landsleuten nach Verdienst lieb werden und bekannt .
Geschrieben am 6. Januar , 1815 .
La Motte Fouque ´. Erstes Buch .
Erstes Kapitel .
Die Sonne war eben prächtig aufgegangen , da fuhr ein Schiff zwischen den grünen Bergen und Wäldern auf der Donau herunter .
Auf dem Schiffe befand sich ein lustiges Häufchen Studenten .
Sie begleiteten einige Tagereisen weit den jungen Grafen Friedrich , welcher so eben die Universität verlassen hatte , um sich auf Reisen zu begeben .
Einige von ihnen hatten sich auf dem Verdecke auf ihre ausgebreitete Mäntel hingestreckt und würfelten .
Andere hatten alle Augenblick neue Burgen zu salutieren , neue Echo's zu versuchen , und waren daher ohne Unterlaß beschäftigt , ihre Gewehre zu laden und abzufeuern .
Wieder andere übten ihren Witz an allen , die das Unglück hatten am Ufer vorüberzugehen , und diese aus der Luft gegriffene Unterhaltung endigte dann gewöhnlich mit lustigen Schimpfreden , welche wechselseitig so lange fortgesetzt wurden , bis beide Parteien einander längst nicht mehr verstanden .
Mitten unter ihnen stand Graf Friedrich in stiller , beschaulicher Freude .
Er war größer als die anderen , und zeichnete sich durch ein einfaches , freies , fast altritterliches Ansehen aus .
Er selbst sprach wenig , sondern ergötzte sich vielmehr still in sich an den den Ausgelassenheiten der lustigen Gesellen ; ein gemeiner Menschensinn hätte ihn leicht für einfältig gehalten .
Von beiden Seiten sangen die Vögel aus dem Walde , der Widerhall von dem Rufen und Schießen irrte weit in den Bergen umher , ein frischer Wind strich über das Wasser , und so fuhren die Studenten in ihren bunten , phantastischen Trachten wie das Schiff der Argonauten .
Und so fahre denn , frische Jugend !
Glaube es nicht , daß es einmal anders wird auf Erden .
Unsere freudigen Gedanken werden niemals alt und die Jugend ist ewig .
Wer von Regensburg her auf der Donau hinabgefahren ist , der kennt die herrliche Stelle , welche der Wirbel genannt wird .
Hohe Bergschluften umgeben den wunderbaren Ort .
In der Mitte des Stromes steht ein seltsam geformter Fels , von dem ein hohes Kreuz Trost- und Friedenreich in den Sturz und Streit der empörten Wogen hinabschaut .
Kein Mensch ist hier zu sehen , kein Vogel singt , nur der Wald von den Bergen und der furchtbare Kreis , der alles Leben in seinen unergründlichen Schlund hinabzieht , rauschen hier seit Jahrhunderten gleichförmig fort .
Der Mund des Wirbels öffnet sich von Zeit zu Zeit dunkelblickend , wie das Auge des Todes .
Der Mensch fühlt sich auf einmal verlassen in der Gewalt des feindseligen , unbekannten Elements , und das Kreuz auf dem Felsen tritt hier in seiner heiligsten und größten Bedeutung hervor .
Alle wurden bei diesem Anblicke still und atmeten tief über dem Wellenrauschen .
Hier bog plötzlich ein anderes fremdes Schiff , daß sie lange in weiter Entfernung verfolgt hatte , hinter ihnen um die Felsenecke .
Eine hohe , junge , weibliche Gestalt stand ganz vorn auf dem Verdecke und sah unverwandt in den Wirbel hinab .
Die Studenten waren von der plötzlichen Erscheinung in dieser dunkelgrünen Öde überrascht und brachen einmütig in ein freudiges Hurra aus , daß es weit an den Bergen hinunterschallte .
Da sah das Mädchen auf einmal auf , und ihre Augen begegneten Friedrichs Blicken .
Er fuhr innerlichst zusammen .
Denn es war , als deckten ihre Blicke plötzlich eine neue Welt von blühender Wunderpracht , uralten Erinnerungen und niegekannten Wünschen in seinem Herzen auf .
Er stand lange in ihrem Anblick versunken , und bemerkte kaum , wie indes der Strom nun wieder ruhiger geworden war und zu beiden Seiten schöne Schlösser , Dörfer und Wiesen vorüberflogen , aus denen der Wind das Geläute weidender Herden herüberwehte .
Sie fuhren so eben an einer kleinen Stadt vorüber .
Hart am Ufer war eine Promenade mit Alleen .
Herren und Damen gingen im Sonntagsputze spazieren , führten einander , lachten , grüßten und verbeugten sich hin und wieder , und eine lustige Musik schallte aus dem bunten , fröhlichen Schwalle .
Das Schiff , worauf die schöne Unbekannte stand , folgte unseren Reisenden immerfort in einiger Entfernung nach .
Der Strom war hier so breit und spiegelglatt wie ein See .
Da ergriff einer von den Studenten seine Gitarre , und sang der Schönen auf dem anderen Schiffe drüben lustig zu :
Die Jäger zieh 'n in grünen Wald Und Reiter blitzend über es Feld , Studenten durch die ganze Welt , So weit der blaue Himmel wallt .
Der Frühling ist der Fleudensaal , Viel tausend Vöglein spielen auf , Da schallt im Wald bergab , bergauf : Grüß ' dich , mein Schatz , viel tausendmal !
Sie bemerkten wohl , daß die Schöne allezeit zu ihnen herübersah , und alle Herzen und Augen waren wie frische junge Segel nach ihr gerichtet .
Das Schiff näherte sich ihnen hier ganz dicht .
Wahrhaftig , ein schönes Mädchen ! riefen einige , und der Student sang weiter :
Viel rüstige Bursche ritterlich , Die fahren hier in Stromes Mit , Wie wilde sie auch stellen sich , Trau mir , mein Kind , und fürchte dich nicht !
Querüber übers Wasser glatt Laß werben deine Äuglein , Und der dir wohlgefallen hat , Der soll dein lieber Buhle sein .
Hier näherten sich wieder die Schiffe einander .
Die Schöne saß vorn , wagte es aber in dieser Nähe nicht aufzublicken .
Sie hatte das Gesicht auf die andere Seite gewendet , und zeichnete mit ihrem Finger auf dem Boden .
Der Wind wehte die Töne zu ihr herüber , und sie verstand wohl alles , als der Student wieder weiter sang :
Durch Nacht und Nebel schleiche ich sacht , Kein Lichtlein brennt , kalt weht der Wind , Riegel auf , Riegel auf bei stiller Nacht , Weil wir so jung beisammen sind !
Ade nun , Kind , und nicht geweint !
Schon gehen Stimmen da und dort , Hoch über 'n Wald Aurora scheint , Und die Studenten reisen fort .
So war es endlich Abend geworden , und die Schiffer lenkten ans Ufer .
Alles stieg aus , und begab sich in ein Wirtshaus , das auf einer Anhöhe an der Donau stand .
Diesen Ort hatten die Studenten zum Ziele ihrer Begleitung bestimmt .
Hier wollten sie morgen früh den Grafen verlassen und wieder zurückreisen .
Sie nahmen sogleich Beschlag von einem geräumigen Zimmer , dessen Fenster auf die Donau hinausgingen .
Friedrich folgte ihnen erst etwas später von den Schiffen nach .
Als er die Stiege hinauf ging , öffnete sie seitwärts eine Türe , und die unbekannte Schöne , die auch hier eingekehrt war , trat eben aus dem erleuchteten Zimmer .
Beide schienen über einander erschrocken .
Friedrich grüßte sie , sie schlug die Augen nieder und kehrte schnell wieder in das Zimmer zurück .
Unterdes hatten sich die lustigen Gesellen in ihrer Stube schon ausgebreitet .
Da lagen Jacken , Hüte , Federbüsche , Tabakspfeifen und blanke Schwerter in der buntesten Verwirrung umher , und die Aufwärterin trat mit heimlicher Furcht unter die wilden Gäste , die halbentkleidet auf Betten , Tischen und Stühlen , wie Soldaten nach einer blutigen Schlacht , gelagert waren .
Es wurde bald Wein angeschafft , man setzte sich in die Runde , sang und trank des Grafen Gesundheit .
Friedrich'n war heute dabei sonderbar zu Mute .
Er war seit mehreren Jahren diese Lebensweise gewohnt , und das Herz war ihm jedesmal aufgegangen , wie diese freie Jugend ihm so keck und mutig ins Gesicht sah .
Nun , da er von dem allem auf immer Abschied nehmen sollte , war ihm wie einem , der von einem lustigen Maskenballe auf die Gasse hinaustritt , wo sich alles nüchtern fortbewegt wie vorher .
Er schlich sich unbemerkt aus dem Zimmer und trat hinaus auf den Balkon , der von dem Mittelgange des Hauses über die Donau hinausgieng .
Der Gesang der Studenten , zuweilen von dem Geklirre der Hieber unterbrochen , schallte aus den Fenstern , die einen langen Schein in das Tal hinaus warfen .
Die Nacht war sehr finster .
Als er sich über das Geländer hinauslehnte , glaubte er neben sich atmen zu hören .
Er langte nach der Seite hin und ergriff eine kleine , zarte Hand .
Er zog den weichen Arm näher an sich , da funkelten ihn zwei Augen durch die Nacht an .
Er erkannte an der hohen Gestalt sogleich das schöne Mädchen von dem anderen Schiffe .
Er stand so dicht vor ihr , daß ihn ihr Atem berührte .
Sie litt es gern , daß er sie noch näher an sich zog , und ihre Lippen kamen zusammen .
Wie heißen Sie ? fragte Friedrich endlich .
Rosa , sagte sie leise und bedeckte ihr Gesicht mit beiden Händen .
In diesem Augenblicke ging die Stubentür auf , ein verworrener Schwall von Licht , Tabaksdampf und verschiedenen tosenden Stimmen quoll heraus , und das Mädchen war verschwunden , ohne daß Friedrich sie halten konnte .
Erst lange Zeit nachher ging auch er wieder in sein Zimmer zurück .
Aber da war indes alles still geworden .
Das Licht war bis an den Leuchter ausgebrannt , und warf , manchmal noch aufflackernd , einen flüchtigen Schein über das Zimmer und die Studenten , die zwischen Trümmern von Tabakspfeifen , wie Tote , umherlagen und schliefen .
Friedrich machte daher die Türe leise zu , und begab sich wieder auf den Balkon hinaus , wo er die Nacht zuzubringen beschloß .
Entzückt in allen seinen Sinnen , schaute er da in die stille Gegend hinaus .
Fliegt nur , ihr Wolken , rief er aus , rauscht nur und rührt euch recht , ihr Wälder !
Und wenn alles auf Erden schläft , ich bin so wach , daß ich tanzen möchte !
Er warf sich auf die steinerne Bank hin , wo das Mädchen gesessen hatte , lehnte die Stirn ans Geländer und sang still in sich verschiedene alte Lieder , und jedes gefiel ihm heute besser und rührte ihn neu .
Das Rauschen des Stromes und die ziehenden Wolken schifften in seine fröhlichen Gedanken hinein ; im Hause waren längst alle Lichter verlöscht .
Die Wellen plätscherten immerfort so einförmig unten an den Steinen , und so schlummerte er endlich träumend ein .
Zweites Kapitel .
Als die ersten Strahlen der Sonne in die Fenster schienen , erhob sich ein Student nach dem anderen von seinem harten Lager , riß das Fenster auf und dehnte sich in den frischen Morgen hinaus .
Auch Friedrich befand sich wieder unter ihnen ; denn eine Nachtigall , welche die ganze Nacht unermüdlich vor dem Hause sang , hatte ihn draußen geweckt , und die kühle , der Morgenröte vorausfliegende , Luft in die wärmere Stube getrieben .
Singen , Lachen und muntere Reden erfüllten nun bald wieder das Zimmer .
Friedrich überdachte seine Begebenheit in der Nacht .
Es war ihm , als erwachte er aus einem Rausche , als wäre die schöne Rosa , ihr Kuß und alles nur ein Traum gewesen .
Der Wirt trat mit der Rechnung herein .
Wer ist das Frauenzimmer , fragte Friedrich , die gestern Abends mit uns angekommen ist ?
Ich kenne kenne sie nicht , antwortete der Wirt , aber eine vornehme Dame muß sie sein , denn ein Wagen mit vier Pferden und Bedienten hat sie noch lange vor Tagesanbruch von hier abgeholt .
-- Friedrich blickte bei diesen Worten durch s offene Fenster auf den Strom und die Berge drüben , welche heute Nacht stille Zeugen seiner Glückseligkeit gewesen waren .
Jetzt sah da draußen alles anders aus , und eine unbeschreibliche Bangigkeit flog durch sein Herz .
Die Pferde , welche die Studenten hierher bestellt hatten , um darauf wieder zurückzureiten , harrten ihrer schon seit gestern unten .
Auch Friedrich hatte sich ein schönes , munteres Pferd gekauft , auf dem er nun ganz allein seine Reise fortsetzen wollte .
Die Reisebündel daher nun schnell zusammengeschnürt , die langen Sporen umgeschnallt und alles schwang sich auf die rüstigen Klepper .
Die Studenten beschlossen , den Grafen noch eine kleine Strecke landeinwärts zu geleiten , und so ritt denn der ganze bunte Trupp in den heiteren Morgen hinein .
An einem Kreuzwege hielten sie endlich still und nahmen Abschied .
Lebe wohl , sagte einer von den Studenten zu Friedrich'n , du kommst nun in fremde Länder , unter fremde Menschen , und wir sehen einander vielleicht nie mehr wieder .
Vergiß uns nicht !
Und wenn du einmal auf deinen Schlössern hausest , werde nicht wie alle andere , werde niemals ein trauriger , vornehmer , schmunzelnder , bequemer Philister !
Denn , bei 2 meiner Seele , du warst doch der beste und bravste Kerl unter uns allen .
Reise mit Gott !
Hier schüttelte jeder dem Grafen vom Pferde noch einmal die Hand und sie und Friedrich sprengten dann in entgegengesetzten Richtungen von einander .
Als er so eine Weile fortgeritten war , sah er sie noch einmal , wie sie eben , schon fern , mit ihren bunten Federbüschen über einen Bergrücken fortzogen .
Sie sangen ein bekanntes Studentenlied , dessen Schlußchor :
In es Horn , ins Horn , ins Jägerhorn ! der Wind zu ihm herüber brachte .
Ade , ihr rüstigen Gesellen , rief er gerührt ; Ade , du schöne , freie Zeit !
Der herrliche Morgen stand flammend vor ihm .
Er gab seinem Pferde die Sporen , um den Tönen zu entkommen , und ritt , daß der frische Wind an seinem Hute pfiff .
Wer Studenten auf ihren Wanderungen sah , wie sie frühmorgens aus dem dunklen Tore ausziehen und den Hut schwenken in der frischen Luft , wie sie wohlgemut und ohne Sorgen über die grüne Erde reisen , und die unbegrenzten Augen an blauem Himmel , Wald und Fels sich noch erquicken , der mag gern unseren Grafen auf seinem Zuge durch das Gebirge begleiten .
Er ritt jetzt langsam weiter .
Bauern ackerten , Hirten trieben ihre Herden vorüber .
Die Frühlingssonne schien warm über die dampfende Erde , Bäume , Gras und Blumen äugelten dazwischen mit blitzenden Tropfen , unzählige Lerchen schwirrten durch die laue Luft .
Ihm war recht innerlichst fröhlich zu Mute .
Tausend Erinnerungen , Entwürfe und Hoffnungen zogen wie ein Schattenspiel durch seine bewegte Brust .
Das Bild der schönen Rosa stand wieder ganz lebendig in ihm auf , mit aller Farbenpracht des Morgens gemalt und geschmückt .
Der Sonnenschein , der laue Wind und Lerchensang verwirrte sich in das Bild , und so entstand in seinem glücklichen Herzen folgendes Liedchen , das er immerfort laut vor sich hersang : Grüß ' euch aus Herzensgrund :
Zwei Augen hell und rein , Zwei Röschen auf dem Mund , Kleid blank aus Sonnenschein !
Nachtigall klagt und weint , Wollüstig rauscht der Hain , Alles die Liebste meint : Wo weilt sie so allein ?
Weil_es draußen finster war , Sah ich viel helleren Schein , Jetzt ist es Licht und klar , Ich muß im Dunklen sein .
Sonne nicht steigen mag , Sieht so verschlafen drein , Wünschet den ganzen Tag , Daß wieder Nacht möchte sein .
Liebe geht durch die Luft , Holt fern die Liebste ein ; Fort über Berg und Kluft !
Und Sie wird doch noch mein !
2 * Das Liedchen gefiel ihm so wohl , daß er seine Schreibtafel herauszog um es aufzuschreiben .
Da er aber die flüchtigen Worte anfing bedächtig aufzuzeichnen und nicht mehr sang , mußte er über sich selber lachen und löschte alles wieder aus .
Der Mittag war unterdes durch die kühlen Waldschluften fast unvermerkt vorübergezogen .
Da erblickte Friedrich mit Vergnügen einen hohen , bepflanzten Berg , der ihm als ein berühmter Belustigungsort dieser Gegend anempfohlen worden war .
Farbige Lusthäuser blickten von dem schattigen Gipfel ins Tal herab .
Rings um den Berg herum wand sich ein Pfad hinauf , auf dem man viele Frauenzimmer mit ihren bunten Tüchern in der Grüne wallfahrten sah .
Der Anblick war sehr freundlich und einladend .
Friedrich lenkte daher sein Pferd um , und ritt mit dem fröhlichen Zuge hinan , sich erfreuend , wie bei jedem Schritte der Kreis der Aussicht ringsum sich erweiterte .
Noch angenehmer wurde er überrascht , als er endlich den Gipfel erreichte .
Da war ein weiter , schöner und kühler Rasenplatz .
An kleinen Tischchen fassen im Freien verschiedene Gesellschaften umher und speisten in lustigem Gespräch .
Kinder spielten auf dem Rasen , ein alter Mann spielte die Harfe und sang .
Friedrich ließ sich sein Mittagmahl ganz allein in einem Sommerhäuschen bereiten , das am Abhange des Berges stand .
Er machte alle Fenster weit auf . so daß die Luft überall durchstrich , und er von allen Seiten die Landschaft und den blauen Himmel sah .
Kühler Wein und hellgeschliffene Gläser blink ten von dem Tische .
Er trank seinen fernen Freunden und seiner Rosa in Gedanken zu .
Dann stellte er sich ans Fenster .
Man sah von dort weit in das Gebirge .
Ein Strom ging in der Tiefe , an welchem eine hellglänzende Landstraße hinablief .
Die heißen Sonnenstrahlen schillerten über dem Tale , die ganze Gegend lag unten in schwüler Ruhe .
draußen vor der offenen Türe spielte und sang der Harfenist immerfort .
Friedrich sah den Wolken nach , die nach jenen Gegenden hinaussegelten , die er selber auch bald begrüßen sollte .
O Leben und Reisen , wie bist du schön ! rief er freudig , zog dann seinen Diamant vom Finger und zeichnete den Namen Rosa in die Fensterscheibe .
Bald darauf wurde er unten mehrere Reuter gewahr , die auf der Landstraße schnell dem Gebirge zu vorüberflogen .
Er verwandte keinen Blick davon .
Ein Mädchen hoch und schlank , ritt den anderen voraus und sah flüchtig mit den frischen Augen den Berg hinan , gerade auf den Fleck , wo Friedrich stand .
Der Berg war hoch , die Entfernung und Schnelligkeit groß ; doch glaubte sie Friedrich mit Einem Blicke zu erkennen , es war Rosa .
Wie ein plötzlicher Morgenblick blitzte ihm dieser Gedanke fröhlich über die ganze Erde .
Er bezahlte eiligst seine Zeche , schwang sich auf sein Pferd , und stolperte so schnell als möglich den sich ewig windenden Bergpfad hinab ; seine Blicke und Gedanken flogen wie Adler von der Höhe voraus .
Als er sich endlich bis auf die Straße hinausgearbeitet hatte und freier Atem schöpfte , war die Reuterinn schon nicht mehr zu sehen .
Er setzte die Sporen tapfer ein und sprengte weiter fort .
Ein Weg ging links von der Straße ab in den Wald hinein .
Er erkannte an der frischen Spur der Roßeshufe , daß ihn die Reuter eingeschlagen hatten .
Er folgte ihm daher auch .
Als er aber eine große Strecke so fortgeritten war , teilten sich auf einmal wieder drei Wege nach verschiedenen Richtungen und keine Spur war weiter auf dem härteren Boden zu bemerken .
Fluchend und lachend zugleich vor Ungeduld , blieb er nun hier eine Weile stillstehen , wählte dann gelassener den Pfad , der ihm der anmutigste dünkte , und zog langsam weiter .
Der Wald wurde indes immer dunkler und dichter , der Pfad enger und wilder .
Er kam endlich an einen dunkelgrünen , kühlen Platz , der rings von Felsen und hohen Bäumen umgeben war .
Der einsame Ort gefiel ihm so wohl , daß er vom Pferde stieg , um hier etwas auszuruhen .
Er streichelte ihm den gebogenen Hals , zäumte es ab und ließ es frei weiden .
Er selbst legte sich auf den Rücken und sah dem Wolkenzuge zu .
Die Sonne neigte sich schon und funkelte schräge durch die dunklen Wipfeln , die sich leiserauschend hin und her bewegten .
Unzählige Waldvögel zwitscherten in lustiger Verwirrung durcheinander .
Er war so müde , er konnte sich nicht halten , die Augen sanken ihm zu .
Mitten im Schlummer kam es ihm manchmal vor , als höre er Hörner aus der Ferne .
Er hörte den Klang oft ganz deutlich und näher , aber er konnte sich nicht besinnen und schlummerte immer wieder von neuem ein .
Als er endlich erwachte , erschrak er nicht wenig , da es schon finstere Nacht und alles um ihn her still und öde war .
Er sprang erstaunt auf .
Da hörte er über sich auf dem Felsen zwei Männerstimmen , die ganz in der Nähe schienen .
Er rief sie an , aber niemand gab Antwort und alles war auf einmal wieder still .
Nun nahm er sein Pferd beim Zügel und setzte so seine Reise auf gut Glück weiter fort .
Mit Mühe arbeitete er sich durch die Rabennacht des Waldes hindurch und kam endlich auf einen weiten und freien Bergrücken , der nur mit kleinem Gesträuch bewachsen war .
Der Mond schien sehr hell , und der plötzliche Anblick des freien , grenzenlosen Himmels erfreute und stärkte recht sein Herz .
Die Ebene mußte sehr hoch liegen , denn er sah ringsumher eine dunkle Runde von Bergen unter sich ruhen .
Von der einen Seite kam der einförmige Schlag von Eisenhämmern aus der Ferne herüber .
Er nahm daher seine Richtung dorthin .
Sein und seines Pferdes Schatten , wie er so fortschritt , strichen wie dunkle Riesen über die Heide vor ihm her und das Pferd fuhr oft schnaubend und sträubig zusammen .
So , sagte Friedrich , dessen Herz recht weit und vergnügt war , so muß vor vielen hundert Jahren den Rittern zu Mute gewesen sein , wenn sie bei stiller , nächtlicher Weile über diese Berge zogen und auf Ruhm und große Taten sannen .
So voll adeliger Gedanken und Gesinnungen mag mancher auf diese Wälder und Berge hinuntergesehen haben , die noch immer dastehen , wie damals .
Was mühn wir uns doch ab in unseren besten Jahren , lernen , polieren und feilen , um uns zu rechten Leuten zu machen , als furchteten oder schämten wir uns vor uns selbst , und wollten uns daher hinter Geschicklichkeiten verbergen und zerstreuen , anstatt daß es darauf ankäme , sich innerlichst nur recht zusammenzunehmen zu hohen Entschließungen und einem tugendhaften Wandel .
Denn wahrhaftig , ein ruhiges , tapferes , tüchtiges und ritterliches Leben ist jetzt jedem Manne , wie damals , vonnöten .
Jedes Weltkind sollte wenigstens jeden Monat Eine Nacht im Freien einsam durchwachen , um einmal seine eitlen Mühen und Künste abzustreifen und sich im Glauben zu stärken und zu erbauen .
Wie bin ich so fröhlich und erquickt !
Gebe mir Gott nur die Gnade , daß dieser Arm einmal was Rechtes in der Welt vollbringe !
Unter solchen Gedanken schritt er immer fort .
Der Fußsteg hatte sich indes immer mehr und mehr gesenkt , und er erblickte endlich ein Licht , das aus dem Tale heraufschimmerte .
Er eilte darauf los und kam an eine elende , einsame Waldschenke .
Er sah durch das kleine Fenster in die Stube hinein .
Da saß ein Haufen zerlumpter Kerls mit bärtigen Spitzbubengesichtern um einen Tisch und trank .
In allen Winkeln standen Gewehre angelehnt .
An dem hellen Kaminfeuer , das einen gräßlichen Schein über den Menschenklumpen warf , saß ein altes Weib gebückt , und zerrte , wie es schien , blutige Därme an den Flammen auseinander .
Ein Grausen überfiel den Grafen bei dem scheußlichen Anblick , er setzte sich rasch auf sein Pferd und sprengte querfeldein .
Das Rauschen und Klappen einer Wassermühle bestimmte seine Richtung .
Ein ungeheurer Hund empfing ihn dort an dem Hofe der Mühle .
Friedrich und sein Pferd waren zu ermattet , um noch weiter zu reisen .
Er pochte daher an die Haustür .
Eine rauhe Stimme antwortete von innen , bald darauf ging die Türe auf , und ein langer , hagerer Mann trat heraus .
Er sah Friedrich'n , der ihn um Herberge bat , von oben bis unten an , nahm dann sein Pferd und führte es stillschweigend nach dem Stalle .
Friedrich ging nun in die Stube hinein .
Ein Frauenzimmer stand drinnen und pickte Feuer .
Er bemerkte bei den Blitzen der Funken ein junges und schönes Mädchengesicht .
Als sie das Licht angezündet hatte , betrachtete sie den Grafen mit einem freudigen Erstaunen , das ihr fast den Atem zu verhalten schien .
Darauf ergriff sie das Licht und führte ihn , ohne ein Wort zu sagen , die Stiege hinauf in ein geräumiges Zimmer mit mehreren Betten .
Sie war barfuß und Friedrich bemerkte , als sie so vor ihm hergieng , daß sie nur im Hemde war und den Busen fast ganz bloß hatte .
Er ärgerte sich über die Frechheit bei solcher zarten Jugend .
Als sie oben in der Stube waren , blieb das Mädchen flehen und sah den Grafen furchtsam an .
Er hielt sie für ein verliebtes Ding .
Gehe , sagte er gutmütig , gehe schlafen , liebes Kind .
Sie sah sich nach der Türe um , dann wieder nach Friedrich'n .
Ach , Gott ! sagte sie endlich , legte die Hand aufs Herz und ging zaudernd fort .
Friedrich'n kam ihr Benehmen sehr sonderbar vor , denn es war ihm nicht entgangen , daß sie beim Hinausgehen an allen Gliedern zitterte .
Mitternacht war schon vorbei .
Friedrich war überwacht und von den verschiedenen Begegnungen viel zu sehr aufgeregt , um schlafen zu können .
Er setzte sich ans offene Fenster .
Das Wasser rauschte unten über ein Wehr .
Der Mond blickte seltsam und unheimlich aus dunklen Wolken , die schnell über den Himmel flogen .
Er sang :
Er reitet Nachts auf einem braunen Roß , Er reitet vorüber an manchem Schloß :
Schlafe droben , mein Kind , bis der Tag erscheint , Die finstere Nacht ist des Menschen Feind !
Er reitet vorüber an einem Teich , Da steht ein schönes Mädchen bleich Und singt , ihr Hemdlein flattert im Wind , Vorüber , vorüber , mir graut vor dem Kind !
Er reitet vorüber an einem Fluß , Da ruft ihm der Wassermann seinen Gruß , Taucht wieder unter dann mit Gesause , Und stille wird es über dem kühlen Haus .
Wann Tag und Nacht in verworrenem Streit , Schon Hähne krähen in Dörfern weit , Da schauert sein Roß und wühlet hinab , Scharret ihm schnaubend sein eigenes Grab .
Er mochte ungefähr eine Stunde so gesessen haben , als der große Hund unten im Hofe ein Paarmal anschlug .
Bald darauf kam es ihm vor , als hörte er draußen mehrere Stimmen .
Er horchte hinaus , aber alles war wieder still .
Eine Unruhe bemächtigte sich seiner , er stand vom Fenster auf , untersuchte seine geladenen Taschenpistolen und legte seinen Reisesäbel auf den Tisch .
In diesem Augenblicke ging auch die Türe auf , und mehrere wilde Männer traten herein .
Sie blieben erschrocken stehen , da sie den Grafen wach fanden .
Er erkannte sogleich die fürchterlichen Gesichter aus der Waldschenke und seinen Hauswirt , den langen Müller , mitten unter ihnen .
Dieser faßte sich zuerst und drückte unversehens eine Pistole nach ihm ab .
Die Kugel prellte neben seinem Kopfe an die Mauer .
Falsch gezielt , heimtückischer Hund ! schrie der Graf außer sich vor Zorn und schoß den Kerl durch es Hirn .
Darauf ergriff er seinen Säbel , stürzte sich in den Haufen hinein und warf die Räuber , rechts und links mit in die Augen gedrücktem Hute um sich herumhauend , die Stiege hinunter .
Mitten in dem Gemetzel glaubte er das schöne Müllermädchen wieder zu sehen .
Sie hatte selber ein Schwert in der Hand , mit dem sie sich hochherzig , den Grafen verteidigend , zwischen die Verräter warf .
Unten an der Stiege endlich , da alles , was noch laufen konnte , Reißaus genommen hatte , sank er , von vielen Wunden und Blutverluste ermattet , ohne Bewußtsein nieder .
Drittes Kapitel .
Als Friedrich wieder das erstemal die Augen aufschlug und mit gesunden Sinnen in der Welt umherschauen konnte , erblickte er sich in einem unbekannten , schönen und reichen Zimmer .
Die Morgensonne schien auf die seidenen Vorhänge seines Bettes ; sein Kopf war verbunden .
Zu den Füßen des Bettes kniete ein schöner Knabe , der den Kopf auf beide Arme an das Bett gelehnt hatte und schlief .
Friedrich wußte sich in diese Verwandlungen nicht zu finden .
Er sann nach , was mit ihm vorgegangen war .
Aber nur die fürchterliche Nacht in der Waldmühle mit ihren Mordgesichtern stand lebhaft vor ihm , alles übrige schien wie ein schwerer Traum .
Verschiedene fremde Gestalten aus dieser letzten Zeit waren ihm wohl dunkel erinnerlich , aber er konnte keine unterscheiden .
Nur eine einzige ungewisse Vorstellung blieb ihm lieblich getreu .
Es war ihm nämlich immer vorgekommen , als hätte sich ein wunderschönes Engelsbild über ihn geneigt , so daß ihn die langen , reichen Locken rings umga gaben , und die Worte , die es sprach , flogen wie Musik über ihn weg .
Da er sich nun recht leicht und neugestärkt spürte , stieg er aus dem Bette und trat ans Fenster .
Er sah da , daß er sich in einem großen Schlosse befand .
Unten lag ein schöner Garten ; alles war noch still , nur Vögel flatterten auf den einsamen , kühlen Gängen , der Morgen war überaus heiter .
Der Knabe an dem Bette war indes auch aufgewacht .
Gott sei Dank ! rief er aus Herzensgrunde , als er die Augen aufschlug und den Grafen aufgestanden und munter erblickte .
Friedrich glaubte , sein Gesicht zu kennen , doch konnte er sich durchaus nicht besinnen , wo er es gesehen hatte .
Wo bin ich ? fragte er endlich erstaunt .
Gott sei Dank ! wiederholte der Knabe nur , und sah ihn mit seinen großen , fröhlichen Augen noch immer unverwandt an , als könnte er sich gar nicht in die Freude finden , ihn wirklich wieder hergestellt zu sehen .
Friedrich drang nun in ihn , ihm den Zusammenhäng dieser ganzen seltsamen Begebenheit zu entwirren .
Der Knabe besann sich einen Augenblick und erzählte dann :
Gestern früh , da ich eben in den Wald ging , sah ich Dich blutig und ohne Leben am Wege liegen .
Das Blut floß über den Kopf , ich verband die Wunde mit meinem Tuche so gut ich konnte .
Aber das Blut drang durch und floß immerfort , und ich versuchte alles vergebens , um es zu stillen .
Ich lief und rief nun in meiner Angst rings im Walde umher und betete und weinte dann wieder dazwischen , da ich mir gar nicht mehr zu helfen wußte .
Da kam auf einmal ein Wagen die Straße gefahren .
Eine Dame erblickte uns aus demselben und ließ sogleich stillhalten .
Die Bedienten verbanden die Wunde sehr geschickt .
Die Dame schien sehr verwundert und erschrocken über den Umstand .
Darauf nahm sie uns beide mit in den Wagen und führte uns hierher auf ihr Schloß .
Die Gräfin hat beinahe die ganze Nacht hindurch hier am Bette gewacht .
-- Friedrich dachte an das Engelsbild , das sich wie im Traume über sein Gesicht geneigt hatte , und war noch verwirrter , als vorher . --
Aber wer bist denn Du ? fragte er darauf den Knaben wieder .
Ich habe keine Eltern mehr , anwortete dieser , und schlug verwirrt die Augen nieder , ich ging eben über Land , um Dienste zu suchen .
Friedrich faßte den Furchtsamen bei beiden Händen : willst du bei mir bleiben ?
Ewig , mein Herr ! sagte der Knabe mit auffallender Heftigkeit .
Friedrich kleidete sich nun völlig an und verließ seine Stube , um sich hier umzusehen und über sein Verhältnis in diesem Schlosse auf irgend eine Art Gewißheit zu erlangen .
Er erstaunte über das Altfränkische der Bauart und der Einrichtung .
Die Gänge waren gewölbt , die Fenster in der dicken , dunklen Mauer alle oben in einen Bogen zugespitzt und mit kleinen , runden Scheiben versehen .
Wunderschöne Bilder von Glas füllten oben die Fenster bogen , die von der Morgensonne in den buntesten Farben brannten .
Alles im ganzen Hause war still .
Er sah zum Fenster hinaus .
Das alte Schloß stand von dieser Seite an dem Abhange eines hohen Berges , der , so wie das Tal , unten mit Schwarzwald bedeckt war , aus welchem die Klänge einsamer Holzhauer heraufschallten .
Gleich am Fenster über der schwindligen Tiefe war ein Ritter , der sein Schwert in den gefalteten Händen hielt , in Riesengröße , wie der steinerne Roland , in die Mauer gehauen .
Friedrich glaubte jeden Augenblick , das Burgfräulein , den hohen Spitzenkragen um daß schöne Gesicht , werde in einem der Gänge heraufkommen .
In der sonderbarsten Laune ging er nun die Stiege hinab und über eine Zugbrücke in den Garten hinaus .
Hier standen auf einem weiten Platze die sonderbarsten , fremden Blumenarten in phantastischem Schmucke .
Künstliche Brunnen sprangen , im Morgenscheine funkelnd , kühle hin und wieder .
Dazwischen sah man Pfauen in der Grüne weiden und stolz ihre tausendfarbigen Räder schlagen .
Im Hintergrunde saß ein Storch auf einem Beine und sah melancholisch in die weite Gegend hinaus .
Als sich Friedrich an dem Anblicke , den der frische Morgen prächtig machte , so ergötzte , erblickte er in einiger Entfernung vor sich einen Mann , der hinter einem Spaliere an einem Tischchen saß , das voll Papiere lag .
Er schrieb , blickte manchmal in die Gegend hinaus , und schrieb dann wieder emsig fort .
Friedrich wollte ausweichen , um ihn nicht zu stören , aber es war nur der einzige Weg und der Unbekannte hatte ihn auch schon erblickt .
Er ging daher auf ihn zu und grüßte ihn .
Der Schreiber mochte eine lange Unterhaltung befürchten .
Ich kenne Sie wahrhaftig nicht , sagte er halb ärgerlich , halb lachend , aber wenn Sie selbst Alexander der Große wären , so müßte ich Sie für jetzt nur bitten , mir aus der Sonne zu gehen .
Friedrich verwunderte sich höchlichst über diesen unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Gesellen sitzen , der sogleich wieder anfing zu schreiben .
Er kam nun an den Ausgang des Gartens , an den ein lustiges Wäldchen von Laubholz stieß .
An dem Saume des Waldes stand ein Jägerhaus , das ringsum mit Hirschgeweihen ausgeziert war .
Auf einer kleinen Wiese , welche vor dem Hause mitten zwischen dem Walde lag , saß ein schönes , kaum fünfzehnjähriges Mädchen auf einen , wie es schien , so eben erlegtem Rehe , streichelte das tote Tierchen und sang : Wäre ich ein munteres Hirschlein schlank , Wollte ich im grünen Walde Gehen , Spazieren gehe 'n bei Hörnerklang , Nach meinem Liebsten mich umsehen .
Ein junger Jäger , der seitwärts an einem Baume gelehnt stand und ihren Gesang mit dem Waldhorne begleitete , antwortete ihr sogleich nach derselben Melodie :
Nach Nach meiner Liebsten mich umsehe 'n Tue ' ich wohl , ziehe ich früh von hier , Doch Sie mag niemals zu mir gehe 'n Im dunkelgrünen Waldrevier .
Sie sang weiter :
Im dunkelgrünen Waldrevier , Da blitzt der Liebste rosenrot , Gefällt so sehr dem armen Tier , Das Hirschlein wünscht , es läge tot .
Der Jäger antwortete wieder : Und wäre das schöne Hirschlein tot , So möchte ich länger jagen nicht ; Scheint über_den Wald der Morgenrot : Hüte , schönes Hirschlein , hüte dich !
Sie .
Hüte schönes Hirschlein , hüte dich !
Spricht_es Hirschlein selbst in seinem Sinn , Wie soll ich , soll ich hüten mich , Wenn ich so sehr verliebet bin ?
Er .
Weil ich so sehr verliebet bin , Wollte ich das Hirschlein , schön und wild , Aufsuchen tief im Walde drin Und streicheln , bis es stille hielt .
Sie .
Ja , streicheln bis es stille hielt , Falsch locken so in Stall und Haus !
Zum Wald springt Hirschlein frei und wild Und lacht verliebte Narren aus. 3 Hierbei sprang sie von ihrem Rehe auf , denn Pferde , Hunde , Jäger und Waldhornsklänge stürzten auf einmal mit einem verworrenen Getöse , aus dem Walde heraus und verbreiteten sich bunt über die Wiese .
Ein sehr schöner , junger Mann in Jägerkleidung , und das Halstuch in einer unordentlichen Schleife herabhängend , schwang sich vom Pferde und eine Menge großer Hunde sprangen von allen Seiten freundlich an ihm herauf .
Friedrich erstaunte beim ersten Blick über die große Ähnlichkeit , die derselbe mit einem älteren Bruder hatte , den er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen , nur daß der Unbekannte hier frischer und freudiger anzusehen war .
Dieser kam sogleich auf ihn zu .
Es freut mich , sagte er , Sie so munter wieder zu finden .
Meine Schwester hat Sie unterwegs in einem schlimmen Zustande getroffen und gestern Abends zu mir auf mein Schloß gebracht .
Sie ist heute noch vor Tagesanbruch wieder fort .
Lassen Sie es sich bei uns gefallen , Sie werden lustige Leute finden .
Während ihm nun Friedrich eben noch für seine Güte dankte , brachte auf einmal der Wind aus dem Garten oben mehrere Blätter Papier , die hoch über ihre Köpfe weg nach einem nahe gelegenen Wasser zuflatterten .
Hinterdrein hörte man von oben eine Stimme : halte , halte , halte auf ! rufen , und der Mensch , den Friedrich im Garten schreibend angetroffen hatte , kam eilends nachgelaufen .
Leontin , so hieß der junge Graf , dem dieses Schloß gehörte , legte schnell seine Büchse an und schoß das unbändige Papier aus der Luft herab .
Das ist doch dumm , sagte der Nachsetzende , der unterdes atemlos angelangt war , da er die Blätter , auf welche Verse geschrieben waren , von den Schroten ganz durchlöchert erblickte .
Das schöne Mädchen , das vorher auf der Wiese gesungen hatte , stand hinter ihm und kickerte .
Er drehte sich geschwind herum und wollte sie küssen , aber sie entsprang in das Jägerhaus und guckte lachend hinter der halbgeöffneten Türe hervor .
Das ist der Dichter Faber , sagte Leontin , dem Grafen den Nachsetzenden vorstellend .
Friedrich erschrak recht über den Namen .
Er hatte viel von Faber gelesen ; manches hatte ihm gar nicht gefallen , vieles andere aber wieder so ergriffen , daß er oft nicht begreifen konnte , wie derselbe Mensch so etwas Schönes erfinden könne .
Und nun , da der wunderbare Mensch leibhaftig vor ihm stand , betrachtete er ihn mit allen Sinnen , als wollte er alle die Gedichte von ihm , die ihm am besten gefallen , in seinem Gesichte ablesen .
Aber da war keine Spur davon zu finden .
Friedrich hatte sich ihn ganz anders vorgestellt , und hätte viel darum gegeben , wenn es Leontin gewesen wäre , bei dessen lebendigem , erquicklichen Wesen ihm das Herz aufging .
Herr Faber erzählte nun lachend , wie ihn Friedrich in seiner Werkstatt überrascht habe .
Da sind Sie schön angekommen , sagte Leontin zu Friedrich'n , denn da sitzt Herr Faber wie die Löwin 3 * über ihren Jungen , und schlägt grimmig um sich .
-- So sollte jeder Dichter dichten , meinte Friedrich , am frühen Morgen , unter freiem Himmel , in einer schönen Gegend .
Da ist die Seele rüstig , und so wie dann die Bäume rauschen , die Vögel singen und der Jäger vor Lust in sein Horn stößt , so muß der Dichter dichten .
-- Sie sind ein Naturalist in der Poesie , entgegnete Faber mit einer etwas zweideutigen Miene .
-- Ich wünschte , fiel ihm Leontin ins Wort , Sie ritten lieber alle Morgen mit mir auf die Jagd , lieber Faber .
Der Morgen glüht Sie wie eine reizende Geliebte an , und Sie klecken ihr mit Tinte in das schöne Gesicht .
Faber lachte , zog eine kleine Flöte hervor und fing an darauf zu blasen .
Friedrich fand ihn in diesem Augenblicke sehr liebenswürdig .
Leontin trug dem Grafen an , mit ihm zu seiner Schwester hinüberzureiten , wenn er sich schon stark genug dazu fühlte .
Friedrich willigte mit Freuden ein , und bald darauf saßen beide zu Pferde .
Die Gegend war sehr heiter .
Sie ritten eben über einen weiten grünen Anger .
Friedrich fühlte sich bei dem schönen Morgen recht in allen Sinnen genesen , und freute sich über den anmutigen Leontin , wie das Pferd unter ihm mit gebogenem Halse über die Ebene hintanzte .
Meine Schwester , sagte Leontin unterwegs , und sah den Grafen mit verstecktem Lachen immerfort an , meine Schwester ist viel älter als ich , und , ich muß es nur im Voraus sagen , recht häßlich .
So ! sagte Friedrich , langsam und gedehnt , denn er hatte heimlich andere Erwartungen und Hoffnungen gehegt .
Er schwieg darauf still ; Leontin lachte und pfiff ein lustiges Liedchen .
Endlich sah man ein schönes , neues Schloß sich aus einem großen Park luftig erheben .
Es war das Schloß von Leontins Schwester .
Sie stiegen unten am Eingange des Parkes ab und gingen zu Fuß hinauf .
Der Garten war ganz im neuesten Geschmacke angelegt .
Kleine , sich schlängelnde Gänge , dichte Gebüsche von ausländischen Sträuchern , dazwischen leichte Brücken von weißem Birkenholze luftig geschwungen , waren recht artig anzuschauen .
Zwischen mehreren schlanken Säulen traten sie in das Schloß .
Es war ein großes , gemaltes Zimmer mit hellglänzendem Fußboden ; ein kristallener Lüster hing an der Decke und Ottomanen von reichen Stoffen standen an den Wänden umher .
Durch die hohe Glastüre übersah man den Garten .
Niemand , da es noch früh , war in der ganzen Reihe von prachtvollen Gemächern , die sich an dieses anschlossen , zu sehen .
Die Morgensonne , die durch die Glastüre schien , erfüllte das schöne Zimmer mit einem geheimnisvollen Helldunkel und beleuchtete eben eine Gitarre , die in der Mitte auf einem Tischchen lag .
Leontin nahm dieselbe und begab sich damit wieder hinaus .
Friedrich blieb in der Tür stehen , während Leontin sich draußen unter die Fenster stellte , in die Saiten griff und sang : Frühmorgens durch die Winde kühl Zwei Ritter hergeritten sind , Im Garten klingt ihr Saitenspiel , Wache auf , wache auf , mein schönes Kind !
Ringsum viel Schlösser schimmernd stehen , So silbern geht der Ströme Lauf , Hoch , weit rings Lerchenlieder wehen , Schließe Fenster , Herz und Äuglein auf !
Friedrich war gar nicht begierig , die alte Schöne kennen zu lernen , und blieb ruhig in der Türe stehen .
Da hörte er oben ein Fenster sich öffnen .
Guten Morgen , lieber Bruder ! sagte eine liebliche Stimme .
Leontin sang :
So wie du bist , verschlafen heiß , Laß allen Putz und Zier zu Haus , Tritt nur herfür im Hemdlein weiß , Siehst so gar schön verliebet aus .
Wenn du so garstig singst , sagte oben die liebliche Stimme , so lege ich mich gleich wieder schlafen .
Friedrich erblickte einen schneeweißen , vollen Arm im Fenster und Leontin sang wieder :
Ich habe einen Fremden wohl bei mir , Der lauert unten auf der Wacht , Der bittet schön dich um Quartier , Verschlafenes Kind , nimm dich in Acht !
Friedrich trat nun aus seinem Hinterhalte hervor und sah mit Erstaunen -- seine Rosa im Fenster .
Sie war in einem leichten Nachtkleide und dehnte sich eben mit aufgehobenen Armen in den frischen Morgen hinaus .
Als sie so unverhofft Friedrich'n erblickte , ließ sie mit einem Schrei die Arme sinken , schlug das Fenster zu und war verschwunden .
Leontin ging nun fort , um ein neues Pferd der Schwester im Hofe herumzutummeln und Friedrich blieb allein im Garten zurück .
Bald darauf kam die Gräfin Rosa in einem weißen Morgenkleide herab .
Sie hieß den Grafen mit einer Scham willkommen , die ihr unwiderstehlich schön stand .
Lange , dunkle Locken fielen zu beiden Seiten bis auf die Schultern und den blendendweißen Busen hinab .
Die schönste Reihe von Zähnen sah man manchmal zwischen den vollen roten Lippen hervorschimmern .
Sie atmete noch warm von der Nacht ; es war die prächtigste Schönheit , die Friedrich jemals gesehen hatte .
Sie gingen nebeneinander in den Garten hinein .
Der Morgen blitzte herrlich über die ganze Gegend , aus allen Zweigen jubelten unzählige Vögel .
Sie setzten sich in einer dichten Laube auf eine Rasenbank .
Friedrich dankte ihr für ihr hülfreiches Mitleid und sprach dann von seiner schönen Donaureise .
Die Gräfin saß , während er davon erzählte , beschämt und still , hatte die langen Augenwimper niedergeschlagen , und wagte kaum zu atmen .
Als er endlich auch seiner Wunde erwähnte , schlug sie auf einmal die großen schönen Augen auf , um die Wunde zu betrachten .
Ihre Augen , Locken und Busen kamen ihm dabei so nahe , daß sich ihre Lippen fast berührten .
Er küßte sie auf den roten Mund und sie gab ihm den Kuß wieder .
Da nahm er sie in beide Arme und küßte sie unzähligemal und alle Freuden der Welt verwirrten sich in diesen einen Augenblick , der niemals zum zweitenmal wiederkehrt .
Rosa machte sich endlich los , sprang auf und lief nach dem Schlosse zu .
Leontin kam ihr eben von der anderen Seite entgegen , sie rannte in der Verwirrung gerade in seine ausgebreiteten Arme hinein .
Er gab ihr schnell einen Kuß und kam zu Friedrich'n , um mit ihm wieder nach Hause zu reiten .
Als Friedrich wieder draußen im Freien zu Pferde saß , besann er sich erst recht auf sein ganzes Glück .
Mit unbeschreiblichem Entzücken betrachtete er Himmel und Erde , die im reichsten Morgenschmucke vor ihm lagen .
Sie ist mein ! rief er immerfort still in sich , sie ist mein !
Leontin wiederholte lachend die Beschreibung von der Häßlichkeit seiner Schwester , die er vorhin beim Herritt dem Grafen gemacht hatte , jagte dann weit voraus , setzte mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und Kühnheit über Zäune und Gräben und trieb allerlei Schwänke .
Als sie bei Leontins Schlosse ankamen , hörten sie schon von ferne ein unbegreifliches , verworrenes Getöse .
Ein Waldhorn raste in den unbändigsten , falschesten Tönen , dazwischen hörte man eine Stimme , die unaufhörlich fortschimpfte .
Da hat gewiß wieder Faber was angestellt , sagte Leontin .
Und es fand sich wirklich so .
Herr Faber hatte sich nämlich in ihrer Abwesenheit niedergesetzt , um ein Waldhornecho zu dichten .
Zum Unglück fiel es zu gleicher Zeit einem von Leontins Jägern ein , nicht weit davon wirklich auf dem Waldhorn zu blasen .
Faber störte die nahe Musik , er rief daher ungeduldig dem Jäger zu , stille zu sein .
Dieser aber , der sich , wie fast alle Leute Leontins , über Herrn Faber von jeher ärgerte , weil er immer mit der Feder hinterm Ohr so erbärmlich aussah , gehorchte nicht .
Da sprang Faber auf und überhäufte ihn mit Schimpfreden .
Der Jäger , um ihn zu übertäuben , schüttelte nun statt allen Antwort einen ganzen Schwall von verworrenen und falschen Tönen aus seinem Horne , während Faber , im Gesichte überrot vor Zorn , vor ihm stand und gestikulierte .
Als der Jäger jetzt seinen Herrn erblickte , endigte er seinen Spaß und ging fort .
Faber 'n aber hatte indes , so boshaft er auch aussah , schon längst der Zorn verlassen ; denn es waren ihm mitten in der Wut eine Menge witziger Schimpfwörter und komischer Grobheiten in den Sinn gekommen , und er schimpfte tapfer fort , ohne mehr an den Jäger zu denken , und brach endlich in ein lautes Gelächter aus , in das Leontin und Friedrich von Herzen mit einstimmten .
Am Abend saßen Leontin , Friedrich und Faber zusammen an einem Feldtische auf der Wiese am Jägerhause und aßen und tranken .
Das Abendrot schaute glühend durch die Wipfel des Tannenwaldes , welcher die Wiese ringsumher ein schloß .
Der Wein erweiterte ihre Herzen und sie waren alle drei wie alte Bekannte mit einander .
Das ist wohl ein rechtes Dichterleben , Herr Faber , sagte Friedrich vergnügt . --
Immer doch , hob Faber ziemlich pathetisch an , höre ich das Leben und Dichten verwechseln . --
Aber , aber , bester Herr Faber , fiel ihm Leontin schnell ins Wort , dem jeder ernsthafte Diskurs über Poesie die Brust zusammenschnürte , weil er selber nie ein Urteil hatte .
Er pflegte daher immer mit Witzen , Radottements , dazwischen zu fahren , und fuhr auch jetzt , geschwind unterbrechend , fort :
ihr verwechselt mit euren Wortwechseleien alles so , daß man am Ende seiner selbst nicht sicher bleibt .
Glaubte ich doch einmal in allem Ernste , ich sei die Weltseele , und wußte vor lauter Welt nicht , ob ich eine Seele hatte oder umgekehrt .
Das Leben aber , mein bester Herr Faber , mit seinen bunten Bildern , verhält sich zum Dichter , wie ein unübersehbar weitläufiges Hyerogliphenbuch von einer unbekannten , lange untergegangenen Ursprache zum Leser .
Da sitzen von Ewigkeit zu Ewigkeit die redlichsten , gutmütigsten Weltnarren , die Dichter , und lesen und lesen .
Aber die alten , wunderbaren Worte der Zeichen sind unbekannt und der Wind weht die Blätter des großen Buches so schnell und verworren durcheinander , daß einem die Augen Übergehen .
-- Friedrich sah Leontin groß an , es war etwas in seinen Worten , das ihn ernsthaft machte .
Faber aber , dem Leontin zu schnell gesprochen zu haben schien , spann gelassen seinen vorigen Diskurs wieder an : Ihr haltet das Dichten für eine gar so leichte Sache , weil es flüchtig aus der Feder fließt , aber keiner bedenkt , wie das Kind , vielleicht vor vielen Jahren schon in Lust empfangen , dann wie in Mutterleibe mit Freuden und Schmerzen ernährt und gebildet wird , ehe es aus seinem stillen Hause das fröhliche Licht des Tages begrüßt . --
Das ist ein langweiliges Kind , unterbrach ihn Leontin munter , wäre ich so eine schwangere Frau , als Sie da sagen , da lachte ich mich gewiß , wie Philine , vor dem Spiegel über mich selber zu Tode , ehe ich mit dem ersten Verse niederkäme .
-- Hier erblickte er ein Paket Papiere , das aus Fabers Rocktasche hervorragte ; eines davon war :
" an die Deutschen , " überschrieben .
Er bat ihn , es ihnen vorzulesen .
Faber zog es heraus und las es .
Das Gedicht enthielt die Herausforderung eines bis zum Tode verwundeten Ritters an alle Feinde der deutschen Ehre .
Leontin sowohl als Friedrich erstaunten über die Gediegenheit und männliche Tiefe der Romanze und fühlten sich wahrhaft erbaut .
Wer sollte es glauben , sagte Leontin , daß Herr Faber diese Romanze zu eben der Zeit verfertiget hat , als er Reißaus nahm , um nicht mit gegen die Franzosen zu Felde zieh 'n zu dürfen .
Faber nahm darauf ein anderes Blatt zur Hand und las ihnen ein Gedicht vor , in welchem er sich selber mit höchst komischer Laune in diesem seinen feigherzigen Widerspruche darstellte , worin aber mitten durch die lustigen Scherze ein tiefer Ernst wie mit großen , frommen Augen ruhend und ergreifend hin durchschaute .
Friedrich'n ging jeder Vers dieses Gedichtes schneidend durch es Herz .
Jetzt wurde es ihm auf einmal klar , warum ihm so viele Stellen und Einrichtungen in Fabers Schriften durchaus fremd blieben und mißfielen . --
Dem einen ist zu tun , zu schreiben mir gegeben , sagte Faber , als er ausgelesen hatte .
Poetisch sein und Poet sein , fuhr er fort , das sind zwei sehr verschiedene Dinge , man mag dagegen sagen , was man will .
Bei dem letzteren ist , wie selbst unser großer Meister Goethe eingesteht , immer etwas Taschenspielerei , Seiltänzerei u. s. w. mit im Spiele . --
Das ist nicht so , sagte Friedrich ernst und sicher , und wäre es , so möchte ich niemals dichten .
Wie wollt ihr , daß die Menschen eure Werke hochachten , sich daran erquicken und erbauen sollen , wenn ihr euch selber nicht glaubt , was ihr schreibt und durch schöne Worte und künstliche Gedanken Gott und Menschen zu überlisten trachtet ?
Das ist ein eitles , nichtsnutziges Spiel , und es hilft euch doch nichts , denn es ist nichts groß , als was aus einem einfältigen Herzen kommt .
Das heißt recht dem Teufel der Gemeinheit , der immer in der Menge wach und auf der Lauer ist , den Dolch selbst in die Hand geben gegen die göttliche Poesie .
Wo soll die rechte , schlichte Sitte , das treue Tun , das schöne Lieben , die deutsche Ehre und alle die alte herrliche Schönheit sich hinflüchten , wenn es ihre angeborenen Ritter , die Dichter , nicht wahr Haft ehrlich , aufrichtig und ritterlich mit ihr meinen ?
Bis in den Tod verhaßt sind mir besonders jene ewigen Klagen , die mit weinerlichen Sonetten die alte schöne Zeit zurückwinseln wollen , und , wie ein Strohfeuer , weder die Schlechten verbrennen , noch die Guten erleuchten und erwärmen .
Denn wie wenigen möchte doch das Herz zerspringen , wenn alles so dumm geht , und habe ich nicht den Mut , besser zu sein , als meine Zeit , so mag ich zerknirscht das Schimpfen lassen , denn keine Zeit ist durchaus schlecht .
Die heiligen Märtyrer , wie sie , laut ihren Erlöser bekennend , mit aufgehobenen Armen in die Todesflammen sprangen -- das sind des Dichters echte Brüder und er soll eben so fürstlich denken von sich , denn so wie sie den ewigen Geist Gottes auf Erden durch Taten ausdrückten , so soll er ihn aufrichtig in einer verwitterten , feindseligen Zeit durch rechte Worte und göttliche Erfindungen verkünden und verherrlichen .
Die Menge , nur auf weltliche Dinge erpicht , zerstreut und träge , sitzt gebückt und blind draußen im warmen Sonnenscheine und langt rührend nach dem ewigen Lichte , das sie niemals erblickt .
Der Dichter hat einsam die schönen Augen offen ; mit Demut und Freudigkeit betrachtet er , selber erstaunt , Himmel und Erde , und das Herz geht ihm auf bei der überschwänglichen Aussicht , und so besingt er die Welt , die , wie Memnons Bild , voll stummer Bedeutung , nur dann durch und durch erklingt wenn sie die Aurora eines dichterischen Gemütes mit ihren verwandten Strahlen berührt .
-- Leontin fiel hier dem Gra fen freudig um den Hals .
-- Schön , besonders zuletzt sehr schön gesagt , sagte Faber , und drückte ihm herzlich die Hand .
Sie meinen es doch alle beide nicht so , wie ich , fühlte und dachte Friedrich betrübt .
Es war unterdes schon dunkel geworden und der Abendstern funkelte vom heiteren Himmel über den Wald herüber .
Da wurde ihr Gespräch auf eine lustige Art unterbrochen .
Die kleine Marie , die am Morgen mit dem Jäger auf der Wiese gesungen , hatte sich nämlich als Jägerbursche angezogen .
Die Jäger jagten sie auf der Wiese herum , sie ließ sich aber nicht erhaschen , weil sie , wie sie sagte , nach Tabaksrauch röchen .
Wie ein gescheuchtes Reh kam sie endlich an dem Tische vorüber .
Leontin fing sie auf und setzte sie vor sich auf seinen Schoß .
Er strich ihr die Haare aus den munteren Augen und gab ihr aus seinem Glase zu trinken .
Sie trank viel und wurde bald ungewöhnlich beredt , daß sich alle über ihre liebenswürdige Lebhaftigkeit erfreuten .
Leontin fing an , von ihrer Schlafkammer zu sprechen und andere leichtfertige Reden vorzubringen , und als er sie endlich auch küßte , umklammerte sie mit beiden Armen heftig seinen Hals .
Friedrich'n schmerzte das ganze lose Spiel , so sehr es auch Faber'n gefiel , und er sprach laut von Verführen .
Marie hüpfte von Leontins Schoß , wünschte allen mit verschmitzten Augen eine gute Nacht und sprang fort ins Jägerhaus .
Leontin reichte Friedrich'n lächelnd die Hand und alle drei schieden von einander , um sich zur Ruhe zu begeben .
Faber sagte im Weggehen : seine Seele sei heute so wach , daß er noch tief in die Nacht hinein an einem angefangenen , großen Gedichte fortarbeiten wolle .
Als Friedrich in sein Schlafzimmer kam , stellte er sich noch eine Weile ans offene Fenster .
Von der anderen Seite des Schlosses schimmerte aus Fabers Zimmer ein einsames Licht in die stille Gegend hinaus .
Fabers Fleiß rührte den Grafen , und er kam ihm in diesem Augenblicke als ein höheres Wesen vor .
Es ist wohl groß , sagte er , so mit göttlichen Gedanken über dem weiten , stillen Kreis der Erde zu schweben .
Wache , sinne und bilde nur fleißig fort , fröhliche Seele , wenn alle die anderen Menschen schlafen !
Gott ist mit dir in deiner Einsamkeit und Er weiß es allein , was ein Dichter treulich will , wenn auch kein Mensch sich um dich bekümmert .
Der Mond stand eben über dem altertümlichen Turme des Schlosses , unten lag der schwarze Waldgrund in stummer Ruhe .
Die Fenster gingen nach der Gegend hinaus , wo die Gräfin Rosa hinter dem Walde wohnte .
Friedrich hatte Leontins Gitarre mit hinaufgenommen .
Er nahm sie in den Arm und sang :
Die Welt ruht still im Hafen , Mein Liebchen , gute Nacht !
Wann Wald und Berge schlafen , Treue Liebe einsam wacht .
Ich bin so wach und lustig , Die Seele ist so Licht , Und ehe ich liebt , da wusste ich Von solcher Freude nicht .
Ich fühle mich so befreiet Von eitlem Trieb und Streit , Nichts mehr das Herz zerstreuet In seiner Fröhlichkeit .
Mir ist , als müßte ich singen So recht aus tiefster Lust Von wunderbaren Dingen , Was niemand sonst bewußt .
O könnte ich alles sagen !
O wäre ich recht geschickt !
So muß ich still ertragen , Was mich so hoch beglückt .
Viertes Kapitel .
Friedrich gab Leontins Bitten , noch länger auf seinem Schlosse zu verweilen , gern nach .
Leontin hatte nach seiner raschen , fröhlichen Art bald eine wahre Freundschaft zu ihm gefaßt , und sie verabredeten miteinander , einen Streifzug durch das nahe Gebirge zu machen , das manches Sehenswerte enthielt .
Die Ausführung dieses Planes blieb indes von Tage zu Tage verschoben .
Bald war das Wetter zu neblig , bald waren die Pferde nicht nicht zu entbehren oder sonst etwas Notwendiges zu verrichten , und sie mußten sich am Ende selber eingestehen , daß es ihnen beiden eigentlich schwer fiel , sich , auch nur auf wenige Tage , von ihrer hiesigen Nachbarschaft zu trennen .
Leontin hatte hier seine eigenen Geheimnisse .
Er ritt oft ganz abgelegene Wege in den Wald hinein , wo er nicht selten halbe Tage lang ausblieb .
Niemand wußte , was er dort vorhabe , und er selber sprach nie davon .
Friedrich dagegen besuchte Rosa fast täglich .
Drüben in ihrem schönen Garten hatte die Liebe ihr tausendfarbiges Zelt aufgeschlagen , ihre wunderreichen Fernen ausgespannt , ihre Regenbogen und goldenen Brücken durch die blaue Luft geschwungen , und rings die Berge und Wälder , wie einen Zauberkreis , um ihr Morgenrotes Reich gezogen .
Er war unaussprechlich glücklich .
Leontin begleitete ihn sehr selten , weil ihm , wie er immer zu sagen pflegte , seine Schwester wie ein gemalter Frühling vorkäme .
Friedrich glaubte von jeher bemerkt zu haben , daß Leontin bei aller seiner Lebhaftigkeit doch eigentlich kalt sei , und dachte dabei :
was hilft dir der schönste gemalte oder natürliche Frühling !
Aus dir selber muß doch die Sonne das Bild bescheinen , um es zu beleben .
Zu Hause auf Leontins Schlosse wurde Friedrichs poetischer Rausch durch nichts gestört ; denn was hier Faber Herrliches ersann und fleißig aufschrieb , suchte Leontin auf seine freie , wunderliche Weise ins Leben einzuführen .
Seine Leute mach 4 ten alle fortleben , wie es ihnen ihr frischer , guter Sinn eingab ; das Waldhorn irrte fast Tag und Nacht in dem Walde hin und her , dazwischen spuckte die eben erwachende Sinnlichkeit der kleinen Marie wie ein reizender Kobold , und so machte dieser seltsame , bunte Haushalt diesen ganzen Aufenthalt zu einer wahren Feenburg .
Mitten in dem schönen Feste blieb nur ein einziges Wesen einsam und Anteillos .
Das war Erwin , der schöne Knabe , der mit Friedrich auf das Schloß gekommen war .
Er war allen unbegreiflich .
Sein einziges Ziel und Augenmerk schien es , seinen Herrn , den Grafen Friedrich , zu bedienen , welches er bis zur geringsten Kleinigkeit aufmerksam , emsig und gewissenhaft tat .
Sonst mischte er sich in keine Geschäfte oder Lust der anderen , erschien zerstreut , immer fremd , verschlossen und fast hart , so lieblich weich auch seine helle Stimme klang .
Nur manchmal bei Veranlassungen , die oft allen gleichgültig waren , sprach er auf einmal viel und bewegt , und jedem fiel dann sein schönes , seelenvolles Gesicht auf .
Unter seine Seltsamkeiten gehörte auch , daß er niemals zu bewegen war , eine Nacht in der Stube zuzubringen .
Wenn alles im Schlosse schlief und draußen die Sterne am Himmel prangten , ging er vielmehr mit der Gitarre aus , setzte sich gewöhnlich auf die alte Schloßmauer über dem Waldgrunde und übte sich dort heimlich auf dem Instrumente .
Wie oft , wenn Friedrich manchmal in der Nacht erwachte , brachte der Wind einzelne Töne seines Gesanges über den stillen Hof zu ihm herüber , oder er fand ihn frühmorgens auf der Mauer über der Gitarre eingeschlafen .
Leontin nannte den Knaben eine wunderbare Laute aus alter Zeit , die jetzt niemand mehr zu spielen verstehe .
Eines Abends , da Leontin wieder auf einem seiner geheimnisvollen Ausflüge ungewöhnlich lange ausblieb , saßen Friedrich und Faber , der sich nach geschehener Tagesarbeit einen fröhlichen Feierabend nicht nehmen ließ , auf der Wiese um den runden Tisch .
Der Mond stand schon über dem dunklen Turme des Schlosses .
Da hörten sie plötzlich ein Geräusch durch das Dickicht brechen und Leontin stürzte auf seinem Pferde , wie ein gejagtes Wild , aus dem Walde hervor .
Totenbleich , atemlos , und hin und wieder von den Ästen blutig gerissen , kam er sogleich zu ihnen an den Tisch und trank hastig mehrere Gläser Wein nacheinander aus .
Friedrich'n erschütterte die schöne , wüsste Gestalt .
Leontin lachte laut auf , da er bemerkte , daß ihn alle so verwundert ansahen .
Faber drang neugierig in ihn , ihnen zu erzählen , was ihm begegnet sei .
Er erzählte aber nichts , sondern sagte statt aller Antwort :
ich reise fort ins Gebirge , wollt ihr mit ? --
Faber sagte überrascht und unentschlossen , daß ihm jetzt jede Störung unwillkommen sei , da er so eben an dem angefangenen großen Gedichte arbeite , schlug aber endlich ein .
Friedrich schwieg still .
Leontin , der ihm wohl ansah , was er meine , entband ihn seines alten Vespre 4 * Henß ihn zu begleiten ; er mußte ihm aber dagegen geloben , ihn auf seinem Schlosse zu erwarten .
Sie blieben nun noch einige Zeit beieinander .
Aber Leontin blieb nachdenklich und still .
Seine beiden Gäste begaben sich daher bald zur Ruhe , ohne zu wissen , was sie von seiner Veränderung und raschem Entschluss denken sollten .
Noch im Weggehen hörten sie ihn singen : Hinaus , o Mensch , weit in die Welt , Bangt dir das Herz in krankem Mut !
Nichts ist so trüb in Nacht gestellt , Der Morgen leicht macht es wieder gut .
Am Morgen frühzeitig blickte Friedrich aus seinem Fenster .
Da sah er Leontin schon unten auf der Waldstrasse auf das Schloß seiner Schwester zureiten .
Er eilte schnell hinab und ritt ihm nach .
Als er auf Rosa's Schlosse ankam , fand er Leontin im Garten in einem lauten Wortwechsel mit seiner Schwester .
Leontin war nämlich hergekommen , um Abschied von ihr zu nehmen .
Rosa hatte aber kaum von seinem Vorhaben gehört , als sie sogleich mit aller Heftigkeit den Gedanken ergriff mitzureisen .
Das laß ich wohl bleiben , sagte Leontin , da schnüre ich noch heute mein Bündel und reite euch ganz allein davon .
Ich will eben als ein Verzweifelter weit in die Welt hinaus , will mich , wie Don Quijote , im Gebirge auf den Kopf stellen und einmal recht verrückt sein , und da fällt_es euch gerade ein , hinter mir drein zu zotteln , als reisten wir nach Karlsbad oder Pyrmont , um mich jedes Mal fein natürlich wieder auf die Beine zu bringen und zurecht zu rücken .
Kommt mir doch jetzt meine ganze Reise vor , wie eine Armee , wo man vorn blitzende Schwerter und wehende Fahnen , hinterdrein aber einen langen Schwanz von Wägen und Weibern sieht , die auf alten Stühlen , Betten und anderem Hausgerät sitzen und plaudern , kochen , handeln und zanken , als wäre da vorn eben alles nichts , daß einem alle Lust zur Courage vergeht .
Wahrhaftig , wenn du mitziehst , meine weltliche Rosa , so lasse ich das ganze herrliche , tausendfarbige Rad meiner Reisevorsätze fallen , wie der Pfau , wenn er seine prosaischen Füße besieht .
-- Rosa , die sein Wort von allem verstanden hatte , was ihr Bruder gesagt , ließ sich nichts ausreden , sondern beharrte ruhig und fest ihrem Entschluss , denn sie gefiel sich schon im Voraus zu sehr als Amazone zu Pferde und freute sich auf neue Spektakel .
Friedrich , der eben hier dazu kam , schüttelte den Kopf über ihr hartes Köpfchen , das ihm unter allen Untugenden der Mädchen die unleidlichste war .
Noch tiefer aber schmerzte ihn ihre Hartnäckigkeit , da sie doch wußte , daß er nicht mitreise , daß er es nur um Ihretwillen ausgeschlagen habe , und ihn wandelte heimlich die Lust an , selber allein in alle Welt zu gehen .
Leontin , der , wie auf etwas sinnend , unterdes die beiden verliebten Gesichter angesehen hatte , lachte auf einmal auf .
Nein , rief er , wahrhaftig , der Spaß ist so größer !
Rosa , du sollst mitreisen , und Faber und Marie und Erwin und Haus und Hof .
Wir wollen sanft über die grünen Hügel wallen , wie Schäfer , die Jäger sollen die ungeschlachten Hörner zu Hause lassen und Flöte blasen .
Ich will mit bloßem Halse Gehen , die Haare blond färben und ringeln , ich will zahm sein , auf den Zehn gehen und immer mit zugespitztem Munde leise lispeln : o teuerste , schöne Seele , o mein Leben , o mein Schaf !
Ihr sollt sehen , ich will mich bemühen , recht mit Anstand lustig zu sein .
Dem Herrn Faber wollen wir einen Strohhut mit Lilabänder auf das dicke Gesicht setzen und einen langen Stab in die Hand geben , er soll den Zug anführen .
Wir anderen werden uns zuweilen zum Spaß im grünen Haine verirren , und dann über unser hartes Trennungslos aus unseren spaßhaften Schmerzen ernsthafte Sonette machen .
-- Rosa , die von allem wieder nur gehört hatte , daß sie mitreisen dürfe , fiel hier ihrem Bruder unterbrechend um den Hals und tat so schön in ihrer Freude , daß Friedrich wieder ganz mit ihr ausgesöhnt war .
Es wurde nun verabredet , daß sie sich noch heute Abend auf Leontins Schlosse einfinden sollen , damit sie alle Morgen frühzeitig aufbrechen könnten , und sie sprang fröhlich fort , um ihre Anstalten zu treffen .
Als Friedrich und Leontin wieder nach Hause kamen , begann letzterer , der seinen gestrigen Schreck fast schon , ganz wieder vergessen zu haben schien , sogleich mit vieler Lustigkeit zusammenzurufen , Befehle auszuteilen und überall Alarm zu schlagen , um , wie er sagte , das Zigeunerleben bald von allen Seiten aufzurühren .
Rosa traf , wie sie es ver sprachen hatte , gegen Abend ein und fand auf der Wiese bei Mondenschein bereits alles in der buntesten Bewegung .
Die Jäger putzten singend ihre Büchsen und Sattelzeug , andere versuchten ihre Hörner , Faber band ganze Ballen Papier zusammen , die kleine Marie sprang zwischen allen leichtfertig herum .
Alle begaben sich heute etwas früher als gewöhnlich zur Ruhe .
Als Friedrich eben einschlummerte , hörte er draußen einige volle Akkorde auf der Laute anschlagen .
Bald darauf vernahm er Erwins Stimme .
Das Lied , das er sang , rührte ihn wunderbar , denn es war eine alte , einfache Melodie , die er in seiner Kindheit sehr oft , und seitdem niemals wieder gehört hatte .
Er sprang erstaunt ans Fenster , aber Erwin hatte so eben wieder aufgehört .
Das Licht aus Rosa's Schlafzimmer am anderen Flügel des Schlosses war erloschen , der Wind drehte knarrend die Wetterfahne auf dem Turme , der Mond schien außerordentlich hell .
Friedrich sah Erwin wieder wie sonst mit der Gitarre auf der Mauer sitzen .
Bald darauf hörte er den Knaben sprechen ; eine durchaus unbekannte , männliche Stimme schien ihm von Zeit zu Zeit Antwort zu geben .
Friedrich verdoppelte seine Aufmerksamkeit , aber er konnte nichts verstehen , auch sah er niemand außer Erwin .
Nur manchmal kam es ihm vor , als lange ein langer Arm über die Mauer herüber nach dem Knaben .
Zuletzt sah er einen Schatten von dem Knaben fort längst der Mauer hinuntergehen .
Der Schatten wuchs beim Mondenschein mit jedem Schritte immer höher und länger , bis er sich endlich in Riesengröße in den Wald hinein verlor .
Friedrich lehnte sich ganz zum Fenster hinaus , aber er konnte nichts unterscheiden .
Erwin sprach nun auch nicht mehr und die ganze Gegend war totenstill .
Ein Schauer überlief ihn dabei .
Sollte diese Erscheinung , dachte er , Zusammenhäng haben mit Leontins Begebenheiten ?
Weiß vielleicht dieser Knabe um seine Geheimnisse ?
Ihm fiel dabei ein , daß sich sein ganzes Gesicht lebhaft verändert hatte , als Faber heute noch einmal Leontins gestrigen unbekannten Begegnisses erwähnte .
Beinahe hätte er alles für einen überwachten Traum gehalten , so seltsam kam es ihm vor , und er schlief endlich mit sonderbaren und abenteuerlichen Gedanken ein .
Fünftes Kapitel .
Als draußen Berg und Tal wieder Licht waren , war der ganze bunte Trupp schon eine Stunde weit von Leontins Schlosse entfernt .
Der sonderbare Zug gewährte einen lustigen Anblick .
Leontin ritt ein unbändiges Pferd allen voraus .
Er war leicht und nachlässig angezogen , und seine ganze Gestalt hatte etwas Ausländisches .
Friedrich sah durchaus deutsch aus .
Faber dagegen machte den allerseltsamsten und abenteuerlichsten Aufzug .
Er hatte einen runden Hut mit ungeheuer breiten Krempen , der ihn , wie ein Schirm , gegen die Sonne und Regen zugleich schützen sollte .
An seiner Seite hing eine dickangeschwollene Tasche mit Schreibtafeln , Büchern und anderem Reisegerät herab .
Er war wie ein fahrender Skolaft anzusehen .
Rosa ritt mitten unter ihnen ein schönes , frommes Pferd auf einem weiblichen englischen Sattel .
Ein langes grünes Reitkleid , von einem goldenen Gürtel zusammengehalten , schmiegte sich an ihre vollen Glieder , ein blendendweißer Spitzkragen umschloß das schöne Köpfchen , von dem hohe Federn in die Morgenluft nickten .
Zu ihrer Begleitung hatte man die kleine Marie bestimmt , die ihr als Jägerknabe folgte .
Auch Erwin ritt mit und hatte die Gitarre an einem himmelblauen Bande umgehangen .
Hinterdrein kamen mehrere Jäger mit wohlbepackten Pferden .
Sie zogen eben über einen freien Bergrücken weg .
Die Morgensonne funkelte ihnen fröhlich entgegen .
Rosa blickte Friedrich aus ihren großen Augen so frisch und freudig an , daß es ihm durch die Seele ging .
Als sie auf den Gipfel kamen , lag auf einmal ein unübersehbar weites Tal im Morgenschimmer unter ihnen .
Viktoria ! rief Leontin fröhlich und schwang seinen Hut .
Es geht doch nichts übers Reisen , wenn man nicht dahin oder dorthin reist , sondern in die weite Welt hinein , wie es Gott gefällt !
Wie uns aus Wäldern , Bergen , aus blühenden Mädchengesichtern , die von lichten Schlössern grüßen , aus Strömen und alten Burgen das noch unbekannte , überschwengliche Leben ernst und fröhlich ansieht ! --
Das Reisen , sagte Faber , ist dem Leben gleichsam .
Das Leben der Meisten ist eine immerwährende Geschäftsreise vom Buttermarkt zum Käsemarkt ; das Leben der Poetischen dagegen ein freies , unendliches Reisen nach dem Himmelreich .
-- Leontin , dessen Widerspruchsgeist Faber jederzeit unwiderstehlich anregte , sagte darauf :
Diese reisenden Poetischen sind wieder den Paradiesvögeln zu vergleichen , von denen man fälschlich glaubt , daß sie keine Füße haben .
Sie müssen doch auch herunter und in Wirtshäusern einkehren , und Vettern und Basen besuchen , und , was sie sich auch für Zeug einbilden , das Fräulein auf dem lichten Schlosse ist doch nur ein dummes , höchstens verliebtes , Ding , das die Liebe mit ihrem bisschen brennbaren Stoffe eine Weile in die Lüfte treibt , um dann desto jämmerlicher , wie ein ausgeblasener Dudelsack , wieder zur Erde zu fallen , auf der alten , schönen , trotzigen Burg findet sich auch am Ende nur noch ein kahler Landkavalier u. s. w. Alles ist Einbildung .
-- Du solltest nicht so reden , entgegnete Friedrich .
Wenn wir von einer inneren Freudigkeit erfüllt sind , welche , wie die Morgensonne , die Welt überscheint und alle Begebenheiten , Verhältnisse und Kreaturen zur eigentumlichen Bedeutung erhebt , so ist dieses freudige Licht vielmehr die wahre göttliche Gnade , in der allein alle Tugenden und große Gedanken gedeihen , und die Welt ist wirklich so bedeutsam , jung und schön , wie sie unser Gemüt in sich selber an schaut .
Der Mißmut aber , die träge Niedergeschlagenheit und alle diese Entzauberungen , das ist die wahre Einbildung , die wir durch Gebet und Mut zu überwinden trachten sollen , denn diese verdirbt die ursprüngliche Schönheit der Welt .
-- Ist mir auch recht , erwiderte Leontin lustig . --
Graf Friedrich , sagte Faber , hat eine Unschuld in seinen Betrachtungen , eine Unschuld .
-- Ihr Dichter , fiel ihm Leontin hastig ins Wort , seid alle eurer Unschuld über den Kopf gewachsen , und , wie ihr eure Gedichte ausspendet , sagt ihr immer :
da ist ein prächtiges Kunststück von meiner Kindlichkeit , da ist ein besonders wohleingerichtetes Stück von meinem Patriotismus oder von meiner Ehre ! --
Friedrich erstaunte , da Leontin so keck und hart aussprach , was er , als eine Lästerung aller Poesie , sich selber zu denken niemals erlauben mochte .
Rosa hatte unterdes über dem Gespräche mehrmals gegähnt .
Faber bemerkte es und da er sich jederzeit als ein galanter Verehrer des schönen Geschlechtes auszeichnete , so trug er sich an , zu allgemeiner Unterhaltung eine Erzählung zum Besten zu geben .
Nur nicht in Versen , rief Rosa , denn da versteht man doch alles nur halb .
Man rückte daher näher zusammen , Fabern in die Mitte nehmend , und er erzählte folgende Geschichte , während sie zwischen den waldigen Bergen langsam fortzogen :
Es war einmal ein Ritter .
-- Das fängt ja an , wie ein Märchen , unterbrach ihn Rosa . --
Faber setzte von frischem an :
Es war einmal ein Ritter , der lebte tief im Walde auf seiner alten Burg in geistlichen Betrachtungen und strengen Bußeübungen .
Kein Fremder besuchte den frommen Ritter , alle Wege zu seiner Burg waren lange mit hohem Grase überwachsen und nur das Glöcklein , das er bei seinen gebeten von Zeit zu Zeit zog , unterbrach die Stille und klang in hellen Nächten weit über die Wälder weg .
Der Ritter hatte ein junges Töchterlein , die machte ihm viel Kummer , denn sie war ganz anderer Sinnesart als ihr Vater und all ihr Trachten ging nur auf weltliche Dinge .
Wenn sie Abends am Spinnrocken saß , und er ihr aus seinen alten Büchern die wunderbaren Geschichten von den heiligen Märtyrern vorlas , dachte sie immer heimlich bei sich : das waren wohl rechte Toren , und hielt sich für weit klüger , als ihr alter Vater , der alle die Wunder glaubte .
Oft , wenn ihr Vater weg war , blätterte sie in den Büchern und malte den Heiligen , die darin abgebildet waren , große Schnurrbärte -- Rosa lachte hierbei laut auf . --
Was lachst du ? fragte Leontin spitzig und Faber fuhr in seiner Erzählung fort : Sie war sehr schön und klüger als alle die anderen Kinder in ihrem Alter , weswegen sie sich auch immer mit ihnen zu spielen schämte , und wer mit ihr sprach , glaubte eine erwachsene Person reden zu hören , so gescheit und künstlich waren alle ihre Worte gesetzt .
Dabei ging sie bei Tag und Nacht ganz allein im Walde herum , ohne sich zu fürchten , und lachte immer den alten Burgvogt aus , der ihr schauerliche Geschichten vom Wassermann erzählte .
Gar oft stand sie dann an dem blauen Flusse im Walde und rief mit lachendem Munde :
Wassermann soll mein Bräutigam sein !
Wassermann soll mein Bräutigam sein !
Als nun der Vater zum sterben kam , rief er die Tochter zu seinem Bette und übergab ihr einen großen Ring , der war sehr schwer von purem Golde gearbeitet .
Er sagte dabei zu ihr :
Dieser Ring ist vor uralten Zeiten von einer kunstreichen Hand verfertiget .
Einer deiner Vorfahren hat ihn in Palästina , mitten im Getümmel der Schlacht erfochten .
Dort lag er unter Blut und Staub auf dem Boden , aber er blieb unbefleckt und glänzte so hell und durchdringlich , daß sich alle Rosse davor bäumten und keines ihn mit seinem Hufe zertreten wollte .
Alle deine Mütter haben den Ring getragen und Gott hat ihren frommen Ehestand gesegnet .
Nimm du ihn nun auch hin und betrachte ihn alle Morgen mit rechten Sinnen , so wird sein Glanz dein Herz erquicken und stärken .
Wenden sich aber deine Gedanken und Neigungen zum Bösen , so verlöscht sein Glanz mit der Klarheit deiner Seele und wird dir gar trübe erscheinen .
Bewahre ihn treu an deinem Finger , bis du einen tugendhaften Mann gefunden .
Denn welcher Mann ihn einmal an seiner Hand trügt , der kann nicht mehr von Dir lassen , und wird dein Bräutigam . --
Bei diesen Worten verschied der alte Ritter .
Ida blieb nun allein zurück .
Ihr war längst Angst und bange auf dem alten Schlosse gewesen , und da sie jetzt ungeheure Schätze in den Kellern ihres Vaters vorfand , so veränderte sie sogleich ihre ganze Lebensweise . --
Gott sei Dank , sagte Rosa , denn bis jetzt war sie wahrhaftig ziemlich langweilig .
-- Faber fuhr wieder fort :
Die dunklen Bogen , Tore und Höfe der alten Burg wurden niedergerissen und ein neues , lichtes Schloß mit blendendweißen Mauern und kleineren , luftigen Türmchen erhob sich bald über den alten Steinen .
Ein großer , schöner Garten wurde daneben angelegt , durch den der blaue Fluß vorüberfloß .
Da standen tausenderlei hohe , bunte Blumen , Wasserkünste sprangen dazwischen und zahme Rehe gingen darin spazieren .
Der Schloßhof wimmelte von Rossen und reichgeschmückten Edelknaben , die lustige Lieder auf ihr schönes Fräulein sangen .
Sie selber war nun schon groß und außerordentlich schön geworden .
Von Ost und West kamen daher nun reiche und junge Freier angezogen , und die Straßen , die zu dem Schlosse führten , blitzten von blanken Reitern , Helmen und Federbüschen .
Das gefiel dem Fräulein gar wohl , aber so gern sie auch alle Männer hatte , so mochte sie doch mit keinem Einzelnen ihren Ring auswechseln ; denn jeder Gedanke an die Ehe war ihr lächerlich und verhaßt .
Was soll ich , sagte sie zu sich selbst , meine schöne Jugend verkümmern , um in abgeschiedener , langweiliger Einsamkeit eine armselige Hausmutter abzugeben , anstatt daß ich jetzt so frei bin , wie der Vogel in der Luft .
Dabei kamen ihr alle Männer gar dümmlich vor , weil sie entweder zu unbehilflich waren , ihrem müßigen Witze nachzukommen , oder auf andere , hohe Dinge stolz taten , an die sie nicht glaubte .
Und so betrachtete sie sich in ihrer Verblendung als eine reizende Fee unter verzauberten Bären und Affen , die nach ihrem Winke tanzen und aufwarten mußten .
Der Ring wurde indes von Tag zu Tage trüber .
Eines Tages gab sie ein glänzendes Bankett .
Unter einem prächtigen Zelte , daß im Garten aufgeschlagen war , saßen die jungen Ritter und Frauen um die Tafel , in ihrer Mitte das stolze Fräulein , gleich einer Königin , und ihre witzigen Redensarten überstrahlten den Glanz der Perlen und Edelgesteine , womit ihr Hals und Busen geschmückt war .
Recht wie ein wurmstichiger Apfel , so schön rot und betrüglich , war sie anzusehen .
Der goldene Wein kreißte fröhlich herum , die Ritter schauten kühner , üppig lockende Lieder zogen hin und wieder im Garten durch die sommerlaue Luft .
Da fielen Ida es Blicke zufällig auf ihren Ring .
Der war auf einmal finster geworden , und sein verlöschender Glanz tat nur eben noch einen seltsamen , dunkelglühenden Blick auf sie .
Sie stand schnell auf und ging an den Abhang des Gartens .
Du einfältiger Stein , sollst mich nicht länger mehr stören ! sagte sie in ihrem Übermute lachend , zog den Ring vom Finger und warf ihn in den Strom hinunter .
Er beschrieb im Fluge einen hellschimmernden Bogen und tauchte sogleich in den tiefsten Abgrund hinab .
Darauf kehrte sie wieder in den Garten zurück , aus dem die Töne wollüstig nach ihr zu langen schienen .
Am anderen Tage saß Ida allein im Garten und sah in den Fluß hinunter .
Es war gerade um die Mittagszeit .
Alle Gäste waren fortgezogen , die ganze Gegend lag still und schwüle .
Einzelne , seltsamgestaltete Wolken zogen langsam über den dunkelblauen Himmel ; manchmal flog ein plötzlicher Wind über die Gegend , und dann war es , als ob die Felsen und die alten Bäume sich über den Fluß unten neigten und miteinander über sie besprächen .
Ein Schauder überlief Ida .
Da sah sie auf einmal einen schönen , hohen Ritter , der auf einem schneeweißen Rosse die Straße hergeritten kam .
Seine Rüstung und sein Helm war wasserblau , eine wasserblaue Binde flatterte in der Luft , seine Sporen waren von Kristall .
Er grüßte sie freundlich , stieg ab und kam zu ihr .
Ida schrie laut auf vor Schreck , denn sie erblickte den alten Wundertätigen Ring , den sie gestern in den Fluß geworfen hatte , an seinem Finger , und dachte sogleich daran , was ihr ihr Vater auf dem Totbette prophezeit hatte .
Der schöne Ritter zog sogleich eine dreifache Schnur von Perlen hervor und hing sie dem Fräulein um den Hals ; dabei küßte er sie auf den Mund , nannte sie seine Braut und versprach , sie heute Abend heimzuholen .
Ida konnte nichts antworten , denn es kam ihr vor , als läge sie in einem tiefen Schlafe , und doch vernahm sie den den Ritter , der in gar lieblichen Worten zu ihr sprach , ganz deutlich , und hörte dazwischen auch den Strom , wie über ihr , immerfort verworren Drainrauschen .
Darauf sah sie den Ritter sich wieder auf seinen Schimmel schwingen und so schnell in den Wald zurückspringen , daß der Wind hinter ihm dreinpfiff .
Als es gegen Abend kam , stand sie in ihrem Schlosse am Fenster und schaute in das Gebirge hinaus , das schon die graue Dämmerung zu überziehen anfing .
Sie sann hin und her , wer der schöne Ritter sein möge , aber sie konnte nichts herausbringen .
Eine niegefühlte Unruhe und Ängstlichkeit überfiel dabei ihre Seele , die immer mehr zunahm , je dunkler draußen die Gegend wurde .
Sie nahm die Zither , um sich zu zerstreuen .
Es fiel ihr ein altes Lied ein , das sie als Kind oft ihren Vater in der Nacht , wenn sie manchmal erwachte , hatte singen hören .
Sie fing an zu singen :
Obschon ist hin der Sonnenschein Und wir im Finsteren müssen sein , So können wir doch singen Von Gottes Güte und seiner Macht , Weil uns kann hindern keine Nacht , Sein Lobe zu vollbringen .
Die Tränen brachen ihr hierbei aus den Augen , und sie mußte die Zither weglegen , so weh war ihr zu Mute .
5 Endlich , da es draußen schon ganz finster geworden , hörte sie auf einmal ein großes Getöse von Roßeshufen und fremden Stimmen .
Der Schloßhof füllte sich mit Windlichtern , bei deren Scheine sie ein wildes Gewimmel von Wagen , Pferden , Rittern und Frauen erblickte .
Die Hochzeitsgäste verbreiteten sich bald in der ganzen Burg , und sie erkannte alle ihre alten Bekannten , die auch letzthin auf dem Bankett bei ihr gewesen waren .
Der schöne Bräutigam , wieder ganz in wasserblaue Seide gekleidet , trat zu ihr und erheiterte gar bald ihr Herz durch seine anmutigen und süßen Reden .
Musikanten spielten lustig , Edelknaben schenkten Wein herum und alles tanzte und schmauste in freudenreichem Schalle .
Während dem Feste trat Ida mit ihrem Bräutigam ans offene Fenster .
Die Gegend war unten weit und breit still , wie ein Grab , nur der Fluß rauschte aus dem finsteren Grunde herauf .
Was sind das für schwarze Vögel , fragte Ida , die da in langen Scharen so langsam über den Himmel ziehen ? --
Sie ziehen die ganze Nacht fort , sagte der Bräutigam , sie bedeuten deine Hochzeit . --
Was sind das für fremde Leute , fragte Ida wieder , die dort drunten am Flusse auf den Steinen sitzen und sich nicht rühren ? --
Das sind meine Diener , sagte der Bräutigam , die auf uns warten .
-- Unterdes fingen schon lichte Streifen an , sich am Himmel aufzurichten und aus den Tälern hörte man von ferne Hähne krähen .
Es wird so kühl , sagte Ida und schloß das Fenster .
In mei einem Hause ist es noch viel kühler , erwiderte der Bräutigam , und Ida schauderte unwillkürlich zusammen .
Darauf faßte er sie beim Arme und führte sie mitten unter den lustigen Schwarm zum Tanze .
Der Morgen rückte indes immer näher , die Kerzen im Saale flackerten nur noch matt und löschten zum Teil gar aus .
Während Ida mit ihrem Bräutigam herumwalzte , bemerkte sie mit Grausen , daß er immer blasser wurde , je lichter es wurde .
draußen vor den Fenstern sah sie lange Männer mit seltsamen Gesichtern ankommen , die in den Saal hereinschauten .
Auch die Gesichter der übrigen Gäste und Bekannten veränderten sich nach und nach , und sie sahen alle aus wie Leichen .
Mein Gott , mit wem habe ich so lange Zeit gelebt ! rief sie aus .
Sie konnte vor Ermattung nicht mehr fort und wollte sich loswinden , aber der Bräutigam hielt sie fest um den Leib und tanzte immerfort , bis sie atemlos auf die Erde hinstürzte .
Frühmorgens , als die Sonne fröhlich über das Gebirge schien , sah man den Schloßgarten auf dem Berge verwüstet , im Schlosse war kein Mensch zu finden , und alle Fenster standen weit offen .
Die Reisenden , die bei hellem Mondenschein oder um die Mittagszeit an dem Flusse vorübergingen , sahen oft ein junges Mädchen sich mitten im Strome mit halbem Leibe über das Wasser emporheben .
Sie war sehr schön , aber totenblaß .
5 * So endigte Faber seine Erzählung .
Erschrecklich ! rief Leontin , sich , wie vor Frost , schüttelnd .
Rosa schwieg still .
Auf Friedrich hatte das Märchen einen tiefen und ganz besonderen Eindruck gemacht .
Er konnte sich nicht enthalten , während der ganzen Erzählung , mit einem unbestimmten , schmerzlichen Gefühle an Rosa zu denken , und es kam ihm vor , als hätte Faber selber nicht ohne heimliche Absicht gerade diese Erfindung gewählt .
Fabers Märchen gab Veranlassung , daß auch Friedrich und Leontin mehrere Geschichten erzählten , woran aber Rosa immer nur einen entfernten Anteil nahm .
So verging dieser Tag unter fröhlichen Gesprächen , ehe sie es selber bemerkten , und der Abend überraschte sie mitten im Walde in einer unbekannten Gegend .
Sie schlugen daher den ersten Weg ein , der sich ihnen darbot , und kamen schon in der Dunkelheit bei einem Bauernhause an , das ganz allein im Walde stand , und wo sie zu übernachten beschlossen .
Die Hauswirtin , ein junges , rüstiges Weib , wußte nicht , was sie aus dem ganzen unerwarteten Besuche machen sollte und maß sie mit Blicken , die eben nicht das beste Zutrauen verrieten .
Die lustigen Reden und Schwänke Leontins und seiner Jäger aber brachten sie bald in die beste Laune , und sie bereitete alles recht mit Lust zu ihrer Aufnahme .
Nach einem flüchtig eingenommenen Abendessen ergriffen Leontin , Faber und die Jäger ihre Flinten und gingen noch in den Wald hinaus auf den An stand , da ihnen die gefällige Bäuerin mit einer gewissen verstohlenen Vertraulichkeit den Platz verraten hatte , wo das Wild gewöhnlich zu wechseln pflegte .
Rosa fürchtete sich nun hier allein zurückzubleiben , und bat daher Friedrich , ihr Gesellschaft zu leisten , welches dieser mit Freuden annahm .
Beide setzten sich , als alles fort war , auf die Bank an der Haustür vor den weiten Kreis der Wälder .
Friedrich hatte die Gitarre bei sich und griff einige volle Akkorde , welche sich in der heiteren , stillen Nacht herrlich ausnahmen .
Rosa war in dieser ungewohnten Lage ganz verändert .
Sie war einmal ohne alle kleine Launen , hingebend , ungewöhnlich vertraulich und liebenswürdig ermattet .
Friedrich glaubte sie noch niemals so angenehm gesehen zu haben .
Er hatte ihr schon längst versprechen müssen , seine ganze Jugendgeschichte einmal ausführlich zu erzählen .
Sie bat ihn nun , sein Versprechen zu erfüllen , bis die anderen zurückkämen .
Er war gerade auch aufgelegt dazu und begann daher , während sie , mit dem einen Arme auf seine Achsel gelehnt , so nahe als möglich an ihn rückte , folgendermaßen zu erzählen :
Meine frühesten Erinnerungen verlieren sich in einem großen , schönen Garten .
Lange , hohe Gänge von gradbeschnittenen Baumwänden laufen nach allen Richtungen zwischen großen Blumenfeldern hin , Wasserkünste rauschen einsam dazwischen , die Wolken ziehen hoch über die dunklen Gänge weg , ein wunderschönes kleines Mädchen , älter als ich , sitzt an der Wasserkunst und singt welsche Lieder , während ich oft Stundenlang an den eisernen Stäben des Gartenthors stehe , das an die Straße stößt , und sehe , wie draußen der Sonnenschein wechselnd über Wälder und Wiesen fliegt , und Wagen , Reuter und Fußgänger am Tore vorüber in die glänzende Ferne hinausziehen .
Diese ganze stille Zeit liegt weit hinter alle dem Schwalle der seitdem durchlebten Tage , wie ein uraltes , wehmütig süßes Lied , und wenn mich oft nur ein einzelner Ton davon wieder berührt , faßt mich ein unbeschreibliches Heimweh , nicht nur nach jenen Gärten und Bergen , sondern nach einer viel ferneren und tieferen Heimat , von welcher jene nur ein lieblicher Widerschein zu sein scheint .
Ach , warum müssen wir jene unschuldige Betrachtung der Welt , jene wundervolle Sehnsucht , jenen geheimnisvollen , unbeschreiblichen Schimmer der Natur verlieren , in dem wir nur manchmal noch im Traume unbekannte , seltsame Gegenden wieder sehen !
Und wie war es denn nun weiter ? fiel ihm Rosa ins Wort .
Meinen Vater und meine Mutter , fuhr Friedrich fort , habe ich niemals gesehen .
Ich lebte auf dem Schlosse eines Vormunds .
Aber eines älteren Bruders erinnere ich mich sehr deutlich .
Er war schön , wild , witzig , keck und dabei störrisch , tiefsinnig und menschenscheu .
Dein Bruder Leontin sieht ihm sehr ähnlich und ist mir darum um desto teurer .
Am besten kann ich mir ihn vorstellen , wenn ich an einen Umstand zurückdenke .
An unserem altertümlichen Schlosse lief nämlich eine große steinerne Galerie rings herum .
Dort pflegten wir beide gewöhnlich des Abends zu sitzen , und ich erinnere mich noch immer an den eigenen , sehnsuchtsvollen Schauer , mit dem ich hinuntersah , wie der Abend blutrot hinter den schwarzen Wäldern versank und dann nach und nach alles dunkel wurde .
Unsere alte Wärterin erzählte uns dann gewöhnlich das Märchen von dem Kinde , dem die Mutter mit dem Kasten den Kopf abschlug und das darauf als ein schöner Vogel draußen auf den Bäumen sang .
Rudolph , so hieß mein Bruder , lief oder ritt unterdes auf dem steinernen Geländer der Galerie herum , daß mir vor Schwindel alle Sinne vergingen .
Und in dieser Stellung schwebt mir sein Bild noch immer vor , das ich von dem Märchen , den schwarzen Wäldern unten und den seltsamen Abendlichtern gar nicht trennen kann .
Da er wenig lernte und noch weniger gehorchte , wurde er kalt und übel behandelt .
Oft wurde ich ihm als Muster vorgestellt , und dies war mein größter und tiefster Schmerz , den ich damals hatte , denn ich liebte ihn unaussprechlich .
Aber er achtete wenig darauf .
Das schöne italienische Mädchen fürchtete sich vor ihm , so oft sie mit ihm zusammen kam , und doch schien sie ihn immer wieder von neuem aufzusuchen .
Mit mir dagegen war sie sehr vertraulich und oft ausgelassen lustig .
Alle Morgen , wenn es schön war , ging sie in den Garten hinunter und wusch sich an der Wasserkunst die hellen Augen und den kleinen , weißen Hals , und ich mußte ihr während des die zierlichen Zöpfchen flechten helfen , die sie dann in einen Kranz über dem Scheitel zusammenheftete .
Dabei sang sie immer folgendes Liedchen , das mir mit seiner ganz eigenen Melodie noch immer sehr deutlich vorschwebt : Zwischen Bergen , liebe Mutter , Weit den Wald entlang , Reiten da drei junge Jäger Auf drei Roßlein blank , liebe Mutter , Auf drei Roßlein blank .
Ihr könnt fröhlich sein , liebe Mutter , Wird es draußen still :
Kommt der Vater heim vom Walde , Küßt Euch wie er will , liebe Mutter , Küßt Euch wie er will .
Und ich werfe mich im Bettchen Nachts ohne Unterlaß , Kehr mich links und kehre mich rechtshin , Nirgends habe ich was , liebe Mutter , Nirgends habe ich was .
Bin ich eine Frau erst einmal , In der Nacht dann still Wend ' ich mich nach allen Seiten , Küß , so viel ich will , liebe Mutter , Küß , so viel ich will .
Sie sang das Liedchen ganz allerliebst .
Das arme Kind wußte wohl damals selbst noch nicht deutlich , was sie sang .
Aber einmal fuhren die Alten , die sie darüber belauscht hatten , gar typisch mit harten Verweisen drein , und seitdem , erinnere ich mich , sang sie daß Lied heimlich noch viel lieber .
So lebten wir lange Zeit in Frieden nebeneinander , und es fiel mir gar nicht ein , daß es jemals anders werden könnte , nur daß Rudolph immer finsterer wurde , je mehr er heranwuchs .
Um diese Zeit hatte ich mehrmals sehr schwere und furchtbare Träume .
Ich sah nämlich immer meinen Bruder Rudolph in einer Rüstung , wie sie sich auf einem alten Ritterbilde auf unserem Vorsaale befand , durch ein Meer von durcheinanderwogenden ungeheuren Wolken schreiten , wobei er sich mit einem langen Schwerte rechts und links Bahn zu hauen schien .
So oft er mit dem Schwerte die Wolken berührte , gab es eine Menge Funken , die mich mit ihren vielfarbigen Lichtern blendeten , und bei jedem solchen Leuchten kam mir auch Rudolphs Gesicht plötzlich blaß und ganz verändert vor .
Während ich mich nun mit den Augen so recht in den Wolkenzug vertiefte , bemerkte ich mit Verwunderung , daß es eigentlich keine Wolken waren , sondern sich alles nach und nach in ein langes , dunkles , seltsamgeformtes Gebirge verwandelte , vor dem mir schauderte , und ich konnte gar nicht begreifen , wie sich Rudolph dort so allein nicht fürchtete .
Seitwärts von dem Gebirge sah ich eine weite Landschaft , deren unbeschreibliche Schönheit und wunderbaren Farbenschimmer ich niemals vergessen habe .
Ein großer Strom ging mitten hindurch bis in eine unabsehbare duftige Ferne , wo er sich mit Gesang zu verlieren schien .
Auf einem sanftgrünen Hügel über dem Strome saß Angelina , das italienische Mädchen , und zog mit ihrem kleinen , rosigen Finger zu meinem Erstaunen einen Regenbogen über den blauen Himmel .
Unterdes sah ich , daß sich das Gebirge anfing , wundersam zu regen ; die Bäume streckten lange Arme aus , die sich wie Schlangen ineinander schlangen , die Felsen dehnten sich zu ungeheuren Drachengestalten aus , andere zogen Gesichter mit langen Nasen , die ganze wunderschöne Gegend überzog und verdeckte dabei ein qualmender Nebel .
Zwischen den Felsenspalten streckte Rudolph den Kopf hervor , der auf einmal viel älter und selber wie von Stein aussah , und lachte übermäßig mit seltsamen Gebärden .
Alles verwirrte sich zuletzt und ich sah nur die entfliehende Angelina mit ängstlich zurückgewandtem Gesicht und weißem , flatterndem Gewande , wie ein Bild über einen grauen Vorhang , vorüberschweben .
Eine große Furcht überfiel mich da jedesmal und ich wachte vor Schreck und Entsetzen auf .
Diese Träume , die sich , wie gesagt , mehrmals wiederholten , machten einen so tiefen Eindruck auf mein kindisches Gemüt , daß ich nun meinen Bruder oft heimlich mit einer Art von Furcht betrachtete , auch die seltsame Gestaltung des Gebirges nie wieder vergaß .
Eines Abends , da ich eben im Garten herumging und zusah , wie es in der Ferne an den Bergen gewitterte , trat auf einmal an dem Ende eines Bogenganges Rudolph zu mir .
Er war finsterer als gewöhnlich .
Siehst du das Gebirge dort ? sagte er , auf die fernen Berge deutend .
Drüben liegt ein viel schöneres Land , ich habe ein einzigesmal hinuntergeblickt .
Er setzte sich ins Gras hin , dann sagte er in einer Weile wieder : hörst du , wie jetzt in der weiten Stille unten die Ströme und Bäche rauschen und wunderbarlich locken ?
Wenn ich so hinunterstiege in das Gebirge hinein , ich ginge fort und immer fort , du würdest unterdes alt , das Schloß wäre auch verfallen und der Garten hier lange einsam und wüsste .
-- Mir fiel bei diesen Worten mein Traum wieder ein , ich sah ihn an , und auch sein Gesicht kam mir in dem Augenblicke gerade so vor , wie es mir im Traume immer erschien .
Eine niegefühlte Angst überwältigte mich und ich fing an zu weinen .
Weine nur nicht ! sagte er hart und wollte mich schlagen .
Unterdes kam Angelina mit neuem Spielzeuge lustig auf uns zugesprungen und Rudolph entfernte sich wieder in den dunklen Bogengang .
Ich spielte nun mit dem munteren Mädchen auf dem Rasenplatze vor dem Schlosse und vergaß darüber alles das vorhergegangene .
Endlich trieb uns der Hofmeister zu Bette .
Ich erinnere mich nicht , daß mir als Kind irgend etwas widerwärtiger gewesen wäre , als das zeitige Schlafengehen , wenn alles draußen noch schallte und schwärmte und meine ganze Seele noch so wach war .
Dieser Abend war besonders schön und schwül .
Ich legte mich unruhig nieder .
Die Bäume rauschten durch das offene Fenster herein , die Nachtigall schlug tief aus dem Garten , dazwischen hörte ich noch manchmal Stimmen unter dem Fenster sprechen , bis ich endlich nach langer Zeit einschlummerte .
Da kam es mir auf einmal vor , als schiene der Mond sehr hell durch die Stube , mein Bruder erhöbe sich aus seinem Bett und ginge verschiedentlich im Zimmer herum , neige sich dann über mein Bett und küsse mich .
Aber ich konnte mich durchaus nicht besinnen .
Den folgenden Morgen wachte ich später auf , als gewöhnlich .
Ich blickte sogleich nach dem Bette meines Bruders , und sah , nicht ohne Ahnung und Schreck , daß es leer war .
Ich lief schnell in den Garten hinaus , da saß Angelina am Springbrunnen und weinte heftig .
Meine Pflegeeltern und alle im ganzen Hause waren heimlich , verwirrt und verstört , und so erfuhr ich erst nach und nach , daß Rudolph in dieser Nacht entflohen sei .
Man schickte Boten nach allen Seiten aus , aber keiner brachte ihn mehr wieder .
Und habt ihr denn seitdem niemals wieder etwas von ihm gehört ? fragte Rosa .
Es kam wohl die Nachricht , sagte Friedrich , daß er sich bei einem Freikorps habe anwerben lassen , nachher gar , daß er in einem Treffen geblieben sei .
Aber aus späteren , einzelnen , abgebrochenen Reden meiner Pflegeeltern gelangte ich wohl zu der Gewißheit , daß er noch am Leben sein müsse .
Doch taten sie sehr heimlich damit und hörten sogleich auf zu sprechen , wenn ich hinzutrat ; und seitdem habe ich von ihm nichts mehr sehen , noch erfahren können .
Bald darauf verließ auch Angelina mit ihrem Vater , der weitläufig mit uns verwandt war , unser Schloß und reiste nach Italien zurück .
Es ist sonderbar , daß ich mich auf die Züge des Kindes nie wieder besinnen konnte .
Nur ein leises , freundliches Bild ihrer Gestalt und ganzen lieblichen Gegenwart blieb mir übrig .
Und so war denn nun das Kleeblatt meiner Kindheit zerrissen und Gott weiß , ob wir uns jemals wiedersehen .
-- Mir war zum Sterben bange , mein Spielzeug freute mich nicht mehr , der Garten kam mir unaussprechlich einsam vor .
Es war , als müßte ich hinter jedem Baume , an jedem Bogengange noch Angelina oder meinem Bruder begegnen , das einförmige Plätschern der Wasserkünste Tag und Nacht hindurch vermehrte nur meine tiefe Bangsamkeit .
Mir war es unbegreiflich , wie es meine Pflegeeltern hier noch aushalten konnten , wie alles um mich herum seinen alten Gang fortgieng , als wäre eben alles noch , wie zuvor .
Damals ging ich oft heimlich und ganz allein nach dem Gebirge , das mir Rudolph an jenem letzten Abend gezeigt hatte , und hoffte in meinem kindischen Sinne zuversichtlich , ihn dort noch wiederzufinden .
Wie oft überfiel mich dort ein Grausen vor den Bergen , wenn ich mich manchmal droben verspätet hatte und nur noch die Schläge einsamer Holzhauer durch die dunkelgrünen Bogen herauf schallten , während tief unten schon hin und her Lichter in den Dörfern erschienen , aus denen die Hunde fern bellten .
Auf einem dieser Streifzüge verfehlte ich beim Heruntersteigen den rechten Weg und konnte ihn durchaus nicht wiederfinden .
Es war schon dunkel geworden und meine Angst nahm mit jeder Minute zu .
Da erblickte ich seitwärts ein Licht ; ich ging darauf los und kam an ein kleines Häuschen .
Ich guckte furchtsam durch das erleuchtete Fenster hinein und sah darin in einer freundlichen Stube eine ganze Familie friedlich um ein lustigflackerndes Herdfeuer gelagert .
Der Vater , wie es schien , hatte ein Büchelchen in der Hand und las vor .
Mehrere sehr hübsche Kinder fassen im Kreise um ihn herum und hörten , die Köpfchen in beide Arme aufgestützt , mit der größten Aufmerksamkeit zu , während eine junge Frau daneben spann und von Zeit zu Zeit Holz an das Feuer legte .
Der Anblick machte mir wieder Mut , ich trat in die Stube hinein .
Die Leute waren sehr erstaunt , mich bei ihnen zu sehen , denn sie kannten mich wohl , und ein junger Bursche wurde sogleich fortgesandt , sich anzukleiden , um mich auf das Schloß zurück zu geleiten .
Der Vater setzte unterdes , da ich ihn darum bat , seine Vorlesung wieder fort .
Die Geschichte wollte mich bald sehr anmutig und wundervoll bedünken .
Mein Begleiter stand schon lange fertig an der Türe .
Aber ich vertiefte mich immer mehr in die Wunder ; ich wagte kaum zu atmen und hörte zu und immer zu und wäre die ganze Nacht geblieben , wenn mich nicht der Mann endlich erinnert hätte , daß meine Eltern in Angst kommen würden , wenn ich nicht bald nach Hause ginge .
Es war der gehörnte Siegfried , den er las .
Rosa lachte .
-- Friedrich fuhr , etwas gestört , fort : Ich konnte diese ganze Nacht nicht schlafen , ich dachte immerfort an die schöne Geschichte .
Ich besuchte nun das kleine Häuschen fast täglich und der gute Mann gab mir von den ersehnten Büchern mit nach Hause , so viel ich nur wollte .
Es war gerade in den ersten Frühlingstagen .
Da saß ich denn einsam im Garten und las die Magelone , Genoveva , die Heymonskinder und viele andere unermüdet der Reihe nach durch .
Am liebsten wählte ich dazu meinen Sitz in dem Wipfel eines hohen Birnbaumes , der am Abhange des Gartens stand , von wo ich dann über das Blütenmeer der niederen Bäume weit ins Land schauen konnte , oder an schwülen Nachmittagen die dunklen Wetterwolken über den Rand des Waldes langsam auf mich zukommen sah .
Rosa lachte wieder .
Friedrich schwieg eine Weile unwillig still .
Denn die Erinnerungen aus der Kindheit sind desto empfindlicher und verschämter , je tiefer und unverständlicher sie werden , und fürchten sich vor großgewordenen , altklugen Menschen , die sich in ihr wunderbares Spielzeug nicht mehr zu finden wissen .
Dann erzählte er weiter :
Ich weiß nicht , ob der Frühling mit seinen .
Zauberlichtern in diese Geschichten hineinspielte , oder ob sie den Lenz mit ihren rührenden Wunderscheinen überglänzten , -- aber Blumen , Wald und Wiesen erschienen mir damals anders und schöner .
Es war , als hätten mir diese Bücher die goldenen Schlüssel zu den Wunderschätzen und der verborgenen Pracht der Natur gegeben .
Mir war noch nie so fromm und fröhlich zu Mute gewesen .
Selbst die ungeschickten Holzstiche dabei waren mir lieb , ja überaus wert .
Ich erinnere mich noch jetzt mit Vergnügen , wie ich mich in das Bild , wo der Ritter Peter von seinen Eltern zieht , vertiefen konnte , wie ich mir den einen Berg im Hintergrunde mit Burgen , Wäldern , Städten und Morgenglanz ausschmückte , und in das Meer dahinter , aus wenigen groben Strichen bestehend , und die Wolken drüber mit ganzer Seele hineinsegelte .
Ja , ich glaube wahrhaftig , wenn einmal bei Gedichten Bilder sein sollen , so sind solche die besten .
Jene feineren , sauberen Kupferstiche mit ihren modernen Gesichtern und ihrer , bis zum kleinsten Strauche , ausgeführten und festbegrenzten Umgebung verderben und beengen alle Einbildung , anstatt daß diese Holzstiche mit ihren verworrenen Strichen und unkenntlichen Gesichtern der Phantasie , ohne die doch niemand lesen sollte , einen frischen , unendlichen Spielraum eröffnen , ja , sie gleichsam herausfordern .
Alle Alle diese Herrlichkeit dauerte nicht lange .
Mein Hofmeister , ein aufgeklärter Mann , kam hinter meine heimlichen Studien und nahm mir die geliebten Bücher weg .
Ich war untröstlich .
Aber Gott sei Dank , das Wegnehmen kam zu spät .
Meine Phantasie hatte auf den waldgrünen Bergen , unter den Wundern und Helden jener Geschichten gesunde , freie Luft genug eingesogen , um sich des Anfalls einer ganzen nüchternen Welt zu erwehren .
Ich bekam nun dafür Kampe's Kinderbibliothek .
Da erfuhr ich denn , wie man Bohnen steckt , sich selber Regenschirme macht , wenn man etwa einmal wie Robinson auf eine wüsste Insel verschlagen werden sollte , nebstbei mehrere zuckergebackene , edle Handlungen , einige Älterenliebe und kindliche Liebe in Scharaden .
Mitten aus dieser pädagogischen Fabrik schlugen mir einige kleine Lieder von Matthias Claudius rührend und lockend ans Herz .
Sie sahen mich in meiner prosaischen Niedergeschlagenheit mit schlichten , ernsten , treuen Augen an , als wollten sie freundlichtröstend sagen :
" Lasst die Kleinen zu mir kommen ! "
Diese Blumen machten mir den Farben- und Geruchslosen , zur Menschheitssaat umgepflügten , Boden , in welchen sie seltsam genug verpflanzt waren , einigermaßen heimatlich .
Ich entsinne mich , daß ich in dieser Zeit verschiedene Plätze im Garten hatte , welche Hamburg , Braunschweig und Wandsbeck vorstellten .
Da eilte ich denn von einem zum anderen und brachte dem guten 6 Claudius , mit dem ich mich besonders gerne und lange unterhielt , immer viele Grüße mit .
Es war damals mein größter , innigster Wunsch , ihn einmal in meinem Leben zu sehen .
Bald aber machte eine neue Epoche , die entscheidende für mein ganzes Leben , dieser Spielerei ein Ende .
Mein Hofmeister fing nämlich an , mir alle Sonntage aus der Leidensgeschichte Jesu vorzulesen .
Ich hörte sehr aufmerksam zu .
Bald wurde mir das periodische , immer wieder abgebrochene Vorlesen zu langweilig .
Ich nahm das Buch und las es für mich ganz aus .
Ich kann es nicht mit Worten beschreiben , was ich dabei empfand .
Ich weinte aus Herzensgrunde , daß ich schluchzte .
Mein ganzes Wesen war davon erfüllt und durchdrungen , und ich begriff nicht , wie mein Hofmeister und alle Leute im Hause , die doch das alles schon lange wußten , nicht eben so gerührt waren und auf ihre alte Weise so ruhig fortleben konnten .
-- Hier brach Friedrich plötzlich ab , denn er bemerkte , daß Rosa fest eingeschlafen war .
Eine schmerzliche Unlust flog ihn bei diesem Anblicke an .
Was tue ich hier , sagte er zu sich selber , als alles so still um ihn geworden war , sind das meine Entschlüsse , meine großen Hoffnungen und Erwartungen , von denen meine Seele so voll war , als ich ausreiste ?
Was zerschlage ich den besten Teil meines Lebens in unnütze Abenteuer ohne allen Zweck , ohne alle rechte Tätigkeit ?
Dieser Leon tin , Faber und Rosa , sie werden mir doch ewig fremd bleiben .
Auch zwischen diesen Menschen reisen meine eigentlichsten Gedanken und Empfindungen hindurch , wie ein Deutscher durch Frankreich .
Sind dir denn die Flügel gebrochen , guter , mutiger , Geist , der in die Welt hinausschaute , wie in sein angeborenes Reich ?
Das Auge hat in sich Raum genug für eine ganze Welt , und nun sollte es eine kleine Mädchenhand bedecken und zudrücken können ? --
Der Eindruck , den Rosa's Lachen während seiner Erzählung auf ihn gemacht hatte , war noch nicht vergangen .
Sie schlummerte rückwärts auf ihren Arm gelehnt , ihr Busen , in den sich die dunklen Locken herabringelten , ging im Schlafe ruhig auf und nieder , so ruhte sie neben ihm in unbeschreiblicher Schönheit .
Ihm fiel dabei ein Lied ein .
Er stand auf und sang zur Gitarre :
Ich habe manch Lied geschrieben , Die Seele war voll Lust , Von treuem Tun und Lieben , Das beste , was ich wusste .
Was mir das Herz bewogen , Das sagte treu mein Mund , Und das ist nicht erlogen , Was kommt aus Herzensgrund .
Liebchen wußte es nicht zu deuten Und lacht mir ins Gesicht , Dreht sich zu anderen Leuten Und achtet weiter nicht .
6 * Und spielt mit manchem Tropfe , Weil ich so tief betrübt .
Mir ist so dumm im Kopfe , Als wäre ich nicht verliebt .
Ach Gott , wem soll ich trauen ?
Will Sie mich nicht verstehen , Tun alle so fremde schauen , Und alles muß Vergehen .
Und alles irrt zerstreuet -- Sie ist so schön und rot -- Ich habe nichts , was mich freuet , Wäre ich viel lieber tot !
Rosa schlug die Augen auf , denn das Waldhorn erschallte in dem Tale und man hörte Leontin und die Jäger , die so eben von ihrem Streifzuge zurückkehrten , im Walde rufen und schreien .
Sie hatten gar keine Beute gemacht und waren alle der Ruhe höchstbedürftig .
Die Wirtin wurde daher eiligst in Tätigkeit gesetzt , um jedem sein Lager anzuweisen , so gut es die Umstände zuließen .
Es wurde nun von allen Seiten Stroh herbeigeschafft und in der Stube ausgebreitet , die für Rosa , Leontin , Friedrich und Faber bestimmt war ; die übrigen sollen sonst im Hause untergebracht werden .
Da alles mithalf , ging es bei den Zubereitungen ziemlich tumultuarisch her .
Besonders aber zeigte sich die kleine Marie , welcher die Jäger tapfer zugetrunken hatten , ungewöhnlich ausgelassen .
Jeder behandelte sie aus Gewohnheit als ein halberwachsenes Kind , fing sie auf und küßte sie .
Friedrich aber sah wohl , daß sie sich dabei gar künstlich sträubte , um nur immer fester gehalten zu werden , und daß ihre Küsse nicht mehr kindisch waren .
Dem Herrn Faber schien sie heute ganz besonders wohlzubehagen , und Friedrich glaubte zu bemerken , daß sie sich einigemal verstohlen und wie im Fluge mit ihm besprach .
Endlich hatte sich nach und nach alles verloren und die Herrschaften blicken allem im Zimmer zurück .
Faber meinte : sein Kopf sei so voll guter Gedanken , daß er sich jetzt nicht niederlegen könne .
Das Wetter sei so schön und die Stube so schwül , er wolle daher die Nacht im Freien zubringen .
Damit nahm er Abschied und ging hinaus .
Leontin lachte ihm ausgelassen nach .
Rosa war unterdes in üble Laune geraten .
Die Stube war ihr zu schmutzig und enge , das Stroh zu hart .
Sie erklärte , sie könne so unmöglich schlafen , und setzte sich schmollend auf eine Bank hin .
Leontin warf sich , ohne ein Wort darauf zu erwidern , auf das Stroh und war gleich eingeschlafen .
Endlich überwand auch bei Rosa die Müdigkeit den Eigensinn .
Sie verließ ihre harte Bank , lachte über sich selbst und legte sich neben ihren Bruder hin .
Friedrich ruhte noch lange wach , den Kopf in die Hand gestützt .
Der Mond schien durch das kleine Fenster herein , die Wanduhr pickte einförmig immerfort .
Da vernahm er auf einmal draußen , folgenden Gesang :
Ach , von dem weichen Pfühle Was treibt dich irre umher ?
Bei meinem Saitenspiele Schlafe , was willst du mehr ?
Bei meinem Saitenspiele Heben dich allzusehr Die ewigen Gefühle ; Schlafe , was willst du mehr ?
Die ewigen Gefühle , Schnupfen und Husten schwer , Ziehen durch die nächtige Kühle ; Schlafe , was willst du mehr ?
Zieh 'n durch die nächtige Kühle Mir den Verliebten her Hoch auf schwindlige Pfühle ; Schlafe , was willst du mehr ?
Hoch auf schwindligem Pfühle Zähle der Sterne Heer ; Und so dir das mißfiele : Schlafe , was willst du mehr ?
Friedrich konnte die Stimme nicht erkennen ; sie schien ihm mit Fleiß verändert und verstellt .
Mit besonders komischem Ausdruck wurde jedesmal das : Schlafe , was willst du mehr ? wiederholt .
Er sprang auf und trat ans Fenster .
Da sah er einen dunklen Schatten schnell über den mondhellen Platz vor dem Hause vorüberlaufen und zwischen den Bäumen verschwinden .
Er horchte noch lange Zeit dort hinaus , aber alles blieb still die ganze Nacht hindurch .
Sechstes Kapitel .
Ein Hüfthorn draußen im Hofe weckte am Morgen die Neugestärkten .
Leontin sprang schnell vom Lager .
Auch Rosa richtete sich auf .
Die Morgensonne schien ihr durch das Fenster gerade ins Gesicht .
Die Locken noch verwirrt vom nächtlichen Lager , sah sie so blühend und reizend verschlafen aus , daß sich Friedrich nicht enthalten konnte , ihr einen Kuß auf die frischen Lippen zu drücken .
Alles rüstete sich nun fröhlich wieder zur Weiterreise .
Aber nun bemerkten sie erst , daß Faber fehle .
Er hatte sich , wie wir wissen , Abends hinausbegeben , und war seitdem nicht mehr wieder in die Stube zurückgekehrt .
Leontin befragte daher die Jäger , und diese sagten denn zu allgemeiner Verwunderung Folgendes aus :
Als sie , noch vor Tagesanbruch , hinausgingen , um nach den Pferden zu sehen , hörten sie jemand hoch über ihnen , wie aus der Luft , zu wiederholtenmalen rufen .
Sie sahen ringsherum und erblickten endlich mit Erstaunen Herrn Faber , der mitten auf dem Dache des Hauses an dem festverschlossenen Dachfenster saß und schimpfend mit beiden Armen , wie eine Windmühle , in der Morgendämmerung focht .
Sie setzten ihm nun auf sein Begehren die Leiter an , die vor dem Hause auf der Erde lag , und erlösten ihn so von seinem luftigen Throne .
Er aber forderte , sobald er unten war , ohne sich weiter in Erklärungen einzulassen , sogleich sein Pferd und seinen Mantelsack heraus .
Da er sehr heftig und wunderlich zu sein schien , taten sie , was er verlangte .
Als er sein Pferd bestiegen hatte , sagte er nur noch zu ihnen : sie möchten ihren Herrn , den fremden Grafen und die Gräfin Rosa von ihm auf das beste grüßen , und für die langerwiesene Freundschaft in seinem Namen danken ; er für seinen Teil reise in die Residenz , wo er sie früher oder später wiederzusehen hoffe .
Darauf habe er dem Pferde die Sporen gegeben und sei in den Wald hineingeritten .
Lebe wohl , guter , unruhiger Freund ! rief Leontin bei dieser Nachricht aus , ich könnte wahrhaftig in diesem Augenblick recht aus Herzensgrunde traurig sein , so gewohnt war ich an dein wunderliches Wesen .
Fahre wohl , und Gott gebe , daß wir bald wieder zusammenkommen !
Amen , fiel Rosa ein ; aber was in aller Welt hat ihn denn auf das Dach hinaufgetrieben und bewogen , uns dann so plötzlich zu verlassen ? --
Niemand wußte sich das Rätsel zu lösen .
Aber die kleine Marie hörte während der ganzen Zeit nicht auf , geheimnisvoll zu kickern , Friedrich erinnerte sich auch an das gestrige , sonderbare Nachtlied vor dem Fenster , und nun übersahen sie nach und nach den ganzen Zusammenhäng .
Faber hatte nämlich gestern Abend mit Marie eine heimliche Zusammenkunft in der Dachkammer , wo sie schliefe , verabredet .
Das schlaue Mädchen aber hatte , statt Wort zu halten , das Dachfenster von innen fest versperrt und sich , ehe noch Faber so künstlich von ihnen weggeschlichen , in den Wald hinausbegeben , wo sie abwartete , bis der Verliebte , der Verabredung gemäß , auf der Leiter das Dach erstiegen hatte .
Dann sprang , sie schnell hervor , nahm die Leiter weg und sang ihm unten das lustige Ständchen , das Friedrich gestern belauscht , während Faber , stumm vor Zorn und Scham , zwischen Himmel und Erde hing .
Leontin und Rosa lachten unmäßig und fanden den Einfall überaus herrlich .
Friedrich aber fand ihn anders und schüttelte unwillig den Kopf über das vierzehnjährige Mädchen .
Sie setzten nun also ihre Reise allein weiter fort .
Der Morgen war sehr heiter , die Gegend wunderschön ; demungeachtet konnten sie heute gar nicht recht in die alte Lust und gewohnte Gesprächsweise hineinkommen .
Faber fehlte ihnen und wurde von allen vermißt , besonders von Leontin , der fortwährend einen Ableiter seines überflüssigen Witzes brauchte .
Dazu taugte ihm aber gerade niemand besser als Faber , der komisch genug war , um Witz zu erzeugen , und selber witzig genug , ihn zu verstehen .
Friedrich nannte daher auch alle Gespräche zwischen Leontin und Faber egoistische Monologe , wo jeder nur sich selbst reden hört und beantwortet , anstatt daß er bei jeder Unterhaltung mit redlichem Eifer für die Sache selbst in den anderen überzeugend einzudringen suchte .
Am sichtbarsten unter allen aber war Rosa verstimmt .
Sie hatte sich ganz besondere , unerhörte Ereignisse und Wunderdinge von der Reise versprochen , und da diese nun nicht erscheinen wollten und auch der Schimmer der Neuheit von ihren Augen gefallen war , fing sie nach und nach an zu bemerken , daß es sich doch eigentlich für sie nicht schicke , so allein mit den Männern in der Welt herumzustreifen , und sie hatte keine Ruhe und keine Lust mehr an den ewigen , langweiligen Steinen und Bäumen .
So waren sie an einen freigrünen Platz auf dem Gipfel einer Anhöhe gekommen und beschlossen , hier den Mittag abzuwarten .
Ringsum lagen niedrigere Berge mit Schwarzwald bedeckt , von der einen Seite aber hatte man eine weite Aussicht ins ebene Land , wo man die blauen Türme der Residenz an einem blitzenden Strome sich ausbreiten sah .
Der mitgenommene Mundvorrat wurde nun abgepackt , ein Feldtischchen mitten in der Aue aufgepflanzt , und alle lagerten sich in einem Kreise auf dem Rasen herum und aßen und tranken .
Rosa mochte launisch nichts genießen , sondern zog , zu Leontins großem Ärgernis , ihre Strickerei hervor , setzte sich allein seitwärts und arbeitete , bis sie am Ende darüber einschlief .
Friedrich und Leontin nahmen daher ihre Flinten und gingen in den Wald , um Vögel zu schießen .
Die lustigen , bunten Sänger , die von einem Wipfel zum anderen vor ihnen herflogen , lockten sie immer weiter zwischen den dunkelgrünen Hallen fort , so daß sie erst nach langer Zeit wieder auf dem Lagerplatze anlangten .
Hier kam ihnen Erwin mit auffallender Lebhaftigkeit und Freude entgegengesprungen und sagte , daß Rosa fort sei .
Ein Wagen , erzählte der Knabe , sei bald , nachdem sie fortgegangen wären , die Straße hergefahren .
Eine schöne junge Dame sah aus dem Wagen heraus , ließ sogleich stillhalten , und kam auf die Gräfin Rosa zu , mit der sie sich dann lange sehr lebhaft und mit vielen Freuden besprach .
Zuletzt bat sie dieselbe , mit ihr zu fahren .
Rosa wollte Anfangs nicht , aber die fremde Dame streichelte und küßte sie und schob sie endlich halb mit Gewalt in den Wagen .
Die kleine Marie mußte auch mit einsitzen , und so hatten sie den Weg nach der Residenz eingeschlagen .
-- Friedrich kränkte bei dieser unerwarteten Nachricht die Leichtfertigkeit , mit der ihn Rosa so schnell verlassen konnte , in tiefster Seele . --
Als sie an den Feldtisch in der Mitte der Aue kamen , fanden sie dort ein Papier , worauf mit Bleistift geschrieben stand :
" Die Gräfin Romana . "
Das dachte ich gleich , rief Leontin , das ist so ihre Weise . --
Wer ist die Dame ? fragte Friedrich .
-- Eine junge reiche Witwe , antwortete Leontin , die nicht weiß , was sie mit ihrer Schön heit und ihrem Geiste anfangen soll , eine Freundin meiner Schwester , weil sie mit ihr spielen kann wie sie will , eine tollgewordene Genialität , die in die Männlichkeit hineinpfuscht .
Hierbei wandte er sich ärgerlich zu seinen Jägern , die ihre Pferde schon wieder aufgezäumt hatten , und befahl ihnen , nach seinem Schlosse zurückzukehren , um die Reise freier und bequemer , bloß in Friedrichs und Erwins Begleitung weiter fortzusetzen .
Die Jäger brachen bald auf und die beiden Grafen blieben nun allein auf dem grünen Platze zurück , wo es so auf einmal still und leer geworden war .
Da kam Erwin wieder gesprungen und sagte , daß man den Wagen so eben noch in der Ferne sehen könne .
Sie blickten hinab und sahen , wie er in der glänzenden Ebene fortrollte , bis er zwischen den blühenden Hügeln und Gärten in den Abendschimmer verschwand , der sich eben weit über die Täler legte .
Von der anderen Seite hörte man noch die Hörner der heimziehenden Jäger über die Berge .
Siehst du dort , sagte Friedrich , die dunklen Türme der Residenz ?
Sie stehen wie Leichensteine des versunkenen Tages .
Anders sind die Menschen dort , unter welche Rosa nun kommt ; treue Sitte , Frömmigkeit und Einfalt gilt nicht unter ihnen .
Ich möchte sie lieber tot , als so wiedersehen .
Ist mir doch , als stiege sie , wie eine Todesbraut , in ein flimmernd ausgeschmücktes , großes Grab , und wir wendeten uns treulos von ihr und ließen sie gehen . --
Leontin fuhr lustig über die Saiten der Gitarre und sang :
Der Liebende steht träge auf , Zieht ein Herr Jemine-Gesicht , Und wünscht , er wäre tot .
Der Morgen tut sich prächtig auf , So silbern geht der Ströme Lauf , Die Vöglein schwingen hell sich auf : " Bad ' , Menschlein , dich im Morgenrot , Dein Sorgen ist ein Wicht ! "
Darauf bestiegen sie beide ihre Pferde und ritten in das Gebirge hinein .
Nachdem sie so mehrere Tage herumgeirrt , und die merkwürdigsten Orte des Gebirges in Augenschein genommen hatten , kamen sie eines Abends schon in der Dunkelheit in einem Dorfe an , wo sie im Wirtshause einkehrten .
Dort aber war alles leer und nur von einer alten Frau , die allein in der Stube saß , erfuhren sie , daß der Pächter des Ortes heute einen Ball gebe , wobei auch seine Grundherrschaft sich befände , und daß daher alles aus dem Hause gelaufen sei , um dem Tanze zuzusehen .
Da es zum Schlafengehen noch zu zeitig und die Nacht sehr schön war , so entschlossen sich auch die beiden Grafen , noch einen Spaziergang zu machen .
Sie strichen durch es Dorf und kamen bald darauf am anderen Ende desselben an einen Garten , hinter welchem sich die Wohnung des Pächters bei fand , aus deren erleuchteten Fenstern die Tanzmusik zu ihnen herüberschallte .
Leontin , den diese ganze , unverhoffte Begebenheit in die lustigste Laune versetzt hatte , schwang sich sogleich über den Gartenzaun und überredete auch Friedrich , ihm zu folgen .
Der Garten war ganz still , sie gingen daher durch die verschiedenen Gänge bis an das Wohnhaus .
Die Fenster des Zimmers , wo getanzt wurde , gingen auf den Garten hinaus , aber es war hoch oben im zweiten Stockwerke .
Ein großer , dichtbelaubter Baum stand da am Hause und breitete seine Äste gerade vor den Fenstern aus .
Der Baum ist eine wahre Jakobsleiter , sagte Leontin , und war im Augenblicke droben .
Friedrich wollte durchaus nicht mit hinauf .
Das Belauschen , sagte er , besonders fröhlicher Menschen in ihrer Lust , hat immer etwas Schlechtes im Hinterhalte .
Wenn du Umstände machst , rief Leontin von oben , so fange ich hier so ein Geschrei an , daß alle zusammenlaufen und uns als Narren auffangen oder tüchtig durchprügeln .
So eben knarrte auch wirklich die Haustür unten und Friedrich bestieg daher ebenfalls eilfertig den luftigen Sitz .
Oben aus der weiten , dichten Krone des Baumes konnten sie die ganze Gesellschaft übersehen .
Es wurde eben ein Walzer getanzt , und ein Paar nach dem anderen flog an dem Fenster vorüber .
Junge , flüchtige Ökonomen , wie es schien , in knappen und engzugespitzten Fracke fegten tapfer mit tüchtigen Mädchen , die vor Gesundheit und Freude über und über rot waren. Hin und wieder zogen fröhliche , dicke Gesichter , wie Vollmonde , durch diesen Sternenhimmel .
Mitten in dem Gewimmel tanzte eine hagere Figur , wie ein Satyr , in den abenteuerlichsten , übertriebensten Wendungen und Kapriolen , als wollte er alles Affektierte , Lächerliche und Ekle jedes Einzelnen der Gesellschaft in eine einzige Karikatur zusammendrängen .
Bald darauf sah man ihn auch unter den Musikanten eben so mit Leib und Seele die Geige streichen .
Das ist ein höchst seltsamer Gesell , sagte Leontin , und verwendete kein Auge von ihm .
Es ist doch ein sonderbares Gefühl , erwiderte Friedrich nach einer Weile , so draußen aus der weiten , stillen Einsamkeit auf einmal in die bunte Lust der Menschen hineinzusehen , ohne ihren inneren Zusammenhäng zu kennen ; wie sie sich , gleich Marionetten , voreinander verneigen und beugen , lachen und die Lippen bewegen , ohne daß wir hören , was sie sprechen . --
O , ich könnte mir , sagte Leontin , kein schauerlicheres und lächerlicheres Schauspiel zugleich wünschen , als eine Bande Musikanten , die recht eifrig und in den schwierigsten Passagen spielten , und einen Saal voll Tanzender dazu , ohne daß ich einen Laut von der Musik vernähme .
-- Und hast du dieses Schauspiel nicht im Grunde täglich ? entgegnete Friedrich .
Gestikulieren , quälen und mühen sich nicht überhaupt alle Menschen ab , die eigentümliche Grundmelodie äußerlich zu gestalten , die jedem in tiefster Seele mitgegeben ist , und die der eine mehr , der andere weniger und keiner ganz auszudrücken vermag , wie sie ihm vorschwebt ?
Wie weniges verstehen wir von den Taten , ja , selbst von den Worten eines Menschen ! --
Ja , wenn sie erst Musik im Leibe hätten ! fiel ihm Leontin lachend ins Wort .
Aber die meisten fingern wirklich ganz ernsthaft auf Hölzchen ohne Saiten , weil es einmal so hergebracht ist und das vorliegende Blatt heruntergespielt werden muß ; aber das , was das ganze Hantieren eigentlich vorstellen soll , die Musik selbst und Bedeutung des Lebens , haben die närrischgewordenen Musikanten darüber vergessen und verloren .
In diesem Augenblicke kam ein neues Paar bei dem Fenster angeflogen , alles machte ehrerbietig Platz und sie erblickten ein wunderschönes Mädchen , das sich durch seinen Anstand vor allen den anderen auszeichnete .
Sie lehnte lächelnd die zarte , glühende Wange an die Fensterscheibe , um sie abzukühlen .
Darauf öffnete sie gar das Fenster , teilte zierlich ihre Haare , durch die ein Rosenkranz gestochen war , nach beiden Seiten über die Stirn , und schaute , so , wie in Gedanken versunken , lange , in die Nacht hinaus .
-- Leontin und Friedrich waren ihr dabei so nahe , daß sie ihren Atem hören konnten ; ihre stillen , großen Augen , in deren feuchtem Spiegel der Mond wiederglänzte , standen gerade vor ihnen .
Wo ist das Fräulein ? rief auf einmal eine Stimme von innen , und das Mädchen wendete wendete sich um und verlor sich unter den Menschen .
-- Leontin sagte :
Ich möchte den Baum schütteln , daß er bis in die Wurzeln vor Freude beben sollte , ich möchte hier ins offene Fenster hineinspringen und tanzen , bis die Sonne aufgienge , ich möchte wie ein Vogel von dem Baume fliegen über Berge und Wälder ! --
Zwei ältliche Herren unterbrachen diese Ausrufungen , indem sie sich zum Fenster hinauslehnten .
Ihr Gespräch , so ruhig wie ihre Gesichter , ergoß sich wie ein einförmiger , aber klarer Strom über die neuesten politischen Zeitbegebenheiten , von denen sie bald auf ihre Landwirtschaft ablenkten , und aus den Blitzen , die man in der Ferne am wolkenlosen Himmel erblickte , ein günstiges Aerndtewetter prophezeiten .
Unterdes hatte die Musik aufgehört , das Zimmer oben wurde leerer .
Man hörte unten die Türe auf- und zugehen , verschiedene Parteien gingen bei dem schönen Mondscheine im Garten auf und nieder , und auch die beiden alten Herren verschwanden von dem Fenster .
Da kam ein junges Paar , ganz getrennt von den übrigen , langsam auf den Baum zugewandelt .
Gott stehe uns bei , sagte Leontin , da kommen gewiß Sentimentalische , denn sie wandeln so schwebend auf den Zehn , wie einer , der gern fliegen möchte und nicht kann .
Sie waren indes schon so nahe gekommen , daß man verstehen konnte , was sie sprachen .
Haben Sie , fragte der junge Mann , das neueste Werk von La 7 fontaine gelesen ?
Ja , antwortete das Mädchen , in einer ziemlich bäuerischen Mundart , ich habe es gelesen , mein edler Freund ! und es hat mir Tränen entlockt , Tränen , wie sie jeder Fühlende gern weint .
Ich bin so froh , fuhr sie nach einer kleinen Pause fort , daß wir aus dem Schwarm , von den lärmenden , unempfindlichen Menschen fort sind ; die rauschenden Vergnügungen sind gar nicht meine Sache , es ist da gar nichts für das Herz .
Er. O , daran erkenne ich ganz die schöne Seele !
Aber Sie sollten sich der süßen Melancholie nicht so stark ergeben , die edlen Empfindungen greifen den Menschen zu sehr an .
-- Sie sieht aber doch , flüsterte Friedrich , blitzgesund aus und voll zum Aufspringen .
Das kommt eben von dem angreifen , meinte Leontin .
-- Er .
Ach , in wenigen Stunden scheidet uns das eiserne Schicksal wieder , und Berge und Täler liegen zwischen zwei gebrochenen Herzen .
Sie .
Ja , und in dem einen Tale ist der Weg immer so kotig und kaum zum durchkommen .
Er .
Und an meinem neuen schönen Barutsche gerade auch ein Rad gebrochen . --
Aber genießen wir doch die schöne Natur !
An ihrem Busen werde ich so warm !
Sie. O ja .
Er .
Es geht doch nichts über die Einsamkeit für ein sanftes , überfließendes Herz .
Ach !
die kalten Menschen verstehen mich gar nicht !
Sie .
Auch Sie sind der einzige , mein edler Freund , der mich ganz versteht .
Schon lange habe ich Sie im Stillen bewundert , diesen -- wie soll ich sagen ? -- diesen edlen Charakter , diese schönen Sentimentre -- Sentiments wollen Sie sagen , fiel Er ihr ins Wort , und rückte sich mit eitler Wichtigkeit zusammen .
O Jemine ! flüsterte Leontin wieder , mir juckt der Edelmut schon in allen Fingern , ich dächte , wir prügeln ihn durch .
Die beiden Sentimentalischen hatten einander indes mit den Armen umschlungen , und sahen lange stumm in den Mond .
Nun sitzt die Unterhaltung auf dem Sande , sagte Leontin , der Witz ist im abnehmenden Monde .
Aber zu seiner Verwunderung hob Er von neuem an :
O heilige Melancholie ! du sympathetische Harmonie gleichgestimmter Seelen !
So rein , wie der Mond dort oben , ist unsere Liebe !
Während des fing er an , heftig an dem Busenbande des Mädchens zu arbeiten , die sich nur wenig sträubte .
Nun , sagte Leontin , sind sie in ihre eigentliche Natur zurückgefallen , der Teufel hat die Poesie geholt .
Das ist ja ein verwetterter Schuft , rief Friedrich , und fing oben auf seinem Baume an ganz laut zu singen .
Die Sentimentalischen sahen sich eine Weile erschrocken nach allen Seiten um , dann nahmen sie in der größten Verwirrung Reißaus .
Leontin schwang sich lachend , wie ein Wetterkeil , vom Baume hinter ihnen drein und verdoppelte ihren Schreck und ihre Flucht .
Unsere Reisenden waren nun wahrscheinlich verraten und mußten also auf einen klugen Rückzug 7 * bedacht sein .
Sie zogen sich daher auf den leeren Gängen des Gartens an den Spazierengehenden vorüber , und wurden so , vom Dunkel begünstigt , von allen entweder übersehen , oder für Ballgäste gehalten .
Als sie , schon nahe am Ausgange , eben um die Ecke eines Ganges umbeugen wollten , stand auf einmal das schöne Fräulein , die mit einer Begleiterin von der anderen Seite kam , dicht vor ihnen .
Der Mondschein fiel gerade sehr hell durch eine Öffnung der Bäume und beleuchtete die beiden schönen Männer .
Das Fräulein blieb mit sichtbarer Verwirrung vor ihnen stehen .
Sie grüßten sie ehrerbietig .
Sie dankte verlegen mit einer tiefen , zierlichen Verbeugung , und eilte dann schnell wieder weiter .
Aber sie bemerkten wohl , daß sie sich in einiger Entfernung noch einmal flüchtig nach ihnen umsah .
Sie kehrten nun wieder in ihr Wirtshaus zurück , wo sie bereits alles zu einer guten Nacht vorbereitet fanden .
Leontin war unterwegs voller Gedanken und stiller als gewöhnlich .
Friedrich stellte sich oben noch an das offene Fenster , von dem man das stille Dorf und den gestirnten Himmel übersah , verrichtete sein Abendgebet und legte sich schlafen .
Leontin aber nahm die Gitarre und schlenderte langsam durch das nächtliche Dorf .
Nach verschiedenen Umwegen kam er wieder an den Garten .
Da war unterdes alles leer geworden und toten still , in der Wohnung des Pächters alle Lichter verlöscht und die ganze laute , fröhliche Erscheinung versunken .
Ein leichter Wind ging rauschend durch die Wipfel des einsamen Gartens , hin und wieder nur bellten Hunde aus entfernteren Dörfern über das stille Feld .
Leontin setzte sich auf den Gartenzaun hinauf und sang :
Der Tanz , der ist zerstoben , Die Musik ist verhallt , Nun kreisen Sterne droben , Zum Reigen singt der Wald .
Sind alle fortgezogen , Wie ist_es nun leer und tot !
Du rufst vom Fensterbogen :
" Wann kommt der Morgenrot ! "
Mein Herz möchte mir zerspringen , Darum so weine ich nicht , Darum so muß ich singen Bis daß der Tag anbricht .
Ehe es beginnt zu Tagen :
Der Strom geht still und breit , Die Nachtigallen schlagen , Mein Herz wird mir so weit !
Du trägst so rote Rosen , Du schaust so Freudenreich , Du kannst so fröhlich kosen , Was stehst Du still und bleich ?
Und laß sie Gehen und treiben Und wieder nüchtern sein , Ich will wohl bei Dir bleiben !
Ich will Dein Liebster sein !
Das schöne Fräulein war in dem Hause des Pächters über Nacht geblieben .
Sie stand halbentkleidet an dem offenen Fenster , das auf den Garten hinausgieng .
Wer mögen wohl die beiden Fremden sein ? sagte sie gleichgültigscheinend zu ihrer Jungfer .
-- Ich weiß es nicht , aber ich möchte mich gleich fortschleichen und noch heute im Wirtshause nachfragen .
-- Um Gotteswillen , tue das nicht , sagte das Fräulein erschrocken , und hielt sie ängstlich am Arme fest . --
Morgen ist es zu spät .
Wenn die Sonne aufgeht , sind sie gewiß längst wieder über alle Berge . --
Ich will schlafen gehe 'n , sagte das Fräulein , ganz in Gedanken versunken .
Gott weiß , wie es kommt , ich bin heute so müde und doch so munter .
-- Sie ließ sich darauf entkleiden und legte sich nieder .
Aber sie schlief nicht , denn das Fenster blieb offen und Leontins verführerische Töne stiegen die ganze Nacht wie auf goldenen Leitern in die Schlafkammer des Mädchens ein und aus .
Siebentes Kapitel .
Stand ein Mädchen an dem Fenster , Da es draußen Morgen war , Kämmte sich die langen Haare , Wusch sich ihre Äuglein klar .
Sangen Vöglein aller Arten , Sonnenschein spielte vor dem Haus , Draußen über 'n schönen Garten Flogen Wolken weit hinaus .
Und sie dehnt sich in den Morgen , Als ob sie noch schläfrig sei , Ach , sie war so voller Sorgen , Flocht ihr Haar und sang dabei :
Wie ein Vöglein hell und reine , Ziehet draußen muntere Liebe , Lockt hinaus zum Sonnenscheine , Ach , wer da zu Hause blieb !
Die Morgensonne traf unsere Reisende schon wieder draußen zu Pferde , und das Dorf , wo sie übernachtet , lag dampfend hinter ihnen .
Leontin hatte bereits im Wirtshause erfahren , daß das schöne Fräulein die Tochter eines in der Nähe reichbegüterten Edelmannes sei , welcher , wie er sich sehr wohl erinnerte , mit seinem Vater in ganz besonders freundschaftlichen Verhältnissen gestanden hatte .
Es wurde daher beschlossen , bei ihm einzusprechen .
Gegen Abend erblickten sie das Schloß des Herrn v. A. , das aus einem freundlichreichen Chaos von Gärten und hohen Bäumen friedlich hervorragte .
Sie ritten langsam zwischen hohen Kornfeldern hin .
Die Sonne , die sich eben zum Untergange neigte , warf ihre Strahlen schief über die Fläche und spielte lustig in den nickenden Ähren .
Ein fröhliches Singen und Wirren verschiedener Stimmen lenkte bald die Augen der beiden Reiter von der ruhigen Landschaft vor ihnen ab , und sie erblickten seitwärts in einiger Entfernung vom Wege ein weites Feld , wo man so eben mit der Ernte begriffen war .
Eine lange Reihe von Arbeitern wimmelte lustig durcheinander , der laute Ruf der Merker erschallte von Zeit zu Zeit dazwischen , und schwerbeladene Wagen zogen langsam und knarrend dem Dorfe zu .
Im Hintergrunde dieses Gewimmels sah man eine bunte Gruppe von vornehmeren Personen gelagert , die den Arbeitern zusahen und unter denen Leontin sogleich das schöne Fräulein wieder erkannte .
Mitten unter ihnen ragte eine höchstseltsame Figur hervor .
Ein hagerer Mann nämlich , in einem langen , weißen Mantel saß auf einem hochbeinigen Schimmel , der den Kopf fast auf die Erde hängen ließ .
Von dieser seiner Rosinante teilte die abenteuerliche Gestalt , im Tone einer Predigt , Befehle an die Bauern aus , worauf jedesmal ein lautes Gelächter erfolgte .
Leontin und Friedrich zweifelten nicht , daß jene Zuschauer die Herrschaft des Ortes seien , und da sie bemerkten , daß bereits alle Augen auf sie gerichtet waren , so übergaben sie ihre Pferde an Erwin und eilten , sich selber der Gesellschaft vorzustellen .
Herr v. A. und seine Schwester , die sich seit dem Tode ihres Mannes beim Bruder aufhielt , erinnerten sich sogleich der ehemaligen freundschaftlichen Verhältnisse , zwischen den beiden Heu fern , und drückten ihre Freude , Leontin und seinen Freund bei sich zu sehen , mit den aufrichtigsten Worten aus .
Das Fräulein wurde bei ihrer Ankunft über und über rot und wagte nicht , die Augen aufzuschlagen , denn sie erkannte beide recht gut wieder .
Neben ihr stand ein ziemlich junger , bleicher Mann , in dem sie sogleich dieselbe Gestalt wiedererkannten , die gestern mit so einer ironischen Wut getanzt und musiziert hatte .
Seine auffallenden Gesichtszüge hatten sich tief in Leontins Gedächtnis gedrückt .
Aber es war heute gar keine Spur von Gestern an ihm , er schien ein ganz anderer Mensch .
Er sah schlicht , still und traurig und war verlegen im Gespräche .
Es war ein Theologe , der , zu arm , seine Studien zu vollenden , auf dem Schlosse des Herrn v. A. Unterhalt , Freunde und Heimat gefunden und dafür die Leitung des Schulwesens auf den sämtlichen Gütern übernommen hatte .
Der Ritter von der traurigen Gestalt dagegen schaute von seinem Schimmel während dem Empfange und der ersten Unterhaltung so unheimlich und komisch darein , daß Leontin gar nicht von ihm wegsehen konnte .
Jeder Bauer , den seine Arbeit an ihm vorüberführte , gesegnete die Gestalt mit einem tüchtigen Witze , wobei sich jener immer heftig verteidigte .
Leontin erhielt sich nur noch mit vieler Mühe , sich mit darein zu mischen , als die Tante endlich die Gesellschaft aufforderte , sich nach Hause zu begeben , und alles aufbrach .
Die sonderbare Gestalt setzte sich nun voraus im Galopp .
Er schlug dabei mit beiden Füßen unaufhörlich in die Rippen des Kleppers und sein weißer Mantel rauschte in seiner ganzen Länge in den Lüften hinter ihm drein .
Die Bauern riefen ihm sämtlich ein freudiges Hurra nach .
Herr v. A. , der die Verwunderung der beiden Gäste bemerkte , sagte lachend :
das ist ein armer Edelmann , der vom Stegreif lebt , ein irrender Ritter , der von Schloß zu Schloß zieht und uns besonders oft heimsucht , ein Hofnarr für alle , die ihn ertragen können , halb närrisch und halb gescheit .
Als sie durchs Dorf gingen , wurden sie von allen Seiten nicht nur mit dem Hute , sondern auch mit freundlichen Worten und Mienen begrüßt , welches immer ein gutmütiges und natürliches Verhältnis zwischen der Herrschaft und ihren Bauern verrät .
Sie kamen endlich an das Schloß und übersahen auf einmal einen weiten , freundlichen und fröhlich wimmelnden Hof .
Alles war geschäftig , nett und ordentlich und beurkundete eine tätige Hauswirtin .
Friedrich äußerte diese Bemerkung , wodurch sich die Tante ungemein geschmeichelt zu finden schien .
Sie konnte ihre Freude darüber so wenig verbergen , daß sie sogleich anfing , sich mit einer Art von Wohlbehagen über ihre häuslichen Einrichtung und die Vergnügungen der Landwirtschaft auszubreiten .
Das Schloß selbst war neu , sehr heiter , Licht und angenehm , das Hausgerät in den gemütlichen Zimmern ohne besondere Wahl gemischt und sämtlich wie aus einer unlängst vergangenen Zeit .
Der Tisch in dem großen , geräumigen Tafelzimmer wurde gedeckt und man setzte sich bald fröhlich zum Abendessen .
Die Unterhaltung blieb anfangs ziemlich stockend , steif und gezwungen , wie dies jederzeit in solchen Häusern der Fall ist , wo , aus Mangel an vielseitigen , allgemeinen Berührungen mit der auswählt , eine gewisse feste , ungelenke Gewohnheit des Lebens Wurzel geschlagen hat , die durch das plötzliche Eindringen wildfremder Erscheinungen , auf die ihr ewig gleichförmiger Gang nicht berechnet ist , immer eher verstimmt als umgestimmt wird .
Herr v. A. , ein langer , ernster Mann , in seiner Kleidung fast pedantisch , sprach wenig .
Desto mehr führte seine Schwester das hohe Wort .
Sie war eine lebhafte , regsame Frau , wie man zu sagen pflegt , in den besten Jahren , eigentlich aber gerade in den schlimmsten .
Denn ihre Gestalt und unverkennbar schönen Gesichtszüge fingen so eben an , auf ein vergangenes Reich zu deuten .
In dieser gefährlichen Sonnenwende steigt die Schönheit mürrisch , launisch und zankend von ihrem irdischen Throne , wo sie ein halbes Leben lang geherrscht , in die öde , Freudenlose Zukunft , wie ins Grab .
Wohl denen seltenen größeren Frauen , welche die Zeit nicht versäumten , sondern im ruhigen , gesammelten Gemüte sich eine andere Welt der Religion und Sanftmut erbauten !
Sie verwechseln nur die Thronen und werden ewig lieben und geliebt werden .
Das Gespräch fiel während der Tafel auch auf die Erziehung der Kinder , ein Kapitel , von dem fast alle Weiber am liebsten sprechen und am wenigsten verstehen .
Die Tante , die nur auf eine Gelegenheit gepaßt hatte , ihren Geist vor den beiden Fremden glänzen zu lassen , verbreitete sich darüber in dem gewöhnlichen Tone von Aufklärung , Bildung , feiner Sitten u. s. w. Zu ihrem Unglück aber fiel es dem irrenden Ritter , der unterdes ganz unten an der Tafel mit Leib und Seele gegessen hatte , ein , sich mit in das Gespräch zu mischen .
Gerade als sie sich in ihren Redensarten eben am wohlsten gefiel , fuhr er höchstkomisch mit Wahrheiten darein , die aber alle so ungewöhnlich und abenteuerlich ausgedrückt waren , daß Friedrich und Leontin nicht wußten , ob sie mehr über die Schärfe seines Geistes oder über seine Verrücktheit erstaunen sollten .
Besonders brach Leontin in ein schadenfrohes Gelächter aus .
Die Tante , der es nicht an vielseitigen Talenten gebrach , um seine Verrücktheiten nicht ohne Salz zu finden , warf ihm unwillige Blicke zu , worauf sich jener in einem philosophischen Bombast von Unsinn verteidigte und endlich selber in ein albernes Lachen ausbrach .
Sie hatte aber doch das Spiel verspielt ; denn beide Gäste , besonders Leontin , spürten bereits eine gewisse Kameradschaft mit dem rätselhaften irrenden Ritter in sich .
Als endlich die Tafel aufgehoben wurde , mußte Fräulein Julie noch ihre Geschicklichkeit auf dem Klaviere zeigen , welches sie ziemlich fertig spielte .
Während des hatte die Tante Friedrich'n bei Seite genommen , und erzählte ihm , wie sehr sie bedaure , ihre Nichte nicht frühzeitig in die Residenz in irgend ein Erziehungshaus geschickt zu haben , wo allein junge Frauenzimmer das gewisse Etwas erlernten , welches zum geselligen Leben so unentbehrlich sei .
Ich bin der Meinung , antwortete ihr Friedrich , daß jungen Fräulein gerade das Landleben am besten fromme .
In jenen berühmten Instituten wird durch Eitelkeit und heillose Nachahmungssucht die kindliche Eigentümlichkeit jedes Mädchens nur verallgemeinert und verdorben .
Die arme Seele wird nach einem Modelle , das für alle passen soll , so lange dressiert und gemodelt , bis am Ende davon nichts übrig bleibt , als das leere Modell .
Ich versichere , ich will alle Mädchen aus solchen Instituten sogleich an ihrer Wohlerzogenheit erkennen , und wenn ich sie anrede , weiß ich schon im Voraus , was sie mir antworten werden , was für ein Schlag von Witz oder Spaß erfolgen muß , was sie für kleine Lieblingslaunen haben u. s. w. Die Tante lachte , ohne jedoch eigentlich zu wissen , was Friedrich mit alle dem meine .
Unterdes hatte das Fräulein ein Volkslied angefangen .
Die Tante unterbrach sie schnell und ermahnte sie , doch lieber etwas vernünftiges und sanftes zu singen .
Leontin aber , den dabei seine Laune überwältigte , setzte sich statt des Fräuleins hin und sang sogleich aus dem Stegreif ein zärtliches Lied so übertrieben und süßlich , daß Friedrich'n fast übel wurde .
Fräulein Julie sah ihn groß an und war dann wahrend seines ganzen Gesanges in tiefe Gedanken versunken . -- Erst spät begab man sich zur Ruhe .
Das Schlafzimmer der beiden Gäste war sehr nett und sauber zubereitet , die Fenster gingen auf den Garten hinaus .
Eine geheimnisvolle Aussicht eröffnete sich dort über den Garten weg in ein weites Tal , das in stiller , nächtlicher Runde vor ihnen lag .
In einiger Ferne schien ein Strom zu gehen , Nachtigallen schlugen überall aus den Tälern herauf .
Das muß hier eine schöne Gegend sein , sagte Leontin , indem er sich zum Fenster hinauslehnte .
Sie kommt mir vor , wie die Menschen hier im Hause , entgegnete Friedrich .
Wenn ich in einen solchen abgeschlossenen Kreis von fremden Menschen hineintrete , ist es mir immer , als sähe ich von einem Berge in ein unbekanntes , weites , nächtliches Land .
Da gehen stille breite Ströme , und tausend verborgene Wunder liegen seltsam zerstreut und die fröhliche Seele dichtet bunte , lichte , glückliche Tage in die verworrene Dämmerung hinein .
Ich habe oft gewünscht , daß ich die meisten Menschen niemals zum zweitenmal wiedersehen und näher kennen lernen dürfte , oder daß ich immer aufgeschrieben hätte , wie mir jeder zum erstenmal vorkam .
-- Wahrhaftig , fiel ihm Leontin la kennt ins Wort , sprichst du doch , als wärst du von neuem verliebt .
Aber du hast ganz recht , mir ist eben so zu Mute , und es ist nur schade um ein redliches Herz , das durch eine immerwährende Täuschung so entherzt wird .
Denn wenn in jene schöne , ungewisse Nacht der ersten Bekanntschaft nach und nach der Tag anfängt herüberzuschielen und die nüchternen Hähne krähen , da schleicht ein wunderbarer Geist nach dem anderen abseits ; was in der Nacht wie ein dunkler Riese dastand , wird ein krummer Baum , das Tal , das aussah wie eine umgeworfene , uralte römische Stadt , wird ein gemeines Ackerfeld und das ganze Märchen nimmt ein schales Ende .
Ich konnte so fromm sein , wie ein Lämmchen und niemals eine Anwandlung von Witz verspüren , wenn nicht alles so dumm ginge .
-- Friedrich sagte darauf :
Nimm dich in Acht mit deinem Übermute !
Es ist leicht und angenehm , zu verspotten , aber mitten in der Täuschung den großen , herrlichen Glauben an das Bessere fest zu halten , und die anderen mit feurigen Armen emporzuheben , das gab Gott nur seinen liebsten Söhnen .
-- Ich sage dir in vollem Ernst , erwiderte Leontin ungemein liebenswürdig , du wirst mich noch einmal ganz belehren , du seltsamer Mensch .
Gott weiß es wohl , mir fehlt noch viel , daß ich gut wäre . --
Am Morgen strahlte die Gegend in einem zauberischen Glanze in ihre Fenster herauf .
Sie eilten in den Garten hinab , wo sie nicht wenig über die Schönheit der Landschaft erstaunten .
Der Garten selbst stand auf einer Reihe von Hügeln , wie eine frische Blumenkrone über der grünen Gegend .
Von jedem Punkte desselben hatte man die erheiternde Aussicht in das Land , das wie in einem Panorama ringsherum ausgebreitet lag .
Nirgends bemerkte man weder eine französische noch englische durchgreifende Regel , aber das Ganze war ungemein erquicklich , als hätte die Natur aus fröhlichem Übermute sich selber ausschmücken wollen .
Herr o. A. und seine Schwester , letztere , wie wir später sehen werden , wohl nicht ohne besondere Absicht , baten ihre Gäste recht herzlich und dringend , längere Zeit bei ihnen zu verweilen , und beide willigten gern in den angenehmen Aufenthalt .
Doch erst , als die allmähliche Gewohnheit des Zusammenlebens ihnen das Bürgerrecht des Hauses erteilt hatte , empfanden sie die Wohltat des stillen , gleichförmigen häuslichen Lebens und labten sich an diesem immer neu erfreulichen Schauspiele , das über gutgeartete Gemüter eine Ruhe und einen gewissen festen Frieden verbreitet , den viele ein Leben lang in der bunten Weltlust oder in der Wissenschaft selber vergebens suchen .
Wenn die Sonne über den Gärten , Bergen und Tälern aufging , flog auch schon alles aus dem Schlosse nach allen Seiten aus .
Herr v. A. fuhr auf die Felder , seine Schwester und das Freu lein lein hatten im Hofe zu tun und wurden gewöhnlich erst gegen Mittag in reinlichen , weißen Kleidern sichtbar .
Friedrich und Leontin wohnten eigentlich den ganzen Vormittag draußen in dem schönen Garten .
Auf Friedrich hatte das stille Leben den wohltätigsten Einfluß .
Seine Seele befand sich in einer kräftigen Ruhe , in welcher allein sie , gleich dem unbewegten Spiegel eines Sees , im Stande ist , den Himmel in sich aufzunehmen .
Das Rauschen des Waldes , der Vogelsang rings um ihn her , diese seit seiner Kindheit entbehrte grüne Abgeschiedenheit , alles rief in seiner Brust jenes ewige Gefühl wieder hervor , das uns wie in den Mittelpunkt alles Lebens versenkt , wo alle die Farbenstrahlen , gleich Radien , ausgeh 'n und sich an der wechselnden Oberfläche zu dem schmerzlichschönen Spiele der Erscheinung gestalten .
Alles Durchlebte und Vergangene geht noch einmal ernster und würdiger an uns vorüber , eine überschwengliche Zukunft legt sich , wie ein Morgenrot , blühend über die Bilder und so entsteht aus Ahnung und Erinnerung eine neue Welt in uns und wir erkennen wohl alle die Gegenden und Gestalten wieder , aber sie sind größer , schöner und gewaltiger und wandeln in einem anderen , wunderbaren Lichte .
Und so dichtete hier Friedrich unzählige Lieder und wunderbare Geschichten aus tiefster Herzenslust , und es waren fast die glücklichsten Stunden seines Lebens. 8 Oft besuchte ihn dort Herr v. A. in seiner Werkstatt , doch immer nur auf kurze Zeit , um ihn nicht zu stören ; denn er schien eine heilige Scheu vor allem zu haben , womit es einem Menschen Ernst war , obschon er , wie Friedrich aus mehreren Äußerungen bemerkt hatte , insbesondere von der Dichtkunst gar nichts hielt .
Er war einer von jenen , die , durch einseitige Erziehung und eine Reihe schmerzlicher Erfahrungen ermüdet , den lebendigen Glauben an Poesie , Liebe , Heldenmut und alles Große und Ungewöhnliche im Leben aufgegeben haben , weil es sich so ungefüge gebärdet und nirgends mehr in die Zeit hineinpassen will .
Zu überdrüssig , um sich diese Rätsel zu lösen , und doch zu großmütig , um sich in das wichtigtuende Nichts der anderen einzulassen , ziehen sich solche Menschen nach und nach kalt in sich selbst zurück und erklären zuletzt alles für eitel und Affektation .
Daher liebte er die beiden Gäste , welche seine meist sehr genialen Bemerkungen , mit denen er das Erbärmliche aller Affektation auf die höchste Spitze des Lächerlichen zu stellen pflegte , immer sogleich verstanden und würdigten .
Überhaupt waren ihm diese beiden eine ganz neue Erscheinung , die ihn oft in seiner Apathie irre machte , und er gewann während ihres Aufenthaltes auf dem Schlosse eine ungewöhnliche Heiterkeit und Lust an sich selber .
Übrigens war er bis zur Sonderbarkeit einfach , redlich und gutmütig und Friedrich liebte ihn unaussprechlich .
Fräulein Julie fuhr fort , ihre Tante in den häuslichen Geschäften mit der strengsten Ordnung zu unterstützen .
Sonst war sie still und wußte sich eben so wenig wie ihr Vater in die gewöhnliche Unterhaltung zu finden , worüber sie oft von der Tante Vorwürfe anhören mußte .
Doch verbreitete die beständige Heiterkeit und Klarheit ihres Gemütes einen unwiderstehlichen Frühling über ihr ganzes Wesen .
Leontin , den ihre Schönheit vom ersten Augenblicke an heftig ergriffen hatte , beschäftigte sich viel mit ihr , sang ihr seine phantastischen Lieder vor oder zeichnete ihr Landschaften voll abenteuerlicher Karikaturen und Bäumen und Felsen , die immer aussahen , wie Träume .
Aber er fand , daß sie gewöhnlich nicht wußte , was sie mit alle dem anfangen sollte , daß sie gerade bei Dingen , die ihn besonders erfaßten , fast kalt blieb .
Er begriff nicht , daß das heiligste Wesen des weiblichen Gemütes in der Sitte und dem Anstande bestehe , daß ihm in der Kunst , wie im Leben , alles Zügellose ewig fremd bliebe .
Er wurde daher gewöhnlich ungeduldig und brach dann in seiner seltsamen Art in Witze und Wortspiele aus .
Da aber das Fräulein wieder viel zu unbelesen war , um diese Sprünge seines Geistes zu verfolgen und zu verstehen , so führte er , statt zu belehren , einen immerwährenden Krieg in die Luft mit einem Mädchen , dessen Seele war wie das Himmelblau , in dem jeder fremde Schall verfliegt , das aber in ungestör 8 * ter Ruhe aus sich selber den reichen Frühling ausbrütet .
Desto besser schien das Fräulein mit Friedrich zu stehen .
Diesem erzählte sie zutraulich mit einer wohltuenden Bestimmtheit und Umsicht von ihrem Hauswesen , ihrer beschränkten Lebensweise , zeigte ihm ihre bisherige Lektüre aus der Bibliothek ihres Vaters , die meistenteils aus fabelhaften Reisebeschreibungen und alten Romanen aus dem Englischen bestand , und tat dabei unbewußt mit einzelnen , abgerissenen , ihr ganz eigenen Worten oft Äußerungen , die eine solche Tiefe und Fülle des Gemütes aufdeckten , und so seltsam weit über den beschränkten Kreis ihres Lebens hinausreichten , daß Friedrich oft erstaunt vor ihr stand und durch ihre großen , blauen Augen in ein Wunderreich hinunterzublicken glaubte .
Leontin sah sie oft Stundenlang so zusammen im Garten gehen und war dann gewöhnlich den ganzen Tag über ausgelassen , welches bei ihm immer ein schlimmes Zeichen war .
Der schöne Knabe Erwin , der mit einer unbeschreiblichen Treue an Friedrich hing , behielt indes auch hier seine Sonderbarkeiten bei .
Er hatte ebenfalls seinen Wohnplatz in dem Garten aufgeschlagen und war noch immer nicht dahin zu bringen , eine Nacht im Hause zu schlafen .
Leontin hatte für ihn eine eigene phantastische Tracht ausgesonnen , so viel auch die Tante , die es sehr ungereimt fand , dagegen hatte .
Eine Art von spanischem Wams nämlich , himmelblau mit goldenen Kettchen , umschloß den schlanken Körper des Knaben .
Den weißen Hals trug er bloß , ein zierlicher Kragen umgab den schönen Kopf , der mit seinen dunklen Locken und schwarzen Augen wie eine Blume über dem bunten Schmucke ruhte .
Da Friedrich hier weniger zerstreut war , als sonst , so widmete er auch dem Knaben eine besondere Aufmerksamkeit .
Er entdeckte in wenigen Gesprächen bald an Schärfe und Tiefe eine auffallende Ähnlichkeit seines Gemütes mit Julien .
Nur mangelte bei Erwin das ruhige Gleichgewicht der Kräfte , die alles beleuchtende Klarheit ganz und gar .
Im verborgensten Grunde der Seele schien vielmehr eine geheimnisvolle Leidenschaftlichkeit zu ruhen , die alles verwirrte und am Ende zu zerstören drohte .
Mit Erstaunen bemerkte Friedrich zugleich , daß es dem Knaben durchaus an allem Unterrichte in der Religion gebreche .
Er suchte daher seine frühesten Lebensumstände zu erforschen , aber der Knabe beharrte mit unbegreiflicher Hartnäckigkeit , ja mit einer Art von Todesangst auf seinem Stillschweigen über diesen Punkt .
Friedrich ließ es sich nun ernstlich angelegen sein , ihn im Christentum zu unterrichten .
Alle Morgen , wenn die Natur in ihrer Pracht vor ihnen ausgebreitet lag , saß er mit ihm im Garten , und machte ihn mit dem großen Wunderreichen Lebenswandel des Erlösers bekannt , und fand , ganz dem Gange der Zeit zuwider , das Gemüt des Knaben weit empfänglicher für das Verständnis des Wunderbaren als des Alltäglichen und Gewöhnlichen .
Seit dieser Zeit schien Erwin innerlich stiller , ruhiger und selbst geselliger zu werden .
In Juliens Wesen war indes , seit die Fremden hier angekommen waren , eine unverkennbare Veränderung vorgegangen .
Sie schien seitdem gewachsen und sichtbar schöner geworden zu sein .
Auch fing sie an , sich mehrere Stunden des Tages auf ihrem Zimmer zu beschäftigen .
Aus diesem Zimmer ging eine Glastüre auf den Garten hinaus ; vor derselben standen auf einem Balkon eine Menge hoher , ausländischer Blumen , mitten in diesem Wunderreiche von Duft und Glanz saß ein bunter Papagei hinter goldenen Stäben .
Hier befand sich Julie , wenn alles ausgegangen war , und las oder schrieb , während Erwin , draußen vor dem Balkon sitzend , auf der Gitarre spielte und sang .
So fand sie Friedrich einmal , als er sie zu einem Spaziergange abholte , eben über einem Gemälde begriffen .
Es war , wie er mit dem ersten Blicke flüchtig unterscheiden konnte , ein halbvollendetes Porträt eines jungen Mannes .
Sie verdeckte es schnell , als er hereintrat , und sah ihn mit einem durchdringenden , rätselhaften Blicke an . -- Sollte sie lieben ? dachte Friedrich , und wußte nicht , was er davon halten sollte .
Achtes Kapitel .
Es war festgesetzt worden , daß die ganze Familie eine kleine Reise auf ein Jagdgut des Herrn v. A. unternehmen sollte , das einige Meilen von dem Schlosse entfernt war .
Am Morgen des bestimmten Tages wachte Friedrich sehr zeitig auf .
Er stellte sich ans Fenster .
Der Hof und die ganze Gegend lag noch ruhig , am fernen Horizonte fing bereits an , der Tag zu grauen .
Nur zwei Jäger waren auch schon munter und putzten unten im Hofe die Gewehre .
Sie bemerkten den Grafen nicht und schwatzten und lachten miteinander .
Friedrich hörte dabei mit Verwunderung mehrmals Fräulein Julien nennen .
Der eine Jäger , ein schöner junger Bursch , sang darauf mit heller Stimme ein altes Lied , wovon Friedrich immer nur die letzten Verse , womit sich jede Strophe schloß , vorstand :
Das Fräulein ist ein schönes Kind , Sie hat so muntre Augen , Die Augen so verliebet sind , Zu sonst sie gar nichts taugen .
Friedrich erschrak , denn er zweifelte nicht , daß das Lied Julien gelten sollte .
Er überdachte das Benehmen des Fräuleins in der letzten Zeit , das Verstecken des Bildes und verschiedene hingeworfene Reden , und konnte sich selbst der Meinung nicht erwehren , daß sie verliebt sei ; aber wen sie meine , blieb ihm noch immer dunkel .
Unterdes hatte sich der Tag immer mehr und mehr erhoben , hin und wieder im Schlosse gingen schon Türen auf und zu , bis es endlich nach und nach lebendig wurde .
Wer es weiß , was es heißt , ein so schwerfälliges Haus flott zu machen , der wird sich von dem Rumpelmorgen einen Begriff machen können , der nun begann .
Wie auf einem Schiffe , das sich zu einer nahen Schlacht bereitet , verbreitete sich langsam wachsend ein dunkles Getöse von Eile und Geschäftigkeit durch es ganze Schloß , Betten , Koffer und Schachteln flogen aus einer Ecke in die andere , nur noch selten hörte man die Kommando-Trompete der Tante dazwischen tönen .
Für Leontin waren diese feierlichen Vorbereitungen , die Wichtigkeit , mit der jeder sein Geschäft betrieb , ein wahres Fest .
Unermüdlich befand er sich überall mitten im Gewühle und suchte unter dem Scheine der Hilfeleistung die Verwirrung immer größer zu machen , bis er endlich durch seine zweideutigen Mienen den Zorn des gesamten Frauenzimmers dergestalt gegen sich empört hatte , daß er es für das rätlichste hielt , Reißaus zu nehmen .
Er setzte sich daher mit Friedrich und Viktor , so hieß der Theologe , zu Pferde und sie ritten auf das Gut hinaus .
Viktor , der nun mit den beiden schon vertrauter und gesprächiger geworden war , schien alle Trübnis dahinten gelassen zu haben , als sie über die Berge ritten .
Er war auf einmal ausgelassen lustig , und sie konnten nicht umhin , über den sonderbar wechselnden Menschen zu erstaunen , der besonders ganz nach Leontins Geschmack war .
Unterwegs sahen sie den seltsamen irrenden Ritter , der schon lange wieder das Schloß verlassen hatte , in der Ferne auf seinem Gaule über ein Ackerfeld hinwegstolpern .
Vektoren brachte dieser Anblick ganz außer sich vor Freude .
Er rief ihm sogleich mit geschwenktem Hute zu .
Da aber jener , statt still zu halten , seinen Gaul vielmehr in Trab setzte , um ihnen zu entkommen , so drückte er sogleich die Sporen ein und machte Jagd auf ihn .
Er hatte ihn bald eingeholt und brachte ihn unter einem heftigen und lauten Wortwechsel mit sich zurück .
Um diese Eroberung vermehrt , zogen sie nun fröhlich weiter und erblickten nach einigen Stunden endlich das Gut des Herrn v. A. als sie auf einer Anhöhe plötzlich aus dem Walde herauskamen .
Das kleine Schloß mit seinem netten Hofe lag mitten in einem einsamen Tale , rings umher von Tannenwäldern umschlossen .
Leontin , den diese tiefe Einsamkeit überraschte , blieb in Gedanken stehen und sagte :
Wie fürchterlich schön , hier mit einem geliebten Weibe ein ganzes Leben lang zu wohnen !
Ich möchte mich um alle Welt nicht verlieben .
Als sie unten in das Tal hinabzogen , bog auch schon auf der Höhe der Wagen des Herr v. A. mit seinen vier Rappen um die Waldesecke herum und der Kutscher knallte lustig mit der Peitsche , daß es weit in die Wälder hineinschallte .
Das Fräulein lehnte sich zum Wagen hinaus .
Da reitet Er ! rief sie auf einmal hastig . --
Zum Glücke rollte der Wagen zu schnell hinab , und die Tante hatte es nicht gehört .
Am folgenden Morgen , da die Gesellschaft zur Jagd aufbrach , war Leontin schon lange draußen im Walde .
Er hatte sich von den Jägern im allgemeinen die Gegend bezeichnen lassen , wo die Jagd gehalten werden sollte , und war noch vor Tagesanbruch allein vorausgeritten .
Denn ihm waren alle die weitläufigen und schulgerechten Zurüstungen , die einer solchen allgemeinen Jagd immer vorherzugehen pflegen , in den Tod verhaßt .
Er durchstrich daher an dem frischen Morgen allein die einsame Heide , wo ihn oft plötzlich durch eine Lichtung des Waldes die herrlichsten Aussichten überraschten und Stundenlang festbannten .
So folgte er dem lustigen Jagdgewirre immer von weitem nach .
Und wie unter ihm die Wälder rauchten , hin und wieder Schüsse fielen und zwischen dem Gebell der Hunde die Hörner von Zeit zu Zeit ertönten , da dichtete seine frische Seele unaufhörlich seltsame Lieder , die er sogleich sang , ohne jemals ein einziges aufzuzeichnen .
Denn was er aufschrieb , daran verlor er sogleich die freie , unbestimmte Lust .
Es war , als bräche das Wort unter seiner Hand die luftigen Schwingen .
Er beherrschte nicht , wie der besonnene Dichter , das gewaltige Element der Poesie , der Glückliche wurde von ihr beherrscht .
Unterdes war die Sonne schon hoch über die Wipfel des Waldes gestiegen , nur noch hin und her gaben die Hunde einzelne Laute , kein Schuß fiel mehr und der Wald wurde auf einmal wieder still .
Die Jäger durchstrichen das Revier und riefen mit ihren Hüfthörnern die zerstreuten Schützen von allen Seiten zusammen .
So hatte sich nach und nach die Gesellschaft , außer Leontin , zusammengefunden und auf einer großen , schönen Wiese gelagert , die kühl und luftig zwischen den Waldbergen sich hinstreckte .
Mehrere benachbarte Edelleute waren schon frühmorgens mit ihren Söhnen und Töchtern im Walde zur Jagd gestoßen und vermehrten nun den Trupp ansehnlich .
Die Mädchen saßen , wie Blumen in einen Teppich gewirkt , mit ihren bunten Tüchern lustig im Grünen , reinlich gedeckte Tische mit Eßwaren und Wein standen schimmernd unter den kühlen Schatten , die Tante ging , alles fleißig und mit gutem Sinne ordnend , umher .
Julie hatte , während Friedrichs und Leontins Aufenthalte auf dem Schlosse , den benachbarten Fräulein schon manches von den beiden Fremden geschrieben , vielerlei seltsame Dinge hatte der Ruf , der auf dem Lande alles Fremde um desto hungriger ergreift , je seltener es ihm kommt , zu ihnen getragen .
Friedrich'n hatten sie nun kennen gelernt , aber seine ruhige , einfache Sitte befriedigte die jungen , neugierigen Seelen keineswegs .
Und doch hatte ihnen Julie immer nur von ihm mit so vieler Wärme und Ausführlichkeit geschrieben , Leontinen aber bloß mit einigen flüchtigen Worten berührt , aus denen sie niemals recht klug werden konnten . --
Auf einmal trat auch dieser gegenüber auf der Höhe aus dem Walde , und alle die jungen , schönen Augen flogen der hohen , schlanken Gestalt zu .
Er konnte sich nicht enthalten , als er unter sich das bunte Lustlager erblickte , seinen Hut überm Kopfe zu schwenken .
Man erwiderte von unten seine Begrüßung , wobei sich insbesondere Viktor wieder auszeichnete .
Er warf seinen Hut mit fröhlicher Wut hoch in die Luft , ergriff schnell seine Büchse und schoß ihn so im Fluge , zu nicht geringem Schreck des sämtlichen Frauenzimmers , wieder herab .
Leontin war indes hinabgestiegen , und alles rückte sich nun um die reichbedeckten Tische zusammen .
Die Jäger lagen , ihre Weinflaschen in der Hand , hin und her zerstreut , ihre Hunde lechzend neben ihnen auf den Boden hingestreckt .
Der freie Himmel machte alle Herzen weit , der Wein blickte golden aus den hellgeschliffenen Gläsern , wie die Lust aus den glänzenden Augen , und ein fröhliches Durcheinandersprechen erfüllte bald die Luft .
Unter den fremden Fräulein befand sich auch eine Braut , ein hübsches , junges , sehr munteres Mädchen .
Ihr Bräutigam war ein schöner , schlanker Landjunker mit einem bedeutenden Gesicht voll Leben , um das es jammerschade war , daß es durch einige rohe Züge entstellt wurde .
Er mußte sich auf das tumultuarische Andringen sämtlicher Alten feierlich neben seine Braut setzen , welches er auch ohne weiteres tat .
Könnte ich_es nur ein einzigesmal in meinem Leben so weit bringen , sagte Leontin zu Friedrich , so einen stattlichen , engelrechten Bräutigam vorzustellen !
So eine öffentliche Brautschaft ist wie ein Wirtshaus mit einem abgeschabten Cupido am Aushängeschilde , wo jedermann aus- und eingehen und sein bisschen Witz blicken lassen darf .
Wehe der Braut , die unter lustige Trinker gerät !
So wurde auch hier nach rechter deutscher Weise dem Brautpaare bald von allen Seiten mit kernigen Anhängen zugetrunken , wofür sich die junge Braut immer zierlich und errötend bedankte , indem sie jedesmal ebenfalls das Glas an den Mund setzte .
Auch Leontin , der sich an dem allgemeinen Getümmel von guten und schlechten Einfällen ergötzte , und dem die feinen Lippen der Braut rosiger vorkamen , wenn sie sie in den goldenen Rand des Weines tauchte , setzte ihr tapfer zu und trank mehr als gewöhnlich .
Die alten Herren hatten sich indes in einen weitläufigen Diskurs über die Begebenheiten und Heldentaten der heutigen Jagd verwickelt , und konnten nicht aufhören zu erzählen , wie jener Hase so herrlich zu Schuß gekommen , wie jener Hund angeschlagen , der andere die Jagd dreimal gewendet u. s. w. Leontin , der auch mit in das Gespräch hineingezogen wurde , sagte :
ich liebe an der Jagd nur den frischen Morgen , den Wald , die lustigen Hörner , und das gefährliche , freie , soldatische Leben .
-- Alle nahmen sogleich Partei gegen diesen ketzerischen Satz und überschrien ihn heftig mit einem verworrenen Schwall von Widersprüchen .
Die eigentlichen Jäger von Handwerk , fuhr Leontin lustig fort , sind die eigentlichen Pfuscher in der edlen Jägerei , Narren des Waldes , Pedanten , die den Waldgeist nicht verstehen ; man sollte sie gar nicht zulassen , uns anderen gehört das schöne Waldrevier !
Diese offenbare Kriegserklärung brachte nun vollends alles in Harnisch .
Von allen Seiten fiel man laut über ihn her .
Leontin , den der viele Wein und die allgemeine Fehde erst recht in seine Lustigkeit hineingesetzt hatte , wußte sich nicht mehr anders zu retten :
er ergriff die Gitarre , die Julie mitgebracht , sprang auf seinen Stuhl hinauf und übersang die Kämpfenden mit folgendem Liede :
Was wollt ihr in dem Walde haben , Mag sich die arme Menschenbrust Am Waldesgruße nicht erlaben , Am Morgenrot und grüner Lust ?
Was tragt ihr Hörner an der Seite , Wenn ihr des Hornes Sinn vergaßt , Wenn es euch nicht selbst lockt in die Weite , Wie ihr vom Berge frühmorgens blast ?
Ihr werdet doch nicht die Lust erjagen , Ihr mögt durch alle Wälder gehe 'n ; Nur müde Füße ' und leere Magen -- Mir möchte die Jägerei Vergehen !
O nehmet doch die Schneiderelle , Guckt in der Küche in den Topf !
Sonntags dann auf des Hauses Schwelle , Kraule ' euch die Ehefrau auf dem Kopf !
Die Tierlein selber : Hirsch und Rehen , Was lustig haust im grünen Haus , Sie fliehen auf ihre freien Höhen , Und lachen arme Wichte aus .
Doch , kommt ein Jäger wohlgeboren , Das Horn irrt , er blitzt rosenrot , Da ist das Hirschlein wohl verloren , Stellt selber sich zum lustigen Tod .
Vor allen aber die Verliebten , Die lade ich ein zur Jägerlust , Nur nicht die weinerlich Betrübten , Die recht von frisch und starker Brust .
Mein Schatz ist Königin im Walde , Ich stoße ins Horn , ins Jägerhorn !
Sie hört mich fern und naht wohl bald , Und was ich blase , ist nicht verloren ! --
Ich glaube , ich blase gar schon aus des Knaben Wunderhorn , unterbrach er sich hier selber und sprang schnell von seinem Stuhle .
Die ganze Gesellschaft war durch das lustige Lied wieder mit ihm ausgesöhnt , der Streit war vergessen und von allen Seiten wurde auf die Gesundheit des Sängers getrunken .
Unterdes zog der seltsame Viktor , der sich während Leontins Gesang fortgeschlichen hatte , weil er kein Lied vertragen konnte , wo er nicht selbst mitsingen durfte , aller Augen auf ein neues Schauspiel .
Er warf nämlich im Hintergrunde , um nicht bemerkt zu werden , zu seiner eigenen Herzenslust die leeren Weinfässchen in die Luft , während die Jäger alle nach denselben schießen mußten , welches nicht ohne daß größte Geschrei ablief .
Die Tante , welche keinen Rausch an Männern ertragen konnte , befürchtete eine allgemeine Anarchie und lud die Gesellschaft , um die erhitzten Gemüter zu zerstreuen , noch auf einige Stunden zu sich auf das Jagdschloß .
Alles brach daher auf und bestieg den Wagen .
Friedrich , Leontin und Viktor ritten wieder dem langen Zuge voran , den Ritter von der traurigen Gestalt in ihrer Mitte , dessen baufälliges Pferd die Jäger mit einem Baldachin von grünen Zweigen und jungen Bäumchen besteckt hatten , so daß er , gleich Münchhausen , wie unter einer Laube ritt .
Als sie auf dem Schlosse angekommen waren , wurden geschwind noch einige Musikanten , so gut sie hier zu bekommen waren , zusammengebracht , und man tanzte bis zur einbrechenden Nacht .
Für Friedrich und Leontin , die , frühzeitig in die Welt hinausgestoßen , gewohnt waren , das Leben immer nur in großen , vollendeten Maßen , gleichsam wie im Fluge , zu berühren , gewährte dieser kleine Kreis , wo fast alle mit einander verwandt nur Eine Familie bildeten , eine neue Erscheinung .
Die erquickliche Art , wie die jungen Landfräulein immer mit mit Mund , Händen und den munteren Augen zugleich erzählten , ihre kleinen Manieren und unschuldige Koketterie , die Sorgfalt , mit welcher die Mütter nach jedem Tanze herumgienen und ihren artigen Kätzchen die Haare aus der heißen Stirn strichen und sie ermahnten , nicht kalt zu trinken , das lächelnde Wohlbehagen , mit dem eine jede alle Mienen Leontins und Friedrichs verfolgten , wenn sie sich mit ihren Töchtern gut zu unterhalten schienen , alles dies machte auf die beiden Fremden den sonderbarsten Eindruck , und sie hätten mit ihrem neuen und ungewöhnlichen Wesen heute viele Herzen erobern können , wenn der eine nicht zu großmütig , der andere nicht zu wild gewesen wäre .
Leontin walzte mit der niedlichen Braut .
Sie tanzte außerordentlich leicht und schön , und , wie er so den schlanken , vollen Leib im Arme hatte , sah sie so unbeschreiblich frisch und reizend aus , daß er sich nicht enthalten konnte , das schöne Kind einigemal an sich zu drücken .
Sie blickte heimlich lächelnd mit listigfragenden Augen unter die langen Wimpern zu ihm herauf .
Sie konnten endlich beide vor Müdigkeit nicht mehr weiter fort und er tanzte daher mit ihr bis in die nächste Fensternische , wo sie zusammen auf die Stühle sanken .
Nach einiger Zeit sah er sie an einem anderen Fenster neben Fräulein Julien in ruhigem Gespräche sitzen .
Er lehnte sich hinter ihnen an die Wand , ohne von ihnen bemerkt zu werden .
Sie erzählte 9 Julien , wann ihre Hochzeit sein werde , wieviel seine Wäsche sie mitbekomme , wie sie ihren kleinen Garten einrichten wollten u. s. w. Dort in dem Schlösschen unten , fuhr sie fort , werden wir wohnen .
Leontin warf einen Blick durch das offene Fenster und sah das Dach des Schlösschens , so eben vom Abendrot beleuchtet , unbeschreiblich einsam und verlassen aus den Wäldern hervorragen .
Eine große Bangsamkeit überflog da sein Herz und er versank in tiefe Gedanken .
Die Braut , die unterdes auf einmal gewahr wurde , daß er alles mit angehört , schämte sich und verdeckte ihr Gesicht mit beiden Händchen .
In diesem Augenblick hörte man ein verworrenes Getöse auf der Stiege , die Türe gähnte und spie einen ganzen Knäuel der seltsamsten und abenteuerlichsten Zerrbilder und Mißgestalten aus , wie sie nur eine fürchterlichreiche , dunkel in sich selber arbeitende Phantasie ersinnen konnte .
Viktor !
-- riefen Leontin und Friedrich zugleich , und sie hatten es erraten .
Dieser hatte nämlich in möglichster Hast alles Altmodische , Lächerliche und Zerlumpte von Kleidungsstücken , dessen er habhaft werden konnte , zusammengerafft und damit die Bedienten und Jäger des Herrn v. A. aufgeputzt .
Mit einem unübertrefflich raschen und glücklichen Witze hatte er , da er alle genau kannte , jedem zugeteilt , was ihm zukam , und so durch eine ungewöhnliche Verbindung des Gewöhnlichsten den Phantasiereichsten Charakterzug erschaffen .
Da keine Lar ven vorhanden waren , so hatte er selber in aller Schnelligkeit die Gesichter gemalt , und man mußte zugeben , jedes war ein wahrer Triumph der freisten und schärfsten Laune , denn eines Jeden verborgenste , innerste Narrheit lachte erlöst aus den Zügen .
Besonders zeichnete sich eine über alle Maßen dünne und Schneiderartige Figur aus mit einem unbeschreiblich albern lächelnden Gesichte , dem er alle Haare rückwärts aus der glatten Stirn gekämmt hatte .
Der Leib des alten Rockes war um eben so viel zu lang , als die knappen Ärmel zu kurz erschienen .
Recht oben auf dem Wirbel schwebte ein winziges Hütchen , in der Hand trug er einen kleinen Sonnenschirm .
Viktor selbst führte in einem umgekehrten Rocke mit einer verstimmten Geige den Zug an , und war recht das Salz und die Seele des Abenteuers .
Mit einer Wut von Lust wußte er einem jeden seinen eigentümlichen Spielraum zu verschaffen , und selbst die Eitelsten dahin zu bringen , daß sie sich einmal über sich selbst erheben und ihre eigene Narrheit zum Narren hatten .
Und so gebärdeten sich denn auch die Ungeschicktesten meisterlich , so wie die Plumpheit selber komisch wird , wenn sie über ihre eigene Füße fällt .
Herr v. A. stand ganz still in einer Ecke und lachte , daß ihm die Augen übergienen .
Die Tante , die , wie fast alle Damen , keinen unmittelbaren Spaß verstand , lächelte gezwungen .
Manche andere schämten sich zu lachen , und taten sich Gewalt an , ernsthaft auszusehen .
Den irrenden Ritter aber hatte , seltsam ge 9 * nug , gleich beim Eintritte des Maskenzuges eine sonderbare Furcht überfallen ; er nahm Reißaus und ließ sich nicht mehr wiedersehen .
Viktor führte daher , als die Ergötzung an dem Spektakel anfing lau zu werden , endlich die Bande wieder fort , um den flüchtigen Ritter aufzusuchen .
Sie fanden ihn in einem finsteren Winkel des Hofes versteckt .
Er war äußerst aufgebracht und wehrte sich mit Händen und Füßen , als sie ihn aufspürten .
Viktor nahm ihn beim Arme und walzte mit ihm , wie wahnsinnig , im Hofe um den Brunnen herum .
Ein alter , dicker Gerichtsverwalter , dem sie unvermerkt die Dose mit Kienruß gefüllt , und der daher , da er sich bei jeder Prise das Gesicht bemalte , wider sein Wissen und Willen eine Hauptfigur in dem Lustspiele abgab , mußte ebenfalls an einer allgemeinen Menuett Teil nehmen , die sich jetzt in dem Hofe entspann .
Ein einziges Licht stand auf einem Pfahle und warf im Winde einen flatternden Schein über die seltsame Verwirrung .
Leontin , der sich bald Anfangs mit Leib und Seele mit hineingemischt hatte , saß hoch oben auf dem Gartenzaune und strich die verstimmte Geige dazu .
Den irrenden Ritter , der sich indes voll Angst und Zorn mit Gewalt wieder losgemacht hatte , sah man auf seinem Pferde mitten in der mondhellen Nacht über die Felder entfliehen .
Wie haben Ihnen die Streiche gefallen ? fragte die Tante den Grafen Friedrich , von dem sie ganz zuversichtlich erwartete , daß er den Spaß für unanständig hielt .
In meinem Leben , sagte Friedrich , habe ich keine Pantomime gesehen , wo mit so einfachen Mitteln so Vollkommenes erreicht worden wäre .
Es wäre zu wünschen , man könnte die weltberühmten Mimik , Grotesktänzer und wie sie sich immer nennen , auf einen Augenblick zu ihrer Belehrung unter diesen Trupp versetzen .
Wie armselig , nüchtern und albern würden sie sich unter diesen tüchtigen Gesellen ausnehmen , die nicht bloß diese oder jene einzelne Richtung des Komischen ängstlich herausheben , sondern Sprache , Witz und den ganzen Menschen in Anspruch nehmen .
Jene ermatten uns recht mit allgemeinen Späßchen , ohne alle Individualität , mit hergebrachten , längstabgenuzten Mienen und Sprüngen , und vor lauter künstlichen Anstalten zum Lachen kommen wir niemals zum Lachen selber .
Hier erfindet jeder selbst , wie es ihm die Lust des Augenblickes eingibt , und die Torheit lacht uns unmittelbar und keck ins Gesicht , daß uns recht das Herz vor Freiheit aufgeht . --
Das ist wahr , sagte die Tante , über dieses Urteil erstaunt , unser Viktor ist ein pudelnärrischer , lustiger Mensch . --
Das glaube ich kaum , erwiderte Friedrich , ein Mensch muß sehr kalt oder sehr unglücklich sein , um so zu phantasieren .
Viktor kommt mir vor , wie jener Prinz in Sizilien , der in seinem Garten und Schlosse alles schief baute , so daß sein Herz das einzige Gerade in der phantastischen Verkehrung war .
Es war unterdes schon spät geworden , die fremden Wagen fuhren unten vor und die Gesellschaft fing an Abschied zu nehmen und aufzusteigen .
In dem allgemeinen Getümmel der Bekomplimentierungen hatte die niedliche Braut noch ein Tuch vergessen .
Sie lief daher mit Julien noch einmal in das Zimmer zurück .
Es war niemand mehr darin , nur Leontin , der endlich auch die Maskenbande verlassen hatte , kam so eben von der anderen Seite herein .
Das lustige Mädchen versteckte sich schnell , da sie ihn erblickte , hinter die lange Fenster-Gardine und wickelte sich ganz darein , so daß nur die munteren Augen lüstern auffordernd aus dem Schleier hervorblitzten .
Leontin zog das schöne mutwillige Kind heraus und küßte sie auf den roten Mund .
Sie gab ihm schnell einen herzhaften Kuß wieder und rannte eiligst zu dem Wagen zurück , wo man ihrer schon harrte .
Ade , Ade ! sagte sie noch am Schlage zu Julien , eigentlich aber mehr zu Leontin hingewendet , ihr seht mich nun so bald nicht wieder , gewiß nicht . --
Und sie hielt Wort .
Die Gäste waren nun fort , Herr v. A. und seine Schwester schlafen gegangen , und alles im Schlosse leer und still .
Leontin saß oben im Vorsaale im offenen Fenster .
Draußen zogen Gewitter , man sah es am fernen Horizonte blitzen .
Fräulein Julie ging so eben mit einem Lichte in der Hand über den Hausflur nach ihrer Schlafkammer .
Er rief ihr eine gute Nacht zu .
Sie war unentschlos sein , ob sie bleiben oder weitergehen sollte .
Endlich kehrte sie zögernd um , und trat zu ihm ans Fenster .
Da bemerkte er Tränen in ihren großen Augen ; sie war ihm noch nie so wunderschön vorgekommen .
Liebe Julie ! sagte er , und faßte ihre kleine Hand , die sie gern in der seinigen ließ .
Der Wind , der zum Fenster hereinkam , löschte ihr plötzlich das Licht aus .
Mit abgewendetem Gesicht sprach sie da einige Worte in die Nacht hinaus , aber so leise und , wie es ihm schien , von verhaltenem Weinen erstickt , daß er nichts verstehen konnte .
Er wollte sie fragen , aber sie zog ihre Hand weg und ging schnell in ihr Schlafzimmer .
Ohne zu wissen , was er davon halten sollte , schaute er voller Gedanken in den finsteren Hof hinunter .
Dort sah er Vektoren auf einem großen Steine sitzen , den Kopf in beide Hände gestützt ; er schien eingeschlafen .
Er eilte daher selber in den Hof hinab und nahm die Gitarre mit , die er unten im Fenster liegend fand .
Wir wollen diese Nacht auf dem Teiche herumfahren , sagte er zu Viktor , der indes aufgewacht war .
Dieser war sogleich mit voller Lust von der Partie , und so zυgen sie zusammen hinaus .
Sie bestiegen den kleinen Kahn , der unweit vom Schlosse im Schilfe angebunden lag , und ruderten bis in die Mitte des Sees .
Die ganze Runde war totenstill , nur einige Nachtvögel pfiffen von Zeit zu Zeit aus dem Walde herüber .
Es schien , als wollte das Wetter heraufkommen , das man von ferne sah , denn ein kühler Wind flog über den Teich voran und kräuselte die ruhige Fläche .
Sie glaubten Fräulein Julie an dem Fenster zu bemerken .
Da sang Leontin , der vorn im Kahne aufrecht stand , folgendes Lied zur Gitarre , während der ewig rege und unruhige Viktor bald tollkühn mit dem Kahne schaukelte , bald wieder in den Wald hinausrief , daß hin und her die Hunde an den nächsten Häusern wach wurden : Schlafe , Liebchen , weil es auf Erden Nun so still und seltsam wird !
Oben geht die goldene Herde , Für uns alle wacht der Hirte .
In der Ferne zieh 'n Gewitter ; Einsam auf dem Schifflein schwank Greif ' ich draußen in die Zither , Weil mir gar so schwül und bang .
Schlingend sich an Bäume und Zweigen , In Dein stilles Kämmerlein , Wie auf goldenen Leitern , steigen Diese Töne aus und ein .
Und ein wunderschöner Knabe Schifft hoch über Tal und Kluft , Rührt mit seinem goldenen Stabe Säuselnd in der lauen Luft .
Und in wunderbaren Weisen , Singt er ein uraltes Lied , Das in linden Zauberkreisen Hinter seinem Schifflein zieht .
Ach , den süßen Klang verführet Weit der buhlerische Wind , Und durch Schloß und Wand ihn spüret Träumend jedes schöne Kind .
Es fing stärker an zu blitzen , das Gewitter stieg herauf .
Viktor schaukelte heftiger mit dem Kahne ; Leontin sang :
Es waren zwei junge Grafen Verliebt bis in den Tod , Die konnten nicht Ruhe 'n noch schlafen Bis an den Morgen rot .
O trau den zwei Gesellen , Mein Liebchen , nimmermehr , Die Gehen wie Wind und Wellen , Gott weiß : wohin , woher . --
Wir grüßen Land und Sterne Mit wunderbarem Klang , Und wer uns spürt von ferne , Dem wird so wohl und bang .
Wir haben wohl hienieden Kein Haus an keinem Ort , Es reisen die Gedanken Zur Heimat ewig fort .
Wie eines Stromes Dringen Geht unser Lebenslauf , Gesanges Macht und Ringen Tut helle Augen auf .
Und Ufer , Wolkenflügel , Die Liebe hoch und mild --
Es wird in diesem Spiegel Die ganze Welt zum Bild. Dich rührt die frische Helle , Das Rauschen heimlich kühl , Das lockt Dich zu der Welle , Weil es draußen leer und schwül .
Doch wolle nie Dir halten Der Bilder Wunderfest , Tod wird ihr freies Walten , Hältst Du es weltlich fest .
Kein Bett darf er hier finden .
Wohl in den Tälern schön Siehst Du sein Gold sich winden , Dann plötzlich Meerwärts drehen .
Viktor , der unterdes , ohne auf das Lied zu achten , immerfort das Echo versuchte , zwang ihn hier , durch sein übermäßiges Rufen und Schreien , abzubrechen .
Julie hatte auch schon lange das Fenster geschlossen und alles im Schlosse war finster und still .
Das Gewitter zog indes gerade über ihnen hin , die Wälder rauschten von allen Seiten .
Leontin griff stärker und frommer in die Saiten :
Schlage mit den flammen Flügeln !
Wenn Blitz aus Blitz sich reißt :
Steht wie in Roßesbügeln So ritterlich mein Geist .
Waldesrauschen , Wetterblicken Macht recht die Seele los , Da grüßt sie mit Entzücken , Was wahrhaft , ernst und groß .
Es schiffen die Gedanken Fern wie auf weitem Meer , Wie auch die Wogen schwanken :
Die Segel schwellen mehr .
Herr Gott , es wacht Dein Wille !
Wie Tag und Lust verwehen , Mein Herz wird mir so stille Und wird nicht Untergehen .
Sie bemerkten nun einen roten Schein , der über dem Schloßhofe zu stehen schien .
Sie hielten es für einen Feuermann ; denn die ganze Zeit hindurch hatten sie rings in der Runde solche Erscheinungen , wie Wachtfeuer lodern gesehen : teils bläuliche Irrlichter , die im Winde über die Wiesen streiften , teils größere Feuergestalten , mit zweifelhaftem Glanze durch die Nacht wandelnd .
Als sie aber wieder hinblickten , sahen sie den Feuermann über dem Schlosse sich langsam dehnen und Riesengroß wachsen , und ein langer Blitz , der so eben die ganze Gegend beleuchtete , zeigte ihnen , daß der Schein gerade vom Dache ausging .
Um Gotteswillen , das ist Feuer im Schloß ! rief Viktor erblassend , und sie ruderten , ohne ein Wort zu sprechen , eiligst auf das Ufer zu .
Als sie ans Land kamen , sahen sie bereits einen rötlichen Qualm zum Dachfenster hervordringen und sich in fürchterlichen Kreisen in die Nacht hinauswälzen .
Alles im Hause und im Hofe schlief noch in tiefster Ruhe .
Viktor machte Lärm an allen Türen und Fenstern .
Leontin eilte in die Kirche und zog die Sturmglocke , deren abgebrochene , dumpfe Klänge , die weit über die stillen Berge hinzogen , ihn selber im Innersten erschütterten .
Der Nachtwächter ging durch die Gassen des Dor fes und erfüllte die Luft mit den gräßlichen Jammertönen seines Hornes .
Und so wurde endlich nach und nach alles lebendig , und rannte mit bleichen Totengesichtern , gleich Gespenstern , bestürzt und verstört durcheinander .
Die heftige Tante hatte bald der erste Schreck überwältigt .
Sie lag bewußtlos in Krämpfen und vermehrte so die allgemeine Verwirrung noch mehr .
Schon schlug die helle Flamme oben aus dem Dache , das Hinterhaus stand noch ruhig und unversehrt .
Niemanden fiel es in der ersten Bestürzung ein , daß Fräulein Julie im Hinterhause schlafe und ohne Rettung verloren sei , wenn die Flamme die einzige Stiege , die dort hinauf führte , ergriffe .
Leontin dachte daran und stürzte sich sogleich in die Glut .
Als er in ihr Schlafzimmer trat , sah er das schöne Mädchen , den Kopf auf den vollen , weißen Arm gesenkt , in ungestörtem Schlafe ruhen .
Alles in dem Zimmer lag noch still und friedlich umher , wie sie es beim Entkleiden hingelegt ; ein aufgeschlagenes Gebetbuch lag an ihrer Seite .
Es war ihm in diesem Augenblicke , als sähe er einen schönen , goldgelockten Engel neben ihrem Bette sitzen , der schaute mit den stillen , himmlischen Augen in das wilde Element , das sich vor Kinderaugen fürchtet .
-- Das Fräulein schlug verwundert fragend die großen Augen auf , als er zu ihr trat , und erblickte bald die ungewöhnliche , schreckliche Helle durch das ganze Haus .
Leontin schlug schnell das Bett Tuch um sie herum und nahm sie auf den Arm .
Ohne ein Wort zu sprechen , umklammerte sie ihn in stummem Schrecken .
Ein heftiger Wind , der aus dem Brande selbst auszugehen schien , faltete indes die Flammen-Fahnen immer mehr auseinander , der schreckliche Feuermann griff mit seinen Riesenarmen rechts und links in die dunkle Nacht und hatte bereits auch schon das Hinterhaus erfaßt .
Da sah Leontin auf einmal , mitten zwischen den Flammen , eine unbekannte weibliche Gestalt in weißem Gewande erscheinen , die ruhig in dem Getümmel auf- und nieder ging .
Gott sei Dank ! hörte er zugleich draußen die Bauern rufen , wenn die da ist , wird es bald besser gehe 'n . --
Wer ist die weiße Frau ? fragte Leontin , der nicht ohne innerlichen Schauder auf sie hinblicken konnte .
Julie , die ihr Gesicht fest an ihn gedrückt hatte , überhörte in der Verwirrung die Frage , und so trug er sie hoch durch das Feuer hindurch , ohne die Augen von der fremden Gestalt zu wenden .
Kaum hatte er aber das Fräulein im Hofe niedergesetzt , als er selber , von dem Rauche , der Hitze und Anstrengung ganz erschöpft , bewußtlos auf den Boden hinsank .
Jene seltsame Erscheinung hatte während des alle mit frischem Mute beseelt , und so war es der verdoppelten Anstrengung gelungen , die Flammen endlich zu zwingen .
Als Leontin die Augen wieder aufschlug , sah er mit Erstaunen alles ringsumher schon leer und ruhig .
Die weiße Frau aber war mit dem Feuer verschwunden , wie sie gekommen war .
Er selber lag neben der Brandstätte auf einem Kasten zwischen einer Menge geretteter Gerätschaften , die unordentlich übereinander lagen .
Julie saß neben ihm und hatte seinen Kopf auf ihrem Schoße .
Alle anderen hatten sich , von der Arbeit ermattet , nach und nach zerstreut , Herr v. A. und seine Schwester noch auf einige Stunden zur Ruhe begeben .
Nur Vektoren , der während dem Brande mehrmals bis in die innersten Zimmer gedrungen , und immer mitten zwischen dem zusammenstürzenden Gebälk erschienen war , sah er hoch auf einem halbabgebrannten Pfeiler eingeschlafen .
Das prächtige Feuerwerk war indes nun in sich selber zusammengesunken , nur hin und wieder flackerte noch zuweilen ein Flämmchen auf , während einige dunkle Wachen an dem verwüsteten Platze auf und ab gingen , um das Feuer zu hüten .
Leontin hatte den einen Arm um Julien geschlungen , die stille neben ihm saß .
Ihr Herz war so voll , wie noch niemals in ihrem ganzen Leben .
Im Innersten aufgeregt von den raschen Begebenheiten dieser Nacht , war es ihr , als hätte sie in den wenigen Stunden Jahre überlebt ; was lange im Stillen geglommen , war auf einmal in helle Flammen ausgebrochen .
Müde lehnte sie ihr Gesicht an seine Brust und sagte , ohne aufzusehen : Sie haben mir mein Leben gerettet .
Ich kann es nicht beschreiben , wie mir damals zu Mute war .
Ich möchte Ihnen nun so gern aus ganzer Seele danken , aber ich könnte es doch nicht ausdrücken , wenn ich es auch sagen wollte .
Es ist auch eigentlich nicht das , daß Sie mich aus dem Feuer getragen haben . --
Hier hielt sie eine Weile inne , dann fuhr sie wieder fort :
Die Flamme ist nun verloschen .
Wenn der Tag kommt , ist alles wieder gut und ruhig , wie sonst .
Jeder geht wieder gelassen an seine alte Arbeit und denkt nicht mehr daran .
Ich werde diese Nacht niemals vergessen .
Sie sah bei diesen Worten Gedankenvoll vor sich hin .
Leontin hielt sich nicht länger , er zog sie an sich und wollte sie küssen .
Sie aber wehrte ihn ab und sah ihn sonderbar an . --
So saßen sie noch lange , wenig sprechend , nebeneinander , bis endlich Julien die Augen zusanken .
Er fühlte ihr ruhiges , gleichförmiges Atmen an seiner Brust .
Er hielt sie fest im Arme und saß so träumerisch die übrige Nacht hindurch .
Die Gewitter hatten sich indes ringsum verzogen , ein labender Duft stieg aus den erquickten Feldern , Kräutern und Bäumen .
Aurora stand schon hoch über den Wäldern .
Da weckte der kühle Morgenwind Julien aus dem Schlummer .
Der Rausch der Nacht war verflogen ; sie erschrak über ihre Stellung in Leontins Armen und bemerkte nun , da es überall Licht war , mit Erröten , daß sie halb bloß war .
Leontin hob das schöne , verschlafene Kind hoch vor sich in den frischen Morgen hinein , während sie ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckte .
Darauf sprang sie fort von ihm und eilte ins Haus , wo so eben alles anfing , sich zu ermuntern .
Neuntes Kapitel .
Am Morgen saßen alle in der Stube des Jägers beim Frühstück versammelt , die unruhigen Ereignisse dieser Nacht besprechend .
Julie sah blaß aus , und Leontin bemerkte , daß sie oft heimlich über die Tasse weg nach ihm hinblickte , und schnell wieder wegsah , wenn sein Auge ihr begegnete .
Alle untersuchten darauf noch einmal die Brandstätte , die noch immer Fortrauche .
Man war allgemein der Meinung , daß ein Blitz gezündet haben müsse , so viel Mühe sich auch der dicke Gerichtsverwalter gab , darzutun , daß es boshafterweise angelegt sei , und daß man daher mit aller Strenge untersuchen und verfahren müsse .
Herr v. A. verschmerzte den Verlust sehr leicht , da er ohnedies schon lange Willens war , das alte Schlösschen niederreißen zu lassen , um ein neues , bequemeres hinzubauen .
Leontin fragte endlich wieder um die weiße Frau .
Es ist eine reiche Witwe , sagte Herr o. A. , die vor einigen Jahren plötzlich in diese Gegend kam , und mehrere Güter ankaufte .
Sie ist im Stillen sehr wohltätig , und , seltsam genug , bei Tag und bei Nacht , wo immer ein Feuer aus bricht , bricht , sogleich bei der Hand , wobei sie dann die armen Verunglückten mit ansehnlichen Summen unterstützt .
Die Bauern glauben nun ganz zuversichtlich , sobald sie nur erscheint , müsse das Feuer sich legen , wie beim Anblick einer Heiligen .
Übrigens empfängt und erwidert sie keine Besuche , und niemand weiß eigentlich recht , wie sie heißt , und woher sie gekommen ; denn sie selber spricht niemals von ihrem vergangenen Leben .
Ja wohl , sagte der Gerichtsverwalter , mit einer wichtigen Miene , es geht dort überaus geheimnisvoll zu .
Aber es gibt auch noch Leute hinterm Berge .
Man weiß wohl , wie es zugeht in der Welt .
Mein Gott ! die liebe Jugend -- junges Blut tut nicht gut -- .
Ich bitte , malen Sie uns keinen Schnurrbart an das Heiligenbild ! unterbrach ihn Leontin , der sich seine Phantasie von der wunderbaren Erscheinung nicht verderben lassen wollte .
Es war unterdes schon wieder aufgepackt worden , um auf das Schloß des Herrn v. A. zurückzukehren .
Leontin konnte der Begierde nicht widerstehen , die weiße Frau näher kennen zu lernen .
Er beredete daher Friedrich , mit ihm einen Streifzug nach dem nahgelegenen Gute derselben zu machen .
Sie versprachen , beide noch vor Abend wieder bei der Gesellschaft einzutreffen .
Gegen Mittag kamen sie auf dem Landsitze der Unbekannten an .
Sie fanden ein neu erbautes Schloß , das , ohne eben groß zu sein , durch seine 10 große , einfache Erfindung auf das angenehmste überraschte .
Eine Reihe hoher , schlanker Säulen bildete oben den Vorderteil des Schlosses .
Eine schöne , steinerne Stiege , welche die ganze Breite des Hauses einnahm , führte zu diesem Säuleneingange hinauf .
Die Stiege erhob sich nur allmählich und terrassenförmig und war mit Orangen , Zitronenbäumen und verschiedenen hohen Blumen besetzt .
Vor dieser blühenden Terrasse lag ein weiter , Schattenreicher Garten ausgebreitet .
Alles war still , es schien niemand zu Hause zu sein .
Auf der Stiege lag ein schönes , etwa zehnjähriges Mädchen über einem Tamburin , auf das sie das zierliche Köpfchen gelehnt hatte , eingeschlummert .
Oben hörte man eine Flötenuhr spielen .
Das Mädchen wachte auf , als sie an sie herankamen , und schüttelte erstaunt die schwarzen Locken aus den munteren Augen .
Dann sprang sie scheu auf und in den Garten fort , während die Schellen des Tambourins , das sie hoch in die Luft hielt , hell erklangen .
Die beiden Grafen gingen nun in den Garten hinab , dessen ganze Anlage sie nicht weniger anzog , als das Äußere des Schlosses .
Wie wahr ist es , sagte Friedrich , daß jede Gegend schon von Natur ihre eigentümliche Schönheit , ihre eigene Idee hat , die sie mit ihren Bächen , Bäumen und Bergen , wie mit abgebrochenen Worten , auszusprechen sucht .
Wen diese einzelnen Laute rühren , der setzt mit wenigen Mitteln die ganze Rede zusammen .
Und darin besteht doch eigentlich die ganze Kunst und Lust , daß wir uns mit dem Garten recht verstehen .
Leontin war indes mehrmals verwundert stehen geblieben .
Höchstseltsam ! sagte er endlich , als sie den Gipfel eines Hügels erreicht hatten , diese Baumgruppen , Wäldchen , Hügel und Aussichten , erinnern mich ganz deutlich an gewisse Gegenden , die ich in Italien gesehen , und an manchen , glücklich durchschwärmten Abend .
Es ist wahrhaftig mehr als eine zufällige Täuschung .
Der Abend fing bereits an einzubrechen , als sie wieder bei den Stufen der großen Stiege anlangten .
Sie wurden beide von dem herrlichen Anblicke überrascht , der sich ihnen dort von oben darbot .
Die Gegend lag in der Abendroten Dämmerung wie ein verworrenes Zaubermeer von Bäumen , Strömen , Gärten und Bergen , auf dem Nachtigallenlieder , gleich Sirenen , schifften .
Wie glücklich , sagte Friedrich , ist eine beruhigte , stille Seele , die im Stande ist , so besonnen und gleichförmig nach allen Seiten hin zu wirken und zu schaffen , die , von keiner besonderen Leidenschaft mehr gestört , auf der schönen Erde , wie in der Vorhalle des größeren Tempels , wohnt !
Er wurde hier durch einige Saiten-Akkorde unterbrochen , die aus dem Garten herauftönten .
Bald darauf hörten sie einen Gesang .
Friedrich horchte voll Erstaunen , denn es war dasselbe sonderbare Lied aus seiner Kindheit , das manchmal 10 * auch Erwin in der Nacht gesungen , und das er sonst nirgends wieder gehört hatte .
Leontin war indes in das erste Zimmer hineingetreten , dessen Türe halb geöffnet stand .
Er warf einen flüchtigen Blick durch das Gemach .
Ein altes , auf Holz gemaltes Ritterbild hing dort an der Wand , über welche der Abend zuckend die letzten ungewissen Strahlen warf .
Leontin trat erschüttert zurück , denn er erkannte auf einmal das beleuchtete Gesicht des Bildes .
In demselben Augenblick trat ein alter Bediente von der anderen Seite in das Zimmer und schien heftig zu erschrecken , als er Leontin ansah .
Um Gotteswillen , rief Leontin ihm zu , sagen Sie mir , wer ist der Ritter dort ?
Der Alte entfärbte sich und sah ihn lange ernsthaft und forschend an .
Das Bild ist vor mehreren hundert Jahren gemalt , eine zufällige Ähnlichkeit muß Sie täuschen , sagte er darauf wieder gesammelt und ruhig .
Wo ist die Frau vom Hause ? fragte Leontin wieder .
Sie ist heute noch vor Tagesanbruch schnell fortgereist und kommt so bald nicht zurück , antwortete der Bediente und entfernte sich mit einer eiligen Verbeugung , als wollte er allen ferneren Fragen ausweichen .
Unruhig kehrte nun Leontin wieder zu Friedrich zurück , gegen den er von dem ganzen letzten Vorfalle nichts erwähnte .
Weder der Bediente , noch auch das zierliche , scheue Mädchen , das sie vorhin schlummernd angetroffen , zeigte sich mehr , und so ritten beide endlich Gedankenvoll auf das Schloß des Herrn v. A. zurück , wo sie spät in der Nacht anlangten .
Zehntes Kapitel .
Die alte , gleichförmige Ordnung der Lebensweise kehrte nun wieder auf dem Schlosse zurück .
Die beiden Gäste hatten auf vieles Bitten noch einige Zeit zugeben müssen und lebten jeder auf seine Weise fort .
Friedrich dichtete wieder fleißig im Garten oder dem daran stoßenden angenehmen Wäldchen .
Meist war dabei irgend ein Buch aus der Bibliothek des Herrn v. A. , wie es ihm gerade in die Hände fiel , sein Begleiter .
Seine Seele war dort so ungestört und heiter , daß er die gewöhnlichsten Romane mit jener Andacht und Frischheit der Phantasie ergriff , mit welcher wir in unserer Kindheit solche Sachen lesen .
Wer denkt nicht mit Vergnügen daran zurück , wie ihm zu Mute war , als er den ersten Robinson oder Ritterroman las , aus dem ihm das frühste lüsterne Vorgefühl , die wunderbare Ahnung des ganzen , künftigen , reichen Lebens anwehte ; wie zauberisch da alles aussah und jeder Buchstabe auf dem Papiere lebendig wurde ?
Wenn ihm dann nach vielen Jahren ein solches Buch wieder in die Hand kommt , sucht er begierig die alte Freude wieder auf darin , aber der frische , kindische Glanz , der damals das Buch und die ganze Erde überschien , ist verschwunden , die Gestalten , mit denen er so innig vertraut war , sind unterdes fremde und anders geworden und sehen ihn an , wie ein schlechter Holzstich , daß er weinen und lachen möchte zugleich .
Mit so munteren , malerischen Kindes-Augen durchflog denn auch Friedrich diese Bücher .
Wenn er dazwischen dann vom Blatte aufsah , glänzte von allen Seiten der schöne Kreis der Landschaft in die Geschichten hinein , die Figuren , wie der Wind durch die Blätter des Buches rührte , erhoben sich vor ihm in der grenzenlosen , grünen Stille und traten lebendig in die schimmernde Ferne hinaus ; und so war eigentlich kein Buch so schlecht erfunden , daß er es nicht erquickt und belehrt aus der Hand gelegt hätte .
Und das sind die rechten Leser , die mit und über dem Buche dichten .
Denn kein Dichter gibt einen fertigen Himmel ; er stellt nur die Himmelsleiter auf von der schönen Erde .
Wer , zu träge unlustig , nicht den Mut verspürt , die goldenen , losen Sprossen zu besteigen , dem bleibt der geheimnisvolle Buchstabe ewig tot , und er täte besser , zu graben oder zu pflügen , als so mit unnützem Lesen müßig zu Gehen .
Leontin dagegen durchstrich alle Morgen , wenn er es etwa nicht verschlief , welches gar oft geschah , mit der Flinte auf dem Rücken Felder und Wälder , schwamm einigemal des Tages über die rei ßendsten Stellen des Flusses , der im Tale vorbeygieng , und kannte bereits alle Pfade und Gesichter der Gegend .
Auch auf das Schloß der unbekannten Dame war er schon einigemal wieder hinübergeritten , fand aber immer niemanden zu Hause .
Alle Tage besuchte er gewissenhaft ein Paar wunderliche altkluge Gesellen auf dem Felde , die er auf seinen Streifereien ausgespürt hatte , gab ihnen Tabak zu schnupfen , den er bloß ihretwillen bei sich führte , und führte Stundenlang eine tolle Unterhaltung mit ihnen .
Er las wenig , besonders von neuen Schriften , gegen die er eine Art von Widerwillen hatte .
Demungeachtet kannte er doch die ganze Literatur ziemlich vollständig .
Denn sein wunderliches Leben führte ihn von selbst und wider Willen in Berührung mit allen ausgezeichneten Männern , und was er so bei Gelegenheit kennen lernte , faßte er schnell und ganz auf .
Sowohl er als Friedrich besuchten fast alle Nachmittage den einsamen Viktor , dessen kleines Wohnhaus , von einem noch kleineren Gärtchen umgeben , hart am Kirchhofe lag .
Dort unter den hohen Linden , die den schönberaseten Kirchhof beschatteten , fanden sie den seltsamen Menschen vergraben in eine Werkstatt von Meißeln , Bohrern , Drehscheiben und anderem unzähligen Handwerkszeuge , als wollte er sich selber sein Grab bauen .
Hier arbeitete und künstelte derselbe täglich , so viel es ihm seine Berufsgeschäfte zuließen , mit einem unbegreiflichen Eifer und Fleiße , ohne um die an derer Welt draußen zu fragen .
Ohne jemals eine Anleitung genossen zu haben , verfertigte er Spieluhren , künstliche Schlösser , neue , sonderbare Instrumente , und sein , bei der Stille nach Außen , ewig unruhiger und reger Geist verfiel dabei auf die seltsamsten Erfindungen , die oft alle in Erstaunen setzten .
Seine Lieblingsidee war , ein Luftschiff zu erfinden , mit dem man dieses lose Element eben so bezwingen könnte wie das Wasser , und er wäre beinahe ein Gelehrter geworden , so hartnäckig und unermüdlich verfolgte er diesen Gedanken .
Für Poesie hatte er , sonderbar genug , durchaus keinen Sinn , so willig , ja neugierig er auch aufhorchte , wenn Leontin oder Friedrich darüber sprachen .
Nur Abraham von St. Clara , jener geniale Schalk , der mit einer ernsthaften Amtsmiene die Narren auslacht , denen er zu predigen vorgibt , war seine einzige und liebste Unterhaltung , und niemand verstand wohl , die Werke dieses Schriftstellers zu durchdringen und sich aus Herzensgrunde daran zu ergötzen , als er .
In diesem unförmlichen " Gemisch-Gemasch " von Spott , Witz und Humor fand sein sehr nahe verwandter Geist den rechten Tummelplatz .
Übrigens hatte sich Friedrich gleich Anfangs in seinem Urteile über ihn keineswegs geirrt .
Seine Gemütsart war wirklich durchaus dunkel und melancholisch .
Die eine Hälfte seines Lebens hindurch war er bis zum Tode betrübt , mürrisch und unbehilflich , die andere Hälfte lustig bis zur Ausgelassenheit , witzig , sinnreich und geschickt , so daß die meisten , die sich mit einer gewöhnlichen Betrachtung der menschlichen Natur begnügen , ihn für einen zweifachen Menschen hielten .
Es war aber eben die Tiefe seines Wesens , daß er sich niemals zu dem ordentlichen , immer gleichförmigen Spiele der anderen , an der Oberfläche bequemen konnte , und selbst seine Lustigkeit , wenn sie oft plötzlich losbrach , war durchaus ironisch und fast schauerlich .
Dabei waren alle Schmeichelkünste und alltäglichen Handgriffe , sich durch die Welt zu helfen , seiner spröden Natur so zuwider , daß er selbst die unschuldigsten , gebräuchlichsten Gunstbewerbungen , ja sogar unter Freunden alle äußere Zeichen der Freundschaft verschmähte .
Vor allen sogenannten klugen , gemachten Leuten war er besonders verschlossen , weil sie niemals weder seine Betrübnis noch seine Lust verstanden und ihn mit ihrer angebildeten Afterweisheit von allen Seiten beengten .
Die beiden Grafen waren die ersten in seinem Leben , die bei allen seinen Äußerungen wußten , was er meine .
Denn es ist das Besondere ausgezeichneter Menschen , daß jede Erscheinung in ihrer reinen Brust sich in ihrer ursprünglichen Eigentümlichkeit bespiegelt , ohne daß sie dieselbe durch einen Beyschmack ihres eigenen Selbst verderben .
Er liebte sie daher auch mit unerschütterlicher Treue bis zu seinem Tode .
So oft sie Nachmittags zu ihm kamen , warf er sogleich alle Instrumente und Gerätschaften weit von sich und war aus Herzensgrunde lustig .
Sie musizierten dann in seiner kleinen Stube entweder auf alten , halbbespannten Instrumenten , oder Friedrich mußte einige wilde Burschenlieder auf die Bahn bringen , die Viktor schnell auswendig wußte , und mit gewaltiger Stimme mitsang .
Fräulein Julie , die nebst ihrem Vater von jeher Viktors beste und einzige Freundin im Hause war , stand dann gar oft Stundenlang gegenüber am Zaune des Schloßgartens , strickte und unterhielt sich mit ihnen , war aber niemals zu bereden , selber zu ihnen herüberzukommen .
Die Tante und die meisten anderen konnten gar nicht begreifen , wie die beiden Grafen einen solchen Geschmack an dem ungebildeten Viktor und seinen lärmenden Vergnügungen finden konnten .
Und Du seltsamer , guter , geprüfter Freund , ich brauche Dich und mich nicht zu nennen ; aber Du wirst uns beide in tiefster Seele erkennen , wenn Dir diese Blätter vielleicht einmal zufällig in die Hände kommen .
Dein Leben ist mir immer vorgekommen , wie ein uraltes , dunkel verbautes Gemach mit vielen rauhen Ecken , das unbeschreiblich einsam und hoch steht über den gewöhnlichen Hantierungen der Menschen .
Eine alte verstimmte Laute , die niemand mehr zu spielen versteht , liegt verstaubt auf dem Boden .
Aus dem finsteren Erker siehst Du durch bunt und phantastisch gemalte Scheiben , über daß niedere , emsig wimmelnde Land unten weg in ein anderes , ruhiges , wunderbares , ewig freies Land .
Alle die wenigen , die Dich kennen und lieben , siehst Du dort im Sonnenscheine wandeln und das Heimweh befällt auch Dich .
Aber Dir fehlen Flügel und Segel und Du reissest in verzweifelter Lustigkeit an den Saiten der alten Laute , daß es mir oft das Herz zerreißen wollte .
Die Leute gehen unten vorüber und verlachen Dein wildes Geklimper , aber ich sage Dir , es ist mehr göttlicher Klang darin , als in ihrem ordentlichen , allgepriesenen Geleiere .
An einem schwülen Nachmittage saß Leontin im Garten an dem Abhange , der in das Land hinausgieng .
Kein Mensch war draußen , alle Vögel hielten sich im dichtesten Laube versteckt , es war so still und einsam auf den Gängen und in der ganzen Gegend umher , als ob die Natur ihren Atem an sich hielte .
Er versuchte einzuschlummern .
Aber wie über ihm die Gräser zwischen dem unaufhörlichen , einförmigen Gesumme der Bienen sich hin und wieder neigten , und rings am fernen Horizonte schwere Gewitterwolken , gleich phantastischen Gebirgen mit großen , einsamen Seen und himmelhohen Felsenzacken , die ganze Welt enge und immer enger einzuschließen schienen , preßte eine solche Bangigkeit sein Herz zusammen , daß er schnell wieder aufsprang .
Er bestieg einen hohen , am Abhange stehenden Baum , in dessen schwankem Wipfel er sich in das schwüle Tal hinauswiegte , um nur die fürchterliche Stille in und um ihn los zu werden .
Er hatte noch nicht lange oben gesessen , als er den Herrn v. A. und seine Schwester aus dem Bogengange hervorbeugen und langsam auf den Baum zukommen sah .
Sie waren in einem lauten und lebhaften Gespräche begriffen , er hörte , daß von ihm die Rede war .
Du magst sprechen , was du willst , sagte die Tante , er ist bis über die Ohren verliebt in unser Mädchen .
Da müßte ich keine Menschenkenntnis haben !
Und Julie kann keine bessere Partie finden .
Ich habe schon lange , ohne dir etwas zu sagen , nähere Erkundigungen über ihn eingezogen .
Er steht sehr gut .
Er vertut zwar viel Geld auf Reisen und verschiedenes unnützes Zeug , und soll zu Hause ein etwas unordentliches und auffallendes Leben führen ; aber er ist noch ein junger Mensch , und unser Kind wird ihn schon kirre machen .
Glaube mir , mein Schatz , ein kluges Weib kann durch vernünftiges Zureden sehr viel bewirken .
Sind sie nur erst verheiratet und sitzen ruhig auf ihrem Gütchen , so wird er schon sein sonderbares Wesen und seine überspannten Ideen fahren lassen , und werden wie alle andere .
Höre , mein Schatz , fange doch recht bald an , ihn so von weitem näher zu sondieren . --
Das tue ich nicht , erwiderte Herr v. A. ruhig , ich habe mich um nichts erkundigt , ich habe nichts bemerkt und nichts erfahren .
Ihr Weiber verlegt euch alle auf's Spionieren und Heiratsstiften und sehet zu weit .
Wirbt er um sie , und sie ist ihm gut , so soll er sie haben ; denn er gefällt mir sehr .
Aber ich Menge mich in nichts .
-- Mit deiner ewigen Gelassenheit , fiel ihm hier die Schwester heftig ins Wort , wirst du noch alles verderben . Dich rührt das Glück deines eigenen Kindes nicht .
Und ich sage dir , ich Ruhe und raste nicht , bis sie ein Paar werden ! --
Sie waren unterdes schon wieder von der anderen Seite hinter den Bäumen verschwunden , und er konnte nichts mehr verstehen .
Er stieg rasch vom Baume herab .
Noch bin ich frei und ledig ! rief er aus und schüttelte alle Glieder .
Rückt mir nicht auf den Hals mit eurem soliden , häuslichen , langweiligen Glück , mit eurer abgestandenen Tugend im Schlafrock !
Wohl hat die Liebe zwei Gesichter wie Janus .
Mit dem einen buhlt diese ungetreue , reizende Fortuna auf ihrer farbigen Kugel mit der frischen Jugend um flüchtige Küsse ; doch willst du sie plump haschen und festhalten , kehrt sie dir plötzlich das andere , alte , verschrumpfte Gesicht zu , das dich unbarmherzig zu Tode schmatzt .
-- Heiraten und fett werden , mit der Schlafmütze auf dem Kopfe hinaussehen , wie draußen Aurora scheint , Wälder und Ströme noch immer ohne Ruhe Fortrauschen müssen , Soldaten über die Berge zieh 'n und raufen , und dann auf den Bauch schlagen und : Gott sei Dank ! rufen können , das ist freilich ein Glück ! --
Und doch noch tausendmal widerlicher sind mir die Faungesichter von Hagestolzen , wie sie sich um die Mauern streichen , ein bisschen Rammelei und Diebs Gelüst im Herzen , wenn sie noch eins haben .
Pfui !
Pfui !
So jagten sich die Gedanken in seinem Kopfe ärgerlich durcheinander , und er war , ohne daß er es selbst bemerkte , ins Schloß gekommen .
Die Türe zu Juliens Zimmer stand nur halb angelehnt , er ging hinein , fand sie aber nicht darin .
Sie schien es eben verlassen zu haben ; denn Farben , Pinsel und andere Malergerätschaften lagen noch umher .
Auf dem Tische stand ein Bild aufgerichtet .
Er betrachtete es voll Erstaunen : es war sein eigenes Porträt , an welchem Julie lange heimlich gearbeitet .
Er war in derselben Jägerkleidung gemalt , in der sie ihn zum erstenmal gesehen hatte .
Mit Verwunderung glaubte er auch die Gegend , die den Hintergrund des Bildes ausfüllte , zu erkennen .
Er erinnerte sich endlich , daß er Julien manchmal von seinem Schlosse , seinem Garten , den Bergen und Wäldern , die es umgeben , erzählt hatte , und ihr reiches Gemüt hatte sich nun aus den wenigen Zügen ein ganz anderes , wunderbares Zauberland , als ihre neue Heimat , zusammengesetzt .
Er stand lange voller Gedanken am Fenster .
Ihre Gitarre lag dort ; er nahm sie und wollte singen , aber es ging nicht .
Er lehnte sich mit der Stirn ans Fenster und wollte sie durchaus hier erwarten , aber sie kam nicht .
Endlich stieg er herab , ging in den Hof und sattelte und zäumte sich selber sein Pferd .
Als er eben zum Tore hinausritt , kam Julie eilfertig aus der Gartentür .
Sie schien ein Geschäft vorzuhaben , sie grüßte ihn nur flüchtig mit freundlichen Augen und lief ins Schloß .
Er gab seinem Pferde die Sporen und sprengte ins Feld hinaus .
Ohne einen bestimmten Weg einzuschlagen , war er schon lange herumgeritten , als er mitten im Walde auf einen hochgelegenen , ausgehauenen Fleck kam .
Er hörte jemanden lustig ein Liedchen Pfeifen und ritt darauf los .
Es war zu seiner nicht geringen Freude der bekannte Ritter , den er schon lange einmal auf seinen Irrzügen zu erwischen , sich gewünscht hatte .
Er saß auf einem Baumsturze und ließ seinen Klepper neben sich weiden .
Romantische , goldene Zeit des alten , freien Schweifens , wo die ganze schöne Erde unser Lustrevier , der grüne Wald unser Haus und Burg , dich schimpft man närrisch -- dachte Leontin bei diesem Anblick , und rief dem Ritter aus Herzensgrunde sein Hurra zu .
Er stieg darauf selbst vom Pferde und setzte sich zu ihm hin .
Der Tag fing eben an , sich zum Ende zu neigen , die Waldvögel zwitscherten von allen Wipfeln in der Runde .
Von der einen Seite sah man in einer Vertiefung unter der Heide ein Schlösschen mit stillem Hofe und Garten ganz in die Waldeinsamkeit versenkt .
Die Wolken flogen so niedrig über das Dach weg , als sollte sich die bedrängte Seele daran hängen , um jenseits ins Weite , Freie zu gelangen .
Mit einem innerlichen Schauder von Bangigkeit erfuhr Leontin von dem Ritter , daß dies dasselbe Schloß sei , wo jetzt die muntere Braut , die er auf jener Jagd kennen gelernt , seit lange schon mit ihrem jungen Manne ruhig wohne , wirtschafte und Hause .
Aber , sagte er endlich zu dem Ritter , wird Euch denn niemals bange auf Euren einsamen Zügen ?
Was macht und sinnt Ihr denn den ganzen langen Tag ? --
Ich suche den Stein der Weisen , erwiderte der Ritter ruhig .
Leontin mußte über diese fertige , unerwartete Antwort laut auflachen .
Ihr seid irisch in Eurem Verstande , daß Ihr so lacht , sagte der Ritter etwas aufgebracht .
Eben weil die Leute wohl wissen , daß ich den Stein der Weisen wittere , so trachten die Pharisäer und Schriftgelehrten danach , mir durch Reden und Blicke meine Majestät von allen Seiten auszusaugen , auszuwalzen und auszudreschen .
Aber ich halte mich an das Prinzipium : an Essen und Trinken ; denn wer nicht ißt , der lebt nicht , wer nicht lebt , der studiert nicht , und wer nicht studiert , der wird kein Weltweiser , und das ist das Fundament der Philosophie . --
So sprach der tolle Ritter eifrig fort und gab durch Mienen und Hände seinen Worten den Nachdruck der ernsthaftesten Überzeugung .
Leontin , den seine heutige Stimmung besonders aufgelegt machte zu ausschweifenden Reden , stimmte nach seiner Art in denselben Ton mit ein , und so führten die beiden dort über die ganze Welt das seltsamste und unförmlichste Gespräch , das je Mals Mals gehört wurde , während es ringsumher schon lange finster geworden war .
Der Ritter , dem ein so aufmerksamer Zuhörer etwas Seltenes war , hielt tapfer Stich , und focht nach allen Seiten in einem wunderlichen Chaos von Sinn und Unsinn , das oft die herrlichsten Gedanken durchblitzten .
Leontin erstaunte über die scharfen , ganz selbsterschaffenen Ausdrücke und die entschiedene Anlage zum Tiefsinn .
Aber alles schien , wie eine üppige Wildnis , durch den lebenslangen Müßiggang zerrüttet und fast bis zum Wahnwitz verworren .
Zuletzt sprach der Ritter noch von einem Philosophen , den er jährlich einmal besuche .
Leontin war mit ganzer Seele gespannt , denn die Beschreibung von demselben stimmte auffallend mit dem alten Ritterbilde überein , dessen Anblick ihn auf dem Schlosse der weißen Frau so sehr erschüttert hatte .
Er fragte näher nach , aber der Ritter antwortete jedesmal so toll und abschweifend , daß er alle weitere Erkundigungen aufgeben mußte .
Endlich brach der Ritter auf , da er heute noch auf dem Schlosse der niedlichen Braut Herberge suchen wollte .
Leontin trug ihm an dieselbe seine schönsten Grüße auf .
Der Ritter stolperte nun auf seinem Rosinante langsam über die Heide hinab und unterhielt sich noch immerfort mit Leontin mit großem Geschrei über die Philosophie , während er schon längst in der Nacht verschwunden war .
11 Leontin sah sich , nun allein , nach allen Seiten um .
Alle Wälder und Berge lagen still und dunkel ringsumher .
Unten in der Tiefe schimmerten Lichter hin und her aus den zerstreuten Dörfern , Hunde bellten ferne in den einsamen Höfen .
Auch in dem Schlosse des Herrn v. A. sah er noch mehrere Fenster erleuchtet .
So blieb er noch lange oben auf der Heide stehen .
Am folgenden Morgen frühzeitig erhielt Friedrich einen Brief .
Er erkannte sogleich die Züge wieder :
er war von Rosa .
So lange schon hatte er sich von Tag zu Tag vergebens darauf gefreut , und erbrach ihn nun mit hastiger Ungeduld .
Der Brief war folgenden Inhalts : Wo bleibst Du so lange , mein innig geliebter Freund ?
Hast Du denn gar kein Mitleid mehr mit Deiner armen Rosa , die sich so sehr nach Dir sehnt ?
Als ich auf der Höhe im Gebirge von Euch entführt wurde , hatte ich mir fest vorgenommen , gleich nach meiner Ankunft in der Residenz an Dich zu schreiben .
Aber Du weißt selbst , wieviel man die erste Zeit an einem solchen Orte mit Einrichtungen , Besuchen und Gegenbesuchen zu tun hat .
Ich konnte damals durchaus nicht dazu kommen , obschon ich immer und überall an Dich gedacht habe .
Und so verging die erste Woche , und ich wußte dann nicht mehr , wohin ich meinen Brief ad dressieren sollte .
Vor einigen Tagen endlich kam hier der junge Marquis von P. an , der wollte bestimmt wissen , daß sich mein Bruder mit einem fremden Herrn auf dem Gute des Hrn. v. A. aufhalte .
Ich eilte also , sogleich an Dich dorthin zu schreiben .
Der Marquis verwunderte sich zugleich , wie ihr es dort so lange aushalten könntet .
Er sagte , es wäre ein Sejour zum melancholischwerten .
Mit der ganzen Familie wäre in der Welt nichts anzufangen .
Der Baron sei wie ein Holzstich in den alten Rittergeschichten : gedruckt in diesem Jahr , die Tante wisse von nichts zu sprechen , als von ihrer Wirtschaft , und das Fräulein vom Haus sei ein halbreifes Gänseblümchen , ein rechtes Bild ohne Gnaden .
Sind das nicht recht närrische Einfälle ?
Wahrhaftig , man muß dem Marquis gut sein mit seinem losen Maule .
Siehst Du , es ist Dein Glück , denn ich hatte schon große Lust eifersüchtig zu werden .
Aber ich kenne schon meinen Bruder , solche Bekanntschaften sind ihm immer die liebsten ; er läßt sich nichts einreden .
Ich bitte Dich aber , sage ihm nichts von alle diesem .
Denn er kann sich ohnedies von jeher mit dem Marquis nicht vertragen .
Er hat sich schon einigemal mit ihm geschlagen und der Marquis hat über der letzten Wunde über ein Vierteljahr zubringen müssen .
Er fängt immer selber ohne allen Anlaß Händel mit ihm an .
Ich weiß gar 11 * nicht , was er wider ihn hat .
Der Marquis ist hier in allen gebildeten Gesellschaften beliebt und ein geistreicher Mann .
Ich weiß gewiß , Du und der Marquis werdet die besten Freunde werden .
Denn er macht auch Verse , und von der Musik ist er ein großer Kenner .
Übrigens lebe ich hier recht glücklich , so gut es Deine Rosa ohne Dich sein kann .
Ich bekomme und erwidere Besuche , mache Landpartien u. s. w. Dabei fällt mir immer ein , wie ganz anders Du doch eigentlich bist , als alle diese Leute , und dann wird mir mitten in dem Schwarme so bange , daß ich mich oft heimlich wegschleichen muß , um mich recht auszuweinen .
-- Die junge , schöne Gräfin Romana , die mich alle Morgen an der Toilette besucht , sagt mir immer , wenn ich mich anziehe , daß meine Augen so schön wären , und wickelt sich meine Haare um ihren Arm und küßt mich . --
Ich denke dann immer an Dich .
Du hast das auch gesagt und getan , und nun bleibst Du auf einmal so lange aus .
Ich bitte Dich , wenn Du mir gut bist , laß mich nicht so allein ; es ist nicht gut so . --
Ich hatte mich gestern so eben erst recht eingeschrieben und hatte Dir noch so viel zu sagen , da wurde ich zu meinem Verdrusse durch einen Besuch unterbrochen .
Jetzt ist es schon zu spät , da die Post sogleich abgeh'n wird .
Ich schließe also schnell in der Hoffnung , Dich bald an mein liebendes Herz zu drücken .
Diesen Winter wird es hier besonders brillant werden .
Wie schön wäre es , wenn wir ihn hier zusammen zubrächten !
Komme , komme , gewiß !
Friedrich legte den Brief still wieder zusammen .
Unwillkürlich summte ihm der Gassenhauer : " Freut euch des Lebens u. s. w. " , den Leontin gewöhnlich abzuleiern pflegte , wenn seine Schwester etwas nach ihrer Art Wichtiges vorbrachte , durch den Kopf .
Der ganze Brief , wie von einem von Lustbarkeiten Atemlosen im Fluge abgeworfen , war wie eine Lücke in seinem Leben , durch die ihn ein fremdartiger , staubiger Wind anblies . Habe ich es oben auf der Höhe nicht gesagt , daß Du in Dein Grab hinabsteigst ?
Wenn die Schönheit mit ihren frischen Augen , mit den jugendlichen Gedanken und Wünschen unter euch tritt , und , wie sie , die eigene , größere Lebenslust treibt , sorglos und lüstern in das liebewarme Leben hinauslangt und sproßt , sich an die feinen Spitzen , die zum Himmel streben , giftig anzusaugen und zur Erde hinabzuzerren , bis die ganze , prächtige Schönheit , fahl und ihres himmlischen Schmuckes beraubt , unter euch dasteht , wie eueres Gleichen -- die Halunken !
Er öffnete das Fenster .
Der herrliche Morgen lag draußen wie eine Verklärung über dem Lande , und wußte nichts von den menschlichen Wirrungen , nur von rüstigem Tun , Freudigkeit und Frieden .
Friedrich spürte sich durch den Anblick innerlichst ge Nasen , und der Glaube an die ewige Gewalt der Wahrheit und des festen religiösen Willens wurde wieder stark in ihm .
Der Gedanke , zu retten , was noch zu retten war , erhob seine Seele , und er beschloß , nach der Residenz abzureisen .
Er ging mit dieser Nachricht zu Leontin , aber er fand seine Schlafstube leer und das Bett noch von Gestern in Ordnung .
Er ging daher zu Julien hinüber , da er hörte , daß sie schon auf war .
Das schöne Mädchen stand in ihrer weißen Morgenkleidung eben am Fenster .
Sie kehrte sich schnell zu ihm herum , als er hereintrat .
Er ist fort ! sagte sie leise mit unterdrückter Stimme , zeigte mit dem Finger auf das Fenster und stellte sich wieder mit abgewendetem Gesicht abseits an das andere .
Der erstaunte Friedrich erkannte Leontins Schrift auf der Scheibe , die er wahrscheinlich gestern , als er hier allein war , mit seinem Ringe aufgezeichnet hatte .
Er las : Der fleißigen Wirtin von dem Haus Danke ich von Herzen für Trank und Schmaus , Und was beim Mal den Gast erfreut :
Für heitere Miene ' und Freundlichkeit .
Dem Herrn von Haus sei Lob und Preis !
Seinen Segen wünsche ich mir auf die Reise , Nach seiner Liebe mich sehr begehrt , Wie ich ihn halte Ehrenwerth .
Herr Viktor soll beten und fleißig sein , Denn der Teufel lauert , wo Einer allein Soll lustig auf dem Kopfe stehen , Wenn alle so dumm auf den Beinen Gehen .
Und wenn mein Weg über Berge hoch geht , Aurora sich auftut , das Posthorn weht , Da will ich Ihm rufen von Herzen voll , Daß er es in der Ferne spüren soll .
Ade !
Schloß , heiter über 'm Tal , Ihr schwülen Täler allzumal , Du blauer Fluß ums Schloß herum , Ihr Dörfer , Wälder um und um !
Wohl sah ich dort eine Zauberin Gehen , Nach Ihr nur alle Blumen und Wälder sehen , Mit hellen Augen Ströme und Seen , In stillem Schaun , wie verzaubert , stehen .
Ein jeder Strom wohl find sein Meer , Ein jeglich Schiff kehrt endlich her , Nur ich treibe und sehne mich immerzu , O wilder Trieb ! wann lest du einmal Ruhe ?
Darunter stand , kaum leserlich , gekrizzelt : Herr Friedrich , der schläft in der Ruhe Schoß , Ich wünsche ihm viel Unglück , daß er sich erbos , In es Horn , zum Schwert , frisch dran und drauf !
Philister über Dir , wache , Simson , wache auf !
Friedrich stutzte über diese letzten Zeilen , die ihn unerwartet trafen .
Er erkannte tief das Schwerfällige seiner Natur und versank auf einen Augenblick sinnend in sich selbst .
Julie stand noch immerfort am Fenster , sah durch die Scheiben und weinte heimlich .
Er faßte ihre Hand .
Da hielt sie sich nicht länger , sie setzte sich auf ihr Bett und schluchzte laut .
Friedrich wußte wohl , wie untröstlich ein liebendes Mädchen ist .
Er verabscheute alle jene erbärmlichen Spitaltröster voll Wiedersehens , unverhofften Windungen des Schicksals u. s. w. Liebe ihn nur recht , sagte er zu Julien , so ist er ewig Dein , und wenn die ganze Welt dazwischen läge .
Glaube nur niemals den falschen Verführern : daß die Männer eurer Liebe nicht wert sind .
Die Schufte freilich nicht , die das sagen ; aber es gibt nichts Herrlicheres auf Erden , als der Mann , und nichts Schöneres , als das Weib , das ihm treu ergeben bis zum Tode . --
Er küßte das weinende Mädchen und ging darauf zu ihren Eltern , um ihnen seine eigene , baldige Abreise anzukündigen .
Er fand die Tante höchstbestürzt über Leontins unerklärliche Flucht , die sie auf einmal ganz irre an ihm und allen ihren Planen machte .
Sie war anfangs böse , dann still und wie vernichtet .
Herr v. A. äußerte weniger mit Worten , als durch ein ungewöhnlich hastiges und zerstreutes Tun und Lassen , das Friedrich'n unbeschreiblich rührte , wir schwer es ihm falle , sich von Leontin getrennt zu sehen , und die Tränen traten ihm in die Augen , als nun auch Friedrich erklärte , schon morgen abreisen zu müssen .
So verging dieser noch übrige Tag zerstreut , gestört und Freudenlos .
Am anderen Morgen hatte Erwin frühzeitig die Reisebündel geschnürt , die Pferde standen bereit und scharrten ungeduldig unten im Hofe .
Friedrich machte noch eilig einen Streifzug durch den Garten und sah noch einmal von dem Berge in die herrlichen Täler hinaus .
Auch das stille , kühle Plätzchen , wo er so oft gedichtet und glücklich gewesen , besuchte er .
Wie im Fluge schrieb er dort folgende Verse in seine Schreibtafel :
O Täler weit , o Höhen , O schöner , grüner Wald , Du meiner Lust und Wehen Andächtiger Aufenthalt !
Da draußen , stets betrogen , Saust die geschäftige Welt , Schlage noch einmal die Bogen Um mich , du grünes Zelt !
Wann es beginnt zu Tagen , Die Erde dampft und blinkt , Die Vögel lustig schlagen , Daß dir dein Herz erklingt :
Da mag Vergehen , verwehen Das trübe Erdenleid Da sollst du auferstehen In junger Herrlichkeit .
Da steht im Wald geschrieben Ein stilles , ernstes Wort , Von rechtem Tun und Lieben , Und was des Menschen Hort .
Ich habe treu gelesen Die Worte schlicht und wahr , Und durch mein ganzes Wesen Ward_es unaussprechlich klar .
Bald werde ich dich verlassen , Fremde , in der Fremde Gehen , Auf buntbewegten Gassen , Des Lebens Schauspiel sehen , Und mitten in dem Leben Wird deines Ernst's Gewalt , Mich Einsamen erheben , So wird mein Herz nicht alt .
Als der junge Tag sich aus den Morgenwolken hervorgearbeitet hatte , war Friedrich schon draußen zu Pferde .
Julie winkte noch weit mit ihrem weißen Tuche aus dem Fenster nach .
Zweites Buch .
Elftes Kapitel .
Es war schon Abend , als Friedrich in der Residenz ankam .
Er war sehr schnell geritten , so daß Erwin fast nicht mehr nach konnte .
Je einsamer draußen der Kreis der Felder ins Dunkel versank , je höher nach und nach die Türme der Stadt , wie Riesen , sich aus der Finsternis auflichteten , desto lichter war es in seiner Seele geworden vor Freude und Erwartung .
Er stieg im Wirtshause ab und eilte sogleich zu Rosa's Wohnung .
Wie schlug sein Herz , als er durch die dunklen Straßen schritt , als er endlich die hellbeleuchtete Treppe in ihrem Hause hinaufstieg .
Er mochte keinen Bedienten fragen , er öffnete hastig die erste Tür .
Das große , getäfelte Zimmer war leer , nur im Hintergrunde saß eine weibliche Gestalt in vornehmer Kleidung .
Er glaubte sich verirrt zu haben und wollte sich entschuldigen .
Aber das Mädchen vom Fenster kam sogleich auf ihn zu , führte sich selbst als Rosa's Kammermädchen auf und versicherte sehr gleichgültig , die Gräfin sei auf den Maskenball gefahren .
Diese Nachricht fiel wie ein Maifrost in seine Lust .
Es war ihm vor Freude gar nicht eingefallen , daß er sie verfehlen könnte , und er hatte bei nahe Lust zu zürnen , daß sie ihn nicht zu Hause erwartet habe .
Wo ist denn die kleine Marie ? fragte er nach einer Weile wieder .
O , die ist lange aus den Diensten der Gräfin , sagte das Mädchen mit gerümpftem Näschen und betrachtete ihn von oben bis unten mit einer schnippischen Miene .
Friedrich glaubte , es gälte seine staubige Reisekleidung ; alles ärgerte ihn , er ließ den Affen stehe 'n und ging , ohne seinen Namen zu hinterlassen , wieder fort .
Verdrießlich nahm er den Weg zu den Redoutensälen .
Die Musik schallte lockend aus den hohen Bogenfenstern , die ihre Scheine weit unten über den einsamen Platz warfen .
Ein alter Springbrunnen stand in der Mitte des Platzes , über den nur noch einzelne dunkle Gestalten hin und her irrten .
Friedrich blieb lange an dem Brunnen stehen , der seltsam zwischen den Tönen von oben fortrauschte .
Aber ein Polizeidiener , der , in seinen Mantel gehüllt , an der Ecke lauerte , verjagte ihn endlich durch die Aufmerksamkeit , mit der er ihn zu beobachten schien .
Er ging ins Haus hinein , versah sich mit einem Domino und einer Larve , und hoffte seine Rosa noch heute in dem Getümmel herauszufinden .
Geblendet trat er aus der stillen Nacht in den plötzlichen Schwall von Tönen , Lichtern und Stimmen , der wie ein Zaubermeer mit rastlos beweglichen , klingenden Wogen über ihm zusammenschlug .
Zwei große , hohe Säle , nur leicht von einander geschieden , eröffneten die unermeßlichste Aussicht .
Er stelle te sich in das Bogenthor zwischen beide , wo die doppelten Musikchöre aus beiden Sälen verworren ineinander klangen .
Zu beiden Seiten toste der seltsame , lustige Markt , fröhliche , reizende und ernste Bilder des Lebens zogen wechselnd vorüber , Girlanden von Lampen schmückten die Wände , unzählige Spiegel dazwischen spielten das Leben ins Unendliche , so daß man die Gestalten mit ihrem Wiederspiel verwechselte , und das Auge verwirrt in der grenzenlosen Ferne dieser Aussicht sich verlor .
Ihn schauderte mitten unter diesen Larven .
Er stürzte sich selber mit in das Gewimmel , wo es am dichtesten war .
Gewöhnliches Volk , Karaktermasken ohne Charakter , vertraten auch hier , wie draußen im Leben , überall den Weg : gespreizte Spanier , papierne Ritter , Taminos , die über ihre Flöte stolperten , hin und wieder ein behender Harlekin , der sich durch die unbehilflichen Züge hindurchwand und nach allen Seiten peitschte .
Eine höchstseltsame Maske zog indes seine Aufmerksamkeit auf sich .
Es war ein Ritter in schwarzer , altdeutscher Tracht , die so genau und streng gehalten war , daß man glaubte , irgend ein altes Bild sei aus seinem Rahmen ins Leben hinausgetreten .
Die Gestalt war hoch und schlank , sein Wams reich mit Gold , der Hut mit hohen Federn geschmückt , die ganze Pracht doch so uralt , fremd und fast gespenstisch , daß jedem unheimlich zu Mute wurde , an dem er vorüberstreifte .
Er war übrigens galant und wußte zu leben .
Friedrich sah ihn fast mit allen Schönen buhlen .
Doch alle machten sich gleich nach den ersten Worten schnell wieder von ihm los , denn unter den Spitzen der Ritterärmel langten die Knochenhände eines Totengerippes hervor .
Friedrich wollte eben den sonderbaren Gast weiter verfolgen , als sich die Bahn mit einem Janhagel junger Männer verstopfte , die auf einer Jagd begriffen schienen .
Bald erblickte er auch das flüchtige Reh .
Es war eine kleine , junge Zigeunerin , sehr nachlässig verhüllt , das schöne schwarze Haar mit bunten Bändern in lange Zöpfe geflochten .
Sie hatte ein Tamburin , mit dem sie die Zudringlichsten so schalkisch abzuwehren wußte , daß ihr alles nur um desto lieber nachfolgte .
Jede ihrer Bewegungen war zierlich , es war das niedlichste Figürchen , daß Friedrich jemals gesehen .
In diesem Augenblicke streiften zwei schöne , hohe weibliche Gestalten an ihm vorbei .
Zwei männliche Masken drängten sich nach .
Es ist ganz sicher die Gräfin Rosa , sagte die eine Maske mit düsterer Stimme .
Friedrich traute seinen Ohren kaum .
Er drängte sich ihnen schnell nach , aber das Gewimmel war zu groß , und sie blieben ihm immer eine Strecke voraus .
Er sah , daß der schwarze Ritter den beiden weiblichen Masken begegnete , und der einen im Vorbeigehen etwas ins Ohr raunte , worüber sie höchstbestürzt schien , und ihm eine Weile nachsah , während er längst schon wie der der im Gedränge verschwunden war .
Mehrere Parteien durchkreuzten sich unterdes von neuem , und Friedrich hatte Rosa aus dem Gesichte verloren .
Ermüdet flüchtete er sich endlich an ein abgelegenes Fenster , um auszuruhen .
Er hatte noch nicht lange dort gestanden , als die eine von den weiblichen Masken eiligst ebenfalls auf das Fenster zukam .
Er erkannte sogleich seine Rosa an der Gestalt .
Die eine männliche Maske folgte ihr auf dem Fuße nach , sie schienen beide den Grafen nicht zu bemerken .
Nur einen einzigen Blick !
bat die Maske dringend .
Rosa zog ihre Larve weg und sah den Bittenden mit den wunderschönen Augen lächelnd an .
Sie schien unruhig .
Ihre Blicke durchschweiften den ganzen Saal und begegneten schon wieder dem schwarzen Ritter , der wie eine Totenfahne durch die bunten Reihen drang .
Ich will nach Hause -- sagte sie darauf ängstlich bittend , und Friedrich glaubte Tränen in ihren Augen zu bemerken .
Sie bedeckte ihr Gesicht schnell wieder mit der Larve .
Ihr unbekannter Begleiter bot ihr seinen Arm , drängte Friedrich , der gerade vor ihr stand , stolz aus dem Wege und bald hatten sich beide in dem Gewirre verloren .
Der schwarze Ritter war indes bei dem Fenster angelangt .
Er blieb vor Friedrich stehen und sah ihm scharf ins Gesicht .
Dem Grafen grauste , so allein mit der wunderbaren Erscheinung zu stehen , denn hinter der Larve des Ritters schien alles hohl 12 und dunkel , man sah keine Augen .
Wer bist Du ? fragte ihn Friedrich .
Der Tod von Basel , antwortete der Ritter und wandte sich schnell fort .
Die Stimme hatte etwas so altbekanntes und anklingendes aus längstvergangener Zeit , daß Friedrich lange sinnend stehe 'n blieb .
Er wollte ihm endlich nach , aber er sah ihn schon wieder im dicksten Haufen mit einer Schönen wie toll herumwalzen .
Ein Getümmel von Lichtern draußen unter den Fenstern lenkte seine Aufmerksamkeit ab .
Er blickte hinaus und sah bei dem Scheine einer Fackel , wie die männliche Maske Rosaen nebst noch einer anderen Dame in den Wagen hob .
Der Wagen rollte darauf schnell fort , die Lichter verschwanden , und der Platz unten war auf einmal wieder still und finster .
Er warf das Fenster zu und wandte sich in den glänzenden Saal zurück , um sich ebenfalls fortzubegeben .
Der schwarze Ritter war nirgends mehr zu sehen .
Nach einigem Herumschweifen traf er in der mit Blumen geschmückten Kredenz noch einmal auf die nur allzugefällige Zigeunerin .
Sie hatte die Larve abgenommen , trank Wein und blickte mit den munteren Augen reizend über das Glas weg .
Friedrich erschrak , denn es war die kleine Marie .
Er drückte seine Larve fester ins Gesicht und faßte das niedliche Mädchen bei der Hand .
Sie zog sie verwundert zurück und zeichnete mit ihrem Finger ratend eine Menge Buchstaben in seine flache Hand , aber keiner paßte auf seinen Namen .
Er zog sie an ein Tischchen und kaufte ihr Zucker und Naschwerk .
Mit ungemeiner Zierlichkeit wußte das liebliche Kind alles mit ihm zu teilen und blinzelte ihm dazwischen oft neugierig in die Augen .
Unbesorgt um die Reize , die sie dabei enthüllte , riß sie einen Blumenstrauß von ihrem Busen und überreichte ihn lächelnd ihrem unbekannten , sonderbaren Wirt , der immerfort so stumm und kalt neben ihr saß .
Die Blumen sind ja alle schon verwelkt , sagte Friedrich , zerzupfte den Strauß und warf die Stücke auf die Erde .
Mario schlug ihn lachend auf die Hand und riß ihm die noch übrigen Blumen aus .
Er bat endlich um die Erlaubnis , sie nach Hause begleiten zu dürfen , und sie willigte mit einem freudigen Händedruck ein .
Als er sie nun durch den Saal fortführte , war unterdes alles leer geworden .
Die Lampen waren größtenteils verlöscht und warfen nur noch zuckende , falbe Scheine durch den Qualm und Staub , in welchen das ganze bunte Leben verraucht schien .
Die Musikanten spielten wohl fort aber nur noch einzelne Gestalten wankten auf und ab , demaskiert , nüchtern und übersatt .
Mitten in dieser Zerstörung glaubte Friedrich mit einem flüchtigen Blicke Leontin totenblaß und mit verwirrtem Haar in einem fernen Winkel schlafen zu sehen .
Er blieb erstaunt stehen , alles kam ihm wie ein Traum vor .
Aber 12 * Marie drängte ihn schnell und ängstlich fort , als wäre es unheimlich , länger an dem Orte zu hausen .
Als sie unten zusammen im Wagen saßen , sagte Marie zu Friedrich :
Ihre Stimme hat eine sonderbare Ähnlichkeit mit der eines Herrn , den ich sonst gekannt habe .
Friedrich antwortete nichts darauf .
Ach Gott ! sagte sie bald nachher , die Nacht ist heute gar so schwül und finster !
Sie öffnete das Kutschenfenster , und er sah bei dem matten Schimmer einer Laterne , an der sie vorüberflogen , daß sie ernsthaft und in Gedanken versunken war .
Sie fuhren lange durch eine Menge enger und finsterer Gäßchen , endlich rief Marie dem Kutscher zu , und sie hielten vor einem abgelegenen , kleinen Hause .
Sie sprang schnell aus dem Wagen und in das Haus hinein .
Ein Mädchen , das in Maries Diensten zu sein schien , empfing sie an der Haustür .
Er ist mein , er ist mein ! rief Marie kaum hörbar , aber aus Herzensgrunde , dem Mädchen im Vorübergehen zu und schlüpfte in ein Zimmer .
Das Mädchen führte den Grafen mit prüfenden Blicken über ein kleines Treppchen zu einer anderen Türe .
Warum , sagte sie , sind Sie gestern Abends nicht schon zu uns gekommen , da sie vorbeiritten , und so freundlich heraufgrüßten ?
Ich sollte wohl nichts sagen , aber seit acht Tagen spricht und träumt die arme Marie von nichts , als von Ihnen , und wenn es länger gedauert hätte , wäre sie gewiß bald gestorben .
Friedrich wollte fragen , aber sie schob die Türe hinter ihm zu und war verschwunden .
Er trat in eine fortlaufende Reihe schöner , geschmackvoller Zimmer .
Ein prächtiges Ruhebett stand im Hintergrunde , der Fußboden war mit reichen Teppichen geschmückt , eine alabasterne Lampe erleuchtete das Ganze nur dämmernd .
In dem letzten Zimmer sah er die niedliche Zigeunerin vor einem großen Wandspiegel stehen und ihre Haare flüchtig in Ordnung bringen .
Als sie ihn in dem vorderen Zimmer erblickte , kam sie sogleich herbeigesprungen und stürzte mit einer Hingebung in seine Arme , die keine Verstellung mit ihren gemeinen Künsten jemals erreicht .
Der erstaunte Friedrich riß in diesem Augenblicke seinen Mantel und die Larve von sich .
Wie vom Blitze berührt , sprang Marie bei diesem Anblicke auf , stürzte mit einem lauten Schrei auf das Ruhebett und drückte ihr , mit beiden Händen bedecktes , Gesicht tief in die Kissen .
Was ist das ! sagte Friedrich , sind deine Freunde Gespenster geworden ?
Warum hast du mich geliebt , ehe du mich kanntest , und fürchtest dich nun vor mir ?
Marie blieb in ihrer Stellung und ließ die eine Hand , die er gefaßt hatte , matt in der seinigen ; sie schien ganz vernichtet .
Mit noch immer verstecktem Gesichte sagte sie leise und gepreßt :
Er war auf dem Balle -- dieselbe Gestalt -- dieselbe Maske -- .
Du hast dich in mir geirrt , sagte Friedrich , und setzte sich neben ihr auf das Bett , viel schwerer und furchtbarer irrst du dich am Le ben , leichtsinniges Mädchen !
Wie der schwarze Ritter heute auf dem Balle , tritt überall ein freier , wilder Gast ungeladen in das Fest .
Er ist so lustig aufgeschmückt und ein rüstiger Tänzer , aber seine Augen sind leer und hohl und seine Hände totenkalt , und du mußt sterben , wenn er dich in die Arme nimmt , denn dein Buhle ist der Teufel .
-- Marie , seltsam erschüttert von diesen Worten , die sie nur halb vernahm , richtete sich auf .
Er hob sie auf seinen Schoß , wo sie still sitzen blieb während er sprach .
Ihre Augen und Mienen kamen ihm in diesem Augenblicke wieder so unschuldig und kindisch vor , wie ehemals .
Was ist aus dir geworden , arme Marie ! fuhr er gerührt fort .
Als ich das erstemal auf die schöne grüne Waldeswiese hinunterkam , wo dein stilles Jägerhaus stand , wie du fröhlich auf dem Rehe saßest und sangst -- der Himmel war so heiter , der Wald stand frisch und rauschte im Winde , von allen Bergen bliesen die Jäger auf ihren Hörnern -- das war eine schöne Zeit !
Ich habe einmal an einem kalten , stürmischen Herbsttage ein Frauenzimmer draußen im Felde sitzen gesehen , die war verrückt geworden , weil sie ihr Liebhaber , der sich lange mit ihr herumgeherzt , verlassen hatte .
Er hatte ihr versprochen , noch an demselben Tage wiederzukommen .
Sie ging nun seit vielen Jahren alle Tage auf das Feld und sah immerfort auf die Landstraße hinaus .
Sie hatte noch immer das Kleid an , das sie damals getragen hatte , das war schon zerrissen und seitdem ganz altmodisch geworden .
Sie zupfte immer an dem Ärmel und sang ein altes Lied zum rasend werden .
-- Marie stand bei diesen Worten schnell auf und ging an den Tisch .
Friedrich sah auf einmal Blut über ihre Hand hervorrinnen .
Alles dieses geschah in Einem Augenblick .
Was hast du vor ? rief Friedrich , der unterdes herbeigesprungen war .
Was soll mir das Leben ! antwortete sie mit verhaltener , trostloser Stimme .
Er sah , daß sie sich mit einem Federmesser gerade am gefährlichsten Fleck unterhalb der Hand verwundet hatte .
Pfui , sagte Friedrich , wie bist du seitdem unbändig geworden !
Das Mädchen wurde blaß , als sie das Blut erblickte , das häufig über den weißen Arm floß .
Er zog sie an das Bett hin und riß schnell ein Band aus ihren Haaren .
Sie kniete vor ihm hin und ließ sich gutwillig von ihm das Blut stillen und die Wunde verbinden .
Das heftige Mädchen war während des ruhiger geworden .
Sie lehnte den Kopf an seine Knie und brach in einen Strom von Tränen aus .
Da wurden sie durch Marie's Kammermädchen unterbrochen , die plötzlich in die Stube stürzte und mit Verwirrung vorbrachte , daß so eben der Herr auf dem Wege hierher sei .
O Gott ! rief Marie sich aufraffend , wie unglücklich bin ich !
Das Mädchen aber schob den Grafen , ohne sich weiter auf Erklärungen einzulassen , eiligst aus dem Zimmer und dem Hause , und schloß die Türe hinter ihm ab .
draußen auf der Straße , die leer und öde war , begegnete er bald zwei männlichen , in dunkle Mäntel dichtverhüllten Gestalten , die durch die neblige Nacht an den Häusern vorbeistrichen .
Der eine von ihnen zog einen Schlüssel hervor , eröffnete leise Marie's Haustür und schlüpfte hinein .
Desselben Stimme , die er jetzt im Vorbeigehen flüchtig gehört hatte , glaubte er vom heutigen Maskenballe auffallend wieder zu erkennen .
Da hierauf alles auf der Gasse ruhig wurde , eilte er endlich voller Gedanken seiner Wohnung zu .
Oben in seiner Stube fand er Erwin , den Kopf auf den Arm gestützt , eingeschlummert .
Die Lampe auf dem Tische war fast ausgebrannt und dämmerte nur noch schwach über das Zimmer .
Der gute Junge hatte durchaus seinen Herrn erwarten wollen , und sprang verwirrt auf , als Friedrich hereintrat .
Draußen rasselten die Wagen noch immerfort , Läufer schweiften mit ihren Windlichtern an den dunklen Häusern vorüber , in Osten standen schon Morgenstreifen am Himmel .
Erwin sagte , daß er sich in der großen Stadt fürchte ; das Gerassel der Wagen wäre ihm vorgekommen , wie ein unaufhörlicher Sturmwind , die nächtliche Stadt , wie ein dunkler eingeschlafener Riese .
Er hat wohl recht , es ist manchmal fürchterlich , dachte Friedrich , denn ihm war bei diesen Worten , als hätte dieser Riese Marie und seine Rosa erdrückt , und der Sturmwind ginge über ihre Gräber .
Bete , sagte er zu dem Knaben , und lege dich ruhig schlafen !
Erwin gehorchte , Friedrich aber blieb noch auf .
Seine Seele war von den buntwechselnden Erscheinungen dieser Nacht mit einer unbeschreiblichen Wehmut erfüllt , und er schrieb heute noch folgendes Gedicht auf :
Der armen Schönheit Lebenslauf .
Die arme Schönheit irrt auf Erden , So lieblich Wetter draußen ist , Möchte gern recht viel gesehen werden , Weil jeder sie so freundlich grüßt .
Und wer die arme Schönheit schauet , Sich wie auf großes Glück besinnt , Die Seele fühlt sich recht erbauet , Wie wenn der Frühling neu beginnt .
Da sieht sie viele schöne Knaben , Die reiten unten durch den Wind , Möchte manchen gern im Arme haben , Hüte ' dich , hüte ' dich , du armes Kind !
Da zieh 'n manch redliche Gesellen , Die sagen :
Hast nicht Geld noch Haus , Wir fürchten deine Augen helle , Wir haben nichts zum Hochzeitsschmaus .
Von anderen tut sie sich wegdrehen , Weil keiner ihr so wohlgefällt , Die müssen traurig weiter gehen , Und zögen gern an es Ende der Welt .
Da sagt sie :
Was hilft mir mein Sehen , Ich wünscht , ich wäre lieber blind , Da alle furchtsam von mir gehen , Weil gar so schön mein ' Augen sind . --
Nun sitzt sie hoch auf lichtem Schlosse , In schöne Kleider putzt sie sich , Die Fenster glühn , sie winkt vom Schlosse , Die Sonne blinkt , das blendet dich .
Die Augen , die so furchtsam waren , Die haben jetzt so freien Lauf , Fort ist das Kränzlein aus den Haaren , Und hohe Federn stehe 'n darauf .
Das Kränzlein ist herausgerissen , Ganz ohne Scheu sie mich anlacht ; Gehe Du vorbei : sie wird Dich grüßen , Winkt Dir zu einer schönen Nacht . --
Da sieht sie die Gesellen wieder , Die fahren unten auf dem Fluß , Es singen laut die lustigen Brüder , So furchtbar schallt des Einen Gruß : " Was bist du für ne schöne Leiche !
So wüsste ist mir meine Brust , Wie bist du nun so arm , du Reiche , Ich habe an dir nicht weiter Lust ! "
Der wilde hat ihr so gefallen , Laut schrie sie auf bei seinem Gruß , Vom Schloß möchte sie hinunterfallen , Und unten Ruhe 'n im kühlen Fluß .
-- Sie blieb nicht länger mehr da oben , Weil alles anders worden war , Vor Schmerz ist ihr das Herz erhoben , Da ward_es so kalt , doch himmlischklar .
Da legt sie ab die goldenen Spangen , Den falschen Putz und Ziererei , Aus dem verstockten Herzen drangen Die alten Tränen wieder frei .
Kein Stern wollt ' nicht die Nacht erhellen , Da mußte die Verliebte Gehen , Wie rauscht der Fluß ! die Hunde bellen , Die Fenster fern erleuchtet stehen .
Nun bist du frei von deinen Sünden , Die Liebe zog triumphierend ein , Du wirst noch hohe Gnade finden , Die Seele geht in Hafen ein . --
Der Liebste war ein Jäger worden , Der Morgen schien so rosenrot , Da blies er lustig auf dem Horne , Blies immerfort in seiner Not .
Zwölftes Kapitel .
Rosa saß des Morgens an der Toilette ; ihr Kammermädchen mußte ihr weitläufig von dem fremden Herrn erzählen , der gestern nach ihr gefragt hatte .
Sie zerbrach sich vergebens den Kopf , wer es wohl gewesen sein möchte , denn Friedrich'n erwartete sie nicht so schnell .
Vielmehr glaubte sie , er werde darauf bestehen , daß sie die Residenz verlasse , und das machte ihr manchen Kummer .
Die junge Gräfin Romana , eine Verwandte von ihr , in deren Hause sie wohnte , saß neben ihr am Flügel und schwelgte tosend in den Tänzen von der gestrigen Redoute .
Wie ihr anderen nur , sagte sie , alle Lust so gelassen ertragen und aus dem Tanz schnurstracks ins Bett springen könnt und der schönen Welt so auf einmal ein Ende machen !
Ich bin immer so ganz durchklangen , als sollte die Musik niemals aufhören .
Bald darauf fand sie Rosa's Augen so süß verschlafen , daß sie schnell zu ihr hinsprang und sie küßte .
Sie setzte sich neben ihr hin und half sie von allen Seiten schmücken , setzte ihr bald einen Hut , bald Blumen auf und riß eben so oft alles wieder herunter , wie ein verliebter Knabe , der nicht weiß , wie er sich sein Liebchen würdig genug aufputzen soll .
Ich weiß gar nicht , was wir uns putzen , sagte das schöne Weib endlich und lehnte den schwarzgelockten Kopf schwermütig auf den blendendweißen Arm , was wir uns kümmern und noch Herzweh haben nach den Männern : solches schmutziges , abgearbeitetes , unverschämtes Volk , steifleinene Helden , die sich spreizen und in allem Ernste glauben , daß sie uns beherrschen , während wir sie auslachen , fleißige Staatsbürger und eheliche Ehestandskandidaten , die , ganz beschwitzt von der Berufsarbeit und das Schurzfell noch um den Leib , mit aller Wut ihrer Inbrunst von der Werkstatt zum Garten der Liebe springen , und denen die Liebe ansteht , wie eine umgekehrt aufgesetzte Perücke .
-- Rosa besah sich im Spiegel und lachte .
-- Wenn ich mir bedenke , fuhr die Gräfin fort , wie ich mir sonst als kleines Mädchen einen Liebhaber vorgestellt habe : wunderschön , stark , voll Tapferkeit , wild , und doch wieder so milde , wenn er bei mir war .
Ich weiß noch , unser Schloß lag sehr hoch zwischen einsamen Wäldern , ein schöner Garten war daneben , unten ging ein Strom vorüber .
Alle Morgen , wenn ich in den Garten kam , hörte ich draußen in den Bergen ein Waldhorn blasen , bald nahe , bald weit , dazwischen sah ich oft einen Reiter plötzlich fern zwischen den Bäumen erscheinen und schnell wieder verschwinden .
Gott ! mit welchen Augen schaute ich da in die Wälder und den blauen weiten Himmel hinaus !
Aber ich durfte , so lange meine Mutter lebte , niemals allein aus dem Garten .
Ein einzigesmal , an einem prächtigen Abende , da der Jäger draußen wieder blies , wagte ich es und schlich unbemerkt in den Wald hinaus .
Ich ging nun zum erstenmal allein durch die dunkelgrünen Gänge , zwischen Felsen und über eingeschlossene Wiesen voll bunter Blumen , alte , seltsame Geschichten , die mir die Amme oft erzählte , fielen mir dabei ein ; viele Vögel sangen ringsumher , das Waldhorn rief immerfort , noch niemals hatte ich so große Lust empfunden .
Doch , wie ich im Beschauen so versunken , ging und staunte , hatte ich den rechten Weg verloren , auch wurde es schon dunkel .
Ich irrt und rief , doch niemand gab mir Antwort .
Die Nacht bedeckte indes Wälder und Berge , die nun wie dunkle Riesen auf mich sahen , nur die Bäume rührten sich so schaurig , sonst war es still im großen Walde .
-- Ist das nicht recht romantisch ? unterbrach sich hier die Gräfin selbst laut auflachend .
-- Ermüdet , fuhr sie wieder weiter fort , setzte ich mich endlich auf die Erde nieder und weinte bitterlich .
Da höre ich plötzlich hinter mir ein Geräusch , ein Reh bricht aus dem Dickicht hervor und hinterdrein der Reiter .
-- Es war ein wilder Knabe , der Mond schien ihm hell ins Gesicht ; wie schön und herrlich er anzusehen war , kann ich mit Worten nicht beschreiben .
Er stutzte , als er mich erblickte , und staunend standen wir so voreinander .
Erst lange darauf fragte er mich , wie ich hierher gekommen und wohin ich wollte ?
Ich konnte vor Verwirrung nicht antworten , sondern stand still vor ihm und sah ihn an .
Da hob er mich schnell vor sich auf sein Roß , umschlang mich fest mit einem Arme , und ritt so mit mir davon .
Ich fragte nicht : wohin ?
denn Lust und Furcht war so gemischt in seinem wunderbaren Anblick , daß ich weder wünschte noch wagte , von ihm zu scheiden .
Unterwegs bat er mich freundlich um ein Andenken .
Ich zog stillschweigend meinen Ring vom Finger und gab ihn ihm .
So waren wir nach kurzem Reiten auf unbekannten Wegen , zu meiner Verwunderung , auf einmal vor unser Schloß gekommen .
Der Jäger setzte mich hier ab , küßte mich und kehrte schnell wieder in den Wald zurück .
Aber mir scheint gar , Du glaubst mir wirklich alles das Zeug da , sagte hier die Gräfin , da sie Rosaen über der Erzählung ihren ganzen Putz vergessen und mit großen Augen zuhorchen sah . --
Und ist es denn nicht wahr ? fragte Rosa . --
So , so , erwiderte die Gräfin , es ist eigentlich mein Lebens Lauf in der Knospe .
Willst Du weiter hören , mein Püppchen ?
Der Sommer , die bunten Vögel und die Waldhornsklänge zogen nun fort , aber das Bild des schönen Jägers blieb heimlich bei mir den langen Winter hindurch .
-- Es war an einem von jenen wundervollen Vorfrühlingstagen , wo die ersten Lerchen wieder in der lauen Luft schwirren , ich stand mit meiner Mutter an dem Abhange des Gartens , der Fluß unten war von dem geschmolzenen Schnee ausgetreten und die Gegend weit und breit wie ein großer See zu sehen .
Da erblickte ich plötzlich meinen Jäger wieder gegenüber auf der Höhe .
Ich erschrak vor Freude , daß ich am ganzen Leibe zitterte .
Er bemerkte mich und hielt meinen Ring an seiner Hand gerade auf mich zu , daß der Stein , im Sonnenscheine funkelnd , wunderbar über das Tal herüberblitzte . --
Er schien zu uns herüber zu wollen , aber das Wasser hinderte ihn .
So ritt er auf verschiedenen Umwegen und kam auf einen tiefen Schlund , vor dem das Pferd sich zögernd bäumte .
Endlich wagte es den Sprung , sprang zu kurz und er stürzte in den Abgrund .
Als ich das sah , sprang ich , ohne mich zu besinnen , mit einem Schrei vom Abhange aus dem Garten hinunter .
Man trug mich ohnmächtig ins Schloß , und ich sah ihn niemals mehr wieder ; aber der Ring blitzt wohl noch jeden Frühling aus der Grüne farbigflammend in mein Herz , und ich werde die Zauberei nicht los . --
Was sagte denn aber die Mutter dazu ? fragte Rosa .
-- Sie erinnerte sich sehr oft daran .
Noch den letzten Tag vor ihrem Tode , da sie schon zuweilen irre sprach , fiel es ihr ein und sie sagte in einer Art von Verzuckung zu mir : Springe nicht aus dem Garten !
Er ist so fromm und zierlich umzäunt mit Rosen , Lilien und Rosmarin .
Die Sonne scheint gar lieblich darauf und lichtglänzende Kinder sehen Dir von ferne zu und wollen dort zwischen den Blumenbeeten mit Dir spazierengehen .
Denn Du sollst mehr Gnade erfahren und mehr göttliche Pracht überschauen , als andere .
Und eben , weil Du oft fröhlich und kühn sein wirst und Flügel haben , so bitte ich Dich : springe niemals aus dem stillen Garten !
-- Was wollte sie denn aber damit sagen ? fiel ihr Rosa ins Wort , verstehst Du_es ? --
Manchmal , erwiderte die Gräfin , an nebligen Herbsttagen .
-- Sie nahm die Guitarte , trat an das offene Fenster und sang :
Laue Luft kommt blau geflossen , Frühling , Frühling soll es sein !
Waldwärts Hörnerklang geschossen , Mutiger Augen lichter Schein , Und das Wirren bunt und bunter Wird ein magisch wilder Fluß , In die schöne Welt hinunter Lockt dich dieses Stromes Gruß .
Und ich mag mich nicht bewahren !
Weit von Euch treibt mich der Wind , Auf dem Strome will ich fahren , Von dem Glanze selig blind !
Tausend Tausend Stimmen lockend schlagen , Hoch Aurora flammend weht , Fahre zu ! ich mag nicht fragen , Wo die Fahrt zu Ende geht !
Was macht dein Bruder Leontin ? fragte sie schnellabbrechend und legte die Gitarre , in Gedanken versunken , hin .
Wie kommst du jetzt auf den ? fragte Rosa verwundert .
Er sagt von mir , antwortete die Gräfin , ich sei wie eine Flöte , in der viel himmlischer Klang , aber das frische Holz habe sich geworfen , habe einen genialischen Sprung , und so tauge doch am Ende das ganze Instrument nichts .
Das fiel mir eben jetzt ein .
Rosa war froh , daß gerade der Bediente hereintrat und meldete , daß die Pferde zum Spazierritte bereit seien .
Denn die Reden der Gräfin hatten sie heute mehr gepreßt und beängstigt , als sie zeigte , und wäre Friedrich , nach dessen immer beruhigenden Gesprächen sie hier gar oft eine aufrichtige Sehnsucht fühlte , in diesem Augenblicke hereingetreten , sie wäre ihm gewiß mit einer Leidenschaft um den Hals gefallen , die ihn in Verwunderung gesetzt hätte .
Friedrich hatte bis weit in den Tag hineingeschlafen oder vielmehr geträumt und stand unerquickt und nüchtern auf .
Die alte , schöne Gewohnheit , beim ersten Erwachen in die rüstige , freie Morgenpracht hinauszutreten , und auf hohem Berge oder im Walde die Weihe großer Gedanken für den Tag 13 zu empfangen , mußte er nun ablegen .
Trostlos blickte er aus dem Fenster in das verwirrende Treiben der mühseligdrängenden , schwankenden Menge , und es war ihm , als könnte er hier nicht beten .
In solchen verlassenen Stunden wenden wir uns mit doppelter Liebe nach den Augen der Geliebten , aus denen uns die Natur wieder wunderbar begrüßt , wo wir Ruhe , Trost und Freude wieder zu finden wähnen .
Auch Friedrich eilte , seine Rosa endlich wieder zu sehen .
Aber seine Erwartung sollte noch einmal getäuscht werden .
Sie war , wie wir gehört haben , eben fortgeritten , als er hinkam .
Ungeduldig verließ er von neuem das Haus , und es fehlte wenig , daß er in einer Aufwallung nicht sogleich gar wieder fortreiste .
Müßig und unlustig schlenderte er durch die Gassen zwischen den fremden Menschengesichtern , ohne zu wissen , wohin .
Die ersten Stunden und Tage , die wir in einer großen , unbekannten Stadt verbringen , gehören meistens unter die verdrießlichsten unseres Lebens .
Überall von aller organischen Teilnahme ausgeschlossen , sind wir wie ein überflüssiges , stillstehendes Rad an dem großen Uhrwerke des allgemeinen Treibens .
Neutral hängen wir gleichsam unser ganzes Wesen schlaff zu Boden und haschen , da wir innerlich nicht zu Hause sind , auswärts nach einem festen , sicheren Halt .
Solche Augenblicke sind es , wo wir darauf verfallen , Visiten zu machen und nach Bekanntschaften zu jagen , da uns sonst der ungestörte Zug eines frischen , bewegten Lebens in Liebe und Haß mit Gleichen und Widrigen von selbst kräftiger und sicherer zusammenführt .
So erinnerte sich auch Friedrich , daß er ein Empfehlungsschreiben an den hiesigen Minister P. , den er von einsichtsvollen Männern als ein Wunder von tüchtiger Tätigkeit rühmen gehört , bei sich habe .
Er zog es hervor und überlas bei dieser Gelegenheit wieder einmal den weitläufigen Reiseplan , den er bei seinem Auszuge von der Universität sorgfältig in seine Schreibtafel aufgezeichnet hatte .
Es rührte ihn , wie da alle Wege so genau vorausbestimmt waren , und wie nachher alles anders gekommen war , wie das innere Leben überall durchdringt und , sich an keine vorberechneten Pläne kehrend , gleich einem Baume aus freier , geheimnisvoller Werkstatt seine Äste nach allen Richtungen hinstreckt und treibt und erst als Ganzes einen Plan und Ordnung erweist .
Unter solchen Gedanken erreichte er des Ministers Haus .
Ein Kammerdiener meldete ihn an und führte ihn bald darauf durch eine lange Reihe von Zimmern , die alle fast bis zur Einförmigkeit einfach und schmucklos waren .
Erstaunt blieb er stehen , als ihm endlich an der letzten Türe der Minister selbst entgegenkam .
Er hatte sich nach alle dem Erhebenden , was er von seinem großen Streben gehört , einen lebenskräftigen , heldenähnlichen , freudigen Mann vorgestellt , und fand eine lange , hagere , schwarzgekleidete Gestalt , die ihn mit unhöflicher 13 * Höflichkeit empfing .
Denn so möchte man jene Höflichkeit nennen , die nichts weiter bedeuten will , und keinen Zug mehr ihres Ursprungs , der wohlwollenden Güte , an sich hat .
Der Minister las das Schreiben schnell durch und erkundigte sich um die Familienverhältnisse des Grafen mit wenigen sonderbaren Fragen , aus denen Friedrich zu seiner höchsten Verwunderung ersah , daß der Minister in die Geheimnisse seiner Familie eingeweihter sein müsse , als er selber , und er betrachtete den kalten Mann einige Augenblicke mit einer Art von heiliger Scheu .
Während dieser Unterredung kam unten ein junger Mann in soldatischer Kleidung die Straße herabgeritten .
Wie wenn ein Ritter , noch ein heiliges Bild voriger rechter Jugend , dessen Anblick unser Auge längst entwöhnt ist , uns plötzlich begegnete , so ragte der herrliche Reiter über die verworrene , falbe Menge , die sein wildes Roß auseinandersprengte .
Alles zog ehrerbietig den Hut , er nickte freundlich in das Fenster hinauf , der Minister verneigte sich tief ; es war der Erbprinz .
Auf Friedrich'n hatte die wahrhaft fürstliche Schönheit des Reiters einen wunderbaren Eindruck gemacht , den er , so lange er lebte , nie wieder auszulöschen vermochte .
Er sagte es dem Minister .
Der Minister lächelte .
Friedrich n ärgerte das brittisirende , eingefrorene Wesen , das er aus Jean Pauls Romanen bis zum Ekel kannte , und jederzeit für die schändlichste Prahlerei hielt .
Auf die Wahrhaftigkeit seines Herzens vertrauend , sprach er daher , als sich bald nachher die Unterhaltung zu den neuesten Zeitbegebenheiten wandte , über Staat , öffentliche Verhandlungen und Patriotismus mit einer sorglosen , sieghaften Ergreifung , die vielleicht manchmal um desto eher an Übertreibung grenzte , je mehr ihn der unüberwindlich kalte Gegensatz des Ministers erhitzte .
Der Minister hörte ihn stillschweigend an .
Als er geendigt hatte , sagte er ruhig :
Ich bitte Sie , verlegen Sie sich doch einige Zeit mit ausschließlichem Fleiße auf das Studium der Jurisprudenz und der kameralistischen Wissenschaften .
Friedrich griff schnell nach seinem Hute .
Der Minister überreichte ihm eine Einladungskarte zu einem sogenannten Tableau , welches heute Abend bei einer Dame , die durch gelehrte Zirkel berüchtigt war , von mehreren jungen Damen aufgeführt werden sollte , und Friedrich eilte aus dem Hause fort .
Er hatte sich oben in der Gegenwart des Ministers wie von einer unsichtbaren Übermacht bedrückt gefühlt , es kam ihm vor , als ginge alles anders auf der Welt , als er es sich in guten Tagen vorgestellt .
Es war schon Abend geworden , als sich Friedrich endlich entschloß , von der Einladungskarte , die er vom Minister bekommen hatte , Gebrauch zu machen .
Er machte sich schnell auf den Weg ; aber das Haus der Dame , wohin die Adresse gerichtet war , lag weit in dem anderen Teile der Stadt , und so langte er ziemlich spät dort an .
Er wurde bei Vorweisung der Karte in einen Saal gewiesen , der , wie es schien , mit Fleiß , nur durch einen einzigen Kronleuchter sehr matt beleuchtet wurde .
In dieser sonderbaren Dämmerung fand er eine zahlreiche Gesellschaft , die lebhaft durcheinandersprechend in einzelne Partien zerstreut umhersaß .
Er kannte niemand und wurde auch nicht bemerkt ; er blieb daher im Hintergrunde und erwartete , an einen Pfeiler gelehnt , den Ausgang der Sache .
Bald darauf wurde zu seinem Erstaunen auch der einzige Kronleuchter hinaufgezogen .
Eine undurchdringliche Finsternis erfüllte nun plötzlich den Raum und er horte ein quieckendes , leichtfertiges Gelächter unter den jungen Frauenzimmern über den ganzen Saal .
Wie sehr aber fühlte er sich überrascht , als auf einmal ein Vorhang im Vordergrunde niedersank und eine unerwartete Erscheinung von der seltsamsten Erfindung sich den Augen darbot .
Man sah nämlich sehr überraschend ins Freie , überschaute statt eines Theaters die große , wunderbare Bühne der Nacht selber , die vom Monde beleuchtet draußen ruhte .
Schräge über die Gegend hin streckte sich ein ungeheurer Riesenschatten weit hinaus , auf dessen Rücken eine hohe weibliche Gestalt erhoben stand .
Ihr langes weites Gewand war durchaus blendendweiß , die eine Hand hatte sie ans Herz gelegt , mit der anderen hielt sie ein Kreuz zum Himmel empor .
Das Gewand schien ganz und gar von Licht durchdrungen und strömte von allen Seiten einen milden Glanz aus , der eine himmlische Glorie um die ganze Gestalt bildete und sich ins Firmament zu verloren schien , wo oben an seinem Ausgange einzelne wirkliche Sterne hindurchschimmerten .
Rings unter dieser Gestalt war ein dunkler Kreis hoher , traumhafter , phantastisch ineinanderverschlungener Pflanzen , unter denen , unkenntlich verworrene Gestalten zerstreut lagen und schliefen , als wäre ihr wunderbarer Traum über ihnen abgebildet .
Nur hin und her endigten sich die höchsten dieser Pflanzengewinde in einzelne Lilien und Rosen , die von der Glorie , der sie sich zuwandten , berührt , und verklärt wurden und in deren Kelchen goldene Kanarienvögel saßen und in dem Glanze mit den Flügeln schlugen .
Unter den dunklen Gestalten des unteren Kreises war nur eine kenntlich .
Es war ein Ritter , der sich , der glänzenden Erscheinung zugekehrt , auf beide Knie aufgerichtet hatte und auf ein Schwert stützte , und dessen goldene Rüstung von der Glorie hell beleuchtet wurde .
Von der anderen Seite stand eine schöne weibliche Gestalt in griechischer Kleidung , wie die Alten ihre Göttinnen abbildeten .
Sie war mit bunten , vollen Blumengewinden umhangen und hielt mit beiden aufgehobenen Armen eine Zimbel , wie zum Tanze , hoch in die Höhe , so daß die ganze regelmässige Fülle und Pracht der Glieder sichtbar wurde .
Das Gesicht erschrocken von der Glorie abgewendet , war sie nur zur Hälfte erleuch tet ; aber es war die deutlichste und vollendetste Figur .
Es schien , als wäre die irdische , lebenslustige Schönheit , von dem Glanze jener himmlischen berührt , in ihrer bacchantischen Stellung plötzlich so erstarrt .
Je länger man das Ganze betrachtete , je mehr und mehr wurde das Zauberbild von allen Seiten lebendig .
Die Glorie der mittelsten Figur spielte in den Pflanzengewinden und den zitternden Blätterspitzen der nächststehenden Bäume .
Im Hintergrunde sah man noch einige Streifen des Abendrots am Himmel stehen , fernes dunkelblaues Gebirge und hin und wieder den Strom aus der weiten Tiefe wie Silber aufblickend .
Die ganze Gegend schien in erwartungsvoller Stille zu feiern , wie vor einem großen Morgen , der das geheimnisvoll gebundene Leben in herrlicher Pracht lösen soll .
Friedrich war freudig zusammengefahren , als der Vorhang sich plötzlich eröffnete , denn er hatte in der mittelsten Figur mit dem Kreuze sogleich seine Rosa erkannt .
Wie wir einen geliebten köstlichen Stein mit dem Kostbarsten sorgfältig umfassen , so schien auch ihm der herrliche Kreis der gestirnten Nacht draußen nur eine Folie um das schöne Bild der Geliebten , zu welcher Aller Augen unwiderstehlich hingezogen wurden .
An ihren großen , sinnigen Augen entzündete sich in seiner Brust die Macht hoher , freudiger Entschlüsse und Gedanken , das Abendrot draußen war ihm die Aurora eines künftigen , weiten , herrlichen Lebens und seine ganze Seele flog wie mit großen Flügeln in die wunderbare Aussicht hinein .
Mitten in dieser Entzückung fiel der Vorhang plötzlich wieder , das Ganze verdeckend , herab , der Kronleuchter wurde heruntergelassen und ein schnatterndes Gewühle und Lachen erfüllte auf einmal wieder den Saal .
Der größte Teil der Gesellschaft brach nun von allen Sitzen auf und verlor sich .
Nur ein kleiner Teil von Auserwählten , wie es schien , blieb im Saale zurück .
Friedrich wurde während des vom Minister , der auch zugegen war , bemerkt und sogleich der Frau vom Hause vorgestellt .
Es war eine fast durchsichtigschlanke , schmächtige Gestalt , gleichsam im Nachsommer ihrer Blüte und Schönheit .
Sie bat ihn mit so überaus sanften , leisen , lispelnden Worten , daß er Mühe hatte sie zu verstehen , ihre künstlerischen Abendandachten , wie sie sich ausdrückte , mit seiner Gegenwart zu beehren , und sah ihn dabei mit blinzelnden , fast zugedrückten Augen an , von denen er zweifelhaft war , ob sie ausforschend , gelehrt , sanft , verliebt oder nur interessant sein sollten .
Die Gesellschaft zog sich indes in eine kleinere Stube zusammen .
Die Zimmer waren durchaus prachtvoll und im neuesten Geschmack dekoriert ; nur hin und wieder bemerkte man einige auffallende Besonderheiten und Nachlässigkeiten , unsymmetrische Spiegel , Gitarren , aufgeschlagene Musikalien und Bücher , die auf den Ottomanen zerstreut umherlagen .
Friedrich'n kam es vor , als hätte es der Frau vom Hause vorher einige Stunden mühsamen Studiums gekostet , um in das Ganze eine gewisse unordentliche Genialität hineinzubringen .
Endlich erschien auch Rosa mit der jungen Gräfin Romana , welche in dem Tableau die griechische Figur , die lebenslustige , vor dem Glanz des Christentums zu Stein gewordene Religion der Phantasie so meisterhaft dargestellt hatte .
Rosa es erster Blick traf gerade auf Friedrich .
Erstaunt und mit innigster Herzensfreude rief sie laut seinen Namen .
Er wäre ihr um den Hals gefallen , aber der Minister stand eben wie eine Statue neben ihm , und manche Augen hatte ihr unvorsichtiger Ausruf auf ihn gerichtet .
Er hätte sich vor diesen Leuten eben so gern wie Don Quijote in der Wildnis vor seinem Sancho Pansa in Purzelbäumen produzieren wollen , als seine Liebe ihren Augen Preis geben .
Aber so nahe als möglich hielt er sich zu ihr , es war ihm eine unbeschreibliche Lust , sie anzurühren , er sprach wieder mit ihr , als wäre er nie von ihr entfernt gewesen und hielt oft Minutenlang ihre Hand in der seinigen .
Rasa 'n tat diese langentbehrte , ungekünstelte , unwiderstehliche Freude an ihr im Innersten wohl .
Es hatte sich unterdes ein niedliches , etwa zehnjähriges Mädchen eingefunden , die in einer reizenden Kleidung mit langen Beinkleidern und kurzem Schleiern Röckchen darüber keck im Zimmer herumsprang .
Es war die Tochter vom Hause .
Ein Herr aus der Gesellschaft reichte ihr ein Tamburin , das in einer Ecke auf dem Fußboden gelegen hatte .
Alle schlossen bald einen Kreis um sie und das zierliche Mädchen tanzte mit einer wirklich bewunderungswürdigen Anmut und Geschicklichkeit , während sie das Tamburin auf mannigfache Weise schwang und berührte und ein niedliches italienisches Liedchen dazu sang .
Jeder war begeistert , erschöpfte sich in Lobsprüchen und wünschte der Mutter Glück , die sehr zufrieden lächelte .
Nur Friedrich schwieg still .
Denn einmal war ihm schon die moderne Jungentracht bei Mädchen zuwider , ganz abscheulich aber war ihm diese gottlose Art , unschuldige Kinder durch Eitelkeit zu dressieren .
Er fühlte vielmehr ein tiefes Mitleid mit der schönen kleinen Bajadere .
Sein Ärger und das Lobpreisen der anderen stieg , als nachher das Wunderkind sich unter die Gesellschaft mischte , nach allen Seiten hin in fertigem Französisch schnippische Antworten erteilte , die eine Klugheit weit über ihr Alter zeigten , und überhaupt jede Ungezogenheit als genial genommen wurde .
Die Damen , welche sämtlich sehr ästhetische Mienen machten , setzten sich darauf nebst mehreren Herren unter dem Vorsitze der Frau vom Haus , die mit vieler Grazie den Tee einzuschenken wußte , förmlich in Schlachtordnung und fingen an von Ohrenschmäusen zu reden .
Der Minister entfernte sich in die Nebenstube , um zu spielen .
-- Friedrich erstaunte , wie diese Weiber geläufig mit den neuesten Erscheinungen der Literatur umzuspringen wuß ten , von denen er selber manche kaum dem Namen nach kannte , wie leicht sie mit Namen herumwarfen , die er nie ohne heilige , tiefe Ehrfurcht auszusprechen gewohnt war .
Unter ihnen schien besonders ein junger Mann mit einer verachtenden Miene in einem gewissen Glauben und Ansehen zu stehen .
Die Frauenzimmer sahen ihn beständig an , wenn es darauf ankam , ein Urteil zu sagen , und suchten in seinem Gesichte seinen Beifall oder Tadel im voraus herauszulesen , um sich nicht etwa mit etwas Abgeschmacktem zu prostituieren .
Er hatte viele genialische Reisen gemacht , in den meisten Hauptstädten auf öffentlicher Straße auf seine eigene Faust Ball gespielt , Kotzebue'n einmal in einer Gesellschaft in den Sack gesprochen , fast mit allen berühmten Schriftstellern zu Mittag gespeist oder kleine Fußreisen gemacht .
Übrigens gehörte er eigentlich zu keiner Partei ; er übersah alle weit und belächelte die entgegengesetzten Gesinnungen und Bestrebungen , den eifrigen Streit unter den Philosophen oder Dichtern :
Er war sich der Lichtpunkt dieser verschiedenen Reflexe .
Seine Urteile waren alle nur wie zum Spiele flüchtig hingeworfen mit einem nachlässig mystischen Anstrich , und die Frauenzimmer erstaunten nicht über das , was er sagte , sondern was er , in der Überzeugung nicht verstanden zu werden , zu verschweigen schien .
Wenn dieser heimlich die Meinung zu regieren schien , so führte dagegen ein anderer fast einzig das hohe Wort .
Es war ein junger , voller Mensch mit strotzender Gesundheit , ein Antlitz , das vor wohlbehaglicher Selbstgefälligkeit glänzte und strahlte .
Er wußte für jedes Ding ein hohes Schwungwort , lobte und tadelte ohne Maß und sprach hastig mit einer durchdringenden , gellenden Stimme .
Er schien ein wüthendbegeisterter von Profession und ließ sich von den Frauenzimmern , denen er sehr gewogen schien , gern den heiligen Thyrsusschwinger nennen .
Es fehlte ihm dabei nicht an einer gewissen schlauen Miene , womit er niedereren , nicht so saftige Naturen seiner Ironie Preis zu geben pflegte .
Friedrich wußte gar nicht , wohin dieser während seiner Deklamationen so viel Liebesblicke verschwende , bis er endlich ihm gerade gegenüber einen großen Spiegel entdeckte .
Der Begeisterte ließ sich nicht lange bitten , etwas von seinen Poesien mitzuteilen .
Er las eine lange Dythirambe von Gott , Himmel , Hölle , Erde und dem Karfunkelstein mit angestrengtester Heftigkeit vor , und schloß mit solchem Schrei und Nachdruck , daß er ganz blau im Gesichte wurde .
Die Damen waren ganz außer sich über die heroische Kraft des Gedichts , so wie des Vortrages .
Ein anderer junger Dichter von mehr schmachtendem Ansehen , der neben der Frau vom Hause seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte , lobte zwar auch mit , warf aber dabei einige durchbohrende neidische Blicke auf den Begeisterten , vom Lesen ganz erschöpften .
Überhaupt war dieser Friedrich'n schon von Anfang durch seinen großen Unterschied von jenen beiden Flausenmachern aufgefallen .
Er hatte sich während der ganzen Zeit , ohne sich um die Verhandlungen der anderen zu bekümmern , ausschließlich mit der Frau vom Haus unterhalten , mit der er Eine Seele zu sein schien .
Ihre Unterhaltung mußte sehr zart sein , wie man von dem süßen , zugespitzten Munde beider abnehmen konnte , und Friedrich hörte nur manchmal einzelne Laute , wie : " mein ganzes Leben wird zum Roman " -- " überschwenglichreiches Gemüt " " Priesterleben " -- herüberschallen .
Endlich zog auch dieser ein ungeheures Paket Papiere aus der Tasche und begann vorzulesen , unter anderen folgendes Assonanzenlied : Hat nun Lenz die silbern braunen Losgebunden :
Knie ich nieder , süßbeklommen , In die Wunder .
Himmelreich , so kommt geschwommen Auf die Wunden !
Hast Du einzig mich erkoren Zu den Wundern ?
In die Ferne süß verloren , Lieder fluten , Daß sie , rückwärts sanft erschollen , Bringen Kunde .
Was die anderen sorgen wollen , Ist mir dunkel , Mir will ewiger Durst nur frommen Nach dem Durste .
Was ich liebte und vernommen , Was geklungen , Ist den eigenen , tiefen Wonnen Selig Wunder !
Weiter folgendes Sonett :
Ein Wunderland ist oben aufgeschlagen , Wo goldene Ströme gehe 'n und dunkel schallen Und durch ihr Rauschen tief ' Gesänge hallen , Die möchten gern ein hohes Wort uns sagen .
Viel goldene Brücken sind dort kühn geschlagen , Darüber alte Brüder sinnend wallen Und seltsam Töne oft herunterfallen --
Da will tief Sehnen uns von hinnen tragen .
Wen einmal so berührt die heiligen Lieder :
Sein Leben taucht in die Musik der Sterne , Ein ewig Ziehen in wunderbare Ferne .
Wie bald liegt da tief unten alles Trübe !
Er kniet ewig betend einsam nieder , Verklärt im heiligen Morgenrot der Liebe .
Er las noch einen Haufen Sonette mit einer Art von priesterlicher Feierlichkeit .
Keinem derselben fehlte es an irgend einem wirklich aufrichtigen kleinen Gefühlchen , an großen Ausdrücken und lieblichen Bildern .
Alle hatten einen einzigen , bis ins Unendliche breit auseinandergeschlagenen Gedanken , sie bezogen sich alle auf den Beruf des Dichters und die Göttlichkeit der Poesie , aber die Poesie selber , das ursprüngliche , freie , tüchtige Leben , das uns ergreift , ehe wir darüber sprachen , kam nicht zum Vorschein vor lauter Komplimenten davor und Anstalten dazu .
Friedrich'n kamen diese Poesiere in ihrer durchaus polierten , glänzenden , wohlerzogenen Weichlichkeit wie der fade , unerquickliche Theedampf , die zierliche Teekanne mit ihrem lodernden Spiritus auf dem Tische wie der Opferaltar dieser Musen vor .
Er erinnerte sich bei diesem ästhetischen Geschwätz der schönen Abende im Walde bei Leontins Schloß , wie da Leontin manchmal so seltsame Gespräche über Poesie und Kunst hielt , wie seine Worte , je finsterer es nach und nach ringsumher wurde , zuletzt Eins wurden mit dem Rauschen des Waldes und der Ströme und dem großen Geheimnisse des Lebens und weniger belehrten als erquickten , stärkten und erhoben .
Er erholte sich recht an der erfrischenden Schönheit Rosa's , in deren Gesicht und Gestalt unverkennbar der herrliche , wilde , oft ungenießbare Berg- und Waldgeist ihres Bruders zur ruhigeren , großen , schönen Form geworden war .
Sie kam ihm diesen Abend viel schöner und unschuldiger vor , da sie sich fast gar nicht in die gelehrten Unterhaltungen mit einmischte .
Höchstanziehende und zurückstoßend zugleich erschien ihm dagegen ihre Nachbarin , die junge Gräfin Romana , welche er sogleich für die griechische Figur in dem Tableau erkannte , und die daher heute allgemein die schöne Heidin genannt wurde .
Ihre Schönheit war durchaus verschwenderischreich , südlich und blendend und überstrahlte Rosa's mehr deutsche Bildung weit , weit , ohne eigentlich vollendeter zu sein .
Ihre Bewegungen waren feurig , ihre großen , brennenden , durchdringenden Augen , denen es nicht an Strenge fehlte , bestrichen Friedrich'n wie ein Magnet .
Als endlich der Schmachtende seine Vorlesung geendigt hatte , wurde sie ziemlich unerwartet um ihr Urteil darüber befragt .
Sie antwortete sehr kurz und verworren , denn sie wußte fast kein Wort davon ; sie hatte während des heimlich ein ausfallend getroffenes Porträt Friedrichs geschnitzt , das sie schnell Rosaen zusteckte . -- Bald darauf wurde auch sie aufgefordert , etwas von ihren Poesien zum Besten zu geben .
Sie versicherte vergebens , daß sie nichts bei sich habe , man drang von allen Seiten , besonders die Weiber mit wahren Judasgesichtern , in sie , und so begann sie , ohne sich lange zu besinnen , folgende Verse , die sie zum Teil aus der Erinnerung hersagte , größtenteils im Augenblick erfand und durch ihre musikalischen Mienen wunderbar belebte : Weit in einem Walde droben Zwischen hoher Felsen Zinnen , Steht ein altes Schloß erhoben , Wohnet eine Zauberin drinnen .
Von dem Schloß , der Zauberin Schöne Gehen wunderbare Sagen , Lockend schweifen fremde Töne Plötzlich her oft aus dem Walde .
Wem sie recht das Herz getroffen , Der muß nach dem Walde gehen , 14 Ewig diesen Klängen folgend , Und wird nimmer mehr gesehen .
Tief in wundersamer Grüne Steht das Schloß , schon halbverfallen , Hell die goldenen Zinnen glühen , Einsam sind die weiten Hallen .
Auf des Hofes steinigem Rasen Sitzen von der Tafelrunde All ' die Helden dort gelagert , überdeckt mit Staub und Wunden .
Heinrich liegt auf seinem Löwen , Gottfried auch , Siegfried der Scharfe , König Alfred , eingeschlafen Über seiner goldenen Harfe .
Don Quixot hoch auf der Mauer Sinnend tief in nächtiger Stunde , Steht gerüstet auf der Lauer Und bewacht die heilige Runde .
Unter fremdes Volk verschlagen , Arm und ausgehöhnt , verraten , Hat er treu sich durchgeschlagen , Eingedenk der Heldentaten Und der großen alten Zeiten , Bis er , ganz von Wahnsinn trunken , Endlich so nach langem Streiten Seine Brüder hat gefunden .
Einen wunderbaren Hofstaat Die Prinzessin dorthin führt , Hat ein wunderlichen Alten , Der das ganze Haus regieret .
Einen Mantel trägt der Alte , Schillernd bunt in allen Farben Mit unzähligen Zieraten , Spielzeug hat er in den Falten .
Scheint der Monden helle draußen , Wolken fliegen über 'm Grunde : Fängt er draußen an zu hausen , Kramt sein Spielzeug aus zur Stunde .
Und das Spielzeug um den Alten Rührt sich bald beim Mondenschein , Zupfet ihn beim langen Barte , Schlingt um ihn die bunten Kreise Auch die Blümlein nach ihm langen , Möchten doch sich sittsam zeigen , Ziehen verstohlen ihn beim Mantel , Lachen dann in sich gar heimlich .
Und ringsum die ganze Runde Zieht Gesichter ihm und rauschet , Unterhält aus dunklem Grunde Sich mit ihm als wie im Traume .
Und er spricht und sinnt und sinnet , Bunt verwirrend alle Zeiten , Weinet bitterlich und lachet , Seine Seele ist so heiter .
Bei ihm sitzt dann die Prinzessin , Spielt mit seinen Seltsamkeiten , Immer neue Wunder blinkend Muß er aus dem Mantel breiten .
Und der wunderliche Alte Hielt sie sich bei seinen Bildern Neidisch immerfort gefangen , Weit von aller Welt geschieden .
Aber der Prinzessin wurde Mitten in dem Spiele bange Unter diesen Zauberblumen , Zwischen dieser Quellen Rauschen .
14 * Frisches Morgenrot im Herzen Und voll freudiger Gedanken , Sind die Augen wie zwei Kerzen , Schön die Welt dran zu entflammen .
Und die wunderschöne Erde , Wie Aurora sie berühret , Will mit irdischer Lust und Schmerzen Ewig neu sie stets verführen .
Denn aus dem bewegten Leben Spüret sie ein Hochzeitsgrüßen , Mitten zwischen ihren Spielen Muß sie sich bezwungen fühlen .
Und es hebt die ewig Schöne , Da der Morgen herrlich schiene , In den Augen große Tränen , Hell die jugendlichen Glieder .
" Wie so anders war es damals , Da mich , bräutlich Ausgeschmückte , Aus dem heimatlichen Garten Hier herab der Vater schickte !
Wie die Erde frisch und jung noch Von Gesängen rings erklingend , Schauernd in Erinnerungen , Helle in das Herz mir blickte , Daß ich , schamhaft mich verhüllend , Meinen Ring , von Glanz geblendet , Schleuderte in die prächtige Fülle , Als die ewige Braut der Erde .
Wo ist nun die Pracht geblieben , Treuer Ernst im rüstigen Treiben , Rechtes Tun und rechtes Lieben Und die Schönheit und die Freude ?
Ach ! ringsum die Helden alle , Die sonst schön und helle schauten , Um mich in den lichten Tagen Durch die Welt sich fröhlich hauten , Strecken steinern nun die Glieder , Eingehüllt in ihre Fahnen , Sind seitdem so alt geworden , Nur ich bin so jung wie damals .
-- Von der Welt kann ich nicht lassen , Liebeln nicht von fern mit Reden , In den Arm lebendig fassen ! --
Laß mich lieben , laß mich leben ! "
Nun verliebt die Augen gehen Über ihres Gartens Mauer , War so einsam dort zu sehen Schimmernd Land und Ström ' und Auen .
Und wo ihre Augen gingen : Quellen aus der Grüne sprangen , Berg und Wald verzaubert standen Tausend Vögel schwirrend sangen .
Golden blitzt es überm Grunde , Seltene Farben irrend schweifen , Wie zu lang entbehrtem Feste Will die Erde sich bereiten .
Und nun kamen angezogen Freier bald von allen Seiten , Federn bunt im Winde flogen , Jäger schmuck im Walde reiten .
Hörner munter drein erschallen Auf und munter durch das Grüne , Pilger fromm dazwischen wallen , Die das Heimatsfieber spüren .
Auf vielsonnigen Wiesen flöten Schäfer bei Schneeflocken Schafen , Ritter in der Abendröte Knien auf des Berges Hange , Und die Nächte von Gitarren Und Gesängen weich erschallen , Daß der wunderliche Alte Wie verrückt beginnt zu tanzen .
Die Prinzessin schmückt mit Kränzen Wieder sich die schönen Haare , Und die vollen Kränze glänzen Und sie blickt verlangend nieder .
Doch die alten Helden alle , draußen vor der Burg gelagert , Saßen dort im Morgenglanze , Die das schöne Kind bewachten .
An das Tor die Freier kamen Nun gesprengt , gehüpft , gelaufen , Ritter , Jäger , Provenzalen , Bunte , helle , lichte Haufen .
Und vor allen junge Recken Stolzen Blicks den Berg berannten , Die die alten Helden weckten , Sie vertraulich Brüder nannten .
Doch wie diese uralt blicken , An die Eisenbrust geschlossen , Brüderlich die Jungen drücken , Fallen die erdrückt zu Boden .
Andere lagern sich zum Alten , Graust ihn gleich bei seinen Mienen , Ordnen sein verworrenes Walten , Daß es jedem wohlgefiele ; Doch sie fühlen schauernd bald , Daß sie ihn nicht können zwingen , Selbst zu Spielzeug sich verwandelt , Und der Alte spielt mit ihnen .
Und sie müssen töricht tanzen , Manche mit der Krone geschmückt Und im purpurnem Talare feierlich den Reigen führen .
Andere schweben lispelnd lose , Andere müssen männlich lärmen , Rittern reißen aus die Rosse Und die schreien gar erbärmlich .
Bis sie endlich alle müde Wieder kommen zu Verstande , Mit der ganzen Welt im Frieden , Legen ab die Maskerade .
" Jäger sind wir nicht , noch Ritter , " Hört man sie von fern noch summen , " Spiel nur war das -- wir sind Dichter ! " --
So tost der ganze Plunder , Nüchtern liegt die Welt wie ehe , Und die Zauberin bei dem Alten Spielt die vorigen Spiele wieder Einsam wohl noch lange Jahre .
-- Die Gräfin , die zuletzt mit ihrem schönen , begeisterten Gesicht einer welschen Improvisatorin glich , unterbrach sich hier plötzlich selber , indem sie laut auflachte , ohne daß jemand wußte , warum ?
Verwundert fragte alles durcheinander :
Was lachen Sie ?
Ist die Allegorie schon geschlossen ?
Ist das nicht die Poesie ?
-- Ich weiß nicht , ich weiß nicht , ich weiß nicht , sagte die Gräfin lustig und sprang auf .
Von allen Seiten wurden nun die flüchtigen Verse besprochen .
Einige hielten die Prinzessin im Gedicht für die Venus , andere nannten sie die Schönheit , andere nannten sie die Poesie des Lebens . --
Es mag wohl die Gräfin selber sein , dachte Friedrich . --
Es ist die Jungfrau Maria , als die große Welt-Liebe , sagte der genialische Reisende , der wenig Acht gegeben hatte , mit vornehmer Nachlässigkeit .
Ei , daß Gott behüte ! brach Friedrich , dem das Gedicht der Gräfin heidnisch und übermütig vorgekommen war wie ihre ganze Schönheit , halb lachend und halb unwillig aus : Sind wir doch kaum des Vernünfteln in der Religion los , und fangen dagegen schon wieder an , ihre festen Glaubenssätze , Wunder und Wahrheiten zu poetisieren und zu verflüchtigen .
In wem die Religion zum Leben gelangt , wer in allem Tun und Lassen von der Gnade wahrhaft durchdrungen ist , dessen Seele mag sich auch in Liedern ihrer Entzückung und des himmlischen Glanzes erfreuen .
Wer aber hochmütig und schlau diese Geheimnisse und einfältigen Wahrheiten als beliebigen Dichtungsstoff zu überschauen glaubt , wer die Religion , die nicht dem Glauben , dem Verstande oder der Poesie allein , sondern allen drei , dem ganzen Menschen , angehört , bloß mit der Phantasie in ihren einzelnen Schönheiten willkürlich zusammenrafft , der wird eben so gern an den griechischen Olymp glauben , als an das Christentum , und eins mit dem anderen verwechseln und versetzen , bis der ganze Himmel furchtbar öde und leer wird . -- Friedrich bemerkte , daß er von mehreren sehr weise belächelt wurde , als könne er sie nicht zu ihrer freien Ansicht erheben .
Man hatte indes an dem Tische die Geschichte der Gräfin Dolores aufgeschlagen und blätterte darin hin und her .
Die mannigfaltigsten Urteile darüber durchkreuzten sich bald .
Die Frau vom Haus und ihr Nachbar , der Schmachtende , sprachen vor allen anderen bitter und mit einer auffallend gekränkten Empfindlichkeit und Heftigkeit darüber .
Sie schienen das Buch aus tiefster Seele zu hassen .
Friedrich erriet wohl die Ursache und schwieg .
-- Ich muß gestehen , sagte eine junge Dame , ich kann mich darein nicht verstehen , ich wußte niemals , was ich aus dieser Geschichte mit den tausend Geschichten machen soll .
Sie haben sehr recht , fiel ihr einer von den Männern , der sonst unter allen immer am richtigsten geurteilt hatte , ins Wort , es ist mir immer vorgekommen , als sollte dieser Dichter noch einige Jahre pausieren , um dichten zu lernen .
Welche Sonderbarkeiten , Verrenkungen und schreiende Übertreibungen ! --
Grade das Gegenteil , unterbrach ihn ein anderer , ich finde das Ganze nur allzu prosaisch , ohne die himmlische Überschwenglichkeit der Phantasie .
Wenn wir noch viele solche Romane erhalten , so wird unsere Poesie wieder eine bloße allegorische Person der Moral .
Hier hielt sich Friedrich , der dieses Buch hoch in Ehren hielt , nicht länger .
Alles ringsumher , sagte er , ist prosaisch und gemein , oder groß und herrlich , wie wir es verdrossen und träge oder begeistert ergreifen .
Die größte Sünde aber unserer jetzigen Poesie ist meines Wissens die gänzliche Ab straktion , das abgestandene Leben , die leere , willkürliche , sich selbst zerstörende Schwelgerei in Bildern .
Die Poesie liegt vielmehr in einer fortwährend begeisterten Anschauung und Betrachtung der Welt und der menschlichen Dinge , sie liegt eben so sehr in der Gesinnung , als in den lieblichen Talenten , die erst durch die Art ihres Gebrauches groß werden .
Wenn in einem sinnreichen , einfachstrengen , männlichen Gemüt auf solche Weise die Poesie wahrhaft lebendig wird , da verschwindet aller Zwiespalt : Moral , Schönheit , Tugend und Poesie wird alles Eins in den adeligen Gedanken , in der göttlichen sinnigen Lust und Freude und dann mag freilich das Gedicht erscheinen , wie ein in der Erde wohlgegründeter , tüchtiger , schlanker , hoher Baum , wo Grob und Fein erquicklich durcheinanderwachst und rauscht und sich rührt zu Gottes Lobe .
Und so ist mir auch dieses Buch jedesmal vorgekommen , obgleich ich gern zugebe , daß der Autor in stolzer Sorglosigkeit sehr unbekümmert mit den Worten schaltet , und sich nur zu oft daran ergötzt , die kleinen Zauberdinger kurios auf den Kopf zu stellen .
Die Frauenzimmer machten große Augen , als Friedrich unerwartet so sprach .
Was er gesagt , hatte wenigstens den gewissen guten Klang , der ihnen bei allen solchen Dingen die Hauptsache war .
Romana , die es von weitem flüchtig mit angehört , fing an , ihn mit ihren dunkelglühenden Augen bedeutender anzusehen .
Friedrich aber dachte : in Euch wird doch alles Wort nur wieder Wort , und wandte sich zu einem schlichten Manne , der vom Lande war , und weniger mit der Literatur als mit dieser Art sie zu behandeln unbekannt zu sein schien .
Dieser erzählte ihm , wie er jenem Romane eine seltsame Verwandlung seines ganzen Lebens zu verdanken habe .
Auf dem Lande ausschließlich zur Ökonomie erzogen , hatte er nämlich , von frühester Kindheit an nie Neigung zum Lesen und besonders einen gewissen Widerwillen gegen alle Poesie , als einem unnützen Zeitvertreib .
Seine Kinder dagegen ließen seit ihrem zartesten Alter einen unüberwindlichen Hang und Geschicklichkeit zum Dichten und zur Kunst verspüren , und alle Mittel , die er anwandte , waren nicht im Stande , sie davon abzubringen und sie zu tätigen , ordentlichen Landwirten zu machen .
Vielmehr lief ihm der älteste Sohn fort und wurde wider seinen Willen Maler .
Dadurch wurde er immer verschlossener und seine Abneigung gegen die Kunst verwandelte sich immer bitterer in entschiedenen Haß gegen alles , was ihr nur anhing .
Der Maler hatte indes eine unglückselige Liebe zu einem jungen , seltsamen Mädchen gefaßt .
Es war gewiß das talentvollste , heftigste , beste und schlechteste Mädchen zugleich , das man nur finden konnte .
Eine Menge unordentlicher Liebschaften , in die sie sich auch jetzt noch immerfort einließ , brachte den Maler oft auf das äußerste , so daß es in Anfällen von Wut oft zwischen beiden zu Auftritten kam , die eben so furchtbar als komisch waren .
Ihre unbeschreibliche Schönheit zog ihn aber immer wieder unbezwinglich zu ihr hin , und so teilte er sein unruhvolles Leben zwischen Haß und Liebe und allen den heftigsten Leidenschaften , während er immerfort in den übrigen Stunden unermüdet und nur um desto eifriger an seinen großen Gemälden fortarbeitete .
-- Ich machte mich endlich einmal nach der weitentlegenen Stadt auf den Weg , fuhr der Mann in seiner Erzählung fort , um die seltsame Wirtschaft meines Sohnes , von der ich schon so viel gehört hatte , mit eigenen Augen anzusehen .
Schon unterwegs hörte ich von einem seiner besten Freunde , daß sich manches verändert habe .
Das Mädchen oder Weib meines Sohnes habe nämlich von Ungefähr ein Buch in die Hände bekommen , worin sie mehrere Tage unausgesetzt und tiefsinnig gelesen .
Keiner ihrer Liebhaber habe sie seitdem zu sehen bekommen und sie sei endlich darüber in eine schwere Krankheit verfallen .
Das Buch war kein anderes , als eben diese Geschichte von der Gräfin Dolores .
Als ich in die Stadt ankomme , eile ich sogleich nach der Wohnung meines Sohnes .
Ich finde niemanden im ganzen Hause , die Türen offen , alles öde .
Ich trete in die Stube : das Mädchen lag auf einem Bette blaß und wie vor Mattigkeit eingeschlafen .
Ich habe niemals etwas Schöneres gesehen .
In dem Zimmer standen fertige und halbvollendete Gemälde auf Staffeleien umher , Malergerätschaften , Bücher , Kleider , halbbezogene Gitarren , alles sehr unordentlich durcheinander .
Durch das Fenster , welches offen stand , hatte man über die Stadt weg eine entzückende Aussicht auf den weitgewundenen Strom und die Gebirge .
In der Stube fand ich auf einem Tische ein Buch aufgeschlagen , es war die Dolores .
Ich wollte die Kranke nicht wecken , setzte mich hin und fing an in dem Buche zu lesen .
Ich las und las , vieles Dunkle zog mich immer mehr an , vieles kam mir so wahrhaft vor wie meine verborgene innerste Meinung oder wie alte , lange wieder verlorene und untergegangene Gedanken , und ich vertiefte mich immer mehr .
Ich las bis es finster wurde .
Die Sonne war draußen untergegangen und nur noch einzelne Scheine des Abendrotes fielen seltsam auf die Gemälde , die so still auf ihren Staffeleien umherstanden .
Ich betrachtete sie aufmerksamer , es war als fingen sie an lebendig zu werden , und mir kam in diesem Augenblick die Kunst , der unüberwindliche Hang und das Leben meines Sohnes begreiflich vor .
Ich kann überhaupt nicht beschreiben , wie mir damals zu Mute war ; es war das erstemal in meinem Leben , daß ich die wunderbare Gewalt der Poesie im Innersten fühlte , und ich erschrak ordentlich vor mir selber .
-- Es wäre mir unterdes aufgefallen , daß sich das Mädchen auf dem Bette noch immer nicht rühre , ich trat zu ihr , schüttelte sie und rief .
Sie gab keine Antwort mehr , sie war tot . --
Ich hörte nachher , daß mein Sohn heute , so wie sie gestorben war , fortgereist sei , und alles in seiner Stube so stehen gelassen habe .
Hier hielt der Mann ernsthaft inne .
Ich lese seitdem fleißig , fuhr er nach einer kleinen Pause gesammelt fort ; vieles in den Dichtern bleibt mir durchaus unverständlich , aber ich lerne täglich in mir und in den Menschen und Dingen um mich vieles einsehen und lösen , was mir sonst wohl unbegreiflich war und mich unbeschreiblich bedrückte .
Ich befinde mich jetzt viel wohler .
Friedrich'n hatte diese einfache Erzählung gerührt .
Er sah den Mann aufmerksam an und bemerkte in seinem starkgezeichneten Gesicht einen einzigen sonderbar dunklen Zug , der aussah wie Unglück und vor dem ihn schauderte .
Er wollte ihn eben noch um einiges fragen , das in der Geschichte besonders seine Aufmerksamkeit erregt hatte , aber der dythirambische Thyrsusschwinger , der unterdes bei den Damen seinen Witz unermüdet hatte leuchten lassen , lenkte ihn davon ab , indem er sich plötzlich mit sehr heftigen Bitten zu dem guten Schmachtenden wandte , ihnen noch einige seiner vortrefflichen Sonette vorzulesen , obschon er , wie Friedrich gar wohl gehört , die ganze Zeit über gerade diese Gedichte vor den Damen zum Stichpunkt seines Witzes und Spottes gemacht hatte .
Friedrich'n empörte diese herzlose , doppelzüngige Teufelei ; er kehrte sich schnell zu dem Schmachtenden , der neben ihm stand , und sagte : Ihre Gedichte gefallen mir ganz und gar nicht .
Der Schmachtende machte große Augen , und niemand von der Gesellschaft verstand Friedrichs großmütige Meinung .
Der Die thirambist aber fühlte die Schwere der Beschämung wohl , er wagte nicht weiter mit seinen Bitten in den Schmachtenden zu dringen und fürchtete Friedrich'n seitdem wie ein richtendes Gewissen .
Friedrich wandte sich darauf wieder zu dem Landmanne und sagte zu ihm laut genug , daß es der Thyrsusschwinger hören konnte : Fahren Sie nur fort , sich ruhig an den Werken der Dichter zu ergötzen , mit schlichtem Sinne und redlichen Willen wird Ihnen nach und nach alles in denselben klar werden .
Es ist in unseren Tagen das größte Hindernis für das wahrhafte Verständnis aller Dichterwerke , daß jeder , statt sich recht und auf sein ganzes Leben davon durchdringen zu lassen , sogleich ein unruhiges , krankenartiges Jucken verspürt , selber zu dichten und etwas Dergleichen zu liefern .
Adler werden sogleich hochgeboren und schwingen sich schon vom Neste in die Luft , der Strauß aber wird oft als König der Vögel gespriesen , weil er mit großem Getöse seinen Anlauf nimmt , aber er kann nicht fliegen .
Es ist nichts künstlicher und lustiger , als die Unterhaltung einer solchen Gesellschaft .
Was das Ganze noch so leidlich zusammenhält , sind tausend feine , fast unsichtbare Fäden von Eitelkeit , Lob und Gegenlob u. s. w. , und sie nennen es denn gar zu gern ein goldenes Liebesnetz .
Arbeitet dann unverhofft einmal einer , der davon nichts weiß , tüchtig darin herum , geht die ganze Spinnwebe von ewiger Freundschaft und heiligem Bunde auseinander .
So hatte auch heute Friedrich den ganzen Tee versalzen .
Keiner konnte das künstlerische Weberschiffchen , das sonst , fein im Takte , so zarte ästhetische Abende wob , wieder in Gang bringen .
Die meisten wurden mißlaunisch , keiner konnte oder mochte , wie beim babylonischen Baue , des anderen Wortgepränge verstehen , und so beleidigte einer den anderen in der gänzlichen Verwirrung .
Mehrere Herren nahmen endlich unwillig Abschied , die Gesellschaft wurde kleiner und vereinzelter .
Die Damen gruppierten sich hin und wieder auf den Ottomanen in malerischen und ziemlich unanständigen Stellungen .
Friedrich bemerkte bald ein heimliches Verständnis zwischen der Frau vom Haus und dem Schmachtenden .
Doch glaubte er zugleich an ihr ein feines Liebäugeln zu entdecken , das ihn selber zu gelten schien .
Er fand sie überhaupt viel schlauer , als man anfänglich ihrer lispelnden Sanftmut hätte zutrauen mögen ; sie schien ihren schmachtenden Liebhaber bei weitem zu übersehen , und , sehr aufgeklärt , selber nicht so viel von ihm zu halten , als sie vorgab und er aus ganzer Seele glaubte .
Wie ein rüstiger Jäger in frischer Morgenschönheit stand Friedrich unter diesen verwischten Lebensbildern .
Nur die einzige Gräfin Romana zog ihn an .
Schon das Gedicht , das sie rezitiert , hatte ihn auf sie aufmerksam gemacht und auf die eigentümliche , von allen den anderen verschiedene Richtung ihres Geistes .
Er glaubte schon damals eine eine tiefe Verachtung und ein scharfes Überschauen der ganzen Teegesellschaft in demselben zu bemerken , und seine jetzigen Gespräche mit ihr bestätigten seine Meinung .
Er erstaunte über die Freiheit ihres Blicks , und die Keckheit , womit sie alle Menschen aufzufassen und zu behandeln wußte .
Sie hatte sich im Augenblick in alle Ideen , die Friedrich in seinen vorigen Äußerungen berührt , mit einer unbegreiflichen Lebhaftigkeit hineinverstanden und kam ihm nun in allen seinen Gedanken entgegen .
Es war in ihrem Geiste , wie in ihrem schönen Körper , ein zauberischer Reichtum ; nichts schien zu groß in der Welt für ihr Herz , sie zeigte eine tiefe , begeisterte Einsicht ins Leben wie in alle Künste , und Friedrich unterhielt sich daher lange Zeit ausschließlich mit ihr , die übrige Gesellschaft vergessend .
Die Damen fingen unterdes schon an zu flüstern und über die neue Eroberung der Gräfin die Nasen zu rümpfen .
Das Gespräch der beiden wurde endlich durch Rosa unterbrochen , die zu der Gräfin trat und verdrießlich nach Hause zu fahren begehrte .
Friedrich , der eine große Betrübnis in ihrem Gesichte bemerkte , faßte ihre Hand .
Sie wandte sich aber schnell weg und eilte in ein abgelegenes Fenster .
Er ging ihr nach .
Sie sah mit abgewendetem Gesicht in den stillen Garten hinaus , er hörte , daß sie schluchzte .
Eifersucht vielleicht und daß schmerzlichste Gefühl ihres Unvermögens , in allen diesen Dingen mit 15 der Gräfin zu wetteifern , arbeitete in ihrer Seele .
Friedrich drückte das schöne trostlose Mädchen an sich .
Da fiel sie ihm schnell und heftig um den Hals und sagte aus Grund der Seele : mein lieber Mann !
Es war das erstemal in seinem Leben , daß sie ihn so genannt hatte .
Es kamen so eben mehrere andere hinzu und alles fing an Abschied zu nehmen und auseinander zu gehe 'n ; er konnte nichts mehr mit ihr sprechen .
Noch im Weggehen trat der Minister zu ihm und fragte ihn , wie es ihm hier gefallen habe ?
Er antwortete mit einer zweideutigen Höflichkeit .
Der Minister sah ihn ernsthaft und ausforschend an und ging fort .
Friedrich aber eilte durch die nächtliche Stadt seiner Wohnung zu .
Ein rauher Wind ging durch die Straßen .
Er hatte sich noch nie so unbehaglich , leer und müde gefühlt .
Dreizehntes Kapitel .
Es war ein schöner Herbstmorgen , da ritt Friedrich eine von den langen Strassen-Alleen hinunter , die von der Residenz ins Land hinausführten .
Er hatte es schon längst der schönen Gräfin Romana versprechen müssen , sie auf ihrem Landgute , das einige Meilen von der Stadt entfernt lag , zu besuchen , und der blaue Himmel hatte ihn heute hinausgelockt .
Sie war seit seiner Trennung von Leontinen die einzige , zu der er von allem reden konnte , was er dachte , wußte und wollte , die Unterhaltung mit ihr war ihm fast schon zum Bedürfnis geworden .
Der Weg war eben so anmutig als der Morgen .
Er kam bald an einen , von beiden Seiten eng von Bergen eingeschlossenen , Fluß , an dem die Straße hinablief .
Die Wälder , welche die schönen Berge bedeckten , waren schon überall mit gelben und roten Blättern bunt geschmückt , Vögel reisten hoch über ihn weg dem Strome nach und erfüllten die Luft mit ihren abgebrochenen Abschiedstönen , die Friedrich ' n jedesmal wunderbar an seine Kindheit erinnerten , wo er , der Natur noch nicht entwachsen , einzig von ihren Blicken und Gaben lebte .
Einige Stunden war er so zwischen den einsamen Bergschluchten hingeritten , als er am jenseitigen Ufer eine Stimme rufen hörte , die ihn immerfort zu begleiten schien , und vom Echo in den grünen Windungen unaufhörlich wiederholt wurde .
Je länger er nachhorchte , je mehr kam es ihm vor , als kenne er die Stimme .
Plötzlich hörte das Rufen wieder auf und Friedrich fing nun an zu bemerken , daß er einen unrechten Weg eingeschlagen haben müsse , denn die grünen Bergesgänge wollten kein Ende nehmen .
Er verdoppelte daher seine Eile und kam bald darauf an den Ausgang des Geber 15 * Ges an ein Dorf , das auf einmal sehr reizend im Freien vor ihm lag .
Das erste , was ihm in die Augen fiel , war ein Wirtshaus , vor welchem sich ein schöner grüner Platz bis an den Fluß ausbreitete .
Auf dem Platze sah er einen , mit ungewöhnlichem und rätselhaften Gerät schwerbepackten Wagen stehen und mehrere sonderbare Gestalten , die wunderlich mit der Luft zu fechten schienen .
Wie erstaunte er aber , als er näher kam , und mitten unter ihnen Leontin und Fabern erkannte .
-- Leontin , der ihn schon von weitem über den Hügel kommen sah , rief ihm sogleich entgegen :
Kommst du auch angezogen , neumodischer Don Quijote , Lamm Gottes , du sanfter Vogel , der immer voll schöner Weisen ist , haben sie dir noch nicht die Flügel gebrochen ?
Mir war schon lange zum sterben bange nach dir !
Friedrich sprang schnell vom Pferde und fiel ihm um den Hals .
Er hielt Leontins Hand mit seinen beiden Händen und sah ihm mit grenzenloser Freude in das lebhafte Gesicht ; es war , als entzünde sich sein innerstes Leben jedesmal neu an seinen schwarzen Augen .
Er bemerkte indes , daß die Menschen ringsum , die ihm schon von weitem aufgefallen waren , auf das abenteuerlichste in lange spanische Mäntel gehüllt waren und sich immerfort , ohne sich von ihm stören zu lassen , wie Verrückte mit einander unterhielten .
Ha , verzweifelte Sonne ! rief einer von ihnen , der eine Art von Turban auf dem Kopfe und ein gewisses tyrannisches Ansehen hatte , willst du mich ewig bescheinen ?
Die Fliegen spielen in deinem Licht , die Käfer im -- ruhen selig in deinem Schoße , Natur !
Und ich -- und ich -- , warum bin ich nicht ein Käfer geworden , unerforschlich waltendes Schicksal ? --
Was ist der Mensch ?
-- Ein Schaum .
Was ist das Leben ? --
Ein nichtswürdiger Wurm .
-- Umgekehrt , gerade umgekehrt , wollen Sie wohl sagen , rief eine andere Stimme .
-- Was ist die Welt ? fuhr jener fort , ohne sich stören zu lassen , was ist die Welt ? --
Hier hielt er inne und lachte grinsend und Weltverachtend wie Abellino unter seinem Mantel hervor , wendete sich darauf schnell um und faßte unvermutet Herrn Faber , der eben neben ihm stand , bei der Brust .
Ich verbitte mir das , sagte Faber ärgerlich , wie oft soll ich noch erklären , daß ich durchaus nicht mit in den Plan gehöre ! --
Laß dich_es nicht wundern , sagte endlich Leontin zu Friedrich , der aus dem allen nicht gescheit werden konnte , das ist eine Bande Schauspieler , mit denen ich auf der Straße zusammengetroffen , und seit gestern reise .
Wir probieren so eben eine Komödie aus dem Stegreif , zu der ich die Lineamente unterwegs entworfen habe .
Sie heißt : " Bürgerlicher Seelenadel und Menschheitsgröße , oder der tugendhafte Bösewicht , ein psychologisches Trauerspiel in fünf Verwirrungen der menschlichen Leidenschaften , " und wird heute Abend in dem nächsten Städtchen gegeben werden , wo der gebildete Magistrat zum Anfang durchaus ein schillerndes Stück verlangt hat .
Ich werde der Vorstellung mit beiwohnen und habe alle Folgen über mich genommen .
Ja , wahrhaftig , sagte Faber , wenn das noch lange so fortgeht , so sage ich aller gebildeten Welt Lebewohl und fange an auf dem Seile zu tanzen oder die Zigeunersprache zu studieren .
Ich bin des Herumziehens in der Tat von Herzen satt . --
Verstellen Sie sich nur nicht immer so , fiel ihm Leontin ins Wort , Sie können doch am Ende nicht weg von mir .
Wir zanken uns immer , und treffen doch immer wieder auf einerlei Wegen zusammen .
Übrigens sind diese Schauspieler ein gar vortrefflicher Künstlerverein ; sie wollen nicht gepriesen , sondern gespeist sein , und gehe 'n daher in der Verzweiflung der Natur noch keck und beherzt auf den Leib .
Es war unterdes an einen jungen Menschen von der Truppe , der auch eine Rolle in dem Stücke übernommen hatte , die Reihe gekommen , ebenfalls seinen Teil vorzustellen .
Er benahm sich aber sehr ungeschickt und war durchaus nicht im Stande , etwas zu erfinden und vorzubringen .
Ein schönes Mädchen , mit welcher er eben die Szene spielen sollte , wurde ungeduldig , erklärte , sie wolle hier nicht länger einen Narren abgeben , und sprang lachend fort .
Der andere , ältere Schauspieler lief ihr nach , um sie zurückzuholen , und so war die ganze Probe gestört .
Der junge Mann war indes näher getreten .
Friedrich sah ihm genauer ins Gesicht , er traute seinen Augen kaum , es war einer von den Studenten , die ihm bei seinem Abzuge von der Universität das Geleit gegeben hatten .
-- Mein Gott ! wie kommst du unter diese Leute ? rief Friedrich voll Erstaunen , denn er hatte ihn damals als einen stillen und fleißigen Menschen gekannt , der vor den Ausgelassenheiten der anderen jederzeit einen heimlichen Widerwillen hegte .
Der Student gestand , daß er den Grafen sogleich wieder erkannte , aber gehofft habe , von ihm übersehen zu werden .
Er schien sehr verlegen .
Friedrich , der sich an seinem Gesichte aller alten Freuden und Leiden erinnerte , zog ihn erfreut und vertraulich an den Tisch und der Student erzählte ihnen endlich den ganzen Hergang seiner Geschichte .
Nicht lange nach Friedrichs Abreise hatte sich nämlich auf der Universität eine reisende Gesellschaft von Seiltänzern eingefunden , worunter besonders eine Springerin durch ihre Schönheit alle Augen auf sich zog .
Viele Studenten versuchten und fanden ihr Glück .
Er aber mit seiner stillen und tieferen Gemütsart verliebte sich im Ernste in das Mädchen , und wie ihr Herz bisher in ihrer tollen Lebensweise von der Gewalt der Liebe ungerührt geblieben war , wurde sie von seiner zarten , ungewohnten Art , sie zu behandeln und zu gewinnen , überrascht und gefangen .
Sie beredeten sich , einander zu heiraten , sie verließ die Bande und er arbeitete von nun an Tag und Nacht , um seine Studien zu vollenden und sich ein Einkommen zu erwerben .
Es verging indes längere Zeit , als er geglaubt hatte , das Mädchen fing an , von Zeit zu Zeit launisch zu werden , bekam häufige Anfälle von Langeweile und -- ehe er sich_es versah , war sie verschwunden .
Mein mühsam erspartes Geld , fuhr der Student weiter fort , hatte ich indes immer wieder auf verschiedene Einfälle und Launen des Mädchens zersplittert , meine Eltern wollten nichts von mir wissen , mein innerstes Leben hatte mich auf einmal betrogen , die Studenten lachten entsetzlich , es war der schmerzlichste und unglücklichste Augenblick meines Lebens .
Ich ließ alles und reiste dem Mädchen nach .
Nach langem Irren fand ich sie endlich bei diesen Komödianten wieder , denn es ist dieselbe , die vorhin hier weggegangen .
Sie kam sehr freudig auf mich zugesprungen , als sie mich erblickte , doch ohne ihre Flucht zu entschuldigen oder im geringsten unnatürlich zu finden . --
Meine Mutter ist seitdem aus Gram gestorben .
Ich weiß , daß ich ein Narr bin und kann doch nicht anders .
Die Tränen standen ihm in den Augen , als er das sagte .
Friedrich , der wohl einsah , daß der gute Mensch sein Herz und sein Leben nur wegwerfe , riet ihm mit Wärme , sich ernstlich zusammenzunehmen und das Mädchen zu verlassen , er wolle für sein Auskommen sorgen .
-- Der Verliebte schwieg still . --
Laß doch die Jugend fahren ! sagte Leontin , jeder Schiffmann hat seine Sterne und das Alter treibt uns zeitig genug auf den Sand .
Du brichst dem tollen Nachtwandler doch den Hals , wenn du ihn bei seinem prosaischen , bürgerlichen Namen rufst .
Aber härter müssen Sie sein , sagte er zu dem Studenten , denn die Welt ist hart und drückt Sie sonst zu Schanden .
Das Mädchen kam unterdes wieder und trällerte ein Liedchen .
Ihre Gestalt war herrlich , aber ihr schönes Gesicht hatte etwas Verwildertes .
Sie antwortete auf alle Fragen sehr unterwürfig und keck zugleich , und schien nicht üble Lust zu haben , noch länger bei den beiden Grafen zurückzubleiben , als der Theaterprinzipal kam und ankündigte , daß alles zur Abreise fertig sei .
Der Student drückte Friedrich'n herzlich die Hand und eilte zu dem aufbrechenden Haufen .
Der mit allerhand Dekorationen schwerbepackte Wagen , von dessen schwankender Höhe der Prinzipal noch immerfort aus der Ferne seine untertänigste Bitte an Leontin wiederholte , heute Abend mit seiner höchstnötigen Protektion nicht auszubleiben , wackelte indes langsam fort , nebenher ging die ganze übrige Gesellschaft bunt zerstreut und lustig einher , der Student war zu Pferde , neben ihm ritt sein Mädchen auch auf einem Klepper und warf Leontinen noch einige Blicke zu , die ziemlich vertraulich aussahen , und so zog die bunte Karawane wie ein Schattenspiel in die grüne Schluft hinein .
Wie glücklich , sagte Leontin , als alles verschwunden war , könnte der Student sein , so frank und frei mit seiner Liebsten durch die Welt zu ziehen ! wenn er nur Talent fürs Glück hätte , aber er hat eine einförmige Niedergeschlagenheit in sich , die er nicht niederschlagen kann , und die ihn durchs Leben nur so hinschleppt .
Sie setzten sich nun auf dem schönen grünen Platz um einen Tisch zusammen , der Fluß flog lustig an ihnen vorüber , die Herbstsonne wärmte sehr angenehm .
Leontin erzählte , wie er den Morgen nach seiner Flucht vom Schlosse des Herrn v. A. bei Anbruch des Tages auf den Gipfel eines hohen Berges gekommen sei , von dem er von der einen Seite die fernen Türme der Residenz , von der anderen die friedlichreiche Gegend des Herrn v. A. übersah , über welcher so eben die Sonne aufging .
Lange habe er vor dieser grenzenlosen Aussicht nicht gewußt , wohin er sich wenden solle , als er auf einmal unten im Tale Fabern die Straße heraufwandern sah , den , wie er wohl wußte , wieder einmal die Albernheiten der Stadt auf einige Zeit in alle Welt getrieben hatten .
Wie die Stimme in der Wüste habe er ihn daher , da er gerade eben in einem ziemlich ähnlichen Humor gewesen , mit einer langen Anrede über die Vergänglichkeit aller irdischen Dinge empfangen , ohne von ihm gesehen werden zu können , und so zu sich hinaufgelockt .
-- Leontin versank dabei in Gedanken .
Wahrhaftig , sagte er , wenn ich mich in jenen Sonnenaufgang auf dem Berge recht hineindenke , ist mir zu Mute , als könnte es mir manchmal auch so Gehen , wie dem Studenten .
-- Faber war unterdes fortgegangen , um etwas zu essen und zu trinken zu bestellen , und Friedrich bemerkte dabei mit Verwunderung , daß die Leute , wenn er mit ihnen sprach oder etwas forderte , ihm ins Gesicht lachten oder einander heimlich zuwinkten und die neugierigen Kinder furchtsam zurückzogen , wenn er sich ihnen näherte .
Leontin gestand , daß er manchmal , wenn sie in einem Dorfe einkehrten , vorauszueilen pflege und die Wirtsleute überrede , daß der gute Mann , den er bei sich habe , nicht recht bei Verstande sei , sie sollten nur recht auf seine Worte und Bewegungen Acht haben , wenn er nachkäme .
Dies gebe dann zu vielerlei Lust und Mißverständnisse Anlaß , denn wenn sich Faber einige Zeit mit den Gesichtern abgebe , die ihn alle so heimlich , furchtsam und bedauernd ansähen , hielten sie sich am Ende wechselseitig alle für verrückt .
-- Leontin brach schnell ab , denn Faber kam eben zu ihnen zurück und schimpfte über die Dummheit des Landvolks .
Friedrich mußte nun von seinem Abschiede auf dem Schlosse des Herrn v. A. und seinen Abenteuern in der Residenz erzählen .
Er kam bald auch auf die ästhetische Teegesellschaft und versicherte , er habe sich dabei recht ohne alle Männlichkeit gefühlt , etwa wie bei einem Spaziergange durch die Lüneburger Ebene mit Aussicht auf Heidekraut .
Leontin lachte helllaut , Du nimmst solche Sachen viel zu ernsthaft und wichtiger als sie sind , sagte er .
Alle Figuren dieses Schauspiels sind übrigens auch von meiner Bekanntschaft , ich möchte aber nur wissen , was sie seit der Zeit , daß ich sie nicht gesehen , angefangen haben , denn wie ich so eben höre , hat sich seitdem , auch nicht das mindeste in ihnen verändert .
Diese Leute schreiten fleißig von einem Meßkatalog zum anderen mit der Zeit fort , aber man spürt nicht , daß die Zeit auch nur um einen Zoll durch sie weiter fortrückte .
Ich kann dir jedoch im Gegenteil versichern , daß ich nicht bald so lustig war , als an jenem Abend , da ich zum erstenmal in diese Theetaufe oder Traufe geriet .
Aller Augen waren prüfend und in erwartungsvoller Stille auf mich neuen Jünger gerichtet .
Da ich die ganze heilige Synode gleich den Freimaurern mit Schurz und Kelle , so feierlich mit poetischem Ornate angetan dasitzen sah , konnte ich mich nicht enthalten , despektierlich von der Poesie zu sprechen und mit unermüdlichem Eifer ein Gespräch von der Landwirtschaft , von den Runkelrüben u. s. w. anzuspinnen , so daß die Damen wie über den Dampf von Kuhmist die Nasen rümpften und mich bald für verloren hielten .
Mit dem Schmachtenden unterhielt ich mich besonders viel .
Er ist ein guter Kerl , aber er hat keine Mannsmuskel im Leibe .
Ich weiß nicht , was er gerade damals für eine fixe Idee von der Dichtkunst im Kopfe hatte , aber er las ein Gedicht vor , wovon ich trotz der größten Anstrengung nichts verstand und wobei mir unaufhörlich des simplicianisch-teutschen Michels verstümmeltes Sprach-Gepränge im Sinne lag .
Denn es waren deutsche Worte , spanische Konstruktionen , welsche Bilder , altdeutsche Redensarten , doch alles mit überaus feinem Firnis von Sanftmut verschmiert .
Ich gab ihm ernsthaft den Rat , alle Morgen gepfefferten Schnaps zu nehmen , denn der ewige Necktar erschlaffe nur den Magen , worüber er sich entrüstet von mir wandte .
-- Mit dem vom Hochmutsteufel besessenen Dythirambisten aber bestand ich den schönsten Strauß .
Er hatte mit pfiffiger Miene alle Segel seines Witzes aufgespannt und kam mit vollem Winde der Eitelkeit auf mich losgefahren , um mich Unpoetischen vor den Augen der Damen in den Grund zu bugsieren .
Um mich zu retten , fing ich zum Beweise meiner poetischen Belesenheit an , aus Shackspears :
" Was ihr wollt , " wo Junker Tobias den Malfolio peinigt , zu rezitieren :
" Und besäße ihn eine Legion selbst , so will ich ihn doch anreden . "
Er stutzte und fragte mich mit herablassender Genügsamkeit und kniffigem Gesichte , ob vielleicht gar Shakspear mein Lieblingsautor sei ? --
Ich ließ mich aber nicht stören , sondern fuhr mit Junker Tobias fort : " Ei , Freund , leistet dem Teufel Widerstand , er ist der Erbfeind der Menschenkinder . "
Er fing nun an sehr salbungsvolle , genialische Worte über Shakespeare ergehen zu lassen , ich aber , da ich ihn sich so aufblasen sah , sagte weiter :
" Sanftmütig , sanftmütig !
Ei , was machst du , mein Täubchen ?
Wie geht_es , mein Putthühnchen ?
Ei , sieh doch , komme , tucktuck ! --
Er schien nun mit Malfolio zu bemerken , daß er nicht in meine Sphäre gehöre , und kehrte sich mit einem unsäglichstolzen Blick , wie von einem unerhört Tollen , von mir .
O Jemine ! fiel die Gräfin Romana hier mit ein .
Sie sagte dies so richtig und schön , daß ich sie dafür hätte küssen mögen Das Schlimmste war aber nun , daß ich dadurch demaskiert war , ich konnte nicht länger für einen Ignoranten gelten ; und die Frauenzimmer merkten dies nicht so bald , als sie mit allerhand Phrasen , die sie hin und wieder ernascht , über mich herfielen .
In der Angst fing ich daher nun an , wütend mit gelehrten Redensarten und poetischen Paradoxen nach allen Seiten um mich herumzuwerfen , bis sie mich , ich sie , und ich mich selber nicht mehr verstand und alles verwirrt wurde .
Seit dieser Zeit haßt mich der ganze Zirkel und hat mich als eine Pest der Poesie förmlich exkommuniziert .
Friedrich , der Leontin ruhig und mit Vergnügen angehört hatte , sagte :
So habe ich dich am liebsten , so bist du in deinem eigentlichen Leben .
Du siehst so frisch in die Welt hinein , daß alles unter deinen Augen bunt und lebendig wird .
Ja wohl , antwortete Leontin , so buntscheckig , daß ich manchmal selber zum Narren darüber werden könnte .
Die Sonne fing indes schon an , sich zu senken , und sowohl Friedrich als Leontin gedachten ihrer Weiterreise und versprachen einander nächstens in der Residenz wieder zu treffen .
Herr Faber bat Friedrich'n , ihn der Gräfin Romana bestens zu empfehlen .
Die Gräfin , sagte er , hat schöne Talente und sich durch mehrere Arbeiten , die ich kenne , als Dichterin erwiesen .
Nur macht sie sich freilich alles etwas gar zu leicht .
Leontin , den immer sogleich ein seltsamer Humor befiel , wenn er die Gräfin nennen hörte , sang lustig :
Lustig auf den Kopf , mein Liebchen , Stelle ' dich , in die Luft die Bein !
Heiße ! ich will sein dein Bübchen , Heute Nacht soll Hochzeit sein !
Wenn du Shakespeare kannst vertragen , O du liebe Unschuld du !
Wirst du mich wohl auch ertragen Und noch Jedermann dazu . --
Er sprach noch allerhand wild und unzüchtig von der Gräfin und trug Friedrich'n noch einen zügellosen Gruß an Sie auf , als sie endlich von entgegengesetzten Seiten aufeinanderritten .
Friedrich wußte nicht , was er aus diesen wilden Reden machen sollte .
Sie ärgerten ihn , denn er hielt die Gräfin hoch , und er konnte sich dabei der Besorgnis nicht enthalten , daß Leontins lebhafter Geist in solcher Art von Renommisterey am Ende sich selber aufreiben werde .
In solchen Gedanken war er einige Zeit fortgeritten , als er bei einer Beugung um eine Feldecke plötzlich das Schloß der Gräfin vor sich sah .
Es stand wie eine Zauberei hoch über einem weiten , unbeschreiblichen Chaos von Gärten , Weinbergen , Bäumen und Flüssen , der Schloßberg selber war Ein großer Garten , wo unzählige Wasserkünste aus dem Grün hervorsprangen .
Die Sonne ging eben hinter dem Berge unter und bedeckte das prächtige Bild mit Glanz und Schimmer , so daß man nichts deutlich unterscheiden konnte .
Überrascht und geblendet gab Friedrich seinem Pferde die Sporen und ritt die Höhe hinan .
Er erstaunte über die seltsame Bauart des Schlosses , das durch eine fast barocke Pracht auffiel .
Es war niemand zu sehen .
Er trat in die weite , mit buntem Marmor getäfelte Vorhalle , durch deren Säulenreihen man von der anderen Seite in den Garten hinaussah .
Dort standen die seltsamsten ausländischen Bäume und Pflanzen , wie halbausgesprochene , verzauberte Gedanken , schimmernde Wasserstrahlen durchkreuzten sich in kristallenen Bogen hoch über ihnen , ausländische Vögel saßen sinnend und traumhaft zwischen den dunkelgrünen Schatten umher .
Ein wunderschöner Knabe sprang indes so eben draußen im Hofe vom Pferde , stutzte , als er im Vorbeilaufen Friedrich'n erblickte , sah ihn einen Augenblick mit den großen , schönen Augen trotzig an , eilte sogleich wieder durch die Vorhalle weiter in den Garten hinaus .
Friedrich sah , wie er dort mit bewunderungswürdiger Fertigkeit eine hohe , am Abhange Abhange des Gartens stehende Tanne bestieg , und aus dem höchsten Gipfel sich in die Gegend hinauslegte , als suche er fern etwas mit den Augen .
Da immer noch niemand kam , stellte sich Friedrich an ein hohes Bogenfenster , aus dem man die prächtigste Aussicht auf das Tal und die Gebirge hatte .
Noch niemals hatte er eine so üppige Natur gesehen .
Mehrere Ströme blickten wie Silber hin und her aus dem Grunde , freundliche Landstrassen , von hohen Nußbäumen reich beschattet , zogen sich bis in die weiteste Ferne nach allen Richtungen hin , der Abend lag warm und schallend über der Gegend , weit über die Gärten und Hügel hin hörte man ringsum das Jauchzen der Winzer .
Friedrich'n wurde bei dieser Aussicht unsäglich bange in dem einsamen Schlosse , es war ihm , als wäre alles zu einem großen Feste hinausgezogen , und er konnte kaum mehr widerstehen , selber wieder hinunter zu reiten , als er auf einmal die Gräfin erblickte , die in einem langen grünen Jagdkleide in dem erquickenden Hauche des Abends auf der glänzenden Landstraße aus dem Tale heraufgeritten kam .
Sie war allein , er erkannte sie sogleich an ihrer hohen , schönen Gestalt .
Als sie vor dem Schlosse vom Pferde stieg , kam der schöne Knabe , der vorhin auf der Tanne gelauert hatte , schnell herbeigesprungen , fiel ihr stürmisch um den Hals und küßte sie .
Kleiner Ungestüm ! sagte sie halb böse und wischte sich den 16 Mund .
Sie schien einen Augenblick verlegen , als sie so unvermutet Friedrich'n erblickte , und bemerkte , daß er diesen sonderbaren Empfang gesehen hatte .
Sie schüttelte aber die flüchtige Scham bald wieder von sich und bewillkommte Friedrich'n mit einer Heftigkeit , die ihm auffiel .
Ich bedauere nur , sagte sie , daß ich Sie nicht so bewirten kann , wie ich wünschte , alle meine Leute schwärmen schon den ganzen Tag bei der Weinlese , ich selbst bin seit frühem Morgen in der Gegend herumgeritten .
Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn in das Innere des Schlosses .
Friedrich verwunderte sich , denn fast in allen Zimmern standen Türen und Fenster offen .
Die hochgewölbten Zimmer selbst waren ein seltsames Gemisch von alter und neuer Zeit , einige standen leer und wüsste , wie ausgeplündert , in anderen sah er alte Gemälde an der Wand herumhängen , die wie aus schändlichem Mutwillen mit Säbelhieben zerhauen schienen .
Sie kamen in der Gräfin Schlafgemach .
Das große Himmelbett war noch unzugerichtet , wie sie es frühmorgens verlassen , Strümpfe , Halstücher und allerlei Gerät lag bunt auf allen Stühlen umher .
In dem einen Winkel hing ein Porträt , und er glaubte , soviel es die Dämmerung zuließ , zu seinem Erstaunen die Züge des Erbprinzen zu erkennen , dessen Schönheit in der Residenz einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte .
Die Gräfin nahm den schönen Knaben , der ihnen immerfort gefolgt war , bei Seite und trug ihm heimlich etwas auf .
Der Knabe schien durchaus nicht gehorchen zu wollen , er wurde immer lauter und ungebärdiger , stampfte endlich zornig mit dem Fuße , rannte hinaus und warf die Türe hinter sich zu , daß es durch das weite Haus erschallte .
Er ist doch in einer Stunde wieder da , sagte Romana ihm nachsehend , nahm die Gitarre , die in einer Ecke auf der Erde lag , während sie Friedrich'n ein Körbchen mit Obst und Wein übergab , und führte ihn wieder weiter eine Stiege aufwärts .
Wie einem Nachtwandler , der plötzlich auf ungewohntem Ort aus schweren , unglaublichen Träumen erwacht , war Friedrich'n zu Mute , als er mit ihr die letzten Stufen erreichte , und sich auf einmal unter der weiten , freien , gestirnten Wölbung des Himmels erblickte .
Es war nämlich eine große Terrasse , die nach italienischer Art über das Dach des Schlosses ging .
Ringsum an der Galerie standen Orangenbäume und hohe ausländische Blumen , welche den himmlischen Platz mit Düften erfüllten .
Hier auf dem Dache , sagte Romana , ist mein liebster Aufenthalt .
In den warmen Sommernächten schlafe ich oft hier oben .
Sie setzte sich zu ihm , reichte ihm die Früchte und trank ihm von dem mitgenommenen Weine selber zu .
Sie wohnen hier so schwindlig hoch , sagte Friedrich , daß Sie die ganze Welt mit Füßen treten .
-- Romana , die sogleich begriff , was er meinte , antwortete stolz und keck : 16 * die Welt , der große Tölpel , der niemals gescheiter wird , wäre freilich der Mühe wert , daß man ihm höflich und voll Ehrfurcht das Gesicht streichelte , damit er einen wohlwollend und voll Applaus anlächle .
Es ist ja doch nichts , als Magen und Kopf , und noch dazu ein recht breiter , übermütiger , selbstgefälliger , eitler , unerträglicher , den es eine rechte Götterlust ist aufs Maul zu schlagen .
-- Sie brach hierbei schnell ab und lenkte das Gespräch auf andere Gegenstände .
Friedrich mußte dabei mehr als einmal die fast unweidliche Kühnheit ihrer Gedanken bewundern , ihr Geist schien heute von allen Banden los .
Sie ergriff endlich die Gitarre und sang einige Lieder , die sie selbst gedichtet und komponiert hatte .
Die Musik war durchaus wunderbar , unbegreiflich und oft beinahe wild , aber es war eine unwiderstehliche Gewalt in ihrem Zusammenklang .
Der weite , stille Kreis von Strömen , Seen , Wäldern und Bergen , die in großen , halbkenntlichen Maßen übereinander ruhten , rauschten dabei feenhaft zwischen die hinausschießenden Töne hinein .
Die Zauberei dieses Abende ergriff auch Friedrichs Herz , und in diesem sinnenverwirrenden Rausche fand er das schöne Weib an seiner Seite zum erstenmal verführerisch .
Wahrhaftig , sagte sie endlich aus tiefster Seele , wenn ich mich einmal recht verliebte , es würde mich gewiß das Leben kosten ! --
Es reiste einmal , fuhr sie fort , ein Student hier in der Nacht beim Schlosse vorbei , als ich eben auf dem Dache eingeschlummert war , der sang :
Wenn die Sonne lieblich schiene Wie in Welschland lau und blau , Gieng' ich mit der Mandoline Durch die überglänzte Au .
In der Nacht dann Liebchen lauschte An dem Fenster süßverwacht , Wünschte mir und ihr -- uns beiden .
Heimlich eine schöne Nacht .
Wenn die Sonne lieblich schiene Wie in Welschland lau und blau , Gieng' ich mit der Mandoline Durch die überglänzte Au .
Aber die Sonne scheint nicht wie in Welschland und der Student zog weiter und es ist eben alles nichts . --
Gehen wir schlafen , gehe 'n wir schlafen , setzte sie langweiliggähnend hinzu , nahm Friedrich'n bei der Hand und führte ihn wieder die Stiege hinab .
Er bemerkte , als sie wieder in den Zimmern angekommen waren , eine ungewöhnliche Unruhe an ihr , sie hing bewegt an seinem Arme .
Sie schien ihm bei dem Mondschimmer , der durch das offene Fenster auf ihr Gesicht fiel , totenblaß , eine Art von seltsamer Furcht befiel ihn da auf einmal vor Ihr und dem ganzen Feenschlosse , er gab ihr schnell eine gute Nacht und eilte in das ihm angewiesene Zimmer , wo er sich angekleidet auf das Bett hinwarf .
Das Gemach war nur um einige Zimmer von dem Schlafgemach der Gräfin entfernt .
Die tue Ren dazwischen fehlten ganz und gar .
Eine Lampe , die der Gräfin Zimmer matt erhellte , warf durch die offenen Türen ihren Schein gerade auf einen großen , altmodischen Spiegel , der vor Friedrichs Bett an der Wand hing , so daß er in demselben fast ihr ganzes Schlafzimmer übersehen konnte .
Er sah , wie der schöne Knabe , der sich unterdes wieder eingeschlichen haben mußte , quer über einigen Stühlen vor ihrem Bette eingeschlafen lag .
Die Gräfin entkleidete sich nach und nach und stieg so über den Knaben weg ins Bett .
Alles im Schlosse wurde nun totenstill und er wendete das Gesicht auf die andere Seite dem offenen Fenster zu .
Die Bäume rauschten vor demselben , aus dem Tale kam von Zeit zu Zeit ein fröhliches Jauchzen , bald näher , bald wieder in weiter Ferne , dazwischen hörte er ausländische Vögel draußen im Garten in wunderlichen Tönen immerfort wie im Traume sprechen , das seltsame bleiche Gesicht der Gräfin , wie sie ihm zuletzt vorgekommen , stellte sich ihm dabei unaufhörlich vor die Augen , und so schlummerte er erst spät unter verworrenen Phantasien ein .
Mitten in der Nacht wachte er plötzlich auf , es war ihm , als hätte er Gesang gehört .
Der Mond schien hell draußen über der Gegend und durch das Fenster herein .
Mit Erstaunen hörte er neben sich atmen .
Er sah umher und erblickte Romana , unangekleidet wie sie war , an dem Fuße seines Bettes eingeschlafen .
Sie ruhte auf dem Boden , mit dem einen Arme und dem halben Leibe auf das Bett gelehnt .
Die langen schwarzen Haare hingen aufgelöst über den weißen Nacken und Busen herab .
Er betrachtete die wunderschöne Gestalt lange voll Verwunderung halbaufgerichtet .
Da hörte er auf einmal die Töne wieder , die er schon im Schlummer vernommen hatte .
Er horchte hinaus ; das Singen kam jenseits von den Bergen über die stille Gegend herüber , er konnte folgende Worte verstehen : Vergangen ist der lichte Tag , Von ferne kommt der Glocken Schlag So reist die Zeit die ganze Nacht , Nimmt manchen mit , der es nicht gedacht .
Wo ist nun hin die bunte Lust , Des Freundes Trost und treue Brust , Des Weibes süßer Augenschein ?
Will keiner mit mir munter sein ?
Da es nun so stille auf der Welt , Ziehen Wolken einsam übers Feld , Und Feld und Baum besprechen sich , -- O Menschenkind !
was schauert dich ?
Wie weit die falsche Welt auch sei , Bleibt mir doch Einer nur getreu , Der mit mir weint , der mit mir wacht , Wenn ich nur recht an Ihn gedacht .
Frischauf denn , liebe Nachtigall , Du Wasserfall mit hellem Schall !
Gott loben wollen wir vereint , Bis daß der lichte Morgen scheint !
Friedrich erkannte die Weise , es war Leontins Stimme .
-- Ich komme , herrlicher Gesell ! rief er bewegt in sich und raffte sich schnell auf , ohne die Gräfin zu wecken .
Nicht ohne Schauer ging er durch die totenstillen , weitöden Gemächer , zäumte sich im Hofe selber sein Pferd und sprengte den Schloßberg hinab .
Er atmete tief auf , als er draußen in die herrliche Nacht hineinritt , seine Seele war wie von tausend Ketten frei .
Es war ihm , als ob er aus fieberhaften Träumen oder aus einem langen , wüssten , luderlichen Lustleben zurückkehre .
Das hohe Bild der Gräfin , das er mit hergebracht , war in seiner Seele durch diese sonderbare Nacht phantastisch verzerrt und zerrissen , und er verstand nun Leontins wilde Reden an dem Wirtshause .
Leontins Gesang war indes verschollen , er hatte nichts mehr gehört und schlug voller Gedanken den Weg nach der Residenz ein .
Das Feenschloß hinter ihm war lange versunken , die Bäume an der Straße fingen schon an lange Schatten über das glänzende Feld zu werfen , Vögel wirbelten schon hin und her hoch in der Luft , die Residenz lag mit ihren Feuersäulen wie ein brennender Wald im Morgenglanze vor ihm .
Vierzehntes Kapitel .
draußen über das Land jagten zerrissene Wolken , die Melusina sang an seufzenden Wäldern , Gärten und Zäunen ihr unergründlich einförmiges Lied , die Dörfer lagen selig verschneit .
In der Residenz zog der Winter prächtig ein mit Schellengeklingel , frischen Mädchengesichtern , die vom Lande flüchteten , mit Bällen , Opern und Konzerten , wie eine lustige Hochzeit .
Friedrich stand gegen Abend einsam an seinem Fenster , Leontin und Faber ließen noch immer nichts von sich hören , Rosa hatte ihn letzthin ausgelacht , als er voller Freuden zu ihr lief , um ihr eine politische Neuigkeit zu erzählen , die ihn ganz ergriffen hatte , an der Gräfin Romana hatte er seit jener Nacht keine Lust weiter , er hatte beide seitdem nicht wiedergesehen ; vor den Fenstern fiel der Schnee langsam und bedächtig in großen Flocken , als wollte der graue Himmel die Welt verschütten .
Da sah er unten zwei Reiter in langen Mänteln langsam die Straße ziehen .
Der eine sah sich um , Friedrich rief : Viktoria ! es war Leontin und Faber , die so eben einzogen .
Friedrich sprang , ohne sich zu besinnen , zur Türe hinaus und die Stiege hinunter .
Als er aber auf die Straße kam , waren sie schon verschwunden .
Er schlenderte einige Gassen in dem Schneegestöber auf und ab .
Da stieß der Marquis , den wir schon aus Rosa's Briefe kennen , die hervorragenden Steine mit den Zehn zierlich suchend , auf ihn .
Er hing sich ihm sogleich , wie ein guter Bruder , in den Arm , und erzählte ihm in Einem Redestrome tausend Späße zum Totlachen , wie er meinte , die sich heute und gestern in der Stadt zugetragen , welche Damen heute vom Lande angekommen , wer verliebt sei und nicht wieder geliebt werde u. s. w. Friedrich'n war die flache Lustigkeit des Wichtes heute entsetzlich , und er ließ sich daher , da ihm dieser nur die Wahl ließ , ihn entweder zu sich nach Hause , oder in die Gesellschaft zum Minister zu begleiten , gern zu dem letzteren mit fortschleppen .
Denn besser mit einem Haufen Narren , dachte er übellaunisch , als mit einem allein .
Er fand einen zahlreichen und glänzenden Zirkel .
Die vielen Lichter , die prächtigen Kleider , der glatte Fußboden , die zierlichen Reden , die hin und wieder flogen , alles glänzte .
Er wäre fast wieder umgekehrt , so ganz ohne Schein kam er sich da auf einmal vor .
Vor allen erblickte er seine Rosa .
Sie hatte ein Rosa-samtenes Kleid , ihre schwarzen Locken ringelten sich in den weißen Busen hinab .
Der Erbprinz unterhielt sich lebhaft mit ihr .
Sie sah inzwischen mehrmals mit einer Art von triumphierenden Blicken seitwärts auf Friedrich ; sie wußte wohl , wie schön sie war .
Friedrich unterhielt sich Gedankenvoll zerstreut rechts und links .
Jene Frau vom Haus , bei der er die Teegesellschaft verlebt , war auch da und schien wieder an ihren ästhetischen Krämpfen zu leiden .
Sie unterhielt sich sehr lebendig mit mehreren hübschen jungen Männern über die Kunst , und Friedrich verstand nur , wie sie zuletzt ausrief :
O , ich möchte Millionen glücklich machen ! --
Da hörte man plötzlich ein lautes Lachen aus einem anderen abgelegenen Winkel des Zimmers erschallen .
Friedrich erkannte mit Erstaunen sogleich Leontins Stimme .
Die Männer bissen sich heimlich in die Lippen über dieses Lachen zu rechter Zeit , obschon keiner vermutete , daß es wirklich jenem Ausruf gelten sollte , da der Lacher fern in eine ganz andere Unterhaltung vertieft schien .
Friedrich aber wußte gar wohl , wie es Leontin meinte .
Er eilte sogleich auf ihn los und fand ihn zwischen zwei alten Herren mit Perücken und altfränkischen Gesichtern , mit denen sich niemand abgeben mochte , mit denen er sich aber kindlich besprach und gut zu vertragen schien .
Er erzählte ihnen von seiner Gebirgsreise die wunderbarsten Geschichten vor , und lachte herzlich mit den beiden guten Alten , wenn sie ihn dabei über offenbaren , gar zu tollen Lügen ertappten .
Er freute sich sehr , Friedrich'n noch heute zu sehen , und sagte , wie es ihm eine gar wunderlichschauerliche Lust sei , so aus der Grabesstille der verschneiten Felder mitten in die glänzendsten Stadtzirkel hineinzureiten und umgekehrt .
Sie sprachen noch manches zusammen , als der Prinz hinzutrat und Friedrich'n in ein Fenster führe te .
Der Minister , sagte er zu ihm als sie allein waren , hat Sie mir sehr warm , ja ich kann wohl sagen , mit Leidenschaft empfohlen .
Es ist etwas außerordentliches , denn er empfiehlt sonst keinen Menschen auf diese Art .
Friedrich äußerte darüber seine große Verwunderung , da er von dem Minister gerade das Gegenteil erwartete .
Der Minister , fuhr der Prinz fort , läßt sein Urteil nicht fangen und ich vertraue Ihnen daher .
Unsere Zeit ist so gewaltig , daß die Tugend nichts gilt ohne Stärke .
Die wenigen Mutigen aus aller Welt sollten sich daher treu zusammenhalten , als ein rechter Damm gegen das Böse .
Es wäre nicht schön , lieber Graf , wenn Sie sich von der gemeinen Not absonderten .
Gott behüte mich vor solcher Schande ! erwiderte Friedrich halb betroffen , mein Leben gehört Gott und meinem rechtmäßigen Herrn .
Es ist groß , sich selber , von aller Welt losgesagt , fromm und fleißig auszubilden , sagte darauf der Prinz begeistert , aber es ist größer , alle Freuden , alle eigenen Wünsche und Bestrebungen wegzuwerfen für das Recht , alles -- hier strich so eben die Gräfin Romana an ihnen vorüber .
Der Prinz ergriff ihre Hand und sagte :
So lange von uns wegzubleiben ! --
Sie zog langsam ihre Hand aus der seinigen und sah nur Friedrich'n groß an , als sähe sie ihn wieder zum erstenmal .
Der Prinz lachte unerklärlich , drückte Friedrich'n flüchtig die Hand und wandte sich wieder in den Saal zurück .
Friedrich folgte der Gräfin mit ihren herausfordernden Augen .
Sie war schwarz angezogen und fast furchtbarschön anzusehen .
Von der Nacht auf dem Schlosse erwähnte sie kein Wort .
Leontin kam auf sie zu und erzählte ihr , wie er erst gestern bei ihrem Schlosse vorbeigezogen .
Es war schon Nacht , sagte er , ich war so frei , mit Fabern und einer Flasche echten Rheinweins , die wir bei uns hatten , das oberste Dach des Schlosses zu besteigen .
Der Garten , die Gegend und die Galerie oben war tief verschneit , eine Türe im Hause mußte offen stehen , denn der Wind warf sie immerfort einförmig auf und zu , über der starrten Verwüstung hielt die Windsbraut einen lustigen Hexentanz , daß uns der Schnee ins Gesicht wirbelte , es war eine wahre Brockennacht .
Ich trank dabei dem Dauernden im Wechsel ein Glas nach dem anderen zu und rezitierte mehrere Stellen aus Göthe's Faust , die mir mit den Schneewirbeln alle auf einmal eiskalt auf Kopf und Herz zuflogen .
Verfluchte Verse ! rief Faber , schweige , oder ich werfe dich wahrhaftig über die Galerie hinunter !
Ich habe ihn niemals so entrüstet gesehen .
Ich warf die Flasche ins Tal hinaus , denn mich fror , daß mir die Zähne klapperten .
-- Romana antwortete nichts , sondern setzte sich an den Flügel und sang ein wildes Lied , das nur aus dem tiefsten Jammer einer zerrissenen Seele kommen konnte .
Ist das nicht schön ? fragte sie einigemal dazwischen , sich mit Tränen in den Augen zu Friedrich'n herumwehn dehnt , und lachte abscheulich dabei . --
Ah Pah ! rief Leontin zornig , das ist nichts , es muß noch besser kommen !
Er setzte sich hin und sang ein altes Lied aus dem dreißigjährigen Kriege , dessen fürchterliche Klänge wie blutige Schwerter durch Mark und Bein gingen .
Friedrich bemerkte , daß Romana zitterte .
Leontin war indes wieder aufgestanden und hatte sich aus der Gesellschaft fortgeschlichen , wie immer wenn er gerührt war .
Wir aber wenden uns ebenfalls von diesen Blasen der Phantasie , die , wie die Blasen auf dem Rheine , nahes Gewitter bedeuten , zu der Einsamkeit Friedrichs , wie er nun oft Nächtelang voller Gedanken unter Büchern saß und arbeitete .
Wohl ist der Weltmarkt großer Städte eine rechte Schule des Ernstes für bessere , beschauliche Gemüter , als der getreueste Spiegel ihrer Zeit .
Da haben sie den alten gewaltigen Strom in ihre Maschinen und Räder aufgefangen , daß er nur immer schneller und schneller fließe , bis er gar abfließt , da spreitet denn das arme Fabrikenleben in dem ausgetrockneten Bett seine hochmütigen Teppiche aus , deren inwendige Kehrseite ekle , kahle , farblose Fäden sind , verschämt hängen dazwischen wenige Bilder in uralter Schönheit verstaubt , die niemand betrachtet , das Gemeinste und das Größte , heftig aneinander geworfen , wird hier zu Wort und Schlag , die Schwäche wird dreist durch den Haufen , das Hohe ficht allein .
Friedrich sah zum erstenmal so recht in den großen Spiegel , da schnitt ihm ein unbe schreiblicher Jammer durch die Brust , und die Schönheit und Hoheit und das heilige Recht , daß sie so allein waren , und wie er sich selber in dem Spiegel so winzig und verloren in dem Ganzen erblickte , schien es ihm herrlich , sich selber vergessend , dem Ganzen treulich zu helfen mit Geist , Mund und Arm .
Er erstaunte , wie er noch so gar nichts getan , wie es ihn noch niemals lebendig erbarmet um die Welt .
So schien das große Schauspiel des Lebens , manche besondere äußere Anregung , vor allem aber der furchtbare Gang der Zeit , der wohl keines der besseren Gemüter unberührt ließ , auf einmal alle die hellen Quellen in seinem Inneren , die sonst zum Zeitvertreibe wir lustige Springbrunnen spielten , in Einen großen Strom vereinigt zu haben .
Ihn ekelten die falschen Dichter an mit ihren Taubenherzen , die , uneingedenk der himmelschreienden Mahnung der Zeit , ihre Nationalkraft in Müßigem Spiele verliederten .
Die unbestimmte Knaben-Sehnsucht , jener wunderbare Spielmann vom Venusberge , verwandelte sich in eine heilige Liebe und Begeisterung für den bestimmten und festen Zweck .
Gar vieles , was ihn sonst beängstigte , wurde zu Schanden , er wurde reifer , klar , selbständig und ruhig über das Urteil der Welt .
Es genügte ihm nicht mehr , sich an sich allein zu ergötzen , er wollte lebendig eindringen .
Desto tiefer und schmerzlicher mußte er sich überzeugen , wie schwer es sei , nützlich zu sein .
Mit grenzenloser Aufopferung warf er sich daher auf das Studium der Staaten , ein neuer Weltteil für ihn , oder vielmehr die ganze Welt und was der ewige Geist des Menschen strebte , dachte und wollte , in wenigen großen Umrissen , vor dessen unermeßener Aussicht sein Innerstes aufjauchzte .
Ihm träumte einmal , als er in der Nacht einst so über seinen alten Büchern eingeschlummert , als weckte ihn ein glänzendes Kind aus langen lieblichen Träumen .
Er konnte kaum die Augen auftun vor Licht , von so wunderbarer Hoheit und Schönheit war des Kindes Angesicht .
Es wies mit seinem kleinen Rosenfinger von dem hohen Berge in die Gegend hinaus , da sah er ringsum eine unbegrenzte Runde , Meer , Ströme und Länder , ungeheure , umgeworfene Städte mit zerbrochenen Riesensäulen , das alte Schloß seiner Kinderjahre seltsam verfallen , einige Schiffe zogen hinten nach dem Meere , auf dem einen stand sein verstorbener Vater , wie er ihn oft auf Bildern gesehen , und sah ungewöhnlich ernsthaft , -- alles doch wie in Dämmerung aufarbeitend , zweifelhaft und unkenntlich , wie ein verwischtes großes Bild , denn ein dunkler Sturm ging über die ganze Aussicht , als wäre die Welt verbrannt , und der ungeheure Rauch davon lege sich nun über die Verwüstung .
Dort , wo des Vaters Schiff hinzog , brach darauf plötzlich ein Abendrot durch den Qualm hervor , die Sonne senkte sich fern nach dem Meere hinab .
Als er ihr so nachsah , sah er dasselbe wunderschöne Kind , das vorhin neben ihm gewesen , gewesen , recht mitten in der Sonne zwischen den spielenden Farbenlichtern traurig an ein großes Kreuz gelehnt , stehen .
Eine unbeschreibliche Sehnsucht befiel ihn da , und Angst zugleich , daß die Sonne für immer in das Meer versinken werde .
Da war ihm , als sagte das wunderschöne Kind , doch ohne den Mund zu bewegen oder aus seiner traurigen Stellung aufzublicken :
Liebst du mich recht , so gehe mit mir unter , als Sonne wirst du dann wieder aufgähne , und die Welt ist frei ! --
Vor Lust und Schwindel wachte er auf .
Draußen funkelte der heitere Wintermorgen schon über die Dächer , das Licht war herabgebrannt , Erwin saß bereits angekleidet ihm gegenüber und sah ihn mit den großen , schönen Augen still und ernsthaft an .
Zu solcher Lebensweise kam ein schöner Kreis neuer , rüstiger Freunde , die auf Reisen , an gleicher Gesinnung sich erkennend , aus verschiedenen deutschen Zonen sich nach und nach hier zusammengefunden hatten .
Der Erbprinz , der mit einer fast grenzenlosen Leidenschaft an Friedrich'n hing , wußte den Bund durch seine hinreissende Glut und Beredsamkeit immer frisch zu stärken , so auch , obgleich auf ganz verschiedene Weise , der ältere , besonnene Minister , der nach einer herumschweifenden und wüst durchlebten Jugend , später , seiner größeren Entwürfe und seiner Kraft und Berufes vor allen anderen , sie auszuführen , sich klar bewußt , auf einmal mehrere brave aber schwächere Männer ge 17 waltsam unterdrückt , ja , selbst seinen eigensten Wunsch , eine Liebe aus früherer Zeit aufgegeben und dafür eine freudenlose Ehe mit einem der vornehmsten Mädchen gewählt hatte , einzig um das Steuer des Staates in seine festere und sichere Hand zu erhalten .
-- Eine gleiche Gesinnung schien alle Glieder dieses Kreises zu verbrüdern .
Sie arbeiteten fleißig , hoffend und glaubend , dem alten Recht in der engen Zeit Luft zu machen , auf Tod und Leben bereit .
Ganz anders , abgesondert und ohne alle Berührung mit diesem Kreise lebte Leontin in einem abgelegenen Quartiere der Residenz mit der Aussicht auf die beschneiten Berge über die weiten Vorstädte weg , wo er , mit Fabern zusammenwohnend , einen wunderlichen Haushalt führte .
Alle die Begeisterungen , Freuden und Schmerzen , die sich Friedrich'n , dessen Bildung langsam aber sicherer fortschritt , erst jetzt neu aufdeckten , hatte er längst im Innersten empfunden .
Ihn jammerte seine Zeit vielleicht wie keinen , aber er haßte es , davon zu sprechen .
Mit der größten Geisteskraft hatte er schon oft redlich alles versucht , wo es etwas nützen konnte , aber immer überwiesen , wie die Menge reich an Wünschen , aber innerlich dumpf und gleichgültig sei , wo es gilt , und wie seine Gedanken jederzeit weiter reichten als die Kräfte der Zeit , warf er sich in einer Art von Verzweiflung immer wieder auf die Poesie zurück und dichtete oft Nächtelang ein wunderbares Leben , meist Tragö diene , die er am Morgen wieder verbrannte .
Seine alles verspottende Lustigkeit war im Grunde nichts , als diese Verzweiflung , wie sie sich an den bunten Bildern der Erde in tausend Farben brach und bespiegelte .
Friedrich besuchte ihn täglich , sie blieben einander wechselseitig noch immer durchaus unentbehrliche Freunde , wenn gleich Leontin auf keine Weise zu bereden war , an den Bestrebungen jenes Kreises Anteil zu nehmen .
Er nannte unverhohlen das Ganze eine leidliche Komödie , und den Minister den unleidlichen Theaterprinzipal , der gewiß noch am Ende des Stückes herausgerufen werden würde , wenn nur darin das Wort : deutsch recht fleißig vorkäme , denn das mache in der undeutschen Zeit den besten Effekt .
Besonders aber war er ein rechter Feind des Erbprinzen .
Er sagte oft , er wünschte ihn mit einem großen Schwerte seiner Ahnherren aus Barmherzigkeit recht in der Mitte entzweihauen zu können , damit die eine ordinäre Hälfte vor der anderen närrischen , begeisterten einmal Ruhe hätte .
-- Dergleichen Reden verstand Friedrich zwar damals nicht recht , denn seine beste Natur sträubte sich gegen ihr Verständnis , aber sie machten ihn stutzig .
Faber dagegen , welcher , der Dichtkunst treu ergeben , immer fleißig fortarbeitete , empfing ihn alle Tage gelassen mit derselben Frage : ob er noch immer weltbürgerlich sei ? --
Gott sei Dank , antwortete Friedrich ärgerlich , ich verkaufte mein Le 17 * ben an den ersten besten Buchhändler , wenn es eng genug wäre , sich in einigen hundert Versen auffingen zu lassen .
Sehr gut , erwiderte Faber mit jener Ruhe , welche das Bewußtsein eines redlichen , ernsthaften Strebens gibt , wir alle sollen nach allgemeiner Ausbildung und Tätigkeit , nach dem Verein aller Dinge mit Gott streben ; aber wer von seinem Einzelnen , wenn es überhaupt ein solches gibt , es sei Staats- Dicht- oder Kriegskunst , recht wahrhaft und innig , d. h. christlich durchdrungen wurde , der ist ja eben dadurch allgemein .
Denn nimm du einen einzelnen Ring aus der Kette , so ist es die Kette nicht mehr , folglich ist eben der Ring auch die Kette .
Friedrich sagte :
Um aber ein Ring in der Kette zu sein , mußt du ebenfalls tüchtig von Eisen und aus Einem Gusse mit dem Ganzen sein , und das meinte ich .
Leontin verwickelte sie hier durch ein vielfaches Wortspiel dergestalt in ihre Kette , daß sie beide nicht weiter konnten .
Diese strebende webende Lebensart schien Friedrich'n einigermaßen von Rosa zu entfernen , denn jede große innerliche Tätigkeit macht äußerlich still .
Es schien aber auch nur so , denn eigentlich hatte seine Liebe zu Rosa , ohne daß er selbst es wußte , einen großen Anteil an seinem Ringen nach dem Höchsten .
So wie die Erde in tausend Stämmen , Strömen und Blüten treibt und singt , wenn sie der alles belebenden Sonne zugewendet , so ist auch das menschliche Gemüt zu allem Großen freudig in der Sonnenseite der Liebe .
Rosa nahm Friedrichs nur seltenen Besuche nicht in diesem Sinne , denn wenige Weiber begreifen der Männer Liebe in ihrem Umfange , sondern messen ungeschickt das Unermeßliche nach Küssen und eitlen Versicherungen .
Es ist , als wären ihre Augen zu blöde , frei in die göttliche Flamme zu schauen , sie spielen nur mit ihrem spielenden Widerscheine .
Friedrich fand sie überhaupt seit einiger Zeit etwas verändert .
Sie war oft einsilbig , oft wieder bis zur Leichtfertigkeit munter , beides schien Manier .
Sie mischte oft in ihre besten Unterhaltungen so Fremdartiges , als hätte ihr innerstes Leben sein altes Gleichgewicht verloren .
Über seine seltenen Besuche machte sie ihm nie den kleinsten Vorwurf .
Er war weit entfernt , den wahren Grund von allem diesen auch nur zu ahnden .
Denn die rechte Liebe ist einfältig und sorglos .
Eines Tages kam er gegen Abend zu ihr .
Das Zimmer war schon dunkel , sie war allein .
Sie schien ganz atemlos vor Verlegenheit , als er so plötzlich in das Zimmer trat , und sah sich ängstlich einigemal nach der anderen Türe um .
Friedrich bemerkte ihre Unruhe nicht , oder mochte sie nicht bemerken .
Er hatte heute den ganzen Tag gearbeitet , geschrieben und gesonnen .
Auf seiner unbekümmert unordentlichen Kleidung , auf dem verwachten , etwas bleichen Gesichte und den sinnigen Augen ruhte noch der Nachsommer der Begeisterung .
Er bat sie , kein Licht zu machen , setzte sich , nach seiner Gewohnheit , mit der Gitarre ans Fenster und sang fröhlich ein altes Lied , das er Rosaen oft im Garten bei ihrem Schlosse gesungen .
Rosa saß dicht vor ihm , voll Gedanken , es war , je länger er sang , als müßte sie ihm etwas vertrauen und könne sich nicht dazu entschließen .
Sie sah ihn immerfort an .
Nein , es ist mir nicht möglich ! rief sie endlich und sprang auf .
Er legte die Laute weg ; sie war schnell durch die andere Türe verschwunden .
Er stand noch einige Zeit nachdenkend , da aber niemand kam , ging er verwundert fort .
Es war ihm von jeher eine eigene Freude , wenn er so Abends durch die Gassen strich , in die unteren erleuchteten Fenster hineinzublicken , wie da alles , während es draußen stob und stürmte , gemütlich um den warmen Ofen saß , oder an reinlichgedeckten Tischen schmauste , des Tages Arbeit und Mühen vergessend , wie eine bunte Galerie von Weihnachtsbildern .
Er schlug heute einen anderen , ungewohnten Weg ein , durch kleine , unbesuchte Gäßchen , da glaubte er auf einmal in dem einen Fenster den Prinzen zu sehen .
Er blieb erstaunt stehen .
Er war es wirklich .
Er saß in einem schlechten Überrocke , den er noch niemals bei ihm gesehen , im Hintergrunde auf einem hölzernen Stuhle .
Vor ihm saß ein junges Mädchen in bürgerlicher Kleidung auf einem Schemel , beide Arme auf seine Knie gestützt , und sah zu ihm herauf , während er etwas zu erzählen schien und ihr die Haare von beiden Seiten aus der heiteren Stirn strich .
Ein flackerndes Herdfeuer , an welchem eine alte Frau etwas zubereitete , warf seine gemütlichen Scheine über die Stube .
Teller und Schüsseln waren in ihren Geländern ringsum an den Wänden blank und in zierlicher Ordnung aufgestellt , ein Kätzchen saß auf einem Großvaterstuhle am Ofen und putzte sich , im Hintergrunde hing ein Muttergottesbild , vom Kamine hellbeleuchtet .
Es schien ein stilles , ordentliches Haus .
Das Mädchen sprang fröhlich von ihrem Sitze auf , kam ans Fenster und sah einen Augenblick durch die Scheiben .
Friedrich erstaunte über ihre Schönheit .
Sie schüttelte sich darauf munter und ungemein lieblich , als fröre sie bei dem flüchtigen Blick in die stürmische Nacht draußen , stieg auf einen Stuhl und schloß die Fensterladen zu .
Den folgenden Morgen , als Friedrich mit dem Prinzen zusammenkam , sagte er ihm sogleich , was er gestern gesehen .
Der Prinz schien betroffen , besann sich darauf einen Augenblick , und bat Friedrich'n , die ganze Begebenheit zu verschweigen .
Er besuche , sagte er , das Mädchen schon seit langer Zeit und gebe sich für einen armen Studenten aus .
Die Mutter und die Tochter , die wenig auskämen , hielten ihn wirklich dafür .
Friedrich sagte ihm offen und ernsthaft , wie dies ein gefährliches Spiel sei , wobei das Mädchen verspielen müsse , er solle lieber alles aufgeben , ehe es zu weit käme , vor allem großmütig das Mädchen schonen , das ihm noch unschuldig schiene .
Der Prinz war gerührt , drückte Friedrich'n die Hand und schwor , daß er das Mädchen zu sehr liebe , um sie unglücklich zu machen .
Er nannte sie nur sein hohes Mädchen .
Später , an einem von jenen wunderbaren Tagen , wo die Bäche wieder ihre klaren Augen aufschlagen und einzelne Lerchen schon hoch in dem blauen Himmel singen , hatte Friedrich alle seine Fenster offen , die auf einen einsamen Spaziergang hinausgingen , den zu dieser Jahreszeit fast niemand besuchte .
Es war ein Sonntag , unzählige Glocken schallten durch die stille , heitere Luft .
Da sah er den Prinzen , wieder verkleidet , in der Ferne Vorübergehen , neben ihm sein Bürgermädchen , im sonntäglichen Putze zierlich ausgeschmückt .
Sie schien sehr zufrieden und glücklich und drückte sich oft fröhlich an seinen Arm .
Friedlich nahm die Gitarre , setzte sich auf das Fenster und sang : Wann der kalte Schnee zergangen , Stehst du draußen in der Tür , Kommt ein Knabe schön gegangen , Stellt sich freundlich da zu dir , Lobet deine frischen Wangen , Dunkle Locken , Augen Licht , Wann der kalte Schnee zergangen , Glaub dem falschen Herzen nicht !
Wann die lauen Winde wehen , Scheint die Sonne lieblich warm :
Wirst du wohl spazieren gehen , Und Er führt dich am Arm , Tränen dir im Auge stehen , Denn so schön klingt , was er spricht , Wann die lauen Winde wehen , Glaub dem falschen Herzen nicht !
Wann die Lerchen wieder schwirren , Trittst du draußen vor das Haus , Doch Er mag nicht mit dir irren , Zog weit in das Land hinaus ; Die Gedanken sich verwirren , Wie du siehst den Morgen rot , Wann die Lerchen wieder schwirren , Armes Kind , ach , wärst du tot !
Das Lied rührte Friedrich'n selbst mit einer unbeschreiblichen Gewalt .
Die Glücklichen hatten ihn nicht bemerkt , er hörte das Mädchen noch munter lachen , als sie schon beide wieder verschwunden waren .
Der Winter neckte bald darauf noch einmal durch seine späten Züge .
Es war ein unfreundlicher Abend , der Wind jagte den Schnee durch die Gassen , da ging Friedrich , in seinem Mantel fest eingewickelt , zu Rosa .
Sie hatte ihm , da sie überhaupt jetzt mehr als sonst sich in Gesellschaften einließ , feierlich versprochen , ihn heute zu Hause zu erwarten .
Er hatte eine Sammlung alter Bilder unter dem Mantel , die er erst unlängst aufgekauft , und an denen sie sich heute ergötzen wollten .
Er freute sich unbeschreiblich darauf , ihr die Bedeutung und die alten Geschichten dazu zu erzählen .
Wie groß war aber sein Erstaunen , als er alles im Hause still fand .
Er konnte es noch nicht glauben , er stieg hinauf .
Ihr Wohnzimmer war auch leer und kein Mensch zur Auskunft .
Der Spiegel auf der Toilette stand noch aufgestellt , künstliche Blumen , goldene Kämme und Kleider lagen auf den Stühlen umher ; sie mußte das Zimmer unlängst verlassen haben .
Er setzte sich an den Tisch und schlug einsam seine Bilder auf .
Die treue Farbenpracht , die noch so frisch aus den alten Bildern schaute , als wären sie heute gemalt , rührte ihn ; wie da die Genoveva arm und bloß im Walde stand , das Reh vor ihr niederstürzt und hinterdrein der Landgraf mit Rossen , Jägern und Hörnern , wie da so bunte Blumen stehen , unzählige Vögel in den Zweigen mit den glänzenden Flügeln schlagen , wie die Genoveva so schön ist und die Sonne prächtig scheint , alles grün und golden musizierend , und Himmel und Erde voller Freude und Entzückung .
-- Mein Gott , mein Gott , sagte Friedrich , warum ist alles auf der Welt so anders geworden ! --
Er fand ein Blatt auf dem Tische , worauf Rosa die Zeichnung einer Rose angefangen .
Er schrieb , ohne selbst recht zu wissen , was er tat :
" Lebe wohl " auf das Blatt .
Darauf ging er fort .
draußen auf der Straße fiel ihm ein , daß heute Ball beim Minister sei .
Nun übersah er den ganzen Zusammenhäng , und ging sogleich hin , um sich näher zu überzeugen .
Dicht und unkenntlich in seinen Mantel gehüllt , stellte er sich in die Türe unter die zusehenden Bedienten .
Er mußte lachen , wie der Marquis so eben in festlichem Staate einzog und mit einer vornehmen Geckenhaftigkeit ihn mit den anderen Leuten auf die Seite schob .
Er bemerkte wohl , wie die Bedienten heimlich lachten .
Gott stehe dem Adel bei , dachte er dabei , wenn dies noch seine einzige Unterscheidung und Halt sein soll in der gewaltsam drängenden Zeit , wo untergehen muß , was sich nicht ernstlich rafft !
Die Tanzmusik schallte lustig über den Saal , wie ein wogendes Meer , wo unzählige Sterne glänzend auf- und untergiengen .
Da sah er Rosa mit dem Prinzen walzen .
Alle sahen hin und machten willig Platz , so schön war das Paar .
Sie langte im Fluge unweit der Türe an und warf sich atemlos in ein Sofa .
Ihre Wangen glühten , ihr Busen , dessen Weiße die schwarz herabgeringelten Locken noch blendender machten , hob sich heftig auf und nieder ; sie war überaus reizend .
Er konnte sehen , wie sie dem Prinzen , der lange mit Bitten in sie zu dringen schien , tändelnd etwas reichte , das er schnell zu sich steckte .
Der Prinz sagte ihr darauf etwas ins Ohr , worauf sie so leichtfertig lachte , daß es Friedrich'n durch die Seele schnitt .
Höchstsonderbar , erst hier , in diesem Taumel , in dieser Umgebung glaubte Friedrich auf einmal in des Prinzen Reden dieselbe Stimme wiederzuerkennen , die er auf dem Maskenballe , da er Rosa zum erstenmal wiedergesehen , bei ihrem Begleiter , und dann in dem dunklen Gäßchen , als er von der kleinen Marie herauskam , bei dem einen von den zwei verhüllten Männern gehört hatte . --
Er erschrak innerlichst über diese Entdeckung .
Er dachte an das arme Bürgermädchen , an Leontins Haß gegen den Prinzen , an die verlorene Marie , an alle die schönen auf immer vergangenen Zeiten und stürzte sich wieder hinunter in das lustige Schneegestöber .
Als er nach Hause kam , fand er Erwin auf dem Sofa eingeschlummert .
Schreibzeug lag umher , er schien geschrieben zu haben .
Er lag auf dem Rücken , in der rechten Hand , die auf dem Herzen ruhte , hielt er ein zusammengelegtes Papier lose zwischen den Fingern .
Friedrich hielt es für einen Brief , da es immer Erwins liebstes Geschäft war , ihn mit den neuangekommenen Briefen bei seiner Nachhausekunft selbst zu überraschen .
Er zog es dem Knaben leise aus der Hand und machte es , ohne es näher zu betrachten , schnell auf .
Er las : " Die Wolken zieh 'n immerfort , die Nacht ist so finster .
Wo führst du mich hin , wunderbarer Schiffer ?
Die Wolken und das Meer haben kein Ende , die Welt ist so groß und still , es ist entsetzlich , allein zu sein . -- "
Weiter unten stand :
" Liebe Julie , denkst du noch daran , wie wir im Garten unter den hohen Blumen saßen und spielten und sangen , die Sonne schien warm , Du warst so gut .
Seitdem hat niemand mehr Mitleid mit mir . "
-- Wieder weiter :
" Ich kann nicht länger schweigen , der Neid drückt mir das Herz ab. " -- Friedrich bemerkte erst jetzt , daß das Pa pier nur wie ein Brief zusammengelegt und ohne alle Aufschrift war .
Voll Erstaunen legte er es wieder neben Erwin hin und sah den lieblichatmenden Knaben nachdenklich an .
Da wachte Erwin auf , verwunderte sich , Friedrich'n und den Brief neben sich zu sehen , steckte das Papier hastig zu sich und sprang auf .
Friedrich faßte seine beiden Hände und zog ihn vor sich hin .
Was fehlt Dir ? fragte er ihn unwiderstehlich gutmütig .
Erwin sah ihn mit den großen , schönen Augen lange an , ohne zu antworten , dann sagte er auf einmal schnell , und eine lebhafte Fröhlichkeit flog dabei über sein seelenvolles Gesicht : Reisen wir aus der Stadt und weit fort von den Menschen , ich führe Dich in den großen Wald . --
Von einem großen Walde darauf und einem kühlen Strome und einem Turm darüber , wo ein Verstorbener wohne , sprach er wunderbar wie aus dunklen , verworrenen Erinnerungen , oft alte Aussichten aus Friedrichs eigener Kindheit plötzlich aufdeckend .
Friedrich küßte den begeisterten Knaben auf die Stirn .
Da fiel er ihm um den Hals und küßte ihn heftig , mit beiden Armen fest umklammernd .
Voll Erstaunen machte sich Friedrich nur mit Mühe aus seinen Armen los , es war etwas ungewöhnlich Verändertes in seinem Gesicht , eine seltsame Lust in seinen Küssen , seine Lippen brannten , das Herz schlug fast hörbar , er hatte ihn noch niemals so gesehen .
Der Bediente trat eben ein , um Friedrich'n auszukleiden .
Erwin war verschwunden .
Friedrich hörte , wie er darauf in seiner Stube sang :
Es weiß und rät es doch keiner , Wie mir so wohl ist , so wohl !
Ach , wüsste es nur Einer , nur Einer , Kein Mensch sonst es wissen sollte !
So still ist es nicht draußen im Schnee , So stumm und verschwiegen sind Die Sterne nicht in der Höhe , Als meine Gedanken sind .
Ich wünscht , es wäre schon Morgen , Da fliegen zwei Lerchen auf , Die überfliegen einander , Mein Herze folgt ihrem Lauf .
Ich wünscht , ich wäre ein Vöglein Und zöge über das Meer , Wohl über das Meer und weiter , Bis daß ich im Himmel wäre !
Fünfzehntes Kapitel .
Schwül und erwartungsvoll schauen wir in den dunkelblauen Himmel , schwere Gewitter steigen ringsum herauf , die über manche liebe Gegend und Freunde ergehen sollen , der Strom schießt dunkelglatt und schneller vorbei , als wollte er seinem Geschick entfliehen , die ganze Gegend verwandelt plötzlich seltsam ihre Miene .
Keine Glockenklänge wehen mehr fromm über die Felder , die Wolken zu zerteilen , der Glaube ist tot , die Welt liegt stumm und viel Teures wird untergehen , ehe die Brust wieder frei aufatmet .
Friedrich fühlte diesen gewitternden Druck der Luft und waffnete sich nur desto frommer mit jenem Ernst und Mute , den ein großer Zweck der Seele gibt .
Er warf sich mit doppeltem Eifer wieder auf seine Studien , sein ganzes Sinnen und Trachten war endlich auf sein Vaterland gerichtet .
Dies mochte ihn abhalten , Erwin damals genauer zu beobachten , der seit jenem Abend stiller als je geworden und sich an einem wunderbaren Triebe nach freier Luft und Freiheit langsam zu verzehren schien .
Rosa 'n mochte er seitdem nicht wieder besuchen .
Romana hatte sich seit einiger Zeit seltsam von allen größeren Gesellschaften entfernt .
-- Wir aber stürzen uns lieber in die Wirbel der Geschichte , denn es wird der Seele wohler und weiter im Sturm und Blitzen , als in dieser feindlichlauernden Stille .
Es war ein Feiertag im März , da ritt Friedrich mit dem Prinzen auf einem der besuchtesten Spaziergänge .
Nach allen Richtungen hin zogen unzählige bunte Schwärme zu den dunklen Toren aus und zerstreuten sich lustig in die neue , warme , schallende Welt .
Schaukeln und Ringelspiele drehten sich auf den offenen Rasenplätzen , Musiken klangen von allen Seiten ineinander , eine unüber sehbare Reihe prächtiger Wagen bewegte sich schimmernd die Allee hinunter .
Romana teilte die Menge rasch zu Pferde wie eine Amazone .
Friedrich hatte sie nie so schön und wild gesehen .
Rosa war nirgends zu sehen .
Als sie an das Ende der Allee kamen , hörten sie plötzlich einen Schrei .
Sie sahen sich um und erblickten mehrere Menschen , die bemüht schienen , jemanden Hilfe zu leisten .
Der Prinz ritt sogleich hinzu ; alles machte ehrerbietig Platz und er erblickte sein Bürgermädchen , die ohnmächtig in den Armen ihrer Mutter lag .
Wie versteinert schaute er in das totenbleiche Gesicht des Mädchens .
Er bat Friedrich'n , für sie Sorge zu tragen , wandte sein Pferd und sprengte davon .
Er hatte sie zum letztenmal gesehen .
Die Mutter , welche sich selbst von Staunen und Schreck nicht erholen konnte , erzählte Friedrich'n , nachdem er alle unnötige Gaffer zu entfernen gewußt , wie sie heute mit ihrer Tochter hierher spazieren gegangen , um einmal den Hof zu sehen , der , wie sie gehört , an diesem Tage gewöhnlich hier zu erscheinen pflege .
Ihr Kind sei besonders fröhlich gewesen und habe noch oft gesagt :
Wenn Er doch mit uns wäre , so könnte er uns alle die Herrschaften nennen !
Auf einmal hörten sie hinter sich : der Prinz ! der Prinz !
Alles blieb stehen und zog den Hut .
So wie ihre Tochter den Prinzen nur erblickte , sei sie sogleich umgefallen .
-- Friedrich'n rührte die stille Schönheit des Mädchens mit ihren ihren geschlossenen Augen tief .
Er ließ sie sicher nach Hause bringen ; er selbst wollte sie nicht begleiten , um alles Aufsehen zu vermeiden .
Noch denselben Abend spät sprach er den Prinzen über diese Begebenheit .
Dieser war sehr bewegt .
Er hatte das Mädchen des Abends besucht .
Sie aber wollte ihn durchaus nicht wiedersehen , und hatte eben so hartnäckig ein fürstliches Geschenk , das er ihr anbot , ausgeschlagen .
Übrigens schiene sie , wie er hörte , ganz gesund .
Erwin fing um diese Zeit an zu kränkeln , es war als erdrückte ihn die Stadtluft .
Seine seltsame Gewohnheit , die Nächte im Freien zuzubringen , hatte er hier ablegen müssen .
Es schien seit frühester Kindheit eine wunderbare Freundschaft zwischen ihm und der Natur mit ihren Wäldern , Strömen und Felsen .
Jetzt , da dieser Bund durch das beengte Leben zerstört war , schien er , wie ein erwachter Nachtwandler , auf einmal allein in der Welt .
So versank er mitten in der Stadt immer tiefer in Einsamkeit .
Nur um Rosa bekümmerte er sich viel und mit einer auffallenden Leidenschaftlichkeit .
Übrigens erlernte er noch immer nichts , obschon es nicht an gutem Willen fehlte .
Eben so las er auch sehr wenig und ungern , desto mehr , ja fast unaufhörlich , schrieb er , seit er es beim Grafen gelernt , so oft er allein gewesen .
Friedrich fand 18 manchmal dergleichen Zettel .
Es waren einzelne Gedanken , so seltsam weit abschweifend von der Sinnes- und Ausdrucksart unserer Zeit , daß sie oft unverständlich wurden , abgebrochene Bemerkungen über seine Umgebungen und das Leben , wie fahrende Blitze auf durchaus nächtlichem , melancholischen Grunde , wunderschöne Bilder aus der Erinnerung an eine früher verlebte Zeit und Anreden an Personen , die Friedrich gar nicht kannte , dazwischen Gebete wie aus der tiefsten Seelenverwirrung eines geängstigten Verbrechers , immerwährende Beziehung auf eine unselige verdeckte Leidenschaft , die sich selber nie deutlich schien , kein einziger Vers , keine Ruhe , keine Klarheit überall .
Friedrich versuchte unermüdlich seine frühere Lebensgeschichte auszuspüren , um nach so erkannter Wurzel des Übels vielleicht das aufrührerische Gemüt des Knaben sicherer zu beruhigen und ins Gleichgewicht zu bringen .
Aber vergebens .
Wir wissen , mit welcher Furcht er das Geheimnis seiner Kindheit hütete .
Ich muß sterben , wenn es jemand erfährt , war dann jedesmal seine Antwort .
Eine eben so unbegreifliche Angst hatte er auch vor allen Ärzten .
Sein Zustand wurde indes immer bedenklicher .
Friedrich hatte daher alles einem verständigen Arzte von seiner Bekanntschaft anvertraut und bat denselben , ihn , ohne seine Absicht merken zu lassen , des Abends zu besuchen , wann Erwin bei ihm wäre .
Als Friedrich des Abends an Erwins Türe kam , hörte er ihn drin nach einer rührenden Melodie ohne alle Begleitung eines Instruments folgende Worte singen :
Ich kann wohl manchmal singen , Als ob ich fröhlich sei , Doch heimlich Tränen dringen , Da wird das Herz mir frei .
So lassen Nachtigallen , Spielt draußen Frühlingsluft , Der Sehnsucht Lied erschallen , Aus ihres Käfigt Gruft .
Da lauschen alle Herzen , Und alles ist erfreut , Doch keiner fühlt die Schmerzen , Im Lied das tiefe Leid .
Friedrich trat während der letzten Strophe unbemerkt in die Stube .
Der Knabe ruhte auf dem Bett und sang so liegend mit geschlossenen Augen .
Er richtete sich schnell auf , als er Friedrich'n erblickte .
Ich bin nicht krank , sagte er , gewiß nicht ! --
damit sprang er auf .
Er war sehr blaß .
Er zwang sich , munter zu scheinen , lachte und sprach mehr und lustiger als gewöhnlich .
Dann klagte er über Kopfweh .
-- Friedrich strich ihm die nußbraunen Locken aus den Augen .
Tue mir nicht schön , ich bitte Dich ! -- sagte der Knabe da sonderbar und wie mit verhaltenen Tränen .
18 * Der Arzt trat eben in das Zimmer .
Erwin sprang auf .
Er erriet ahnend sogleich , was der fremde Mann wolle , und machte Miene zu entspringen .
Er wollte sich durchaus nicht von ihm berühren lassen und zitterte am ganzen Leibe .
Der Arzt schüttelte den Kopf .
Hier wird meine Kunst nicht ausreichen , sagte er zu Friedrich'n , und verließ das Zimmer bald wieder , um den Knaben in diesem Augenblick zu schonen .
Da sank Erwin ermattet zu Friedrichs Füßen .
Friedrich hob ihn freundlich auf seine Knie und küßte ihn .
Er aber küßte und umarmte ihn nicht wieder wie damals , sondern saß still und sah , in Gedanken verloren , vor sich hin .
Schon spannen wärmere Sommernächte draußen ihre Zaubereien über Berge und Täler , da war es Friedrich'n einmal mitten in der Nacht , als riefe ihn ein Freund , auf den er sich nicht besinnen könnte , wie aus weiter Ferne .
Er wachte auf , da stand eine lange Gestalt mitten in dem finsteren Zimmer .
Er erkannte Leontinen an der Stimme .
Frisch auf , Herzbruder ! sagte dieser , die eine Halbkugel rührt sich hellbeleuchtet , die andere träumt ; mir war nicht wohl , ich will den Rhein einmal wiedersehen , komme mit !
Er hatte die Fenster aufgemacht , einzelne graue Streifen langten schon über den Himmel , unten auf der Gasse blies der Postillon lustig auf dem Horne .
Da galt kein Staunen und kein Zögern , Friedrich mußte mit ihm hinunter in den Wagen .
Auch Erwin war mit unbegreiflicher Schnelligkeit reisefertig .
Friedrich erstaunte , ihn auf einmal ganz munter und gesund zu sehen .
Mit funkelnden Augen sprang er mit in den Wagen , und so rasselten sie durch das stille Tor ins Freie hinaus .
Sie fuhren schnell , durch unübersehbar stille Felder , durch einen dunkeldichten Wald , später zwischen engen hohen Bergen , an deren Fuß manch Städtlein zu liegen schien , ein Fluß , den sie nicht sahen , rauschte immerfort seitwärts unter der Straße , alles feenhaft verworren .
Leontin erzählte ein Märchen , mit den wechselnden Wundern der Nacht , wie sie sich die Seele ausmalte , in Worten kühle spielend .
Friedrich schaute still in die Nacht , Erwin ihm gegenüber hatte die Augen weit offen , die unausgesetzt , so lange es dunkel war , auf ihn geheftet schienen , der Postillon blies oft dazwischen .
Der Tag fing indes an von der einen Seite zu hellen , sie erkannten nach und nach ihre Gesichter wieder , einzelne zu früh erwachte Lerchen schwirrten schon , wie halb im Schlafe , hoch in den Lüften ihr endloses Lied , es wurde herrlich kühl .
Bald darauf langten sie an dem Gebirgsstädtchen an , wohin sie wollten .
Das Tor war noch geschlossen .
Der Torwächter trat schlaftrunken heraus , wünschte ihnen einen guten Morgen und pries die Reisenden glückselig und beneidenswert in dieser Jahrszeit .
In dem Städtchen war noch alles leer und still .
Nur einzelne Nachtigallen von den Fenstern und unzählige von den Bergen über dem Städtchen schlugen um die Wette .
Mehrere alte Brunnen mit zierlichem Gitterwerk rauschten einförmig auf den Gassen .
In dem Wirtshause , wo sie abstiegen , war auch noch niemand auf .
Der Postillon blies daher , um sie zu wecken , mehrere Stücke , daß es über die stillen Straßen weg in die Berge hineinschallte .
Erwin saß indes auf einem Springbrunnen auf dem Platze und wusch sich die Augen klar .
Friedrich und Leontin ließen Erwin bei dem Wagen zurück und gingen von der anderen Seite ins Gebirge .
Als sie aus dem Walde auf einen hervorragenden Felsen heraustraten , sahen sie auf einmal aus wunderreicher Ferne von alten Burgen und ewigen Wäldern kommend den Strom vergangener Zeiten und unvergänglicher Begeisterung , den königlichen Rhein .
Leontin sah lange still in Gedanken in die grüne Kühle hinunter , dann fing er sich schnell an auszukleiden .
Einige Fischer fuhren auf dem Rheine vorüber und sangen ihr Morgenlied , die Sonne ging eben prächtig auf , da sprang er mit ausgebreiteten Armen in die kühlen Flammen hinab .
Friedrich folgte seinem Beispiel und , beide rüstige Schwimmer , rangen sich lange jubelnd mit den vom Morgenglanze trunkenen , eisigen Wogen .
Unbeschreiblich leicht und heiter kehrten sie nach dem Morgenbade wieder in das Städtchen zurück , wo unterdes alles schon munter geworden .
Es war die Weihe der Kraft für lange Kämpfe , die ihrer harrten .
Als die Sonne schon hoch war , bestiegen sie die alte wohlerhaltene Burg , die wie eine Ehrenkrone über der altdeutschen Gegend stand .
Des Wirts Tochter ging ihnen mit einigen Flaschen Wein lustig die dunklen , mit Efeu überwachsenen Mauerpfade voran , ihr junges , blühendes Gesicht nahm sich gar zierlich zwischen dem alten Gemäuer und Bilderwerk aus .
Sie legte vor der Sonne die Hand über die Augen und nannte ihnen die zerstreuten Städte und Flüsse in der unermeßlichen Aussicht , die sich unten auftat .
Leontin schenkte Wein ein , sie tat ihnen Bescheid und gab jedem willig zum Abschiede einen Kuß .
Sie stieg nun wieder den Berg hinab , die beiden schauten fröhlich in das Land hinaus .
Da sahen sie , wie jenseits des Rheins zwei Jägerburschen aus dem Walde kamen und einen Kahn bestiegen , der am Ufer lag .
Sie kamen quer über den Rhein auf das Städtchen zugefahren .
Der eine saß tiefsinnig im Kahne , der andere tat mehrere Schüsse , die vielfach in den Bergen widerhallten .
Erwin hatte sich in ein ausgebrochenes Bogenfenster der Burg gesetzt , das unmittelbar über dem Abgrunde stand .
Ohne allen Schwindel saß er dort oben , seine ganze Seele schien aus den sinnigen Augen in die wunderbare Aussicht hinauszusehen .
Er sagte voller Freuden , er erblicke ganz im Hintergrunde einen Berg und einen hervorragenden Wald , den er gar wohl kenne .
Leontin ließ sich die Gegend zeigen und schien sie ebenfalls zu erkenn einen .
Er sah darauf den Knaben ernsthaft und verwundert an , der es nicht bemerkte .
Erwin blieb in dem Fensterbogen sitzen , sie aber durchzogen das Schloß und den Berg in die Runde .
Junge grüne Zweige und wildbunte Blumen beugten sich überall über die dunklen Trümmer der Burg , der Wald rauschte kühl , Quellen sprangen in hellen , Frischlichen Bogen von den Steinen , unzählige Vögel sangen , von allen Seiten die unermeßliche Aussicht , die Sonne schien warm über der Fläche in tausend Strömen sich spiegelnd , es war , als sei die Natur hier rüstiger und lebendiger vor Erinnerung im Angesicht des Rheins und der alten Zeit .
Wo ein Begeisterter steht , ist der Gipfel der Welt , rief Leontin fröhlich aus .
Willkommen , Freund , Bruder ! sagte da auf einmal eine Stimme mit Pathos , und ein fremder junger Mann , den sie vorher nicht bemerkt hatten , faßte Leontin'n fest bei der Hand .
Ach , was Bruder ! fuhr Leontin heraus ärgerlich über die unerwartete Störung .
Der Fremde ließ sich nicht abschrecken , sondern sagte :
Jene Worte logen nicht , Sie sind ein Verehrer der Natur , ich bin auch stolz auf diesen Namen .
Wahrhaftig , mein Herr , erwiderte Leontin geschwind sich komisch erwehrend , Sie irren sich entsetzlich , ich bin weder biederherzig , wie Sie sich vorstellen , noch begeistert , noch ein Verehrer der Natur , noch -- .
Der Fremde fuhr ganz blinderpicht fort : Lassen Sie die Gewöhnlichen sich ewig suchen und verfehlen , die Seltenen wirft ein magnetischer Zug einander an die männliche Brust , und der ewige Bund ist ohne Wort geschlossen in des Eichwalds heiligen Schatten , wenn die Orgel des Weltbaues gewaltig dahinbraust . --
Bei diesen Worten fiel ihm ein Buch aus der Tasche .
Sie verlieren ihre Noten , sagte Leontin , Schillers Don Carlos erkennend .
Warum Noten ? fragte der Fremde .
Darum , sagte Leontin , weil euch die ganze Natur nur der Text dazu ist , den ihr nach den Dingern da aborgelt , und je schwieriger und würgender die Koleraturen sind , daß ihr davon ganz rot und blau im Gesicht werdet , und die Tränen samt den Augen heraustreten , je begeisterter und gerührter seid ihr .
Macht doch die Augen fest zu in der Musik und im Sausen des Waldes , daß ihr die ganze Welt vergeßt und Euch vor allem !
Der Fremde wußte nicht recht , was er darauf antworten sollte .
Leontin fand ihn zuletzt gar possierlich ; sie gingen und sprachen noch viel zusammen und es fand sich am Ende , daß er ein abgedankter Liebhaber der Schmachtenden in der Residenz sei , den er früher manchmal bei ihr gesehen .
Der Einklang der Seelen hatte sie zusammen , und ich weiß nicht was wieder auseinander geführt .
Er rühmte viel , wie dieses Seelenvolle Weib mit Geschmack , treu und tugendhaft liebe .
Treue ? -- sie ist ja verheiratet , sagte Friedrich unschuldig .
Ei , was ! fiel ihm Leontin ins Wort , diese Alwina's , diese neuen Heloisen , diese Erbschleicherinnen der Tugend sind pfiffiger als Gottes Wort .
Nicht wahr , der Teufel stinkt nicht und hat keine Hörner , und Ehebrechen und Ehebrechen ist zweierlei ? --
Der Fremde war verlegen wie ein Schulknabe .
Es neigte sich indes zum Abend , aber die Luft war schwül geworden und man hörte von ferne donnern .
Das letztere war dem Fremden eben recht ; der Donner , den er nicht anders als rollend nannte , schien ihn mit einem neuen Anfalle von Genialität aufzublähen .
Er versicherte , er müsse im Gewitter einsam und im Freien sein , das wäre von jeher so seine Art , und nahm Abschied von ihnen .
Leontin klopfte ihn beim Weggehen tüchtig auf die Achsel : beten und fasten Sie fleißig und dann schauen Sie wieder in Gottes Welt hinaus , wie da der Herr genialisch ist .
Es ist doch nichts lächerlicher , sagte er , als jener fort war , als eine aus der Mode gekommene Genialität .
Man weiß dann gar nicht , was die Kerls eigentlich haben wollen .
Es gewitterte indes immer stärker und näher .
Leontin bestieg schnell eine hohe Tanne , die am Abhange stand , um das Wetter zu beschauen .
Der Wind , der dem Gewitter vorausflog , rauschte durch die dunklen Äste des Baumes und neigte den Wipfel über den Abgrund hinaus .
Ich sehe das Städtchen in alle Straßen hinab , rief Leontin von oben , wie die Leute eilig hin und her laufen und die Fenster und Türen schließen und mit den Laden klappern vor dem heranziehenden Wetter , es achtet ihrer doch nicht und zieht über sie weg .
Unseren Don Carlos sehe ich auf einer Felsenspitze den Batterien des Gewitters gegenüber , er steht die Arme über der Brust verschränkt , den Hut tief in die Augen gedrückt , den einen Fuß trotzig vorwärts , pfui , pfui , über den Hochmut !
Den Rhein sehe ich kommen , zu dem alle Flüsse des Landes flüchten , langsam und dunkelgrün , Schiffe rudern eilig ans Ufer , eines sehe ich mit Gott geradeaus fahren , fahre , herrlicher Strom !
Wie Gottes Flügel rauschen und die Wälder sich neigen , und die Welt still wird , wenn der Herr mit ihr spricht .
Wo ist dein Witz , deine Pracht , deine Genialität ?
Warum wird unten auf den Flächen alles Eins und unkenntlich wie ein Meer , und nur die Burgen stehen einzeln und unterschieden zwischen den wehenden Glockenklängen und schweifenden Blitzen .
Du könntest mich wahnwitzig machen unten erschreckliches Bild meiner Zeit , wo das zertrümmerte Alte in einsamer Höhe steht , wo nur das Einzelne gilt und sich , schroff und scharf im Sonnenlichte abgezeichnet , hervorhebt , während das Ganze in farblosen Massen Gestaltlos liegt , wie ein ungeheurer , grauer Vorhang , an dem unsere Gedanken , gleich Riesenschatten aus einer anderen Welt , sich abarbeiten .
-- Der Wind verwehte seine Worte in die grenzenlose Luft .
Es regnete schon lange .
Der Regen und der Sturm wurden endlich so heftig , daß er sich nicht mehr auf dem Baume erhalten konnte .
Er stieg herab und sie kehrten zu der Burg zurück .
Als das Wetter sich nach einiger Zeit wieder verzogen hatte , brachen sie aus ihrem Schlupfwinkel auf , um sich in das Städtchen hinunterzubegeben .
Da trafen sie an dem Ausgange der Burg mit den zwei Jägern zusammen , die sie frühmorgens über den Rhein fahren gesehen , und die ebenfalls das Gewitter in der Burg belagert gehalten hatte .
Es war schon dunkel geworden , so daß sie einander nicht wohl erkennen konnten .
Die Bäume hingen voll heller Tropfen , der enge Fußsteig war durch den Regen äußerst glatt geworden .
Die beiden Jäger , gingen sehr , vorsichtig und furchtsam , hielten sich an alle Sträucher und glitten mehrmals bald Friedrich'n , bald Leontin in die Arme , worüber sie vom letzteren viel Gelächter ausstehen mußten , der ihnen durchaus nicht helfen wollte .
Erwin sprang mit einer ihm sonst nie gewöhnlichen Wildheit allen weit voraus wie ein Gemse den Berg hinab .
Allen wurde wohl , als sie nach der langen Einsamkeit in das Städtchen hinunterkamen , wo es recht patriarchalisch aussah .
Auf den Gassen ging Jung und Alt sprechend und lachend nach dem Regen spazieren , die Mädchen des Städtchens saßen draußen vor ihren Türen unter den Weinlauben .
Der Abend war herrlich , alles erquickt nach dem Gewitter , das nur noch von ferne nachhallte , Nachtigallen schlugen wieder von den Bergen , vor ihren Augen rauschte der Rhein an dem Städtchen vorüber .
Leontin zog mit seiner Gitarre wie ein reisender Spielmann aus alter Zeit von Haus zu Haus und erzählte den Mädchen Märchen , oder sang ihnen neue Melodien auf ihre alten Lieder , wobei sie still mit ihren sinnigen Augen um ihn herumsaßen .
Friedrich saß neben ihm auf der Bank , den Kopf in beide Arme auf die Knie gestützt , und erholte sich recht an den altfränkischen Klängen .
Die zwei Jäger hatten sich nicht weit von ihnen um einen Tisch gelagert , der auf dem grünen Platze zwischen den Häusern und dem Rheine aufgeschlagen war , und schäkerten mit den Mädchen , denen sie gar wohl zu gefallen schienen .
Die Mädchen verfertigten schnell einen fröhlichen , übervollen Kranz von hellroten Rosen , den sie dem einen , welcher der lustigste schien , auf die Stirn drückten .
Leontin , der wenig darauf Acht gab , begann folgendes Lied über ein am Rheine bekanntes Märchen :
Es ist schon spät , es wird schon kalt , Was reitest Du einsam durch den Wald ?
Der Wald ist lang , Du bist allein , Du schöne Braut !
ich führe Dich heim !
Da antwortete der Bekränzte drüben vom anderen Tische mit der folgenden Strophe des Liedes : " Groß ist der Männer Trug und List , Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist , Wohl irrt das Waldhorn her und hin , O fliehe !
Du weißt nicht , wer ich bin . "
Leontin stutzte und sang weiter :
So reich geschmückt ist Roß und Weib , So wunderschön der junge Leib , Jetzt kenne ich Dich -- Gott stehe ' mil bei !
Du bist die Hexe Lorelei .
Der Jäger antwortete wieder :
" Du kennst mich wohl -- von hohem Stein , Schaut still mein Schloß tief in den Rhein .
Es ist schon spät , es wird schon kalt , Kommst nimmermehr aus diesem Wald ! "
Der Jäger nahm nun ein Glas , kam auf sie los und trank Friedrich'n keck zu : Unsere Schönen sollen leben !
Friedrich stieß mit an .
Da zersprang der Römer des Jägers klingend an dem seinigen .
Der Jäger erblaßte und schleuderte das Glas in den Rhein . --
Es war unterdes schon spät geworden , die Mädchen fingen an einzunicken , die Alten trieben ihre Kinder zu Bett und so verlor sich nach und nach eines nach dem anderen , bis sich unsere Reisende allein auf dem Platze sahen .
Die Nacht war sehr warm , Leontin schlug daher vor , die ganze Nacht über auf dem Rheine nach der Residenz hinunterzufahren , er sei ein guter Steuermann und . kenne jede Klippe auswendig .
Alle willigten sogleich ein , der eine Jäger nur mit Zaudern , und so bestiegen sie einen Kahn , der am Ufer angebunden war .
Den Knaben Erwin , der während Leontins Liedern zu Friedrichs Füßen eingeschlafen , hatten sie , da er durchaus nicht zu ermuntern war , in den Kahn hineintragen müssen , wo er auch nach einem kurzen , halbwachen Taumel sogleich wieder in Schlaf versank .
Friedrich saß vorn , die beiden Jäger in der Mitte , Leontin am Steuerruder lenkte keck gerade auf die Mitte los , die Gewalt des Stromes faßte recht das Schiffchen , zu beiden Seiten flogen Weingärten , einsame Schlünde und Felsenriesen mit ausgespreiteten Eichen-Armen , wechselnd vorüber , als gingen die alten Helden unsichtbar durch den Himmel und würfen so ihre streifenden Schatten über die stille Erde .
Der Himmel hatte sich indes von neuem überzogen , die Gewitter schienen wieder näher zu kommen .
Der eine von den Jägern , der überhaupt fast noch gar nicht gesprochen , blieb fortwährend still .
Der andere mit dem Rosenkranze dagegen saß schaukelnd und gefährlich auf dem Rande des Kahnes und hatte beide Beine darüber heruntergehangen , die bei jeder Schwankung die Wellen berührten .
Er sah in das Wasser hinab , wie die flüchtigen Wirbel kühle aufrauschend , dann wieder still , wunderbar hinunterlockten .
Leontin hieß ihn die Beine einstecken .
Was schadet_es , sagte der Jäger innerlich heftig , ich tauge doch nichts auf der Welt , ich bin schlecht , wäre ich da unten , wäre auf einmal alles still . --
Oho ! rief Leontin , ihr seid verliebt , das sind verliebte Sprüche .
Sage ' an , wie sieht Dein Liebchen aus ?
Ist_es schlank , stolz , kühn , voll hohem Graus , ist_es Hirsch , Pfau , oder eine kleine süße Maus ? --
Der Jäger sagte : Mein Schatz ist ein Hirsch , der wandelt in einer prächtigen Wildnis , die liegt so unbeschreiblich hoch und einsam und die ganze Welt übersieht man von dort , wie sich die Sonne ringsum in Seen und Flüssen und allen Kreaturen wunderbar bespiegelt .
Es ist des Jägers dunkelwüste Lust , das Schönste , was ihn rührt , zu verderben .
So nahm er Abschied von seinem alten Leben und folgte dem Hirsche immer höher mühsam hinauf .
Als die Sonne aufging , legte er oben in der klaren Stille lauernd an .
Da wandte sich der Hirsch plötzlich und sah ihn keck und fromm an wie den Herzog Hubertus .
Da verließen den Jäger auf einmal seine Künste und seine ganze Welt , aber er konnte nicht niederknien wie jener , denn ihm schwindelte vor dem Blick und der Höhe und es faßte ihn ein seltsamer Gelüst , die dunkle Mündung auf seine eigene ausgestorbene Brust zu kehren . --
Die beiden Grafen überhörten bei dem Winde der sich nach und nach zu erheben anfing , diese sonderbaren Worte des Verliebten .
Fahrende Blitze erhellten inzwischen von Zeit zu Zeit die Gegend und ihr Schein fiel auf die Gesichter der beiden Jäger .
Sie waren gar lieblich anzusehen , schienen beide noch Knaben .
Der eine hatte ein silbernes Horn an der Seite hängen .
Leontin sagte , er solle eins blasen ; er versicherte aber , daß er es nicht könne .
Leontin lachte ihn aus , was sie für Jäger wären , wären , nahm das Horn und blies sehr geschickt ein altes schönes Lied .
Der eine gesprächige Jäger sagte , es fiele ihm dabei eben ein Lied ein , und sang zu den beiden Grafen mit einer angenehmen Stimme : Wir sind so tief betrübt , wenn wir auch scherzen , Die armen Menschen Mühe 'n sich ab und reisen , Die Welt zieht ernst und streng in ihren Gleisen , Ein feuchter Wind verlöscht die lustigen Kerzen . --
Du hast so schöne Worte tief im Herzen , Du weist so wunderbare alte Weisen , Und wie die Sterne am Firmament kreisen , Ziehen durch die Brust Dir ewig Lust und Schmerzen .
So lasse Dein ' Stimme hell im Wald erscheinen !
Das Waldhorn fromm wird auf und nieder wehen , Die Wasser gehe 'n und Rehe einsam weiden .
Wir wollen stille sitzen und nicht weinen , Wir wollen in den Rhein hinuntersehen , Und , wird es finster auf der Welt , nicht scheiden .
Kaum hatte er die letzten Worte ausgesungen , als Erwin , der durch den Gesang aufgewacht war , und bei einem langen Blitze das Gesicht des anderen stillen Jägers plötzlich dicht vor sich erblickte , mit einem lauten Schrei aufsprang und sich in demselben Augenblicke über den Kahn in den Rhein stürzte .
Die beiden Jäger schrien entsetzlich , der Knabe aber schwamm wie ein Fisch durch den Strom und war schnell hinter dem Gesträuch am Ufer verschwunden .
Leontin lenkte sogleich ihm nach ans 19 Ufer und alle eilten verwundert und bestürzt ans Land .
Sie fanden sein Tuch zerrissen an den Sträuchern hängen ; es war fast unbegreiflich , wie er durch dieses Dickicht sich hindurchgearbeitet .
Friedrich und Leontin begaben sich in verschiedenen Richtungen ins Gebirge , sie durchkletterten alle Felsen und Schlüften und riefen nach allen Seiten hin .
Aber alles blieb nächtlich still , nur der Wald rauschte einförmig fort .
Nach langem Suchen kamen sie endlich müde beide wie der auf der Höhe über ihrem Landungsplätze zusammen .
Der Kahn stand noch am Ufer , die beiden Jäger aber unten waren verschwunden .
Der Rhein rauschte prächtig funkelnd in der Morgensonne zwischen den Bergen hin .
Erwin kehrte nicht mehr zurück .
Sechzehntes Kapitel .
Die heftige Romana liebte Friedrich'n vom ersten Blicke an mit der ihr eigentümlichen Gewalt .
Seitdem er aber in jener Nacht auf dem Schlosse von ihr fortgeritten , als sie bemerkte , wie ihre Schönheit , ihre vielseitigen Talente , die ganze Phantasterei ihres künstlich gesteigerten Lebens alle Bedeutung verlor und zu Schanden wurde an seiner höheren Ruhe , da fühlte sie zum erstenmal die entsetzliche Lücke in ihrem Leben und daß alle Talente Tugend werden müssen oder nichts sind und schauderte vor der Lügenhaftigkeit ihres ganzen Wesens .
Friedrich's Verachtung war ihr durchaus unerträglich , obgleich sie sonst die Männer verachtete .
Da raffte sie sich innerlichst zusammen , zerriß alle ihre alten Verbindungen und begrub sich in die Einsamkeit ihres Schlosses .
Daher ihr plötzliches Verschwinden aus der Residenz .
Sie mochte sich nicht Stückweise besseren , ein ganz neues Leben der Wahrheit wollte sie anfangen .
Vor allem bestrebte sie sich mit ehrlichem Eifer , den schönen verwilderten Knaben , den wir dort kennen gelernt , zu Gott zurückzuführen , und er übertraf mit seiner Kraft eines unabgenützten Gemütes gar bald seine Lehrerin .
Sie knüpfte Bekanntschaften an mit einigen häuslichen Frauen der Nachbarschaft , die sie sonst unsäglich verachtet , und mußte beschämt vor mancher Trefflichkeit stehen , von der sie sich ehedem nichts träumen ließ .
Die Fenster und Türen ihres Schlosses , die sonst Tag und Nacht offen standen , wurden nun geschlossen , sie wirkte still und fleißig nach allen Seiten und führte eine strenge Hauszucht .
Friedrich sollte Ihretwegen von alle dem nichts wissen , das war ihr , wie sie meinte , einerlei .
-- Es war ihr redlicher Ernst , anders zu werden , und noch nie hatte sich ihre Seele so reintriumphierend und frei gefühlt , als in dieser Zeit .
Aber es war auch nur ein Rausch , obgleich der schönste in 19 * ihrem Leben .
Es gibt nichts erbarmungswürdigeres , als ein reiches , verwildertes Gemüt , das in verzweifelter Erinnerung an seine ursprüngliche alte Güte , sich liederlich an dem Besten und Schlechtesten berauscht , um nur jenes Andenkens los zu werden , bis es , so ausgehöhlt , zu Grunde geht .
Wenn uns der Wandel tugendhafter Frauen wie die Sonne erscheint , die in gleichverbreiteter Klarheit , still und erwärmend , täglich die vorgeschriebenen Kreise beschreibt , so möchten wir dagegen Romana's rasches Leben einer Rakete vergleichen , die sich mit schimmerndem Geprassel zum Himmel aufreißt und oben unter dem Beifallsgeklatsch der staunenden Menge in tausend funkelnde Sterne ohne Licht und Wärme prächtig zerplatzt .
Sie hatte die Einfalt , diese Grundkraft aller Tugend , leichtsinnig verspielt ; sie kannte gleichsam alle Schliche und Kniffe der Besserung .
Sie mochte sich stellen , wie sie wollte , sie konnte , gleich einem Somnambulesten , ihre ganze Bekehrungsgeschichte wie ein wohlgeschriebenes Gedicht Vers vor Vers inwendig vorauslesen und der Teufel saß gegenüber und lachte ihr dabei immerfort ins Gesicht .
In solcher Seelenangst dichtete sie oft die herrlichsten Sachen , aber mitten im Schreiben fiel es ihr ein , wie doch das alles eigentlich nicht wahr sei -- wenn sie betete , kreuzten ihr häufig unkeusche Gedanken durch den Sinn , daß sie erschrocken aufsprang .
Ein alter frommer Geistlicher vom Dorfe besuchte die schöne Büßerin fleißig .
Sie erstaunte , wie der Mann so eigentlich ohne alle Bildung und doch so hochgebildet war .
Er sprach ihr oft Stundenlang von den tiefsinnigsten Wahrheiten seiner Religion und war dabei immer so herzlich heiter , ja , oft voll lustiger Schwänke , während Sie dabei jedesmal in eine peinliche , gedankenvolle Traurigkeit versank .
Er fand manchmal geistliche Lieder und Legenden bei ihr , die sie so eben gedichtet .
Nichts glich dann seiner Freude darüber ; er nannte sie sein liebes Lämmchen , las die Lieder viermal sehr aufmerksam und legte sie in sein Gebetbuch .
Mein Gott ! sagte da Romana , in Gedanken verloren , oft zu sich selbst , wie ist der gute Mann doch unschuldig ! --
In dieser Zeit schrieb sie , weniger aus Freundschaft als aus Laune und Bedürfnis sich auszusprechen , mehrere Briefe an die Schmachtende in der Residenz , im tiefsten Jammer ihrer Seele verfaßt .
Sie erstaunte über sich selbst , wie moralisch sie zu schreiben wußte , wie ganz klar ihr ihr Zustand vor Augen lag , und sie es doch nicht ändern konnte .
Die Schmachtende konnte sich nicht enthalten , diese interessanten Briefe ihrem Abendzirkel mitzuteilen .
Man nahm dieselben dort für Grundrisse zu einem Romane , und bewunderte die feine Anlage und den Geist der Gräfin .
Romana hielt es endlich nicht länger aus , sie mußte ihren hohen Feind und Freund , den Grafen Friedrich , wiedersehen .
Kaum hatte sie sich diesen Wunsch einmal erlaubt , als sie auch schon auf dem Pferde saß und der Residenz zuflog .
Dies war damals , als sie Friedrich an dem warmen Märzfeste so wild die Menge teilend vorüberreiten sah .
Als sie nun ihren Geliebten wieder vor sich sah , noch immer unverändert ruhig und streng wie vorher , während eine ganz neue Welt in ihr auf- und untergegangen war , da schien es ihr unmöglich , seine Tugend und Größe zu erreichen .
Die beiden vor ihr Leben gespannten , unbändigen Rosse , das schwarze und das weiße , gingen bei dem Anblick von neuem durch mit ihr , alle ihre schönen Pläne lagen unter den heißen Rädern des Wagens zerschlagen , sie ließ die Zügel schießen und gab sich selber auf .
Friedrich war indes noch mehrere Tage lang mit Leontin in dem Gebirge herumgestrichen , um Erwin wiederzufinden .
Aber alle Nachforschungen blieben vergebens .
Es blieb ihm nichts übrig , als auf immer Abschied zu nehmen von dem lieben Wesen , dessen wunderbare Nähe ihm durch die lange Gewohnheit fast unentbehrlich geworden war .
Rüstig und neugestärkt durch die kühle Waldund Bergluft , die wieder einmal sein ganzes Leben angeweht , kehrte er in die Residenz zurück und ging freudiger als jemals wieder an seine Studien , Hoffnungen und Pläne .
Aber wie vieles hatte sich gar bald verändert .
Die braven Gesellen , welche der Winter tüchtig zusammengehalten , zerstreute und erschlaffte die warme Jahrszeit .
Der eine hatte eine schöne reiche Braut gefunden und rechnete die gemeinsame Not seiner Zeit gegen sein eigenes einzelnes Glück zufrieden ab , seine Rolle war ausgespielt .
Andere fingen an auf öffentlichen Promenaden zu paradieren , zu spielen und zu liebeln und wurden nach und nach kalt und beinahe ganz Geistlos .
Mehrere rief der Sommer in ihre Heimat zurück .
Aller Ernst war verwittert , und Friedrich stand fast allein .
Mehr jedoch als diese Treulosigkeit Einzelner , auf die er doch nie gebaut , kränkte ihn die allgemeine Willenlosigkeit , von der er sich immer deutlicher überzeugen mußte .
So bemerkte er , unter vielen anderen Zeichen der Zeit , oft an Einem Abend und in Einer Gesellschaft zwei Arten von Religionsnarren .
Die einen prahlten da , daß sie das ganze Jahr nicht in die Kirche gingen , verspotteten freygeisterisch alles Heilige und hingen auf alle Weise , die , Gott sei Dank , bereits abgenutzte und schäbige Paradedecke der Aufklärung aus .
Aber es war nicht wahr , denn sie schlichen heimlich vor Tagesanbruch , wenn der Küster aufschloß , zum Hinterpförtchen in die Kirchen hinein und beteten fleißig .
Die anderen fielen dagegen gar weidlich über diese her , verfochten die Religion und begeisterten sich durch ihre eigenen schönen Redensarten .
Aber es war auch nicht wahr , denn sie gingen in keine Kirche und glaubten heimlich selber nicht , was sie sagten .
Das war es , was Friedrich'n empörte , die überhandnehmen de Desorganisation gerade unter den Besseren , daß niemand mehr wußte , wo er ist , die landesübliche Abgötterei unmoralischer Exaltation , die eine allgemeine Auflösung nach sich führen mußte .
Um diese Zeit erhielt Friedrich nach so vielen Monaten unerwartet einen Brief von dem Gute des Herrn v. A .
An den langen Drudenfüßen sowohl , als an dem fast komisch falsch gesetzten Titel erkannte er sogleich den halbvergessenen Viktor .
Er erbrach schnell und voll Freude das Siegel .
Der Brief war folgenden Inhalts :
" Es wird uns alle sehr freuen , wenn wir hören , daß Sie und der Herr Graf Leontin sich wohl befinden , wir sind hier alle , Gott sei Dank , gesund .
Als Sie beide weggereist sind , war es hier so still , als wenn ein Kriegslager aufgebrochen wäre und die Felder nun einsam und verlassen stünden , im ganzen Schlosse sieht_es aus , wie in einer alten Rumpelkammer .
Ich mußte Anfangs an den langen Abenden auf dem Schlosse aus dem Abraham a St. Klara vorlesen .
Aber es ging gar nicht recht .
Der Herr v. A. sagte :
Ja , wenn der Leontin dabei wäre !
Die gnädige Frau sagte :
es wäre doch alles gar zu dummes Gewäsch durcheinander , und Fräulein Julie dachte Gott weiß an was , und paßte gar nicht auf .
Es ist gar nichts mehr auf der Welt anzufangen .
Ich kann das verdammte traurige Wesen nicht leiden !
Ich bin daher schon über einen Monat weder auf's Schloß noch sonst wohin ausgekommen .
Sie sind doch recht glücklich !
Sie sehen immer neue Gegenden und neue Menschen .
Ich weiß die vier Wände in meiner Kammer schon auswendig .
Ich habe meine zwei kleinen Fenster mit Stroh verhangen , denn der Wind bläst schon infam kalt durch die Löcher herein , auch alle meine Wanduhren habe ich ablaufen lassen , denn daß ewige Picken möchte einen toll machen , wenn man so allein ist .
Ich denke mir dann gar oft , wie Sie jetzt auf einem Balle mit schönen , vornehmen Damen tanzen oder weit von hier am Rheine fahren und reiten , und rauche Tabak , daß das Licht auf dem Tische oft auslischt .
Gestern hat es zum erstenmal den ganzen Tag wie aus einem Sacke geschneit .
Das ist meine größte Lust .
Ich ging noch spät Abends , in Mantel gehüllt , auf den Berg hinaus , wo wir immer Nachmittags im Sommer zusammen gelegen haben .
Das Rauchtal und die ganze schöne Gegend war verschneit und sah kurios aus .
Es schneite immerfort tapfer zu .
Ich tanzte , um mich zu erwärmen , über eine Stunde in dem Schneegestöber herum . "
" Dies habe ich schon vor einigen Monaten geschrieben .
Gleich nach jener Nacht , da ich draußen getanzt , verfiel ich in eine langwierige Krankheit .
Alle Leute fürchteten sich vor mir , weil es ein hitziges Fieber war , und ich hatte wie ein Hund umkommen müssen ; aber Fräulein Julie besuchte mich alle Tage und sorgte für Medizin und alles , wofür sie Gott belohnen wird .
Ich wußte nichts von mir .
Sie sagt mir aber , ich hätte immerfort von Ihnen beiden phantasiert und oft auch gar in Reimen gesprochen .
Ich muß mir , das Zeug durch die Erkältung zugezogen haben . --
Jetzt bin ich , Gott sei Dank , wieder hergestellt und mache wieder fleißig Uhren . --
Neues weiß ich weiter nichte , als daß seit mehreren Wochen ein fremder Kavalier , der in der Nachbarschaft große Herrschaften gekauft , zu uns auf das Schloß kommt .
Er soll viele Sprachen kennen und , sehr gelehrt und bereist sein und will unser Fräulein Julie haben .
Die gnädige Frau möchte es gern sehen , aber dem Fräulein gefällt er gar nicht .
Wenn sie Nachmittags oben im Garten beim Lusthause sitzt und ihn von weitem unten um die Ecke heran reiten sieht , klettert sie geschwinde über den Gartenzaun und kommt zu mir .
Was will ich tun ?
Ich muß sie in meiner Kammer einsperren und gehe unterdes spazieren .
Neulich , als ich schon ziemlich spät wieder zurückkam und meine Türe aufschloß , fand ich sie ganz blaß und am ganzen Leibe zitternd .
Sie war noch völlig atemlos vor Schreck und fragte mich schnell , ob ich Ihn nicht gesehen ?
Dann erzählte sie mir :
Als es angefangen finster zu werden , habe sie auf meinem Bett in Gedanken gesessen , da habe auf einmal etwas an das Fenster geklopft .
Sie hätte den Atem eingehalten und unbeweglich gesessen , da wäre plötzlich das Fenster aufgegangen und Ihr leibhaftiger Page , der Erwin , habe mit totenblassem Gesicht und verwirrten Haaren in die Stube hineingeguckt .
Als er sich überall umgesehen , und sie auf dem Bette erblickt , habe er ihr mit dem Finger gedroht und sei wieder verschwunden .
Ich sagte ihr , sie sollte sich solches dummes Zeug nicht in den Kopf setzen .
Sie aber hat es sich sehr zu Herzen genommen , und ist seitdem etwas traurig .
Die Tante soll nichts davon wissen .
Was gibt es denn mit dem guten Jungen , ist er nicht mehr bei Ihnen ? --
So eben wie ich dies schreibe , sieht Fräulein Julie drüben über 'n Gartenzaun .
-- Wie ich sagte , daß ich an Sie schriebe , kam sie schnell aus dem Garten zu mir herüber und ich mußte ihr eine Feder schneiden ; sie wollte selber etwas dazuschreiben .
Dann wollte sie wieder nicht und lief davon .
Sie sagte mir , ich soll Sie von ihr grüßen und bitten , Sie möchten auch den Herrn Grafen Leontin von ihr grüßen , wenn er bei Ihnen wäre .
Kommen Sie beide doch bald wieder einmal zu uns !
Es ist jetzt wieder sehr schön im Garten und auf den Feldern .
Ich gehe wieder , wie damals , alle Morgen vor Tagesanbruch auf den Berg , wo Sie und Leontin mich immer auf meinem Sitze besucht haben .
Die Sonne geht gerade in der Gegend auf , wo Sie mir immer an den schwülen Nachmittagen beschrieben haben , daß die Residenz liegt und der Rhein geht .
Ich rufe dann mein Hurra und werfe meinen Hut und Pfeife hoch in die Luft . " P. S.
Die niedliche Braut , auf die Sie sich vielleicht noch von dem Tanze auf dem Jagdschlosse erinnern , besucht uns jetzt oft und empfiehlt sich .
Sie leben recht gut in ihrer Wildnis , sie hat schon ein Kind und ist noch schöner geworden und sehr lustig .
Adieu ! "
Friedrich legte das Papier stillschweigend zusammen .
Ihn befiel eine unbeschreibliche Wehmut bei der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten .
Er dachte sich , wie sie alle dort noch immer wie damals , seit hundert Jahren und immerfort , zwischen ihren Bergen und Wäldern friedlich wohnen , im ewiggleichen Wechsel einförmiger Tage frisch und arbeitsam Gott loben und glücklich sind und nichts wissen von der anderen Welt , die seitdem mit tausend Freuden und Schmerzen durch seine Seele gegangen .
Warum konnte er , und , wie er wohl bemerkte , auch Viktor nicht eben so glücklich und ruhig sein ? --
Dabei hatte ihn die Nachricht von Erwins unerklärlicher , flüchtiger Erscheinung heftig bewegt .
Er ging sogleich mit dem Briefe zu Leontin .
Aber er fand weder ihn noch Fabern zu Hause .
Er sah durch das offene Fenster , der reine Himmel lag blau und unbegrenzt über den fernen Dächern und Kuppeln bis in die neblige Weite .
Er konnte es nicht aushalten ; er nahm Hut und Stock und wanderte durch die Vorstädte ins Freie hinaus .
Unzählige Lerchen schwirrten hoch in der warmen Luft , die neugeschmückte Frühlingsbühne sah ihn wie eine alte Geliebte an , als wollte ihn alles fragen : Wo bist du so lange gewesen ?
Hast du uns vergessen ? --
Ihm war so wohl zum Weinen .
Da blies neben ihm ein Postillon lustig auf dem Horne .
Eine schöne Reisekutsche mit einem Herrn und einem jungen Frauenzimmer fuhr schnell an ihm vorüber .
Das Frauenzimmer sah lachend aus dem Wagen nach ihm zurück .
Er täuschte sich nicht , es war Marie .
Verwundert sah Friedrich dem Wagen nach , bis er weit in der heiteren Luft verschwunden war .
Die Straße ging nach Italien hinunter .
Da es sich zum Abend neigte , wandte er sich wieder heimwärts .
In den Vorstädten war überall ein sommerabendliches Leben und Weben , wie in den kleinen Landstädtchen .
Die Kinder spielten mit wirrendem Geschrei vor den Häusern , junge Bursche und Mädchen gingen spazieren , der Abend wehte von draußen fröhlich durch alle Gassen .
Da bemerkte Friedrich seitwärts eine alte abgelegene Kirche , die er sonst noch niemals gesehen hatte .
Er fand sie offen und ging hinein .
Es schauderte ihn , wie er aus der warmen , fröhlichbunten Wirrung so auf einmal in diese ewigstille Kühle hineintrat .
Es war alles leer und dunkel drinnen , nur die ewige Lampe brannte wie ein farbiger Stern in der Mitte vor dem Hochaltare ; die Abendsonne schimmerte durch die gemalten gotischen Fenster .
Er kniete in eine Bank hin .
Bald darauf bemerkte er in einem Winkel eine weibliche Gestalt , die vor einem Seitenaltare , im Gebet versunken , auf den Knien lag .
Sie erhob sich nach einer Weile und sah ihn an .
Da kam es ihm vor , als wäre es das Bürgermädchen , die unglückliche Geliebte des Prinzen .
Doch konnte er sich gar nicht recht in die Gestalt finden ; sie schien ihm weit größer und ganz verändert seitdem .
Sie war ganz weiß angezogen und sah sehr blaß und seltsam .
Sie schien weder erfreut noch verwundert über seinen Anblick , sondern ging , ohne ein Wort zu sprechen , tief in einen dunklen Seitengang hinein auf den Ausgang der Kirche zu .
Friedrich ging ihr nach , er wollte mit ihr sprechen .
Aber draußen fuhren und gingen die Menschen bunt durcheinander , und er hatte sie verloren .
Als er nach Hause kam , fand er den Prinzen bei sich , der , den Kopf in die Hand gestützt , am Fenster saß und ihn erwartete .
Mein hohes Mädchen ist tot ! rief er aufspringend , als Friedrich hereintrat .
Friedrich fuhr zusammen :
Wann ist sie gestorben ?
-- Vorgestern .
-- Friedrich stand in tiefen Gedanken und hörte kaum , wie der Prinz er zählte , was er von der alten Mutter der Verschiedenen gehört : wie das Mädchen anfangs nach der Ohnmacht in allen Kirchen herumgezogen und Gott inbrünstig gebeten , daß Er sie doch noch einmal glücklich in der Welt machen möchte .
-- Nach und nach aber fing sie an zu kränkeln und wurde melancholisch .
Sie sprach sehr zuversichtlich , daß sie bald sterben würde , und von einer großen Sünde , die sie abzubüßen hätte , und fragte die Mutter oft ängstlich , ob sie denn noch in den Himmel kommen könnte ?
Den Prinzen wollte sie noch immer nicht wiedersehen .
Die letzten Tage vor ihrem Tode wurde sie merklich besser und heiter .
Noch den letzten Tag kam sie sehr fröhlich nach Hause und sagte mit leuchtenden Augen , sie habe den Prinzen wiedergesehen ; er sei , ohne sie zu bemerken , an ihr vorbeigeritten .
Den Abend darauf starb sie . --
Der Prinz zog hierbei ein Papier heraus und las Friedrich'n ein Totenopfer vor , welches er heute in einer Reihe von Sonetten auf den Tod des Mädchens gedichtet hatte .
Die ersten Sonetten enthielten eine wunderfeine Beschreibung , wie der Prinz das Mädchen verführt .
Friedrich'n graute , wie schön sich da die Sünde ausnahm .
Das letzte Sonett schloß :
Einsiedler will ich sein und einsam stehen , Nicht klagen , weinen , sondern büßend beten , Du bitte für mich dort , daß ich besser werde !
Nur einmal , schönes Bild , laß Dich mir sehen , Nachts , wenn alle Bilder weit zurückgetreten , Und nimm mich mit Dir von der dunklen Erde ! "
Wie gefällt Ihnen das Gedicht ? --
Gehen Sie in jene Kirche , die dort so dunkel hersieht , sagte Friedrich erschüttert , und wenn der Teufel mit meinen gesunden Augen nicht sein Spiel treibt , so werden Sie Sie dort wiedersehen . --
Dort ist sie begraben , antwortete der Prinz und wurde blaß und immer blasser , als ihm Friedrich erzählte , was ihm begegnet .
Warum fürchten Sie sich ? sagte Friedrich hastig , denn ihm war , als sähe ihn das stille weiße Bild wie in der Kirche wieder an , wenn Sie den Mut hatten , das hinzuschreiben , warum erschrecken Sie , wenn es auf einmal Ernst wird und die Worte sich rühren und lebendig werden ?
Ich möchte nicht dichten , wenn es nur Spaß wäre , denn wo dürfen wir jetzt noch redlich und wahrhaft sein , wenn es nicht im Gedichte ist ?
Haben Sie den rechten Mut , besser zu werden , so gehe 'n Sie in die Kirche und bitten Sie Gott inbrünstig um seine Kraft und Gnade .
Ist aber das Beten und alle unsere schönen Gedanken um des Reimes Willen auf dem Papiere , so hole der Teufel auf ewig den Reim samt den Gedanken ! --
Hier fiel der Prinz Friedrich'n ungestüm um den Hals .
Ich bin durch und durch schlecht , rief er , Sie wissen gar nicht und niemand weiß es , wie schlecht ich bin !
Die Gräfin Romana hat mich zuerst verdorben vor langer Zeit , das verstorbene Mädchen habe ich sehr künstlich verführt , der damals in der Nacht zu Marie bei Ihnen vorbei schlich , schlich , das war ich , der auf jener Redoute -- hier hielt er inne . -- Betrügerisch , verbuhlt , falsch und erbärmlich bin ich ganz , fuhr er weiter fort .
Der Mäßigung , der Gerechtigkeit , der großen , schönen Entwürfe und was wir da zusammen beschlossen , geschrieben und besprochen , dem bin ich nicht gewachsen , sondern im Innersten voller Neid , daß ich es nicht bin .
Es war mir nie Ernst damit und mit nichts in der Welt . --
Ach , daß Gott sich meiner erbarme ! --
Hierbei zerriß er sein Gedicht in kleine Stückchen wie ein Kind , und weinte fast .
Friedrich , wie aus den Wolken gefallen , sprach kein einziges Wort der Liebe und Tröstung , sondern , die Brust voll Schmerzen und kalt wandte er sich zum offenen Fenster von dem gefallenen Fürsten , der nicht einmal ein Mann sein konnte .
Siebenzehnte Kapitel .
Rosa saß frühmorgens am Putztische und erzählte ihrem Kammermädchen folgenden Traum , den sie heute Nacht gehabt :
Ich stand zu Hause in meiner Heimat im Garten .
Der Garten war noch ganz so , wie er ehedem gewesen , ich erinnere mich wohl , mit allen den Alleen , Gängen und Figuren aus Buxbaum .
Ich selber war klein wie damals , 20 da ich als Kind in dem Garten gespielt .
Ich verwunderte mich sehr darüber , und mußte auch wieder lachen , wenn ich mich so ansah , und fürchtete mich vor den seltsamen Baumfiguren .
Dabei war es mir , als wäre mein vergangenes Leben , und , daß ich schon einmal groß gewesen , nur ein Traum .
Ich sang immerfort ein altes Lied , das ich damals als Kind alle Tage gesungen , und seitdem wieder vergessen habe .
Es ist doch seltsam , wie ich es in der Nacht ganz auswendig wußte !
Ich habe heute schon viel nachgesonnen , aber es fällt mir nicht wieder ein .
Meine Mutter lebte auch noch .
Sie stand seitwärts vom Garten an einem Teiche .
Ich rief ihr zu , Sie sollte herüberkommen .
Aber sie antwortete mir nicht , sondern stand still und unbeweglich , vom Kopf bis zu den Füßen in ein langes , weißes Tuch gehüllt .
Da trat auf einmal Graf Friedrich zu mir .
Es war mir , als sähe ich ihn zum erstenmal , und doch war er mir wie längst bekannt .
Wir waren wieder gute Freunde wie sonst -- ich habe ihn niemals so gut und freundlich gesehen .
Ein schöner Vogel saß mitten im Garten auf einer hohen Blume und sang , daß es mir durch die Seele ging , meinen Bruder sah ich unten über das glänzende Land reiten , er hatte die kleine Marie vor sich auf dein Roß , die eine Zimbel hoch in die Luft hielt , die Sonne schien prächtig .
Reisen wir nach Italien ! sagte da Friedrich zu mir . --
Ich folgte ihm gleich und wir gingen sehr schnell durch viele schöne Gegenden immer nebeneinander fort .
So oft ich mich rückwärts umsah , sah ich hinten nichts als ein grenzenloses Abendrot und in dem Abendrot meiner Mutter Bild , die unterdes sehr groß geworden war , in der Ferne wie eine Statue stehen , immerfort so still nach uns zugewendet , daß ich vor Grauen davon wegsehen mußte .
Es war unterdes Nacht geworden und ich sah vor uns unzählige Schlösser auf den Bergen brennen .
Jenseits wanderten in dem Scheine , der von den brennenden Schlössern kam , viele Leute mit Weib und Kindern wie Vertriebene , sie waren alle in seltsamer , uralter Tracht ; es kam mir vor , als sähe ich auch meinen Vater und meine Mutter unter ihnen , und mir war unbeschreiblich bange .
Wie wir so fortgiengen , schien es mir , als würde Friedrich selbst nach und nach immer größer und größer .
Er war still und seine Mienen veränderten sich seltsam , so daß ich mich vor ihm fürchtete .
Er hatte ein langes , blankes Schwert in der Hand , mit dem er vor uns her den Weg aushaute ; so oft er es schwang , warf es einen weitblitzenden Schein über den Himmel und über die Gegend unten .
Vor ihm ging sein langer Schatten , wie ein Riese , weit über alle Täler gestreckt .
Die Gegend wurde indes immer seltsamer und wilder , wir gingen zwischen himmelhohen , zackigen Gebirgen .
Wenn wir an einen Strom kamen , gingen wir auf unseren eigenen Schatten , wie auf einer Brücke , darüber .
Wir kamen so auf eine weite Heide , wo ungeheure Stei 20 * ne zerstreut umherlagen .
Mich befiel eine niegefühlte Angst , denn je mehr ich die zerstreuten Steine betrachtete , je mehr kamen sie mir wie eingeschlafene Männer vor .
Die Gegend lag unbeschreiblich hoch die Luft war kalt und scharf .
Da sagte Friedrich : Wir sind zu Hause !
Ich sah ihn erschrocken an und erkannte ihn nicht wieder , er war völlig geharnischt , wie ein Ritter .
Sonderbar !
es hing ein altes Ritterbild sonst in einem Zimmer unseres Schlosses , vor dem ich oft als Kind gestanden .
Ich hatte längst alle Züge davon vergessen , und gerade so sah jetzt Friedrich auf einmal aus . --
Ich fror entsetzlich .
Da ging die Sonne plötzlich auf und Friedrich nahm mich in beide Arme und preßte mich so fest an seine Brust , daß ich vor Schmerz mit einem lauten Schrei erwachte .
-- Glaubst du an Träume ? sagte Rosa nach einer Weile in Gedanken zu dem Kammermädchen .
Das Mädchen antwortete nicht .
Wo mag nun wohl Marie sein , die ärmste ? sagte Rosa unruhig wieder .
-- Dann stand sie auf und trat ans Fenster .
Es war ein Gartenhaus der Gräfin Romana , das sie bewohnte ; der Morgen blitzte unten über den kühlen Garten , weiterhin übersah man die Stadt mit ihren duftigen Kuppeln , die Luft war frisch und klar .
Da warf sie plötzlich alle Schminkbüchschen , die auf dem Fenster standen , heimlich hinaus und zwang sich , zu lächeln , als es das Mädchen bemerkte . -- Denselben Tag Abends erhielt sie einen Brief von Romana , die wieder seit einiger Zeit auf einem ihrer entferntesten Landgüter im Gebirge sich aufhielt .
Es war eine sehr dringende Einladung zu einer Gemsenjagd , die in wenigen Tagen dort gehalten werden sollte .
Der Brief bestand nur in einigen Zeilen und war auffallend verwirrt und seltsam geschrieben , selbst Züge schienen verändert und hatten etwas Fremdes und Verwildertes .
Ganz unten stand noch :
" Letzthin , als Du auf dem Balle beim Minister warst , war Friedrich unbemerkt auch dort und hat Dich gesehen . "
-- Rosa versank über dieser Stelle tief in Gedanken .
Sie erinnerte sich aller Umstände jenes Abends auf einmal sehr deutlich , wie sie Friedrich'n versprochen hatte , ihn zu Hause zu erwarten , und wie er seitdem nicht wieder bei ihr gewesen .
Ein Schmerz , wie sie ihn noch nie gefühlt , durchdrang ihre Seele .
Sie ging unruhig im Zimmer auf und ab .
Sie konnte es endlich nicht länger aushalten , sie wollte alle Mädchenscheu abwerfen , sie wollte Friedrich'n , auf welche Art es immer sei , noch heute sehe 'n und sprechen .
Sie war eben allein , draußen war es schon finster .
Mehrmals nahm sie ihren Mantel um , und legte ihn zaudernd wieder hin .
Endlich faßte sie ein Herz , schlich unbemerkt aus dem Hause und über die dunklen Gassen fort zu Friedrichs Wohnung .
Atemlos und mit klopfendem Herzen flog sie die Stiegen hinauf , um , so ganz sein und um alle Welt nichts fragend , an seine Brust zu fallen .
Aber das Unglück wollte , daß er eben nicht zu Hause war .
Da stand sie im Vorhaus und weinte bitterlich .
Mehrere Türen gingen indes im Hause auf und zu , Bediente eilten hin und her über die Gänge .
Sie konnte nicht länger weilen , ohne verraten zu werden .
Die Furcht , so allein und zu dieser Zeit auf der Gasse erkannt zu werden , trieb sie schnell durch die Gassen zurück , das Gesicht tief in den seidenen Mantel gehüllt .
Aber das Geschick war in seiner teuflischen Laune .
Als sie eben um eine Ecke bog , stand der Prinz plötzlich vor ihr .
Eine Laterne schien ihr gerade ins Gesicht , er hatte sie erkannt .
Ohne irgend ein Erstaunen zu äußeren , bot er ihr den Arm , um sie nach Hause zu begleiten .
Sie sagte nichts , sondern hing kraftlos und vernichtet vor Scham an seinem Arm .
Er wunderte sich nicht , er lächelte nicht , er fragte um nichts , sondern sprach artig von gewöhnlichen Dingen . --
Als sie an ihr Haus kamen , bat er sie scherzend um einen Kuß .
Sie willigte verwirrt ein , er umschlang sie heftig und küßte sie zum erstenmal .
Eine lange Gestalt stand indes unbemerkt gegenüber an der Mauer und kam plötzlich auf den Prinzen los .
Der Prinz , der sich nichts Gutes versah , sprang schnell in ein Nebenhaus und schloß die Türe hinter sich zu .
Es war Friedrich , den der Zufall eben hier vorbeigeführt hatte .
Sie hatten beide einander nicht erkannt .
Er saß noch die halbe Nacht dort auf der Schwelle des Hauses und lauerte auf den unbekannten Gast .
Die wildesten Gedanken , wie er sie sein Lebelang nicht gehabt , durchkreuzten seine Seele .
Aber der Prinz kam nicht wieder heraus . --
Rosa hatte von der ganzen letzten Begebenheit nichts mehr gesehen .
-- Der Prinz hatte sie überrascht .
Noch niemals war er ihr so bescheiden , so gut , so schön und liebenswürdig vorgekommen , und sein Kuß brannte die ganze Nacht verführerisch auf ihren schönen Lippen fort .
Es war ein herrlicher Morgen , als Friedrich und Leontin in den ewigen Zwinger der Alpen einritten , wohin auch sie von der Gräfin Romana zur Jagd geladen waren .
Als sie um die letzte Bergesecke herumkamen , fanden sie schon die Gesellschaft auf einer schönen Wiese zwischen grünen Bergen bunt und schallend zerstreut .
Einzelne Gruppen von Pferden und gekoppelten Hunden standen rings in der schönen Wildnis umher , im Hintergrunde erhob sich lustig ein farbiges Zelt .
Mitten auf der glänzenden Wiese stand die zauberische Romana in einer grünen Jagdkleidung , sehr geschmückt , fast phantastisch , wie eine Waldfee anzusehen .
Neben ihr auf ihre Achsel gelehnt stand Rosa in männlichen Jägerkleidern und versteckte ihr Gesicht an der Gräfin , da der Prinz eben zu ihr sprach , als sie Friedrich'n mit ihrem Bruder von der anderen Seite ankommen sah .
Von allen Seiten vom Gebirge herab bliesen die Jäger auf ihren Hörnern , als bewillkommten sie die beiden neuangekommenen Gäste .
Friedrich hatte Rosaen noch nie in dieser Verkleidung gesehen und betrachtete lange ernsthaft das wunderschöne Mädchen .
Romana kam auf die beiden los und empfing sie mit einer auffallenden Heftigkeit .
Nun entlud sich auch das Zelt auf einmal eines ganzen Haufens von Gästen und Leontin war in dem Gewirre gar bald in seine launigste Ausgelassenheit hineingeärgert , und spielte in kecken , barocken Worten , die ihm wie von den hellen Schneehäuptern der Alpen zuzufliegen schienen , mit diesem Jagdgesindel , das Ein einziger Auerochse verjagt hätte .
Auch hier war die innerliche Antipathie zwischen ihm und dem Prinzen bemerkbar .
Der Prinz wurde still und vermied ihn , wo er konnte , wie ein Feuer , das überall mit seinen Flammenspitzen nach ihm griff und ihn im Innersten versengte .
Nur Romana war heute auf keine Weise aus dem Felde zu schlagen , sie schien sich vielmehr an seiner eigenen Weise nur immer mehr zu berauschen .
Er konnte sich , wie immer , wenn er sie sah , nicht enthalten , mit zweideutigen Witzen und Wortspielen ihre innerste Natur herauszukitzeln , und sie hielt ihm heute tapfer Stich , so daß Rosa mehrmals rot wurde und endlich Fortgehen mußte .
Gott segne uns alle , sagte er zuletzt zu einem vornehmen Männlein , das eben sehr komisch bei ihm stand , daß wir heute dort oben an einem schmalen Felsenabhange nicht etwa einem von unseren Ahnherren begegnen , denn die verstehen keinen Spaß , und wir sind schwindlige Leute .
-- Hier wurde er durch das Jagdgeschrei unterbrochen , das nun plötzlich von allen Seiten losbrach .
Die Hörner forderten wie zum Kriege , die Hunde wurden losgelassen und alles griff nach den Gewehren .
Leontin war bei dem ersten Signal mitten in seiner Rede fortgesprungen , er war der erste unter dem Haufen der anführenden Jäger .
Mit einer schwindelerregenden Kühnheit sah man ihn sich , an die Sträucher haltend , geschickt von Fels zu Fels über die Abgründe immer höher hinaufschwingen ; er hatte bald alle Jäger weit unter sich und verschwand in der Wildnis .
Mehrere von der Gesellschaft schrien dabei ängstlich auf .
Romana sah ihm furchtlos mit unverwandten Blicken nach ; wie sind die Männer beneidenswert ! sagte sie , als er sich verloren hatte .
Die Gesellschaft hatte sich unterdes nach allen Richtungen hin zerstreut und die Jagd ging wie ein Krieg durch das Gebirge .
In tiefster Abgeschiedenheit , wo Bäche in hellen Bogen von den Höhen sprangen , sah man die Gämsen schwindlig von Spitze zu Spitze hüpfen , einsame Jäger dazwischen auf den Klippen erscheinen und wieder verschwinden , einzelne Schüsse fielen hin und her , das Hüfthorn verkündigte von Zeit zu Zeit den Tod eines jeden Tieres .
Da sah Friedrich auf einem einsamen Fleck nach mehreren Stunden seinen Leontin waghalsig auf der höchsten von allen den Felsenspitzen stehen , daß das Auge den Anblick kaum ertragen konnte .
Er erblickte Friedrich'n und rief zu ihm hinab :
Das Pack da unten ist mir unerträglich ; wie sie hinter mir drein quickerten , als ich vorher hinaufstieg !
Ich bleibe in den Bergen oben , lebe wohl , Bruder !
Hierauf wandte er sich wieder weiter und kam nicht mehr zum Vorschein .
Der Abend rückte heran , in den Tälern wurde es schon dunkel .
Die Jagd schien geendigt , nur einzelne kühne Schützen sah man noch hin und wieder an den Klippen hängen , von den letzten Widerscheinen der Abendsonne scharf beleuchtet .
Friedrich stand eben in höchster Einsamkeit an seine Flinte gelehnt , als er in einiger Entfernung im Walde singen hörte : Dämmerung will die Flügel spreiten , Schaurig rühren sich die Bäume , Wolken zieh 'n wie schwere Träume -- Was will dieses Graun bedeuten ?
Hast ein Reh Du , lieb vor anderen , Laß es nicht alleine grasen , Jäger zieh 'n im Wald und blasen , Stimmen hin und wieder wandern .
Hast Du einen Freund hienieden , Trau ihm nicht zu dieser Stunde , Freundlich wohl mit Auge und Munde , Sinnt er Krieg im tückschen Frieden .
Was heute müde geht unter , Hebt sich morgen neugeboren .
Manches bleibt in Nacht verloren -- Hüte Dich , bleibe wach und munter !
Es wurde wieder still .
Friedrich erschrak , denn es kam ihm nicht anders vor , als sei er selber mit dem Liede gemeint .
Die Stimme war ihm durchaus unbekannt .
Er eilte auf den Ort zu , woher der Gesang gekommen war , aber kein Laut ließ sich weiter vernehmen .
Als er eben so um eine Felsenecke bog , stand plötzlich Rosa in ihrer Jägertracht vor ihm .
Sie konnte der Sänger nicht gewesen sein , denn der Gesang hatte sich nach einer ganz anderen Richtung hin verloren .
Sie schien heftig erschrocken über den unerwarteten Anblick Friedrichs .
Hochroth im Gesicht , ängstlich und verwirrt , wandte sie sich schnell und sprang wie ein aufgescheuchtes Reh , ohne der Gefahr zu achten , von Klippe zu Klippe die Höhe hinab , bis sie sich unten im Walde verlor .
Friedrich sah ihr lange verwundert nach .
Später stieg auch er ins Tal hinab .
Dort fand er die Gesellschaft auf der schönen Wiese schon größtenteils versammelt .
Das Zelt in der Mitte derselben schien von den vielen Lichtern wie in farbigen Flammen zu stehen , eine Tafel mit Wein und allerhand Erfrischungen schimmerte lüsternlockend zwischen den buntgewirkten Teppichen hervor , Männer und Frauen waren in freien Scherzen ringsumher gelagert .
Die vielen wandelnden Windlichter der Jäger , deren Scheine an den Felsenwänden und dem Walde auf und nieder schweiften , gewährten einen zauberischen Anblick .
Mitten unter den Fröhlichgelagerten und den magi schen Lichtern ging Romana für sich allein , eine Gitarre im Arme , auf der Wiese auf und ab .
Friedrich glaubte eine auffallende Spannung in ihrem Gesichte und ganzem Wesen zu bemerken .
Sie sang :
In goldener Morgenstunde , Weil alles freudig stand , Da ritt im heiteren Grunde Ein Ritter über Land .
Rings sangen auf das Beste Die Vöglein mannigfaltig , Es schüttelte die Äste , Vor Lust der grüne Wald .
Den Nacken stolz gebogen , Klopft er dem Rößlein -- So ist er hingezogen Tief in den Wald hinein .
Sein Roß hat er getrieben , Ihn trieb der frische Mut :
" Ist alles fern geblieben , So ist mir wohl und gut ! "
Sie ging während dem Liede immerfort unruhig auf und ab und sah mehrmals seitwärts in den Wald hinein , als erwartete sie jemanden .
Auch sprach sie einmal heimlich mit einem Jäger , worauf dieser sogleich forteilte .
Friedrich glaubte manchmal eine plötzliche , aber eben so schnell wieder verschwindende Ähnlichkeit ihres Gesanges mit jener Stimme auf dem Berge zu bemerken , da sie wieder weiter sang :
Mit Freuden musste er sehen Im Wald ein ' grüne Au , Wo Brünnlein kühle gehen , Von Blumen rot und blau .
Vom Roß ist er gesprungen , Legt sich zum kühlen Bach , Die Wellen lieblich klangen , Das ganze Herz zog nach .
So grüne war der Rasen , Es rauschte Bach und Baum , Sein Roß täte stille grasen Und alles wie ein Traum .
Die Wolken sah er gehen , Die schifften immerzu , Er konnte ' nicht widerstehen , -- Die Augen sank 'n ihm zu .
Nun hörte er Stimmen rinnen , Als wie der Liebsten Gruß , Er konnte ' sich nicht besinnen --
Bis ihn erweckt ein Kuß .
Wie prächtig glänzt die Aue !
Wie Gold der Quell nun floß , Und einer süßen Frau , Lag er im weichen Schoß .
" Herr Ritter ! wollt Ihr wohnen Bei mir im grünen Haus :
Aus allen Blumenkronen Wind ich Euch einen Strauß !
Der Wald ringsum wird wachen , Wie wir beisammen sein , Der Kuckuck schelmisch lachen , Und alles fröhlich sein . "
Es bog ihr Angesichte Auf ihn den süßen Leib , Schaut mit den Augen lichte Das wunderschöne Weib .
Sie nahm seinen Helm herunter , Löst Krause ihm und Bund , Spielte mit den Locken munter , Küßt ihm den roten Mund .
Und spielte viel süße Spiele Wohl in geheimer Lust , Es flog so kühl und schwüle Ihm um die offene Brust .
Friedrichs Jäger trat hier eiligst zu seinem Herrn und zog ihn abseits in den Wald , wo er sehr bewegt mit ihm zu sprechen schien .
Romana hatte es bemerkt .
Sie verwandte gespannt kein Auge von Friedrich und folgte ihm in einiger Entfernung langsam in den Wald nach , während sie dabei weiter sang :
Um ihn nun täte sie schlagen Die Arme weich und bloß , Er konnte nichts mehr sagen , Sie ließ ihn nicht mehr los .
Und diese Au zur Stunde Wurde ein kristallenes Schloß , Der Bach : ein Strom gewunden Ringsum gewaltig floß .
Auf diesem Strome gingen Viel Schiffe wohl vorbei , Es konnte ihn keines bringen Aus böser Zauberei .
Sie hatte kaum noch die letzten Worte ausgesungen , als Friedrich plötzlich auf sie zukam , daß sie innerlichst zusammenfuhr .
Wo ist Rosa ? fragte er rasch und streng .
Ich weiß es nicht , antwortete Romana schnell wieder gefaßt , und suchte mit erzwungener Gleichgültigkeit auf ihrer Gitarre die alte Melodie wiederzufinden .
Friedrich wiederholte die Frage noch einmal dringender .
Da hielt sie sich nicht länger .
Als wäre ihr innerstes Wesen auf einmal losgebunden , brach sie schnell und mit fast schreckhaften Mienen aus : Du kennst mich noch nicht und jene unbezwingliche Gewalt der Liebe , die wie ein Feuer alles verzehrt , um sich an dem freien Spiel der eigenen Flammen zu weiden und selber zu verzehren , wo Lust und Entsetzen in wildem Wahnsinn einander berühren .
Auch die grünblitzenden Augen des buntschillernden , blutleckenden Drachen im Liebeszauber sind keine Fabel , ich kenne sie wohl und sie machen mich noch rasend .
O , hätte ich Helm und Schwert wie Armida ! --
Rosa kann mich nicht hindern , denn ihre Schönheit ist blöde und Dein nicht wert .
Ja , gegen Dich selber will ich um Dich kämpfen .
Ich liebe Dich unaussprechlich , bleibe bei mir , wie ich nicht mehr von Dir fort kann ! -
Sie hatte ihn bei den letzten Worten fest umschlungen .
Friedrich fuhr auf einmal aus tiefen Gedanken auf , streifte schnell die blanken Arme von sich ab , und eilte , ohne ein Wort zu sagen , tief in den Wald , wo er sein Pferd bestieg , mit dem ihn der Jäger schon erwartete , und fort hinaussprengte .
Romana war auf den Boden niedergesunken , das Gesicht mit beiden Händen verdeckt .
Das fröhliche Lachen , Singen und Gläserklirren von der Wiese her schallte ihr wie ein höllisches Hohngelächter .
Rosa war , als sich Tag und Jagd zu Ende neigten , von Romana und aller Begleitung , wie durch Zufall , verlassen worden .
Der Prinz hatte sie den ganzen Tag über beobachtet , war ihr überall im Grünen begegnet und wieder verschwunden .
Sie hatte sich endlich halbzögernd entschlossen , ihn zu fliehen und höher ins Gebirge hinaufzusteigen .
Sein blühendes Bild heimlich im Herzen , das die Waldhornsklänge immer wieder von neuem weckten , unschlüssig , träumend und halbverirrt , zuletzt noch von dem Liede des Unbekannten , das auch sie hörte , seltsam getroffen und verwirrt , so war sie damals bis zu dem Fleck hinaufgekommen , wo sie so auf einmal einmal Friedrich'n vor sich sah .
Der Ort lag sehr hoch und wie von aller Welt geschieden , sie dachte an ihren neulichen Traum und eine unbeschreibliche Furcht befiel sie vor dem Grafen , die sie schnell von dem Berge herabtrieb .
Unten , fern von der Jagd , saß der Prinz auf einem ungeheuren Baume .
Da hörte er das Geräusch hinter sich durch das Dickicht brechen .
Er sprang auf und Rosa fiel atemlos in seine ausgespreiteten Arme .
Ihr gestörtes Verhältnis zu Friedrich , das Lied oben und tausend alte Erinnerungen , die in der grünen Einsamkeit wieder wach geworden , hatten das reizende Mädchen heftig bewegt .
Ihr Schmerz machte sich hier endlich in einem Strom von Tränen Luft .
Ich Herz war zu voll , sie konnte nicht schweigen .
Sie erzählte dem Prinzen alles aus tiefster , gerührter Seele .
Es ist gefährlich für ein junges Mädchen , einen schönen Vertrauten zu haben .
Der Prinz setzte sich neben ihr auf den Rasen hin .
Sie ließ sich willig von ihm in den Arm nehmen und lehnte ihr Gesicht müde an seine Brust .
Die Abendscheine spielten schon zuckend durch die Wipfel , unzählige Vögel sangen von allen Seiten , die Waldhörner klangen wollüstig durch den warmen Abend aus der Ferne herüber .
Der Prinz hatte ihre langen Haare , die aufgegangen waren , um seinen Arm gewickelt und sprach in einem_Fort so wunderliebliche , zauberische Worte , gleich sanfter Quellen Rauschen 21 kühlelockend und Sinnenverwirrend , wie Töne alter Lieder aus der Ferne verführend herüberspielen .
Rosa bemerkte endlich mit Schrecken , daß es indes schon finster geworden war , und drang ängstlich in den Prinzen , sie zu der Gesellschaft zurückzuführen .
Der Prinz sprang sogleich seitwärts in den Wald und brachte zu ihrem Erstaunen zwei gesattelte Pferde mit hervor .
Er hob sie schnell auf das eine hinauf , und sie ritten nun , so geschwind als es die Dunkelheit zuließ , durch den Wald fort .
Sie waren schon weit auf verschiedenen sich durchkreuzenden Wegen fortgetrabt , aber die Wiese mit dem Zelte wollte noch immer nicht erscheinen .
Die Waldhornsklänge , die sie vorher gehört hatten , waren schon lange verstummt , der Mond trat schon zwischen den Wolken hervor .
Rosa wurde immer ängstlicher , aber der Prinz wußte sie jedesmal wieder zu beruhigen .
Endlich hörten sie die Hörner von neuem aus der Ferne vor sich .
Sie verdoppelten ihre Eile , die Klänge kamen immer näher .
Doch wie groß war Rosa's Schreck , als sie auf einmal aus dem Walde herauskam , und ein ganz fremdes , unbekanntes Schloß vor sich auf dem Berge liegen sah .
Entrüstet wollte sie umkehren und machte dem Prinzen weinend die bittersten Vorwürfe .
Nun legte der Prinz die Maske ab .
Er entschuldigte seine Kühnheit mit der unwiderstehlichen Gewalt seiner lange heimlich genährten Sehnsucht , umschlang und küßte die Weinende und beschwor alle Teufel seiner Liebe herauf .
Die Hörner klangen lockend immerfort , und zitternd , halb gezwungen und halb verführt , folgte sie ihm endlich den Berg hinauf .
Es war ein abgelegenes Jagdschloß des Prinzen .
Nur wenige verschwiegene Diener hatten dort alles zu ihrem Empfange bereitet .
Friedrich ritt indes zwischen den Bergen fort .
Sein Jäger , der gegen Abend weit von der Jagd abgekommen war , hatte zufällig Rosa mit dem Prinzen auf ihrer Flucht durch den Wald fortjagen gesehen , und war sogleich zu seinem Herrn zurückgeeilt , um ihm diese Entdeckung mitzuteilen .
Dies war es , was Friedrich'n so schnell auf sein Pferd getrieben hatte .
Als er eben nach manchem Umwege an die letzten Felsen kam , welche die Wiese umschlossen , erblickte er plötzlich seitwärts im Walde eine weiße Figur , die , eine Flinte im Arm , gerade auf seine Brust zielte .
Ein flüchtiger Mondesblick beleuchtete die unbewegliche Gestalt und Friedrich glaubte mit Entsetzen Romana zu erkennen .
Sie ließ erschrocken die Flinte sinken , als er sich nach ihr umwandte , und war im Augenblicke im Walde verschwunden .
Ein seltsames Graun befiel dabei den Grafen .
Er setzte die Sporen ein , bis er das ganze furchtbare Jagdrevier weit hinter sich hatte .
21 * Unermüdet durchstreifte er nun den Wald nach allen Richtungen , denn jede Minute schien ihm kostbar , um der Ausführung dieser Verräterei zuvorzukommen .
Aber kein Laut und kein Licht rührte sich weit und breit .
So ritt er ohne Bahn fort und immerfort , und der Wald und die Nacht nahmen kein Ende .
Drittes Buch .
Achtzehntes Kapitel .
Wir finden Friedrich'n fern von dem wirrenden Leben , das ihn gereizt und betrogen , in der tiefsten Einsamkeit eines Gebirges wieder .
Ein unaufhörlicher Regen war lange wie eine Sundflut herabgestürzt , die Wälder wogten wie Ährenfelder im feuchten Sturme .
Als er endlich eines Abends auf die letzte Ringmauer von Deutschland kam , wo man nach Welschland hinuntersieht , fing das Wetter auf einmal an sich aufzuklären und die Sonne brach warm durch den Qualm .
Die Bäume tröpfelten in tausend Farben blitzend , unzählige Vögel begannen zu singen , das liebreizende , vielgepriesene Land unten schlug die Schleier zurück und blickte ihm wie eine Geliebte ins Herz .
Da er eben in die weite Tiefe zu den aufgehenden Gärten hinablenken wollte , sah er auf einer der Klippen einen jungen , schlanken Gemsenjäger keck und trotzig ihm gegenüber stehe 'n und seinen Stutz auf ihn anlegen .
Er wandte schnell um und ritt auf den Jäger los .
Das schien diesem zu gefallen , er kam schnell zu Friedrich'n herabgesprungen und sah ihn von Kopf bis Fuß groß an , während er dem Pferde desselben , das ungeduldig stampfte , mit vieler Freude den gebogenen Hals streichelte .
Wer gibt Dir das Recht Reisende aufzuhalten ? fuhr ihn Friedrich an .
Du sprichst ja deutsch , sagte der Jäger ihn ruhig auslachend , du könntest jetzt auch was besseres tun als reisen !
Komme nur mit mir !
Friedrich'n erfrischte recht das kecke , freie Wesen , daß feine Gesicht voll Ehre , die gelenke , tapfere Gestalt ; er hatte nie einen schöneren Jäger gesehen .
Er zweifelte nicht , daß er einer von jenen sei , um derentwillen er schon seit mehreren Tagen das verlassene Gebirge vergebens durchschweift hatte , und trug daher keinen Augenblick Bedenken , dem Abenteuer zu folgen .
Der Jäger ging singend voraus , Friedrich ritt in einiger Entfernung nach .
So zogen sie immer tiefer in das Gebirge hinein .
Die Sonne war lange untergegangen , der Mond schien hell über die Wälder .
Als sie ungefähr eine halbe Stunde so gewandert waren , blieb der Jäger in einiger Entfernung plötzlich stehen , nahm sein Hüfthorn und stieß dreimal darein .
Sogleich gaben unzählige Hörner nacheinander weit in das Gebirge hinein Antwort .
Friedrich stutzte und wurde einen Augenblick an dem ehrlichen Gesichte irre .
Er hielt sein Pferd an , zog sein Pistole heraus und hielt es , gefaßt gegen alles , was daraus werden dürfte , auf seinen Führer .
Der Jäger bemerkte es .
Lauter Landsleute ! rief er lachend , und schritt ruhig weiter .
Aller Argwohn war verschwunden , und Friedrich ritt wieder nach .
So kamen sie endlich schon bei finsterer Nacht auf einem hochgelegenen , freien Platze an .
Ein Kreis bärtiger Schützen war dort um ein Wachtfeuer gelagert , grüne Reiser auf den Hüten und ihre Gewehre neben sich auf dem Boden .
Friedrichs Führer war schon voraus mitten unter ihnen und hatte den Fremden angemeldet .
Mehrere von den Schützen sprangen sogleich auf , umringten Friedrich'n bei seiner Ankunft und fragten ihn um Neuigkeiten aus dem flachen Lande .
Friedrich wußte sie wenig zu befriedigen , aber seine Freude war unbeschreiblich , sich endlich am Ziele seiner Irrfarth zu sehen .
Denn dieser Trupp war , wie er gleich beim ersten Anblick vermutet , wirklich eine Partei des Landsturmes , den das Gebirgsvolk bei dem unlängst ausgebrochenen Kriege gebildet hatte .
Die Flamme warf einen seltsamen Schein über den soldatischen Kreis von Gestalten , die ringsumher lagen .
Die Nacht war still und sternhell .
Einer von den Jägern , die draußen auf den Felsen auf der Lauer lagen , kam und meldete , wie in dem Tale nach Deutschland zu ein großes Feuer zu sehen sei .
Alles richtete sich auf und lief weiter an den Bergesrand .
Man sah unten die Flammen aus der stillen Nacht sich erheben , und konnte ungeachtet der Entfernung die stürzenden Gebälk der Häuser deutlich unterscheiden .
Die meisten kannten die Gegend , einige nannten sogar die Dörfer , welche brennen müßten .
Alle aber waren sehr verwundert über die unerwartete Nähe des Fein des , denn diesem schrieben sie den Brand zu .
Man erwartete mit Ungeduld die Zurückkunft eines Trupps , der schon gestern in die Täler auf Kundschaft ausgezogen war .
Einige Stunden nach Mitternacht ungefähr hörte man in einiger Entfernung im Walde von mehreren Wachen das Losungswort erschallen ; bald darauf erschienen einige Männer , die man sogleich für die auf Kundschaft ausgeschickten erkannte und begrüßte .
Sie hatten einen jungen fremden Mann bei sich , der aber über der üblen Zeitung , welche die Kundschafter mitbrachten , anfangs von allen übersehen wurde .
Sie sagten nämlich aus :
Eine ansehnliche feindliche Abteilung habe ihre heimlichen Schlupfwinkel entdeckt und sie durch einen rastlosen mühsamen Marsch umgangen .
Der Feind stehe nun auf dem Gebirge selbst mitten zwischen ihren einzelnen auf den Höhen zerstreuten Haufen , um sie mit Tagesanbruch so einzeln aufzureiben .
-- Ein allgemeines Gelächter erscholl bei den letzten Worten im ganzen Trupp .
Wir wollen sehe 'n , wer härter ist , sagte einer von den Jägern , unsere Steine oder ihre Köpfe !
Die Jüngsten warfen ihre Hüte in die Luft , alles freute sich , daß es endlich zum Schlagen kommen sollte .
Man beratschlagte nun eifrig , was unter diesen Umständen das Klügste sei .
Zum überlegen war indes nicht lange Zeit , es mußte für den immer mehr herannahenden Morgen ein rascher Entschluß gefaßt werden .
Friedrich , der allen wohlbe hakte , gab den Rat : sie sollten sich heimlich auf Umwegen neben den feindlichen Posten hin vor Tagesanbruch mit allen den anderen zerstreuten Haufen auf Einem festen Fleck zu vereinigen suchen .
Dies wurde einmütig angenommen und der älteste unter ihnen teilte hiermit alsogleich den ganzen Haufen in viele kleine Truppe und gab jedem einen jungen , rüstigen Führer zu , der alle Stege des Gebirges am besten kannte , lieber die einsamsten und gefährlichsten Felsenpfade wollten sie heimlich mitten durch ihre Feinde gehen , alle ihre anderen Haufen , auf die sie unterwegs stoßen mußten , an sich zieh 'n und auf dem höchsten Gipfel , wo sie wußten , daß ihr Hauptstamm sich befände , wieder zusammenkommen , um sich bei Anbruch des Tages von dort mit der Sonne auf den Feind zu stürzen .
Das Unternehmen war gefährlich und gewagt , doch nahmen sie sehr vergnügt Abschied von einander .
Friedrich hatte sich auch ein grünes Reis auf den Hut gesteckt und auf das beste bewaffnet .
Ihm war der junge Jäger , den er zuerst auf der Straße nach Italien getroffen , zum Führer bestimmt worden , zu seinen Begleitern hatte er noch zwei Schützen und den jungen Menschen , den die Kundschafter vorhin mitgebracht .
Dieser hatte die ganze Zeit über , ohne einigen Anteil an der Begebenheit verspüren zu lassen , seitwärts auf einem Baumsturz gesessen , den Kopf in beide Hände gestützt , als schliefe er .
Sie rüttelten ihn nun auf .
Wie erstaunte da Friedrich , als er sich aufrichtete , und er in ihm denselben Studenten wiedererkannte , den er damals auf der Wiese unter den herumziehenden Komödianten getroffen hatte , als er auf Romanas Schloß zum Besuche ritt .
Doch hatte er sich seitdem sehr verändert , er sah blaß aus , seine Kleidung war abgerissen , er schien ganz herunter .
Sie setzten sich sogleich in Marsch , und da es zum Gesetz gemacht worden war , den ganzen Weg nichts miteinander zu sprechen , so konnte Friedrich nicht erfahren , wie derselbe aufs Gebirge und in diesen Zustand geraten war .
Sie gingen nun zwischen Wäldern , Felsenwänden und unabsehbaren Abgründen immerfort ; der ganze Kreis der Berge lag still , nur die Wälder rauschten von unten herauf , ein scharfer Wind ging auf der Höhe .
Der Gemsenjäger schritt frisch voran , sie sprachen kein Wort .
Als sie einige Zeit so fortgezogen waren , hörten sie plötzlich über sich mehrere Stimmen in ausländischer Sprache .
Sie blieben stehen und drückten sich alle hart an die Felsenwand an .
Die Stimmen kamen auf sie los und schienen auf einmal dicht bei ihnen ; dann lenkten sie wieder seitwärts und verloren sich schnell .
Dies bewog den Führer , einen anderen mehr talwärts führenden Umweg einzuschlagen , wo sie sicherer zu sein hofften .
Sie hatten aber kaum die untere Region erlangt , als ihnen ein Gewirre von Reden , Lachen und Singen durcheinander entgegenscholl .
Zum Umkehren war keine Zeit mehr , seitwärts von dem Platze , wo das Schallen sich verbreitet , führte nur ein einziger Steg über den Strom , der dort in das Tal hinauskam .
Als sie an den Bach kamen , sahen sie zwei feindliche Reiter auf dem Stege , die beschäftigt waren , Wasser zu schöpfen .
Sie streckten sich daher schnell unter die Sträucher auf den Boden nieder , um nicht bemerkt zu werden .
Da konnten sie zwischen den Zweigen hindurch die vom Monde hell beleuchtete Wiese übersehen .
Ringsum an dem Rande des Waldes stand dort ein Kreis von Pferden angebunden , eine Schar von Reitern war lustig über die Aue verbreitet .
Einige putzten singend ihre Gewehre , andere lagen auf dem Rasen und würfelten auf ihren ausgebreiteten Mänteln , mehrere Offiziere saßen vorn um ein Feldtischchen und tranken .
Der eine von ihnen hatte ein Mädchen auf dem Schoß , das ihn mit dem einen Arme umschlungen hielt .
Friedrich erschrak im Innersten , denn der Offizier war einer seiner Bekannten aus der Residenz , das Mädchen die verlorene Marie .
Es war einer von jenen leichten , halbbärtigen Brüdern , die im Winter zu seinem Kreise gehört , und bei anbrechendem Frühling Ernst , Ehrlichkeit und ihre gemeinschaftlichen Bestrebungen mit den Bällen und anderen Winterunterhaltungen vergaßen .
Ihn empörte dieses Elend ohne Treue und Gesinnung , wie er mit vornehmer Zufriedenheit seinen Schnauzbart strich und auf seinen Säbel schlug , gleichviel für was oder gegen wen er ihn zog .
Der Lauf seines Gewehres war zufällig gerade auf ihn gerichtet ; er hatte es in diesem Augenblicke auf ihn losgedrückt , wenn ihn nicht die Furcht , alle zu verraten , davon abgehalten hätte .
Der Offizier stand auf , hob sein Glas in die Höhe ' und fing an Schillers Reiterlied zu singen , die anderen stimmten mit vollen Kehlen ein .
Noch niemals hatte Friedrich'n das fürchterliche Lied so widerlich und höllischgurgelnd geklungen .
Ein anderer Offizier mit einem feuerroten Gesichte , in dem alle menschliche Bildung zerfetzt war , trat dazu , schlug mit dem Säbel auf den Tisch , daß die Gläser klirrten , und pfiff durchdringend den Deßauer Marsch drein .
Ein allgemeines wildes Gelächter belohnte seine Zote .
-- Unterdes hatten die beiden Reiter den Steg wieder verlassen .
Friedrich und seine Gesellen rafften sich daher schnell vom Boden auf und eilten über den Bach von der anderen Seite wieder ins Gebirge hinauf .
Je höher sie kamen , je stiller wurde es ringsumher .
Nach einer Stunde endlich wurden sie von den ersten Posten der Ihrigen angerufen .
Hier erfuhren sie auch , daß fast alle die übrigen Abteilungen , die sich teils durchgeschlichen , teils mit vielem Mute durchgeschlagen hatten , bereits oben angekommen wären .
Es war ein Freudenreicher Anblick , als sie bald darauf den weiten , freien Platz auf der letzten Höhe glücklich erreicht hatten .
Die ganze unübersehbare Schar saß dort an ihre Waffen gestützt auf den Zinnen ihrer ewigen Burg , die großen Augen gedankenvoll nach der Seite hingerichtet , wo die Sonne aufgeh 'n sollte .
Friedrich lagerte sich vorn auf einem Felsen , der in das Tal hinausragte .
Unten rings um den Horizont war bereits ein heller Morgenstreifen sichtbar , kühle Winde kamen als Vorboten des Morgens angeflogen .
Eine feierliche , erwartungsvolle Stille war über die Schar verbreitet , einzelne Wachen nur hörte man von Zeit zu Zeit weit über das Gebirge rufen .
Ein Jäger vorn auf dem Felsen begann folgendes Lied , in das immer zuletzt alle die anderen mit einfielen :
In stiller Bucht , bei finsterer Nacht , Schläft tief die Welt im Grunde , Die Berge rings stehe 'n auf der Wacht , Der Himmel macht die Runde , Geht um und um Ums Land herum Mit seinen goldenen Scharen Die Frommen zu bewahren .
Kommt nur heran mit Eurer List , Mit Leitern , Strick und Banden , Der Herr doch noch viel stärker ist , Macht Euren Witz zu Schanden .
Wie wart Ihr klug ! --
Nun schwindelt Trug Hinab vom Felsenrande -- Wie seid Ihr dumm ! o Schande !
Gleichwie die Stämme in dem Wald Wollen wir zusammenhalten , Ein ' feste Burg , Trutz der Gewalt , Verbleiben treu die alten .
Steige , Sonne , schön !
Wirf von den Höhen Nacht und die mit ihr kamen , Hinab in Gottes Namen !
Friedrich'n ärgerte es recht , daß der Student immerfort so traurig dabei saß .
Seine Komödiantin , wie er Friedrich'n hier endlich entdeckte , hatte ihn von neuem verlassen und diesmal auch alle seine Barschaft mitgenommen .
Arm und bloß , und zum Tode verliebt , war er nun dem aufrührerischen Gebirge zugeeilt , um im Kriege sein Ende zu finden .
Aber so seid nur nicht gar so talket ! sagte ein Jäger , der seine Erzählung mit angehört hatte .
Mein Schatz , sang ein anderer neben ihm : Mein Schatz , das ist ein kluges Kind , Die spricht :
" Willst du nicht fechten :
Wir zwei Geschiedene Leute sind , Erschlagen dich die Schlechten :
Auch keins von beiden dran gewinnt . "
Mein Schatz , das ist ein kluges Kind , Für die will ich lebe 'n und fechten !
Was ist das für eine Liebe , die so wehmütige , weichliche Tapferkeit erzeugt ? sagte Friedrich zum Studenten , denn ihm kam seine Melancholie in dieser Zeit , auf diesen Bergen und unter diesen Leuten unbeschreiblich albern vor .
Glaubt mir , das Sterben ist viel zu ernsthaft für einen sentimentalischen Spaß .
Wer den Tod fürchtet und wer ihn sucht , sind beides schlechte Soldaten , wer aber ein schlechter schlechter Soldat ist , der ist auch kein rechter Mann .
Sie wurden hier unterbrochen , denn so eben fielen von mehreren Seiten Schüsse tiefer unten im Walde .
Es war das verabredete Zeichen zum Aufbruch .
Sie wollten den Feind nicht erwarten , sondern ihn von dieser Seite , wo er es nicht vermutete , selber angreifen .
Alles sprang fröhlich auf und griff nach den herumliegenden Waffen .
In kurzer Zeit hatten sie den Feind im Angesicht .
Wie ein heller Strom brachen sie aus ihren Schluchten gegen den blinkenden Damm der feindlichen Glieder , die auf der halben Höhe des Berges steif gespreizt standen .
Die ersten Reihen waren bald gebrochen , und das Gefecht zerschlug sich in so viele einzelne Zweikämpfe , als es Ehrenfeste Herzen gab , die es auf Tod und Leben meinten .
Es kommandierte , wem Besonnenheit oder Begeisterung die Übermacht gab .
Friedrich war überall zu sehen , wo es am gefährlichsten hergieng , selber mit Blut überdeckt .
Einzelne rangen da auf schwindligen Klippen , bis beide einander umklammernd in den Abgrund stürzten .
Blutrot stieg die Sonne auf die Höhen , ein wilder Sturm wütete durch die alten Wälder , Felsenstücke stürzten zermalmend auf den Feind .
Es schien das ganze Gebirge selbst wie ein Riese die steinernen Glieder zu bewegen , um die fremden Menschlein abzuschütteln , die ihn dreist geweckt hatten und an ihm heraufklettern wollten .
Mit 22 grenzenloser Unordnung entfloh endlich der Feind nach allen Seiten weit in die Täler hinaus .
Nur auf einem einzigen Fleck wurde noch immer fortgefochten .
Friedrich eilte hinzu und erkannte inmitten jenen Offizier wieder , der in der Residenz zu seinen Genossen gehörte .
Dieser hatte sich , von den Seinigen getrennt , schon einmal gefangen gegeben , als er zufällig um den Anführer seiner Sieger fragte .
Mehrere nannten einstimmig Friedrich'n .
Bei diesem Namen hatte er plötzlich einem seiner Führer den Säbel entrissen und versuchte wütend noch einmal sich durchzuschlagen .
Als er nun Friedrich'n selber erblickte , verdoppelte er seine fast schon erschöpften Kräfte von neuem , und hieb in Wut blind um sich , bis er endlich von der Menge entwaffnet wurde .
Stillschweigend folgte er nun , wohin sie ihn führten und wollte durchaus kein Wort sprechen .
Friedrich mochte ihn in diesem Augenblicke nicht anreden .
Das Verfolgen des flüchtigen Feindes dauerte bis gegen Abend .
Da langte Friedrich mit den Seinigen ermüdet auf einem altfränkischen Schlosse an , das am Abhange des Gebirges stand .
Hof und Schloß stand leer ; alle Bewohner hatten es aus Furcht vor Freund und Feind feigherzig verlassen .
Der Trupp lagerte sich sogleich auf dem geräumigen Hofe , dessen Pflaster schon hin und wieder mit Gras überwachsen war .
Rings um das Schloß wurden Wachen ausgestellt .
Friedrich fand eine Türe offen und ging in das Schloß .
Er schritt durch mehrere leere Gänge und Zimmer und kam zuletzt in eine Kapelle .
Ein einfacher Altar war dort aufgerichtet , mehrere alte Heiligenbilder auf Holz hingen an den Wänden umher , auf dem Altare stand ein Kruzifix .
Er kniete vor dem Altar nieder und dankte Gott aus Grund der Seele für den heutigen Tag .
Darauf stand er neugestärkt auf und fühlte die vielen Wunden kaum , die er in dem Gefechte erhalten .
Er erinnerte sich nicht , daß ihm jemals in seinem Leben so wohl gewesen .
Es war das erstemal , daß es ihm genügte , was er hier trieb und vorhatte .
Er war völlig überzeugt , daß er das Rechte wolle und sein ganzes voriges Leben , was er sonst einzeln versucht , gestrebt und geübt hatte , kam ihm nun nur wie eine lange Vorschule vor zu der sicheren , klaren und großen Gesinnung , die jetzt sein Tun und Denken regierte .
Er ging nun durch das Schloß , wo fast alle Türen geöffnet waren .
In dem einen Gemache fand er ein altes Sofa .
Er streckte sich darauf ; aber er konnte nicht schlafen , so müde er auch war .
Denn tausenderlei Gedanken zogen wechselnd durch seine Seele , während er dort von der einen Seite durch die offene Türe den Schloßhof übersah , wo die Schützen um ein Feuer lagen , das die alten Gemäuer seltsam beleuchtete , von der anderen Seite durchs Fenster die Wolkenzüge über den stillen , 22 * schwarzen Wäldern .
Er gedachte seines vergangenen ruhigen Lebens , wie er noch mit seiner Poesie zufrieden und glücklich war , an seinen Leontin , an Rosa , an den stillen Garten beim Herrn v. A. , wie das alles so weit von hier hinter den Bergen jetzt in ruhigem Schlafe ruhte .
Das Feuer aus dem Hofe warf indes einen hellen Widerschein über die eine Wand der Stube .
Da wurde er auf ein großes , altes Bild aufmerksam , daß dort hing .
Es stellte die heilige Mutter Anna vor , wie sie die kleine Maria lesen lehrte .
Sie hatte ein großes Buch vor sich auf dem Schoße .
An ihren Knien stand die kleine Maria mit vor der Brust gefalteten Händchen , die Augen fleißig auf das Buch niedergeschlagen .
Eine wunderbare Unschuld und Frömmigkeit , wie die demütige Ahnung einer künftigen unbeschreiblichen Schönheit und Herrlichkeit , ruhte auf dem Gesichte des Kindes .
Es war , als müßte sie jeden Augenblick die schönen , klaren Kindesaugen aufschlagen , um der Welt Trost und himmlischen Frieden zu geben .
Friedrich war erstaunt ; denn je länger er das stille Köpfchen ansah , je deutlicher schienen alle Züge desselben in ein ihm wohlbekanntes Gesicht zu verschwimmen .
Doch verlor sich diese Erinnerung in seine früheste Kindheit und er konnte sich durchaus nicht genau besinnen .
Er sprang auf und untersuchte das Bild von allen Seiten , aber nirgends war irgend ein Nahme oder besonderes Zeichen zu sehen .
Verwundert ging er in den Hof hinaus und fragte nach den Bewohnern des Schlosses .
Nur einige wußten Bescheid und sagten aus , das Schloß werde gewöhnlich , bloß von einem Vogte bewohnt und gehöre eigentlich einer Edelfrau im Auslande , die alle Jahre immer nur auf wenige Tage herkomme .
Sonst konnte er nichts erfahren .
Ihm fiel dabei unwillkürlich die weiße Frau ein , die er schon fast wieder vergessen hatte .
-- Sein Schlaf war vorbei -- er begab sich daher auf die alte steinerne Galerie , die auf der Waldseite über eine tiefe Schluft hinausgieng , um dort den Morgen abzuwarten .
Dort fand er auch den gefangenen Offizier , der in einem dunklen Winkel zusammengekrümmt lag .
Er setzte sich zu ihm auf das halbabgebrochene Geländer .
Das Unglück macht vieles wieder gut , sagte er , und reichte ihm die Hand .
-- Der Offizier wickelte sich fester in seinen Mantel , und antwortete nicht . --
Hast Du denn alles vergessen , fuhr Friedrich fort , was wir in der guten Zeit vorbereitet ?
Mir war es Ernst mit dem , was ich vorhatte .
Ich war ein ehrlicher Narr , und ich will es lieber sein , als klug ohne Ehre .
-- Der Offizier fuhr auf , schlug seinen Mantel auseinander und rief : Schlage mich tot wie einen Hund ! --
Laß diese weibische Wut , wenn Du nichts besseres kannst , sagte Friedrich ruhig .
Du siehst so wüst und dunkel aus , ich kenne Dein Gesicht nicht mehr wieder .
Ich liebte Dich sonst , so bist Du mir gar nichts wert . --
Bei diesen Worten sprang der Offizier , der Friedrichs ruhige Züge nicht länger ertragen konnte , auf , packte ihn bei der Brust und wollte ihn über die Galerie in den Abgrund stürzen .
Sie rangen einige Zeit miteinander ; Friedrich war von vielem Blutverlust ermattet und taumelte nach dem schwindligen Rande zu .
Da fiel ein Schuß aus einem Fenster des Schlosses ; ein Schütze hatte alles mit angesehen . --
Jesus Maria ! rief der Offizier getroffen und stürzte über das Geländer in den Abgrund hinunter .
-- Da wurde es auf einmal still , nur der Wald rauschte finster von unten herauf .
Friedrich wandte sich schaudernd von dem unheimlichen Orte .
Die Schützen hatten unterdes ausgerastet ; das Morgenrot begann bereits sich zu erheben .
Neue Nachrichten , die so eben eingelaufen waren , bestimmten die Truppe , sogleich von ihrem Schlosse aufzubrechen , um sich mit den anderen tiefer im Lande zu vereinigen .
Eine seltsame Erscheinung zog jedoch bald darauf Aller Augen auf sich .
Als sie nämlich auf der einen Seite des Schlosses herauskamen , sahen sie jenseits zwischen den Bäumen auf einer hohen Klippe eine weibliche Gestalt stehen , welche zwei von den ihrigen , die ihr nachstiegen , mit dem Degen abwehrte .
Friedrich wurde hinzugerufen .
Er erfuhr , das Mädchen sei gegen Morgen allein mit verwirrtem Haar und einem Degen in der Hand an dem Schlosse herumgeirrt , als suche sie etwas .
Als sie dann auf den erschossenen Offizier gestoßen , habe sie ihn schnell in die Arme genommen und den Leichnam mit einer bewunderungswürdigen Kraft und Geduld in das Gebirge hinaufgeschleppt .
Zwei Schützen , denen ihr Herumschleichen verdächtig wurde , waren ihr bis zu diesem Felsen gefolgt , den sie nun wie ihre Burg verteidigte .
Als Friedrich näher kam , erkannte er in dem wunderbaren Mädchen sogleich Marie , sie kam ihm heute viel größer und schöner vor .
Ihre langen , schwarzen Locken waren auseinandergerollt , sie hieb nach allen Seiten um sich , so daß keiner , ohne sie zu verletzen , die steile Klippe ersteigen konnte .
Als sie Friedrich'n unter den fremden Männern erblickte , ließ sie plötzlich den Degen fallen , sank auf die Knie und verbarg ihr Gesicht an der kalten Brust ihres Geliebten .
Die bärtigen Männer blieben erstaunt stehe n. Ist in Dir eine solche Gewalt wahrhafter Liebe , sagte Friedrich gerührt zu ihr , so wende sie zu Gott , und Du wirst noch große Gnade erfahren !
Die Umstände nötigten indes immer dringender zum Aufbruch .
Friedrich ließ daher einen des Weges kundigen Jäger bei Marie zurück , der sie in Sicherheit bringen sollte .
Das Mädchen richtete sich halb auf und sah still dem Grafen nach ; sie aber zogen singend über die Berge weiter , über denen so eben die Sonne aufging .
Neunzehntes Kapitel .
Der Krieg wütete noch lange fort .
Friedrich hatte im Laufe desselben den Ruhm seines alten Namens durch alte Tugend wieder angefrischt .
Der Fürst , dem er Angehörte , war unter den Feinden .
Friedrichs Güter wurden daher eingezogen .
Das Kriegsglück wandte sich , die Seinigen wurden immer geringer und schwächer , alles ging schlecht :
Er blieb allein desto hartnäckiger gut und wich nicht .
Endlich wurde der Friede geschlossen .
Da nahm er , zurückgedrängt auf die höchsten Zinnen des Gebirges , Abschied von seinen Hochländern und ritt Güterlos und geächtet hinab .
Über das platte Land verbreitete sich der Friede weit und breit in schallender Freude ; er allein zog einsam hindurch , und seine Gedanken kann niemand beschreiben , als er die letzten Gipfel des Gebirges hinter sich versinken sah .
Er gedachte wenig seiner eigenen Gefahr , da rings in dem Lande die feindlichen Truppen noch zerstreut lagen , von denen er wohl wußte , daß sie seiner habhaft zu werden trachteten .
Er achtete sein Leben nicht , es schien ihm nun zu nichts mehr nütze . --
So langte er an einem unfreundlichen , stürmischen Abende in einem abgelegenen Dorfe an .
Die Gärten waren alle verwüstet , die Häuser niedrige brannte , die wenigen übriggebliebenen schienen von den Bewohnern verlassen ; es war ein trauriges Denkmal des kaum geendigten Krieges , der an diesen Gegenden besonders seine Wut recht ausgelassen hatte .
An dem anderen Ende des Dorfes fand Friedrich endlich einen Mann , der auf einem schwarzgebrannten Balken seines umgerissenen Hauses saß und an einem Stück trockener Brotrinde nagte .
Friedrich fragte um Unterkommen für sich und sein Pferd .
Der Mann lachte ihm widerlich ins Gesicht und zeigte auf das abgebrannte Dorf .
Ermüdet band Friedrich sein Pferd an und setzte sich zu dem Manne hin .
Er befragte ihn , wie so großes Unglück insonderheit dieses Dorf getroffen ? --
Der Mann sagte gleichgültig und wortkarg :
Wir haben uns den Feinden widersetzt , worauf unser Dorf abgebrannt und mancher von uns erschossen wurde .
Was kümmert mich aber das und das Land und die ganze Welt , fuhr er nach einer Weile fort , mir tut es nur leid um mich , denn zu fressen muß man doch haben ! --
Friedrich sah ihn von der Seite an , wie er so an seinem Brote käute , sein Gesicht war hager und bleichgelb und sah nach nichts Gutem aus .
Eine lustige Tanzmusik schallte inzwischen immerfort durch die Nacht zu ihnen herüber .
Sie kam aus einem altertümlichen Schlosse , das dem Dorfe gegenüber auf einer Anhöhe stand .
Die Fenster waren alle hellerleuchtet .
Inwendig sah man eine Menge Leute sich drehe 'n und wirren , manches Paar lehnte sich in die offenen Fenster , und sah in die regnerische Gegend hinaus .
Wem gehört das Schloß da droben , wo es so lustig hergeht ? fragte Friedrich .
Der Gräfin Romana , war die Antwort .
Unwillkürlich schauderte er bei dieser unerwarteten Antwort zusammen .
Erstaunt drang er nun mit Fragen in den Mann und hörte mit den seltsamsten Empfindungen zu , als dieser erzählte :
Als die letzte Schlacht verloren war und alles recht drunter und drüber ging , heiße !
da wurde unsere Gräfin so lustig !
-- Ihr Vermögen war verloren , ihre Güter und Schlösser verwüstet , und , als unser Dorf in Flammen aufging , sahen wir sie mit einem feindlichen Offiziere an dem Brande vorbeireiten , der hatte sie vorn vor sich auf seinem Pferde , und so ging es fort in alle Welt .
Seit einigen Tagen hatte der Feind dort unten auf den Feldern sein Lager aufgeschlagen ; da war ein Trommeln , Jubeln , Musizieren , Saufen und Lachen Tag und Nacht , und unsere Gräfin mitten unter ihnen , wie eine Marketenderin .
Gestern ist das Lager aufgebrochen und die Gräfin gibt den Offizieren , die heute auch noch nachziehen , droben den Abschiedsschmaus .
-- Friedrich war über dieser Erzählung in Nachdenken versunken .
-- Ich sehe den Offizier noch immer vor mir , fuhr der Mann bald darauf wieder fort , der den Befehl gab , unsere Häuser anzustecken .
Ich lag eben hinter einem Zaune , ganz zusammengehauen .
Er saß seitwärts nicht weit von mir auf seinem Pferde , der Widerschein von den Flammen fiel ihm durch die dunkle Nacht gerade auf sein wohlgenährtes , glattes Gesicht .
Ich würde das Gesicht in hundert Jahren noch wieder erkennen .
-- Die Lichter in dem Schlosse , während sie so sprachen , fingen indes an zu verlöschen , die Musik hörte auf und es wurde nach und nach immer stiller .
Der Mann wurde seltsam unruhig .
Jetzt werden die Offiziere auch fortziehen , wollen wir ihnen nicht sicheres Geleit geben ? --
sagte er , abscheulich lachend , und stand auf .
Friedrich bemerkte dabei , daß er etwas blitzendes , wie ein Gewehr , unter seinem Kittel verborgen hatte .
Ehe er sich aber besann , war der Mann schon hinter den Häusern in der Finsternis verschwunden .
Friedrich traute ihm nicht recht , er zweifelte nicht , daß er etwas Gräßliches vorhabe .
Er eilte ihm daher nach , um ihn auf alle Fälle zu verhindern .
Tief im Walde sah er ihn noch einmal von weitem , wie er eben eilig um eine Felsenecke herumbog ; darauf verschwand er ihm für immer , und er hatte sich vergebens ziemlich weit vom Dorfe in dem Gebirge verstiegen .
Als er eben auf einer Höhe ankam , um sich von dort wieder zurechtzufinden , stand sehr unerwartet die Gräfin Romana plötzlich vor ihm .
Sie hatte eine kurze Flinte auf dem Rücken , und dieselbe feenhafte Jägerkleidung , in welcher er sie zum letztenmal auf der Gemsenjagd gesehen hatte .
Versteinert wie eine Bildsäule blieb sie stehen , als sie Friedrich'n so unverhofft erblickte .
Dann sah sie rings herum und sagte :
ich habe mich hier oben verirrt , ich weiß den Weg nicht mehr nach Hause -- , führe mich , wohin Du willst , es ist alles einerlei ! --
Friedrich'n fiel das ungewohnte " Du " auf , auch bemerkte er in ihrem Gesichte jene leidenschaftliche Blässe , die ihn sonst schon oft an ihr gestört hatte .
Die Nacht überdeckte schon unten die stillen Wälder . der Mond ging von der anderen Seite über den Bergen auf .
Er führte sie an Klippen und schwindligen Abhängen vorüber den hohen , langen Berg hinab , sie sprachen kein Wort miteinander .
So kamen sie endlich nach einem mühsamen Wege zu dem Schlosse der Gräfin zurück .
Es war eine alte Burg , mitten in der Wildnis , halb verfallen , kein Mensch war d rinn zu sehen .
Das ist mein Stammschloß , sagte Romana , und ich bin die letzte des alten , berühmten Geschlechts .
Sie führte ihn durch die hohen , gewölbten Gemächer .
In dem einen Zimmer lag alles vom Feste noch unordentlich umher , zerbrochene Weinflaschen und umgeworfene Stühle ; durch das zerschlagene Fenster pfiff der Wind herein und flackerte mit dem einzigen Lichte , das , fast schon bis an den Leuchter herabgebrannt , in der Mitte auf einem Tische stand und spielende Scheine auf eine Reihe altväterischer Ahnenbilder warf , die rings an den Wänden umherhiengen .
Sie sind alle schon morsch , die guten Gesellen , sagte Romana in einem Anfalle von gespannter , unmenschlicher Lustigkeit , als sie die Verwüstung betrat , die noch vor so kurzer Zeit von Getümmel und freudenreichem Schalle belebt war , nahm ihre Stutzflinte vom Rücken und stieß ein Bild nach dem anderen von der Wand , daß sie zertrümmert auf die Erde fielen .
Dazwischen kehrte sie sich auf einmal zu Friedrich und sagte :
Als ich mich vorhin im Gebirge umwandte , um wieder zum Schloß zurückzukehren , sah ich plötzlich auf einer Klippe mir gegenüber einen langen , wilden Mann stehen , den ich sonst in meinem Leben nicht gesehen , der hatte in der einsamen Stille seine Flinte unbeweglich angelegt , mit der Mündung gerade auf mich .
Ich sprang fort , denn mir kam es vor , als stünde der Mann seit tausend Jahren immer und ewig so dort oben . --
Friedrich bemerkte bei diesen verwirrten Worten , die ihn an den Halbverrückten erinnerten , dem er vorhin gefolgt , daß der Hahn an ihrer Flinte , die sie unbekümmert in der Hand hielt und häufig gegen sich kehrte , noch gespannt sei .
Er verwies es ihr .
Sie sah in die Mündung hinein und lachte wild auf .
Schweigen Sie still , sagte Friedrich ernst und streng und faßte sie unsanft an . --
Er trat an das eine Fenster , setzte sich in den Fensterbogen und sah in die vom Monde beschienenen Grunde hinab .
Romana setzte sich zu ihm .
Sie sah noch immer blaß , aber auch in der Ver- Wüstung noch schön aus , ihr Busen war unanständig fast ganz entblößt ; sie hielt seine Hand , er bemerkte , daß die ihrige bisweilen zuckte .
Heftiges , unbändiges Weib , sagte Friedrich , der sich nicht länger mehr hielt , sehr ernsthaft , gehe 'n Sie beten !
Beschauen Sie recht den Wunderbau der hundertjährigen Stämme da unten , die alten Felsenriesen drüber und den ewigen Himmel , wie da die Elemente , sonst wechselseitig vernichtende Feinde gegeneinander , selber ihre rauhen , verwitterten Riesennacken und angeborene Wildheit vor ihrem Herrn beugend , Freundschaft schließen und in weiser Ordnung und Frommheit die Welt tragen und erhalten .
Und so soll auch der Mensch die wilden Elemente , die in seiner eigenen dunklen Brust nach der alten Willkür lauern und an ihren Ketten reißen und beißen , mit göttlichem Sinne besprechen und zu einem schönen , lichten Leben die Ehre , Tugend und Gottseligkeit in Eintracht verbinden und formieren .
Denn es gibt etwas Festeres und Größeres , als der kleine Mensch in seinem Hochmut , das der Scharfsinn nicht begreift und die Begeisterung nicht erfindet und macht , die , einmal abtrünnig , in frecher , mutwilliger , verwilderter Willkür wie das Feuer alles ringsum zerstört und verzehrt , bis sie über dem Schutte in sich selber ausbrennt -- Sie glauben nicht an Gott ! --
Friedrich sprach noch viel .
Romana saß still und schien ganz ruhig geworden zu sein , nur manchmal , wenn die Wälder heraufrauschten , schauerte sie , als ob sie der Frost schüttelte .
Sie sah Friedrich'n mit ihren großen Augen unverwandt an , denn sie wußte alles , was er in der letzten Zeit getan und aufgeopfert , und es war im tiefsten Grunde nur ihre unbezwingliche Leidenschaft zu ihm im zerknirschenden Gefühl , ihn nie erreichen zu können , was das heftige Weib nach und nach bis zu diesem schwindligen Abgrund verwildert hatte .
Es war , als ginge bei seinem neuen Anblick die Erinnerung an ihre eigene ursprüngliche , zerstörte Größe noch einmal schneidend durch ihre Seele .
Sie stand auf und ging , ohne ein Wort zu sagen , nach der einen Seite fort .
Friedrich blieb noch lange dort sitzen , denn sein Herz war noch nie so bekümmert und gepreßt , als diese Nacht .
Da fiel plötzlich ganz nahe im Schlosse ein Schuß .
Er sprang , wie vom Blitze gerührt , auf , eine entsetzliche Ahnung flog durch seine Brust .
Er eilte durch mehrere Gemächer , die leer und offen standen , das letzte war fest verschlossen .
Er riß die Türe mit Gewalt ein : welch ein erschrecklicher Anblick versteinerte da alle seine Sinne !
Über den Trümmern ihrer Ahnenbilder lag dort Romana in ihrem Blute hingestreckt , das Gewehr , wie ihren letzten Freund , noch fest in der Hand .
Ihn überfiel im ersten Augenblick ein seltsamer Zorn , er faßte sie in beide Arme , als mußte er sie mit Gewalt noch dem Teufel entreißen .
Aber das wilde Spiel war für immer verspielt , sie hatte sich gerade ins Herz geschossen .
Der müde Leib ruhte schön und fromm , da ihn die heidnische Seele nicht mehr regierte .
Er kniete neben ihr hin und betete für sie aus Herzensgrunde .
Da sah er auf einmal helle Flammen zu den Fenstern hereinschlagen , durch die offene Tür erblickte er auch schon die anderen Gemächer in vollem Brande .
Kein Mensch war da , die Nacht auch Gewitterstill , sie mußte das Schloß in ihrer Raserei selber angesteckt haben , vielleicht um Friedrich'n zugleich mit ihr zu verderben .
Er nahm den Leichnam und trug ihn durch das brennende Tor ins Freie hinaus .
Dort legte er sie unter eine Eiche und bedeckte sie mit Zweigen , damit sie die Raben nicht fräßen , bis er im nächsten Dorfe die nötigen Vorkehrungen zu ihrem Begräbnis getroffen .
Dann eilte er den Berg hinab und schwang sich auf sein Pferd .
Hinter ihm stieg die Flamme auf die höchste Zinne der Burg und warf gräßliche Scheine weit zwischen den Bäumen .
Das Schloß sank wie ein dunkler Riese in dem feurigen Ofen zusammen , über der alten , guten Zeit hielt das Flammenspiel im Winde seinen wilden Tanz ; es war , als ging der Geist ihrer Herrin noch einmal durch die Lohen .
-- Zwanzig Zwanzigstes Kapitel .
Es war Friedrich'n seltsam zu Mute , als er den anderen Tag am Saume des Waldes herauskam , und den wirtlichen , zierlichbepflanzten Berg mit seinen bunten Lusthäusern und dunklen Lauben dort auf einmal vor sich sah , auf dem er bei Antritt seiner Reise die ersten einsamen fröhlichen Stunden nach der Trennung von seinen Universitäts-Freunden zugebracht hatte .
Überrascht blieb er eine Weile vor der weiten , von der Sonne hellbeschienenen Gegend stehen , die ihm wie ein Traum , wie eine liebliche Zauberei vorkam ; denn eine Gegend aus unserem ersten , frischen Jugendglanze bleibt uns wie das Bild der ersten Geliebten , ewig erinnerlich und reizend .
Dann lenkte er langsam den lustigen Berg hinan .
Dort oben war alles noch wie damals , die Tische und Bänke im Grünen standen noch immer an derselben Stelle , mehrere Gesellschaften waren wieder bunt und fröhlich über den grünen Platz zerstreut und schmausten und lachten , aller kaum vergangenen Not vergessend .
Auch der alte Harfenist lebte noch und sang draußen seine vorigen Lieder .
Friedrich suchte das luftige Sommerhaus auf , wo er damals gespeist und den eben verlassenen Gesell 23 lehn frisch zugetrunken hatte .
Dort fand er den Namen Rosa wieder , den er an jenem schwülen Nachmittage mit seinem Ringe in die Fensterscheibe gezeichnet .
Er hielt beide Hände vor die Augen , so tief überfiel ihn die Gewalt dieser Erinnerung .
Die treuen Züge blitzten noch frisch in der Sonne , aber die Züge jenes wunderschönen Bildes , das er damals in der Seele hatte , waren unterdes im Leben verworren und verloren für immer . --
Er lehnte sich zum Fenster hinaus und übersah die schöne , noch gar wohl bekannte Gegend und sein ganzer damaliger Zustand wurde ihm dabei so deutlich , wie wenn man ein langvergessenes , frühes Gedicht nach vielen Jahren wiederliest , wo alles vergangen ist , was einen zu dem Liede verführt .
Wie anders war seitdem alles in ihm geworden !
Damals segelten seine Gedanken und Wünsche mit den Wolken ins Blaue über das Gebirge fort , hinter dem ihm das Leben mit seinen Reise-Wundern wie ein schönes , überschwenglichreiches Geheimnis lag .
Jetzt stand er an demselben Orte , wo er begonnen , wie nach einem mühsam beschriebenen Zirkel , frühzeitig an dem anderen , ernsteren und stilleren Ende seiner Reise und hatte keine Sehnsucht mehr nach dem Plunder hinter den Bergen und weiter .
Die Poesie , seine damalige süße Reisegefährtin , genügte ihm nicht mehr , alle seine ernstesten , herzlichsten Pläne waren an dem Neide seiner Zeit gescheitert , seine Mädchenliebe mußte , ohne daß er es selbst bemerkte , einer höheren Liebe wie chen , und jenes große , reiche Geheimnis des Lebens hatte sich ihm endlich in Gott gelöst .
Während er dies alles so überdachte , fiel ihm ein , wie Leontins Schloß ganz in der Nähe von hier sei .
Er fühlte ein recht herzliches Verlangen , diesen seinen Bruder und jene Waldberge wiederzusehen .
Der Gedanke bewegte ihn so , daß er sogleich sein Pferd bestieg und von dem Berge hinab die schattige Landstraße wieder einschlug .
Die Sonne stand noch hoch , er hoffte den Wald noch vor Anbruch der Nacht zurückzulegen .
Nach einiger Zeit erlangte er einen hohen Bergrücken .
Die Lage der Wälder , der Kreis von niedereren Bergen ringsumher , alles kam ihm so bekannt vor .
Er ritt langsam und sinnend fort , bis er sich endlich erinnerte , daß es dieselbe Heide sei , über welche er in jener Nacht , da er sich verirrt und das seltsame Abenteuer in der Mühle bestanden , sein Pferd am Zügel geführt hatte .
Der Schlag der Eisenhämmer kam nur schwach und verworren durch das Singen der Vögel und den schallenden Tag aus der fernen Tiefe herauf .
Es war ihm , als rückte sein ganzes Leben Bild vor Bild so wieder rückwärts , wie ein Schiff nach langer Fahrt , die wohlbekannten Ufer wieder begrüßend , endlich dem alten , heimatlichen Hafen bereichert zufährt .
Ein Gebirgsbach fand sich dort in der Einsamkeit mit seiner plauderhaften Emsigkeit neben ihm 23 * ein .
Er wußte , daß es der nämliche sei , der die schöne Wiese vor Leontins Schlosse durchschnitt , und folgte ihm daher auf einem Fußstege die Höhen hinab .
Da erblickte er nach einem langen Wege unerwartet auch die berüchtigte Waldmühle im Grunde wieder .
Wie anders , Gespensterhaft und voll wunderbarer Schrecken hatte ihm damals die phantastische Nacht diese Gegend ausgebildet , die heute recht behaglich im Sonnenscheine vor ihm lag .
Der Bach rauschte melancholisch an der alten Mühle vorüber , die halbverfallen dastand , und schon lange verlassen zu sein schien ; das Rad war zerbrochen und stand still .
Auf der einen Seite der Mühle war ein schöner , lichtgrüner Grund , über welchem frische Eichen ihre kühlen Hallen woben .
Dort sah Friedrich ein Mädchen in einem reinlichen , weißen Kleide auf dem Boden sitzen , halb mit dem Rücken nach ihm gekehrt .
Er hörte das Mädchen singen und konnte deutlich folgende Worte verstehen :
In einem kühlen Grunde , Da geht ein Mühlenrad , Mein ' Liebste ist verschwunden , Die dort gewohnet hat .
Sie hat mir Treue ' versprochen , Gab mir ein Ring dabei , Sie hat die Treue ' gebrochen , Mein Ringlein sprang entzwei .
Ich möchte als Spielmann reifen Weit in die Welt hinaus , Und singen meine Weisen Und Gehen von Haus zu Haus .
Ich möchte als Reiter fliegen , Wohl in die blutige Schlacht , Um stille Feuer liegen , Im Feld bei dunkler Nacht .
Höre ich das Mühlrad gehen , Ich weiß nicht , was ich will -- Ich möchte ' am liebsten sterben , Da wäre_es auf einmal still .
Diese Worte , so aus tiefster Seele herausgesungen , kamen Friedrich'n in dem Munde eines Mädchens sehr seltsam vor .
Wie erstaunt , ja wunderbar erschüttert aber war er , als sich das Mädchen , während des Gesanges , ohne ihn zu bemerken , einmal flüchtig umwandte , und er bei dem Sonnenstreif , der durch die Zweige gerade auf ihr Gesicht fiel , nicht nur eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Mädchen , das ihm damals in der Mühle hinaufgeleuchtet , bemerkte , sondern in dieser Kleidung und Umgebung vielmehr jenes wunderschöne Kind aus längstverklungener Zeit wiederzusehen glaubte , mit der er als kleiner Knabe so oft zu Hause im , Garten gespielt , und die er seitdem nie wiedergesehen hatte .
Jetzt fiel es ihm auch plötzlich wie Schuppen von den Augen , daß dies dieselben Züge seien , die ihm in dem verlassenen Gebirgsschlosse auf dem Bilde der heiligen Anna in dem Gesichte des Kindes Maria so sehr aufgefallen waren .
-- Verwirrt durch so viele sich durchkreuzende , uralte Erinnerungen , ritt er auf das Mädchen zu , da sie eben ihr Lied geendigt hatte .
Sie aber , von dem Geräusche aufgeschreckt , sprang , ohne sich weiter umzusehen , fort , und war bald in dem Walde verschwunden .
Da sah er auf der Anhöhe , wohin sich das Mädchen geflüchtet , eine andere weibliche Gestalt zwischen den Bäumen erscheinen , groß , schön und herrlich .
-- Es war Friedrich'n , als begrüße ihn sein ganzes vergangenes Leben hier , wie in einem Traume , noch einmal in tausend schönwirrenden Verwandlungen ; denn je näher er dem Berge kam , je deutlicher glaubte er in jener Gestalt Julien wieder zu erkennen .
Er stieg vom Pferde und eilte die Anhöhe hinauf , wo unterdes die liebliche Erscheinung sich wieder verloren hatte .
Oben fand er sie ruhig auf dem Boden sitzend , es war wirklich Julie .
Stille , stille ! sagte sie , als er näher trat , nicht weniger überrascht , als er , und wies auf Leontin , der , neben ihr an einem Baume angelehnt , eingeschlummert lag .
Er war auffallend blaß , sein linker Arm ruhte in einer Binde .
Friedrich betrachtete verwundert bald Leontin bald Julien .
Julien schien dabei das Unschickliche ihrer einsamen Lage mit Leontin einzufallen , und sie sah errötend in den Schoß .
Leontin war indes erwacht und machte die Augen groß auf , da er neben der Geliebten auch noch den Freund vor sich sah .
Da mag schlafen , wer Lust hat , wenn es wieder so lustig auf der Welt aussieht , sagte er , und sprang rasch auf .
Friedrich erstaunte , wie männlicher seitdem sein ganzes Wesen geworden .
Aber sage , wie hat Dich der Himmel wieder hierhergebracht ? fuhr er fort , ich dachte , diese Zeit wurde uns beide mit verschlingen ; aber ich glaube , sie fürchtet sich , uns nicht verdauen zu können .
-- Friedrich kam nun vor lauter Fragen nicht selber zum fragen , so sehr es ihm auch am Herzen lag , er mußte sich bequemen , die Geschichte seines Lebens seit ihrer Trennung zu erzählen .
Als er auf den Tod der Gräfin Romana kam , wurde Leontin nachdenklich .
Julie , die auch sonst schon viel von ihr gehört , konnte sich in diese ihre seltsame Verwilderung durchaus nicht finden und verdammte ihr schimpfliches Ende ohne Erbarmen , ja mit einer ihr sonst ungewöhnlichen Art von Haß .
Nach vielem Hin- und Herreden , das jedes Wiedersehen mit sich zu bringen pflegt , bat endlich auch Friedrich die beiden , seinen Bericht mit einer ausfuhrlichen Erzählung ihrer seitherigen Begebenheiten zu erwidern , da er aus ihren kurzen , unzusammenhängenden Antworten noch immer nicht klug werden konnte .
Vor allem erkundigte er sich um das Mädchen , das , wie er meinte , zu ihnen geflüchtet sein müsse .
Julie sah dabei Leontinen unentschlossen an .
-- Lassen wir das jetzt ! sagte dieser , die Gegend und meine Seele ist so klar und heiter wie nach einem Gewitter , es ist mir gerade alles recht lebhaft erinnerlich , ich will Dir erzählen , wie wir hier zusammengekommen .
Er nahm hieben eine Flasche Wein aus einem Körbchen , das neben Julien stand , und setzte sich damit an den Abhang mit der Aussicht in die grüne Waldschluft bei der Mühle ; Friedrich und Julie setzten sich zu beiden Seiten neben ihn .
Sie wollte ihm durchaus die Flasche wieder entreißen , da sie wohl wußte , daß er mehr trinken werde , als seinen Wunden noch zuträglich war .
Aber er hielt sie fest in beiden Händen .
Wo es , sagte er , wieder so gut frisch Leben gibt , wer fragt da , wie lange es dauert !
Und Julie mußte sich am Ende selber bequemen mitzutrinken .
Sie hatte sich mit beiden Armen auf seine Knie gestützt , um die Geschichte , die sie beinahe schon auswendig wußte , noch einmal recht aufmerksam anzuhören .
Friedrich , der sie nun ruhiger betrachten konnte , bemerkte dabei , wie sich ihre ganze Gestalt seitdem entwickelt hatte .
Alle ihre Züge waren entschiedener und Geistreich .
So begann nun Leontin folgendermaßen :
Als ich auf jener Alpe während der Gemsenjagd von Dir Abschied nahm , wurde mir sehr bange , denn ich wußte wahrhaftig nicht , was ich in der Welt eigentlich wollte und anfangen sollte .
Was recht Tüchtiges war eben nicht zu tun , und meine Tätigkeit , gleichviel , ob am Guten oder Schlechten , bloß um der Tätigkeit Willen abzuarbeiten , wie man etwa spazieren geht , um sich Motion zu machen , war von jeher meine größte Widerwärtigkeit .
Wäre ich recht arm gewesen , ich hätte aus lauterer Langeweile arbeiten können , um mir Geld zu erwerben , und hinterdrein die Leute überredet , es geschehe alles um des Staates Willen , wie die anderen tun .
Unter solchen moralischen Betrachtungen ritt ich über das Gebirge fort , und es tat mir recht ohne allen Hochmut leid , wie da alle die Städte und Dörfer , gleich Ameisenhaufen und Maulwurfshügeln , so tief unter mir lagen ; denn ich habe nie mehr Menschenliebe , als wenn ich weit von den Menschen bin .
Da wurde es nach und nach schwül und immer schwüler unten über dem deutschen Reiche , die Donau sah ich wie eine silberne Schlange durch das unendliche , blauschwüle Land Gehen , zwei Gewitter , dunkel , schwer und langsam standen am äußersten Horizonte gegeneinander auf ; sie blitzten und donnerten noch nicht , es war eine erschreckliche Stille .
-- Ich erinnere mich , wie frei mir zu Mute wurde , als ich endlich die ersten Soldaten unten über die Hügel kommen und hin und wiederreiten , wirren und blitzen sah .
Ich zog in den Krieg hinunter .
Was da geschah , ist Dir bekannt .
Nach der großen Schlacht , die wir verloren , war das Korps , zu dem ich gehörte , erschlagen und zersprengt , ich selber von den Meinigen getrennt .
Ich suchte durch verschiedene Umwege mich wieder zu vereinigen , aber je länger ich ritt , je tiefer verirrte ich mich in dem verteufelten Walde .
Es regnet und stürmte in einem fort , aber ich mochte nirgends einkehren , denn ich war innerlichst so zornig , daß ich mich in dem Wetter noch am leidlichsten befand .
Am Abend des anderen Tages fingen endlich die Wolken an sich zu zerteilen , die Sonne brach wieder hindurch und schien warm und dampfend auf den Erdboden , da kam ich auf einer Höhe plötzlich aus dem Walde und stand -- vor Juliens Gegend .
Ich kann es nicht beschreiben , mit welcher Empfindung ich aus der kriegerischen Wildnis meines empörten Gemüts so auf einmal in die Friedens- und Segensreiche Gegend voll alter Erinnerungen und Anklänge hinaussah , die , wie Du wissen wirst , zwischen ihren einsamen Bergen und Wäldern mitten im Kriege in tiefster Stille lag .
Überrascht blieb ich oben stehen .
Da sah ich den blauen Strom unten wieder gehen und Segel fahren , das freundliche Schloß am Hügel und den wohlbekannten Garten ringsumher , alles in alter Ruhe , wie damals .
Den Herrn v. A. sah ich auf dem mittelsten Gange des Gartens hinab ruhig spazieren gehen .
Auf den weiten Plänen jenseits des Stromes , über welche die eben untergehende Sonne schräge ihre letzten Strahlen warf , kam ein Reiter auf daß Schloß zugezogen , ich konnte ihn nicht erkennen .
Julien erblickte ich nirgends .
Es ließ mir da oben nicht länger Ruhe ; ich eilte den Berg hinunter , ich wollte Julien , ihren Vater , den Viktor wiedersehen , die ganze Vergangenheit noch einmal in Einem schnellen Zuge durchleben und genießen .
Tiefer unten am Abhange erblickte ich den Reiter plötzlich wieder .
Es war eine junge , hagere , verlebte Figur , durchaus modern , einer von den Gang und gäben alten Jungen mit der Brille auf der Nase .
Mich überlief ein Ärger , daß dieses modische , mir nur zu sehr bekannte Gezücht auch schon bis in diese glücklichverborgenen Täler gedrungen war .
Er aber sah mich flüchtig vornehm an , lenkte auf einen bequemeren , aber weiteren Umweg nach dem Schloß , und verschwand bald wieder .
Ein Bauer aus dem Dorfe des Herrn v. A. , der auch von der Arbeit nach Hause ging , hatte sich indes neben mir eingefunden .
Ich erinnerte mich seines Gesichts sogleich wieder , er aber kannte mich nicht mehr .
Von diesem erfuhr ich nach einem schnell angeknüpften Gespräche , daß die Tante schon seit längerer Zeit tot sei . --
Ich fragte ihn darauf , wer der fremde Herr sei , der eben vorbei geritten .
Er antwortete mir mit heimlicher Miene :
Fräulein Juliens Bräutigam .
-- Hier schüttelte Julie lächelnd den Kopf und wollte Leontins Erzählung unterbrechen .
Leontin fuhr aber sogleich wieder fort :
Es war inzwischen völlig Nacht geworden , als ich das Dorf erreichte .
Ich mochte nach jener Nachricht nun niemanden aus dem Hause sprechen noch sehen -- nur einen flüchtigen Streifzug durch den alten , schuldlosen Garten wollte ich machen , und sogleich wieder fort .
Ich band mein Pferd an einem Baume an und stieg übern Zaun in den Garten .
Dort war jeder Gang , jede Bank , ja , jedes Blumenbeet noch immer auf dem alten Platze , so daß die Seele nach so viel inzwischen durchlebten Gedanken und Veränderungen diesen gemütlichen Stillstand kaum fassen konnte .
Der Sturm wütete indes noch immer heftig fort , und riß ein Heer von Wolken nebst vielen verspäteten Abendvögeln , die kreischend dazwischenruderten , in einer unabsehbaren Flucht über den Garten hinaus , während unten die Bäume sich neigten und einzelne Nachtigallentöne aus den Tälern durch den Wind heraufklagten ; es war eine rechte dunkelschwüle Gespensternacht .
Ein ungewöhnlich starkes Licht , das aus dem einen Fenster in den Garten hinausschien , zog mich zum Schlosse hin .
Ich stellte mich gerade vor das Fenster und konnte das ganze Zimmer übersehen , das von einem Kaminfeuer so hell erleuchtet wurde .
Der Herr v. A. saß in einem Lehnstuhle und las Zeitungen , Julie saß am Kamine und sang , hatte aber den Rücken gegen das Fenster gekehrt , so daß ich ihr Gesicht nicht sehen konnte .
Was sie sang , war eine alte Romanze , die mir schon als Kind bekannt war .
Sie ist mir noch erinnerlich :
Hoch über den stillen Höhen Stand in dem Wald ein Haus , Dort war_es so einsam zu sehen Weit über 'n Wald hinaus .
Drin saß ein Mädchen am Rocken , Den ganzen Abend lang , Der wurden die Augen nicht trocken , Sie spann und sann und sang :
" Mein Liebster der war ein Reiter , Dem schwor ich Treue bis in Tod , Der zog über Land und weiter , Zu Krieges-Lust und Not .
Und als ein Jahr war vergangen , Und wieder blühte das Land , Da stand ich voller Verlangen , Hoch an des Waldes Rand .
Und zwischen den Bergesbogen , Wohl über den grünen Plan , Kam mancher Reiter gezogen , Der Meine kam nicht mit an .
Und zwischen den Bergesbogen , Wohl über den grünen Plan , Ein Jägersmann kam geflogen , Der sah mich so mutig an .
So lieblich die Sonne schiene , Das Waldhorn scholl weit und breit , Da führte er mich in das Grüne , Das war eine schöne Zeit ! --
Der hat so lieblich gelogen Mich aus der Treue heraus , Der Falsche hat mich betrogen , Zog weit in die Welt hinaus . "
-- Sie konnte nicht weiter singen , Vor bitteren Schmerz und Leid , Die Augen ihr übergienen In ihrer Einsamkeit .
Julien ging es wohl nicht besser , denn sie stand plötzlich auf , öffnete das Fenster und lehnte sich in die Nacht hinaus .
Überhaupt glaubte ich während dem Singen eine große Unruhe an ihr bemerkt zu haben .
Was ist das für ein erschrecklicher Sturm ! hörte ich den Herrn v. A. drin sagen , der bedeutet noch Krieg , Gott stehe ' unseren Leuten bei , die schlagen sich wohl jetzt wieder .
-- Und ich muß hier sitzen ! sagte Julie aus tiefster Seele .
-- Ich stand seitwärts an einen Pfeiler gelehnt und die Töne gingen in dem rasenden Winde gar seltsam wehmütig über den Garten hinaus , in dem ich mir nun wie ein lange Verbannter vorkam , da Julie bald darauf in ihrem Gesange am offenen Fenster wieder also fortfuhr :
Die Muhme , die saß beim Feuer Und wärmt sich am Kamin , Es flackert und sprüht das Feuer , Hell über die Stnb' es schien .
Sie sprach : " Ein Kränzlein in Haaren , Das stünde dir heute gar schön , Willst draußen auf dem See nicht fahren ?
Hohe Blumen am Ufer dort stehen . "
Ich kann nicht holen die Blumen , Im Hemdlein weiß am Teich Ein Mädchen hütet die Blumen , Die sieht so totenbleich .
" Und hoch auf des Sees Weite , Wenn alles finster und still , Da rudern zwei stille Leute , -- Der Eine dich haben will . "
Sie schauen wie alte Bekannte , Still , ewig stille sie sind , Doch einmal der Eine sich wandte , Da faßte mich ein eiskalter Wind .
-- Mir ist zu wehe zum Weinen -- Die Uhr so gleichförmig pickt , Das Rädlein , das schnurrt so in einem , Mir ist , als wäre ich verrückt . --
Ach Gott ! wann wird sich doch röten , Die fröhliche Morgenstund !
Ich möchte hinausgehen und beten , Und beten aus Herzensgrund !
So bleich schon werden die Sterne , Es rührt sich stärker der Wald , Schon krähen die Hähne von Ferne , Mich friert , es wird so kalt !
Ach , Muhme ! was ist Euch geschehen ?
Die Nase wird Euch so lang , Die Augen sich seltsam verdrehen --
Wie wird mir vor Euch so bang ! --
Und wie sie so grauenvoll klagte , Klopft draußen ans Fensterlein , Ein Mann aus der Finsternis ragte , Schaut still in die Stube herein .
Die Haare wild umgehangen , Von blutigen Tropfen naß , Zwei blutige Streifen sich schlangen , Wie Kränzlein , um_das Antlitz blaß .
Er grüßt sie so fürchterlich heiter , Er heißt sie seine liebliche Braut , Da kannte sie mit Schaudern den Reiter , Fällt nieder auf ihre Knie .
Er zielt mit dem Rohre durchs Gitter , Auf die schneeweiße Brust hin ; " Ach , wie ist das Sterben so bitter , Erbarm ' dich , weil ich so jung noch bin ! " --
Stumm blieb sein steinerner Wille , Es blitzte so rosenrot , Da wurde es auf einmal stille Im Walde und Haus und Hof .
-- Frühmorgens da lag so schaurig , Verfallen im Walde das Haus , Ein Waldvöglein sang so traurig , Flog fort über den See hinaus .
Gegen das Ende ihres Gesanges hatte Julie von ungefähr meinen Schatten bemerkt , den das Licht vom Zimmer lang und unbeweglich in den Garten warf .
Sie sah sich stutzend um , und da sie nichts erblicken konnte , schloß sie nachdenklich und schweigend das Fenster .
In diesem Augenblick klopfte es drin an die Stubentür .
Sie fuhr erschrocken zusammen und vom Fenster auf .
Ich blickte noch einmal hinein und sah jenen gehässigen Reiter , dem ich vorhin begegnet , eilfertig eintreten .
Er Er lebt !
rief Julie außer sich vor Freude und stürzte dem Manne um den Hals . --
Hatte ich schon vorher draußen in dem Fremden sogleich einen von jenen poetischen Jüngeren erkannt , die_es niemals zum Meister oder überhaupt zu einem Manne bringen , so kam mir jetzt der hagere , blasse Poet neben der gesunden Julie , die unterdes so wunderbar hoch geworden war , und deren große Augen in diesem Augenblicke vor Freude ordentliche Strahlen warfen , gar erbärmlich vor .
Mir kamen die Verse aus Göthe's Fischerin zwischen die Zähne :
Wer soll Bräutigam sein ?
Zaunkönig soll Bräutigam sein !
Zaunkönig sprach zu ihnen Hinwieder den Beiden :
Ich bin ein sehr kleiner Kerl , Kann nicht Bräutigam sein , Ich kann nicht der Bräutigam sein !
Ich schwang mich sogleich wieder über den Gartenzaun , band mein Pferd los und ging , es hinter mir herführend , aus dem Dorfe hinaus .
Da kam ich am anderen Ende desselben an dem kleinen Häuschen Viktors vorüber .
Ich guckte ihm ins Fenster hinein , das , wie Du weißt , im Sommer Tag und Nacht offen steht .
Er saß eben , mit dem Rücken gegen das Fenster , über einem alten dicken Buche , den Kopf in die Hand gestützt .
Das Licht auf dem Tische flackerte ungewiß umher , die 24 vielen Uhren an den Wänden pickten einförmig immerfort , es war eine unendliche Einsamkeit drinnen .
Ich begrüßte ihn endlich mit dem Vers , der ihm im ganzen Faust der liebste war :
" Ich guckte der Eule in ihr Nest , Hu !
die macht ' ein Paar Augen ! "
Er wandte sich schnell um und als er mein Gesicht völlig erkannte , sprang er auf , warf die Bücher und alles , was auf dem Tische lag , auf die Erde und tanzte wie unsinnig in der Stube herum .
Ich kletterte sogleich durchs Fenster zu ihm hinein , ergriff eine halbbespannte Geige , die an der Wand hing , und so walzten wir beide mit den seltsamsten Gebärden und großem Getöse nebeneinander in der kleinen Stube auf und ab , bis er endlich erschöpft vor Lachen auf den Boden hinsank .
Es dauerte lange , ehe wir zu einem vernünftigen Diskurs kamen , während welchem er einen ungeheuren Krug voll Wein anschleppte .
Er ist noch immer der alte , noch immer nicht fetter , nicht ruhiger , nicht klüger , und , wie sonst , wütend kriegerisch gegen alle Sentimentalität , die er ordentlich mißhandelt .
Gegen Mitternacht endlich , soviel er auch dagegen hatte , zog ich wieder von dannen , das gelobte Land in ruhigem Schlafe hinter mir , und die weite Stille ringsumher gesegnend , während Viktor , der mich ein Stück begleitet hatte , auf der letzten Höhe mir wie eine Windmühle in der Dunkelheit mit dem Hute nachschwenkte und nachrief , bis alles in den großen , grauen Schoß versunken war .
In den Krieg denn von neuem in Gottes Namen hinaus ! rief ich draußen und nahm die Richtung auf mein Schloß , da ich indes erfahren hatte , daß der Tummelplatz jetzt dort in der Nähe sei .
Bei Sonnenaufgang sah ich die unsrigen in dem weiten Tale bunt und blitzend zerstreut wieder und das Herz ging mir auf bei dem Anblick .
Die lustige Bewegung , die mir von weitem so mutig entgegenblitzte , war aber nichts anderes , als eine verworrene , grenzenlose Flucht .
Der Feind war noch ziemlich weit , ich ritt daher an den zerstreuten Trupps langsam vorüber .
Da sah ich den Haufen in dumpfer Resignation herumtaumeln , Mehrere weise Mienen achselzuckend zur Schau tragen , als steckten wohl ganz andere Plane dahinter -- keinem hätte das Herz im Leibe zerspringen mögen .
Da fiel mir ein , was mir Viktor oft in seinen melankolischsten Stunden gesagt : besser Uhren machen , als Soldaten spielen .
Ich meines Teils war fest entschlossen , da alles , was mir ehrwürdig und lieb auf Erden war , zu Grunde gehen sollte , lieber fechtend selber mit unterzugehen , als gefangen in der gemeinen Schande zurückzubleiben .
Ich sprengte eilig auf mein Schloß und bot alle meine Jäger und Diener auf , deren Gesinnung und Treue ich kannte , viele Freiwillige von der Armee gesellten sich wacker dazu und so verschanzten und besetzten wir mein Schloß und Garten , da ich wohl wußte , daß der 24 * Feind bei seiner Verfolgung diesen Weg nehmen und demselben an dieser vorteilhaften Höhe besonders viel gelegen sein mußte .
Wir wehrten uns verzweifelt oder vielmehr tollkühn gegen die Übermacht .
Die feindlichen Kugeln hatten mein Schloß fürchterlich zerrissen , die Gesimse brannten , ein Burgtor nach dem anderen stürzte in den Lohen zusammen , alles war verloren , und ich fiel der letzte nieder .
-- Als ich die Augen wieder aufschlug , lag ich im Sonnenscheine in dem schönen Garten des Herrn v. A. vor der großen Aussicht , und Julie stand still neben mir . --
Hier hielt Leontin inne , denn Julie , die sich schon einige Zeit mit ängstlicher Unruhe umgesehen hatte , sagte ihm etwas ins Ohr , stand schnell auf und ging in den Wald hinein , worauf Leontin , nachdem er ihr eine Weile nachgesehen , folgendermaßen wieder fortfuhr :
Es war mir wie im Traume , als ich so wieder meinen ersten Blick in die Welt tat , alles auf einmal so stille um mich , und Julie neben mir , die mich schweigend und ernsthaft betrachtete .
Sie sagte mir damals nichts , aber später erfuhr und erriet ich Folgendes :
Der moderne Junge , dem ich damals in der Nacht auf dem Schlosse des Herrn v. A. begegnet , war ein Edelmann aus der Nachbarschaft , der erst unlängst von Universitäten auf seine Güter zurückgekehrt war .
Seine fast täglichen Besuche bei Julien , seine ungebundene Art mit ihr umzugehen , und die voreilig geschwätzigen Andeu tunen der anfangs noch lebenden Tante veranlaßten , daß er binnen kurzer Zeit allgemein für Juliens Bräutigam gehalten wurde .
Er war nach seiner Art verliebt in Julien , aber ein Mädchen im Ernste zu lieben oder gar zu heiraten , hielt er für lächerlich , denn -- er war zum Dichter berufen .
Als nachher der Krieg ausbrach und das Gerücht mein Benehmen dabei auch bis dorthin trug , pries er mit grenzenlosem Enthusiasmus , doch immer mit der vornehmen Miene eines eigenen , höheren Standpunktes , solche erzgediegene , Lebenskräftige Naturen , ewig zusammenhaltende Granitblöcke des Gemeinwesens u. s. w. , aber selbst mit dreinschlagen konnte er nicht , denn -- er war zum Dichter berufen .
Übrigens hat er ein ganz ordinär sogenanntes gutes Herz .
Daher ritt er , als mich allerhand widersprechende Gerüchte bald für tot , bald für verwundet ausgaben , aus Mitleid für Julien auf Kundschaft aus , und kehrte eben in jener Nacht , da ich ihm begegnete , mit der gewissen Botschaft meines Lebens zurück , und Juliens : " Er lebt ! " das mich damals so schnell vom Fenster und übern Zaun und aus dem Dorfe trieb , galt mir .
Erstaunt erfuhr Julie am Morgen von Viktor meinen schnellen Durchzug und bald nachher auch das Los meiner Burg .
Ohne Verwirrung im Schreck wie in der Freude , sattelte sie noch in der Nacht , wo sie die Nachricht erhalten , ihr Pferd , und ritt , ohne ihren Vater zu wecken , mit einem Bedienten nach meinem Schloß .
Der vermeinte Bräutigam , der noch dort war , ließ es sich durchaus nicht nehmen , die Romanze , wie er es nannte , mitzumachen .
Er schmückte sich in aller Eile sehr phantastisch und abenteuerlich aus , bewaffnete sich mit einem Schwert , einer Flinte und mehreren Pistolen , obschon die Feinde mein Schloß längst wieder verlassen hatten , da es ihnen jetzt , bei dem großen Vorsprunge der Unsrigen , ganz unnütz geworden war .
Julie suchte unermüdlich zwischen den zusammengefallenen Steinen , erkannte mich endlich und trug mich selbst aus den dampfenden Trümmern .
Der Bräutigam machte ein Sonett darauf und Julie heilte mich zu Hause aus .
Da aber meine Verteidigung des Schlosses als unberufen , und , in einem bereits eroberten Lande , als rebellisch angesehen wird , so wurde mir vom Feinde nachgestellt und ich befand mich auf dem Schlosse des Herrn v. A. nicht mehr sicher .
Man brachte mich daher auf diese abgelegene Mühle hier , wo mich Julie täglich besucht , bis ich endlich jetzt wieder ganz hergestellt bin .
So endigte Leontin seine Erzählung .
-- Und wohin willst Du nun ? fragte Friedrich .
Jetzt weiß ich nichts mehr in der Welt , sagte Leontin unmutig .
-- Sie mußten abbrechen , denn eben kam Julie wieder zurück und winkte Leontinen heimlich mit den Augen , als sei etwas Bewußtes glücklich vollbracht .
Sie hatten indes über diesen Unterhaltungen alle nicht bemerkt , daß es bereits anfing dunkel zu werden .
Julie wurde es zuerst gewahr , und zwar nicht ohne sichtbare Verlegenheit , denn jetzt in der Nacht nach Hause zu reiten , war , wegen den noch immer herumstreifenden Soldaten , für ihr Geheimnis höchstbedenklich , andererseits überfiel sie ein mädchenhafter Schauer bei dem Gedanken , so alleine mit zwei Männern im Walde über Nacht zu bleiben .
Am Ende mußte sie sich doch zu dem letzteren bequemen , und so lagerten sie sich dann , so gut sie konnten , vergnüglich in das hohe Gras auf der Anhöhe .
Die Nacht dehnte langsam die ungeheuren Drachenflügel über den Kreis der Wildnis unter ihnen , die Wälder rauschten dunkel aus der grenzenlosen Stille herauf .
Julie war ohne alle Furcht .
Leontin aber , der noch matt war , fing endlich an , sich nach kräftigerer Ruhe zu sehnen , und auch Julien wurde die zunehmende Frische der Nacht nach und nach empfindlich .
Sie brachen daher auf und begaben sich zu der nahen , alten , verlassenen Mühle , wo Leontin , wie gesagt , schon seit einigen Tagen heimlich sein Quartier hatte .
Friedrich wollte draußen auf der Schwelle bleiben und als ein wackerer Ritter die Jungfrau im Kastell bewachen , Julie bat ihn aber errötend mit hineinzugehen , und er willigte lächelnd ein , während einem Bedienten , den Julie mitgebracht , aufgetragen wurde , vor der Tür Haus und Pferde zu bewachen .
Das Stübchen , das sie in Beschlag nahmen , war eng und nur zur Not vor dem Wetter verwahrt .
Ein Bett , das Julie für Leontin mitgebracht hatte , wurde verteilt und nebst einigem Stroh auf dem Fußboden ausgebreitet , so daß es für alle drei hinreichte ; Licht wagte man nicht zu brennen .
Die beiden Grafen nahmen das Fräulein in ihre Mitte , Leontin war vor Müdigkeit bald entschlafen .
Friedrich bemerkte , wie Julie sich fest aufs Ohr legte und tat als ob sie schliefe , während sie beide Augen lauschend weit offen hatte und Leontinen in einem_Fort ungestört betrachtete , bis sie endlich auch mit einschlummerte .
Friedrich hatte sich mit halbem Leibe aufgerichtet und sah sich , auf den einen Arm gestützt , ringsum .
Ein Schauder überlief ihn , sich wieder an demselben Orte zu erblicken , wo er damals die grausige Nacht verlebt .
Er gedachte des jungen Mädchens wieder , das ihm damals in dieser Stube hier Feuer gepickt hatte , ihm fiel dabei die rätselhafte Gestalt ein , die er heute bei seiner Ankunft vor der Mühle getroffen , und ihre flüchtige Ähnlichkeit mit jener , und er versank in ein Meer von Erinnerungen und Verwirrung .
Julien hörte er leise neben sich atmen , es war eine unendlich stille , mondhelle Nacht .
Da erhob sich auf einmal draußen ein Gesang , von einer Zither begleitet , zuerst vom Walde , dann wie aus der Ferne melodisch schallend , das Haus mit wunderschönen Weisen erfüllend , dann wieder weiter verhallend .
Friedrich wagte kaum zu atmen , um die Zauberei nicht zu stören .
Doch , je länger er den leise , verschwindenden Tönen lauschte , je unruhiger wurde er nach und nach ; denn es war wieder jenes alte Lied aus seiner Kindheit , das er einmal in der Nacht auf Leontins Schlosse von Erwin auf der Mauer singen gehört ; auch schien es dieselbe Stimme .
Er raffte sich endlich auf und trat leise vor die Türe hinaus .
Da lag und schlief der Bediente quer über der Schwelle wie ein Toter .
Draußen sah er den Sänger im hellen Mondscheine unter den hohen Eichen wandeln .
Er lief freudig auf ihn zu -- es war Erwin ! --
Der Knabe wandte sich schnell , und als er Friedrich'n erblickte , stürzte er mit einem durchdringenden Schrei zu Boden , unter ihm lag seine Zither zerbrochen .
Der Bediente auf der Schwelle fuhr über dem Schrei taumelnd auf .
Verrückt ! verrückt ! rief er , sich aufmunternd , Friedrich'n zu , und eilte sehr ängstlich in das Haus hinein , um seine Herrschaft zu wecken .
Friedrich'n schnitt dieser Ausruf wie Schwerter durchs Herz , denn er hatte es aus des Knaben unbegreiflicher Flucht längst gefürchtet .
Erwin sah indes wie aus einem langen Traume mit ungewißschweifenden Blicken rings um sich her und dann Friedrich'n an , während sehr heftige innerliche Zuckungen , die sich immer mehr dem Herzen zu nähern schienen , durch seinen Körper fuhren .
Abgebrochen durch den Schmerz , aber ohne sein schönes Gesicht zu verziehen , sagte er zu Frie drich : " Es war ein tiefes , weites , rosenrotes Meer , Dich sah ich darin auf dem Grunde immerfort über hohe Gebirge gehen , ich sang die besten alten Lieder , die ich wußte , aber Du erinnertest Dich nicht mehr daran , und ich konnte Dich niemals erjagen , und unten stand der Alte tief im Meere , ich fürchtete mich vor seinen Augen .
Manchmal ruhtest Du , auf mich zugewendet , aus , da saß ich still Dir gegenüber und sah Dich viel hundert Jahre an -- ach , ich war Dir so gut , so gut ! --
Die Leute sagten , ich sei verrückt , ich hörte es wohl und hörte auch draußen die Uhren schlagen und die Welt ordentlich gehen und schallen wie durch Glas , aber ich konnte nicht mit hinein .
Damals war mir wohl , jetzt bin ich wieder krank . --
Glaube nur nicht , daß ich jetzt irre spreche , jetzt weiß ich wohl recht gut , was ich rede und wo ich bin -- daß ist ja der Eichgrund , das ist die alte Mühle -- bei diesen Worten versank er in ein starres Nachsinnen .
Dann fuhr er unter immerwährenden Krämpfen wieder fort : Dort , wo die Sonne aufgeh 'n wird , ist ein großer Wald , in dem Walde wohnt ein Mann mit dunklen Augen und einer langen Schramme über dem rechten Auge , der kennt mich und Euch alle , er -- " hier nahmen die Zuckungen in immer engeren Kreisen auf einmal sehr heftig zu .
Der Knabe nahm Friedrichs Hand , drückte sie fest an seine Lippen und sagte :
mein lieber Herr !
Ein plötzlicher Krampf streckte noch einmal seinen ganzen Leib und er hörte auf zu atmen .
Friedrich , außer sich , stürzte über ihn her und öffnete oben schnell sein Wams , denn es war dieselbe phantastische Kleidung , die der Knabe sonst auf dem Schlosse des Herrn v. A. getragen hatte .
Wie sehr erschrak und erstaunte er , als ihm da der schönste Mädchenbusen entgegenschwoll , noch warm , aber nicht mehr schlagend .
-- Er blieb wie eingewurzelt auf seinen Knien und starrte dem Mädchen in das stille Gesicht , als hätte er es noch nie vorher gesehen .
Leontin und Julie waren unterdes auch aus der Mühle herbeigeeilt .
Sie schienen gar nicht erstaunt , Erwin hier zu sehen , noch weniger über die Entdeckung seines Geschlechts , sondern nur bestürzt über seinen jetzigen , unerwarteten Zustand .
In stummer Geschäftigkeit , ohne sich , wechselseitig zu erklären , waren alle nur bemüht , ihn ins Leben zurückzurufen -- aber alles blieb vergebens , das schöne , seltsame Mädchen war tot .
Julie hatte sie trostlos vor sich auf dem Schoße liegen .
Sie ruhte wie ein Engel still und schön .
Kein Atem wehte mehr säuselnd durch die zarten , roten Lippen , die sonst zu so wunderschönen Tönen sich auftaten , ihre großen Augen , so lieblichwild , waren auf ewig verschlossen , nur eine einsame Nachtluft bewegte noch ihre Locken hin und her .
Leontin und Friedrich saßen stillschweigend gegenüber .
Friedrich , dem jetzt auf einmal viele Sonderbarkeiten des Mädchens nur zu klar wurden , klagte sich in tiefem , stummen Schmerze bei sich selber an , daß er ihre zerstörende , verhaltene Liebe zu ihm so schlecht belohnt , daß er sie bei größerer Achtsamkeit hätte schonen und retten können .
Während des fing jenseits über dem Walde der Morgen an zu dämmern und beleuchtete die seltsame Gruppe .
Da kam plötzlich ein Bediente von dem Schlosse des Herrn v. A. angesprengt und brachte atemlos die Nachricht , daß ein feindlicher Offizier mit seinem Trupp in der Nähe herumstreife , und ihnen , wie er eben von Bauern erfahren , auf der Spur sei .
Die Bestürzung Aller über diese unerwartete Begebenheit war nicht gering .
Leontin und Friedrich , die Ein Schicksal verfolgte , waren in diesem Augenblick noch ohne weiteren Plan ; so viel war gewiß , daß Julie zum Vater zurückkehren , und das tote Mädchen mitnehmen mußte .
Die Leiche wurde daher eiligst auf ein lediges Handpferd gehoben .
Dabei entdeckte Julie ein reichgefaßtes Medaillon , welches das Mädchen auf dem bloßen Leibe hängen hatte und das sonst niemand jemals bei ihr bemerkt .
Es war das Porträt eines sehr schönen , etwa neunjährigen Mädchens .
Sie nahm es ab und überreichte es Friedrich'n .
Sein Gesicht veränderte sich , als er den ersten Blick darauf warf ; denn es waren die Züge der kleinen Angelina , mit der er als Kind so oft im Garten gespielt , und welcher , wie es ihm nun ganz klar wurde , das Kind Maria auf dem Heiligenbilde des verlassenen Gebirgsschlosses so auffallend ähnlich sah .
Er betrachtete es lange gerührt und stillschweigend .
Da fielen ihm die rätselhaften Worte wieder ein , die Erwin sterbend von dem Alten im Walde gesagt hatte .
Er zweifelte nicht , daß dieser um Vieles wissen müsse , was ihnen Licht über das sonderbare Leben der Verstorbenen und ihrem Zusammenhäng mit seiner eigenen Kindheit geben könne .
Er erzählte es Leontinen .
Dieser erschrak darüber und wurde bei jedem Worte aufmerksamer ; er schien den Alten selber schon gesehen zu haben , doch sagte er nicht , wann und wo .
Die beiden Freunde beschlossen nun , jenen Winken Erwins zufolge , die Richtung nach dem beschriebenen Walde hinzunehmen , um dort vielleicht eine erwünschte Auflösung zu erhalten , da überdies jene Wildnis von Feinden rein , und der Weg Leontinen ziemlich bekannt war .
Es wurde schnell alles vorbereitet .
Sie nahmen herzlichen Abschied von Julien , mit dem Versprechen , einander so bald als möglich wiederzusehen , und Julie ritt nun mit ihrer süßen , traurigen Last , die sie in ihrer bunten Kleidung wie eine abgebrochene Blume auf einem Pferde neben sich herführte , von der einen Seite nach Hause , während sie von der anderen gegen Sonnenaufgang in den großen Wald fortzogen .
Einundzwanzigstes Kapitel .
Der Morgen stieg dampfend aus den Wäldern , als die beiden Grafen schon ferne über einen einsamen Wiesengrund hinritten , der seltsamen Ereignisse dieser Nacht gedenkend .
Der Weg war für jeden Fremdling fast ungangbar , die Entfernung , die sie in den wenigen Stunden zurückgelegt , ziemlich beträchtlich , sie konnten schon langsamer und gemächlicher ziehen .
Da erzählte Leontin Friedrich'n Folgendes :
Es war ein schöner Sommermorgen , da Julie in ihrem Schlafzimmer , das , wie Du weißt , auf den Garten hinausgeht , noch schlummerte , als sie draußen von einer bekannten Stimme mit einem bekannten Liede geweckt wurde .
Sie trat in den Garten hinaus und sah Erwin , der wieder auf der Blumenterrasse saß und in das glänzende Land hinaussang .
Mit pochendem Herzen flog sie zu ihm und fragte ihn nach seinen Herren .
Der Knabe sah sie aber starr an , er war blaß und seltsam verwildert im Gesichte , und aus seinen verwirrten Antworten bemerkte sie bald mit Schrecken , daß er verrückt sei . --
In solchem Gemütszustande hatte er uns nämlich in jener Nacht auf dem Rheine so unbegreiflich verlassen , und auf unzähligen Umweh gen zu dem Schlosse des Herrn v. A. sich geflüchtet , wahrscheinlich aus Eifersucht , denn die beiden Jäger , die wir damals in der alten Burg trafen , und die dann mit uns auf dem Rheine fuhren , waren , wie ich nachher erfuhr , niemand anders als Romana und meine Schwester Rosa , welche Erwin bei dem schnellen Lichte des Blitzes , gleichwie mit schärferen Sinnen , plötzlich erkannt hatte .
-- Friedrich verwunderte sich hier über die gewagte Kleidung der beiden Weiber und beklagte das unglückliche Ungefähr , indem ihm dabei alles , was in jener Nacht vorgegangen , wieder erinnerlich wurde . --
Leontin fuhr fort : Erwin verriet durch seine jetzige verwirrte Unachtsamkeit gar bald sein Geschlecht und seine tiefe und unüberwindliche Neigung zu Dir .
Das unglückliche Mädchen sang sehr viel und ihre Lieder zeigten oft eine zeitig aufgereizte und heimlich genährte heftige Sinnlichkeit .
Von ihrem frühesten Leben war auch jetzt nicht das mindeste herauszukriegen .
Julie bot alles auf , sie zu retten .
Sie nannte sie Erwin , gab ihr Frauenzimmerkleider , suchte überhaupt alles erinnernde Phantastische aus ihrer Lebensweise zu entfernen und taufte sie so , nach dem gewöhnlichen Verfahren in solchen Fällen , in gemeingültige Prosa .
Das Mädchen wurde dadurch auch stiller , aber es war eine wahre Grabesstille , von der sie sich nur manchmal im Gesange wieder zu erholen schien .
So traf ich sie , als ich verwundet auf dem Schlosse ankam .
Mein erster Anblick verdarb auf einmal wieder viel an ihr , doch nur vorübergehend .
Viel heftiger , und uns allen unerklärlich aber erschütterte sie der Anblick der alten Mühle , wohin wir sie mitnahmen , als ich hingebracht wurde ; sie zitterte am ganzen Leibe .
Julie nahm sie daher künftig niemals mehr mit dorthin .
Gestern aber war sie Ihr heimlich nachgeschlichen , und sie war es , die Du im weißen Gewande singend vor der Mühle trafst .
Wir waren in nicht geringer Besorgnis , daß sie Dich nicht so plötzlich wiedersähe , und Julie schickte sie daher heimlich mit dem Bedienten sogleich wieder auf das Schloß zurück .
Dort muß sie aber in der Nacht ihrer alten Knabentracht habhaft geworden und noch einmal entwichen sein .
Der Schluß von Leontins Erzählung bestätigte Friedrichs Ahnung , daß Erwin wirklich dasselbe Mädchen sein müsse , das ihm damals in jener fürchterlichen Nacht in der Mühle Feuer gemacht und hinaufgeleuchtet hatte , womit auch ihre schon bemerkte Ähnlichkeit vollkommen übereinstimmte .
Er versank darüber in Gedanken und sie beschleunigten beide stillschweigend wieder ihre Reise .
Gegen Abend erblickten sie auf einmal von einer Höhe fern unten die Kuppeln der Residenz .
Ein von plötzlichem Regen angeschwollener Gebirgsbach hinderte sie zugleich , ihren Weg in der bisherigen Richtung fortzusetzen .
Sie blieben eine Weile unentschlossen stehen .
Die Dämmerung fing indes an , sich niederzusenken , da bemerkten sie mit Ver- wun Wunderung Feuerblicke und schnell entstehende und wieder verschwindende Sterne in der Gegend der Residenz , die sie für Raketen hielten .
Das sieht recht lustig aus , sagte Leontin .
Hier können wir ohnedies nicht weiter , laß uns einen Streifzug dorthinaus wagen und sehen , was es in der Stadt gibt .
Wir kommen wohl in der Dunkelheit unerkannt durch und sind , ehe der Tag anbricht , wieder im Gebirge .
-- Friedrich willigte ein , und so zogen sie ins Tal hinunter .
Noch vor Mitternacht langten sie vor der Residenz an .
Der ganze Kreis der Stadt war bis zu den höchsten Turmspitzen hinauf erleuchtet und lag mit seinen unzähligen Fenstern wie eine Feeninsel in der stillen Nacht vor ihnen .
Sie hatten die Kühnheit bis ins Tor hineinzureiten .
Ein verworrener Schwall von Musik und Lichtern quoll ihnen da entgegen .
Herren und Damen wandelten , wie am Tage , geputzt durch die Gassen , unzählige Wagen mit Fackeln tosten dazwischen , sich mannigfaltig durchkreuzend , eine fröhliche Menge schwärmte hin und her . --
Nun , was gibt es denn hier noch für eine rasende Freude ? fragte Leontin endlich einen Handwerksmann , der , ein Schurzfell um den Leib , und ein Glas Branntwein hoch in der Hand , unaufhörlich Vivat rief .
Der Mann machte eine verteufelt pfiffige Miene und hätte gern die Unwissenheit der beiden Fremden tüchtig abgeführt , wenn ihm nicht eben sein Witz versagt hätte .
Endlich 25 sagte er : der Erbprinz hält heute Hochzeit mit der schönen Gräfin Rosa .
Wer will mir da den Branntwein verbieten !
Mag der Gräfin voriger Bräutigam Wasser saufen , denn er ist lange tot , und Ihr Bruder mit den Engeln Milch und Honig trinken , denn er treibt sich in allen Wäldern herum .
Hole der Teufel alle Ruhestörer !
Friede !
Friede !
Es leben alle Patrioten , Vivat hoch ! --
So taumelte der Brandtweinzapf wieder weiter .
Die beiden Grafen sahen einander verwundert an .
An Friedrichs Brust schallte die Neuigkeit ziemlich gleichgültig vorüber .
Er hatte Rosaen längst aufgegeben .
Seine Phantasie , die Liebeskupplerin , war seitdem von größeren Bildern durchdrungen , alle die hellen Quellen seiner irdischen Liebe waren in Einen großen , ruhigen Strom gesammelt , der andere Wünsche und Hoffnungen zu einem anderen Geliebten trug . --
Ein Bürger , der ihr Gespräch mit dem Betrunkenen mit angehört hatte , war unterdes zu ihnen getreten und sagte :
Es ist alles wahr , was der Kerl da so konfus vorgebracht .
Die Gräfin Rosa hatte wirklich vorher schon einen Grafen zum Liebhaber .
Der ist aber im Kriege geblieben , und es ist gut für ihn , denn er ist mit Lehn und Habe dem Staate verfallen .
Der Bruder der Gräfin ebenfalls , aber wir wissen von sicherer Hand , daß man gegen diesen nicht streng verfahren wird und ihm gern verzeihen möchte , wenn er nur zurückkä me und Reue und Besserung verspüren lassen wollte .
-- Leontin lachte bei diesen Worten laut auf und gab seinem Pferde die Sporen .
Frischauf ! sagte er zu Friedrich , ich ziehe mit den Toten , da die Lebendigen so abgestanden sind !
Ich mag keinen von ihnen mehr wiedersehen , kommen wir wieder zurück auf unsere grünen Freiheitsburgen !
Sie waren indes an das fürstliche Schloß gekommen .
Tanzmusik schallte aus den hellen Fenstern .
Eine Menge Volks war unten versammelt und gebärdete sich wie unsinnig vor Entzücken .
Denn Rosa zeigte sich eben an der Seite ihres Bräutigams am Fenster .
Man konnte sie deutlich sehen .
Ihre blendende Schönheit , mit einem reichen Diadem von Edelsteinen geschmückt , funkelte und blitzte bei den vielen Lichtern manches Herz unten zu Asche . --
So hatte sie ihr höchstes Ziel , die weltliche Pracht und Herrlichkeit erreicht .
-- Sie taugte niemals viel , Weltfutter , nichts als Weltfutter ! schimpfte Leontin ärgerlich immerfort .
Friedrich drückte den Hut tief in die Augen und so zogen die beiden dunklen Gestalten einsam durch den Jubel hindurch , zum Tore hinaus und wieder in die Berge zurück .
Nach mehreren einsamen Tagereisen , wobei auch die schönen Nächte zu Hilfe genommen wurden , kamen sie endlich immer höher auf das Gebirge .
Die Gegend wurde immer größer und ern 25 * ster , kaum noch lagen mehr einzelne Hirtenhütten in den tiefen dunkelgrünen Schlüften hin und her zerstreut , es war eine grenzenlose Einsamkeit , nebenaus oft Streifen von unermeßlicher Aussicht .
Ihre Herzen wurden wieder stark und weit und voll kühler Freudenquellen .
Da erblickten sie sehr unerwartet mitten in der Wildnis einen niedrigen , zierlichen Zaun von weißem Birkenholz , dem es ordentlich Mühe zu kosten schien , die wilde Freiheit der Natur , die überall ihre grünen , festen Arme , wie zum Spotte , ungezogen durchstreckte , im Zaum zu halten .
Sie lachten einander beide bei dem ersten Anblicke an , denn überraschender konnte ihnen nichts kommen , als gar eine moderne englische Anlage in dieser menschenleeren Gegend .
Sie ritten längs des Zaunes hin , aber nirgends war die geringste Spur eines Einganges .
Sie wußten wohl , daß sie bereits in dem großen Walde sein mußten , den Erwine sterbend meinte , auch waren sie nach der langen Tagereise begierig , endlich einmal Menschen , Speis und Trank wiederzufinden , sie banden daher ihre Pferde an und sprengten über den Zaun hinein .
Ein niedlicher Schlangenpfad , mit weißem Sande ausgestreut , führte sie dort bis an ein großes , dichtes Gebüsch von meist ausländischen Sträuchern , wo er sich plötzlich in zwei Arme teilte .
Sie schlugen nun jeder für sich allein einen derselben ein , um so desto eher zu einer erwünschten Entdeckung zu gelangen .
Doch diese schmalen Pfa de gingen seltsam genug in einem ewigen Kreise immerfort um sich selber herum , so daß die beiden Grafen , je emsiger sie zuschritten , zwar immer ganz nahe blieben , aber einander niemals erjagen oder zusammenkommen konnten .
Einigemal , wo die Gänge sich plötzlich durchkreuzten , stießen sie unverhofft aneinander , trennten sich von neuem , und standen endlich , nachdem sie sich beinahe müde geirrt , auf einmal wieder vor dem Zaune , an demselben Orte , wo sie ausgelaufen waren .
Sie lachten und ärgerten sich zugleich über den sinnreichen Einfall .
Doch machte sie diese kleine Probe aufmerksam und neugieriger auf die ganze sonderbare Anlage .
Sie nahmen daher noch einmal einen beherzten Anlauf und drangen nun mitten durch das dicke Gehege gerade hindurch .
Da kamen sie bald auf einen freien Platz zu einem Gebäude .
Ihre Augen konnten sich bei dem ersten verwirrenden Anblick durchaus nicht aus dem labyrinthischen , höchstabenteuerlichen Gemisch dieses Tempels herausfinden , so unförmlich , obgleich klein , war alles über- und durcheinander gebaut .
Den Haupteingang nämlich bildete ein griechischer Tempel mit zierlichem Säulenportal , welches sehr komisch aussah , da alles überaus niedlich und nur aus angestrichenem Holze war .
Sie traten hinein und fanden in der Halle einen hölzernen Apollo , der die Geige strich und dem der Kopf fehlte , weil nicht mehr Raum genug dazu übriggeblieben war .
Gleich aus dem Tempel trat man in einen geschmackvollen Kuhstall nebst einer vollständigen holländischen Mayerey in der neuesten Manier , aber alles leer .
Über der Mayerey hing wie ein Bienenkorb eine Art von schwebender Einsiedelei .
Den zweiten Eingang bildete ein viereckiger Turm , wie bei den alten Burgen , der eine Ruine vorstellen sollte , und auf dessen Mauer hin und her Blumentöpfe mit Moos umherstanden .
Über das ganze Gemisch hinweg endlich erhob sich ein feingeschnitztes , buntes , chinesisches Türmchen , an welchem unzählige Glöcklein im Winde musizierten .
Unter diesem Türmchen in dem innersten Gemache saß inmitten des getäfelten Bodens ein unförmlicher , kleiner Chinese von Porzellan mit untergeschlagenen Beinen und dickem Bauche und wackelte einsam fort mit dem breiten Kahlkopfe , als der einzige Bewohner seines unsinnigen Palastes .
Nein , das ist zu toll ! sagte Leontin , was gäbe ich drum , wenn wir den Phantasten von Baumeister noch selber in seinem Zauberneste überraschten !
Das ist ja ein wahrer Surrogat-Tempel für alle Geschmäcke auf Erden .
Während des waren sie endlich in dem letzten Gemache des Gebäudes angekommen , welches mit großen goldenen Buchstaben : " Gesellschafts-Saal " überschrieben war .
Sie erstaunten auch wirklich beim Eintritt nicht wenig über die ungeheure Gesellschaft , denn Wände und Decke bestanden daselbst aus künstlich-geschliffenen Spiegeln , die ihre Gestalten auf einmal ins Unendliche vervielfältigten .
Ihr Kopf war ganz überfüllt und verwirrt von dem Gesehenen .
Kein Mensch war in der weiten Runde zu hören , es grauste ihnen fast , länger in dieser Verrückung so einsam zu verweilen und sie begaben sich daher schnell wieder ins Freie .
Sie durchstrichen darauf noch den anderen Teil des Parks , der auf die alttäglichste Art mit Trauerweiden , Baumgruppchen , Brückchen u. s. w. angefüllt war .
Auch die üblichen Aushängetafeln mit Inschriften waren im Überfluß vorhanden , nur mit dem Unterschiede , daß hier alle von einer ungeheuren Länge und Breite waren , so daß sie die jungen Bäume , an denen sie befestiget , fast bis auf die Erde herunterzogen .
Unsere Reisenden verweilten verwundert hin und wieder , und lasen unter anderen :
" Wachsen , Blühen , Staubwerden . "
-- Gleich daneben stand auf einer anderen Tafel die erste Strophe von : " Freut euch des Lebens ! " u. s. w. , nebst einigen Zotten .
So von groben Bäumen verfolgt , waren sie endlich am anderen Ende des sonderbaren Parks angekommen , wo derselbe wieder durch ein niedliches Zäunchen von dem Walde geschieden war .
Noch eine ungeheure Inschrift begrüßte sie dort folgendermaßen :
" Gefühlvoller Wanderer ! stehe still und vergieße einige Tränen über deine Narrheit ! "
Darunter stand nur noch halbleserlich mit Bleistift geschrieben : " und dann kehre wieder um , denn mir bist du doch nur langweilig . "
Nicht ohne Bedeutung , wie es schien , stieß diese letzte Partie des Gartens , welche besonders kleinlich aus allerlei Zwergbäumchen nebst einem kaum bemerkbaren Wasserfalle bestand , auf einmal an den dunkelgrünen Saum des Hochwaldes .
Zwischen Felsen stürzte dort ein einsamer Strom gerade hinab , als wollte er den ganzen Garten vernichten , wandte sich dann am Fuß der Höhe plötzlich , wie aus Verachtung , wieder seitwärts in den Wald zurück , dessen ernstes , ewiggleiches Rauschen gegen die unruhig phantastische Spielerei der Gartenanlage fast schmerzlich abstach , so daß die beiden Freunde überrascht still standen .
Sie sehnten sich recht in die große , ruhige , kühle Pracht hinaus und atmeten erst frei , als sie wirklich endlich wieder zu Pferde saßen .
Während sie sich so über das Gesehene besprachen , verwundert , keine menschliche Wohnung ringsum zu erblicken , fing indes die Gegend an etwas lieblicher und milder zu werden .
Vor ihnen erhob sich ein freundlicher , bis an den Gipfel mit Laubwald bedeckter Berg aus dem dunkelzackigen Chaos von Gebirgen .
Hinter dem Berge schien es nach der einen Seite hin auf einmal freier zu werden und versprach eine große Aussicht .
Sie zogen langsam ihres Weges fort , der Himmel war unbeschreiblich heiter , der Abend sank schon hernieder und spielte mit seinen letzten Strahlen lustig in dem lichten Grün des Berges vor ihnen .
Friedrich hatte lange unverwandt in die Gegend vor sich hinausgesehen , dann hielt er plötzlich an und sagte :
Ich weiß nicht , wie mir ist , diese Aussicht ist mir so altbekannt , und doch war ich so lange ich lebe nicht hier . --
Je weiter sie kamen , je erinnernder und sehnsüchtiger sprach jede Stelle zu ihm ; oft verwandelte sich auf einmal alles wieder , ein Baum , ein Hügel legte sich fremd vor seine Aussicht wie in eine uralte , wehmütige Zeit , doch konnte er sich durchaus nicht besinnen .
So hatten sie nach und nach den Gipfel des Berges erreicht .
Freudig überrascht standen sie beide still , denn eine überschwengliche Aussicht über Städte , Ströme und Wälder , so weit die Blicke in das fröhlichbunte Reich hinauslangten , lag unermeßlich unter ihnen .
Da erinnerte sich Friedrich auf einmal ; das ist ja meine Heimat ! rief er , mit ganzer Seele in die Aussicht versenkt .
Was ich sehe , hier und in die Runde , alles gemahnt mich wie ein Zauberspiegel an den Ort , wo ich als Kind aufwuchs !
Derselbe Wald , dieselbe Gänge -- nur das schöne altertümliche Schloß finde ich nicht wieder auf dem Berge .
-- Sie stiegen weiter und erblickten wirklich auf dem Gipfel im Gebüsche die Ruinen eines alten , verfallenen Schlosses .
Sie kletterten über die umhergeworfenen Steine hinein , und erstaunten nicht wenig , als sie dort ein steinernes Grabmal fanden , das ihnen durch seine Schönheit sowohl , als durch seine mannigfaltige Bedeutsamkeit auffiel .
Es stellte nämlich eine junge , schöne , fast wollüstiggebaute weibliche Figur vor , die tot über den Steinen lag .
Ihre Arme waren mit künstlichen Spangen , ihr Haupt mit Pfauenfedern geschmückt .
Eine große Schlange , mit einem Krönlein auf dem Kopfe , hatte sich ihr dreimal um den Leib geschlungen .
Neben und zum Teil über dem schönen Leichnam lag ein altgeformtes Schwert , in der Mitte entzweigesprungen und ein zerbrochenes Wappen .
Aus dieser Gruppe erhob sich ein hohes , einfaches Kreuz , mit seinem Fuße die Schlange erdrückend .
Friedrich traute seinen Augen kaum , da er bei genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schilde sein eigenes Familien-Wappen erkannte .
Seine Augen fielen dabei noch einmal aufmerksamer auf die weibliche Gestalt , deren Gesicht so eben von einem glühenden Abendstrahl hell beleuchtet wurde .
Er erschrak und wußte doch nicht , warum ihn diese Mienen so wunderbar anzogen .
Endlich nahm er das kleine Porträt hervor , das sie auf Erwinens Brust gefunden hatten .
Es waren dieselben Züge , es war das schöne Kind , mit dem er damals in dem Blumengarten seiner Heimat gespielt ; nur das Leben schien seitdem viele Züge verwischt und seltsam entfremdet zu haben .
Ein wehmütiger Strom von Erinnerung zog da durch seine Seele , dem er kaum mehr in jenes frühste , helldunkle Wunderland nachzufolgen vermochte .
Er fühlte schaudernd seinen eigenen Lebenslauf in den geheimnisvollen Kreis dieser Berge mit hineingezogen .
Er setzte sich voller Gedanken auf das steinerne Grabmal und sah in die Täler hinunter , wie die Welt da nur noch in einzelnen , großen Farbenmassen durcheinanderarbeitete , in welche Türme und Dörfer langsam versanken , bis es dann stille wurde wie über einem beruhigten Meere .
Nur das Kreuz auf ihrem Berge oben funkelte noch lange golden fort .
Da hörten sie auf einmal hinter ihnen eine Schalmei über die Berge wehen ; die Töne blieben oft in weiter Ferne aus , dann brachen sie auf einmal wieder mit neuer Gewalt durch die ziehenden Wolken herüber .
Sie sprangen freudig auf .
Sie zweifelten längst nicht mehr , daß sie sich in dem Gebiete des sonderbaren Mannes befänden , zu dem sie von Erwin hingewiesen worden .
Um desto willkommener war es ihnen , endlich einen Menschen zu finden , der ihnen aus diesem wunderbaren Labyrinthe heraushälfe , in dem ihre Augen so wie Gedanken verwirrt und verloren waren .
Sie bestiegen daher schnell ihre Pferde und ritten jenen Klängen nach .
Die Töne führten sie immerfort bergan zu einer ungeheuren Höhe , die immer öder und verlassener wurde .
Ganz oben erblickten sie endlich einen Hirten , welcher , auf der Schalmei blasend , seine Herde in der Dämmerung vor sich her nach Hause trieb .
Sie grüßten ihn , er dankte und sah sie ruhig und lange von oben bis unten an .
Wem dient ihr ? fragte Leontin -- Dem Grafen .
-- Wo wohnt der Graf ? --
Dort rechts auf dem letzten Berge in seinem Schlosse . --
Wer liegt dort , fuhr Leontin fort , auf der grünen Höhe unter den steinernen Figuren begraben ? --
Der Hirte sah ihn an und antwortete nicht ; er wußte nichts davon und war noch niemals dort hinabgekommen .
-- Sie ritten langsam neben ihm her , da erzählte er ihnen , wie auch er weit von hier in den Tälern geboren und aufgewachsen sei , aber das ist lange her , sagte er , und weiß nicht mehr , wie es unten aussieht .
Darauf wünschte er ihnen eine gute Nacht , nahm seine Schalmei wieder vor und lenkte links in das Gebirge hinein .
-- Sie blickten rings um sich , es war eine weite , kahle Heide und die Aussicht zwischen den einzelnen Fichten , die hin und her zerstreut standen , unbeschreiblich einsam , als wäre die Welt zu Ende .
Es wurde ihnen Angst und weh an dem Orte .
Sie gaben ihren Pferden die Sporen und schlugen rechts den Weg ein , den ihnen der einsilbige Hirte zu dem Schlosse des Grafen angezeigt hatte .
Es war indes völlig dunkel geworden .
Die Gegend wurde noch immer höher , die Luft schärfer ; sie wickelten sich fest in ihre Mäntel ein und ritten schnell fort .
Da erblickten sie endlich auf dem höchsten Gipfel des Gebirges das verheißene Schloß .
Es war , soviel sie in der Dunkelheit unterscheiden konnten , weitläufig gebaut und alt .
Der Weg führte sie von selbst durch ein dunkles Bogenthor in den altertümlichen , gepflasterten Hof , in dessen Mitte sich ein großer Baum über einem steinernen Springbrunnen wölbte .
Das erste , das ihnen dort auffiel , war ein seltsamer Mensch , mit einem langen , breiten Talar über den Achseln , einer Art von Krone , die etwas schief auf dem Kopfe saß , und einem langen Hirtenstab in der Hand .
Er näherte sich ihnen ein wenig , kehrte sich dann stolz wieder um und ging mit einem feierlich abgemessenen Schwebetritt langsam über den Hof , wobei der breite Mantel , wie der Schweife eines sich aufblähenden kalkuttischen Hahnes , hinter ihm dreinrauschte .
Ein alter Mann war unterdes heruntergekommen , und sagte den beiden Gästen , sein Graf sei nicht zu Hause , bat sie aber abzusteigen .
Sie hatten die Augen noch auf jene vorüberschwebende Figur gerichtet , und fragten erstaunt , was das zu bedeuten habe ?
Er sucht den Karfunkelstein , sagte der Alte trocken und führte ihre Pferde ab .
Ein junger Mensch , der sich inzwischen mit einem Lichte eingefunden hatte , bat sie , ihm zu folgen , und führte sie stillschweigend über verschiedene Wendeltreppen und einen langen Bogengang in ein großes , gotischgewölbtes Gemach mit zwei Himmelbetten , ein Paar großen , altmodischen Stühlen und einem ungeheuren runden Tische in der Mitte .
Sie bemerkten mit Verwunderung , daß er ein ledernes Reiterwams trug und seine ganze Tracht überhaupt altdeutsch sei .
Seine blonden Haare hat te er über der Stirn gescheitelt und in schönen Locken über die Schultern herabhängend .
Er setzte das Licht auf den Tisch und fragte sie , wann sie wieder weiter zu ziehen gedächten ?
Ach , fügte er hinzu , ohne erst ihre Antwort abzuwarten , ach , könnte ich mitziehen ! --
Und wer hält Euch denn hier ? fragte Leontin . --
Es ist meine eigene Unwürdigkeit , entgegnete jener wieder , wohl fehlt mir noch viel zu der ehrenfesten Gesinnung , zu der Andacht und der beständigen Begeisterung , um der Welt wieder einmal Luft zum Himmel zu hauen .
Ich bin geringe und noch kein Ritter , aber ich hoffe es durch fleißige Tugendübung mit Gottes Gnade zu werden und gegen die Heiden hinauszuziehen .
Denn die Welt wimmelt wieder von Heiden .
Die Burgen sind geschleift , die Wälder ausgehauen , alle Wunder haben Abschied genommen , und die Erde schämt sich recht in ihrer fahlen , leeren Nacktheit vor dem Kruzifixe , wo noch eines einsam auf dem Felde steht ; aber die Heiden hantieren und gehen hochmütig vorüber und schämen sich nicht . --
Er sprach dies mit einer wirklich rührenden Demut , doch selbst in der steigenden Begeisterung , in die er sich bei den letzten Worten hineingesprochen hatte , blieb etwas modern fades in seinen Zügen zurück .
Leontin faßte ihn bei der Hand und wußte nicht , was er aus ihm machen sollte , denn für einen Menschen , der seine ordentliche Vernunft besitzt , hatte er ihm doch beinahe zu gescheit gesprochen .
Unterdes hatte sich der Ritter nachlässig in einen Stuhl geworfen , zog eine Lorgnette unter dem Wams hervor , betrachtete die beiden Grafen flüchtig und sagte , seine letzten Worte wohlgefällig wiederholend : " aber die Heiden gehen vorüber und schämen sich nicht " -- .
Recht gut gesagt , nicht wahr , recht gut ? --
Beide sahen ihn erstaunt an . --
Er lorgnirte sie von neuem .
Aber ihr seid doch recht einfältig , fuhr er darauf lachend fort , daß ihr das alles eigentlich so für baren Ernst nehmt !
Ihr seid wohl noch niemals in Berlin gewesen ?
Seht , ich möchte wohl eigentlich ein Ritter sein , aber , aufrichtig gesprochen , das ist doch im Grunde alles närrisches Zeug , welcher gescheite Mensch wird im Ernste an so etwas glauben !
Überdies wäre es auch schrecklich langweilig , so strenge auf Tugend und Ehre zu halten .
Ich versichere Euch aber , ich bin wohl eigentlich ein Ritter , aber ihr faßt das nur nicht , ihr anderen Leute , ich halte aus ganzer Seele gleichsam auf die alte Ehre , aber seht , das ist ganz anders zu verstehen -- das ist -- aber ihr versteht mich doch nicht -- das ist -- hierbei schien er verwirrt und zerstreut zu werden .
Er zog sein Ritterwams vom Leibe und erschien auf einmal in einem überaus modernen Neglig : vom feinsten , weißen Perkal , von dem er mit vieler Grazie hin und wieder die Staubfleckchen abzuklopfen und wegzublasen bemüht war .
Nach einer Weile nahm er das Augenglas wieder vor und musterte die beiden Fremden , sich vornehm auf dem Sessel hin und herschaukelnd .
Bei welchem Schneider lassen Sie arbeiten ? sagte er endlich .
Dann stand er auf und befühlte ihre Hemden an der Brust .
Aber , mein Gott ! wie kann man so etwas tragen ? sagte er , bon soir , bon soir , mes amis !
Hiermit ging er , laut ein französisches Liedchen trällernd , ab .
In der Türe begegnete er einem Mädchen , das eben mit einem Korb voll Erfrischungen heraufkam .
Er nahm sie sogleich in den Arm und wollte sie küssen .
Sie schien aber keinen Spaß zu verstehen und warf den Ritter , wie sie an dem Gepolter wahrnehmen konnten , ziemlich unsanft die Stiege hinab .
Nun wahrhaftig , sagte Friedrich , hier geht es lustig zu , ich sehe nur , wann wir beide selber anfangen , mit verrückt zu werden .
-- Mir war bei dem Kerl zu Mute , meinte Leontin , als sollten wir ihn hundmässig durchprügeln .
Das Mädchen hatte unterdes , ohne ein Wort zu sprechen , mit unglaublicher Geschwindigkeit den Tisch gedeckt und Essen aufgetragen .
Ihre Hast fiel ihnen auf , sie betrachteten sie genauer und erschraken beide , als sie in ihr die verlorene Marie erkannten .
Sie war Leichenblaß , ihr schönes Haar war seltsam aufgeputzt und phantastisch mit bunten Federn und Flitter geschmückt .
Der überraschte Leontin nahm sie sanftstreichelnd bei dem weichen , vollen Arme und sah ihr in die sonst so frischen Augen , die er seit ihrem Abschiede auf der Gebirges reise reise nicht wiedergesehen hatte .
Sie aber wand die Hand los , legte den Finger geheimnisvoll auf den Mund und war so im Augenblicke zur Tür hinaus .
Vergebens eilten und riefen sie ihr nach , sie war gleich einer Lazerte zwischen dem alten Gemäuer verschwunden .
Beide hatte dieses unerwartete Begegnung sehr bewegt .
Sie lehnten sich in das Fenster und sahen über die Wälder hinaus , die der Mond herrlich beleuchtete .
Leontin wurde immer stiller .
Endlich sagte er :
es ist doch seltsam , wie gegenwärtig mir hier eine Begebenheit wird , die mich einst heftig erschütterte ; und ich täusche mich nicht , daß ich hier endlich eine Auflösung darüber erhalten werde .
Friedrich bat ihn , sie ihm mitzuteilen , und Leontin erzählte :
Ich hatte einst ein Liebchen hinter dem Walde bei meinem Schlosse , ein gutes , herziges , verliebtes Ding .
Ich ritt gewöhnlich spät Abends zu ihr , und sie litt mich wohl manchmal über Nacht .
Eines Abends , da ich eben auch hinkomme , sieht sie ungewöhnlich blaß und ernsthaft und empfängt mich fast feierlich , ohne mir wie sonst um den Hals zu fallen .
Doch schien sie mehr traurig als schmollend .
Wir gingen an dem Teiche spazieren , der bei ihrem Häuschen lag , wo sie mit ihrer Mutter einsam wohnte ; da sagte sie mir :
ich sei ja gestern Abends noch sehr spät bei ihr gewesen , und da sie mich küssen wollen , hätte ich sie ermahnt , lieber 26 Gott als die Männer zu lieben , darauf hätte ich noch eine Weile sehr streng und ernsthaft mit ihr gesprochen , wovon sie aber nur wenig verstanden , und wäre dann ohne Abschied fortgegangen .
-- Ich erschrak nicht wenig über diese Rede , denn ich war jenen Abend nicht von meinem Schlosse weggekommen .
Während sie noch so erzählte , bemerkte ich , daß sie plötzlich blaß wurde und starr auf einen Fleck im Walde hinsah .
Ich konnte nirgends etwas erblicken , aber Sie fiel auf einmal für tot auf die Erde . --
Als sie sich zu Hause , wohin ich sie gebracht , nach einiger Zeit wieder erholt hatte , schien sie sich ordentlich vor mir zu fürchten und bat mich in einer sonderbaren Gemütsbewegung , niemals mehr wieder kommen .
Ich musste es ihr versprechen , um sie einigermaßen zu beruhigen .
Demungeachtet trieb mich die Besorgnis um das Mädchen und die Neugierde den folgenden Abend wieder hinaus , um wenigstens von der Mutter etwas zu erfahren .
Es war schon ziemlich spät , der Mond schien wie heute .
Als ich in dem Walde , durch den ich hindurch mußte , eben auf einem etwas freien , mondhellen Platz herumbeuge , steigt auf einmal mein Pferd und mein eigenes Haar vom Kopf in die Höhe .
Denn einige Schritt vor mir , lang und unbeweglich an einem Baume , stehe Ich selber leibhaftig .
Mir fiel dabei ein , was das Mädchen gestern sagte ; mir grauste durch Mark und Bein bei dem gräßlichen Anblick .
Darauf faßte mich , ich weiß selbst nicht wie , ein seltsamer Zorn , das Phantom zu vernichten , das immer unbeweglich auf mich sah .
Ich spornte mein Pferd , aber es stieg schnaubend in die Höhe und wollte nicht dran .
Die Angst steckte mich am Ende mit an , ich konnte es nicht aushalten , länger hinzusehen , mein Pferd kehrte unaufhaltsam um , eine unbeschreibliche Furcht bemächtigte sich seiner und meiner , und so ging es Windschnell durch Sträucher und Hecken , daß die Äste mich hin und her blutig schlugen , bis wir beide atemlos wieder bei dem Schlosse anlangten .
Das war jener Abend vor unserer Gebirgsreise , da ich so wild und ungebärdet tat , als Du mit Faber ruhig am Tisch auf der Wiese saßest .
-- Später erfuhr ich , daß das Mädchen denselben Abend um dieselbe Stunde gestorben sei . --
Und so wolle Gott jeden Schnappfan kurieren , denn ich habe mich seitdem gebessert , das kann ich redlich sagen !
Friedrich erinnerte sich bei dieser wunderlichen Geschichte an eine Nacht auf Leontins Schlosse , wie er Erwinen einmal von der Mauer sich mit einem fremden Manne unterhalten gehört , und dann einen langen , dunklen Schatten von ihm in den Wald hineingehen gesehen hatte . -- Allerdings , sagte Leontin , habe ich selber einmal dergleichen bemerkt , und es kam mir zu meinem Erstaunen vor , als wäre es dieselbe Gestalt , die mir im Walde erschienen .
Aber Du weißt , wie geheimnisvoll Erwi 26 * ne immer war und blieb ; doch soviel wird mir , nach verschiedenen flüchtigen Äußerungen von ihr , immer wahrscheinlicher , daß dieses Bild hier in diesem Walde spucke oder lebe , es sei nun , was es wolle . --
Ich weiß nicht , ob Du noch unseres Besuches auf dem Schlosse der Frau v. A. gedenkest .
Dort sah ich ein altes Ritterbild , vor dem ich augenblicklich zurückfuhr .
Denn es war offenbar sein Porträt .
Es waren meine eigenen Züge nur etwas älter und einen fremden Zug auf der Stirn über den Augen . --
Während Leontin noch so sprach , hörten sie auf einmal ein Geräusch auf dem Hofe unten und ein Reiter sprengte durch das Tor herein ; mehrere Windlichter füllten sogleich den Platz , in deren über die Mauern hinschweifend Scheinen sich alle Figuren nur noch dunkler ausnahmen .
Er ist_es ! rief Leontin .
-- Der Reiter , welcher der Herr des Schlosses zu sein schien , stieg schnell ab und ging hinein , die Windlichter verschwanden mit ihm und es war plötzlich wieder dunkel und stille wie vorher .
Leontin war sehr bewegt , sie beide blieben noch lange voll Erwartung am Fenster , aber es rührte sich nichts im Schlosse .
Ermüdet warfen sie sich endlich auf die großen , altmodischen Betten , um den Tag zu erwarten , aber sie konnten nicht einschlafen , denn der Wind knarrte und pfiff unaufhörlich an den Wetterhähnen und Pfeilern des alten , weitläufigen Schlosses , und ein seltsames Sau sein , das nicht vom Walde herzukommen schien , sondern wie ferner Wellenschlag tönte , brauste die ganze Nacht hindurch .
Zweiundzwanzigstes Kapitel .
Kaum fing der Morgen draußen an zu dämmern , so sprangen die Beiden schon von ihrem Lager auf und eilten aus ihrem Zimmer auf den Gang hinaus .
Aber kein Mensch war noch da zu sehen , die Gänge und Stiegen standen leer , der steinerne Brunnen im Hofe rauschte einförmig fort .
Sie gingen unruhig auf und ab ; nirgends bemerkten sie einen neuen Bau oder Verzierung an dem Schlosse , es schien nur das Alte gerade zur Notdurft zusammengehalten .
Bunte Blumen und kleine grüne Bäumchen wuchsen hin und wieder auf dem hohen Dache , zwischen denen Vögel lustig sangen .
Sie kamen endlich über mehrere Gänge in dem abgelegensten und verfallensten Teile des Schlosses in ein offenes , hochgelegenes Gemach , dessen Wände sie mit Kohle bemalt fanden .
Es waren meist flüchtige Umrisse von mehr als lebensgroßen Figuren , Felsen und Bäumen , zum Teil halbverwischt und unkenntlich .
Gleich an der Türe war eine seltsame Figur , die sie sogleich für den Eulenspiegel erkannten .
Auf der anderen Wand erkannte Frie drich höchstbetroffen einen großen , ziemlich weitläufigen Umriß seiner Heimat , das große alte Schloß und den Garten auf dem Berge , den Strom unten , den Wald und die ganze Gegend .
Aber es war unbeschreiblich einsam anzusehen , denn ein ungeheurer Sturm schien über die winterliche Gegend zu gehen , und beugte die entlaubten Bäume alle nach einer Seite , so wie auch eine wilde Flammenkrone , die aus dem Dache des Schlosses hervorbrach , welches zum Teil schon in der Feuersbrunst zusammenstürzte .
Friedrich konnte die Augen von diesen Zügen kaum wegwenden , als Leontin einen Haufen von Zeichnungen und Skizzen hervorzog , die ganz verstaubt und vermodert in einem Winkel des Zimmers lagen .
Sie setzten sich beide auf den Fußboden hin und rollten eine nach der anderen auf .
Die meisten Blätter waren komischen Inhalts , fast alle von einem ungewöhnlichen Umfang .
Die Züge waren durchaus keck und oft bis zur Härte streng , aber keine der Darstellungen machte einen angenehmen , viele sogar einen widrigen Eindruck .
Unter den komischen Gesichtern glaubte Friedrich zu seiner höchsten Verwunderung manche alte Bekannte aus seiner Kindheit wiederzufinden .
Der erste Morgenschein fiel indes so eben durch die hohen Bogenfenster und spielte gar seltsam an den Wänden der Polterkammer und in die wunderliche Welt der Gedanken und Gestalten hinein , die rings um sie her auf dem Boden zerstreut lagen .
Es war ihnen dabei wie in einem Traume zu Mute .
-- Sie schoben endlich alle die Bilder wieder in den Winkel zusammen und lehnten sich zum Fenster hinaus .
Alles war noch nächtlich und grenzenlos still , nur einige frühe Vögel zogen pfeifend hin und her über den Wald und begrüßten die ersten Morgenstrahlen , die durch die Wipfel funkelten .
Da hörten sie auf einmal draußen in einiger Entfernung folgendes Lied singen :
Ein Stern still nach dem anderen fällt Tief in des Himmels Kluft , Schon zucken Strahlen durch die Welt , Ich wittre Morgenlust .
In Qualmen steigt und sinkt das Tal ; Verödet noch vom Fest Liegt still der weite Freudensaal , Und tot noch alle Gäste .
Da hebt die Sonne aus dem Meer Eratmend ihren Lauf :
Zur Erde geht , was feucht und schwer , Was klar , zu ihr hinauf .
Hebt grüner Wälder Trieb und Macht Neurauschend in die Luft , Zieht hinten Städte , eitel Pracht , Blaue Berge durch den Duft .
Spannt aus die grünen Depp che weich , Von Strömen hell durchrankt , Und schallend glänzt das frische Reich , So weit das Auge langt .
Der Mensch nun aus der tiefen Welt Der Träume tritt heraus , Freut sich , daß alles noch so hält , Daß noch das Spiel nicht aus .
Und nun geht es an ein Fleissigsein !
Umsumsend Berg und Tal , Agieret lustig Groß und Klein , Den Plunder allzumal .
Die Sonne steiget einsam auf , Ernst über Lust und Weh , Lenkt sie den ungestörten Lauf , In stiller Glorie .
-- Und wie er dehnt die Flügel aus , Und wie er auch sich stellt :
Der Mensch kann nimmermehr hinaus , Aus dieser Narrenwelt .
Die beiden Freunde eilten sogleich auf das sonderbare Lied hinunter und aus dem Schlosse hinaus .
Die Wälder rauchten ringsum aus den Tälern , eine kühle Morgenluft griff stärkend an alle Glieder .
Der Gesang hatte unterdes aufgehört , doch erblickten sie in jener Gegend , wo er hergekommen war , einen großen , schönen , ziemlich jungen Mann an dem Eingange des Waldes .
Er stand auf und schien Weggehen zu wollen , als er sie gewahr wurde ; dann blieb er stehen und sah sie noch einmal an , kam darauf auf sie zu , faßte Friedrich'n bei der Hand und sagte sehr gleichgültig :
Willkommen Bruder !
-- Wie dem Schweizer in der Fremde , wenn plötzlich ein Alphorn ertönt , alle Berge und Täler , die ihn von der Heimat scheiden , in dem Klange versinken , und er sieht die Gletscher wieder und den alten , stillen Garten am Bergeshange und alle die morgenfrische Aussicht in das Wunderreich der Kindheit , so fiel auch Friedrich'n bei dem Tone dieser Stimme die mühsame Wand eines langen , verworrenen Lebens von der Seele nieder : -- er erkannte seinen wilden Bruder Rudolph , der als Knabe fortgelaufen war , und von dem er seitdem nie wieder etwas gehört hatte .
Keine ruhige , segensreiche Vergangenheit schien aus diesen dunkelglühenden Blicken hervorzusehen , eine Narbe über dem rechten Auge entstellte ihn seltsam .
Leontin stand still dabei und betrachtete ihn aufmerksam , denn es war wirklich dasselbe Bild , das ihm mitten im bunten Leben oft so schaurig begegnet .
O , mein lieber Bruder , sagte Friedrich , so habe ich dich denn wirklich wieder !
Ich habe dich immer geliebt .
Und als ich dann größer wurde und die Welt immer kleiner und enger , und alles so Wunderlos und zahm , wie oft habe ich da an dich zurückgedacht und mich nach deinem wunderbaren härteren Wesen gesehnt ! --
Rudolph schien wenig auf diese Worte zu achten , sondern wandte sich zu Leontinen um und sagte :
Wie geht es Euch , mein Signor Amoroso ?
Durch diesen Wald geht kein Weg zum Liebchen .
-- Und keiner in der Welt mehr , fiel ihm Leontin , der wohl wußte , was er meine , empfindlich ins Wort , denn Eure Possen haben das Mädchen ins Grab gebracht .
-- Besser tot , als eine H -- sagte Rudolph gelassen .
Aber , fuhr er fort , was treibt euch aus der Welt hier zu mir herauf ?
Sucht Ihr Ruhe :
ich habe selber keine , sucht Ihr Liebe : ich liebe keinen Menschen , oder wollt Ihr mich listig aussondere , zerstreuen und lustig machen :
so zieht nur in Frieden wieder hinunter , eßt , trinkt , arbeitet fleißig , schlaft bei eueren Weibern oder Mädchen , seid lustig und lacht , daß ihr euch krähend die Seiten halten müßt , und danket Gott , daß er euch weiße Lebern , einen ordentlichen Verstand , keinen überflüssigen Witz , gesellige Sitten und ein langes , wohlgefälliges Leben beschert hat --
denn mir ist das alles zuwider . --
Friedrich sah den Bruder staunend an , dann sagte er :
Wie ist dein Gemüt so feindselig und wüst geworden !
Hat dich die Liebe -- Nein , sagte Rudolph , Ihr seid gar verliebt , da lebt recht wohl !
Hiermit ging er wirklich mit großen Schritten in den Wald hinein und war bald hinter den Bäumen verschwunden .
Leontin lief ihm einige Schritte nach , aber vergebens .
Nein , rief er endlich aus , er soll mich nicht so verachten , der wunderliche Gesell !
Ich bin so reich und so verrückt wie Er !
-- Friedrich sagte :
Ich kann es nicht mit Worten ausdrücken , wie es mich rührt , den tapferen , gerechten , rüstigen Knaben , der mir immer vorgeschwebt , wenn ich Dich ansah , so verwildert wiederzusehen .
Aber ich bleibe nun gewiß , auch wider seinen Willen , hier , ich will keine Mühe sparen , sein reines Gold , denn solches war in ihm , aus dem wüstverfallenen Schacht wieder ans Tageslicht zu fördern . --
O , fiel ihm Leontin ins Wort , das Meer ist nicht so tief , als der Hochmütige in sich selber versunken ist !
Nimm dich in Acht !
er zieht dich eher schwindelnd zu sich hinunter , ehe du ihn zu dir hinauf .
Friedrich'n hatte der Anblick seines Bruders auf das heftigste bewegt .
Er ging schnell von Leontinen fort und allein tief in den Wald hinein .
Er brauchte der stillen , vollen Einsamkeit , um die neuen Erscheinungen , die auf einmal so gewaltsam auf ihn eindrangen , zu verarbeiten , und seine seltsam aufgeregten Geister zu beruhigen .
Lange war er so im Walde herumgeschweift , als auch Leontin wieder zu ihm stieß .
Dieser hatte während des wieder jene Bilderstube bestiegen , und die Zeit unter den Zeichnungen gesessen .
Dabei waren ihm in dieser Einsamkeit die Figuren oft wie lebendiggeworden vorgekommen und verschiedene Lieder eines Wahnsinnigen eingefallen , die er , wie Sprüche auf die alten Bilder , den Gestalten aus dem Munde auf die Wand aufgeschrieben hatte .
Die Sonne fing schon wieder an sich von der Mittagshöhe herabzuneigen .
Weder Leontin noch Friedrich wußten recht , wo sie sich befanden , denn kein ordentlicher Weg führte vom Schlosse hierher .
Sie schlugen daher die ungefähre Richtung ein , sich über den melancholischen Rudolph besprechend .
Als sie nach langem Irren eben auf einer Höhe angelangt waren , hörten sie plötzlich mehrere lebhafte Stimmen vor sich .
Ein undurchdringliches Dickicht , durch welches von dieser Seite kein Eingang möglich war , trennte sie von den Sprechenden .
Leontin bog die obersten Zweige mit Gewalt auseinander :
da eröffnete sich ihnen auf einmal das seltsamste Gesicht .
Mehrere auffallende Figuren nämlich , worunter sie sogleich Marin , den Karfunkelsteinspäher und den Ritter von Gestern erkannten , lagen und saßen dort auf einer grünen Wiese zerstreut umher .
Die große Einsamkeit , die fremdartigen , zum Teil ritterlichen Trachten , womit die meisten angetan , gaben der Gruppe ein überraschendes , buntes und wundersames Ansehen , als ob ein Zug von Rittern und Frauen aus alter Zeit hier ausraste .
Marie war ihnen besonders nahe , doch ohne sie zu bemerken .
Sie war mit langen Kränzen von Gras behangen und hatte eine Gitarre vor sich auf dem Schoße .
Auf dieser spielte sie und sang das Lied , das sie damals auf dem Rehe gesungen , als sie Friedrich zum erstenmal auf der Wiese bei Leontins Schlosse traf .
Nach der ersten Strophe hielt sie , in Gedanken verloren , inne , als wollte sie sich auf das weitere besinnen , und fing dann das Lied immer wieder von Anfang an .
-- Mitten unter den Narren saß Rudolph auf ernem umgefallenen Baumstamme , den Kopf vornhin in beide Arme auf die Knie gestützt .
Er war ohne Hut und sah sehr blaß .
Mit Verwunderung hörten sie , wie er mit ihnen allen in ein lebhaftes Gespräch vertieft war .
Er wußte dem Wahnsinn eines jeden eine Tiefe und Bedeutung zu geben , über welche sie erstaunten , und je verrückter die Narren sprachen , je witziger und ausgelassener wurde er in seinem wunderlichen Humor .
Aber sein Witz war scharf ohne Heiterkeit , wie Dissonanzen einer großen , zerstörten Musik , die keinen Einklang finden können oder mögen .
Leontin , der aufmerksam zugehört hatte , war es durchaus unmöglich , das wilde Spiel länger zu ertragen .
Er hielt sich nicht mehr , riß mit Gewalt durch das Dickicht und eilte auf Rudolph zu Rudolph , durch sein Gespräch exaltiert , sprang über der plötzlichen , unerwarteten Erscheinung rasch auf und riß dem verrückten Ritter , der neben ihm saß , den Degen aus der Scheide .
So mit dem Degen aufgerichtet , sah der lange Mann mit seinen verworrenen Haaren und bleichem Gesichte fast Gespensterartig aus .
Beide hieben in demselben Augenblicke wütend aufeinander ein , denn Leontin ging unter diesen Verrückten nicht unbewaffnet aus .
Ein Strom von Blut drang plötzlich aus Rudolphs Arme und machte der seltsamen Verblendung ein Ende .
Alles dieses war das Wert eines Augenblicks .
Friedrich war indes auch herbeigeeilt , und beide Freunde waren bemüht , das Blut des verwundeten Rudolphs mit ihren Tüchern zu stillen , worauf sie ihn näher an sein Schloß führten .
Als er sich nach einiger Zeit wieder erholt hatte , und die Gemüter beruhigt waren , äußerte Friedrich seine Verwunderung , wie er so einsam in dieser Gesellschaft aushalten könne .
Und was ist es denn mehr und anders , sagte Rudolph , als in der anderen gescheiten Welt ?
Da steht auch jeder mit seinen besonderen , eigenen Empfindungen , Gedanken , Ansichten und Wünschen neben dem anderen wieder mit seinem besonderen Wesen , und , wie sie sich auch , gleichwie mit Polypenarmen , künstlich betasten und einander recht aus dem Grunde herauszufühlen trachten , es weiß ja doch am Ende keiner , was er selber ist oder was der andere eigentlich meint und haben will , und so muß jeder dem anderen verrückt sein , wenn es übrigens Narren sind , die überhaupt noch etwas meinen oder wollen .
Das einzige Tolle bei jenen Verrückten von Profession aber ist nur , daß sie dabei noch glücklich sind .
Bei diesen Worten erblickte er das vielerwähnte Medaillon von Erwin , das Friedrich nur halbverborgen unter dem Rocke trug .
Er ging schnell auf Friedrich'n zu .
Woher hast du das ? fragte er , und nahm das Bild zu sich .
Er schien bewegt , als sie ihm erzählten , von wem sie es hatten , und daß Erwin gestorben sei , doch konnte man nicht unter scheiden , ob es Zorn oder Rührung war .
Er sah darauf das Bild lange Zeit an und sagte kein Wort .
Durch die Ermattung von dem Blutverluste , so wie durch den unerwarteten Anblick des Porträts schien seine Wildheit einigermaßen gebändigt .
Die beiden Freunde drangen daher in ihn , ihnen endlich Aufschluß über das alles zu geben , und , wo möglich , seine Lebensgeschichte zu erzählen , auf welche sie beide sehr begierig waren , da sie wohl bemerkten , daß er mit diesem Mädchen und vielen anderen Rätseln in einem nahen Zusammenhänge stehen müsse .
Er war heute wirklich ruhig genug dazu .
Er setzte sich , ohne sich weiter nötigen zu lassen , neben ihnen auf den Rasen , und begann sogleich folgendermaßen : Dreiundzwanzigstes Kapitel .
Wenn ich mein Leben überdenke , ist mir so totenstill und nüchtern , wie nach einem Balle , wenn der Saal noch wüst und schwüle qualmt und ein Licht nach dem anderen verlöscht , weil andere Lichter durch die zerschlagenen Fenster hineinschielen , und man reißt die Kleider von der Brust und steigt draußen auf den höchsten Berg und sieht der Son ne entgegen , ob sie nicht bald aufgähne will -- Doch ich will ruhig erzählen :
Die erste Begebenheit meines Lebens , auf die ich mich wie auf einen Traum erinnere , war eine große Feuersbrunst .
Es war in der Nacht , die Mutter fuhr mit uns und noch einigen fremden Leuten , auf die ich mich nicht mehr besinne , im Kahne über einen großen See .
Mehrere Schlösser und Dörfer brannten ringsumher an den Ufern und der Widerschein von den Flammen spiegelte sich bis weit in den See hinein .
Meine Wärterin hob mich aus dem Kahne hoch in die Höhe , und ich langte mit beiden Armen nach dem Feuer .
Alle die fremden Leute im Kahne waren still , meine Mutter weinte sehr ; man sagte mir , mein Vater sei tot . --
Noch eines Umstandes muß ich dabei gedenken , weil er seltsam mit meinem übrigen Leben zusammenhängt .
Als wir nämlich , soviel ich mich erinnere , gleichsam aus Flammen in den Kahn einstiegen , erblickte ich einen Knaben etwa von meinem Alter , den ich sonst nie gesehen hatte .
Der lachte uns aus , tanzte an dem Feuer mit höhnenden Gebärden und schnitt mir Gesichter .
Ich nahm schnell einen Stein und warf ihn ihm mit einer für mein Alter ungewöhnlichen Kraft an den Kopf , daß er umfiel .
Sein Gesicht ist mir noch jetzt ganz deutlich und ich wurde des widrigen Eindrucks dieser Begebenheit niemals wieder los .
-- Das ist alles , was was mir von jener merkwürdigen Nacht übrigblieb , deren Stille , Wunderbilder und feurige Widerscheine sich meinem kindischen Gemüte unverlöschlich einprägten .
In dieser Nacht sah ich meine Mutter zum letztenmal .
Nachher erinnere ich mich wieder auf nichts , als Berge und Wälder , große Haufen von Soldaten und blitzenden Reitern , die mit klingendem Spiele über Brücken zogen , unbekannte Täler und Gegenden , die wie ein Schattenspiel schnell an meiner Seele vorüberflogen .
Als ich mich endlich zum erstenmal mit Besinnung in der Welt umzuschauen anfing , befand ich mich allein mit Dir in einem fremden schönen Schloß und Garten unter fremden Leuten .
Es war , wie Du weißt , unser Vormund , und das Schloß , obschon unser Eigentum , doch nicht unser Geburtsort .
Wir beide sind am Rheine geboren .
-- Es mochte mir hier bald nicht behagen .
Besonders stach mir gegen das niemals in meiner Erinnerung erloschene Bild meiner Mutter , die ernst , hoch und schlank war , die neue , kleine , wirtschaftliche und dickliche Mutter zu sehr ab .
Ich wollte ihr niemals die Hand küssen .
Ich mußte viel sitzen und lernen , aber ich konnte nichts erlernen , besonders keine fremde Sprache .
Am wenigsten aber wollte mir das sogenannte gewisse Etwas in Gesellschaften anpassen , wobei ich mich denn immer sehr schlecht und zu allgemeiner Unzufriedenheit präsentierte .
Mir 27 war dabei das Verstellen und das zierliche Niedlichtun der Vormünderin und des Hofmeisters unbegreiflich , die immer auf einmal ganz andere Leute waren , wenn Gäste kamen .
Ja , ich erinnere mich , daß ich den letzteren einigemal , wenn er so außer dem gewöhnlichen Wege besonders klug sprach , hinten am Rocke zupfte und laut auflachte , worauf ich denn jedesmal mit drohenden Blicken aus dem Zimmer verwiesen wurde .
Mit Prügeln war bei mir nichts auszurichten , denn ich verteidigte mich bis zum Tode gegen den Hofmeister und jedermann , der mich schlagen wollte .
So kam es denn endlich , daß ich bei jeder Gelegenheit hintangesetzt wurde .
Man hielt mich für einen trübseligen Einfaltspinsel , von dem weder etwas zu hoffen noch zu fürchten sei .
Ich wurde dadurch nur noch immer tiefsinniger und einsamer und träumte unaufhörlich von einer geheimen Verschwörung Aller gegen mich , selbst Dich nicht ausgenommen , weil Du mit den meisten im Hause gut standst .
Ein einziges liebes Bild ging in dieser dunklen , schwerer Träume vollen , Zeit an mir vorüber .
Es war die kleine Angelina , die Tochter eines verwandten italienischen Marchese , der sich auch vor den Unruhen in Italien zu uns geflüchtet hatte und lange Zeit dort blieb .
Du wirst Dich des lieblichen , wunderschönen Kindes erinnern , wie sie von uns Deutsch lernte und so schöne , welsche Lieder wußte .
Ich hatte damals Tag und Nacht keine Seelensruh vor diesem schönen Bilde .
Inzwischen glaubte ich zu bemerken , daß sie überall Dich mehr begünstige , als mich ; ich war ihr zu wild , sie schien sich vor mir zu fürchten .
Mein alter Argwohn , Haß und Bangigkeit nahm täglich zu , ich saß , wie in mir selbst gefangen , bis endlich ein seltsamer Umstand alle die Engel und Teufel , die damals noch dunkel in mir rangen , auf einmal losmachte .
Ich war nämlich eines Abends eben mit Angelina im Garten an dem eisernen Gitter , durch das man auf die Straße hinaussah .
Angelina stand am Springbrunnen und spielte mit den goldenen Kugeln , welche die Wasserkunst glänzend auf und nieder warf .
Da kam eine alte Zigeunerin am Gitter vorbei und verlangte , als sie uns d' rinnen erblickte , auf die gewöhnliche ungestüme Art uns zu prophezeien .
Ich streckte sogleich meine Hand hinaus .
Sie las lange Zeit darin .
Während des ritt ein junger Mensch , der ein Reisender schien , draußen die Straße vorbei und grüßte uns höflich .
Die Zigeunerin sah erstaunt mich , Angelina und den vorüberziehenden Fremden wechselseitig an , endlich sagte sie , auf uns und ihn deutend :
" Eines von Euch drei wird den anderen ermorden . "
-- Ich blickte dem Reiter scharf nach , er sah sich noch einmal um , und ich erkannte , erschrocken und zornig , sogleich das Gesicht desselben unbekannten Knaben wieder , der uns bei unserem Auszuge aus der Heimat an dem Feuer so verhöhnt hatte . --
Die Zigeunerin war unterdes verschwunden , Angelina 27 * furchtsam fortgelaufen , und ich blieb allein in dem großen , dämmernden Garten und glaubte fest , nun , als Mörder , auch sogar von Gott verlassen zu sein ; niemals fühlte ich mich so finster und leer .
In der Nacht konnte ich nicht schlafen , ich stand auf und zog mich völlig an .
Es war alles still , nur die Wetterhähne knarrten im Hofe , der Mond schien sehr hell .
Du schliefst still neben mir , das Gebetbuch lag noch halbaufgeschlagen bei Dir , ich wußte nicht , wie Du so ruhig sein könntest .
Ich küßte Dich auf den Mund , ging dann schnell aus dem Hause , durch den Garten , und kehrte niemals mehr wieder .
Von nun an geht mein Leben rasch , bunt , ungenügsamwechselnd und in allem Wechsel doch unbefriedigt .
Ich will nur einige Augenblicke ausheben , die mich , wie einsamerleuchtete Berggipfel über dem dunkelwühlenden Gewirre , noch immer von weitem ansehen .
Als ich zu Ende jener Nacht die letzte Höhe erreicht hatte , ging eben die Sonne prächtig auf .
Die Gegend unten , so weit die Blicke langten , war mit bunten Zelten , unermeßlich blitzenden Reihen und Lust und Schallen überdeckt .
Einzelne bunte Reiter flogen in allen Richtungen über den grünen Anger , einzelne Schüsse fielen bis in die tiefste Ferne hin und her im Walde .
Ich stand wie eingewurzelt vor Lust bei dem Anblick .
Ich glaubte , es nun auf einmal gefunden zu haben , was mir fehlte und was ich eigentlich wollte .
Ich eilte daher schnell hinunter und ließ mich anwerben .
Wir brachen noch denselben Tag von dem Orte auf , aber schon da auf dem Marsche fing ich an zu bemerken , daß dieses nicht das Leben war , das ich erwartete .
Der platte Leichtsinn , das Prahlen und der geschäftige Müßiggang ekelte mich an , besonders unerträglich aber war mir , daß ein einziger , unbeschreiblicher Wille das Ganze , wie ein dunkles Fatum , regieren sollte , daß ich im Grunde nicht mehr wert sein sollte , als mein Pferd -- und so versenkten mich diese Betrachtungen in eine fürchterliche Langeweile , aus der mich kaum die Signale , welche die Schlacht ankündigten , aufzurütteln vermochten .
Damals bekam mein Oberst von meinem Vormund , der mich aufgespürt hatte , einen Brief , worin er ihn bat mich auszuliefern .
Aber es war zu spät , denn das Treffen war eben losgegangen .
Mitten im blitzenden Dampfe und Todeswühlen erblickte ich plötzlich das bleiche Gesicht des Unbekannten wieder mir feindlich gegenüber .
-- Wütend , daß das Gespenst mich überall verfolge , stürzte ich auf ihn ein .
Er focht so gut wie ich .
Endlich sah ich sein Pferd stürzen , während ich selbst , leicht verwundet , vor Ermattung bewußtlos hinsank .
Als ich wieder erwachte , war alles ringsum finster und totenstill über der weiten Ebene , die mit Leichen bedeckt war .
Mehrere Dörfer brannten in der Runde , und nur einzelne Figuren , wie am jung sten Gericht , erhoben sich hin und her und wandelten dunkel durch die Stille .
Ein unbeschreibliches Grausen überfiel mich vor dem wahnwitzigen Jammerspiel , ich raffte mich schnell auf und lief bis es Tag wurde .
In einem Städtchen las ich in der Zeitung die Bekanntmachung meines Vormunds , daß ich in dem Treffen geblieben sei , auch hörte ich , daß der Marchese mit seiner Tochter unser Schloß wieder verlassen habe .
Ich war zu stolz und aufgeregt , um nach Hause zurückzukehren .
Indes erwachte das Bild der kleinen Angelina von neuem in meinem Herzen .
Ich bildete mir die liebliche Erinnerung mit allen Kräften meiner Seele aus und so malte ich damals jenes Engelsköpfchen , das Du hier zu meinem Erstaunen mitgebracht hast .
Es ist Angelinen's Porträt .
Mein unruhiges und doch immer in sich selbst verschlossenes Gemüt bekam nun auf einmal die erste entschiedene Richtung nach Außen .
Ich warf mich mit einem unerhörten Fleisse auf die Malerei und streifte mit dem Gelde , das ich mir dadurch erwarb , in Italien herum .
Ich glaubte damals , die Kunst werde mein Gemüt ganz befriedigen und ausfüllen .
Aber es war nicht so .
Es blieb immer ein dunkler , harter Fleck in mir , der keine Farben annahm , und doch mein eigentlicher , innerster Kern war .
Ich glaube , wenn ich in meiner Angst einen neuen Münster hätte aus mir herausbauen können , mir wäre wohler geworden , so felsengroß lag immer meine Entzückung auf mir .
Meine Skizzen waren immer besser als die Gemälde , weil ihre Ausführung meistens unmöglich war .
Gar oft in guten Stunden ist mir wohl eine solche Glorie von niegesehenen Farben und unbeschreiblich himmlischer Schönheit vorgekommen , daß ich mich kaum zu fassen wußte .
Aber dann war es auch wieder aus , und ich konnte sie niemals ausdrücken . --
So schmückt sich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren Kerker mit Künsten aus , ohne deswegen zum Künstler berufen zu sein .
Und überhaupt ist es am Ende doch nur Putz und eitel Spielerei .
Oder würdet ihr den nicht für töricht halten , der sich im Wirtshaus , wo er übernachtet , eifrig auszieren wollte ?
Und wir machen soviel Umstände mit dem Leben und wissen nicht , ob wir noch eine Stunde bleiben !
An einem schönen Sommerabende fuhr ich einmal in Venedig auf dem Golf spazieren .
Der Halbkreis von Palästen mit ihren stillerleuchteten Fenstern gewährte einen prächtigen Anblick .
Unzählige Gondeln glitten aneinander vorüber über das ruhige Wasser , Gitarren und tausend weiche Gesänge zogen durch die laue Nacht .
Ich ruderte voll Gedanken fort und immerfort , bis nach und nach die Lieder verhallten und alles um mich her still und einsam geworden war .
Ich dachte an die ferne Heimat und sang ein altes deutsches Lied , eines von denen , die ich noch als Knabe Angelinen gelehrt hatte .
Wie sehr erstaunte ich , als mir da auf ein Mal eine wunderschöne weibliche Stimme von dem Altan eines Hauses mit der nächstfolgenden Strophe desselben Liedes antwortete .
Ich sprang sogleich ans Ufer und eilte auf das Haus zu , von dem der Gesang herkam .
Eine weiße Mädchengestalt neigte sich zwischen den Orangenbäumen und Blumen über den Balkon herab und sagte flüsternd : Rudolph !
Ich erkannte bei dem hellen Mondscheine sogleich Angelinen .
Sie schien noch mehr sprechen zu wollen , aber die Türe auf dem Balkon öffnete sich von innen , und sie war verschwunden .
Verwundert und entzückt in allen meinen Sinnen , setzte ich mich an einen steinernen Springbrunnen , der auf dem weitstillen Platze vor dem Hause stand .
Ich mochte ungefähr eine Stunde dort gesessen haben , als ich die Glastüre oben leise wieder öffnen hörte .
Angelina trat , sich furchtsam auf den Platz umsehend , noch einmal auf den Balkon heraus .
Ihre schönen Locken fielen auf den schneeweißen , nur halbverhüllten Busen herab , sie war barfuß und im leichtesten Nachtkleide .
Sie erschrak , als sie mich wirklich noch unten erblickte .
Sie legte den Finger auf den Mund , während sie mit der anderen Hand auf die Türe deutete , lehnte sich stillschweigend über das Geländer und sah mich so lange Zeit unbeschreiblich lieblich an .
Darauf zog sie ein Papierchen hervor , warf es mir hinab , lispelte kaum hörbar : gute Nacht ! und ging zaudernd wieder hinein . --
Auf dem Zettel stand mit Bleistift der Nahme einer Kirche aufgeschrieben .
Ich begab mich am Morgen zu der benannten Kirche und sah das Mädchen wirklich zur bestimmten Stunde mit einer ältlichen Frau , die ihre Vertraute schien , schon von weitem die Straße heraufkommen .
Ich erschrak fast vor Freuden , so überaus schön war sie geworden .
Als sie mich ebenfalls erblickte , wurde sie rot vor Scham über die vergangene Nacht und schlug den Schleier fest über das Gesicht .
Auf dem Wege und in der Kirche erzählte sie mir nun ungestört , daß sie schon lange wieder in Italien zurückseiern , daß ihr Vater , da ihre Mutter bei ihrer Geburt in Todesnot war , das feierliche Gelübde getan , sie , Angelina , als Klosterjungfrau dem Himmel zu weihen , und daß der dazu bestimmte Tag nicht mehr fern sei . --
Das verliebte Mädchen sagte dies mit Tränen in den Augen .
Wir kamen darauf noch oft , bald in der Kirche , bald in der Nacht am Balkone zusammen ; der Tag , wo Angelina aus dem väterlichen Hause fort ins Kloster sollte , rückte immer näher heran , und wir verabredeten endlich mit einander zu entfliehen .
In der Nacht , die wir zur Flucht bestimmt hatten , trat sie , mit dem Notwendigsten versehen und reichgeschmückt , wie eine Braut , hervor .
Die heftige Bewegung , in der ihr Gemüt war , machte ihr Gesicht wunderschön , und ich sehe sie in diesem Zustande und diesem Kleide noch wie heute vor mir stehen .
Sie war noch in ihrem Leben nicht um diese Zeit allein auf der Gasse gewesen , sie wurde da her noch im letzten Augenblick von neuem schüchtern und halbunschlüssig ; sie weinte und fiel mir um den Hals .
Ich faßte sie endlich um den Leib und trug sie in den Kahn , den ich im Golf bereit hielt .
Ich stieß schnell vom Ufer ab , das Segel schwoll im lauen Winde , der Halbkreis der erleuchteten Fenster versank allmählich hinter uns und wir befanden uns allein auf der stillen , unermeßlichen Fläche .
Die Liebe hatte sie nun ganz in meine Gewalt gegeben .
Sie wurde nun ruhig .
Innerlichst fröhlich , aber still , saß sie fest an mich gedrückt und sah mit den weitoffenen , sinnigen Augen unverwandt ins Meer hinaus .
Ich bemerkte , daß sie oft heimlich zusammenschauerte , bis sie , endlich ermüdet einschlummerte .
Da rauschte plötzlich ein Kahn mit mehreren Leuten und Fackelschein vorüber nach Venedig zu .
Der eine von ihnen schwang eben seine Fackel und ich erblickte bei dem flüchtigen Scheine den unbekannten , wunderbar mit mir verknüpften Fremden wieder , der mitten im Kahne aufrecht stand .
Ich fuhr unwillkürlich bei dem Anblick zusammen , und höchstseltsam , obschon die ganze Erscheinung ohne das mindeste Geräusch vorübergeglitten war , so wachte doch Angelina in demselben Augenblicke von selber auf und sagte mir erschrocken , es habe ihr etwas fürchterliches geträumt , sie wisse sich nun aber nicht mehr darauf zu besinnen .
Ich beruhigte sie , und sagte ihr nichts von dem Begegnung , worauf sie denn bald von neuem einschlief .
Ein lauter Freudenschrei entfuhr ihrer Brust , als sie nach einigen Stunden die hellen Augen aufschlug , denn die Sonne ging eben prächtig über der Küste von Italien auf , die in duftigem Wunderglanze vor uns da lag .
Es war der erste überschwengliche Blick des jungen Gemütes in das freie , lüsternlockende , reiche , noch ungewisse Leben .
Wir stiegen nun ans Land und setzten unsere Reise zu Pferde gen Rom fort .
Dieses Ziehen in den blauen , lieblichen Tagen über grüne Berge , Täler und Flüsse , rollt sich noch jetzt blendend vor meiner Erinnerung auf , wie ein mit prächtigglänzenden , wunderbaren Blumen gestickter Teppich , auf dem ich mich selbst als lustige Figur mit buntgeflickter Narrenjacke erblicke .
In Rom nisteten wir uns in einem entlegenen Quartiere der Stadt ein , wo uns niemand bemerkte .
Wir führten einen gar wunderlichen , ziemlich unordentlichen Haushalt miteinander , denn Angelina gewöhnte sich sehr bald auch an das freie , sorglose Künstler-Wesen .
Sie hatte , gleich , als wir ans Land stiegen , Mannskleider anlegen müssen , um nicht erkannt zu werden , und ich gab sie so für meinen Vetter aus .
Die Tracht , in der sie mich nun auch frei auf allen Spaziergängen begleitete , stand ihr sehr niedlich ; sie sah oft aus wie Correggio's Bogenschütz .
Sie mußte mir oft zum Modell sitzen , und sie tat es gern , denn sie wußte wohl , wie schön sie war .
Damals wurden meine Gemälde de weniger hart , angenehmer und sinnreicher in der Ausführung .
Indes entging es mir nicht , daß Angelina anfing , mit der Mädchentracht nach und nach auch ihr voriges mädchenhaftes , bei aller Liebe verschämtes , Wesen abzulegen , sie wurde in Worten und Gebärden kecker , und ihre sonst so schüchternen Augen schweiften lüstern rechts und links .
Ja , es geschah wohl manchmal , wenn ich sie unter lustige Gesellen mitnahm , mit denen wir in einem Garten oft die Nacht durchschwärmten , daß sie sich berauschte , wo sie dann mit den furchtsam dreisten Mienen und glänzendschmachtenden Augen ein ungemeim reizendes Spiel der Sinnlichkeit gab .
Weiber ertragen solche kühnere Lebensweise nicht . --
Ein Jahr hatten wir so zusammengelebt , als mir Angelina eine Tochter gebar .
Ich hatte sie einige Zeit vorher auf einem Landhause bei Rom vor aller Welt Augen verborgen , und auf ihr eigenes Verlangen , welches meiner Eifersucht auffiel , blieb sie nun auch noch lange nach ihrer Niederkunft mit dem Kinde dort .
-- Eines Morgens , als ich eben von Rom hinkomme , finde ich alles leer . --
Das alte Weib , welches das Haus hütete , erzählt mir zitternd :
Angelina habe sich gestern Abend sehr zierlich als Jäger angezogen , sie habe darauf , da der Abend sehr warm war , lange Zeit bei ihr vor der Tür auf der Bank gesessen und angefangen so betrübt und melancholisch zu sprechen , daß es ihr durch die Seele ging , wobei sie öfters ausrief :
wäre ' ich doch lieber ins Kloster gegangen !
Dann sagte sie wieder lustig : bin ich nicht ein schöner Jäger ?
Darauf sei sie hinaufgegangen , habe , während schon alles schlief , noch immerfort Licht gebrannt und am offenen Fenster allerlei zur Laute gesungen .
Besonders habe sie folgendes Liedchen zum öfteren wiederholt , welches auch mir gar wohl bekannt war , da es Angelina von mir gelernt hatte :
" Ich habe ' geseh 'n ein Hirschlein schlank Im Waldesgrunde stehen , Nun ist mir draußen weh und bang , Muß ewig nach ihm Gehen .
Frischauf , ihr Waldgesellen mein !
Ins Horn , ins Horn frischauf !
Das lockt so hell , das lockt so fein , Aurora tut sich auf . "
Das Hirschlein führt den Jägersmann , In grüner Waldesnacht , Talunter schwindelnd und bergan Zu niegeseh'ner Pracht .
" Wie rauscht schon abendlich der Wald , Die Brust mir schaurig schwellt !
Die Freunde fern , der Wind so kalt , So tief und weit die Welt ! "
Es lockt so tief , es lockt so fein Durch es dunkelgrüne Haus , Der Jäger irrt und irrt allein , Find nimmermehr heraus .
-- Gegen Mitternacht ungefähr , fuhr die Alte fort , hörte ich ein leises Händeklatschen vor dem Hause .
Ich öffnete leise die Lade meines Guckfensters und sah einen großen Mann , bewaffnet und in einen langen Mantel vermummt , unter Angelinen's Fenster stehen , seitwärts im Gebüsch hielt ein Wagen mit Bedienten und vier Pferden .
In demselben Augenblicke kam auch Angelina , ihr Kind auf dem Arme , unten zum Hause heraus .
Der fremde Herr küßte sie und hob sie geschwind in den Wagen , der pfeilschnell davonrollte .
Ehe ich mich besann , herauslief und schrie , war alles in der dicken Finsternis verschwunden . --
Auf diesen verzweifelten Bericht der Alten stürzte ich in das Zimmer hinauf .
Alles lag noch wie sonst umher , sie hatte nichts mitgenommen als ihr Kind .
Ein Bild , das nach ihr kopiert war , stand noch ruhig auf der Staffelei , wie ich es verlassen .
Auf dem Tische daneben lag ein ungeheurer Haufen von Goldstücken .
Wütend und außer mir , warf ich alle das Gold , das Bild und alle andere Bilder und Zeichnungen hinterdrein zum Fenster hinaus .
Die Alte tanzte unten mit widrig vor Staunen und Gier verzerrten Gebärden wie eine Hexe zwischen dem Goldregen herum , und ich glaubte da auf einmal in ihren Zügen dieselbe Zigeunerin zu erkennen , die mir damals an dem Gartengitter prophezeit hatte . --
Ich eilte zu ihr hinab , aber sie hatte sich bereits mit dem Golde verloren . --
Ich lud nun meine Pistolen , warf mich auf mein Pferd und jagte der Spur des Wagens nach , die noch deutlich zu kennen war .
Ich war vollkommen entschlossen , Angelina und ihren Entführer totzuschießen . --
So erbärmliches Zeug ist die Liebe , diese liederliche Anspannung der Seele ! --
So durchstreifte ich fast ganz Italien nach allen Richtungen , ich fand sie nimmermehr .
Als ich endlich , erschöpft von den vielen Zügen , auf den letzten Gipfeln der Schweiz ankam , schauderte mir , als ich da auf einmal aus dem italienischen Glanze nach Deutschland hinab sah , wie das so ganz anders , still und ernsthaft mit seinen dunklen Wäldern , Bergen und dem königlichen Rheine da lag . --
Ich hatte keine Sehnsucht mehr nach der Ferne und versank in eine öde Einsamkeit .
Mit meiner Kunst war es aus . --
Dagegen lockte mich nun bald die Philosophie unwiderstehlich in ihre wunderbaren Tiefen .
Die Welt lag wie ein großes Rätsel vor mir , die vollen Ströme des Lebens rauschten geheimnisvoll , aber vernehmlich , an mir vorüber , mich dürstete unendlich nach ihren heiligen , unbekannten Quellen .
Der kühnere Hang zum Tiefsinn war eigentlich mein angeborenes Naturell .
Schon als Kind hatte ich oft meinen Hofmeister durch seltsame , ungewöhnliche Fragen in Verwirrung gebracht , und selbst meine ganze Malerei war im Grunde nur ein falsches Streben , das Unaussprechliche auszusprechen , das Undarstellbare darzustellen .
Besonders verspürte ich schon damals dieses Gelüst vor manchen Bildern des großen Albrecht Dürers und Michel Angelo's .
Ich studierte nun mit eisernem , unausgesetztem Fleiß fast alle Philosopheme , was die Alten ahndeten und Neuen grübelten oder phantasierten .
Aber alle Systeme führten mich entweder von Gott ab , oder zu einem falschen Gott .
Alles aufgebend und verzweifelt , daß ich auf keine Weise die Schranken durchbrechen und aus mir selber herauskommen konnte , stürzte ich mich nun wütend , mit wenigen lichten Augenblicken schrecklicher Reue , in den flimmernden Abgrund aller sinnlichen Ausschweifungen und Greuel , als wollte ich mein eigenes Bild aus meinem Andenken verwischen .
Dabei wurde ich niemals fröhlich , denn mitten im Genuß mußte ich die Menschen verhöhnen , die , als wären sie meines Gleichen , halb schlecht und halb furchtsam , nach der Weltlust haschten , und dabei wirklich und in allem Ernst zufrieden und glücklich waren .
Niemals ist mir das Hantieren und Treiben der Welt so erbärmlich vorgekommen , als damals , da ich mich selber darin untertauchte .
Eines Abends sitze ich am Pharotisch , ohne aufzublicken und mich um die Gesellschaft zu bekümmern .
Ich spielte diesen Abend , wider alle sonstige Gewohnheit , immerfort unglücklich , und wagte immer toller , je mehr ich verlor .
Zuletzt setzte ich mein noch übriges Vermögen auf die Karte . --
Verloren ! hörte ich den Bankhalter am anderen Ende Ende der Tafel rufen .
Ich springe auf und erblicke den geheimnisvollen Unbekannten , den ich fast schon vergessen hatte .
Er wurde sichtbar bleich , als er mich erkannte .
Ich weiß nicht , mit welcher Medusengewalt gerade in diesem Augenblicke sein Bild auf meine Seele wirkte .
In der Verblendung dieses Anblicks warf ich alle Karten nach dem Orte , wo die Erscheinung gestanden , aber er war schon fort und schnell aus der Stube verschwunden .
Alle sahen mich erstaunt an , einige murrten , ich stürzte zur Türe hinaus auf die Straße .
Ich ging eilig durch die Gassen und blickte rechts und links in die erleuchteten Fenster hinein , wie da einige so eben ruhig und vollauf zu Abend schmausten , dort andere ein Lomberchen spielten , anderswo wieder lustige Paare sich drehten und jubelten , und allen so philisterhaft wohl war .
Mich hungerte gewaltig .
Betteln mochte ich nicht .
Schmaust , jubelt und dreht euch nur , ihr Narren ! rief ich und ging mit starken Schritten aus dem Tore aufs Feld hinaus .
Es war eine stockfinstere Nacht , der Wind jagte mir den Regen ins Gesicht .
Als ich eben an den Saum eines Waldes kam , erblickte ich plötzlich hart vor mir zwei lange Männer , heimlich lauernd an eine Eiche gelehnt , die ich sogleich für Schnapphähne erkannte .
Ich ging im Augenblick auf sie los , und packte den einen bei der Brust .
Gebt mir was zu essen , ihr elenden Kerls ! schrie ich sie an , und mußte auch gleich darauf laut 28 auflachen , was sie über diese unerwartete Wendung der Sache für Gesichter schnitten .
Doch schien ihnen das zu gefallen , sie betrachteten mich als einen würdigen Kumpan , und führten mich freundschaftlich tiefer in den Wald hinein .
Wir kamen bald auf einen freien , einsamen Platz , wo bärtige Männer , Weiber und Kinder um ein Feldfeuer herumlagen , und ich bemerkte nun wohl , daß ich unter einen Zigeunerhaufen geraten war .
Da wurde geschlachtet , geschunden , gekocht und geschmort , alle sprachen und sangen ihr Kauderwelsch verworren durcheinander , dabei regnete und stürmte es immerfort ; es war eine wahre Walpurgisnacht .
Mir war recht kannibalisch wohl .
Übrigens war es , außer daß sie alle ausgemachte Spitzbuben waren , eine recht gute , unterhaltende Gesellschaft .
Sie gaben mir zu essen , Branntwein zu trinken , tanzten , musizierten und kümmerten sich um die ganze Welt nicht .
Mitten in dem Haufen bemerkte ich bald darauf ein altes Weib , die ich bei dem Widerscheine der Flamme nicht ohne Schreck für dieselbe Zigeunerin wieder erkannte , die mir als Kind so fürchterlich geweissagt hatte .
Ich ging zu ihr hin , sie kannte mich nicht mehr . --
Von unserem letzten Zusammentreffen bei Rom wußte , oder mochte sie nichts wissen .
-- Ich reichte ihr noch einmal die Hand hin .
Sie betrachtete alle Linien sehr genau , dann sah sie mir scharf in die Augen , und sagte , während sie mit seltsamen Gebärden nach allen Weltgegenden in die Luft focht : " Es ist hoch an der Zeit , der Feind ist nicht mehr weit , hüte dich , hüte dich ! "
Darauf verlor sie sich augenblicklich unter dem Haufen und ich sah sie nicht mehr wieder .
Mir wurde dabei nicht wohl zu Mute und die abenteuerlichen Worte gingen mir wunderlich im Kopfe herum .
Indes brachten mich die anderen Gesellen wieder auf andere Gedanken .
Denn sie drängten sich immer vertraulicher um mich und erzählten mir ihre verübten Schwänke und Schalkstaten , worunter eine besonders meine Aufmerksamkeit auf sich zog .
Ein junger Bursch erzählte mir nämlich , wie seine Großmutter vor vielen Jahren einmal einer reisenden welschen Dame , die mit einem Herrn im Wirtshause übernachtete , ihr kleines Kind gestohlen habe , weil es so wunderschön aussah .
Er beschrieb mir dabei alle Nebenumstände so genau , daß ich fast nicht zweifeln konnte , die reisende welsche Dame sei niemand anders als Angelina selbst gewesen .
-- Ich sprang auf und drang in ihn , mir die Geraubte sogleich zu zeigen .
Bestürzt über meinen unerklärlichen Ungestüm , antwortete er mir : das geraubte Fräulein wuchs teils unter uns , teils unter unseren Brüdern in einer Waldmühle auf , wo sie vor einigen Tagen plötzlich mit Mann und Maus verschwunden ist , ohne daß wir wissen , wohin ? --
So war also Erwine deine Tochter ! fiel hier Friedrich seinem Bruder erstaunt ins Wort . --
Seit 28 * ich dieses kleine Bild hier gesehen , sagte dieser , und ihre weitere Geschichte und Namen von Euch gehört , ist es mir gewiß .
Ich habe sie später , nachdem ich schon von der Welt geschieden war , manchmal von der Mauer gesehen und gesprochen , wenn ich des Nachts an Leontins Schlosse vorbeistreifte .
Aber mir war der Knabe , für den ich sie hielt , wie Ihr , nur reizend als eine besondere neue Art von Narren , als von welcher mir noch keiner vorgekommen war .
Denn auch ich konnte und mochte niemals etwas von ihrem früheren Leben aus ihr herauskriegen .
Das gute Kind fürchtete wahrscheinlich noch immer Strafe für die unwillkürliche , schändliche Verbindung , in der sie ihre Kindheit zugebracht . --
Doch , hört nun meine Geschichte völlig aus , denn das viele Plaudern ist mir schon zuwider :
Noch vor Tagesanbruch also , als wir so lagen und erzählten , kam ein junger Kerl von der Bande , der auf Kundschaft ausgeschickt worden war , mit fröhlicher Botschaft zurück , die sogleich den ganzen Haufen in Alarm brachte .
Der reiche Graf , sagte er nämlich aus , wird heute Abend auf dem Schlosse seinen Geburtstag feiern , da gibt es was zu schmausen und zu verdienen !
Es wurde sogleich beschlossen , dem Feste auf was immer für eine Art ungeladen beizuwohnen .
Das Wetter hatte sich aufgeklärt , wir brachen daher alle schnell auf und zogen lustig über das Gebirge fort .
Gegen Abend lagerten wir uns auf einem schönen , waldigen Berge , dem gräflichen Schlosse gegenüber , das jenseits eines Stromes ebenfalls auf einer Anhöhe mit seinen Säulenportalen und italienischem Dache sich recht luftig ausnahm .
Wir wollten hier die Dunkelheit abwarten .
Der letzte Widerschein der untergehenden Sonne flog eben wie ein Schattenspiel über die Gegend .
Unten auf dem Flusse zogen mehrere ausgeschmückte Schiffe voll Herren und Damen mit bunten Tüchern und Federn lustig auf das Schloß zu , während von beiden Seiten Waldhörner weit in die Berge hinein verhallten .
Als es endlich ringsumher still und finster wurde , sahen wir , wie im Schlosse drüben ein Fenster nach dem anderen erleuchtet wurde und Kronleuchter mit ihren Kreisen von Lichtern sich langsam zu drehen anfingen .
Auch im Garten entstand ein Licht nach dem anderen , bis auf einmal der ganze Berg , mit Sternen , Bogengängen und Girlanden von buntfarbigen Glaskugeln erleuchtet , sich wie eine Feeninsel aus der Nacht hervorhob .
Ich überließ meine Begleiter ihren Beratschlagungen und Kunstgriffen und begab mich allein hinüber zu dem Feste , ohne eigentlich selber zu wissen , was ich dort wollte .
Von der Seite , wo ich auf dem Berge hinangekommen , war kein Eingang .
Ich schwang mich daher auf die Mauer und sah , so da droben sitzend , in den Zaubergarten hinein , aus dem mir überall Musik entgegenschwoll .
Herren und Frauen spazierten da in zierlicher Fröhlichkeit zwischen den magischen Lichtern , Klängen und schimmernden Wasserkünsten prächtig durcheinander .
Auch mehrere Masken sah ich , wie Geister , durch den lebendigen Jubel auf und ab wandeln .
Mich faßte bei dem Anblick auf meiner Mauer oben ein blindes , wildes , unglückseliges Gelüst , mich mit hineinzumischen .
Aber meine von Regen und Wind zerzauste Kleidung war wenig zu einem solchen Abenteuer eingerichtet .
Da erblickte ich seitwärts durch ein offenes Fenster eine Menge verschiedener Masken in der Vorhalle des Schlosses umherliegen .
Ohne mich zu besinnen , sprang ich von der Mauer herab und in das Vorhaus hinein .
Eine Menge Bedienter , halb berauscht , rannten dort mit Gläsern und Tellern durcheinander , ohne mich zu bemerken oder doch weiter zu beachten .
Ich zettelte daher den bunten Plunder von Masken ungestört auseinander und zog zufällig eine schwarze Rittertracht nebst Schwert und allem Zubehör hervor .
Ich legte sie schnell an , nahm eine danebenliegende Larve vor und begab mich so mitten unter das Gewirre in den Glanz hinaus .
Ich kam mir in der Fröhlichkeit vor wie der Böse , denn mir war nicht anders zu Mute , als dem Zigeunerhauptmann auf dem Jahrmarkt zu Plundersweilen .
Am Ende eines erleuchteten Bogenganges hörte ich auf einmal einige Damen ausrufen :
Sieh da , die Frau vom Hause !
Welche Perlen !
Welche Juwelen !
Ich sehe mich schnell um und erblicke -- Angelina , die in voller Pracht ihrer Schönheit die Allee heraufkommt .
-- Mein mörderischer Zorn , der mich damals durch ganz Italien hin und her gehetzt hatte , war längst vorüber , denn ich war nicht mehr verliebt .
Es war mir eben alles Einerlei auf der Welt .
Ich wandte mich daher und wollte , ohne sie zu sprechen , in einen anderen Gang herumbeugen .
Wie sehr erstaunte ich aber , als Angelina mir schnell nachhüpfte und sich vertraulich in meinen Arm hing . --
Kennst Du mich ? rief ich ganz entrüstet .
-- Wie sollte ich doch nicht , sagte sie scherzend , habe ich Dir denn nicht selber die Halskrause zu der Maske genäht ? --
Ich bemerkte nun wohl , daß sie mich verkannte , konnte aber nicht wissen , für wen sie mich hielt , und ging daher stillschweigend neben ihr her .
Wir waren unterdes von der Gesellschaft abgekommen , die Musik schallte nur noch schwach nach , die Beleuchtung ging gar aus , von Ferne gewitterte es hin und wieder .
Warum bist Du so still ? sagte sie wieder .
Ich weiß nicht , fuhr sie fort , ich bin heute traurig bei aller Lust , und ich könnte es auch nicht beschreiben , wie mir zu Mute ist .
Aber ihr harten Männer achtet gar wenig darauf .
-- Wir kamen an eine Laube , in deren Mitte eine Gitarre auf einem Tischchen lag .
Sie nahm dieselbe und fing an , ein italienisches Liedchen zu singen .
Mitten im Liede brach sie aber wieder ab .
Ach , in Italien war es doch schöner ! sagte sie , und lehnte die Stirn an meine Brust .
Angelina ! rief ich , um sie zu ermuntern .
Sie richtete sich schnell auf und lauschte dem Rufe , wie einem alten , wohlbekannten Tone , auf den sie sich nicht recht besinnen konnte .
-- Dann sagte sie :
Ich bitte Dich , singe etwas , denn mir ist zum sterben bange !
Ich nahm die Gitarre und sang folgende Romanze , die mir in diesem Augenblick eben sehr deutlich durch den Sinn ging : Nachts durch die stille Runde Rauschte des Rheines Lauf , Ein Schifflein zog im Grunde , Ein Ritter stand darauf .
Die Blicke irre schweifen Von seines Schiffes Rand , Ein blutigroter Streifen Sich um das Haupt ihm wand .
Der sprach :
" Da oben steht Ein Schlösslein überm Rhein , Die an dem Fenster steht :
Das wird die Liebste mein .
Sie hat mir Treue ' versprochen , Bis ich gekommen sei , Sie hat die Treue ' gebrochen , Und alles ist vorbei . "
Ich bemerkte hier bei dem Scheine eines Blitzes , daß Angelina heftig geweint hatte und noch fortweinte .
Ich sang weiter :
Viel Hochzeitleute drehen Da oben laut und bunt , Sie bleibt einsam stehen , Und lauschet in den Grund .
Und wie sie tanzten munter , Und Schiff und Schiffer schwand , Stieg sie vom Schloß hinunter , Bis sie im Garten stand .
Die Spielleut musizierten , Sie sann gar mancherlei , Die Töne sie so rührten , Als müßte das Herz entzwei .
Da trat ihr Bräutigam süße Zu ihr aus stiller Nacht , So freundlich er sie grüßte , Daß ihr das Herze lacht .
Er sprach :
" Was willst Du weinen , Weil alle fröhlich sei 'n ?
Die Stern ' so helle scheinen , So lustig geht der Rhein .
Das Kränzlein in den Haaren , Steht Dir so wunderfein , Wir wollen etwas fahren , Hinunter auf dem Rhein . "
Zum Kahn folgt sie behende , Setzt sich ganz vorne hin , Er setzte sich an das Ende Und ließ das Schifflein ziehen .
Sie sprach : " Die Töne kommen Verworren durch den Wind , Die Fenster sind verglommen , Wir fahren so geschwind .
Was sind das für so lange Gebirge weit und breit ?
Mir wird auf einmal bange In dieser Einsamkeit !
Und fremde Leute stehen , Auf mancher Felsenwand Und stehen still und sehen So schwindlig über 'n Rand . "
-- Der Bräutigam schien so traurig Und sprach kein einzig Wort , Schaut in die Wellen schaurig Und rudert immerfort .
Sie sprach :
" Schon sehe ' ich Streifen , So rot im Morgen stehen , Und Stimmen höre ich schweifen , Am Ufer Hähne krähen .
Du siehst so still und wilde , So bleich wird Dein Gesicht , Mir graut vor Deinem Bilde -- Du bist mein Bräutigam nicht ! " --
Ich bitte Dich um Gotteswillen , unterbrach mich hier Angelina dringend , nimm die Larve ab , ich fürchte mich vor Dir .
-- Laß das , sagte ich abwehrend , es gibt fürchterliche Gesichter , die das Herz in Stein verwandeln , wie das Haupt der Medusa . --
Ich hatte fast zu viel gesagt und griff rasch wieder in die Saiten :
Da stand er auf -- das Sausen Hielt an in Flut und Wald -- Es rührt mit Lust und Grausen , Das Herz Ihr die Gestalt .
Und wie mit steinern Armen Hob er sie auf voll Lust , Drückt ihren schönen , warmen Leib an die eisige Brust . Licht wurden Wald und Höhen , Der Morgen schien blutrot , Das Schifflein sah man gehen , Die schöne Braut drin tot .
Kaum hatte ich noch die letzte Strophe geendigt , als Angelina mit einem lauten Schrei neben mir zu Boden fiel .
Ich schaue ringsum und erblicke mein eigenes , leibhaftiges Konterfei im Eingange des Bosketts : dieselbe schwarze Rittermaske , die nämliche Größe und Gestalt . --
Laß mein Weib , verführerisches Blendwerk der Hölle ! rief die Maske , außer sich , und stürzte mit blankem Schwerte so wütend auf mich ein , daß ich kaum Zeit genug hatte , meinen eigenen Degen zu ziehen .
Ich erstaunte über die Ähnlichkeit seiner Stimme mit der meinigen , und begriff nun , daß mich Angelina für diesen ihren Mann , den Grafen selber , gehalten hatte .
In der Bewegung des Gefechts war ihm indes die Larve vom Gesicht gefallen , und ich erkannte mit Grausen den fürchterlichen Unbekannten wieder , dessen Schreckbild mich durchs ganze Leben verfolgt .
Mir fiel die Prophezeiung ein .
Ich wich entsetzt zurück , denn er focht unbesonnen in blinder Eifersucht und ich war im Vorteil .
Aber es war zu spät , denn in demselben Augenblicke rannte er sich wütend selber meine Degenspitze in die Brust und sank tot nieder .
Mein dunkler , wilder , halbunwillkürlicher Trieb war nun erfüllt .
Finsterer , als die Nacht um mich , eilte ich den Garten hinab .
Ein Kahn stand unten am Ufer des Stromes angebunden .
Ich stieg hinein und ließ ihn den Strom hinabfahren .
Die Nacht verging , die Sonne gierig auf und wieder unter , ich saß und fuhr noch immerfort .
Den anderen Morgen verlor sich der Strom zwischen wilden , einsamen Wäldern und Schlüften .
Der Hunger trieb mich ans Land .
Es war diese Gegend hier .
Ich fand nach einigem Herumirren das Schloß , das ihr gesehen .
Ein alter , verrückter Einsiedler wohnte damals dann , von dessen früherem Lebenslaufe ich nie etwas erfahren konnte .
Es gefiel nur gar wohl in dieser Wust und ich blieb bei ihm .
Kurze Zeit darauf starb der Alte und hinterließ mir seine alten Bücher , sein verfallenes Schloß und eine Menge Goldes in den Kellern .
Ich hätte nun wieder in die Welt zurückkehren können mit dem Schatze , zum allgemeinen Nutzen und Vergnügen .
Aber ich passe nirgends mehr in die Welt hinein .
Die Welt ist ein großer , unermeßlicher Magen und braucht leichte , weiche , bewegliche Menschen , die sie in ihren vielfach-verschlungenen , langweiligen Kanälen verarbeiten kann .
Ich tauge nicht dazu , und sie wirft solche Gesellen wieder aus , wie unverdauliches Eisen , fest , kalt , formlos und ewig unfruchtbar . --
So endigte Rudolph seine Erzählung , welche die beiden Grafen in eine nachdenkliche Stille versenkt hatte .
Leontin hatte sich , als Rudolph das Schloß der Angelina beschrieb , an jenen kurzen Besuch erinnert , den er nach dem Brande mit Friedrich'n auf dem Schlosse der weißen Frau abgelegt , und konnte sich der Vermutung nicht erwehren , daß diese vielleicht Angelina selber war . --
Es war unterdes dunkel geworden , der Mond trat eben über den einsamen Bergen hervor .
Ihr wißt nun alles , gute Nacht ! sagte Rudolph schnell und ging von ihnen fort .
Sie sahen ihm lange nach , wie sein langer , dunkler Schatten sich zwischen den hohen Bäumen verlor .
Als sie wieder oben in ihrem Zimmer waren , ergriff Leontin Maries Gitarre , die sie dort vergessen hatte , und sang über den stillen Kreis der Wälder hinaus :
Nächtlich dehnen sich die Stunden , Unschuld schläft in stiller Bucht , Fernab ist die Welt verschwunden , Die das Herz in Träumen sucht .
Und der Geist tritt auf die Zinne , Und noch stiller wird es umher , Schauet mit dem starren Sinne In das Wesenlose Meer .
Wer ihn sah bei Wetterblicken Stehen in seiner Rüstung blank : Den mag nimmermehr erquicken Reichen Lebens frischer Drang .
-- Fröhlich an den öden Mauern Schweift der Morgensonne Blick , Da versinkt das Bild mit Schauern , Einsam in sich selbst zurück .
Vierundzwanzigstes Kapitel .
Friedrich und Leontin vermehrten nun auch den wunderlichen Haushalt auf dem alten Waldschlosse .
Der unglückselige Rudolph lag gegen beide und alle Welt mit Witz zu Felde , so oft er mit ihnen zusammenkam .
Doch geschah dies nur selten , denn er schweifte oft Tagelang allein im Walde umher , wo er sich mit sich selber oder den Rehen , die er sehr zahm zu machen gewußt , in lange Unterredungen einzulassen pflegte .
Ja , es geschah gar oft , daß sie ihn in einem lebhaften und höchstkomischen Gespräche mit irgend einem Felsen oder Steine überraschten , der etwa durch eine Mundähnliche Öffnung oder weise vorstehende Nase eine eigene , wunderliche Physiognomie machte .
Dabei bildeten die Narren , welche er auf seinen Streifzügen , die er noch bisweilen ins Land hinab machte , zusammengerafft , eine seltsame Akademie um ihn , alle ernsthaften Torheiten der Welt in fast schauerlicher und tragischer Karikatur travestierend .
Jeder derselben hatte seine bestimmte Tagesarbeit im Hauswe sein .
Durch diese fortlaufende Beschäftigung , die Einsamkeit und reine Bergluft kamen viele von ihnen nach und nach wieder zur Vernunft , wo sie dann Rudolph wieder in die Welt hinaussandte und gerührt auf immer von ihnen Abschied nahm .
In Friedrich'n entwickelte diese Abgeschiedenheit endlich die ursprüngliche religiöse Kraft seiner Seele , die schon im Weltleben , durch gutmütiges Staunen geblendet , durch den Drang der Zeiten oft verschlagen und falsche Bahnen suchend , aus allen seinen Bestrebungen , Taten , Poesien und Irrtümern hervorleuchtete .
Jetzt hatte er alle seine Pläne , Talentchen , Künste und Wissenschaften unten zurückgelassen , und las wieder die Bibel , wie er schon einmal als Kind angefangen .
Da fand er Trost über die Verwirrung der Zeit und das einzige Recht und Heil auf Erden in dem heiligen Kreuze .
Er hatte endlich den phantastischen , tausendfarbigen Pilgermantel abgeworfen und stand nun in blanker Rüstung als Kämpfer Gottes gleichsam an der Grenze zweier Welten .
Wie oft , wenn er da über die Täler hinaussah , fiel er auf seine Knie und betete inbrünstig zu Gott , ihm Kraft zu verleihen , was er in der Erleuchtung erfahren , durch Wort und Tat seinen Brüdern mitzuteilen .
-- Leontin dagegen wurde hier oben ganz melancholisch und wehmütig , wie ihn Friedrich noch niemals gesehen .
Es fehlte ihm hier alle Handhabe , das Leben anzugreifen .
-- Eines Tages , da sie beide zusammen einen , ihnen bis jetzt noch unbekannten Weg eingeschlagen und sich weiter als gewöhnlich von dem Schlosse verirrt hatten , kamen sie auf einmal auf einer Anhöhe zwischen den Bäumen heraus zu einer wundervollen Aussicht , die sie innigst überraschte .
Mitten in der Waldeseinsamkeit stand nämlich ein Kloster auf einem Berge ; hinter dem Berge lag plötzlich das Meer in seiner schauerlichen Unermeßlichkeit , von der anderen Seite sah man weit in das ebene Land hinaus .
Es schien eben ein Fest in dem Kloster gewesen zu sein , denn lange bunte Züge von Wallfahrern wallten durch das Grün den Berg hinab und sangen geistliche Lieder , deren rührende Weise sich gar anmutig mit den Klängen der Abendglocken vermischte , die ihnen von dem Kloster nachhallten .
Leontin sah ihnen stillschweigend nach , bis ihr Gesang in der Ferne verhallte und die Gegend in dämmernde Stille versank .
Dann nahm er die Gitarre , die hier überall seine Begleiterin war , und sang folgendes Lied : Laß , mein Herz , das bange Trauern , Um vergangenes Erdenglück , Ach , von dieser Felsen Mauern Schweifet nur umsonst dem Blick !
Sind denn alle fortgegangen : Jugend , Sang und Frühlingslust ?
Lassen , scheidend , nur Verlangen Einsam mir in meiner Brust ?
Vöglein Vöglein hoch in Lüften reisen , Schiffe fahren auf der See , Ihre Segel , ihre Weisen Mehren nur des Herzens Weh .
Ist vorbei das bunte Ziehen , Lustig über Berg und Kluft , Wenn die Bilder wechselnd fliehen , Waldhorn immer weiter ruft ?
Soll die Liebe ' auf sonnigen Matten , Nicht mehr baun ihr prächtig Zelt , Übergolden Wald und Schatten , Und die weite , schöne Welt ? --
Laß das Bangen , laß das Trauern , Helle wieder nur den Blick !
Fern von dieser Felsen Mauern , Blüht dir noch gar manches Glück !
Beide Freunde wurden still nach dem Liede und gingen schweigend nebeneinander wieder nach dem Schlosse zurück .
Die abgefallenen Blätter raschelten schon unter ihren Tritten auf dem Boden , ein herbstlicher Wind durchstrich den seufzenden Wald und verkündigte , daß die fröhliche Sommerszeit bald Abschied nehmen wolle .
Sie schienen beide besonderen Gedanken und Entschlüssen nachzuhängen , die sie an jenem Platze gefaßt hatten .
Als der Mond die alten Zinnen des Schlosses beleuchtete , trat Leontin auf einmal reisefertig vor Friedrich .
Ich ziehe fort , sagte er , der Winter kommt bald , mir ist als läge das ganze Leben wie 29 diese Felsen hier auf meiner Brust , und ein Strom von Tränen möchte aus dem tiefsten Herzen ausbrechen , um die Berge wegzuwälzen ; ich muß fort , ziehe Du auch mit ! --
Friedrich schüttelte lächelnd den Kopf , aber im Innersten war er traurig , denn er fühlte , daß sich ihr Lebenslauf nun bedeutend und vielleicht auf immer scheiden werde .
Leontin zog endlich sein Pferd hervor und führte es langsam am Zügel hinter sich her , während ihm Friedrich noch eine Strecke weit das Geleite gab .
Der volle Mond ging eben über dem stillen Erdkreise auf , man konnte in der Tiefe weit hinaus den Lauf der Ströme deutlich unterscheiden .
Leontin war ungewöhnlich gerührt und drang nochmals in Friedrich'n , mit hinunterzuziehen .
Du weißt nicht , was Du forderst , sagte dieser ernst , locke mich nicht noch einmal hinab in die Welt , mir ist hier oben unbeschreiblich wohl , und ich bin kaum erst ruhig geworden . Dich will ich nicht halten , denn das muß von Innen kommen , sonst tut es nicht gut .
Und also ziehe mit Gott !
Die beiden Freunde umarmten einander noch einmal herzlich , und Leontin war bald in der Dunkelheit verschwunden .
Ihm zogen nun bald auch Vögel , Laub , Blumen und alle Farben nach .
Der alte grämliche Winter saß melancholisch mit seiner spitzen Schneehaube auf dem Gipfel des Gebirges , zog die bunten Gardinen weg , stellte wunderlich nach allen Seiten die Kulissen der lustigen Bühne , wie in einer Rumpelkammer , auseinander und durcheinander , baute sich phantastisch blitzende Eispalläste und zerstörte sie wieder und schüttelte unaufhörlich eisige Flocken aus seinem weiten Mantel darüber .
Der stumme Wald sah aus wie die Säulen eines umgefallenen Tempels , die Erde war weiß , so weit die Blicke reichten , das Meer dunkel ; es war eine unbeschreibliche Einsamkeit da droben .
Rudolphs seltsam verwildertem Gemüt war diese Zeit eben recht .
Er streifte oft halbe Tage lang mitten im Sturm und Schneegestöber auf allen den alten Plätzen umher .
Abends pflegte er häufig bis tief in die Nacht auf seiner Sternwarte zu sitzen und die Konjunkturen der Gestirne zu beobachten .
Eine Menge alter astrologischer Bücher lag dabei um ihn her , aus denen er verschiedenes auszeichnete und geheimnisvolle Figuren bildete .
Nach solchen Perioden machte er dann gewöhnlich wieder größere Streifzüge , manchmal bis ans Meer , wo es ihm eine eigene Lust war , ganz allein auf einem Kahne mit Lebensgefahr in die wilde , unermeßliche Einöde hinauszufahren .
Bisweilen verirrte er sich auch wohl in den Tälern zu manchem einsamen Landschlosse , wenn er in der Faschingszeit die Fenster hellerleuchtet sah .
Er betrachtete dann gewöhnlich draußen die Tanzenden durchs Fenster , wurde aber immer bald von dem rasenden Trompeten und Geigen wieder vertrieben .
29 * Als er einmal von so einem Zuge zurückkam , erzählte er Friedrich'n , er habe unten weit von hier einen großen Leichenzug gesehen , der sich bei Fackelschein und mit schwarzbehängten Pferden langsam über die beschneiten Felder hinbewegte .
Er habe weder die Gegend , noch die Personen gekannt , die der Leiche im Wagen folgten .
Aber Leontin sei bei dem Zuge , ohne ihn zu bemerken , an ihm vorübergesprengt .
-- Friedrich erschrak über diese düstere Botschaft .
Aber er konnte nicht erraten , welchem alten Bekannten der Zug gegolten , da sich Rudolph weiter um nichts bekümmert hatte .
Friedrich setzte indes noch immer seine geistlichen Betrachtungen fort .
Er besuchte , so oft es nur das Wetter erlaubte , das nahgelegene Kloster , das er an Leontins Abschiedstage zum erstenmal gesehen , und blieb oft Wochenlang dort .
Rudolph konnte er niemals bewegen , ihn zu begleiten , oder auch nur ein einzigesmal die Kirche zu besuchen .
Er fand in dem Prior des Klosters einen frommen , erleuchteten Mann , der besonders auf der Kanzel in seiner Begeisterung , gleich einem Apostel , wunderbar und altertümlich erschien .
Friedrich schied nie ohne Belehrung und himmlische Beruhigung von ihm und mochte sich bald gar nicht mehr von ihm trennen .
Und so bildete sich denn sein Entschluß , selber ins Kloster zu gehen , immer mehr zur Reife .
Der Winter war vergangen , die schöne Frühlingszeit ließ die Ströme los und schlug weit und breit ihr liebliches Reich wieder auf , da erblickte Friedrich eines Morgens , da er eben von der Höhe schaute , unten in der Ferne zwei Reiter , die über die grünen Matten hinzogen .
Sie verschwanden bald hinter den Bäumen , bald erschienen sie wieder auf einen Augenblick , bis sie Friedrich endlich in dem Walde völlig aus dem Gesichte verlor .
Er wollte nach einiger Zeit eben wieder in das Schloß zurückkehren , als die beiden Reiter plötzlich vor ihm aus dem Walde den Berg heraufkamen .
Er erkannte sogleich seinen Leontin .
Sein Begleiter , ein feiner , junger Jäger , sprang ebenfalls vom Pferde und kam auf ihn zu .
Setzen wir uns , sagte Leontin gleich nach der ersten Begrüssung munter ; ich habe Dir viel zu sagen .
Vor allem : kennst Du den ?
Hierbei hob er dem Jäger den Hut aus der Stirn , und Friedrich erkannte mit Erstaunen die schöne Julie , die in dieser Verkleidung mit niedergeschlagenen Augen vor ihm stand .
Wir sind auf einer großen Reise begriffen , sagte er darauf .
Die Jungfrau Europa , die so hochherzig mit ihren ausgebreiteten Armen dastand , als wolle sie die ganze Welt umspannen , hat die alten , sinnreichen , frommen , schönen Sitten abgelegt und ist eine Metze geworden .
Sie buhlt frei mit dem gesunden Menschenverstande , dem Unglauben , Gewalt und Verrat , und ihr Herz ist dabei besonders eingeschrumpft .
-- Pfui , ich habe keine Lust mehr an der Philisterin !
Ich reise weit fort von hier , in einen anderen Weltteil , und Julie begleitet mich . --
Friedrich sah ihn bei diesen Worten groß an . --
Es ist mein voller Ernst , fuhr Leontin fort , Juliens Vater ist auch gestorben , und ich kann hier nicht länger mehr leben , wie ich nicht mag und darf .
Friedrich erfuhr nun auch , daß sie Land und alles , was sie hier besessen , zu Gelde gemacht , und ein eigenes Schiff bereits in der abgelegenen Bucht , die an das erwähnte Kloster stieß , bereit liege , um sie zu jeder Stunde aufzunehmen . --
Er konnte , ungeachtet der schmerzlichen Trennung , nicht umhin , sich über dieses Vorhaben zu freuen , denn er wußte wohl , daß nur ein frisches , weites Leben seinen Freund erhalten könne , der hier in der allgemeinen Misere durch fruchtlose Unruhe und Bestrebung nur sich selber vernichtet hätte .
Sie sprachen dort noch lange darüber .
Julie saß unterdes still mit dem einen Arme auf Leontins Knie gestützt und sah überaus reizend aus . --
Seit ihr denn getraut ? fragte Friedrich Leontinen leise . --
Julie hatte es demungeachtet gehört , und wurde über und über rot .
Es wurde nun sogleich beschlossen , die Trauung noch heute in dem Kloster zu vollziehen .
Man begab sich daher in das alte Schloß , die Felleisen wurden abgeschnallt und Julie mußte sich umziehen .
Friedrich bereitete unterdes fröhlich alles , was sich hier schaffen ließ , zu einem lustigen Hochzeitsfeste , während Leontin , der sich in dieser Lage als feierlicher Bräutigam gar komisch vorkam , allerhand Possen machte , und die seltsamsten Anstalten traf , um das Fest recht phantastisch auszuschmücken .
Endlich erschien Julie wieder .
Sie hatte ein weißes Kleid , die schönen goldenen Haare fielen in langen Locken über den Nacken und die Schultern , man konnte sie nicht ansehen , ohne sich an irgend ein schönes altdeutsches Bild zu erinnern .
Sie bestiegen nun alle ihre Pferde und zogen so , Juli in die Mitte nehmend , auf das Kloster zu .
Als sie die letzte Höhe vor demselben erreichten , wo auf einmal das Meer durch die Wälder und Hügel seinen furchtbargroßen Geisterblick hinaufsandte , tat .
Julie einen Freudenschrei über den unerwarteten , noch nie gehabten Anblick , und sah dann den ganzen Weg über mit den großen , sinnigen Augen stumm in das wunderbare Reich , wie in eine unbekannte , gewaltige Zukunft .
Die Glockenklänge von dem Klosterturme kamen ihnen wunderbartröstend aus der unermeßlichen Aussicht entgegen .
In dem Kloster selbst war eben das Wallfahrtsfest , das alle Jahr einigemal gefeiert wurde , wiedergekehrt .
Die Einsamkeit ringsherum war wieder bunt belebt , eine Menge Pilger war , als sie dort ankamen , in kleinen Haufen unter den grünen Bäumen vor der Kirche gelagert , die Kirche selbst mit Blumen und grünen Reisern freundlich geschickt .
Friedrich hatte schon früher den Prior von ihrer Ankunft benachrichtigen lassen , und so wurden denn Leontin und Julie noch diesen Vormittag in der Kirche feierlich zusammengegeben .
Die Menge fremder Pilger freute sich über das fremde Paar .
Nur eine hohe , junge Dame , die einen dichten Schleier über das Gesicht geschlagen hatte , lag seitwärts vor einem einsamen Altare voll Andacht auf den Knien und schien von allem , was hinter ihr in der Kirche vorging , nichts zu bemerken .
Friedrich sah sie ; sie kam ihm bekannt vor . --
Diese einsame Gestalt , das unaufhörliche Ringen und Brausen der Orgeltöne , der fröhliche Sonnenschein , der draußen vor der offenen Türe auf dem grünen Platze spielte , alles drang so seltsam rührend auf ihn ein , als wollte das ganze vergangene Leben noch einmal mit den ältesten Erinnerungen und langvergessenen Klängen an ihm vorübergehen , um auf immer Abschied zu nehmen .
Ihm fiel dabei recht ein , wie nun auch Leontin fortreise und wahrscheinlich nie mehr wiederkomme , und eine unbeschreibliche Wehmut bemächtigte sich seiner , so daß er ins Freie hinaus mußte .
Er ging draußen unter den hohen Bäumen vor der Kirche auf und ab und weinte sich herzlich aus .
Die Zeremonie war unterdes geendigt , und sie ritten wieder nach dem alten Schlosse zurück .
Auf dem grünen Platze vor demselben empfing sie un ter den hohen Bäumen ein reinlich gedeckter Tisch ; große Blumensträuße und vielfarbiges Obst stand in silbernen Gefäßen zwischen dem goldenblickenden Wein und hellgeschliffenen Gläsern , alle das fröhlichbunte Gemisch von Farben gab in dem Grün und unter blauheiterem Himmel einen frischerlockenden Schein .
Man hatte , was in dem Schlosse nicht zu finden war , schnell aus dem Kloster herbeigeschafft .
Rudolph ließ sich nirgends sehen .
Sie aßen und tranken nun in der grünen Einsamkeit , während der Kreis der Wälder in ihre Gespräche hineinrauschte .
Julie saß still in die Zukunft versenkt und schien innerlich entzückt , daß nun endlich ihr ganzes Leben in des Geliebten Gewalt gegeben sei .
So kam der Abend heran .
Da sahen sie zwei Männer , die in einem lebhaften Gespräche miteinander begriffen schienen , aus dem Walde zu ihnen heraufkommen .
Sie erkannten Rudolph an der Stimme .
Kaum hatte ihn Julie , die schon von dem vielen Weine erhitzt war , erblickt , als sie laut aufschrie und sich furchtsam an Leontin andrückte .
Es war dieselbe dunkle Gestalt , die sie bei dem Leichenzuge ihres Vaters aus dem Wagen einsam auf dem beschneiten Felde hatte stehen sehen . --
O seht , was ich da habe , rief ihnen Rudolph schon von weitem entgegen , ich habe im Walde einen Poeten gefunden , wahrhaftig , einen Poeten !
Er saß unter einem Baume und schmälte laut auf die ganze Welt in schönen gereimten Versen , daß ich bis zu Tränen lachen mußte .
Gib dich zufrieden , Gevatter ! sagte ich so gelinde als möglich zu ihm , aber er nimmt keine Vernunft an , und schimpft immerfort .
-- Rudolph lachte hierbei so übermäßig und aus Herzensgrund , wie sie ihn noch niemals gesehen .
Sie hatten indes in seinem Begleiter mit Freuden den langentbehrten Herrn Faber erkannt .
Leontin sprang sogleich auf , ergriff ihn und walzte mit ihm auf der Wiese herum , bis sie beide nicht mehr weiter konnten .
Et tu Brute ? -- rief endlich Faber aus , als er wieder zu Atem gekommen war , nein , das ist zu toll , der Berg muß verzaubert sein !
Unten begegne ich der kleinen Marie , ich will sie aus alter Bekanntschaft haschen und küssen , und bekomme eine Ohrfeige , weiter oben sitzt auf einer Felsenspitze eine Figur mit breitem Mantel und Krone auf dem Haupt , wie der Metallfürst , und will mir grämlich nicht den Weg weisen , ein als Ritter verkappter Phantast rennt mich fast um , dann falle ich jenem Melankolikus da in die Hände , der nicht weiß , warum er lacht , und nachdem ich mich endlich mit Lebensgefahr hinaufgearbeitet habe , seid ihr hier oben am Ende auch noch verrückt . --
Das kann wohl sein , sagte Leontin lustig , denn ich bin verheiratet ( hierbei küßte er Julien , die ihm die Hand auf den Mund legte ) und Friedrich da , fuhr er fort , will ins Kloster Gehen .
Aber Du weißt ja den alten Spruch : sie haben sich zu Toren gemacht vor der Welt .
-- Und nun sage mir nur , wie in aller Welt Du uns hier aufgefunden hast ?
Faber erzählte nun , daß er auf einer Wallfahrt zu dem Kloster begriffen gewesen , von dessen schöner Lage er schon viel gehört .
Unterwegs habe er am Meere von Schiffsleuten vernommen , daß sich Leontin hier oben aufhalte , und daher den Berg bestiegen .
-- Rudolph verwandte unterdes mit komischer Aufmerksamkeit kein Auge von dem kurzen , runden , wohllebigen Manne , der mit so lebhaften Gebärden sprach .
Faber setzte sich zu ihnen und sie teilten ihm nun zu seiner Verwunderung ihre Plane mit .
Rudolph war indes auch wieder still geworden , und saß wie der steinerne Gast unter ihnen am Tische .
Julie blickte ihn oft seitwärts an und konnte sich noch immer einer heimlichen Furcht vor ihm nicht erwehren , denn es war ihr , als vergienge diesem kalten und klugen Gesichte gegenüber ihre Liebe und alles Glück ihres Lebens zu nichts .
Die Nacht war indes angebrochen , die Sterne prangten an dem heiteren Himmel .
Da erklang auf einmal Musik aus dem nächsten Gebüsche .
Es waren Spielleute aus dem Kloster , die Leontin bestellt hatte .
Rudolph stand bei den ersten Klängen auf , sah sich ärgerlich um und ging fort .
Leontin , von den plötzlichen Tönen wie im innersten Herzen erweckt , hob sein Glas hoch in die Höhe und rief :
Es lebe die Freiheit !
Wo ? -- fragte Faber , indem er selbst langsam sein Glas aufhob . --
Nur nicht etwa in der Brust des Philosophen allein , erwiderte Leontin , unangenehm gestört .
Diese allgemeine , natürliche , philosophische Freiheit , der jede Welt gut genug ist , um sich in ihrem Hochmute frei zu fühlen , ist mir eben so in der Seele zuwider , als jene natürliche Religion , welcher alle Religionen einerlei sind .
Ich meine jene uralte , lebendige Freiheit , die uns in großen Wäldern wie mit wehmütigen Erinnerungen anweht , oder bei alten Burgen sich wie ein Geist auf die verfallene Zinne stellt , der das Menschenschifflein unten wohl zufahren heißt , jene frische , ewigjunge Waldesbraut , nach welcher der Jäger frühmorgens aus den Dörfern und Städten hinauszieht und sie mit seinem Horne lockt und ruft , jener reine , kühle Lebensatem , den die Gebirgsvölker auf ihren Alpen einsaugen , daß sie nicht anders leben können , als wie es der Ehre geziemt . --
Aber damit ist es nun aus . --
Wenn unserer Altvordern Herzen wohl mit dreifachem Erz gewappnet waren , das vor dem rechten Strahle erklang , wie das Erz von Dodona , so sind die unsrigen nun mit sechsfacher Butter des häuslichen Glückes , des guten Geschmacks , zarter Empfindungen und edelmütiger Handlungen umgeben , durch die kein Wunderlaut bis zu der Talggrube hindurchdringt .
Zieht dann von Zeit zu Zeit einmal ein wunderbarer , altfränkischer Gesell , der es noch ehrlich und ernsthaft meint , wie Don Quijote , vorüber , so sehen Her Ren und Damen nach der Tafel , gebildet und gemächlich , zu den Fenstern hinaus , stochern sich die Zähne und ergötzen sich an seinen wunderlichen Kapriolen , oder machen wohl gar auch Sonette auf ihn , und meinen , er sei eine recht interessante Erscheinung , wenn er nur nicht eigentlich verrückt wäre . --
Das alte große Rache-Schwert haben sie sorglich vergraben und verschüttet , und keiner weiß den Fleck mehr , und darüber auf dem lockeren Schutt bauen sie nun ihre Vielen , Parks , Eremitagen und Wohnstuben , und meinen in ihrer vernünftigen Dummheit , der Plunder könne so fortbestehen .
Die Wälder haben sie ausgehauen , denn sie fürchten sich vor ihnen , weil sie von der alten Zeit zu ihnen sprechen und am Ende den Ort noch verraten könnten , wo das Schwert vergraben liegt . --
Leontin ergriff hierbei hastig die Gitarre , die neben ihm auf dem Rasen lag , und sang :
O könnte ich mich niederlegen Weit in den tiefsten Wald , Zum Haupte den guten Degen , Der noch von den Väteru alt !
Und dürfte von allem nichts spüren In dieser dummen Zeit , Was sie da unten hantieren , Von Gott verlassen , zerstreut ; Von fürstlichen Taten und Werken , Von alter Ehre und Pracht , Und was die Seele mag stärken , Verträumend die lange Nacht !
Denn eine Zeit wird kommen , Da macht der Herr ein Ende , Da wird den Falschen genommen Ihr unechtes Regiment .
Denn , wie die Erze vom Hammer , So wird das lockre Geschlecht , Gehaun sein von Not und Jammer , Zu festem Eisen recht .
Da wird Aurora Tagen , Hoch über den Wald hinauf , Da gibt's was zu siegen und schlagen , Da wacht , ihr Getreuen , auf !
Und so , sagte er , will ich denn in dem noch unberührten Waldesgrün eines anderen Weltteils Herz und Augen stärken , und mir die Ehre und die Erinnerung an die vergangene große Zeit , so wie den tiefen Schmerz über die gegenwärtige heilig bewahren , damit ich der künftigen besseren , die wir alle hoffen , würdig bleibe , und sie mich wach und rüstig finde .
Und Du , fuhr er zu Julien gewendet fort , wirst Du ganz ein Weib sein , und , wie Shakespeare sagt , dich dem Triebe hingeben , der dich zügellos ergreift und dahin oder dorthin reißt , oder wirst du immer Mut genug haben , dein Leben etwas Höherem unterzuordnen ?
Und dämmert endlich die Zeit heran , die mich Gott erleben lasse ! wirst du fröhlich sagen können :
Ziehe hin !
denn was du willst und sollst , ist mehr wert , als dein und mein Leben ? --
Julie nahm ihm fröhlich die Gitarre aus der Hand und antwortete mit folgender Romanze :
Von der deutschen Jungfrau .
Es stand ein Fräulein auf dem Schloß , Erschlagen war im Streit ihr Roß , Schnaubte wie ein See die finstere Nacht , Wollt ' überschrei 'n die wilde Schlacht .
Im Tal die Brüder lagen tot , Es brannte die Burg so blutigrot , In Lohen stand sie auf der Wand , Hielt hoch die Fahne in der Hand .
Da kam ein römischer Rittersmann , Der ritt keck an die Burg hinan , Es blitzt sein Helm gar mannigfach , Der schöne Ritter also sprach :
" Jungfrau , komme in die Arme mein !
Sollst deines Siegers Herrin sein .
Will baun dir einen Palast schön , In prächtigen Kleidern sollst du Gehen .
Es tun deine Augen mir Gewalt , Kann nicht mehr fort aus diesem Wald .
Aus wilder Flammen Spiel und Graus , Trag ich mir meine Braut nach Haus ! "
Der Ritter ließ sein weißes Roß , Stieg durch den Brand hinauf ins Schloß , Viel Knechte ihm waren da zur Hand , Zu holen das Fräulein von der Wand .
Das Fräulein stieß die Knechte hinab , Den Liebsten auch ins heiße Grab , Sie selbst dann in die Flammen sprang , Über ihnen die Burg zusammensank .
Faber brach , als sie geendigt hatte , einen Eichenzweig von einem herabhängenden Aste , bog ihn schnell zu einem Kranze zusammen und überreichte ihr denselben , indem er mit altritterlicher Galanterie vor ihr hinkniete .
Julie drückte den Kranz mit seinen frischgrünen , vollen Blättern lächelnd in ihre blonden Locken über die ernsten , großen Augen , und sah so wirklich dem Bilde nicht unähnlich , das sie besungen . --
Es ist seltsam , sagte Faber darauf , wie sich unser Gespräch nach und nach beinahe in einen Wechselgesang aufgelöst hat .
Der weite , gestirnte Himmel , das Rauschen der Wälder ringsumher , der innere Reichtum und die überschwengliche Wonne , mit welcher neue Entschlüsse uns jederzeit erfüllen , alles kommt zusammen ; es ist , als hörte die Seele in der Ferne unaufhörlich eine große , himmlische Melodie , wie von einem unbekannten Strome , der durch die Welt zieht , und so werden am Ende auch die Worte unwillkürlich melodisch , als wollten sie jenen wunderbaren Strom erreichen und mitziehen .
So fällt auch mir jetzt ein Sonett ein , das Euch am besten erklären mag , was ich von Leontins Vorhaben halte .
Er sprach :
In Wind verfliegen sah ich , was wir klagen , Erbärmlich Volk um falscher Götzen Thronen , Weniger Gedanken , deutschen Landes Kronen , Wie Felsen , aus dem Jammer einsam ragen .
Da Da mochte ich länger nicht nach Euch mehr fragen , Der Wald empfing , wie rauschend ! den Entflohenen , In Burgen alt , an Stromskühle wohnen , Wollte ich auf Bergen bei den alten Sagen .
Da hörte ich Strom und Wald dort so mich tadeln :
" Was willst , Lebendiger du , hier überm Leben , Einsam verwildernd in den eigenen Tönen ?
Es soll im Kampf der rechte Schmerz sich adeln , Den deutschen Ruhm aus der Verwüstung heben , Das will der alte Gott von seinen Söhnen ! "
Friedrich sagte :
Es ist sehr wahr , wovon Ihr Sonett da spricht , und doch billige ich Leontins Plan vollkommen .
Denn wer , von Natur ungestüm , sich berufen fühlt , in das Räderwerk des Weltganges unmittelbar mit einzugreifen , der mag von hier flüchten so weit er kann .
Es ist noch nicht an der Zeit zu bauen , so lange die Backsteine , noch weich und unreif , unter den Händen zerfließen .
Mir scheint in diesem Elend , wie immer , keine andere Hilfe , als die Religion .
Denn wo ist in dem Schwalle von Poesie , Andacht , Deutschheit , Tugend und Vaterländerei , die jetzt , wie bei der babylonischen Sprachverwirrung , schwankend hin und hersummen , ein sicherer Mittelpunkt , aus welchem alles dieses zu einem klaren Verständnis , zu einem lebendigen Ganzen gelangen könnte ?
Wenn das Geschlecht vor der Hand einmal alle seine irdischen Sorgen , Mühen und fruchtlosen Versuche , 30 der Zeit wieder auf die Beine zu helfen , vergessen und wie ein Kleid abstreifen , und sich dafür mit voller , siegreicher Gewalt zu Gott wenden wollte , wenn die Gemüter auf solche Weise von den göttlichen Wahrheiten der Religion lange vorbereitet , erweitert , gereinigt und wahrhaft durchdrungen würden , daß der Geist Gottes und das Große im öffentlichen Leben wieder Raum in ihnen gewönne , dann erst wird es Zeit sein , unmittelbar zu handeln , und das alte Recht , die alte Freiheit , Ehre und Ruhm in das wiedereroberte Reich zurückzuführen .
Und in dieser Gesinnung bleibe ich in Deutschland und wähle nur das Kreuz zum Schwerte .
Denn wahrlich , wie man sonst Missionarien unter Kannibalen aussandte , so tut es jetzt viel mehr Not in Europa , dem ausgebildeten Heidensitze .
Faber kam aus tiefen Gedanken zurück , als Friedrich ausgeredet hatte .
Wie ihr da so sprecht , sagte er , ist mir gar seltsam zu Mute .
War mir doch , als verschwände dabei die Poesie und alle Kunst wie in der fernsten Ferne , und ich hätte mein Leben an eine reizende Spielerei verloren .
Denn das Haschen der Poesie nach Außen , das geistige Verarbeiten und Bekümmern um das , was eben vorgeht , das Ringen und Abarbeiten an der Zeit , so groß und lobenswert als Gesinnung , ist doch immer unkünstlerisch .
Die Poesie mag wohl Wurzel schlagen in demselben Boden der Religion und Nationalität , aber unbekümmert , bloß um ihrer himmlischen Schönheit Willen , als Wunderblume zu uns heraufwachsen .
Sie will und soll zu nichts brauchbar sein .
Aber das versteht ihr nicht , und macht mich nur irre .
Ein fröhlicher Künstler mag sich vor Euch hüten .
Denn wer die Gegenwart aufgibt , wie Friedrich , wem die frische Lust am Leben und seinem überschwänglichen Reichtume gebrochen ist , mit dessen Poesie ist es aus .
Er ist wie ein Maler ohne Farben .
Friedrich , den die Zurückrufung der großen Bilder seiner Hoffnungen innerlichst fröhlich gemacht hatte , nahm statt aller Antwort die Gitarre , und sang nach einer alten , schlichten Melodie : Wo treues Wollen , redlich Streben Und rechter Sinn der Rechte spürt , Da muß die Seele ihm erheben , Das hat mich jedesmal gerührt .
Das Reich des Glaubens ist geendet , Zerstört die alte Herrlichkeit , Die Schönheit weinend abgewendet , So Gnadenlos ist unsere Zeit .
O Einfalt gut in frommen Herzen , Du züchtig schöne Gottesbraut ! Dich schlugen sie mit frechen Scherzen , Weil Dir vor ihrer Klugheit graut .
Wo findest Du nun ein Haus , vertrieben , Wo man Dir deine Wunder läßt , Das treue Tun , das schöne Lieben , Des Lebens fromm vergnüglich Fest ? 30 * Wo findest Du Deinen alten Garten , Dein Spielzeug , wunderbares Kind , Der Sterne heilige Redensarten , Das Morgenrot , den frischen Wind ?
Wie hat die Sonne schön geschienen !
Nun ist so alt und schwach die Zeit , Wie stehst so jung Du unter ihnen , Wie wird mein Herz mir stark und weit !
Der Dichter kann nicht mit verarmen ; Wenn alles um ihn her zerfällt , Hebt ihn ein göttliches Erbarmen , Der Dichter ist das Herz der Welt .
Den blöden Willen aller Wesen , Im Irdischen des Herren Spur , Soll er durch Liebeskraft erlösen , Der schöne Liebling der Natur .
Darum hat ihm Gott das Wort gegeben , Das kühn das Dunkelste benennt , Den frommen Ernst im reichen Leben , Die Freudigkeit , die keiner kennt .
Da soll er singen frei auf Erden , In Lust und Not auf Gott vertraun , Daß alle Herzen freier werden , Eratmend in die Klänge schaun .
Der Ehre sei er recht zum Horte , Der Schande leuchte er ins Gesicht !
Viel Wunderkraft ist in dem Worte , Das hell aus reinem Herzen bricht .
Vor Eitelkeit soll er vor allen Streng hüten sein unschuldiges Herz , Im Falschen nimmer sich gefallen , Um eitel Witz und blanken Scherz .
O laßt unedle Mühe fahren , O klingelt , gleißt und spielet nicht Mit Licht und Gnade , so ihr erfahren , Zur Sünde macht ihr das Gedicht !
Den lieben Gott laß in dir walten , Aus frischer Brust nur treulich sing !
Was wahr in dir , wird sich gestalten , Das andere ist erbärmlich Ding .
-- Den Morgen sehe ' ich ferne scheinen , Die Ströme zieh 'n im grünen Grund , Mir ist so wohl ! -- die_es ehrlich meinen , Die grüß ich alle aus Herzensgrund !
Faber reichte Friedrich'n , der die Gitarre wieder weglegte , die Hand zur Versöhnung .
-- Der Morgen warf unterdes wirklich schon , vom Meere her ungewisse Scheine über den dämmernden Himmel , hin und wieder erwachten schon frühe Vögel im Walde , alle Wipfel fingen an sich frischer zu rühren .
Da sprang Leontin fröhlich mitten auf den Tisch , hob sein Glas hoch in die Höhe ' und sang : Kühle auf dem schönen Rheine , Fuhren wir vereinte Brüder , Tranken von dem goldenen Weine , Singend gute deutsche Lieder .
Was uns dort erfüllt die Brust , Sollen wir halten , Niemals erkalten Und vollbringen treu mit Lust !
Und so wollen wir uns teilen , Eines Fels verschiedene Quellen , Bleiben so auf hundert Meilen Ewig redliche Gesellen !
Alle stießen freudig mit ihren Gläsern an , und Leontin sprang wieder vom Tische herab .
Denn so eben sahen sie Rudolph , unter beiden Armen schwer bepackt , aus der Burg auf sie zukommen .
Lustig ! lustig ! rief er , als er den Gläserklirrenden Jubel sah , frisch , spielt auf , Flöten und Geigen !
Da habt ihr Gold !
Hierbei warf er zwei große Geldsäcke vor ihnen auf die Erde , daß die Goldstücke nach allen Seiten in das Gras hervorrollten . --
Das ist ein lustiges Metall , fuhr er fort , wie es in die fröhliche , unschuldige Welt hinaushüpft und rollt , mit den verwunderten Gräsern funkelnd spielt und mit dunkelroten , irren Flammen zuckt , liebäugelnd , klingend und lockend !
Verfluchter , unterirdischer , rotäugiger Lügengeist , der niemals hält , was er verspricht !
Da nehmt alles , greift zu !
Kauft Ehre , kauft Liebe , kauft Ruhm , Lust und alles Ergötzen der Erde , seid immer satt und immer wieder durstiger bis ans Grab , und wenn ihr dabei einmal fröhlich und zufrieden werdet , so mögt ihr mir danken .
-- Alle sahen ihn erstaunt an .
Faber sagte :
ich achte das Geld nur , wenn ich es brauche .
Aber Dichter brauchen immer Geld .
Und hiermit packte er ruhig alle seine Taschen voll , so daß er mit dem aufgeschwollenen Rocke sehr lächerlich anzusehen war .
Rudolph nahm hierauf kurzen Abschied von allen und wandte sich wieder nach seinem Schlosse zurück .
Friedrich eilte ihm nach , er wollte ihn so nicht Gehen lassen .
Da kehrte er sich noch einmal zu ihm .
Du willst ins Kloster ? fragte er ihn , und blieb stehen .
Ja , sagte Friedrich , und hielt seine Hand fest , und was willst Du nun künftig beginnen ? --
Nichts -- , war Rudolphs Antwort . --
Ich bitte Dich , sagte Friedrich , versenke Dich nicht so fürchterlich in Dich selbst .
Dort findest Du nimmermehr Trost .
-- Du gehst niemals in die Kirche .
-- In mir , erwiderte Rudolph , ist es wie ein unabsehbarer Abgrund und alles still .
-- Friedrich glaubte dabei zu bemerken , daß er heimlich im Innersten bewegt war . --
O könnte ich alles Große wecken , fuhr er dringender fort , was in Dir verzweifelt und gebunden ringt !
Hast Du doch selber erzählt , daß Dich alle wissenschaftliche Philosophie nicht befriedigte , daß Du darin Gott und Dich nie erkanntest .
So wende Dich denn zur Religion zurück , wo Gott selber unmittelbar zu Dir spricht , Dich stärkt , belehrt und tröstet !
-- Du meinst es gut , sagte Rudolph finster , aber das ist es eben in mir :
ich kann nicht glauben .
Und da mich denn der Himmel nicht mag , so will ich mich der Magie ergeben .
Ich gehe nach Ägypten , dem Lande der alten Wunder .
-- Hiermit drückte er seinem Bruder schnell die Hand und ging mit großen Schritten in den Wald hinein .
Sie sahen ihn nicht mehr wieder .
Lange blickten sie ihm nach und bedauerten den unglücklich verwirrten , als ein Schiffer ankam , um Leontinen an die Abfahrt zu mahnen , indem so eben ein günstiger Wind vom Lande trieb .
Alle sahen einander stillschweigend an und schienen erschrocken , da nun der Augenblick wirklich da war , den sie selber lange vorbereitet hatten .
Der Schiffer übernahm das wenige Gepäck , und sie machten sich sogleich auf den Weg nach dem Meere .
Friedrich begleitete sie .
Langsam rückten , Berge und Wälder bei jedem Schritte immer weiter hinter ihnen zurück , das Meer rollte sich vor ihren Blicken auseinander .
Friedrich sagte unterwegs : Mir gleicht unsere Zeit dieser weiten , ungewissen Dämmerung !
Licht und Schatten ringen noch ungeschieden in wunderbaren Massen gewaltig miteinander , dunkle Wolken zieh 'n Verhängnisschwer dazwischen , ungewiß , ob sie Tod oder Segen führen , die Welt liegt unten in weiter , dumpfstiller Erwartung .
Kometen und wunderbare Himmelszeichen zeigen sich wieder , Gespenster wandeln wieder durch unsere Nächte , fabelhafte Sirenen selber tauchen , wie vor nahen Gewittern , von neuem über den Meeresspiegel und singen , alles weißt wie mit blutigem Finger warnend auf ein großes , unvermeidliches Unglück hin .
Unsere Jugend erfreut kein sorglos leichtes Spiel , keine fröhliche Ruhe , wie unsere Väter , uns hat frühe der Ernst des Lebens gefaßt .
Im Kampfe sind wir geboren , und im Kampfe werden wir , überwunden oder triumphierend , Untergehen .
Denn aus dem Zauberrauche unserer Bildung wird sich ein Kriegs-Gespenst gestalten , geharnischt , mit bleichem Totengesicht und blutigen Haaren ; wessen Auge in der Einsamkeit geübt , der sieht schon jetzt in den wunderbaren Verschlingungen des Dampfes die Lineamente dazu ausringen und sich leise formieren .
Verloren ist , wen die Zeit unvorbereitet und ungewaffnet trifft ; und wie mancher , der weich und aufgelegt zu Lust und fröhlichem Dichten , sich so gern mit der Welt vertrüge , wird , wie Prinz Hamlet , zu sich selber sagen : Weh ' , daß ich zur Welt , sie einzurichten , kam !
Denn aus ihren Fugen wird sie noch einmal kommen , ein unerhörter Kampf zwischen Altem und Neuem beginnen , die Leidenschaften , die jetzt verkappt schleichen , werden die Larven wegwerfen und flammender Wahnsinn sich mit Brandfackeln in die Verwirrung stürzen , als wäre die Hölle losgelassen , Recht und Unrecht , beide Parteien , in blinder Wut einander verwechseln , -- Wunder werden zuletzt geschehen um der Gerechten Willen , bis endlich die neue und doch ewig alte Sonne durch die Greuel bricht , die Donner rollen nur noch fernab an den Bergen , die weiße Taube kommt durch die blaue Luft geflogen und die Erde hebt sich verweint , wie eine befreite Schöne , in neuer Glorie empor . --
O Leontin !
wer von uns wird das erleben ! --
Sie waren unterdes ans Gestade gekommen .
Leontin umarmte hierauf noch einmal die Freunde , Friedrich küßte Julien auf die Stirn , und die drei bestiegen ihr Schiff .
Faber ritt landeinwärts fort .
Friedrich kehrte ins Kloster zurück , um es niemals mehr zu verlassen .
Als er in die Kirche eintrat , fand er dort noch alles leer und stille .
Nur einige fromme Pilger waren noch hin und her in den Bänken zerstreut .
Auch die hohe , verschleierte Dame von Gestern bemerkte er wieder unter ihnen .
Er kniete vor ein Altar und betete .
Als er wieder aufstand und sich umwandte , wobei ihm durch ein offenes Fenster die Morgenhelle gerade auf Brust und Gesicht fiel , sank plötzlich die Dame ohnmächtig auf den Boden nieder .
Mehrere Bediente sprangen herbei und brachten sie vor die Türe , wo ein Wagen ihrer zu warten schien .
-- Es war Rosa .
-- Friedrich hatte nichts mehr davon bemerkt .
Beruhigt und glückselig war er in den stillen Klostergarten hinausgetreten .
Da sah er noch , wie von der einen Seite Faber zwischen Strömen , Weinbergen und blühenden Gärten in das blitzende , buntbewegte Leben hinauszog , von der ahnde Ren Seite sah er Leontins Schiff mit seinem weißen Segel auf der fernsten Höhe des Meeres zwischen Himmel und Wasser verschwinden .
Die Sonne ging eben prächtig auf .
Ende .
Freunden einer unterhaltenden Lektüre sind folgende , bei dem Verleger erschienene Werke zu empfehlen , welche man in allen guten Buchhandlungen und wohleingerichteten Leihbibliotheken findet .
Adolph und Virginie , oder Liebe und Kunst , von Caroline Paulus. 8 . 1 thlr. oder 1 fl. 48 kr. Semiramis .
Ein Trauerspiel von Voltaire , in Jamben übersetzt von Caroline Paulus .
8. 12 gr. oder 48 kr .
Natalie Percy , oder Eitelkeit und Liebe .
Eine Novelle , frei bearbeitet nach den Confession des Hrn. von Pr . . . . . , von Caroline Paulus .
Mit einem schönen Kupfer .
8. 18 gr. oder 1 fl. 24 kr .
Eginhard und Emma .
Ein Schauspiel in drei Aufzügen von Friedrich Baron de la Motte Fouqué .
8. 9 gr. oder 36 kr .
Liana , Gräfin von Wallberg , und Karl Wernsdorf , von Regiomontanus. 8 . 1 thlr. 16 gr. oder 3 fl .
Blumenblätter aus den Gefilden der Phantasie und Geschichte gesammelt von dem Frhrn. Fr. Karl von Dankelmann. 2 Sammlungen mit 2 Kupfern. 8 . 1 thlr. 4 gr. oder 1 fl. 48 tr .
Geschich Geschichte des Zwillings a Pede von Johannes Autor .
( Kanne. ) 8. 18 gr. oder 1 fl. 6 kr .
Peter Schlemihl's wundersame Geschichte ; mitgeteilt von A. von Chamisso , und herausgegeben von Friedrich Baron de la Motte Fouqué .
Mit 2 Titelkupfer .
8. 18 gr. oder 1 fl. 21 kr .
Neue Gemälde der Liebe ; vom Verfass . der Auguste .
Mit 1 Kupf.
8. 18 gr. oder 1 fl. 24 kr .
Frauentaschenbuch für das Jahr 1815 . herausgegeben von Friedr. Baron de la motte Fouqué .
Erster Jahrgang .
Mit schönen Kupfern und in sauberem Einbande. gr. 12 .
2 thlr. oder 3 fl. 36 kr .
Deutschlands edle Frauen werden nicht verschmähen , was Er , der ihr Geschlecht auf so mannigfache Weise verherrlicht -- ein echter deutscher Ritter in Tat und Wort -- ihnen bietet .
Es ist genug zu bemerken , daß außer den Blumen , die Er und seine sinnige Genossin in Leben und Kunst , in diesen schönen Kranz geflochten , noch viele unserer Lieblinge , unter anderen Mancher , der schon im " deutschen Dichterwald " uns erfreut und erhoben , ihre Gaben gespendet , und daß außerdem , was an das Höhere erinnert , auch manches Bild aus dem gewöhnlichen Lebens- und Wirkungskreis einer deutschen Frau mit reizender Natur und fröhlicher Gemütlichkeit sich hier gezeichnet findet .
Für 1816 . erscheint der zweite Jahrgang .
Die Gegenstände zu den Kupfertafeln sind zum Teil wieder aus de la motte Fouque's neuesten Werken entnommen , und zu diesen soll in dem Frauentaschenbuche eine interessante bildliche Galerie fortwährend geliefert werden .
Ferner ist bei dem Verleger erschienen und durch jede solide Buchhandlung zu bekommen Nürnbergisches Taschenbuch ; herausgegeben von J. F. Rot .
2. Bdchen . mit 6 illuminierten Abbildungen , in Taschenformat , gebunden mit Schuber .
3 thlr. 8 gr. oder 5 fl. 30 kr .
Das historisch-statistische Gemälde einer Stadt , der Deutschland , ja die Welt so viel verdankt , kann nicht anders als von höchstem Interesse für die Geschichte gesamter deutscher Nation sein .
Hier blühte seit alter Zeit jede schöne und nützliche Kraft des Menschengeistes ; hier errangen sich edle Geschlechter durch mannhafte Tugend , durch Liebe zu Kunst und Wissenschaft , unsterblichen Ruhm , der kühne Gedanke der Entdeckung einer neuen Welt -- das größte Ereignis aller Jahrtausende -- kam hier zuerst in eines Sterblichen Herz ; in deutscher Kunst gebührt Nürnberg und seinem großen Albrecht Dürer der erste Platz -- und noch immer wird deutscher Sinn in diesen ehrwürdigen Mauern am reinsten gefunden .
Schräger , D. C. H. Th. , d. j. , kosmetisches Taschenbuch für Damen , zur gesundheitsgemäßen Schönheitspflege ihres Körpers durchs ganze Leben und in allen Lebensverhältnissen .
Mit einem schönen Titelkupf. 8 . 1 thlr. 4 gr. oder 1 fl. 48 kr .
Welch Geschenk käme dem holden Geschlecht willkommener , als eine Anweisung in der lieblichen Kunst , eben das schöne zu sein , der süßesten aber flüchtigsten Gabe des Himmels einen längeren Flor zu verleihen , als der gemeine Naturlauf ihr zu gönnen scheint ?
Noch besitzen wir kein Werk , welches diesen Gegenstand so so gründlich und vollständig , und zugleich mit so zartem Sinne für Schönheit behandelte .
Über Pflege der Schönheit in jedem Alter und Lebensverhältnis , so wie über Vertilgung etwa vorhandener Flecken und Mängel , finden sich hier die bewährtesten Vorschriften ; so wie auch der Anhang unschuldiger künstlicher Schönheitsmittel ( Schminken ) diejenigen befriedigen wird , welche nicht Lust haben , sich durch die leider so häufigen metallischen zu vergiften .

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TextGrid Repository (2025). Eichendorff, Joseph von. Ahnung und Gegenwart. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0cq.0