Zweiter Teil .
Leipzig : F. A. Brockhaus 1843 .
Jenny .
Zweiter Teil .
Jenny .
Von der Verfasserin von " Clementine " .
Ein Stamm , aus dem der Erlöser , die Madonna , die Apostel hervorgegangen , der nach tausendjähriger Verfolgung dem Glauben und den Sitten seiner Väter treu geblieben , nach tausendjährigem Drucke noch hervorragende Größe für Wissenschaft und Kunst erzeugt , muß jedem anderen ebenbürtig sein .
Die Verhältnisse der Juden in Preußen von v. Rönne und Simon .
Zweiter Teil .
Leipzig : F. A. Brockhaus 1843 .
In Berghof , dem prächtigen , am Meere gelegenen Landhause des Kaufmanns Meier , finden wir Jenny wieder .
Neben ihr Clara Horn , die zu Jenny hinausgefahren war und nun mit bangem Herzklopfen der Ankunft Eduard's harrte .
Sie hatte ihn noch nicht wiedergesehen , und war lange mit sich zu Rate gegangen , wie und wann dies erste Begegnen vor sich gehen könne .
Eduard war allerdings in seinem Berufe bei ihrer Mutter gewesen , und hatte lange dort verweilt , in der Hoffnung , Clara werde endlich wieder für ihn sichtbar werden ; aber sie war nicht erschienen .
So resigniert sie sich fühlte , war sie doch ihrer Fassung II. 1 nicht gewiß genug , um im Beisein ihrer Mutter Eduard zum ersten Male sprechen zu wollen , und endlich , als die Sehnsucht nach ihm immer reger wurde , benutzte sie ihr Versprechen , Jenny in Berghof zu besuchen , in der Voraussetzung , daß Eduard den Abend dort zubringen und die Anwesenheit der ganzen Familie ihr eine ruhige Haltung möglich machen werde .
Clara es Eintritt erregte große Freude bei den Damen , aber zugleich ein allgemeines Fragen nach ihrem Ergehen , denn man fand sie sehr bleich und leidend .
Sie versicherte indessen , sich vollkommen wohl zu fühlen , und ging gleich zu einer allgemeinen Unterhaltung über , wozu Herr Meier , der ebenfalls anwesend war und Clara mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit behandelte , ihr hülfreich die Hand bot .
Jenny aber täuschte das nicht , und sie benutzte die erste Gelegenheit , sich mit Clara zu entfernen , um wo möglich von ihr selbst zu erfahren , was seit der Szene im Garten zwischen Eduard und ihrer Freundin vorgegangen sei , und ob sie den beiden , ihr so teuren Personen irgend Beistand oder Trost gewähren könne .
Wie wir früher berichtet , hatten die jungen Mädchen eine innige Freundschaft für einander gefaßt , und sich fast über Alles ausgesprochen , was sie berührte .
Jenny kannte William's Neigung für ihre Freundin , seine Werbung und die Scheu , mit der Clara an die Zeit seiner Rückkehr dachte , ohne daß eines der beiden Mädchen aus leicht begreiflicher Rücksicht jemals den Grund berührt hatte , der Clara dieser Verbindung abgeneigt machte .
So lange Jenny ihre Freundin heiter und Eduard unverändert ruhig gesehen , hatte sie es für indiskret gehalten , sich in ein Verhältnis zu drängen , das man ihr verheimlichen wollte ; nun sie aber in Clara's bleichem Antlitz , in Eduard's düsterer Stimmung das Leiden ihrer Seelen las , 1 * konnte sie sich nicht länger überwinden , und mit aller ihr eigentümlichen Lebhaftigkeit kniete sie vor Clara nieder , und bat , indem sie sie mit beiden Armen umschlang : " Sage mir , Clara , was ist geschehen ?
Warum hast Du so viel gelitten , daß Du bleich und traurig aussiehst ?
Was fehlt Eduard ?
Sage es mir , wenn ich nicht das Ärgste fürchten soll , wenn Du mich genug liebst , mich mit Dir leiden zu lassen . "
" Du weißt es " , antwortete Clara , " aber gerade darum laß mich davon schweigen .
Helfen kannst Du mir nicht , Niemand kann es , und das Einzige , was Du für mich tun sollst , ist , mich mit Eduard ein paar Minuten allein zu lassen , wenn er heute herauskommt .
Willst Du das ? "
Jenny versprach es , und traurig saßen sie lange beisammen , bis der Hufschlag eines Pferdes die Ankunft eines Reiters verkündete und nach einer Pause banger Erwartung Herr Meier mit Eduard zu ihnen kam .
So gewaltig dieser nach Fassung rang , so deutlich sah man ihm die innere Aufregung an , als er , Clara begrüßend , ihre Hand ergriff und küßte .
In Clara's Augen schwammen große Tränen , welche nur die Anwesenheit des Vaters zurückhielt , der anscheinend es nicht bemerkte .
Er hielt einen Brief in der Hand und fragte seine Tochter , ob sie etwas von Erlau's Abreise gewußt hätte , die er Eduard in diesem Briefe melde , mit welchem er zugleich von allen seinen Freunden Abschied nehme .
Jenny verneinte es , und Herr Meier sagte :
" Dieses Schreiben ist nun wieder Erlau's treuestes Abbild ; hört nur , wie es lautet :
" An Eduard Meier , mit dem Befehl , es als Currende an das übrige Volk zu senden , das sich nach 24 Stunden Abwesenheit noch eines Entfernten erinnern sollte . "
" Lieber Doktor ! ziehe Dein Taschentuch hervor und trockene Deine verwunderten und Hof fantlich weinenden Augen , da Du erfährst , daß ich längst zum Tore hinaus bin , wenn ich Dir dies Lebewohl sage .
Du kannst nicht behaupten , daß ich treulos desertiere -- die lange und langweilige Kampagne eines norddeutschen , nebelgrauen Winters habe ich voll rührender Geduld und lobenswerter Teilnahme mit Euch durchgemacht ; ich habe Eure steifgeschnürten , gebildeten Schönen tanzen gesehen , mich in hundert Gesellschaften gelangweilt und ruhig Eurem sogenannten vernünftigen Treiben und Wirken , Eurer Ästhetik und Politik , Euren Diners und Zweckessen , Euren Vereinen und all den tausend Narrheiten zugeschaut und , was noch mehr ist , ich habe meine rechte Hand im Zaume gehalten , die täglich sich in hundert Karikaturen zu zeigen verlangte .
Die Karikatur aber ist ein Bastard der Kunst , ein unwürdiger Sohn , den die Mutter verleugnen muß , und zu dessen Vater ich mich und meinen ehrlichen Namen nicht hergeben mag .
Wehe Euch ! wenn Eure unverbesserliche Geschmacklosigkeit mich endlich dazu verleitet hätte , und Ihr wart nahe daran , mich auf diesen Irrweg zu führen .
Darum fliehe ich Euch und wende meine Schritte nach jenen Gegenden , über denen ein blauer Himmel lacht , in denen man das Regieren den Fürsten und das Denken den Pfaffen überläßt , die dafür bezahlt werden und es doch nicht tun , und wo man keinen Gewerbschein zu lösen braucht , wenn man nichts verlangt , als ruhig in der Sonne zu liegen und sich der paradiesischen Wonne des dolce far niente zu befleißigen .
-- Von Euch und Eurem gepriesenen zivilisierten Leben verlange ich gar nicht zu hören .
Ihr sollt und könnt mir nicht schreiben , weil ich nicht weiß , wo ich sein werde , und , wenn ich es irgend vermeiden kann , meine schreibkundige Hand zu nichts brauchen will , als die Blüten und Freuden zu pflücken , die mir am Wege winken .
Erst wenn dieser Winter lange hinter mir liegen wird , soll der Pinsel die einzelnen Lichtstrahlen wiedergeben , die durch Eis und Schnee unvergeßlich in meine Seele drangen .
Denn jede Nacht hat ihre Sterne ; auch im nordischen Eise blitzen sonnenhelle Brillanten funkelnd hervor , das Auge zu erfreuen -- aber zu beleben , zu erwärmen , das verschmähten sie leider .
Und somit lebet wohl !
Du lieber Eduard , die Deinen alle und Ihr übrigen Freunde ; genießet des spärlichen Sonnenlichtes , das Euch geworden , wachset und gedeihet , Jeder auf seine Art , und wenn Ihr in Berghof die Sonne untergehen und den Mond am Horizonte emporsteigen sehet , so betet mit mir , daß der Götter reichster Segen dies Fleckchen Erde , diese Oase in der Wüste , dies Tal beglücken möge , wo unter dem Schutze sorglicher Liebe die schöne Rose von Saron erblühte .
Möge Apoll ihr und ihren Pflegern den süßen Duft lohnen , den sie in die Seele eines seiner Söhne gehaucht , sie , die allein ihn vor dem gänzlichen Erstarren in der traurigen Farblosigkeit Eures Landes beschützte .
Nochmals lebet wohl ! "
" Da hast Du noch ein Abschiedskompliment , mein Kind ! " sagte der Vater , " und zum Danke für dasselbe magst Du sorgen , daß der Brief nach Erlau's Wunsch den näheren Freunden des Hauses mitgeteilt werde .
Übrigens freut es mich um des jungen Mannes Willen , daß er noch solch rascher Entschlüsse fähig ist ; denn Italien wird ohne Frage ihm die Vollendung geben , für die er berufen ist .
Gib mir jetzt den Brief , ich will ihn der Mutter und Theresa zeigen und ihnen die Abreise des liebenswürdigen Wildfangs erzählen . "
" Ich komme mit Dir " , rief Jenny , als ihr Vater , nachdem er seinem Wünsche gemäß Eduard über die Pein des ersten Wiedersehens 1** fortgeholfen , sich entfernen wollte .
Clara selbst hielt sie aber zurück , und sprach :
" Nein , liebe Jenny ! bleibe nur , es ist besser so .
Was Dein Bruder und ich uns zu sagen haben , braucht für Niemanden , am wenigsten für Dich ein Geheimnis zu sein . "
" Clara ! " rief Eduard , " um Gottes Willen nicht diese Ruhe , die Sie und mich tötet , von der in diesem Augenblick meine Seele weit entfernt ist .
O ! das Glück , Sie endlich , endlich wiederzusehen , ist doch nicht im Stande , mich das Leid vergessen zu machen , das uns trifft . "
" Auch ich leide , " erwiderte Clara mit bebender Stimme , " aber wir müssen als Freunde mit einander zu tragen versuchen , was wir nicht zu ändern vermögen .
Sie bleiben mir ja " , sagte sie , und faßte Eduard's und Jenny's Hände , die sie vereint an ihr Herz drückte , " und auch meine kleine Jenny bleibt uns , und so vieles Gute , und die Achtung vor uns selbst , " und -- die Liebe .
Das muß uns genügen und erheben " , schloß sie , und verbarg weinend ihr Gesicht an Jenny's Brust , die sich zärtlich und mit ihr weinend an sie schmiegte .
Eduard bog sich zu den Mädchen nieder , machte seine Hand von Clara los und drückte einen langen Kuß auf ihre Stirn .
" Möge uns Friede werden ! " seufzte er , und stumm saßen sie lange beisammen .
Endlich versuchte Eduard mit der Frage , ob Clara noch am Abende nach der Stadt zurückkehre , das Gespräch anzuknüpfen .
" Ja ! " antwortete sie , " und ich zweifle , daß wir uns in den ersten Tagen sprechen werden , wenigstens hier in Berghof nicht , da meine Mutter die Ankunft meines Vetters erwartet und " -- sie stockte ; aber Eduard und Jenny errieten das Fehlende .
" Da stehen Dir schwere Tage bevor " , sagte Jenny , und blickte ängstlich Eduard an , der totenbleich geworden war und unwillkürlich ausrief :
" Auch das noch und schon jetzt ! "
" Mein Onkel ist hergestellt " , fuhr Clara fort , " und ich wußte schon , als wir uns zuletzt sahen , daß William zurückkehren werde .
Ich wollte es Ihnen sagen , als ich herkam , aber es war mir später wieder entfallen . "
Und wieder entstand eine lange , drückende Pause , in der Niemand sprach , weil Jeder sich scheute , von dem Gegenstande zu reden , der ihn allein beschäftigte .
Eduard wollte irgend einen bestimmten Entschluß fassen ; er wollte Clara beschwören , diese stumme Resignation aufzugeben , oder lieber ein Beisammensein zu vermeiden , das für ihn bitterer , als jede Trennung sein mußte .
Dazustehen vor der Geliebten , der man entsagen soll , und sein Herz zu bezwingen , das in einen Schrei des Schmerzes , in die glühendsten Worte der Leidenschaft ausbrechen wollte , das fand Eduard unerträglich .
So süß es sei einer entstehenden Neigung geschienen , ohne Worte jede zarte Regung in dem geliebten Herzen zu verstehen , ehe das entscheidende Geständnis den Lippen entfloh , so qualvoll dünkte ihn jetzt ein Zwang , der ihn zu leidender Untätigkeit , zu peinlichem Erwarten des Kommenden verurteilte , ihn , der bis jetzt allen Begegnungen seines Lebens rasch handelnd entgegengetreten war .
Deshalb erschien ihm Reinhard , der , eben in Berghof angelangt , seine Braut suchte , wie ein Erlöser aus drückenden Banden .
Erst nachdem die ganze Familie beisammen und eine Stunde in Mitteilungen mancher Art vergangen war , konnten sich Eduard und Clara allmählich von den schmerzlichen Empfindungen befreien , die sie erduldet hatten , und zu des Vaters großer Genugtuung sich , wenn auch ohne alle Teilnahme , in die Unterhaltung der Übrigen mischen , bis endlich , von Eduard heiß ersehnt , die Trennungsstunde schlug .
Und wieder geleitete er Clara zu ihrem Wagen , wie an dem letzten Abende , den sie in der Stadt zusammen verlebt ; aber gegen den dumpfen Gram , den Beide jetzt empfanden , mußte ihnen der Schmerz jener Stunde wie ein Glück erscheinen .
Denn in jenem Schmerze lag noch Bewegung und Leben ; heute aber fühlten sie die Entsagung wie ein Leichentuch über ihre Zukunft gebreitet und schieden wortlos und vernichtet .
Wie man verabredet hatte und wir berichtet , sollte Jenny's Taufe nun in wenig Tagen vollzogen werden , und die Abfassung des nötigen Glaubensbekenntnisses führte sie zu ernstlichem , erneuertem Nachdenken über diesen Punkt .
Menschen von besonders lebhafter Phantasie ist es möglich und eigen , sich allmählich in einen bestimmten Ideenkreis hineinzudenken , ihn nach allen Richtungen hin mit Gründen auszustatten , und sich so ein Gebäude zu errichten , das den Schein der Festigkeit und Vollendung an sich trägt , ohne irgend eine wirkliche Basis in der Überzeugung Desjenigen zu haben , der es aufgeführt .
Wie der Dichter , namentlich in seiner Jugend , die Geschöpfe seines Geistes kaum von den um ihn her lebenden Menschen zu unterscheiden vermag ; wie Kinder sich spielend so fest in die erfundenen Verhältnisse ihrer Puppen hineindenken , daß sie unwillkürlich Erfundenes und Wirkliches vermischen und nicht mehr trennen können , so ging es in gewisser Art Jenny mit ihrer religiösen Erkenntnis .
Nachdem sie vergebens versucht , die Symbole des Christentums mit dem Verstande zu erfassen , bemächtigte sich einst plötzlich ihre Einbildungskraft derselben , und sie wurde mit Überraschung gewahr , daß sie Vieles sich denken und in seinen Folgen und Veranlassung ausmalen , ja es bis zu einer deutlichen Vorstellung in sich ausbilden könne , woran ihr der Glaube fehlte .
Christus , der eingeborene , gekreuzigte und wieder auferstandene Sohn Gottes , wurde für sie zu einer so festen Gestalt in seinen Wundern , wie es ihr früher irgend ein Gott des Olymps gewesen , wie es ihr noch jetzt Goethes göttlicher Mahadö war , der die sich opfernde Geliebte mit sich verklärt aus den Flammen emporhebt .
Sowie sie , trotz der historischen Kenntnis des mittelaltrigen Johannes Faust , diesen gänzlich in der unsterblichen Gestalt des Goetheschen Faust verloren hatte , weil der Letztere allein ihr durch die poetische Schönheit des Gedankens als wirklich erschien :
so bildete sie aus dem Menschen Jesus , den die Apostel beschrieben , jenen mystischen Christus in sich aus , wie ihn die späteren christlichen Philosophen als Teil der Dreieinigkeit dachten .
Nur wähnte sie , als diese Erscheinung in einer bestimmten Form in ihr lebte , endlich an Christus und seine Wunder zu glauben , in dem Sinne , den Reinhard verlangte sodaß sie mit vollem Vertrauen von sich zu behaupten wagte , jetzt sei ihr nicht bloß die christliche Moral , sondern die Menschwerdung Christi zu einer vollkommenen Wahrheit geworden .
Wie bei allen Trugschlüssen stimmte nun Alles zu ihren Ideen , nachdem sie willkürlich einen Anfangspunkt für ihr System gefunden hatte , den sie als richtig annahm , obgleich er es in der Tat nicht war .
Die sichere Ruhe , mit der sie sich hinterging , täuschte auch Reinhard und den sie unterrichtenden Pastor , obgleich der Letztere über eine so unerwartete Veränderung der Ansichten bei seiner Schülerin sehr überrascht zu sein schien .
Dazu kam , daß seit einigen Wochen Clara's und Eduard's Lage sie beunruhigte und ihre Teilnahme in Anspruch nahm , während zugleich die Entdeckung von Theresens Liebe für Reinhard und Erlau's unerwartetes Geständnis sie vielfach beschäftigt und ihre Gedanken von den Forschungen über das Christentum abgezogen hatten , bis der für die Taufe festgesetzte Termin herannahte und sie wieder darauf hinlenkte .
Als sie nun jenes Glaubensbekenntnis niederschreiben wollte , das sich eigentlich streng an die im Glauben enthaltenen Dogmen binden mußte ; als sie ihr Nachdenken fest auf den Punkt richtete , fing das Luftgebäude ihrer künstlichen Überzeugung zu schwanken an , und die Schöpfung einer regen Phantasie zerfloß vor dem hellen Strahl des Geistes .
Das bemerkte Jenny mit Entsetzen .
Sie hatte Ruhe und Heiterkeit gewonnen durch die Täuschung , der sie sich unbewußt hingegeben :
was frommte ihr eine Einsicht , die ihr Beides schonungslos raubte , sie in das alte Chaos des Zweifels stürzte und , wenn sie wahr sein wollte , sie von Reinhard trennte , weil ihr Übertritt zum Christentum bei diesen Zweifeln zu einer Lüge wurde ?
Vergebens wollte sie die Vorstellungen in sich zurückrufen , die ihr vor wenig Stunden geläufig und klar gewesen waren ; es gelang ihr nicht ebenso wenig , als es dem Erwachsenen gelingt , jene Empfindung in sich hervorzuzaubern , die wir als Kinder gewiß Alle gehabt haben , wenn wir im Wagen dahinfahrend wähnten , Bäume und Häuser an uns vorüberfliegen zu sehen , während wir stille ständen .
Nachdem uns einmal das Gegenteil unumstößlich bewiesen worden , kann selbst unser fester Wille das Trugbild nicht mehr erwecken .
Einen Moment lang mag man hoffen , sich gegen die Wahrheit verblenden , eine liebgewordene Täuschung in sich festhalten zu können -- die Wahrheit siegt immer .
Es ist ihr Prüfstein , daß sie siegen muß , und auch Jenny sträubte sich jetzt vergebens gegen ihre Gewalt .
Die Überzeugung , daß der Geist des Chrie stenthums die Hauptsache in demselben sei , war es allein , die ihr einen Ausweg für ihre Besorgnisse zeigte , vor dem sich jedoch Anfangs ihre Redlichkeit scheute .
Was aber sollte sie tun ?
Jetzt , nachdem sie unaufhörlich ihren Glauben an die christlichen Dogmen behauptet hatte , plötzlich erklären , sie habe sich getäuscht und sie könne nichts davon glauben ?
Das hätte sie eigentlich am liebsten getan ; aber würde man nicht an der Unfreiwilligkeit dieser Täuschung zweifeln , und annehmen , sie habe bis jetzt gegen ihre Ansicht etwas behauptet , um ihren Zweck zu erreichen , was zu beschwören ihr der Mut fehle ?
Vor Reinhard und ihrem Vater , vor Eduard in diesem Lichte zu erscheinen , brachte sie zur Verzweiflung , abgesehen selbst von der Trennung von dem Geliebten , die unvermeidlich wurde , wenn sie sich weigerte , Christin zu werden .
Sie schauderte , zwischen der Wahrheit und Reinhard wählen zu sollen ; sie fühlte , daß Alle sie bedauern müßten wegen dieser unglückseligen Alternative , und daß wohl Alle mit ihr leiden würden , falls sie sich wirklich entschließen müßte , den Geliebten ihrer Überzeugung zu opfern .
Alle würden es beklagen , selbst Joseph , der sie ungern Christin werden sah , und Erlau , der sie liebte --
Alle , nur Therese nicht .
Ja , Therese würde sich freuen darüber , denn für sie konnte nur daraus eine Hoffnung erblühen , und , wie sie dieselbe jetzt kannte , würde Therese eigensüchtig genug sein , auf den Trümmern von Jenny's Glückund Liebestempel sich eifrig ein bürgerliches Wohnhaus zu gründen .
Das sollte und durfte aber nicht geschehen ; Therese sollte nicht ernten , wo Jenny mit ihrem Herzblute gesät hatte , und wieder und immer wieder ging sie daran , Alles durchzudenken , was ihr je von religiösen Ansichten bekannt geworden war , bis sie entschieden zu der Überzeugung gelangte , die Dogmen als eine Nebensache zu betrachten , und , um Reinhard's Meinung zu schonen , endlich ein Glaubensbekenntnis zu Stande brachte , das in Spitzfindigkeit dem ältesten Jesuiten Ehre gemacht hätte .
Mit großem Geschick hatte sie vermieden , jener Lehren von der Kindschaft Christi , der Erlösung durch seinen Tod und der damit gegebenen Genugtuung zu erwähnen , ohne irgend Zweifel an ihrem Glauben bei Reinhard dadurch zu veranlassen , der sich ganz einverstanden mit dem Glaubensbekenntnisse erklärte , als Jenny es ihm mit innerster Beschämung vorlegte .
Des Geliebten Beifall , seine Freude über ihre Erkenntnis waren Dolchstöße für ihr Gefühl .
Er liebte sie , er freute sich über sie , während sie ihn in Dem betrog , was ihm das Heiligste war .
Sie sagte sich , daß sie Reinhard's Vertrauen unwürdig hintergehe ; sie hätte ihm gern die Wahrheit gestanden , wenn er nur gleich ihr dem Gedanken Raum gegeben hätte , daß man an Christus auf verschiedene Weise glauben , und doch sich unaussprechlich lieben und glücklich mit einander sein könne .
Sie begriff es nicht , wie der sonst so freisinnige Mann nur in diesem Einen Punkte von so unerbittlicher Strenge sein konnte .
Was tat es ihrer Liebe oder ihrem häuslichen Glücke , wenn Jenny Jesus für den Ersten unter den Menschen , statt Christus für Gott hielt , so lange sie nur seine Lehren befolgte ?
Indessen führten alle diese Gedanken sie doch nur immer auf den einen Punkt zurück , daß Reinhard es nimmer zugeben würde , sie Christin werden zu lassen , wenn sie ihm die Wahrheit bekenne : daß sie ihn verliere , wenn sie es nicht werde .
Das machte sie verzagt , und diese Kämpfe ermüdeten sie so sehr , daß sie aus Schwäche Mut zu einer Trennung von dem Geliebten fühlte , wie Feiglinge zu Selbstmördern werden würden , wenn im Mo ment der Entscheidung nicht eben ihre Feigheit sie von der Tat zurückhielte .
Wir sind so sehr gewohnt , in den Erzählungen unserer Dichter nur auf Edelmut und erhabene Motive bei den Helden derselben zu stoßen , sodaß die nackte Prosa des Lebens uns fremd und widerwärtig erscheint .
Deshalb wird vielleicht Jenny in den Augen manches Lesers und in seiner Gunst sinken , wenn wir behaupten , daß es zuletzt nur Schwäche und Furcht waren , welche sie abhielten , das Äußerste zu wagen und ihr Glück zu opfern , um vor sich selbst gerechtfertigt zu sein .
Von Natur offen und mitteilend , sah sie sich teils durch Verhältnisse , teils durch ihre eigene Schuld in ein Gewebe von Heimlichkeiten und Täuschungen verwickelt , das sie in ihren eigenen Augen erniedrigte .
Clara es ruhige ergebene Entsagung leuchtete ihr als Beispiel vor ; sie wollte nicht kleiner sein als ihre Freundin , denn auch sie war sich bewußt , das Unvermeidliche würdig tragen und eher das Glück , als Achtung vor sich selbst entbehren zu können .
Wie würde es sein , fragte sie sich , wenn ich vor Reinhard hinträte und ihm erklärte :
" Ich liebe Dich mehr , als Du ahnen kannst , ich hatte meine ganze Zukunft an Dein Dasein geknüpft ; aber Christin nach Deinem Sinne kann ich nie werden , darum müssen wir der Wonne entsagen , auf die wir gehofft .
Therese liebt Dich , sie glaubt wie Du an Christus , möge sie Dir ein Glück gewähren , das Du aus den Händen einer Jüdin nicht annehmen darfst . "
Bei dieser innerlich gehaltenen Rede zerfloß Jenny in Tränen .
Der Schmerz , den sie empfinden würde , wenn der Moment dieser traurigen Entscheidung II. 2 gekommen , sie fühlte ihn jetzt schon lebhaft , obgleich eine Art von Beruhigung für sie in dem Akte der Großmut lag , den sie gegen ihre Nebenbuhlerin ausüben wollte .
Sie stellte sich den Kummer vor , in dem sie die schönsten Jahre ihres Lebens fern von Reinhard vertrauern würde , der ihrer an Theresens Seite vielleicht bald vergessen könnte , und noch heißer und bitterer flossen ihre Tränen .
Was würden ihre Eltern sagen ?
Was würde man in den Kreisen ihrer Bekannten denken ?
Welch widersprechende , tadelnde und nachteilige Gerüchte könnten sich über sie verbreiten !
Während sie ihr höchstes Glück einer religiösen Überzeugung mit blutendem Herzen opferte , würden Neid und böser Wille sich in die innersten Verhältnisse ihres Lebens drängen und Motive zu dieser Handlung suchen , von denen keine Spur in ihrer Seele war .
Könnte nicht selbst Therese bereit sein , Reinhard zu beweisen , daß Mangel an Liebe zu ihm oder die Furcht vor seinen beschränkten Verhältnissen und dem Leben in ländlicher Zurückgezogenheit sie zur Lösung dieses Bündnisses veranlasse , und daß sie die Religion nur zum Deckmantel gebrauche ?
Jenny sah Reinhard vor sich , sie sah , wie er mit Verachtung auf sie blickte , wie er sie von sich stieß , er , der sie einst geliebt , an dem sie stets mit warmer Neigung gehangen , und trotz aller inneren Kämpfe , trotz der warnenden Stimme ihres Gewissens ließ Jenny die Taufe für eine bestimmte Stunde ansetzen , und beschloß , durch jenes gekünstelte Glaubensbekenntnis , das sie beschwören konnte , ohne gerade einen Meineid zu begehen , sich unauflöslich mit Reinhard zu verbinden , weil sie sich vor den Leiden fürchtete , die eine Trennung von ihrem Geliebten notwendig zur Folge haben mußte .
Reinhard , seine Mutter und Clara sollten die Zeugen bei Jenny's Taufe sein , und die 2 * Pfarrerin war zu diesem Zwecke nach Berghof gekommen , wo sie ein paar Wochen zu bleiben versprochen hatte .
Auch Reinhard machte sich frei von seinen Geschäften in der Stadt , um diese Zeit ganz mit seiner Braut zu verleben , da er , wie schon gesagt , gleich nach der Taufe mit seiner Mutter zu seinem alten Onkel fahren und dort verweilen wollte , bis die Entscheidung über seine Anstellung definitiv erfolgt sein würde .
Obgleich nur ein paar Monate seit der Abreise der Pfarrerin verflossen waren , fand sie das Verhältnis ihres Sohnes zu Jenny wesentlich verändert und fast umgekehrt .
Reinhard's Eifersucht hatte sich gelegt , da Erlau dieselbe nicht mehr erregte ; mit den äußeren Verhältnissen seiner Zukunft , mit dem Reichtum seiner Braut hatte er sich ausgesöhnt , je mehr er sich überzeugte , daß die ganze Familie denselben zwar in seinem Werte begriff , aber doch nicht überschätzte oder damit absichtlich prunkte ; und da nun auch Jenny's religiöse Erkenntnisse sich seinen Ansichten angeschlossen hatten , war er vollkommen glücklich , und zu jener inneren Zufriedenheit gelangt , die ihn seit seiner Verlobung geflohen hatte .
Diese innere Ruhe machte ihn heiter , nachgebender und mitteilender , als er es jemals gewesen .
Er hatte tausend Aufmerksamkeiten für Jenny's Eltern , behandelte Eduard mit der zartesten , ängstlichsten Sorgfalt , da er ihn über einen Verlust trösten wollte , dessen Größe Reinhard mit ihm empfand , ohne daß Jener irgend über seine Liebe oder seinen Gram mit ihm gesprochen hatte .
Mit Jenny unabläßlich beschäftigt , war er es jetzt , der sich an jeder Kleinigkeit erfreuen und bei jedem Begebnis eine fröhliche , scherzhafte Seite hervorheben konnte .
Selbst Theresens Neigung für ihn diente , so sehr er es auch verheimlichen wollte , nur dazu , sein Glück zu erhöhen , indem sie seiner Eitelkeit , deren er sich kaum bewußt war , schmeichelte und ihm in Jenny's Eifersucht einen ihm wohltuenden Beweis ihrer Liebe gegeben hatte .
Er fühlte sich in gewisser Weise Theresa dafür verpflichtet , behandelte sie mit freundlicher Zuvorkommenheit , und in dem täglichen Beisammensein mit ihr stellte sich ein zutraulich bequemes Verhältnis zwischen ihnen her , das aber von Theresens Seite an Unbefangenheit verlor , je ruhiger Reinhard sich demselben überließ .
Mit Freuden hatte die Pfarrerin die Verwandlung bemerkt , welche die Stimmung ihres Sohnes erlitten hatte , aber um so rätselhafter erschien ihr Jenny .
Ein düsterer Ernst , eine krankhafte Reizbarkeit hatten sich ihrer bemächtigt , und besonders hatte Therese von der Letzteren zu dulden , sodaß sie der alten Dame Bedauern deshalb erregte .
Jenny es Liebe zu ihrem Bräutigam schien grenzenlos ; sie konnte sich keinen Augenblick von ihm trennen ; sie war unruhig , wenn sie ihn nicht sah , und doch vermißte das scharfe Auge der Pfarrerin , trotz der Heftigkeit und Leidenschaft , die Jenny's Liebe verriet , jene innige Hingebung , welche sie früher für Reinhard gezeigt hatte .
Es lag ein Etwas in dem Betragen , in der ganzen Art Jenny's , das ihr unheimlich , ja fast dämonisch vorkam , und wovon sie sich doch keine bestimmte Rechenschaft geben konnte , um so weniger , als Jenny von einem unersättlichen Hang zu immer neuen Zerstreuungen erfüllt schien , der Niemanden in ihrer Umgebung zur Ruhe kommen ließ .
Fahrten zu Wasser und zu Lande , Besuche in der Nachbarschaft und stundenlange Spazierritte wechselten schnell mit einander ab , ohne daß Jenny , die eifrig danach verlangte , Genuß darin zu finden schien .
Reinhard liebte die Natur und jede Art von Bewegung im Freien , deshalb ließ er sich gern bereitwillig finden zu jedem Vorschlag der Art , welchen Jenny machte , bis auch ihm endlich ihre fieberhafte Unruhe auffiel , die nicht eher nachließ , bis sie körperlich ganz erschöpft zusammenbrach und dann stundenlang in vollkommener Abspannung und weichster Stimmung verharrte .
Bat er sie , von dieser anstrengenden Lebensweise abzustehen , sich Ruhe und Erholung zu gönnen , so riß sie sich gewaltsam aus der Apathie empor , versicherte , weder krank noch ermüdet zu sein , und bestand darauf , diesen letzten Sommer in Berghof mit Reinhard , wie sie es nannte , noch recht in Eile zu genießen .
Gegen dies wilde Treiben , das zuletzt Jenny's Mutter ebenso beunruhigte , als die Pfarrerin , erschien Theresens stille , häusliche Tätigkeit um so wohltuender .
Sie hatte allmählich sich fast des ganzen häuslichen Regimentes bemächtigt und wußte für Jeden mit Sicherheit das Bequeme und Angenehme zu verschaffen , ohne daß man es von ihr verlangt hatte .
Da durch machte sie sich namentlich den älteren Damen unentbehrlich , und auch Reinhard konnte nicht umhin , ihr lobend zu gestehen , daß sie ein seltenes Talent besitze , die materiellen Wünsche ihrer Umgebung zu erraten und zu befriedigen .
Je mehr durch Gewöhnung auch für ihn der Komfort des Lebens an Reiz gewann , um so angenehmer erschien ihm die Weise , mit der Therese denselben zu bereiten verstand .
Jenny es Äußerung , daß Therese sich Liebe erkoche und erwirtschafte , begegnete daher allgemeinem Tadel , wie überhaupt ihr Verhältnis zu ihrer Freundin der Pfarrerin immer mehr mißfiel und Allen ein Rätsel war , Reinhard ausgenommen , der diese Schattenseite an Jenny's Charakter nur zu leicht und zu gern entschuldigte .
Nach Jenny's früher geäußertem Wünsche sollte auch Therese unter ihren Taufzeugen sein , doch schien sie diesen oft besprochenen Vorsatz ganz aufgegeben zu haben , und erklärte , als die 2** Pfarrerin sie deshalb zur Rede stellte und ihr bemerkbar machte , wie diese Zurücksetzung für Therese höchst empfindlich sein müsse :
" Es täte ihr leid , aber sie könne sich nicht entschließen , es wäre ihr unmöglich , sie dazu aufzufordern . "
Diese entschiedene Äußerung veranlaßte die Pfarrerin , weiter in Jenny zu dringen , ohne daß sie eine nähere Erklärung von ihr erlangen konnte .
Sie behauptete , sich in Therese geirrt zu haben , und eine Abneigung gegen sie zu fühlen , die fast an Haß grenze und die sie nicht überwinden könne .
Als zufällig gerade in diesem Augenblick Therese mit einer gleichgültigen Frage im Auftrag von Jenny's Mutter hinzukam und mit einer heftigen , kurzen Antwort von Jenny abgefertigt wurde , die gleich darauf das Zimmer verließ , benutzte die Pfarrerin die Gelegenheit , mit Theresa einmal darüber zu sprechen , ob sie vielleicht den Grund zu Jenny's gereizter , launenhafter Stimmung kenne ?
" Nein " , sagte sie , " ich weiß auch nichts Bestimmtes darüber ; nur Das fühle ich , ihr Betragen gegen mich habe ich nicht verdient , und würde es nicht dulden , wenn mich das Andenken an unser früheres Verhältnis nicht nachsichtig gegen sie machte . "
" Und wissen Sie denn nicht , liebes Kind , seit wann diese Verstimmung sich Jenny's bemächtigt hat ?
Man könnte vielleicht irgend Etwas zu ihrer Beruhigung tun , wenn man nur im Entferntesten die Veranlassung dazu ahnen würde . "
" Sowie Sie Jenny jetzt sehen , liebe Frau Pfarrerin , ist sie seit wir in Berghof sind " , antwortete Therese , " und allerdings habe ich eine Vermutung darüber , die ich Ihnen mitteilen möchte , wenn Sie mir heilig versprechen wollen , gegen Jeden , besonders aber gegen Ihren Sohn darüber zu schweigen . "
Die Pfarrerin zauderte einen Augenblick , dann bat sie Therese , diese Mitteilung lieber zu unterlassen , wenn sie nicht wirklich nötig zu Jenny's Glück , zu ihrer Herstellung sei .
" Ich bin in einer sonderbaren Lage " , antwortete Therese , " und weiß selbst nicht , ob es nicht meine Pflicht ist , ein Geheimnis zu verraten , zu dessen Kenntnis ich nur zufällig gelangte ; denn noch dürfte es Zeit sein , ein Unheil zu vermeiden , das meinen teuersten Freunden droht . "
Die Pfarrerin wurde unruhig , und Therese fuhr fort : " Den Abend , ehe wir nach Berghof zogen , zeichnete Jenny mit Erlau auf dem Balkon vor dem Treibhause eine Ansicht der Gegend , welche sie für ihren Bräutigam bestimmte .
Sie war Anfangs ganz heiter ; Steinheim war auch mit ihnen und Jenny rief mich ebenfalls herbei , um mir ihre Arbeit zu zeigen und mich an der Unterhaltung Teil nehmen zu lassen .
Diese nahm , wie gewöhnlich , wenn jene Drei ohne Reinhard beisammen waren , eine ziemlich fade Wendung .
Das Gespräch langweilte mich , sodaß ich Jenny aufmerksam machte , wie wenig diese Conversation ihrem Bräutigam zusagen würde .
Darüber wurde sie verdrießlich und heftig , und so ist es seit jenem Tage geblieben . "
" Aber , liebe Therese " , sagte die Pfarrerin im Tone des Vorwurfs , " Sie können doch kaum annehmen , daß ein so geringer Tadel Jenny's ganzes Wesen , ihr ganzes Verhältnis zu Ihnen so vollkommen verändern könne , besonders da sie sonst Tadel von Jedermann mit großer Freundlichkeit zu ertragen pflegte , was mir stets angenehm aufgefallen ist . "
" O , Gott bewahre !
das glaube ich auch nicht " , erwiderte Therese , " ich halte es nur für begreiflich , daß ihre üble Laune sich gerade gegen mich richtet , weil wir zufällig jenen kleinen Streit in einer Stunde hatten , die außerdem von entschieden traurigen Folgen für Jenny war . "
" Therese " , unterbrach die Pfarrerin sie sehr ernsthaft , " Ihre halben Reden scheinen mir ein Geheimnis mitteilen zu wollen , das Sie vielleicht verschweigen sollten .
Sie sind aber bereits zu weit gegangen , und ich muß Sie bitten , mir nun die volle Wahrheit zu enthüllen , damit ich selbst entscheide , was wir für Jenny , die ich als meine Tochter liebe , tun können und müssen . "
Therese schien zu schwanken , dann aber sagte sie rasch und mit großer Bestimmtheit :
" Nun denn , Frau Pfarrerin !
Ich glaube , Erlau's Abreise ist die Veranlassung zu der vollkommenen Veränderung , welche mit Jenny vorgegangen ist . "
" Das wäre ein großes Unglück " , rief die alte Dame erschreckt .
" Aber was bringt Sie auf diese Vermutung , Therese ? "
" Eine bloße Vermutung hätte ich Ihnen nicht mitgeteilt " , antwortete Therese , " ich habe die feste Überzeugung , daß es so ist .
Nachdem Steinheim den Balkon verlassen hatte , hörte ich , denn ich war im Treibhause beschäftigt , Erlau lebhaft mit Jenny sprechen , und obgleich ich weder Alles verstehen konnte noch wollte , vernahm ich , daß Erlau ihr seine Liebe gestand und ihr zugleich Lebewohl sagte , weil er ohne Hoffnung in ihrer Nähe nicht leben könne .
Den nächsten Tag war er abgereist , und als sein Abschiedsbrief uns gebracht wurde , behauptete Jenny , die man darum fragte , von seiner Reise ebenso wenig gewußt zu haben , als wir .
Trotzdem hat sie ihm wahrscheinlich das für Reinhard bestimmte Bildchen zum Andenken geschenkt , denn ich habe es seit dem Abend nicht mehr gesehen und es ist auch nie wieder die Rede davon gewesen .
Am nächsten Tage zogen wir hierher und seitdem ist Jenny's traurige Stimmung , wie Sie selbst wissen , im Zunehmen begriffen . "
Die Pfarrerin schwieg lange Zeit und schien mit sich selbst zu Rate zu gehen , dann sprach sie :
" Gott verhüte , daß Ihre Behauptung wahr sei !
Ich kann nicht glauben , daß Jenny sich so vollkommen über ihre Gefühle getäuscht haben könne , und bin ebenso fest von ihrer Liebe zu Reinhard überzeugt , als von der seinen für sie .
Indes ist leider unser Herz tausend befremdlichen Eindrücken zugänglich , und es wäre nicht unmöglich , daß sich irgend ein Widerstreit von Gefühlen in der Seele meiner armen Jenny erhoben hat , den sie mit ihrer leidenschaftlichen Weise gewaltsam bekämpfen will und hoffentlich bekämpfen wird .
Daher mag ihre Unruhe entstehen , und ich danke Je einen , liebe Therese , für das Geständnis , das Sie mir gemacht , ebenso für die Geduld , mit der Sie die Unfreundlichkeit des geliebten Kindes ertragen .
Nur Eins muß ich Ihnen wie die heiligste Pflicht ans Herz legen : Lassen Sie weder Jenny , noch meinen Sohn es ahnen , daß Sie irgend eine Vermutung der Art hegen . "
" Wie können Sie das nur glauben ? " fragte Therese .
" Rechnen Sie fest auf meine Verschwiegenheit , um so mehr , als auch Ihres Sohnes Glück davon abhängt , dem ich lebenslang für so Großes verpflichtet bin und für den kein Opfer mir zu schwer fallen sollte . "
Die Pfarrerin umarmte sie gerührt und konnte nicht umhin , ihr zu versichern , wie sie ihre Achtung in hohem Grade gewonnen habe , und wie sehr sie ihr die Schonung Dank wisse , mit der sie Jenny behandle .
" Lassen Sie uns vereint " , sprach sie , " dahin wirken , Jenny mit sich selbst wieder außusöhnen und ihr das Glück zu erhalten , das Sie und mein Sohn von der Zukunft erwarten .
Unsere innigste Anerkennung wird es Ihnen danken , und wenn Sie sich wirklich meinem Sohne verpflichtet fühlen , tragen Sie ihm Ihren Dank jetzt in einer Weise ab , welche ihn für immer zu Ihrem Schuldner macht . "
Therese versprach Alles und die Damen schieden mit einer wiederholten Umarmung und den herzlichsten gegenseitigen Versicherungen .
Wie weit Therese bei dieser Unterredung sich selbst über die Beweggründe ihrer Handlungen getäuscht hatte , wie weit sie absichtlich dabei zu Werke gegangen , möchte schwer zu entscheiden sein .
Ob sie wirklich an Jenny's Liebe für Reinhard zweifelte , an eine Neigung für Erlau glaubte , ob nur der Wunsch , Reinhard und Jenny vor Reue zu bewahren , allein sie antrieb , der Pfarrerin jenen Bericht zu Ersttat ten , das lassen wir dahingestellt sein .
Jedenfalls aber war sie sich der eigensüchtigen Motive , die zweifelsohne in ihrer Seele sich regten , nicht deutlich bewußt , sodaß sie die Lobsprüche der Pfarrerin mit ruhigem Gewissen annahm und sich Jenny gegenüber in einer stillen Größe erschien , welche es ihr leichter machte , sich fügsam und nachgebend gegen sie zu betragen .
Ihrem Vorsatz getreu , schwieg die Pfarrerin gänzlich über die Entdeckung , welche Therese ihr gemacht hatte .
Jenny tat ihr leid und doch zürnte sie ihr , weil sie nicht daran zweifelte , daß Erlau wirklich einen Eindruck auf Jenny's bewegliche Phantasie gemacht und sie verleitet haben könnte , Reinhard untreu zu werden , wäre Erlau selbst ihr nicht zu rechter Zeit zu Hilfe gekommen .
So lieb sie ihre künftige Schwiegertochter hatte , konnte sie sich doch nicht verbergen , was sie stets gedacht und früher auch gegen ihren Sohn geäußert hatte , daß eine Frau mit so unruhigem Geiste , mit solch ' heftigen Leidenschaften viel weniger zu Hoffnungen auf ein ruhiges eheliches Glück berechtigte , als z. B. ein Mädchen von Theresens soliden , wenn auch weniger glänzenden Eigenschaften .
Sie zitterte bei dem Gedanken , ihr Sohn könne durch irgend einen Zufall von der Neigung seiner Braut für Erlau unterrichtet werden , und fühlte sich sehr beruhigt , als endlich der für die Taufe bestimmte Tag gekommen war und sie die Aussicht hatte , nun mit ihrem Sohne Berghof auf einige Monate zu verlassen .
In dieser Zeit , so hoffte sie , würde Jenny zur Ruhe kommen , ohne daß Reinhard etwas von dem Kampfe in ihrem Herzen zu erfahren brauchte .
Herr und Madame Meier , Eduard , Joseph , die Pfarrerin , Therese und Clara waren in ernster Haltung in einem Zimmer beisammen , in das freundlich die Strahlen der untergehenden Sonne hineinfielen .
Ein runder , mit kostbarem Teppich behangener Tisch , auf dem ein silberner Becken in silberner Schale stand , nahm die Mitte desselben ein .
Neben diesem improvisierten Hausaltar stand Jenny's Lehrer , der würdige Pastor , und erwartete , gleich den Übrigen , den Eintritt seiner Schülerin .
Sie hatte gewünscht , die letzten Stunden vor ihrer Taufe ganz allein zu bleiben , und ihren Bräutigam ersucht , sie erst rufen zu kommen , wenn Alles zu der feierlichen Handlung bereit sein würde .
Nun trat sie an Reinhard's Arm in das Zimmer und Allen fiel die Totenblässe ihrer schönen Züge auf , als sie sich in die Nähe des Pastors stellte und Reinhard zurücktrat .
Nach einer kurzen Anrede des Geistlichen sprach Jenny ihr Glaubensbekenntnis und empfing die Taufe .
Sie schien furchtbar ergriffen zu sein und bebte sichtlich zusammen , als das Taufwasser ihre bleiche Stirn berührte .
Aber keine Träne war in ihr Auge gekommen , kein Muskel ihres Gesichtes hatte gezuckt , und nur der bebende Ton der Stimme hatte , während sie das Glaubensbekenntnis ablegte , der Herrschaft ihres festen Willens Trotz geboten .
Jetzt war die kurze Zeremonie vorüber ; Jenny war Christin geworden .
Mit unbeschreiblicher Innigkeit zog Reinhard die Geliebte an sein Herz und Tränen der reinsten Freude , des zärtlichsten Dankes glänzten in seinen Augen .
Doch nur einen kurzen Moment ruhte sie , wie um sich zu erholen und Kraft zu gewinnen , an seinem Herzen ; dann flog sie , von einem inneren Impuls getrieben , zu ihrer Mutter sank , bitterlich weinend , ihr in die Arme .
Es wäre vielleicht für den ruhigen Zuschauer ein interessantes Schauspiel gewesen , hätte er während der Taufe in den Seelen der anwesenden Personen zu lesen vermocht , die alle von den verschiedensten Gefühlen dabei bewegt waren .
Madame Meier zerfloß in Tränen , weil es ihr vorkam , als trete durch die Taufe ein fremdes Element zwischen sie und ihre Tochter .
Eduard und Clara , welche sich gegenüber standen , waren in schmerzliche Gedanken vertieft , und wenn ihre Blicke sich zufällig trafen , wandten sie dieselben schnell von einander ab , als fürchteten sie , die ernste Feier durch die beredte Sprache ihrer Augen zu entweihen .
Die Pfarrerin dankte Gott , daß es endlich so weit gediehen sei , und betete inbrünstig , der Herr möge nun auch ferner dies Paar beschützen und alles Störende , das ihnen noch in der nächsten Zukunft drohen könne , gnädig an ihnen vorüberführen .
Dieses innere Gebet verhinderte sie , Theresens Unruhe zu bemerken , die keinen Blick von Reinhard und seiner Braut abwendete und , fast ebenso bleich als diese , mit Ge Walten in Jenny's Seele lesen zu wollen schien .
Joseph aber entging dies ängstliche Spähen Theresens nicht , das ihn ebenso wenig , als Jenny's qualvolle Aufregung befremdete .
Er sah finster auf die Szene vor seinen Augen als auf etwas , das er lange erwartet hatte ; nur als Reinhard nach der Taufe die Braut in seine Arme schloß , fuhr Jener mit der Hand nach dem Herzen , als ob er dort einen flüchtigen Schmerz empfinde .
Der Vater allein war vollkommen ruhig und heiter geblieben , er freute sich Reinhard's , der sich der glücklichste Mensch unter der Sonne zu sein dünkte , und dies mit so stolzer , voller Freude äußerte , daß es auf alle Übrige , Therese vielleicht aufgenommen , einen wohltuenden , besänftigenden Eindruck hervorbrachte und endlich auch über Jenny's Tränen und ihren nicht zu verbergenden Schmerz zu siegen begann .
Eine Weile ließ Herr Meier den erregten Empfindungen Raum , sich zu beruhigen , dann war er es , der die Türen des Zimmers öffnete , in den Garten hinaustrat und die Übrigen aufforderte , ihn zu begleiten .
Es war drückend warm im Zimmer geworden , denn die Sonne brannte auf die Scheiben der geschlossenen Fenster .
Um so erquickender erschien Jedem die frische Abendluft , welche , von dem Duft der prächtigsten Orangenblüten balsamisch durchzogen , ihnen entgegenströmte .
Reinhard war einer der Ersten , die der Aufforderung des Vaters folgten .
Er verlangte sehnlichst , mit seiner Braut allein zu sein , und wandte sich mit ihr , sobald es tunlich war , einem entlegeneren Teile des Parkes zu .
Dort angekommen , setzten sie sich nieder unter den Schatten einer mächtigen , von Efeu grün umrankten Kastanie und schweigend sah Reinhard lange mit der innigsten Liebe auf Jenny , die , noch sehr bleich und ermattet , sich mit geschlossenen Augen an ihn II. 3 lehnte und dringend Ruhe zu bedürfen schien .
Die Spannung der letzten Zeit hatte , nun die Tat vollbracht war , nachgelassen und wie natürlich einer großen Erschöpfung Platz gemacht .
Als Reinhard das zarte Mädchen so in seinen Armen hielt , das mit den geschlossenen Augen , den ruhigen , regungslosen Zügen und der weißen Kleidung wirklich einer schönen Leiche glich , fuhr ihm schmerzlich der Gedanke durch die Seele , sie könne sterben , während er sich von ihr trenne , und er werde sie niemals wiedersehe .
Er schrak zusammen .
Wäre es eine Ahnung ? fragte er sich , und eine fast kindische Furcht ließ ihn die Möglichkeit wähnen , die Geliebte könne gerade jetzt in seinen Armen gestorben sein .
Behutsam küßte er plötzlich Jenny's lange Wimpern , indem er sie mit den zärtlichsten Worten bat , nur einen Laut zu sprechen , ihm nur zu sagen , daß sie lebe , daß sie sein Glück mit ihm fühle .
" Ja , ich lebe , mein Gustav ! " antwortete sie auf seine Frage und schlug lächelnd die Augen zu ihm empor .
" Ich lebe !
Und ob ich Dich liebe ?
O !
Gott weiß es , wie ich davon in dieser Stunde Zeugnis gegeben habe .
Ich liebe Dich wie mein Leben , wie meine Seele -- nein , mehr als meine Seele .
Ist es so recht ? " fragte sie und lehnte sich wieder an ihn , nachdem sie sich während des Sprechens aufgerichtet und die Hände fest ineinander gefaltet hatte .
" Aber warum fragst Du mich , Gustav , ob ich Dich liebe ? " fuhr sie nach einer kleinen Pause fort .
" Weil ich den Ton Deiner Stimme hören wollte , mein süßes Leben .
Du sahst so heilig , so verklärt aus , daß ich fürchtete , Du könntest die Erde verlassen und aus meinen Armen in Deine Heimat , in den Himmel , zurückkehren , von dem Dein Antlitz ein so treues Bild war . "
" Ach ! hätte ich so hinüberschlummern kön 3 * einen " , seufzte Jenny , " so im vollen Besitz Deiner Liebe . "
" Als ob diese Liebe Dir jemals fehlen könnte " , rief Reinhard fast entrüstet aus .
" Siehe , Jenny , einst gab es eine Zeit , in der ich an Dir , an Deiner Liebe zweifelte , Dich fliehen und vergessen wollte .
Das ist Alles nicht mehr möglich , und seit Du durch Deine Liebe mich zum Herrscher über Dein Schicksal gesetzt , hast Du mich ja zu Deinem treuesten Sklaven gemacht .
Du weißt es " , sagte er , immer wärmer werdend , " ich würde vor keinem Könige knien , kein Weib hat mich jemals zu seinen Füßen gesehen , ich glaubte , nur vor Gott mich beugen zu können -- und nun Knie ich vor Dir , und bekenne Dir , daß ich Dich fußfällig bitten könnte , mich zu lieben , mir treu zu bleiben , wenn ich daran zweifeln könnte , weil in Dir allein das ganze Glück meines Lebens beruht . "
Er war wirklich vor ihr niedergesunken und hielt sie mit seinen Armen umfaßt , während seine Augen an den ihren hingen .
Jenny glaubte vor Wonne zu vergehen und gab sich ganz dem Glück der Gegenwart hin , bis drohend der Zweifel vor ihr aufstieg , ob Reinhard sie mit dieser Innigkeit lieben , ob seine Neigung nicht wanken würde , wenn er einst erfahren sollte , wie sie ihn getäuscht , um sich seine Liebe zu bewahren , um die Seine zu werden .
" Gustav " , sagte sie , " vergiß diese Stunde nie , wie ich dies Glück nie vergessen werde , und wenn einst ein Tag käme , an dem Du irre an mir würdest , an dem ich Deiner Liebe weniger wert schiene -- dann Gustav , aus Barmherzigkeit , dann denke an diese Stunde , dann laß mich Dich daran erinnern und eine Stütze in dieser Erinnerung bei Dir finden ! "
" Was bedeutet das ? " fragte Reinhard verwundert , " wie kannst Du glauben , jemals eines anderen Fürsprechers bei mir zu bedürfen , als meiner Liebe zu Dir ? "
" Das gebe Gott ! " rief Jenny .
" Gustav , wenn Du mich einst schwach und tadelnswert finden , wenn Du mich deshalb weniger lieben , mich von Dir weisen solltest , dann möge Deine Neigung mein treuer Schutz sein ; sie möge Dir deutlich machen , daß ich aus Liebe kein Opfer scheute , daß ich Alles erdulden wollte , Alles !
Nur Dir entsagen -- das konnte ich nicht , das werde ich niemals können , dazu fehlt mir die Kraft . "
" Ich verstehe Dich nicht , mein Herz " , sagte Reinhard , vergebens einen Sinn in diesen Reden suchend , der in irgend einem Zusammenhäng mit ihren Verhältnissen stehen konnte , " aber das schwöre ich Dir , ich werde nie an der Lauterkeit Deiner Seele , an der Reinheit Deines Herzens zweifeln ; Du sollst in mir alle Liebe finden , die Dir gebührt , und auch Nach Sicht , wenn es möglich wäre , daß Du sie jemals brauchtest ; denn wie sollte ich Dir nicht Alles verzeihen , so lange Deine Liebe mir bleibt ! "
" Schwöre mir das , mein Geliebter " , flehte Jenny mit einer Angst , als ob sie fürchtete , er könne seine Neigung ändern .
" Ich schwöre es Dir " , antwortete Reinhard und reichte Jenny seine rechte Hand , welche sie lange fest hielt , dann leidenschaftlich an ihre Lippen drückte und mit den Worten :
" Nun bin ich ruhig Gustav , nun ist es gut " , endlich wieder losließ .
Eine Stunde vollkommenen Glückes verging den Liebenden , die ihnen doppelt kurz erschien gegen die lange Trennung , welche ihnen bevorstand , wenn Reinhard am nächsten Morgen seine Reise antrat .
Auch hatten sie der übrigen Familie so vollkommen vergessen , daß die Pfarrerin selbst sie zu suchen kam , weil der alte Pastor ihnen Lebewohl sagen und zur Stadt zurückkehren wollte .
Wenige Tage nach Clara's erstem Besuch in Berghof war William zurückgekehrt .
Da er den Tag seiner Ankunft nicht bestimmt angegeben , fand er zufällig weder seine Tante , noch Clara zu Hause , und wurde von dem Diener zu Herrn Horn in das Comptoir gewiesen , mit dem Bemerken , Frau Kommerzienräten würde sehr überrascht sein , ihn schon zu finden , da man seine Ankunft heute noch nicht erwartet hätte .
Nicht erwartet zu werden von Personen , nach denen man sich gesehnt , gehört zu den peinlichsten Gefühlen , die uns nach längerer Trennung von denselben berühren können .
Tau Sendmal hatte er es sich vorgestellt , während er in seinem Wagen einsam und rasch dahinflog , wie die Tante und Clara ihm entgegeneilen und er mit dem Willkommen zugleich den Brautkuß von den Lippen seiner Cousine küssen werde .
Stadt dessen empfing ihn sein Onkel zwar freundlich , aber zerstreut durch Geschäfte , in denen er ihn unterbrochen hatte , und mit so eiligen Fragen nach dem Befinden seines Vaters , nach seiner Reise und den Aussichten für das nächste Handelsjahr in London , daß der junge Mann wohl bemerken konnte , wie gern sein Onkel ihn abzufertigen wünsche .
Deshalb zog er sich bald zurück und begab sich in die Zimmer der Damen , um dort die Heimkehr derselben zu erwarten .
Eine eigentümliche Empfindung beschlich ihn , als er sich wieder in den Räumen befand , aus denen er , von Furcht und Hoffnung bewegt , geschieden war .
Gleich nach seiner An 3** kunft in London hatte er der Kommerzienräten geschrieben und einen kurzen , herzlichen Brief für Clara beigelegt , dem sie ihm beantwortete , ohne eigentlich seiner Werbung zu gedenken , indem sie ihm hauptsächlich ihre Teilnahme an der Krankheit seines Vaters ausdrückte , ihr Bedauern über seine plötzliche Abreise unter so traurigen Umständen und die Hoffnung , daß dennoch Alles sich zum Besten und nach ihren Wünschen fügen werde .
William selbst gehörte nicht zu den Menschen , welche es lieben , sich mündlich oder gar schriftlich über seine Gefühle auszusprechen ; deshalb überraschte ihn Clara's Zurückhaltung nicht .
Sie wußte , daß er sie liebe ; die Tante hatte ihm die Hand ihrer Tochter zugesagt , ihm selbst die Versicherung gegeben , daß Clara seine Neigung erwidere , und da diese sich nicht dagegen erklärt hatte , las er mit fröhlichem Vertrauen aus den wenigen und flüchtigen Briefen , welche er von Clara erhielt , Alles , was sein Herz begehrte .
Jetzt , wo er jeden Augenblick den leichten Tritt der Geliebten zu hören hoffte , wo er ihrer mit lebhafter Ungeduld entgegen harrte , fiel es ihm auf , wie wenig Clara bis jetzt dazu getan , ihn ihrer Liebe oder nur der Zustimmung zu seinen Ansprüchen zu versichern .
Er setzte sich sinnend auf den Platz nieder , den er so häufig Clara gegenüber an ihrem Arbeitstische eingenommen hatte .
Ein Nähkästchen , welches Eduard in einer Verlosung gewonnen und in William's Beisein Clara geschenkt hatte , erkannte er wieder .
Es war schon ein wenig abgenutzt und mußte eben gebraucht sein , denn es enthielt außer verschiedenen Apparaten für weibliche Arbeit eine Visitenkarte des Doktor Meier , auf welche mit Bleistift das Datum eines der letzten Tage und die Worte geschrieben standen : Bedauert , die Einladung der Frau Kommerzienräten Horn für heute nicht annehmen zu können .
Eine politische Broschüre lag aufgeschlagen neben dem Kästchen ; sie gehörte ebenfalls dem Doktor Meier , wie die von seiner Hand geschriebenen Anmerkungen in derselben verrieten .
Von alle jenen eleganten Kleinigkeiten , die William seiner Cousine geschenkt , schien sie keinen Gebrauch zu machen , denn sie standen in kalter Ordnung mit anderen Nippes auf einer Etagere aufgerichtet , wo sie nur die Hand des Hausmädchens gesäubert und Clara's Auge vielleicht niemals getroffen haben mochte .
Das tat William wehe und machte ihn unmutig und nachdenkend , so daß er fast erschrak , als er endlich die Stimme seiner Tante hörte .
Eilig stand er auf und ging den Damen entgegen .
Mit einem : " Willkommen , mein Sohn ! " umarmte ihn die Kommerzienräten und fügte , gegen Clara gewendet , hinzu : " Nun , da ist er !
Ich will wie eine echte Romanmutter , die ich Euch immer war , den zärtlichen Erguß Eurer Herzen nicht stören und erwarte Euch erst in einer halben Stunde in meinem Zimmer " , worauf sie sich rasch entfernte .
Es ging der sonst so klugen Frau , wie allen sehr förmlichen , abgemessenen Leuten , die , wenn sie einmal unbefangen und herzlich erscheinen wollen , gleich gänzlich aus der Rolle fallen und nur zu leicht die ungeschicktesten Verstöße begehen .
Clara und William standen sich verlegen gegenüber , was besonders den Letzteren peinigen mußte , da er fühlte , wie unvorteilhaft ein Mann in solchem Falle erscheint .
Indessen wäre es fast Jedem an seiner Stelle ebenso ergangen , wenn er statt einer zärtlichen Braut , die ihn liebend begrüße , sehnsüchtig nach ihm verlange , ein Mädchen gefunden hätte , das ihn mit scheuer Zurückhaltung behandelte und offenbar eher erschreckt , als erfreut durch seine Anwesenheit war .
Er fand Clara verändert , und teils um das peinliche Schweigen zu brechen , teils um sich wirklich über ihr leidendes Aussehen zu beruhigen , fragte er freundlich :
" Warst Du krank , mein Klärchen ?
Ich finde die schöne Röte Deiner Wangen ganz verblichen .
Und freut es Dich nicht , daß wir beisammen sind ? "
" O gewiß " , lieber Cousin ! " antwortete sie , " es freut mich von Herzen , daß Dein Vater hergestellt ist und Du zu uns zurückkehren konntest . "
" Lieber Cousin ? " rief William scherzend .
" Nein , mein Klärchen , das klingt doch gar zu cousinenmäßig für eine Braut , und selbst eine Cousine hätte mir längst ihren Mund statt der Hand zum Willkommen reichen müssen . "
Bei diesen Worten schloß er sie in seine Arme und drückte sie , trotz ihres Widerstrebens sie herzlich küssend , an seine Brust .
" Ah , nun lebe ich erst ! " sagte er dann , " nun weiß ich erst recht , daß ich meine Braut wiedersehe und daß ich glücklich bin .
Clara , wie freuen sich meine Eltern , Dich als meine Frau zu begrüßen !
Mein Vater will , wenn seine Kräfte es erlauben , selbst bei unserer Hochzeit gegenwärtig sein , und ich habe ihm versprochen , daß wir auf ihn warten , wenn er sich ein wenig mit der Erholung beeilen will . "
" Und wie weit ist diese vorgeschritten ? " fragte Clara , froh , das Gespräch von der bisherigen Richtung ablenken zu können .
William aber deutete diese Frage nach seinem Sinne und antwortete tändelnd : " So weit , mein Fräulein , daß Sie Ihr Hochzeitskleid bestellen und Ihr Reisekostüm anordnen müssen ; denn so lieb mir Deutschland und seine Sitten geworden , nach der Trauung bist Du meine Engländerin und wir steigen gleich in den Wagen , um unseren Honigmonat in Hugheshall zu verleben . "
In der Freude seines Herzens bemerkte Will liam nicht , daß er fast ausschließlich die Kosten der Unterhaltung trug , während Clara mit schlecht verhehlter Spannung seinen Worten zuhörte und nur dann und wann eine gleichgültige Frage dazwischen warf .
" Kommt mein Bruder nicht bald zurück ? " unterbrach sie den Erzählenden .
" Das ist eine üble Sache , er hat sich -- erschrick nur darüber nicht -- er hat sich dort ziemlich leichtsinnig in ein Verhältnis eingelassen , welches leicht bindend werden könnte und -- aber das ist nichts für Dein Ohr , liebes Bräutchen , und ich werde noch Zeit haben , mit Deiner Mutter darüber zu sprechen . "
" So komme gleich " , bat Clara , besorgt über William's Mitteilung hinsichtlich Ferdinands , und doch froh , dem tête à tête zu entgehen , da außerdem , wie William selbst bemerkte , die Mutter sie wohl schon erwarten dürfte .
Natürlich war eine der ersten Fragen , welche die Kommerzienräten an ihren Neffen richtete , nach dem Ergehen ihres Sohnes .
Dieser hatte die Zeit seiner Abwesenheit von Monat zu Monat ausgedehnt , obgleich Herr Horn schon lange seine Heimkehr gewünscht .
Ferdinand hatte sich nämlich in London einer unbegrenzten Verschwendung hingegeben und Mr. Hughes , wenn er Anzeige von den Summen machte , welche der junge Horn von ihm entnommen , schon mehrmals darauf hingedeutet , es möchte vielleicht geraten sein , den jungen Mann nach Deutschland zurückzuberufen .
" Ferdinand ist gesund " , berichtete William ; fügte aber mit einer gewissen Zurückhaltung hinzu , " ich zweifle jedoch , ob er freiwillig sobald zurückkehrt , als Sie wünschen , liebe Tante . "
" Und was , glaubst Du , ist es , was ihm davon abhält ?
Was fesselt ihn so sehr ? "
" Eine Schwäche , falls man eine Leiden schafft so nennen darf , mit der man Nachsicht haben müßte , wenn sie einem würdigeren Gegenstande zugewendet wäre . "
Die Kommerzienräten wechselte die Farbe und befahl ihrer Tochter unter dem Vorwande irgend eines Auftrages das Zimmer zu verlassen .
Dann nötigte sie William , sich zu ihr zu setzen , und beschwor ihn , indem sie seine Hand ergriff , ihr rasch und unumwunden das Ärgste zu sagen .
Die qualvolle Angst der Mutter bewog William , in den schonendsten Äußerungen ihr mitzuteilen , wie Ferdinand gleich bei seiner Ankunft in England die Bekanntschaft einer Frau von hoher Schönheit , aber von den verworfensten Sitten gemacht habe , welche seine erklärte Geliebte geworden sei und ihn in seinem Hange zur Verschwendung bestärke , nachdem sie ihren früheren Geliebten , Lord D. , einen jungen Mann vom Stande , ruiniert und verlassen hatte . "
" Sie hat Ferdinand vorgespiegelt " , erzählte William , " um seinetwillen und nur aus Liebe für ihn mit ihrem ersten Verehrer gebrochen zu haben , der , wie sie behauptet , ihr die Ehe versprochen hatte , und Ferdinand ist in einer unglücklichen Stunde so töricht gewesen , ihr schriftlich eine eben solche Zusicherung zu geben , die er später in Gegenwart ihrer und seiner Bekannten wiederholte und auf deren Erfüllung sie jetzt dringt , ohne von irgend einem Vergleich oder einer Abfindung hören zu wollen . "
William hielt inne , weil die zitternde , eiskalte Hand seiner Tante , welche noch immer angstvoll die seine hielt , ihm deutlich verkündete , wie entsetzlich diese Nachricht ihr Herz verwunde .
" Nur weiter , weiter ! " bat sie , als sie das Zaudern ihres Neffen bemerkte .
" Hältst Du es für möglich , daß mein Sohn ehrlos genug sein könnte , wirklich an eine Heirat mit einer Verworfenen zu denken ? daß er mir , seiner Mut ter , ein solches Weib zur Tochter aufdringen könnte ? "
" Ich hoffe " , antwortete William , " daß es Ihren Ermahnungen gelingt , ihn davon zurückzubringen , was bis jetzt freilich weder meinem Vater , noch mir möglich war . "
" Er muß zurück , noch heute werde ich es ihm befehlen " , rief die Kommerzienräten wie außer sich , " er soll und muß gehorchen . "
" Das wird er nicht , liebste Tante " , bemerkte William , " und Sie würden sich , falls er Ihnen sogar gehorchte , nur der Unannehmlichkeit aussetzen , diese lästigen Verhältnisse in Ihre Nähe zu ziehen ; denn ich zweifle keinen Augenblick , daß jene Frau ihm auch gegen seine Erlaubnis hieherfolgen und hier auf die Erfüllung seines Wortes dringen würde .
Darum haben Sie Geduld , schreiben Sie ihm , daß Sie um das Verhältnis wissen , daß Sie es mißbilligen ; aber vermeiden Sie eine Strenge , welche ihn leicht zu offenem Widerstand , zu unüberlegten Schritten treiben könnte , da er sie von Ihnen nicht gewohnt ist .
Vielleicht wäre es sogar besser , Sie überließen es Ihrem Manne , obgleich mein Vater mir riet , es Ihnen zuerst mitzuteilen . "
" Das lohne ihm Gott ! " sagte die alte Dame .
" Denn sieh , mein Sohn , Du bist ja auch mein Sohn , und Dir darf ich es bekennen , Du weißt es vielleicht selbst , daß niemals ein gutes Vernehmen zwischen Ferdinand und seinem Vater stattfand .
Männer vergessen es leicht , daß sie einst selbst jung und der Nachsicht bedürftig gewesen sind .
Der Kommerzienrat wenigstens scheint sich dessen , Ferdinand gegenüber , nicht mehr zu erinnern und " -- fuhr sie fort , plötzlich umgestimmt durch den Gedanken , ihr Liebling Ferdinand könne irgendwie den Tadel seines Vaters auf sich ziehen -- " vielleicht ist es mit Ferdinand so schlimm nicht , als wir glauben .
Deshalb versprich mir , sei einem Vater davon nichts zu sagen , bis ich selbst eine Antwort von meinem Sohne erhalten habe und Dich dazu ermächtigen werde . "
William sagte das zu und seine Tante ersuchte ihn , sie allein zu lassen , da seine Mitteilung sie unangenehm berührt habe und sie sich sammeln wolle , um bei der Mittagstafel ihrem Manne keine Besorgnis zu geben .
Aber die Kränkung , die ihr Stolz erlitten hatte , der Schreck und die Unruhe , die sie empfunden , waren so lebhaft gewesen , daß ihre gewohnte Selbstbeherrschung sie verließ und sie von nervösen Zufällen ergriffen wurde , welche sie nötigten , ein paar Tage ihr Zimmer zu hüten und ihr Clara's Pflege und Wartung unentbehrlich machten .
Dadurch bekam William seine Braut -- denn als solche betrachtete er Clara -- nur wenig zu sehen .
Trotzdem mußte ihm ihr Betragen auffallen , das offenbar zurückhaltender und bei Fanger war , als sie sich ihm jemals gezeigt hatte .
Er konnte nicht begreifen , warum sein Onkel kein Wort mit ihm über dies Verhältnis spreche ; er sah , daß man es wie ein Geheimnis behandelt haben müsse , und obgleich dieses gewissermaßen durch die Umstände entschuldigt werden oder selbst geboten sein konnte , fand er die strenge Beobachtung der Etikette unter so nahen Verwandten , die alle einig und glücklich über diese Verbindung waren , übertrieben .
Er nahm sich vor , sobald die Kommerzienräten wieder wohl und sichtbar sein würde , auf die Bekanntmachung seiner Verlobung mit Clara zu dringen , weil ihm die jetzige Stellung höchst unbequem war und er hoffte , die ungewöhnliche Schüchternheit seiner Braut werde sich von selbst geben , wenn ihr beiderseitiges Verhältnis zu einander kein Geheimnis mehr sei .
Am zweiten Abende hatte sich der Zustand von Madame Horn so weit gebessert , daß Clara sie auf ihren ausdrücklichen Befehl verlassen mußte , um sich ihrem Bräutigam nicht unnötig zu entziehen , der , innig erfreut , sie wieder zu haben , ihr den Vorschlag machte , mit ihm nach Berghof zu fahren .
Er wünschte , Clara möge sich nach den in der Krankenstube ihrer Mutter verlebten Tagen in freier Luft erholen und zugleich mit ihm die Meier'sche Familie besuchen , von der er noch Niemand gesehen hatte .
Clara lehnte aber Beides ab und bat William , ihr in ihr Zimmer zu folgen , da sie ihn allein und gleich sprechen müsse .
Als sie sich dort niedergelassen hatte , begann Clara :
" Ich weiß wirklich nicht , lieber William , wie ich es machen soll , Dir zu sagen , was Du doch erfahren mußt .
Du bist mir mit so herzlichem Vertrauen entgegengekommen , so gut , so unbeschreiblich freundlich gegen mich gewesen , daß ich Dir nie genug danken kann . "
Sie stockte ; William sah sie verwundert an und sagte :
" Ist denn das Versprechen , die Meine zu werden , nicht der schönste Dank , den meine Liebe von Dir begehrt ? "
" Das ist es eben " , fiel Clara ein , " was mich beunruhigt .
Glaube mir , William , ich erkenne Deine treue Anhänglichkeit mit tiefer Beschämung , ich achte Dich von Herzen . "
" Aber Du liebst mich nicht " , rief William , " sage es kurz , Clara .
Du schlägst meine Hand aus , weil ich Dir gleichgültig , oder wohl gar zuwider bin . "
" Nein , das nicht ; gewiß , das nicht .
Ich habe Dich lieb , William , von Herzen lieb , ich bin überzeugt , daß einer Frau ein schönes Los an Deiner Seite werden muß -- aber ich kann Deine Frau nicht werden . "
" So liebst Du einen Anderen ? " fragte William heftig und stand auf .
Ein leises , kaum hörbares Ja von Clara's Lippen gab ihm die Antwort , die ihn tief zu II. 4 betrüben schien ; denn er blieb lange schweigend vor Clara stehen und fragte endlich , mühsam seinen Schmerz bekämpfend :
" Und weiß der Glückliche , daß Du ihn liebst ?
Verdient er ein Glück , das er mir raubte ? "
" Er weiß es , William " , antwortete Clara , " aber glücklich ist er nicht , so wenig als ich ; denn es ist keine Vereinigung für uns möglich . "
Diese Äußerung enthüllte dem Erstaunten plötzlich ein Geheimnis , von dessen Dasein er nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte .
Nur Eduard konnte es sein , den seine Cousine liebte , durch den er seine Braut verlieren sollte .
Das schmerzte ihn um so tiefer , und im Tone des Vorwurfs fragte er :
" Und das erfahre ich erst jetzt , nachdem ich seit lange an Deine Liebe geglaubt , auf Deine Hand gerechnet hatte ?
Wie durftest Du so an mir handeln ?
Wie konnte Deine Mutter mir so zuversichtlich ihr Wort für Dich geben ? "
" Vergib mir , William " , bat Clara , " wenn ich Dir verschwieg , was wir erst vor wenigen Wochen uns selbst gestanden , um es für ewig vergessen zu müssen .
Niemand weiß davon , und von Dir , von Deiner Großmut erflehe ich es als die höchste Gunst , daß Du selbst dem Anspruche an meine Hand entsagst und mir beistehst , die Verzeihung meiner Mutter zu erlangen .
Sie wird unerbittlich darauf dringen , daß ich ihr Wort löse und Dir meine Hand gebe , die doch ohne Wert für Dich sein muß , nun Du Alles weißt . "
William hatte sich ruhig wieder niedergesetzt und sah düster sinnend vor sich nieder .
Die widersprechendsten Gefühle wogten in seiner Brust .
Ein paarmal war es , als ob er seinen Gedanken Worte geben wolle , dann aber unterdrückte er sie wieder , wie wenn er das rechte noch nicht gefunden hätte , bis er endlich aufstand , Clara die Hand reichte , und sagte :
" Du 4 * siehst wohl , daß ich darauf nicht vorbereitet war , mich nicht darein finden kann ; denn es fällt schwer , so plötzlich von seinen liebsten Hoffnungen zu scheiden .
Darum forder heute keinen Entschluß , kein Versprechen von mir ; nur darauf nimm mein Wort , Niemand , auch Deine Mutter nicht , soll Dich zu einem Schritte zwingen , der mich nicht glücklich machen kann , wenn Du ihn nicht freiwillig tust . "
" Guter , edler Mann ! " rief Clara dem Enteilenden nach , der sie nach seinen letzten Worten verlassen hatte , um Eduard aufzusuchen und sich mit diesem zu erklären , wonach ihn lebhaft verlangte .
Er traf den Doktor glücklicherweise in der Stadt und zu Hause , wo er in den jetzt einsamen Gängen des Gartens umherging und schnell William entgegeneilte .
Beide junge Männer reichten sich die Hände zum gewohnten Gruß , aber plötzlich zog Hughes seine Hand zurück und Eduard , die Absichtlichkeit dieser Handlung bemerkend , fragte , während eine glühende Röte sein Gesicht überflog :
" Sie kommen von Clara ? "
" Ich komme von ihr und weiß Alles " , antwortete der Andere .
" Was haben Sie mir darauf zu sagen ? "
Einen Augenblick bedurfte Eduard , um sich zu sammeln , dann sprach er mit sicherer Stimme :
" Wir Beide , denke ich , können auch in dieser Angelegenheit , die uns gleich nahe berührt , offen zu Werke gehen , weil sie dem Einen so heilig ist , wie dem Anderen .
Es wäre unwahr , wenn ich mich einer Großmut rühmen wollte , die ich nicht in mir fühlte .
Ich liebe Clara , das wissen Sie , und würde mein Leben daran gesetzt haben , sie zu besitzen , wäre es möglich für mich gewesen , ohne meine Ehre zu opfern .
Nur nachdem ich alles Mögliche versucht , ver geblich versucht habe , fügte ich mich widerstrebend in den Gedanken , Clara zu entsagen . "
" Und das erzählen Sie mir ? mir , dessen Ansprüche an Clara Sie kannten , mir , der Sie für seinen Freund hielt ? "
" William , mir ahnte , daß Clara Ihnen bestimmt und teuer sei , ich wußte fast gewiß , daß meine Hoffnung sich nur von meinen Wünschen täuschen ließ , aber dennoch sträubte ich vergebens gegen eine Neigung , die Clara erriet und teilte , so sehr ich sie ihr zu verbergen strebte .
Der Kampf um Liebe , um ein Weib ist ein unerbittlicher Kampf , ein Kampf auf Leben und Tod .
Es gibt kein Drittes .
Und wenn zwei Unglückliche auf dem Meere schiffbrüchig umhergetrieben werden , wenn ein letztes Brett Beide von sicherem Verderben trennt , wenn Einer untergehen muß , werden sie Den verdammen , der , um sich zu retten , den Anderen im unwillkürlichen Trieb der Selbsterhaltung hinunterstößt , auf die Gefahr hin , ihn sinken zu sehen ? "
" Ihr Gleichnis mag recht schön sein " , sagte William höhnisch ; " ich bin nur leider nicht in der Stimmung , Ihre poetischen Produktionen zu bewundern , und muß Sie deshalb bitten , mir unumwunden zu erklären , wie Sie in Betreff meiner Cousine jetzt zu handeln gedenken . "
Eduard aber bezwang seine leicht aufbrausende Heftigkeit und antwortete ruhig :
" Ich handle , wie Clara es von mir gefordert , wie ich es vor mir selbst verantworten kann , und bitte Sie , zu bemerken , daß nur die Rücksicht auf Ihr gekränktes Gefühl und auf die Ansprüche , welche Sie an Clara zu haben glauben , mich zu irgend einer Erklärung veranlaßt , die Sie in diesem Tone von mir zu fordern nicht berechtigt sind .
Hören Sie mich ruhig an .
Ich wollte , nachdem ich jede Hoffnung verloren , mir Clara zu gewinnen , und ihr im ersten Schmerz darüber meine Liebe gestanden hatte , von ihr scheiden ; ich sagte ihr das schriftlich .
Sie selbst befahl mir zu bleiben , obgleich auch sie von der Hoffnungslosigkeit unserer Liebe vollkommen überzeugt war .
Ich blieb , weil sie es wünschte , weil sie das Unglück , das uns getroffen , leichter zu tragen hoffte , wenn wir uns nicht plötzlich und gewaltsam trennten .
Seitdem habe ich sie nur selten und niemals allein gesprochen ; ich habe mir keine Annäherung erlaubt , ich wage auch nicht , den kleinsten Anspruch an Clara zu machen , weil ich leider ihr nichts bieten , nichts sein darf , was mich dazu ermächtigte .
Ich weiß , man wird darauf dringen , daß Clara sich verheirate .
Schwer wird mir der Gedanke " , sagte er , und seine Festigkeit wankte so sehr , daß seine Stimme zitterte , " schwer wird es mir , die Geliebte als das Weib eines Anderen mir vorzustellen , sehr schwer ! "
Dann sammelte er sich wieder , reichte William die Hand und sagte :
" Aber meine Hand darauf , ich werde sie ruhiger und lieber in Ihren Armen , als in denen jedes anderen Mannes sehen , denn auch Sie sind mir wert und Sie verdienen ein Mädchen wie Clara , weil Sie sie achten . "
William war von Eduard's sichtbarem Schmerz und seiner Offenheit überwunden .
Er schlug in die dargebotene Rechte und sagte :
" Auch ich liebe Clara , aber gerade darum möchte ich nicht , daß sie mir mit Widerstreben folgt , ich will nicht , daß der Gedanke , sie hätte doch vielleicht die Ihre und mit Ihnen glücklicher werden können , wenn ich nicht dazwischen getreten wäre , jemals von meiner Frau gedacht werden soll .
Darum überlegen Sie selbst :
Gibt es eine Möglichkeit , ein Mittel , durch das Sie Clara's Hand erlangen , so trete ich zurück und Sie ist die Ihre . "
" Ich habe keine Aussicht , keine " , antwor 4** tete Eduard schmerzlich , aber bestimmt , " als die Emanzipation unseres Volkes , die noch in weiter Ferne liegt , und auch dann stehen mir die Ansichten von Clara's Eltern entgegen .
Clara selbst hat mir jede Hoffnung genommen und glaubt an keine . "
" Dann ist sie mein ! " rief William mit einer Freude , welche deutlich hervorbrach , obgleich er sie aus Zartgefühl vor dem Freunde zu verbergen trachtete .
Eduard saß in sich gekehrt und wortlos , und sein Freund ehrte , ebenfalls schweigend , diese Totenfeier eines innigen Gefühls .
So verging eine lange Zeit , bis William sich erhob und , indem er sich zum Fortgehen anschickte , Eduard Lebewohl sagte .
" Sie gehen schon ? " fragte dieser , wie aus schwerem Traume erwachend , und sah , nachdem sie sich mit einem Händedruck getrennt , dem rasch Dahineilenden lange nach .
Dann , als er ihn aus dem Gesichte verloren hatte , rief er : " Er geht zu seiner Braut . "
Wie ein Todesstoß zuckte die Gewißheit durch sein Herz und ein paar schwere Tropfen fielen aus seinen Augen .
Sie galten der verlorenen Geliebten .
" Seit wie lange netzen solche Tränen die Erde " , sagte er , schmerzlich über sich selbst lächelnd , " und noch immer will der Keim der Freiheit nicht Wurzel fassen , der doch zum Baume erwachsen wird , unter dem auch wir einst Schatten finden müssen . "
Nachdem die Kommerzienräten sich einigermaßen erholt hatte , war es nur der Gedanke an Ferdinand , der sie unablässig beschäftigte .
Sie schrieb ihm , daß sie durch ihren Schwager und durch William von dem Grunde unterrichtet sei , der ihn abhalte , nach Deutschland zurück zukehren .
Sie beschwor ihn , sich loszureißen , kein Opfer an Geld zu achten , um sich von einem Weibe zu befreien , dessen einzige Absicht ihm nicht verborgen sein könne , und war unvorsichtig genug , ihn zu diesem Zweck eine bedeutende Summe aus ihrem Privatvermögen zu übergeben , damit sein Vater gar nichts von diesem Verhältnis zu erfahren brauche .
Was die aufrichtige Besorgnis einer Mutter , die Furcht vor öffentlicher Beschimpfung einer so stolzen Frau nur einzugeben vermochten , das stellte sie ihm in den beredtesten Worten vor und harrte angstvoll und ungeduldig seiner Antwort .
Doch der erste Termin , der sie bringen konnte , verging und kein Brief von Ferdinand erschien .
In dieser tödlichen Ungewißheit traten alle übrigen Angelegenheiten in ihren Augen zurück und selbst von Clara's Verlobung war gar nicht die Rede .
Die Kommerzienräten nahm dies Verhältnis als längst entschieden an ; sie sah William und Clara oft und freundlich beisammen , das genügte ihr , und jetzt an irgend eine gesellschaftliche Rücksicht wie die Bekanntmachung dieser Verbindung zu denken , konnte sie nicht gestimmt sein .
William aber war es gerade so genehm .
Er hätte Clara dem Freunde abzutreten vermocht , wenn sie dadurch glücklich geworden wäre .
Da dies nicht möglich war , dachte er nur daran , sie dauernd und fest an sich zu binden .
Deshalb wollte er Clara durch keine raschen Schritte beunruhigen ; er sprach nicht von seiner Liebe , aber sein schonendes Betragen , seine zarten Rücksichten taten das um so deutlicher .
Unbefangen brauchte er das Recht , welches sein doppeltes Verhältnis zu ihr ihm gab , fast unausgesetzt in ihrer Nähe zu sein .
Er las mit ihr , begleitete sie auf ihren Spaziergängen , und sie konnte es sich nicht verhehlen , daß William's Unterhaltung in ihrer jetzigen Lage eine Zerstreuung für sie sei und sie abhalte , gänzlich in den Gram über Eduard's Verlust zu versinken .
Eduard hatte sie fast täglich , aber nur flüchtig in dem Zimmer ihrer Mutter gesehen , deren Zustand seine Behandlung nötig machte .
Außerdem hatte er es vermieden , sie zu besuchen , und der Aufenthalt seiner Familie in Berghof bot ihm eine Entschuldigung bei der Kommerzienräten , welche wußte , daß er die Abende fast ausschließlich dort verbringe , während zugleich das oft wiederkehrende Unwohlsein ihrer Mutter Clara abhielt , nach Berghof zu fahren , und sie auf die kleineren Promenaden in William's Begleitung beschränkte .
So waren einige Wochen vergangen , als William , der Clara in ziemlich heiterer Stimmung sah , sich entschloß , endlich mit ihr über seine Unterredung mit Eduard zu sprechen .
" Ich bin Dir noch Aufklärung über mein Verhältnis zu Dir und zu Eduard schuldig , liebe Clara " , sagte er .
" Daß man sich nicht ohne Kampf entschließt , ein Glück , wie Deine Liebe , hinzugeben , oder auf Deinen Besitz zu verzichten , das glaubst Du mir , denn jetzt am wenigsten würde ich Dir schmeicheln .
Doch hätte ich zu entsagen vermocht , um Dich glücklich mit Eduard zu wissen , den Du liebst , und ich habe das Eduard gesagt . "
Clara reichte ihm bewegt die Hand und sagte :
" Du kannst mir doch nicht helfen , so edel Du auch bist . "
" Aber lindern kann ich , trösten " , fiel er ihr ins Wort , " und das vergönne mir .
Eduard fühlt wie ich , daß Deine Mutter nicht darein willigen würde , Dich unvermählt zu lassen , auch wenn ich ganz auf Deine Hand verzichtet hätte .
Und glaube mir , kein Mann , den man für Dich wählen könnte , wird Dich mehr lieben , als ich , Niemand mit größerem Vertrauen die Zeit abwarten , bis Dein gerechter Schmerz sich gemildert hat und Du im Stande sein wirst , wieder an ein Glück zu glauben , das Dir jetzt unmöglich scheint . "
Clara schüttelte schweigend den Kopf , aber William tat , als ob er es nicht bemerke , und fuhr nur noch freundlicher fort :
" Ich komme Dir vielleicht kalt vor und Du fürchtest Dich vor dieser Ruhe ; aber sie kommt aus der Zuversicht , daß Du Dich in die unabwendbare Trennung von Eduard fügen und daß es meiner treuen Liebe gelingen müsse , Dich wieder zu erheitern , Dich froh zu sehen in dem Bewußtsein , das höchste Gut eines Mannes , mein größtes Glück zu sein . "
Dann schilderte er Clara , wie sehnsüchtig seine Mutter in ihr die Tochter erwarte , die der Himmel ihr selbst verweigert habe ; wie man sie lieben und mit offenen Armen im Hause seiner Eltern empfangen werde , und endete scherzend mit der Bemerkung :
" Du kannst nicht wollen , daß ich jetzt , nachdem ich den Eltern die Versicherung gegeben habe , in Dir den größten Schatz des Kontinents mit nach Hause zu bringen , allein zurückkehren soll und sagen :
Ich war ein eitler Tor , als ich von ihrer Liebe sprach , sie hat mich nicht gemocht . "
Unwillkürlich lächelte Clara ; da konnte William sich nicht länger halten , mit aller Fröhlichkeit eines Liebenden sprang er auf , nahm sie in seine Arme , küßte sie und rief : " Mag nun daraus entstehen , was da will , das ertrage ein Anderer , wenn man sich Monate lang für den glücklichsten Bräutigam gehalten hat , mit einemmal wieder zum Cousin zu werden .
Einen Kuß habe ich glücklich gestohlen , nun will ich wieder geduldig warten und ruhig Deinen Zorn ertragen . "
Und zornig war Clara wirklich über einen Ausbruch , der in so grellem Widerspruch zu seinen Worten stand , daß sie ihn verließ , ohne ein Wort darüber zu sprechen .
Indessen blieb diese Unterredung nicht ohne Wirkung .
Verständig und ruhig , wie Clara es war , konnte sie sich nicht leugnen , daß William recht hatte , als er behauptete , ihre Mutter werde auf eine andere Heirat bestehen , wenn es ihr selbst gelänge , sich jetzt von der Verbindung mit ihrem Cousin zu befreien , dessen Betragen ihren aufrichtigen Dank verdiente .
Sie sah ein , daß sie und Eduard der Wahrheit gemäß keine Aussicht oder Hoffnung hätten ; aber daß Eduard es William zugestanden , verletzte sie , ohne daß sie wußte weshalb .
Sie konnte an Eduard's Treue , an seinen Schmerz über ihre Trennung nicht zweifeln ; sie begriff , es sei ehrenwert , daß er sie jetzt vermeide -- und doch war sie unzufrieden mit ihm , mit William und mit sich , obgleich sie fühlte , daß Keiner von Allen anders handeln konnte , als er es tat .
Der Gedanke , von Eduard getrennt zu sein , faßte tief Wurzel in ihr , ohne daß dadurch William ihr näher rückte , der sich in liebender Hingebung gleich blieb und sein Ziel keinen Augenblick aus dem Gesichte verlor .
Er strebte , die Neigung der Geliebten zu gewinnen , und hatte zugleich die schwere Pflicht , seine Tante über sein eigentümliches Verhältnis zu Clara zu täuschen , was um so nötiger war , als die Kommerzienräten noch immer vergebens auf Antwort von Ferdinand harrte und deshalb in der gereiztesten Stimmung von der Welt war .
Sie hatte ihrem Sohne zu wiederholten Malen geschrieben , sich endlich an ihren Schwager gewendet und von ihm erfahren , wie Ferdinand gleich nach Empfang ihres Briefes mit seiner Geliebten verreist sei , ohne irgend eine Nachricht zu hinterlassen , wohin er gehe oder wohin man ihm die Briefe von Hause nachsenden solle .
Es scheint , bemerkte ihr Schwager schließlich , als ob er aufs Neue in den Besitz einer größeren Summe gekommen sei , welche ihm diese Reise möglich macht .
Die Kommerzienräten war in der tödlichsten Unruhe , sie entschloß sich , ihrem Manne das Geheimnis zu enthüllen , und die unangenehme Szene , welche die Heftigkeit beider Teile hervorrief , warf die Mutter aufs Neue nieder .
Da langte endlich ein Brief von Ferdinand an , aber er war nicht an die Eltern , sondern an William gerichtet und lautete wie folgt : " Du hast Dich der Mühe unterzogen , ohne daß ich darum bat , meiner Mutter eine Mitteilung zu machen , die ich noch geheim zu halten wünschte .
Es scheint , daß dergleichen Commissionen Dir Vergnügen machen , und Du wirst es deshalb entschuldigen , wenn ich Dich ersuche , jetzt meine Eltern davon zu unterrichten , daß ich mich in der vorigen Woche verheiratet habe und mit meiner Frau nach Paris gegangen bin .
Ich werde dort bleiben , so lange die Summe , welche meine Mutter mir geschenkt , ausreicht , in Paris in der Weise zu leben , an welche meine Frau gewöhnt ist .
Danke meiner Mutter , daß sie , wie immer meine Wünsche erratend , auch jetzt meiner Bitte zuvorkam und mir die Mittel gab , schneller zur Ausführung eines Entschlusses zu schreiten , der unwiderruflich war , weil er mein Glück sichert und zugleich die Erfüllung einer Pflicht ist gegen eine Frau , die aus Liebe für mich eine glänzende Zukunft aufgegeben .
Jeder Versuch , diese Verbindung zu lösen , würde vergebens sein , da sie durchaus nach allen Gesetzen gültig vollzogen ist , und würde nur die Folge haben , daß ich mit meiner Frau früher nach Hause käme , um die nötigen Schritte dagegen zu tun , obgleich , wie meine Mutter in ihrem Vorurteil schreibt , die Anwesenheit meiner Frau , welche Lord D. zu seiner Gemahlin erkoren hatte , ein Schimpf für unsere Familie sein würde .
Darüber will ich nicht streiten und ersuche Dich nochmals , meinen Auftrag auszurichten .
Meinen nähern Freunden habe ich es selbst gemeldet .
Meine Frau und ich wünschen Dir und Clara bald ein Glück , wie wir es genießen . "
William war erschrocken , obgleich der törichte Entschluß ihm nicht unerwartet kam .
Er wußte , welchen Eindruck diese Neuigkeit auf seine Tante hervorbringen mußte , aber es war nicht möglich , sie ihr zu verheimlichen , da Ferdinand zugleich an seine Freunde geschrieben und damit dies Verhältnis zum Stadtgespräch gemacht hatte .
Die Familie war in der höchsten Aufregung .
Der Kommerzienrat wütete und tobte gegen seine Frau , deren unglückliche Verblendung den Sohn verzogen und , wie dieser jetzt selbst gestand , ihm die Mittel zur Ausführung dieser wahnsinnigen Heirat gegeben hatte .
Clara weinte über das Los , das ihr Bruder sich bei reitet , und mußte doch ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Mutter richten , die dieser Brief vollkommen vernichtet hatte .
Die Kommerzienräten versicherte , diesen Schimpf nicht überleben zu können ; sie gab sich einer so ungemessenen Verzweiflung hin , daß Eduard selbst unruhig über ihren Zustand wurde .
Er bat deshalb William und Clara , die Mutter auf irgend eine Weise zu besänftigen , da bei einer Frau ihres Alters und ihrer Konstitution die Nervenzufälle , welche sich seit einiger Zeit immer wiederholten und jetzt bedeutend zugenommen hatten , leicht einen traurigen Ausgang nehmen könnten .
Anfänglich war jede Vorstellung , jeder Einwand verloren , und erst nach einigen Tagen gelang es William , der leidenschaftlichen Frau einen Trost zu geben , mit der Hindeutung , wie Clara's Liebe und Sorgfalt , die sich jetzt im schönsten Lichte zeige , wohl ein Glück sei , das die Mutter nicht verkennen dürfe .
Dadurch bekamen die Ideen der Kommerzienräten plötzlich eine andere Wendung .
" Ja , Du hast recht , mein Sohn " , sagte sie , " an Clara habe ich mich schwer versündigt , das Kind habe ich nicht genug geliebt .
Aber jetzt werde ich vergelten ; sie soll jetzt mein Stolz , mein Alles sein , und jetzt gleich soll Eure Verlobung gefeiert werden , damit die Leute nicht glauben , die Schande , die mein Sohn über mich bringt , habe mich ganz niedergebeugt .
Sie sollen sehen , daß mir in Clara und Dir noch große Freude geblieben ist , und daß ich weder so schwach , noch so alt bin , mich von irgend einem Unglück beugen zu lassen .
Hole mir Clara , ich will gleich mit ihr Rücksprache nehmen . "
Das hatte William nicht beabsichtigt und es setzte ihn in Verlegenheit , um so mehr , als Clara es leicht für ein planmäßiges Werk von seiner Seite halten konnte .
Er versuchte also , der Tante zu beweisen , wie ein zu gleichgültiges Verhalten bei der Nachricht von Ferdinands unerwarteter Vermählung mißdeutet werden könne , und beredete sie , nicht jetzt , während sie noch leidend und Clara so betrübt über ihren Bruder sei , ein Fest zu feiern , das mit voller Freudigkeit begangen werden müsse .
Dadurch erlangte er einen kurzen Aufschub .
Offenbar hatte aber die Aussicht , welche ihr William in Clara's Glück eröffnete , eine fast wunderbare Wirkung auf seine Tante gehabt .
Sie erklärte , sich wohler zu fühlen , erstand von ihrem Lager und söhnte sich mit ihrem Manne aus , um sich mit ihm über Clara's Dotierung auszusprechen , die sie jetzt ebenso sehr zu erhöhen wünschte , als sie früher auf Beschränkung derselben zu Ferdinands Gunsten gedrungen hatte .
Dies Alles entging Clara nicht , und in ängstlicher Erwartung sah sie der Stunde entgegen , in der dieser Gegenstand endlich zwischen ihr und ihrer II. 5 Mutter zur Sprache kommen mußte , und auch diese blieb nicht aus .
Eines Morgens ließ die Kommerzienräten Clara früher als gewöhnlich rufen .
Sie hatte ihre Krankenstube verlassen und saß in einer gewissen feierlichen Toilette auf einem Sofa .
Freundlich reichte sie der Tochter die Hand , nötigte sie , sich zu ihr zu setzen , und sagte , nachdem sie einen Augenblick über den Anfang der Unterhaltung nachgedacht hatte :
" Mein Kind , es ist zwischen uns nicht immer so gewesen , wie es sein sollte ; ich habe Dich verkannt , Deine Sanftmut für Schwäche gehalten und Dir auch sonst in meinem Herzen Unrecht getan , weil ich alle Plane für das Ansehen unseres Hauses nur auf Ferdinand basierte .
Er hat meine Hoffnungen betrogen -- ich habe keinen Sohn mehr . "
Ein nervöses Zittern fuhr trotz der Mühe , mit der sie es verbergen wollte , sichtbar durch ihre Glieder .
Clara bat sie , sich zu schonen ; sie versuchte ein Wort zu Gunsten ihres Bruders einzulegen und der Mutter vorzustellen , wie seine unbesonnene Handlung vielleicht weniger traurig in ihren Folgen sein würde , als man glaube .
Die Kommerzienräten ließ sie aber nicht enden .
" Das verstehst Du nicht " , sagte sie heftig ; " oder kann irgend Etwas die Schmach vertilgen , daß ein Weib wie jenes den Namen unserer Familie , meinen Namen trägt ?
Fürchte nicht , daß Ferdinand Mangel leiden , daß Dein Vater ihn enterben könne , wie er neulich gedroht .
Er soll mehr haben , als er bedarf , mehr , als Lord D. dem Weibe geboten hätte , unter der einzigen Bedingung , daß er unseren Namen ablegt , daß er nie nach Deutschland kommt , daß ich nie von ihm und seinem Weibe höre .
Für mich ist Ferdinand tot , ich habe keinen Sohn mehr " , wiederholte sie nochmals .
5 * Während dieser Rede war sie immer heftiger geworden und brach zuletzt in krampfhaftes Weinen aus , das sie zu erleichtern schien , sodaß sie bald darauf fortfuhr .
" Auf Dich allein ist nun meine Zukunft angewiesen .
Deine Söhne sollen die Erben dieses Hauses werden und William hat mir versprechen müssen , daß sie unseren Namen neben dem Euren führen sollen .
Morgen muß der Ehecontrakt aufgenommen werden und sehr bald Eure Hochzeit sein .
Ich würde nicht Ruhe haben , ehe ich die einzige Angelegenheit beendet , die mir auf Erden noch Freude machen kann , und daß Du mir diese letzte Freude machst , das wird Dir Segen bringen .
Gott gebe , Du würdest eine glücklichere Mutter , als ich . "
Ganz erschöpft fiel sie in die Kissen des Sofas zurück und sprachlos stand Clara an ihrer Seite , bemüht , sie durch den Geruch stärkender Essenzen zu beleben .
Sie hatte sich Vorgenom men , ihrer Mutter zu sagen , daß sie William nicht liebe und ihn nicht heiraten könne , und hatte sich gefaßt gemacht , den heftigen Zorn derselben mit Ergebung zu tragen .
Jetzt aber , als die Mutter vor ihr lag , in der gewohnten prächtigen Kleidung , die stolzen Züge ganz gebrochen von der Macht des Leidens , fehlte ihr der Mut , sie durch eine entschiedene Weigerung noch mehr zu betrüben .
Nur um Aufschub wollte sie fürs Erste bitten und tat es , indem sie der Kommerzienräten vorstellte , wie ihr leidender Zustand keine Aufregung gestatte und wie William gern bereit sein würde , zu warten , bis die Mutter wieder ganz wohl und kräftig sei .
Aber auch davon wollte diese nichts hören , und als in diesem Moment Eduard in das Zimmer trat , um seinen täglichen Morgenbesuch zu machen , richtete die Kommerzienräten sich lebhaft mit der Frage empor :
" Sagen Sie , lieber Doktor , glauben Sie , daß Freude meinen Nerven schaden könne ? "
" Im Geringsten nicht " , antwortete er unbefangen ; " ich glaube vielmehr , daß Erheiterung Ihres Gemüts mehr zu Ihrer Genesung beitragen würde , als irgend eine Arznei . "
" Also haben Sie nichts dagegen , wenn wir morgen die Verlobung meiner Tochter feiern ? "
Eduard erbleichte und schwieg .
Clara sah ihn mit flehenden Blicken an , ihr Atem stockte ; denn von dieser Antwort hing ihre Zukunft ab .
Die Kommerzienräten schien aber zu glauben , ihr Arzt überlege , ob ihre Anwesenheit in größerer Gesellschaft zulässig sei und sagte :
" Ich spreche ja von keiner großen Fete , nur im engsten Kreise wollen wir die Verlobung vor sich gehen lassen .
An solche Feste , wie Ihre Eltern bei Jenny's Verlobung veranstalteten , darf ich jetzt freilich nicht denken , auch wird Clara zur Entschädigung in dem Hause ihrer Schwiegereltern Glanz und Feste in Überfluß finden -- deshalb soll Alles morgen in Stille vor sich gehen und dagegen dürfen Sie keine Einwendungen machen . "
" Nein , ich darf keine Einwendungen machen " , antwortete er mit einem Seufzer und blickte auf Clara , die wie erstarrt sich an einen Stuhl lehnte , um nicht ihrer Bewegung zu unterliegen .
Kaum aber hatte die Kommerzienräten Eduard's Erlaubnis erhalten , als sie die Klingel zog und dem Diener befahl , Herrn Hughes zu ihr zu bitten , der auch bald auf ihren Wunsch erschien , als Eduard die Hand der alten Dame noch in der seinen hielt und einige Fragen über ihren Zustand an sie richtete .
" Gleich , gleich , Doktor ! " unterbrach sie ihn , " seien Sie nicht böse .
Aber Sie selbst gestanden mir , Freude sei meine beste Arznei , darum muß ich William sagen , daß Sie mir die Er laubniß gegeben haben , morgen die Verlobung feiern zu dürfen . "
" Eduard ! " rief William .
Doch ehe er noch ein Wort hinzufügen konnte , sprang Eduard auf und wollte Clara zu Hilfe eilen , die totenbleich der Türe zuwankte .
Plötzlich blieb er stehen und sagte rasch , aber mit einer Selbstbeherrschung , die Jeden täuschen mußte , der die Verhältnisse nicht kannte :
" Ihre Braut ist unwohl , William , begleiten Sie sie . "
In demselben Augenblick war William an Clara's Seite , ihre letzte Kraft verließ sie , sie sank halb ohnmächtig in die Arme ihres Bräutigams und an seine Brust ; in Eduard's und in ihrer Mutter Gegenwart weinte sie heiße Tränen über ihr schweres Los .
Noch am Abende fuhr Eduard nach Berghof .
" Clara Horn ist Braut mit William " , sagte er , nachdem er sich mit den Seinen begrüßt hatte .
" Das freut mich sehr " , antwortete sein Vater und drückte Eduard die Hand , während die Damen ihn um eine nähere Mitteilung baten .
Mehr wurde zwischen Vater und Sohn nie wieder über eine Angelegenheit gesprochen , welche früher der Gegenstand lebhafter Erörterungen , banger Besorgnis und schweren Kampfes gewesen war .
Nach wie vor fuhr Eduard jeden Morgen in das Haus der Kommerzienräten , so lange ihre Gesundheit seine Pflege erforderte ; nur Zeuge von Clara's Verlobung zu sein , hatte er unter einem Vorwande verweigert , wofür William und Clara ihm Dank wußten .
Die ersten Tage , an denen er das neue Brautpaar sah , bedurfte es seiner ganzen Kraft , um äußerlich eine Fassung zu erzwingen , die ihm in seinem Geiste noch fehlte .
Aber William stand ihm auf die edelste Weise bei .
Er selbst begleitete bald darauf Clara nach Berghof und 5** mit einer Gewandtheit , die aus dem feinsten Schicklichkeitsgefühl und einem wohlwollenden Herzen entsprungen war , wußte er Eduard und Clara vor jeder zu schmerzlichen Berührung zu bewahren .
Während die Damen sich mit einer Unterhaltung über die in beiden Häusern nötig gewordenen Ausstattungen für die Bräute beschäftigten , zog William seinen Freund mit sich und sagte :
" Lieber Eduard !
Clara hat gegen mich das Verlangen geäußert , Sie noch einmal allein zu sprechen , und ich hatte ihr zugesagt , ihr dazu Gelegenheit zu geben .
Später bin ich anderer Meinung geworden , ich habe Clara gebeten , der Erfüllung dieses Wunsches zu entsagen .
Sie werden mir zugeben müssen , daß es für uns Alle besser ist , wenn wir uns so schnell als möglich über eine Zeit fortzuhelfen versuchen , die überreich an schmerzlichen Eindrücken sein muß .
Deshalb habe ich meine Tante überredet , unsere Hochzeit zu beschleunigen , und diese soll in vierzehn Tagen spätestens vollzogen werden . "
" Ich billige Ihre Ansicht vollkommen und danke Ihnen für Alles , was Sie tun , Clara's Gefühle zu schonen " , antwortete Eduard .
" Und nun Eduard ! " sagte William , " noch eine Bitte .
Ich habe Sie seit unserem ersten Begegnen für einen seltenen Menschen gehalten ; weil Sie der sind , lassen Sie es mich nicht entgelten , daß ich glücklicher als Sie bin .
Ich werde bald eine Frau haben , die ich liebe -- soll ich deshalb den Freund verlieren , den ich gewonnen zu haben glaubte ? "
" Nein , bei Gott ! das sollst Du nicht ! " rief Eduard , hingerissen von William's Worten .
" Glaube mir , William ! daß ich Dich aus Grund der Seele achte ; aber wundre Dich nicht , wenn mir jetzt , wo ich von den Hoffe nun meiner Vergangenheit so plötzlich scheide , Gegenwart und Zukunft noch umwölkt erscheinen ; wenn ich keinen anderen Gedanken habe , als wie groß das Glück war , auf das ich gehofft . Dir vertraue ich dies Glück an und könnte mich Etwas trösten , so wäre es das Bewußtsein , Clara an den Würdigsten verloren zu haben , der mein Freund bleiben soll für das Leben . "
Arm in Arm kehrten sie zu den Übrigen zurück , bei denen sie Steinheim fanden , welcher eben angelangt war .
" Ich schwöre Ihnen " , sagte er , " ich wäre längst einmal hierher gekommen , wenn die fatale Hitze mir nicht eine vollkommene Nervenabspannung zu Wege brächte ; besonders da die Stadt so still und einsam ist , wie Pompeji vor der Ausgrabung . "
" So bringen Sie uns keine Neuigkeiten mit , und wir Landleute wissen mehr als Sie .
Denken Sie nur , der stolze Engländer entführt mir meine Clara schon in der nächstfolgenden Woche ! " bemerkte Jenny .
" Ja ! dann hat er ein Recht , stolz zu sein , weil wir dann das Einzige an ihn verlieren , um das England uns beneiden mußte " , rief Steinheim , Posa's Worte parodierend , indem er sich galant gegen Clara verneigte .
" Die Hitze bekommt Ihnen wirklich schlecht ! " sagte Jenny lächelnd , " und Sie vergessen , daß Mr. Hughes mich nicht ebenfalls mitnimmt , sondern daß ich hier bleibe , um mich fürchterlich an Ihnen für Ihren Mangel an Galanterie zu rächen . "
" Gehört die Rache auch zu den christlichen Tugenden einer Frau Pfarrerin ? " fragte Steinheim und , da Jenny , gegen sein Erwarten , nichts darauf erwiderte , sondern die Frage fallen ließ , wendete sich zu den Herren , die seitwärts lebhaft konversierten .
Bald aber kehrte er wieder zu den Damen zurück , weil , wie er behauptete , da , wo die Männer säßen , ein furchtbarer Zugwind wehe , von dem man in dieser Witterung den Tod haben könnte .
Man lachte ihn aus , und doch war er heute Clara willkommen .
Seine Anwesenheit , seine Unterhaltung , die freilich nur sein geliebtes " Ich " betraf , zog die Aufmerksamkeit von ihr ab ; und je größer der Zirkel wurde , um so ungestörter konnte sie sich in die Erinnerung alles Dessen versenken , was sie in diesem Kreise erlebt hatte , und was sich heute unwillkürlich ihrem Geiste aufdrängte .
" Sehen wir Sie vor Ihrer Hochzeit noch ? " fragte Madame Meier , als sie später schieden .
" O , gewiß ! " antwortete Clara , " ich komme noch Abschied von Ihnen Allen zu nehmen , da wir gleich nach der Trauung abreisen .
Denken Sie unser , wenn wir nicht mehr hier sein werden " , bat sie mit kaum unterdrücktem Weinen und ein langer , tiefer Blick traf Eduard , der ihn nur zu wohl verstand .
William aber machte der stummen Szene schnell ein Ende , und führte seine Braut mit sich fort .
Die Trauung des neuen Ehepaares war vorüber ; die junge Frau in Reisekleidern war des Augenblickes gewärtig , in dem die Diener melden würden , daß Alles zur Abreise bereit sei .
Die Gäste hatten sich entfernt , nur Jenny und Eduard waren noch geblieben .
In sich gekehrt sah dieser kaum , was um ihn vorging , und wünschte sehnlich , der letzte , schwere Kampf wäre an Clara und ihm schon vorüber .
Die Kommerzienräten sprach mit ihrem Schwiegersohne und empfahl ihm die dringendste Vorsicht für die junge Frau , welche Hand in Hand mit ihrem Vater da saß , der in ihr seine einzige Freude verlor .
Da trat ein Diener herein und wie ein elektrischer Schlag durchzuckten Jeden die einfachen Worte :
" Der Postillon hat angeschirrt ! "
Weinend schieden die Eltern von der einzigen , schönen Tochter ; weinend sank sie Jenny in die Arme und wollte , sich gewaltsam losreißend , an Eduard vorüber , ihrem Manne folgen .
Dieser aber hielt sie zurück , sagte leise :
" Und Eduard ? " --
und führte sie selbst zu dem Freunde .
Jetzt in der Stunde der Trennung bedurfte es keines Geheimnisses , gab es keine Entweihung für diese reine Liebe ; überrascht , aber mit ehrendem Schweigen , sahen Clara's Eltern , wie Eduard die junge Frau tief erschüttert an sein Herz zog und einen langen Kuß auf ihre Stirn drückte .
" Gott segne Euch ! " rief er , und schloß nochmals Clara und William in seine Arme .
" Ihnen , Eduard ! vermache ich meine Eltern " , sagte Clara kaum hörbar , " stehen Sie ihnen bei ! "
-- Und nun erst nahm William ihren Arm und trug sie mehr , als sie ging , in den Wagen , der sie bald den Augen der nachsehenden Freunde entzog .
Nach Clara's Abreise schien Eduard sich plötzlich zu ermannen .
Er war ernster geworden , aber die tiefe Trauer war von ihm gewichen .
Ein Leben , das ihm keine Freude bot , wollte er für Andere nützen , so sehr er vermochte ; und nicht umsonst hatte er seine Hoffnungen geopfert und der Geliebten entsagt .
Er fing an wieder vorwärts in das Leben zu blicken , und nahm mit neuem Eifer seine me dizinischen Studien und die Bestrebungen vor , die er im Verein mit gleichgestimmten Männern schon früher für die Befreiung seiner Glaubensgenossen gemacht hatte .
So hatte Herr Meier ihn zu finden erwartet , und das erhabenste Verhältnis bildete sich immer schöner zwischen Vater und Sohn aus , auf dessen rasche Tätigkeit die Ruhe und Weisheit des Vaters den segensreichsten Einfluß übten .
Seit Eduard ganz von der Leidenschaft für Clara beherrscht , nur dieser und dadurch sich selbst gelebt , war er auch mit Joseph und Steinheim weniger zusammengekommen , die den Rückkehrenden mit Freuden wieder aufnahmen .
Jetzt erst erfuhren sie , welche Forderung Eduard an die Regierung gestellt , und die abschlägige Antwort , die ihm geworden , und Beide errieten leicht , was ihn bewogen hatte , jene Angelegenheit so heimlich zu betreiben .
" Wir müssen mit unerschütterlicher Con Sequenz , aber ruhig den Weg gehen " , sagte Eduard , " den wir für den rechten halten .
Es kommt nur darauf an , daß wir nicht ermüden , nicht verzagen und immer wieder kommen , so oft man uns auch abweist . "
" Das werden sie jüdische Unverschämtheit nennen ! " bemerkte Joseph .
" Mögen sie es immerhin .
Nur in der Beharrlichkeit liegt Hoffnung , nur wenn wir unablässig dagegen stürmen , können die Verschanzungen fallen , hinter denen sie die Wahrheit und unser Recht verstecken möchten ; und fallen müssen sie .
Unser Recht muß uns werden . "
" Und wäre es mit Ketten an den Himmel geschlossen ! " unterbrach ihn Steinheim , der selbst in einer ernsten Unterredung , die ihm sehr am Herzen lag , seine üble Angewohnheit nicht überwinden konnte .
Glücklicherweise war man so sehr daran gewöhnt , daß Niemand es weiter beachtete .
Auch Joseph und Eduard hörten nicht darauf , sondern überlegten lange , ob man jetzt , nachdem Eduard's persönlicher Wunsch abschlägig beschieden worden , dieselbe Bitte für die Juden im Allgemeinen bei der Regierung wagen solle .
Sie stritten hin und her und kamen endlich überein , daß Eduard sich nach Jenny's Hochzeit , die nicht allzu fern mehr war , selbst nach der Residenz begeben und versuchen möchte , was dort zu erreichen sein würde .
Nach diesem Beschlusse verließ Steinheim die Anderen und Eduard , der erst jetzt wieder auf seine Umgebung aufmerksam zu werden anfing , sagte zu Joseph :
" Da wir Jenny's Hochzeit erwähnen , sage mir , Du , der Du das Mädchen nie aus den Augen verloren hast , was quält Jenny ? liebt sie Reinhard nicht ? scheut sie sich vor dem Leben auf dem Lande ? oder was geht sonst mit ihr vor ?
Ich finde sie geistig in einer Weise verändert , die mich um so mehr überrascht , als sie mir bis jetzt gänzlich entgangen war . "
" Du hast recht ! " sagte Joseph , " aber wir können ihr nicht helfen , sie quält sich selbst , und ich weiß nicht , wie das enden wird . "
" Wie meinst Du das ? " fragte Eduard bestürzt .
" Ich bin überzeugt , Jenny ist ohne allen Glauben an die christlichen Dogmen Christin geworden , und der Gedanke , einen Meineid geschworen zu haben , peinigt und verfolgt sie in einer Gewissensangst , vor der sie sich nicht zu schützen weiß . "
" Wäre_es möglich ?
-- sollte es Das sein ?
Was bringt Dich auf die Vermutung ? "
" Jenny's ganzes Wesen und vor Allem eine Unterhaltung , die ich vor einigen Tagen mit ihr hatte .
Sie brachte absichtlich das Gespräch auf Religionsverschiedenheit und gestand mir , jetzt , da sie Christin geworden wäre , käme sie sich manchmal wie ausgeschlossen oder verstoßen von den Ihren vor .
Es sei ihr , als wenn sie nicht mehr so ganz zu den Eltern gehöre , obgleich sie sich doch Reinhard durch die Taufe nicht näher gebracht fühle .
Sie fragte mich , was ich von dem Eide denke ?
ob ich überhaupt glaube , daß alle sogenannten Sünden auch Sünden vor Gott seien ? und äußerte sich überhaupt in einer Art , die mir bei ihrem Geiste lächerlich und kindisch erschienen wäre , wenn ich nicht darin eine vollkommene , innere Verwirrung , einen Zwiespalt gefunden hätte , der mir herzlich leid tat .
Zuletzt sagte sie mir , sie könne den Gedanken nicht fassen , nicht mit ihren Eltern auf demselben Kirchhofe zu ruhen .
Ich stellte ihr vor , das sei eine Torheit ; auch wir , obgleich noch Juden , könnten leicht fern von allen Freunden eine Ruhestatt finden , und es sei gewiß höchst gleichgültig , wo sie uns begraben würden .
Sie aber blieb dabei , es wäre ihr schrecklich , und war überhaupt in einer Stimmung , in der jeder Vernunftgrund fruchtlos bleiben mußte . "
" Das arme Kind ! " rief Eduard , " was kann man für sie tun ? "
" Wir müssen sie sich selbst überlassen .
Ich bin überzeugt , daß sie den Ausweg finden wird .
Das muß man abwarten und ich hoffe , sie findet ihn bald , besonders , wenn irgend ein äußerer Anlaß ihrer Unentschlossenheit zu Hilfe käme und sie veranlaßte , sich offen darüber zu erklären , wo eigentlich die Quelle ihres Leidens ist . "
" So laß uns gemeinschaftlich über sie wachen " , bat Eduard , " damit wir den rechten Augenblick nicht verfehlen , wenigstens Jenny glücklich zu machen , da wir es nicht geworden sind . "
" Leidensgefährte ! " -- sagte Joseph mit einer Miene und einem Tone , die ein eigentümliches Gemisch von Spott und Schmerz ausdrückten .
" Wir wollen sie behüten , so gut es geht , aber ich fürchte , auch sie wird nicht glücklich ! "
Und leider war Joseph's Vermutung nur zu richtig .
Je glücklicher sich Jenny in Reinhard's anbetender Liebe fühlte , um so mehr demütigte sie der Gedanke , unwahr gegen ihn zu sein .
Von frühster Kindheit an hatte man ihr die Lüge als etwas so Unedles , so Verächtliches dargestellt , daß sie sich nur mit Entsetzen zu gestehen vermochte , wie tief sie sich in dieselbe verwickelt habe .
Der Zustand ihrer Seele möchte für Den , der ihn nicht von selbst versteht , schwer zu beschreiben sein .
Sie fühlte sich dem Elemente , in dem sie geboren , der Atmosphäre , in der allein sie atmen konnte , entrissen .
Man hatte sie gelehrt , wahr gegen sich selbst , gegen jeden Anderen zu sein , und Recht und Wahrheit waren die Sterne gewesen , auf die man von jeher ihr Auge gelenkt .
Gott ist die Wahrheit , das Recht , das Gute und das Schöne , hatte ihr Vater ihr stets gesagt , und so lange Du das Recht tust , so lange Du wahr bleibst , bist Du Gottes Kind und mein liebes Kind !
Stundenlang konnte die Erinnerung an diese freundlichen Worte , bei denen sie sich sonst so glücklich gefühlt , sie jetzt quälen .
Nachdem sie damit angefangen hatte , unwahr gegen sich selbst zu sein , hatte sie , durch eine damals unfreiwillige Selbsttäuschung von ihrem Vater die Erlaubnis erlangt , zum Christentum überzutreten , an das sie zu glauben wähnte .
Als aber tausend Zweifel in ihr erwachten ; als sie mit aller Anstrengung und dem Aufwande von tausend Scheingründen in sich die Lehren Reinhard's und des Pastors zu motivieren strebte ; da , sagte sie sich jetzt , da habe sie gewußt , daß sie niemals werde glauben können , was sich gegen ihre Vernunft sträube ; und daß sie dennoch , trotz dieser in II. 6 nern Gewißheit , Christin geworden ; daß sie ihren Vater , Reinhard und sich selbst habe hintergehen wollen , das war ein Verbrechen , um dessentwillen sie sich verächtlich vorkam , eine Sünde , die Gott nicht vergeben konnte .
Aber was ist Sünde ? fragte sie sich .
Wenn ich Reinhard nicht anders glücklich machen konnte als durch eine Unwahrheit ; wenn ich selbst ohne sie elend werden mußte , kann Gott ein Unrecht strafen , das aus heißer Liebe begangen wurde ?
Einen Augenblick fühlte sie sich frei und gerechtfertigt durch die Liebe ; durch den Kampf , den es sie gekostet , aus Liebe gegen ihre Überzeugung zu handeln .
Sie hatte aus Liebe ein Opfer gebracht , das ihr schwer geworden war , sie hatte sich selbst überwunden -- das war es ja gerade , was Gott von uns verlangt -- und diese Idee gab ihr Ruhe , bis sie sich gestand , daß auch dies eine neue Unwahrheit sei .
Nicht nur , um glücklich zu machen , sondern um es zu werden , war sie Christin geworden ; es lag Selbstsucht auch in dieser Handlung , und die Bemerkung , daß es ihr fast zur Gewohnheit geworden , sich nach ihrem Bedürfnis selbst zu täuschen , vermehrte ihre Seelenpein in einem Grade , der ihr jedes ruhige Urteil raubte .
Eine Furcht vor der Strafe Gottes bemächtigte sich ihrer Seele und sie , die nicht an die mystischen Lehren des Christentums zu glauben vermochte , überließ sich fast willenlos dem Aberglauben des alten Testaments , das in Gott einen Rächer zeigt das Böse strafend bis in das fernste Glied .
Auch Reinhard , sagte sie sich , ziehe ich mit in mein Verderben ; auch ihn wird der Strudel erfassen , wenn ich ihm nicht mehr verbergen kann , daß ich nicht glaube .
Was soll er dann beginnen ?
Er wird mich lieben und mir doch nicht verzeihen können !
Auch er wird in den heillosen Kampf zwischen seiner Liebe und seinem Glau 6 * ben geraten ; auch auf sein teures Haupt werde ich das Elend herabbeschwören , das mich nicht ruhen läßt , und das wird die erste Strafe sein , mit der Gott meine Sünden rächt . "
In dieser Verfassung ihrer Seele vermehrten die Briefe Reinhard's ihr Leiden .
Sie sprachen die heißeste Liebe und ein volles unbedingtes Vertrauen aus .
Er schilderte ihr das Glück einer Ehe , wie er sie an ihrer Seite erwarte , die , auf gleichen Ansichten , gleicher Überzeugung gegründet , in gemeinsamen Streben nach Vollkommenheit , den Himmel auf Erden bieten müsse ; und meldete ihr endlich mit Entzücken , daß der Tag zu seiner Ordination bestimmt sei und er , sobald ihm diese Weihe geworden , zurückkehren werde , um sie heimzuführen .
Seine Mutter , die seiner Ordination beizuwohnen wünsche , sei bereits bei ihm und werde mit ihm zur Hochzeit nach Berghof kommen .
Dann wünsche er vor der selben mit Mutter und Braut das Abendmahl zu nehmen , was Jenny bisher noch nicht empfangen hatte , und bald nach der Hochzeit abzureisen , während seine Mutter in der Stadt bleiben würde , um sie die Wonne des ersten Beisammenseins ganz ungestört und allein genießen zu lassen .
Jenny es Herz schlug freudig der langersehnten Nachricht entgegen .
Selig drückte sie das Blatt an ihre Lippen .
Vor der sicheren Hoffnung auf die nahe Vereinigung mit dem Geliebten war für einen Augenblick jeder andere Gedanke aus ihrer Seele geschwunden ; und sie begann den Brief nochmals zu lesen , um nur keines der Worte zu verlieren , welche sie so glücklich machten .
Da fiel ihr Blick auf die Stelle :
" Ich wünsche noch vor unserer Hochzeit mit Dir das Abendmahl zu nehmen und auch auf diese Weise in die heiligste , innigste Gemeinschaft mit Dir zu treten , die bald als mein geliebtes Weib , unauslöslich , untrennbar mit mir verbunden , mein sein wird . "
Ihrer Hand entsank das Blatt , sie war vernichtet .
Zum zweiten Mal , wie bei der Taufe , ein freventliches Spiel zu treiben mit Dem , was Reinhard das Heiligste auf der Welt war , das vermochte sie nicht .
Jetzt , das fühlte sie , war der entscheidende Moment gekommen , in welchem sie entweder sich durch einen gewaltsamen Entschluß in ihrer eigenen Achtung wieder herstellen und ihr Gewissen in Bezug auf Reinhard beruhigen , oder sich mit geschlossenen Augen in ein Labyrinth stürzen mußte , in dem sie und der Geliebte untergehen konnten .
Der Kampf war furchtbar .
Endlich siegte die Wahrheit , und aufgelöst in Schmerz schrieb sie nach durchwachter Nacht , als schon das helle Tageslicht in ihre Fenstern schien , folgenden Brief an Reinhard : " Einzig Geliebter !
Wie unaussprechlich glücklich wären wir Beide , wenn statt dieses Briefes die Nachricht in Deine Hände käme , Deine Jenny sei gestorben .
Du würdest weinen , mein Gustav !
Du würdest um mich trauern , mein Andenken lieben , wie Du mich liebst , und ich wäre , glücklich in diesem Gedanken , geschieden und hätte Ruhe .
Warum konnte ich nicht sterben , als ich das letzte Mal in Deinen Armen lag , als Deine volle , ganze Liebe mich beglückte ?
Denkst Du daran , wie ich es wünschte , weil ich so glücklich war ; weil ich schon damals ahnte , daß ein Augenblick , wie der jetzige , mir bevorstehen könnte ? "
" Bei der Erinnerung an jene Stunde beschwöre ich Dich , bei der Liebe und Nachsicht , die Du mir damals gelobt , stoße mich jetzt nicht von Dir , Du , Geliebter !
Du , der mich fast seit meiner Kindheit kennt , den ich anbetete , seit ich ihn zuerst sah .
Gustav !
Du bist mein Lehrer gewesen und kennst meine Seele ; Du weißt , daß mein Geist ebenso glühend nach Wahrheit dürstet , als mein Herz Liebe verlangt .
Darum kannst Du mich verstehen , darum mußt Du Mitleid mit mir haben , wenn ich Dir sage , daß ich Dich mehr als die Wahrheit liebe , daß ich meine Überzeugung zwingen wollte , sich meiner Liebe zu fügen .
Ich vermag es nicht länger . "
" Von Augenblick zu Augenblick zögere ich , Dir ein Bekenntnis zu machen , von dem ich fürchte , daß es Dich tief betrüben , mich in Deinen Augen heruntersetzen könne .
Ich möchte Dich mit Feuerzungen an die heiligen Bande erinnern , die uns vereinen ; an die Wonne , welche wir einander verdanken , damit sie und nur sie Dir vorschweben , wenn ich Dir Alles gesagt . "
" Ich glaube nicht , daß Christus der Sohn Gottes ; daß er auferstanden ist , nachdem er gestorben .
Ich glaube nicht , daß es seines Todes bedurfte , um uns Gottes Vergebung und Nachsicht zu erwerben .
Die Dreieinigkeit , die er lehrte , ist mir ein ewig unverständlicher Gedanke , der keinen Boden in meiner Seele findet .
Ich glaube nicht , daß es ein Wunder gibt , daß Eines geschehen kann , außer den Wundern , die Gott , der Eine , einzig Wahre , täglich vor unseren Augen tut .
Und selbst zu Christus , des erhabenen , göttlichen Menschen Erinnerung kann ich das Abendmahl nicht nehmen , mich nicht zu einer Zeremonie entschließen , die mir wie eine unheimliche Form erscheint , während Du die innigste Verbindung mit Gott darin findest . "
" Ich kann nicht anders !
Diese Überzeugung ist stärker als meine Liebe , als ich !
Nach furchtbarem Kampfe wurde ich Christin ; 6** denn schon vor der Taufe war die Wahrheit in mir Herr geworden über eine Täuschung , die ich mit der Angst der Verzweiflung in mir zu erhalten strebte , um Deinetwillen !
Lügen kann ich nicht länger , aber auch glauben kann ich nicht -- kein Ausweg ist möglich ; und mit dem Gefühl der unaussprechlichsten Liebe , die ewig wahr und unverändert in mir ist , werfe ich mich an Deine Brust .
Du sollst mir sagen , wie ich Friede mache zwischen Liebe und Glauben , wie ich mich wiederfinde in dem Gewühl des Kampfes . "
" Wenn Du mich liebst , habe Mitleid mit mir , komme bald , komme gleich und laß mich aus Deinem Munde die Worte hören , die meiner Seele allein Ruhe geben können ; sage mir , daß Du mich lieben kannst , wenn ich auch nicht an Christus glaube , wie Ihr es verlangt .
Ihr sagt , er sei die Liebe -- nun , dann ist er mit mir , denn ich liebe Dich , wie je ein Mensch zu lieben vermochte ; ich kenne kein Glück als Deine Liebe .
Schreibe mir nicht !
Das dauert zu lange , komme selbst , damit ich Dich sehe und in Dir eine Antwort finde , die langsam aus toten Lettern zu lesen , eine Qual wäre , die Du mir ersparen wirst , weil Du mich liebst .
Ja !
ich weiß , daß Du mich liebst : mit dem Glauben , sage ich Dir , auf Wiedersehen ! --
Adieu !
Gustav !
Geliebter , Lehrer , Freund , Gatte , mein Alles auf der Welt !
Laß mich nicht lange auf Deine Ankunft warten , jetzt , wo jede Minute mir zu Jahrtausenden wird , bis ich Dich sehe ! "
Nachdem Jenny diesen Brief gefaltet und der Diener ihn besorgt hatte , schien es ihr , als hätte sie nichts von Dem gesagt , was sie eigentlich gedacht .
Sie wollte ihn zurück haben , es anders sagen , nochmals überlegen .
Sie warf sich vor , zu rasch gehandelt zu haben , und beschwor den Diener , sich zu beeilen und Alles aufzubieten , um ihr diesen Brief zurückzubringen .
Aber vergebens .
Die Post war abgegangen , kein Widerruf war möglich .
" Nun , so mag Gott sich meiner erbarmen ! " rief Jenny und stürzte weinend zu ihren Eltern , die jetzt durch sie das Unabänderliche erfuhren und , mit ihr leidend , Alles aufboten , ihr Ruhe und Trost zu geben .
Zärtlich , nur für den Augenblick besorgt , versicherte ihre Mutter , Jenny könne doch unmöglich daran zweifeln , daß Reinhard sie liebe , und sie hege das Vertrauen , ein so aufgeklärter Mann werde an seiner Braut wegen einer Meinungsverschiedenheit nicht irre werden .
Sie erinnerte sie , wie duldsam sich Reinhard und die Pfarrerin gezeigt , noch ehe von irgend einem Verhältnis zu Jenny die Rede gewesen , und sprach die feste Überzeugung aus , Reinhard in wenigen Tagen hier und Jenny glücklich zu sehen .
Und doch weinte sie mit der Tochter , denn ihr Herz war fern von den Hoffnungen , mit denen sie diese zu beruhigen strebte .
" Täusche Jenny nicht mit Erwartungen , die sich nicht erfüllen werden , oder ich müßte Reinhard nicht kennen " , sagte der Vater .
" Ich fürchte , er kommt nicht . "
" Gott im Himmel , was habe ich getan ! " rief Jenny .
" Was ich Dir selbst geraten hätte " , antwortete ihr Vater , " wenn ich Deinen Zustand früher gekannt .
Du durftest nicht daran denken , in eine Ehe zu treten , der nach Reinhard's Ansicht das innere Bindungsmittel fehlte .
Du durftest namentlich ihn nicht täuschen über Deine Gesinnung .
Jetzt hast Du Deine Pflicht erfüllt und Du wirst in dem Bewußtsein , das Rechte getan zu haben , Kraft finden , auch das Schwerste zu tragen . "
Jenny war trostlos .
Sie wollte einen zwei ten Brief schreiben .
" Kannst Du etwas von Dem widerrufen , was Du in dem ersten gesagt ? " fragte der Vater .
Jenny mußte zugeben , das sei ihr nicht möglich .
" So schreibe auch nicht " , sagte er .
Dann verlangte sie , gleich jetzt zu Reinhard zu reisen ; sie wollte ihn sprechen , alle seine Einwendungen besiegen , aber auch Das erklärte ihr Vater für untunlich .
" Sieh , mein geliebtes Kind , " sagte er , " Du bist nun leider einmal in einen Kreis von Widersprüchen geraten , aus denen nur ein gewaltsamer Ausweg möglich sein wird .
Reinhard ist duldsam gegen den Andersgläubigen , aber seine Frau will er nicht nur dulden , er will sie lieben , sie soll ein Teil seines Ich_es werden .
Das kannst Du nicht , wenn Du in Dem , was einmal der Mittelpunkt seiner Seele ist , so vollkommen von ihm abweichst .
Selbst wenn er sich überwinden und schweigen wollte , würde schon die Notwendigkeit , gegen seine Frau auf seiner Hut zu sein , mit ihr nicht über seine heiligsten Interessen sprechen zu können , eine Störung Eures Glückes werden , abgesehen davon , daß Deine Gesinnung gerade zu seinem Verhältnis als Geistlicher in noch schrofferem Widerspruche steht . "
Innig zog er sein leidendes Kind in seine Arme , aber er versuchte nicht , sie zu trösten .
" Blicke fest in Dein Inneres " , sagte er , " dort wirst Du Quellen des Trostes finden , die uns nie fehlen , wenn ein Schmerz uns trifft , ein Unglück uns droht , das wir nicht selbst verschuldet haben .
Wir alle leiden mit Dir und Gott wird Dir beistehen . "
Eine tiefe Trauer schien über dem Hause zu liegen .
Jeder fürchtete , Jenny auf irgend eine Weise zu verletzen , ihr wehe zu tun .
Man wollte sie schonen , sie die ganze Größe der Liebe fühlen lassen , die man für sie empfand , und selbst Therese , der die obwaltenden Verhält Nisse kein Geheimnis bleiben konnten , hatte wahres Mitleid mit Jenny , die sich in stiller Ergebung zu fassen versuchte , was bei ihrem heftigen Charakter um so rührender erschien .
Ebenso traurig sah es bei Reinhard und seiner Mutter aus .
Ihn hatte Jenny's Brief wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel getroffen und er war Anfangs keiner Empfindung , keines Gedankens mächtig gewesen .
Nur das Bewußtsein , daß ihn ein großes unersetzliches Unglück getroffen habe , stand klar vor seiner Seele .
" Wie war das möglich , wie hatte das geschehen können ? " fragte er sich und saß in starrer Betäubung lange da , bis die Pfarrerin hinzukam und mit Schrecken den Ausdruck tiefen Jammers in den Zügen ihres Sohnes erblickte .
Sie fragte , was ihm geschehen sei , und statt aller Antwort reichte Reinhard ihr Jenny's Brief hin , der auch auf die Matrone den schmerzlichsten Eindruck zu machen nicht verfehlte .
" Das also ist das Ende aller meiner Hoffnungen " , rief er endlich und versank wieder in sein früheres Brüten .
" Ach , und Jenny " , sagte er dann , " was wird aus Dir mit Deinem heißen Herzen ? "
" Für das wird sich Trost finden " , meinte die Pfarrerin mit Bitterkeit .
Denn kaum hatte sie sich von dem ersten Schrecken erholt , als ihr mit erneuerter Deutlichkeit Theresens Behauptung einfiel , Jenny liebe Erlau und habe sich schon lange nicht glücklich in Reinhard's Liebe gefühlt .
Die Pfarrerin war eine verständige , welterfahrene Frau , sie war aber auch Christin und Mutter und tief verletzt in ihrem Glauben und in ihrem Sohne .
Unzählige verschiedene Verhältnisse hatte sie im Leben kennen gelernt .
Selbst in dem Kreise ihrer Bekannten gab es viele Juden , die zum Christentum übergetreten waren und glücklich und ruhig in demselben lebten .
Warum sollte Jenny allein , die ihr selbst so oft mit wahrer Erbauung von Jesu und seinen Lehren gesprochen , kein Heil zu finden im Stande sein an der Quelle , aus der Segen für die ganze Menschheit geströmt war ?
Jenny , die obenein Reinhard zum Lehrer gehabt , dessen innige fromme Überzeugung Jeden gewinnen mußte ?
An diesen Grund von Jenny's Zerrissenheit konnte sie nicht glauben , und tat sie es , dann schauderte sie vor dem Leichtsinne , mit dem das Mädchen einen Meineid begangen hatte .
Wer mit den heiligsten Dingen spielen konnte , bot auch dem Gatten keine Sicherheit .
Ebenso wie gegen Gott würde sie sich gegen ihren Ehemann versündigen , besonders da nur Erlau's würdiges Betragen sie abgehalten hatte , schon ihrem Bräutigam untreu zu werden .
Der Schmerz über die Leiden ihres Sohnes machte sie ungerecht , und ihre gekränkte Muttereitelkeit gewann so sehr über ihre Vernunft den Sieg , daß sie dem Sohne ihre Zweifel an Jenny's Aufrichtigkeit und ihre ganze Unterredung mit Therese mitteilte .
Kaum aber hatte sie es getan , als sie das Unheil zu bereuen anfing , das sie angerichtet .
Ein Funke , der in eine Pulvermine fällt , kann keine zerstörendere Wirkung hervorbringen , als die Worte seiner Mutter auf Reinhard .
Mit tiefer Wehmut hatte er Jenny's bis jetzt gedacht .
Sein Leiden und das ihre fühlte er gleichmäßig und vereint , und hätte sich alle Beredsamkeit der Welt gewünscht , um Jenny eine Überzeugung zu geben , welche es möglich machte , ihre Trennung zu verhindern , die für sie in den jetzigen Verhältnissen unvermeidlich wurde .
Nun , bei der Erzählung der Mutter , erwachte seine Eifersucht aufs Neue .
Sein altes Mißtrauen fing sich zu regen an und wie eine Furie verfolgte ihn unablässig der Gedanke , das Spielzeug in den Händen eines Mädchens gewesen zu sein , das ihn verwarf , sobald ein neuer Wunsch es gleichgültig gegen den früheren machte .
Er hatte sie so grenzenlos geliebt , er war bereit gewesen , ihr Alles , selbst seinen Stolz , sein Ehrgefühl zu opfern ; zu Almosen von der Hand ihres Vaters hatte er sich um ihretwillen erniedrigen gewollt , und nun er sich am Ziele wähnte , in ihre Hand seine Hoffnungen , seine geheimsten Wünsche legte -- nun besaß ein Anderer ihr Herz und sie entzog ihm ihre Hand unter einem Vorwande , der sie in seinen Augen verächtlich machte .
Jenny zu verlieren schien ihm ein Glück gegen die Pein , sie nicht mehr achten zu können ; sie , in deren junge Seele er selbst den Keim alles Großen und Schönen gepflanzt , die er als das schönste Werk des Schöpfers angebetet hatte .
Würde nur Jemand ihm warnend , beruhigend zur Seite gestanden haben , er hätte sich aus der Verwirrung der Leidenschaften leicht und schnell zurecht gefunden ; denn nur zu deut lich verriet ihm , so lange er selbständig urteilte , Jenny's Brief den Zustand ihres Herzens , und kein Zweifel an der Wahrheit ihrer Worte kam in ihm auf , bis die Mutter seinen Argwohn rege machte .
In ihrer Entrüstung achtete diese nicht auf die heißen , flehenden Bitten Jenny's , mit denen sie nichts sehnlicher verlangte , als Reinhard's Eigentum zu bleiben ; der Gedanke allein , Jenny weigere sich , Reinhard's Frau zu werden , sie schlage die Hand ihres Sohnes aus , ihr Gustav sei von seiner Braut abgewiesen , war ihr gegenwärtig und erbitterte sie um so mehr , als sie Grund hatte , auf ihren Sohn stolz zu sein , der diese Verbindung wie sein höchstes Glück erstrebt hatte .
Geschäftig , ihn zu trösten , hielt sie ihm das Unrecht vor , das man an ihm begehe , und steigerte dadurch sein eigenes Leiden so sehr , daß er , von Eifersucht und gekränktem Stolze ge trieben , in der ersten Aufregung seines leidenschaftlichen Schmerzes diese Antwort schrieb :
" Ein Mädchen , das Seelenstärke genug besitzt , den vertrauenden Mann , der mit glühender Liebe jeden Zweifel an sie für eine Todsünde gehalten , mit dem heiligsten Eide zu täuschen , wird die Kraft finden , eine Trennung zu ertragen , der mein Männermut zu unterliegen droht .
Wohl ihr , wenn diese Kraft sie auch vor Reue bewahrt . "
Anfänglich sollte das Alles sein , was er ihr sagen wollte , und seine Mutter , welche dies Blatt gelesen , beeilte sich , es abzusenden , weil es gerade so ihrer Gesinnung entsprach .
Aber ein anderer Geist , eine unsägliche Traurigkeit kam über Reinhard .
Er entriß das Blatt den Händen seiner Mutter , öffnete es nochmals und fuhr fort :
" Jenny , warum hast Du mir das getan ? "
Gab es kein anderes Spiel , als das mit meinem Herzen ?
Ich weiß jetzt Alles , weiß , daß mich mein Argwohn nicht betrog .
Du kannst mich nicht mehr täuschen .
Alle Bande zwischen uns sind gelöst , mein Gewissen verlangt , daß ich sie zerreiße , aber mein Herz blutet .
Ich fühle , daß ich kein Weib die Meine nennen darf , dem der heilige Glaube , welchen zu verkünden ich berufen bin , ein Spott ist .
Und doch könnte ich Dich lieben , könnte Dich segnen , wenn Du mir nur die Möglichkeit gelassen hättest , Dich zu achten .
Warum sagtest Du mir nicht , daß Du Erlau liebtest , daß nur er Dich beglücken könne ?
Für Dich wäre mir das Opfer nicht zu schwer gewesen .
Aber Du liebtest ihn und gelobtest mir Treue , Du verlachst meinen Glauben und schwörst , daß auch Dich Christus durch seinen alleinseligmachenden Tod mit dem Vater im Himmel vereint .
Jenny , wie durftest Du so grausam das Ideal zerstö Ren , das ich in Dir anbetete ?
Wie konntest Du Deine Seele , dies heilige , Dir von Gott vertraute Pfand , bis zu dieser Tat versinken lassen ?
Sage mir nicht , daß Du Dich getäuscht , das ist unmöglich , wenn Du es nicht wolltest .
Selbst Liebe entschuldigt die Lüge nicht , und diese Lüge ist es , die uns für ewig trennt , denn ich habe unwiederbringlich den Glauben an Dich verloren , in der ich alles Heilige und Wahre anbetete .
Lebe denn wohl , Du , die ich nimmer vergessen kann , die mir das größte Glück und das tiefste Leid meines Lebens gegeben .
Lebe wohl , Jenny , ich klage Dich nicht an , denn Du bist unglücklicher , als ich , der im Glauben eine Stütze finden wird .
O , wollte Gott , daß ich Dir den Glauben geben könnte zum Dank für die Seligkeit , die ich in Deiner Liebe gefunden ? "
So kam der Brief in Jenny's Hände .
Sie selbst vermochte ihn nicht zu lesen , ihre Hände zitterten , die Buchstaben schwammen vor ihren Augen .
Sie reichte ihrem Vater , der gerade bei ihr war , den Brief und fragte bebend : " Kommt er ?
Sage mir , ob er kommt , ich kann nicht lesen . "
Verneinend schüttelte der Vater das Haupt , nachdem er den Brief beendet , und gab ihn der Tochter wieder , die sich gewaltsam zusammennahm und ihn mit Todesangst durchflog .
Eine tiefe Ohnmacht , das einzige Glück , das ihr in dieser Stunde werden konnte , senkte sich auf sie nieder .
Als sie erwachte , las sie wieder und immer wieder den Brief , ohne zu begreifen , wie Reinhard an ihrer Liebe zweifeln könne , oder was der Gedanke bedeute , daß sie Reinhard um Erlau's Willen aufopfere .
Sie hatte sich gesagt , daß eine Trennung bei Reinhard's Gesinnung denkbar sei , aber für möglich hatte sie es nicht gehalten , trotz der Andeutungen ihres Vaters .
" Von dem Geliebten verachtet , ohne II. 7 Glauben , ohne Hoffnung , mir selbst eine Last , was bleibt mir im Leben ? " rief sie aus .
" Jenny ! " sagte der Vater verweisend und doch mit unaussprechlicher Liebe , zog seine Tochter in seine Arme und rief auch die Mutter herbei , daß sie Beide mit ihrer Liebe das Kind beschatten möchten vor dem versengenden Strahl des Schmerzes , der sie getroffen .
In tiefem Kummer schwanden Stunden und Tage für Jenny hin ; immer erwartete sie , Reinhard werde zur Erkenntnis kommen , er werde bereuen , und wenn auch eine Wiedervereinigung unmöglich sei , werde er dennoch kommen , um sie noch einmal zu sehen , um in Frieden von ihr zu scheiden .
Aber vergebens .
Und wieder verlangte Jenny , dem Geliebten zu schreiben , sie wollte ihm nur sagen , wie sie Niemanden liebe , als ihn , wie ihr der Argwohn in Bezug auf Erlau unbegreiflich und schmerzlich sei .
Sie bat , man möge ihr die Beruhigung gönnen .
Aber auch ihr Vater und die Ihren fühlten sich schwer gekränkt durch Reinhard's Betragen gegen Jenny , und der Vater fragte : " Erlaubt es Dein Stolz , Dich einem Mann zu nähern , der Dich so verkennt ? "
" Ich fühle keinen Stolz " , antwortete Jenny , " nur das Bedürfnis nach seiner Liebe , die mein höchster Stolz gewesen .
Nur seine Achtung will ich mir erhalten , er soll nicht wie einer Unwürdigen meiner denken , er soll mir glauben , daß ich ihn allein geliebt . "
" Nein " , sagte der Vater , " wenn Reinhard nur das leiseste Verlangen nach einer Erklärung ausspräche , würde ich jedem Deiner Wünsche in dieser Rücksicht meine Billigung geben .
Vor einem Manne aber , der seiner Braut die unwürdigste Wortbrüchigkeit zutraut und weder an ihre Liebe , noch an ihre Schwüre glaubt , vor dem soll meine Tochter sich mit keiner Bitte 7 * um Vertrauen erniedrigen .
Mit Reinhard's krankhaftem Ehrgefühl , mit alle seinen Forderungen hatte ich Nachsicht , denn er selbst verdiente Achtung und Du liebtest ihn -- jetzt indessen scheint es mir fast eine Wohltat , wenn ein Verhältnis sich löst , in dem Du nimmer glücklich werden konntest , sei es , daß Reinhard so gering von Dir dachte , als er es augenblicklich tut , oder auch , daß Heftigkeit sein Urteil so ganz verblenden , ihn so ungerecht selbst gegen seine Braut zu machen vermag .
Ich forder es als einen Beweis Deiner Liebe zu mir , daß Du keinen Versuch machst , Dich mit Reinhard zu verständigen , eine friedliche Lösung Eurer Bande herbeizuführen , wenn er es nicht ausdrücklich von Dir verlangt .
Du warst Reinhard's Braut , aber Du bist auch meine Tochter , auch die Ehre Deines Vaters muß Dir heilig sein , auch ihr mußt Du ein Opfer bringen können , ja , ich forder , daß Du es bringst . "
Und so geschah es .
Reinhard und Jenny sahen sich nicht wieder , niemals fand irgend eine Erklärung zwischen ihnen statt und ein Brautpaar , das mit glühender Sehnsucht nach innigster Vereinigung gestrebt hatte , war plötzlich und auf die schmerzhafteste Weise für immer getrennt .
Still und einsam verlebte man den Sommer in Berghof , da auch Therese einige Zeit nach diesen Ereignissen zu ihrer Mutter zurückkehrte .
Sie behauptete , zu Hause nötig zu sein , und Madame Meier sah es gern , als Therese selbst den Wunsch aussprach , sie zu verlassen , weil ihre Anwesenheit Jenny nicht angenehm zu sein schien .
Erst spät im Jahre kehrte man in die Stadt zurück und Jenny mußte sich allmählich wieder in Verhältnisse hineinleben , die ihr fremd geworden , da ihnen die Beziehung auf Reinhard genommen war .
Und als diesmal der Silvesterabend erschien , der im vorigen Jahre so glückliche Menschen im Meierschen Hause vereinte , war die Familie allein und nahm selbst Steinheim's Besuch nicht an , um Jenny's schmerzliche Erinnerungen zu schonen , obgleich man mit Dank sein Bestreben erkannte , den Freunden , mit denen er so viel frohe Stunden verlebt , auch am bösen Tage ein treuer Gefährte zu sein .
Wer Baden-Baden kennt , erinnert sich wohl der einzeln liegenden Häuser auf der Klosterwiese und der schönen Eichen vor einem derselben .
Im Schatten dieser Bäume saß an einem Junimorgen des Jahres 1841 eine Dame und zeichnete .
Es war eine kleine , feine Figur .
Lange rabenschwarze Locken fielen auf das Pa pier nieder und verbargen das Gesicht der Arbeitenden ; aber man war berechtigt , schöne Züge zu erwarten , wenn man von ihrer schmalen Hand und dem graziösen Fuß auf ihr Gesicht schließen sollte .
Ein sechsjähriger , hellblonder Knabe spielte in einiger Entfernung und versuchte vergebens , die Aufmerksamkeit der Dame auf sich zu ziehen .
Er kam endlich näher und rief : " Look my dearest aunt , there comes papa and Lord Walter . " --
Dann , als die Dame sich erhob , um die Kommenden zu begrüßen , sprang er fröhlich fort und bot den Herren in fremdklingendem Deutsch seinen Willkommen und guten Morgen .
" Ist Deine Mutter noch in ihrem Zimmer , Richard ? " fragte der Vater des Knaben .
" Nein ! " antwortete für ihn Jenny Meier -- denn sie war die Zeichnerin -- " nein , lieber Hughes ; Clara ist Ihnen mit der Wärterin und Luch entgegengegangen , um Ihnen von den neuesten Fortschritten zu erzählen , welche die Kleine gemacht hat .
Ich wundre mich , daß Sie ihr nicht begegnet sind .
Sie wollte am Goldbrünnlein auf Sie warten . "
" O , Schade ! " rief Hughes , " daß wir durch die Stadt gingen und sie verfehlten .
Ich will sogleich zurückkehren , sie zu holen , und ich denke , Sie bleiben hier bei Fräulein Meier , lieber Walter , und erwarten unsere Rückkehr . "
" Mit dem größten Vergnügen ! " antwortete der Angeredete , " wenn ich das Fräulein nicht in der Arbeit störe ! "
" Ach ! die kann ich später beenden " , sagte Jenny freundlich .
" Kommen Sie , Herr Graf , und beichten Sie , warum man Sie in den letzten Tagen gar nicht gesehen hat ? "
Walter tat , wie sie von ihm begehrte und Hughes ging mit seinem Knaben davon , die Mutter und das kleine Schwesterchen zu holen .
Während nun der Graf von seinen Aus Flügen und Streifereien in der Umgegend erzählt , sei es uns vergönnt , mit flüchtigen Umrissen den Zeitraum von acht Jahren auszufüllen , der zwischen der ersten und zweiten Hälfte unserer Erzählung liegt .
Der Schmerz über die Trennung von Reinhard hatte Jenny's Seele in ihren innersten Tiefen erschüttert und sie prüfend in ihr eigenes Herz blicken lassen , um dort einen Grund für Reinhard's ihr unerklärliches Betragen zu finden .
Es schien ihr leichter , Unrecht zu haben , sich selbst eines Fehlers zu zeihen , als Reinhard eine Schuld beizumessen :
denn wahre Frauenliebe klagt lieber sich , als den Geliebten an .
Nun ist das menschliche Herz recht eigent 7** lich der Acker , den man nur zu durchwühlen braucht , um die köstlichsten Schätze zu entdecken .
Auch Jenny fand in sich , statt des Unrechts , das sie in ihrem Herzen suchte , die Kraft , das Leben zu ertragen , es trotz seiner Schmerzen zu lieben .
Sie gewann es über sich , fremdes Glück und Leid zu dem ihren zu machen und im Wohlwollen gegen die Menschheit Trost für einen Verlust zu finden , der ihr unersetzlich schien .
Als Herr Meier sie so weit beruhigt und fähig sah , sich durch den Wechsel äußerer Gegenstände zerstreuen zu lassen , machte er den Vorschlag zu einer Reise , die im Beginn des Frühjahrs angetreten wurde .
Man ging nach dem südlichen Frankreich , verlebte einen Winter in Paris und besuchte Italien im folgenden Jahre .
Hier war es , wo Jenny den Maler Erlau wiederfand , dessen Name aus der Ferne ruhmvoll erklungen war , und dessen Meisterwerke sie in Paris zu bewundern Gelegenheit gehabt .
Das Wiedersehen war ein Moment tiefer Bewegung für Beide .
Erlau , seinem Vorsatz getreu , hatte außer aller Verbindung mit seinen Freunden gelebt ; er wähnte Jenny längst mit Reinhard verheiratet und die Entdeckung des Gegenteils erfüllte ihn mit den freudigsten Hoffnungen .
Von der Stunde an wurde er Jenny's Führer in der Wunderwelt , die sich in Italien vor ihren Augen erschloß und die ihren vollen Zauber auf zwei so lebhaft fühlende Menschen auszuüben nicht verfehlte .
Aber nicht lange sollte Jenny diese Wonne ungetrübt genießen .
Sie gewahrte mit Schmerz , daß Erlau's Leidenschaft für sie nicht erloschen sei , daß sie jetzt in dem täglichen Beisammensein wieder heftig entbrannte und sich von Hoffnungen nährte , die Jenny nicht zu erfüllen vermochte .
Dies veranlaßte Herrn Meier , auf Jenny's Wunsch , Italien zu verlassen und rief Erlau's Erklärung hervor , daß auch er entschlossen sei , der Meierschen Familie zu folgen und bald in seine Heimat zurückzukehren .
Je weniger Jenny dieses erwartet hatte , um so mehr hielt sie es für Pflicht , alle jungfräuliche Schüchternheit zu überwinden und sich frei gegen Erlau über ihr gegenwärtiges Verhältnis zu erklären .
Sie gestand ihm , wie jetzt , kaum genesen von unsäglichem Leiden , ihr der Gedanke an eine neue Liebe unmöglich sei .
Sie beschwor ihn , um seiner und ihrer Ruhe Willen , ihr nicht zu folgen .
Sie sagte ihm , wie wert er ihr sei , wie sie hoffe , statt seiner Liebe einst seine Freundschaft zu erwerben , und erlangte endlich von ihm das Versprechen , daß er nach England gehen und dort in William's und Clara's Nähe leben wollte , da er versicherte , ohne Jenny jetzt in Italien nicht ausdauern zu können .
So trennten sie sich zum zweiten Male und Jenny kehrte nach einer Abwesenheit von anderthalb Jahren in ihre Heimat zurück .
Hier fand sie in den äußeren Verhältnissen nur wenig verändert .
Eduard ging ruhig und ernst die Bahn , welche er sich vorgezeichnet hatte .
Berühmt und unermüdlich in seinem ärztlichen Beruf , hatte er zugleich unverwandt das Wohl und den Fortschritt seines Volkes im Auge , dessen freie Entwicklung aber nur dann möglich war , wenn überhaupt eine freie , zeitgemäße Verfassung in seinem Vaterlande Raum fand .
Sein eifriges Bestreben zur Erreichung dieses Zieles beizutragen und , der Gesamtheit nützend , zugleich sein Volk zu erlösen , verband ihn mit vielen Gleichgesinnten aus allen Ständen .
Die Besten des Landes erkannten seine Fähigkeit und die hohe Uneigennützigkeit seines Charakters ; denn die Hoffnung , nach erlangter Emanzipation , für sich selbst Würden und Ehrenstellen zu erwerben , hatte ebenso wenig Einfluß auf ihn , als die Furcht vor jenen Verantwortungen , denen sein kühnes Wort und seine freisinnigen Schriften ihn bereits häufig unterworfen hatten .
Ihm genügte sein Bewußtsein und die achtende Anerkennung seiner Mitstrebenden .
-- Noch immer lebte er in seinem väterlichen Hause .
Sei es , daß seine Tätigkeit ihn so ganz absorbierte und ihn sein Alleinstehen nicht fühlen ließ , oder daß er kein Mädchen gefunden hatte , das seine Neigung erregte , er war bis jetzt unverheiratet geblieben .
Den Eltern Clara's , welche sie scheidend seiner Sorgfalt empfohlen , war er ein treuer und geschätzter Freund geworden .
Ihm , das wußten sie jetzt , verdankten sie das Glück ihrer Tochter , das in einer vollkommen übereinstimmenden Ehe mit William immer schöner erblühte .
In Eduard's Brust schüttete die Kommerzienräten ihren Kummer über das Schicksal ihres Sohnes aus , der unstet Deutschland und Frankreich durchstreifte und , von seiner Frau beherrscht , ein unwürdiges Leben führte .
Ferdinand fühlte bereits das Elend und die Schande , in die er sich gestürzt , aber er war zu schwach , die Sklavenketten zu brechen , die ihn entehrten .
Auf den ausdrücklichen Wunsch der Hornschen Familie , war Eduard mit ihm in Verbindung getreten , und da es ihm gelungen , Ferdinands Vertrauen zu gewinnen , gab er die Hoffnung nicht auf , es werde ihm einst möglich sein , den Verlorenen seiner Familie wiederzugeben .
Mit herzlicher Freude empfingen Eduard und der treue Joseph die heimkehrenden Lieben .
Der Anblick jener Räume , in denen sie so glücklich gewesen und so unendlich gelitten hatte , erweckte in Jenny's Brust die wehmütigsten Erinnerungen , und sobald sie sich mit Eduard allein sah , wagte sie nach Reinhard zu fragen , was sie in ihren Briefen nie getan .
Sie wußte , daß er sein Amt angetreten und die ungeteilte Liebe und Achtung seiner Gemeinde erworben hatte .
Das hatte ihr Therese mitgeteilt , deren Mutter bald nach der Abreise der Meierschen Familie gestorben war .
Seit aber Therese eine Gouvernantenstelle auf dem Lande angenommen , hatte Jenny auf einige Briefe , die sie ihr schrieb und in denen sie ihr die freundschaftlichsten Anerbietungen machte , keine Antwort erhalten .
Um so unerwarteter traf sie die Nachricht , Therese habe durch Vermittlung der Pfarrerin jene Stelle , ganz in der Nähe von Reinhard's Wohnort , erhalten und sich vor wenigen Wochen mit ihm verlobt .
Als Jenny dies erfuhr , zog ein trübes Lächeln um ihren Mund , und Eduard drückte ihr schweigend die Hand .
Er und Joseph schienen sich jetzt Jenny's Zufriedenheit gleichsam zum Zweck ihres Lebens gemacht zu haben ; und in beglückender Eintracht , in friedlicher Ruhe schwanden der Meierschen Familie einige Jahre nach ihrer Rückkehr dahin .
Treffliche Männer hatten sich um Jenny werbend ihr genaht , die Wünsche von Jenny's Eltern hatten sie unterstützt , aber kein Erfolg ihre Bemühungen gekrönt .
Wagte die besorgte Liebe ihrer Mutter , ihr je zuweilen Vorstellungen deshalb zu machen , so bat Jenny , man möge Nachsicht mit ihr haben , denn es sei ihr unmöglich , die Wünsche zu erfüllen , die man für sie hege .
" Ich bin ja zufrieden und glücklich , liebe Mutter ! " sagte sie dann ; " ich habe Dich , Vater , Eduard , Joseph und Alles , was nur irgend mein Herz begehrt , an Liebe und Schonung .
Würde ich das in dem Hause eines Mannes finden , den ich nicht liebte ? "
Und da alle Zumutungen und Gespräche dieser Art Jenny sichtlich für längere Zeit verstimmten , war es Herr Meier selbst , der seiner Frau anriet , nicht in Jenny zu dringen , sondern ruhig eine Zukunft zu erwarten , in der die Erinnerung an Reinhard ihren Einfluß auf Jenny verloren haben und die Vorschläge ihrer Freunde leichter Gehör bei ihr finden würden .
Aber diesen Zeitpunkt sollte Madame Meier nicht erleben ; ein plötzlicher , schmerzloser Tod entriß sie ihrer Familie .
Wie tief der Verlust empfunden wurde , wie er die Engverbundenen nur noch fester aneinander schloß , wie Jeder die Lücke auszufüllen strebte , die dadurch in den Herzen der Anderen entstanden war , bedarf kaum einer Erwähnung .
Nun stand Jenny allein an der Spitze ihres Hauses , auf sie war ihr Vater gewiesen .
Dies Bewußtsein erhob sie in ihren eigenen Augen und tilgte jeden anderen Wunsch aus ihrem Herzen , als den für ihren Vater zu leben und sein Alter zu verschönen .
Jene religiösen Zweifel , welche einst das Glück ihrer ersten Jugend untergraben , waren längst und glücklich besiegt .
Eigenes Nachdenken und der Beistand ihres Vaters hatten sie zu dem Standpunkt einer Gottesverehrung geführt , zu dem ihre ganze Erziehung sie hingeleitet hatte .
Geistig frei und mit klarstem Bewußtsein , die zärtlichste Tochter , der Trost aller Leidenden und doch wieder die elegante , geistreiche Wirtin ihres gastfreien , vä terlichen Hauses , so erschien Jenny , nachdem der Schmerz über den Tod ihrer Mutter sich gemildert hatte .
So finden wir sie auch einige Wochen nach ihrer Vereinigung mit Clara in Baden wieder .
Der Wunsch , sich zu sehen , war bei beiden Freundinnen gleich mächtig geworden , doch hatten Umstände mancher Art die Erfüllung desselben bis jetzt unmöglich gemacht und mit inniger Freude trafen sie nach achtjähriger Trennung in Baden-Baden zusammen .
Dort hatte man sich rendez-vous gegeben und wollte später gemeinschaftlich in die Heimat der Damen zurückkehren , um Clara's beide Kinder den Großeltern vorzustellen .
Anfänglich sollte auch Erlau , der sich ganz in England angesiedelt und dort eine ehrenvolle Stellung erworben hatte , William nach Deutschland begleiten .
Die unruhige , rasche Lebhaftigkeit des Jünglings war aber in dem Manne nicht erloschen und er hatte den Wunsch , sein Vaterland und seine Freunde zu sehen , aufgegeben , um sich einer englischen Gesandtschaft nach dem Orient anzuschließen , bei der sein Hang für das Ungewöhnliche volle Befriedigung zu finden hoffen durfte .
Die beiden befreundeten Familien hatten nun , sobald sie in Baden angelangt waren , absichtlich ihre Wohnung außerhalb der eigent Lichen Stadt genommen , um allein in dem Besitz des gemieteten Hauses und in der freien , ländlichen Natur zu sein .
Man wollte sich selbst leben und Jenny war gar nicht damit zufrieden , als William ihr gleich nach ihrer Ankunft erzählte , wie er in einigen Tagen einen Freund , den Grafen Walter , erwarte , den er ihr als einen Genossen für die Zeit ihres Aufenthalts in Baden ankündigte .
Graf Walter gehörte einer der ältesten Familien Deutschlands an .
Wie die meisten Jünglinge seines Standes früh in das Militär getreten , war er mit seinem Regiment in die Vaterstadt Clara's gekommen und in ihrem elterlichen Hause fast mit allen Personen unserer Erzählung bekannt , mit Hughes befreundet geworden .
Später hatte er den Dienst verlassen , bedeutende Reisen gemacht und war , um sich zur Übernahme seiner Güter in landwirtschaftlicher Beziehung vorzubereiten , auch nach England gegangen , wo er aufs Neue mit William und Clara zusammentraf .
Auf ihre Bitten war er ihr Gast geworden , so lange er in England verweilte , und noch jetzt rechnete er die Zeit , welche er mit ihnen , teils in London , teils in dem reizenden Hugheshall verlebt hatte , zu den anmutigsten Erinnerungen seines genußreichen Lebens .
Nichts konnte ihm also willkommener sein , als die die zufällige Begegnung mit jenen Freunden an den Ufern des Rheines ; und unabhängig , wie er es in jeder Beziehung war , ließ er sich bereitwillig finden , den Sommer mit ihnen in Baden zuzubringen .
Jenny hatte er früher nur flüchtig gesehen , aber obgleich er sie nicht näher kannte , erinnerte er sich dunkel , von einer Liebe Jenny's zu einem jungen Theologen gehört zu haben .
Jetzt hatte er von Clara , auf sein Anfragen , einige Details über Jenny und die Lösung jenes Verhältnisses erfahren und war , durch Clara's und William's Erzählungen , gespannt auf die Bekanntschaft eines Mädchens geworden , von dem beide Gatten mit Interesse sprachen .
Trotz der günstigen Vorurteile aber , fand er doch in Jenny bald noch mehr , als er erwartet hatte ; und auch Herr Meier und Jenny wußten es William Dank , den Grafen für ihren kleinen Kreis gewonnen zu haben , da auch ihnen der Umgang des hochgebildeten Mannes große Freude gewährte .
Nachdem Walter an jenem Morgen Jenny den verlangten Bericht abgelegt , bat er um die Erlaubnis , die Arbeit zu besehen , mit der sie sich beschäftigt hatte , als er ankam .
Bereitwillig nahm sie ihr Skizzenbuch wieder vor und zeigte ihm eine Gruppe von Bäumen , die sie am Tage vorher in der Nähe des kleinen Wasserfalls entworfen hatte .
" Ich kann es nicht ausdrücken " , sagte Jenny , " wie ich diese schönen , großen Bäume liebe .
Sie geben mir immer ein Bild unseres Lebens , das fest in der Erde gewurzelt , doch sehnsüchtig himmelan strebt , und in dem Spiel der sonnenbeschienenen Blätter liegt außerdem für mich ein hoher Genuß .
Die schönsten Träume meiner Kindheit , die rosigsten Märchen gaukeln an mir vorüber und alle Wunder der Feenwelt scheinen mir möglich , wenn ich das flüsternde Kosen der Blätter höre . "
" Das ist eine echt deutsche Empfindung " , bemerkte Walter , " die ich vollkommen begreife und mit Ihnen teile .
Ich bin so glücklich , in meinem Park die herrlichsten Eichen zu besitzen und weiß meinen Voreltern Dank , die mir jene Bäume gepflanzt .
Auch für mich sind sie eine Quelle immer neuen Genusses , wie die ganze Natur , die uns umgibt .
Sie schreitet mit uns fort , sie lebt mit uns , sie hat Antwort für unsere Fragen , und es ist für mich das Zeichen eines wahren Dichters , wenn er die Sprache versteht , welche die Natur in seinen Tagen zu den Menschen spricht . "
" Glauben Sie denn " , fragte Jenny , " daß die Einwirkung der Natur auf das Gemüt des Menschen nicht zu allen Zeiten dieselbe blieb ? "
" In sofern gewiß " , antwortete der Graf , " als sie immer die höchsten , heiligsten Empfindungen seiner Seele anregt .
Aber je nachdem diese Gefühle sich im Laufe der Zeiten ändern , wechselt auch der Eindruck , den sie auf uns macht .
Der heitere Grieche sah in den schönsten Bäumen seines Waldes liebliche Dryaden , die ihn mit Liebe umfingen .
Dem deutschen Mittelalter predigten sie den Ernst , der auch in den düstern Domen gelehrt wurde , sie spra II. 8 chen ihm von dem Kreuz , das aus ihrem Holze gezimmert worden .. "
" Uns uns " fragte Jenny lebhaft .
" Uns weisen sie hinauf in die Region der Klarheit , uns predigen sie Freiheit und Licht mit ihren himmelan strebenden Zweigen " , sagte Walter mit schöner Erhebung .
Dann , als er sah , daß Jenny ihm erfreut zuhörte , fuhr er nach einer Weile fort : " Wie Heine das Meer , so hat Carl Beck die Baumwelt begriffen .
Er versteht , was jetzt in den Ästen rauschet und aus dem Gelispel der Zweige tönt , und ich halte ihn für einen Dichter , weil ihm die Natur nicht jene alten längst vergessenen Ammenmärchen , sondern die großen Gedanken unserer Tage vertraut .
Das scheint überhaupt bei einigen der jüngern Talente der Fall zu sein .
Es ist , als wolle ein neues , kräftiges Leben in der Poesie sich entfalten , und ich hoffe , wir werden nun endlich eine Menge veralteter , steh reotyp gewordener Bilder los , von denen viele für die jetzige Zeit noch obenein ganz ungenügend und verkehrt sind . "
" Verkehrt ? " wiederholte Jenny und fragte mit steigendem Interesse : " und welche rechnen Sie dazu ? "
Walter sann einen Augenblick nach , dann sagte er :
" Um gleich eines der gewöhnlichsten zu nennen :
Das Bild des Baumes und des Schlingkrautes für die Ehe .
Sie glauben nicht , Fräulein !
wie müde ich dieser ewigen Eichen bin , an die sich zärtlich Efeu schmiegt ; der Ulmen , an denen die Rebe sich vertrauend emporrankt .
Leider sind viele Ehen so wie diese !
Wie mancher Baum , der in angeborenem Naturtrieb hoch und kühn emporstrebt und sich von einer kümmerlichen Pflanze umrankt findet , die weder ihn zurückzuhalten noch sich aufzuschwingen und zu gedeihen vermag in einer 8 * Höhe , für die sie nicht geschaffen ist !
Aber schlimm genug , daß es so ist , und kein Dichter dürfte dies Bild brauchen , wenn er das Ideal schildern will , das von dieser innigsten Vereinigung in uns lebt .
Das Gleichnis ist falsch ! " schloß er und sah verwundert auf Jenny , die während er gesprochen , den Stift aufgenommen hatte und mit dem größten Eifer zeichnete .
Nach einigen Minuten reichte sie dem Grafen , der über ihre scheinbare Zerstreutheit ein wenig verletzt und schweigend neben ihr saß , ihre Zeichnung hin und fragte :
" Und so Graf Walter ? befriedigt dies Gleichnis Sie mehr ? "
Sie hatte mit kunstgeübter Hand eine vortreffliche Skizze entworfen .
Zwei kräftige , üppige Bäume standen dicht nebeneinander , frisch und fröhlich emporstrebend , mit eng verschlungenen Ästen .
Darunter las man die Worte :
" Aus gleicher Tiefe , frei und vereint zum Äther empor ! "
Walter betrachtete das kleine Bild mit Freude ; sah dann mit einem Ausdruck hoher Bewunderung in Jenny's glühendes Gesicht und sagte :
" So vermag man nur das wiederzugeben , was tief empfunden in uns selbst lebt .
Schenken Sie mir dies Blatt , als Zeichen , wie unsere Gesinnung in dieser Beziehung übereinstimmt .
Ich bitte , lassen Sie es mir ! "
" Nein ! " antwortete Jenny , " wenn Ihnen die kleine Zeichnung gefällt , wenn sie Ihnen richtig scheint , werden Sie es natürlich finden , daß ich sie meinen schönen Vorbildern dediziere ; daß ich sie Clara gebe , welche eben mit ihrem Manne und den Kindern über die Brücke kommt .
Auch mein Vater ist mit Ihnen !
Lassen Sie uns ihnen entgegengehen . "
Es war ein gar erfreulicher Anblick , die Familie zu sehen , als sie über die Wiese dahinschritt .
William nun gegen das Ende der dreißiger Jahre , war ein Bild selbstbewußter , kräftiger Männlichkeit , wie man es in England häufig findet .
Er und die blühend schöne Mutter führten die kleine Lucy in ihrer Mitte , die seit einigen Tagen die ersten Versuche machte , auf den eigenen Füßchen fortzukommen und mit aller Gewalt dem Bruder nachlaufen wollte , der fröhlich jubelnd voransprang .
Man konnte kein anmutigeres Bild ehelichen Glückes finden und Walter's Augen suchten Jenny , die aber bereits plaudernd am Arme ihres Vaters hing und nur allein mit ihm beschäftigt war .
Nachdem man sich niedergelassen und eine lange Zeit mit den lieblichen Kindern vertändelt hatte , sagte William zu Walter :
" Ich habe gewünscht , daß wir alle beisammen wären , ehe ich Ihnen einen Plan enthülle , den ich schon seit einigen Tagen in mir ausgebildet habe .
Ich wollte Ihnen vorschlagen , jetzt , wie einst in England , unser Hausgenosse zu werden , um die flüchtige Zeit unseres Beisammenseins recht zu genießen .
Sie finden Raum genug bei uns und sollen durchaus nicht geniert sein .
Auch für Ihre Dienerschaft , Ihre Equipage ist hinreichend Platz , und wie sehr es mich erfreuen würde , Sie wieder einmal als meinen Gast zu sehen , bedarf keiner Versicherung . "
Herr Meier vereinte seine Bitte mit William's , und ohne lange zu überlegen , nahm Walter den Vorschlag unbedingt und mit sichtlichem Vergnügen an .
Man machte Entwürfe , wie man sich einrichten wolle , um so viel als möglich mit einander zu sein und doch Jedem die nötige Ruhe und Freiheit zu gönnen , ohne welche auf die Länge keine behagliche Existenz denkbar ist ; und man trennte sich erst , nachdem man übereingekommen war , Walter solle noch im Laufe des Tages sein Hotel verlassen , um sich gleich heute bei seinen Freunden zu etablieren .
Als er fortgegangen war , bemerkte Jenny :
" Mir hat die Art sehr gefallen , mit der Walter William's Erbieten annahm .
Ein Anderer hätte vielleicht Einwendungen gemacht , das Bedenken geäußert , er könne beschwerlich sein und zuletzt sich in Danksagungen erschöpft , wenn er die Einladung angenommen hätte .
Von dem Allen tat Walter nichts .
Er dachte offenbar im ersten Augenblick nur daran , ob es ihm selbst zusagend sei ; dann , als er sich davon überzeugt , sagte er , ohne weitere Umstände :
" Ich komme mit großer Freude , wenn Sie mich haben wollen ! " und doch lag gerade in dieser Einfachheit für mich etwas besonders Angenehmes . "
" Das ist es auch ! " bestätigte Herr Meier .
" Es spricht sich darin ein festes Zutrauen zu dem Freunde und zu sich selbst aus ; die Überzeugung , er wisse , wie willkommen er seinen künftigen Wirten sei , und die Versicherung , er sei ihnen gern verpflichtet .
Überhaupt charakterisiert sich ein edles Gemüt , ein freier , durchgebildeter Sinn am meisten in der Art , mit welcher man Dienste empfängt und Gefälligkeiten annimmt .
Sie auf eine schickliche Weise zu leisten , erlernt Mancher . "
" Ach ! auch das ist nicht jedes Menschen Sache ! " wandte William ein .
" Wie oft erdrückt man uns mit der Art , in der man sich uns dienstwillig und gefällig zeigt ! "
" Eben weil man es nicht ist ! " erwiderte Herr Meier .
" Weil man sich das für eine Tugend , für eine Pflichterfüllung , oder gar für ein Opfer auslegt , was dem wohlwollenden Charakter ganz einfach und natürlich erscheint .
Wer bereit ist , Anderen zu dienen und gefällig zu sein , wer empfunden hat , wie viel Freude darin liegt , der gönnt diesen Genuß auch den Übrigen und nimmt Hilfsleistungen und Gefälligkeiten so gern und unbefangen an , als er sie erzeigt .
Er weiß , daß Geben seliger sei als 8** Nehmen , und daß die Befriedigung des Gewährenden gewiß ebenso groß ist , als die des Empfangens .
Darum habe ich Vertrauen zu Personen , die mit guter Art " anzunehmen " verstehen , ohne innerlichen Vorbehalt , durch einen Gegendienst bald möglichst quitt zu werden oder zu vergelten .
Dies Vertrauen hat mich fast niemals betrogen und findet in Walter aufs Neue seine Bewährung .
Damit aber auch er sich nicht getäuscht finde , wollen wir doch selbst einmal zusehen , daß Alles für ihn bereit sei , wenn er kommt . "
Mit diesen Worten erhob sich Herr Meier und entfernte sich mit William , um die nötigen Anordnungen treffen zu lassen .
So sehr Jenny und Clara über dies Wiedersehen in Baden erfreut gewesen , so lieb sie einander waren , so konnte es Beiden doch nicht verborgen bleiben , daß es ihnen eigentlich an jenen gemeinsamen Berührungspunkten fehle , welche die Basis der Freundschaft machen .
Sie hatten im Ganzen nur wenig Monate zusammen verlebt und eine Reihe von Jahren war seitdem verflossen , sodaß trotz eines fleißigen Briefwechsels die Damen sich ziemlich fremd geworden waren und sich nicht recht ineinander zu finden wußten .
Wie Clara's ganze Erscheinung Glück und Zufriedenheit ausdrückte , wie jeder Zug die Wonne aussprach , welche sie als Gattin und Mutter empfand , so zeigte sich auch in ihrer geistigen Richtung eine gewisse Ruhe , ein abgeschlossenes Begnügen .
Sie hatte die höchsten Schätze des Lebens erreicht und , obgleich sie für die Außenwelt nicht abgestorben war , interessierte sie dieselbe doch ei gentlich nur in so weit , als sie William berührte und mit seinen Wünschen und Ansichten zusammenhing ; denn nach schöner Frauen Art lebte sie nur in ihrem Manne und in ihren Kindern .
Jenny hingegen wollte , durch Eduard daran gewöhnt , Teil nehmen an allem Großen und Wichtigen .
Mit weiblicher Schwärmerei hing sie an den Planen und Hoffnungen Eduard's , nicht um seinetwillen allein , sondern weil sie auch die ihren geworden waren .
Geistige und künstlerische Beschäftigungen füllten die größte Zeit ihres Tages aus und mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit strebte sie nach neuen Kenntnissen , nach höherer , vielseitiger Ausbildung der Anlagen , die sie ungenützt in sich fühlte .
Mit schmerzlichem Lächeln sah Clara auf dieses Treiben Jenny's hin .
Sie glaubte in sich die Erfahrung gemacht zu haben , daß bei Frauen die lebhafte Teilnahme an den Er Scheinungen der Außenwelt ein Zeichen inneren Unbehagens sei , ein Surrogat , mit dem sie sich für ein Glück entschädigen , das ihnen nicht geworden .
Jenny hingegen erschien Clara's Wesen als eine Resignation , die sie bewunderte , ohne zu glauben , daß sie selbst im Stande wäre , Glück oder Zufriedenheit darin zu finden .
Bei so verschiedenen Ansichten wurde eine gegenseitige Schonung derselben zur Pflicht , und da die ersten Versuche sich zu verständigen , ohne Erfolg geblieben waren , vermied man jede Unterhaltung der Art und Jenny war nahe daran , ihr Beisammensein mit Clara etwas einförmig zu finden , als durch Walter's tägliche Anwesenheit eine erwünschte Abwechslung in ihr Leben kam .
Bald war dieser ihr steter Begleiter bei den Promenaden , zu denen die Umgegend Badens so unwiderstehlich lockt .
Vor ihm ließ sie sich sorglos in ihrer eigentümlichen Denkweise ge hen und Walter , der dadurch Jenny's hohen Wert täglich mehr erkennen und schätzen lernte , äußerte nach einiger Zeit gegen William und Clara , daß Jenny ihm vor allen Frauen interessant und bedeutend erscheine .
" Und nicht auch schön ? " fragte Clara .
" Sehr schön ! " antwortete der Graf " , und um so anziehender , als man ihren Augen anzusehen glaubt , daß sie schon geweint , ihrem Munde , daß er einst vor Schmerz gebebt .
Solch feucht verklärten Augen gegenüber fühlt man den Beruf zu trösten , zu vergüten , und so ruhig heiter Jenny auch erscheint , ist mir doch immer , als hätte die Zukunft bei ihr noch Vieles gut zu machen , als müsse sie durch Glück für früheres Leid entschädigt und belohnt werden . "
" Das klingt sehr warm , lieber Graf ! " sagte William scherzend , " und fast , als ob Sie nicht abgeneigt wären , die Entschädigung zu übernehmen .
Hüten Sie sich vor den feucht verklärten Augen . "
" Sie tun mir Unrecht " , entgegnete Walter , " wenn Sie meinen Worten irgend einen anderen Sinn unterlegen .
Daß ich Jenny Meier so innig bewundre , ohne sie zu lieben , das gerade macht mir ihren Umgang so anziehend und erhöht den Reiz , den ihr scharf ausgeprägter Charakter , ihr selbständiges Wesen für mich haben . "
In dem Augenblick kam der kleine Richard herbei und rief : " O kommt doch Tante Jenny sehen , kommt doch an das Fenster ! "
Man folgte ihm dorthin und erblickte Jenny , die eine junge leichenblasse Frau niederen Standes unterstützte , während sie das Kind derselben auf dem Arme trug .
Walter flog die Treppe hinab , um ihr beizustehen ; denn es war Mittag , die Sonne brannte glühend heiß und Jenny schien erschöpft von der ungewohnten Anstrengung .
" Führen Sie die Frau ins Haus " , sagte Jenny , als Walter dazu kam , " aber behutsam .
Das Kind behalte ich . "
Walter erfüllte ihren Wunsch , und nachdem man für die arme Kranke gesorgt hatte , erzählte Jenny , wie sie dieselbe ohnmächtig am Wege gefunden , sie durch ihre Bemühungen ins Leben gerufen und mit unsäglicher Anstrengung bis hierher gebracht , da jetzt in der Mittagsstunde Niemand die Straße gekommen sei , den sie um Hilfe hätte bitten können .
" Nicht Ein Mensch war zu sehen " , sagte sie .
" Ich blickte nach allen Seiten , ich rief so laut ich konnte und der unerträglichste Stutzer wäre mir ein hülfreicher Götterbote gewesen , wenn er in dem Augenblicke erschienen wäre . "
" Es ist besser so ! " meinte Clara .
" Du hast die arme Frau glücklich hierher gebracht und bist allen Bemerkungen entgangen , die man darüber leicht gemacht hätte . "
" Zu diesen bot wohl eine so einfache Handlung keinen Anlaß " , sagte Jenny unbefangen .
" Ich konnte doch unmöglich die Frau allein und hülflos liegen lassen , bis ich von hier oder aus der Stadt Beistand geholt hätte .
Zudem hätte ich das schreiende Kind doch mit mir nehmen müssen und endlich weißt Du , liebes Klärchen , daß mir die Urteile der Menge sehr gleichgültig sind , wenn ich Das , was ich tue , vor mir und meinem Vater verantworten kann . "
In Jenny's Worten , in ihrem ganzen Wesen lag in diesem Moment soviel Natürlichkeit und doch ein so edler Stolz , daß Walter sie mit Entzücken betrachtete , obgleich auch ihm der Gedanke unangenehm gewesen , man hätte Jenny in jener Situation beobachten und sie falsch beurteilen können .
" Wie wir doch nach allen Seiten hin auf Widersprüche in den Sitten unserer sogenannten zivilisierten Welt stoßen ! " sagte Walter zu Herrn Meier , der indes dazu gekommen war .
" Wäre eine der Dienerinnen des Hauses der Unglücklichen begegnet , und hätte sich ihrer angenommen , so würden wir das schön und lobenswert gefunden haben ; und nun tadelt man Fräulein Jenny , daß sie nicht unbarmherziger zu sein vermochte , als Jene , obgleich der Dienst , den sie leistete , größer war , denn er mußte ihr beschwerlicher scheinen . "
" Sie billigen also die Handlung meiner Tochter unbedingt ? " fragte Herr Meier .
Walter stockte einen Augenblick und meinte dann :
" Wenigstens hätte ich selbst nicht anders zu handeln vermocht . "
" Aber Sie würden wünschen " , sagte der alte Herr , " daß Jenny auf keine zweite Probe der Art gestellt würde , denn wir wollen einmal kein Mädchen von der gewohnten Sitte ihres Standes abweichen sehen .
Dennoch ehre ich ein Gefühl , das in solchen Augenblicken rücksichtslos zu handeln vermag , ohne an das qu' ohne dira l'on ? zu denken ; und ich bin vielleicht selbst Schuld daran , wenn Jenny das Urteil der Leute nicht zu hoch anschlägt .
In meinen Verhältnissen war es mir Pflicht , meine Kinder bis zu einem gewissen Grade gleichgültig gegen die öffentliche Meinung zu machen , die wir ein für allemal gegen uns hatten und deren Einfluß auf uns und auf Jeden doch viel größer ist , als wir glauben wollen . "
Clara , die gleich Anfangs ihre Äußerung bereut hatte und es nun doppelt tat , da sie Herrn Meier zu einer Erklärung bewogen , welche er ebenso gern vermied , als Eduard sie suchte -- Clara sagte :
" Versteht mich nicht falsch !
Ich tadle Jenny nicht .
Nur vor der Verderbtheit Derjenigen war mir bange , welche ihr irgend ein unlauteres Motiv , ein Schaustellen dabei zur Last legen könnten .
Wir Frauen sind so sehr gewöhnt , uns nur innerhalb unseres schützenden Hauses zu denken , daß wir erschrecken , wenn wir uns außerhalb desselben handelnd erblicken . "
" Entschuldige Dich nicht und mich nicht , Klärchen ! " sagte Jenny , die bis dahin schweigend einer Unterhaltung zugehört hatte , bei der sie so nahe beteiligt war . " Du kennst meinen alten Wahlspruch :
" Tue , was Du sollst , komme , was mag . "
Kann ich dafür , wenn ich den Mut dazu von früher Jugend an fühlte ? "
Mit diesen Worten entfernte sie sich schnell , um nach ihrem Schützling zu sehen , und ließ Walter in großer Bewegung zurück .
Es war das erste Mal , daß er mit einer jüdischen Familie in nähere Berührung kam und Jenny's Geist und Schönheit , des Vaters Weisheit zogen ihn um so mehr an , als sie etwas ihm Fremdes und Eigentümliches besaßen .
Er hatte von jeher gewußt , daß Jenny eine Jüdin sei ; aber so fern hatte er diesen Verhältnissen gestanden , daß er fast nie daran gedacht , es könne ein edles Unglück darin liegen , Jude zu sein .
Jetzt aus des alten Herrn schlichter Äußerung tönte ihm , dem Glücklichen , der Schmerzensschrei eines ganzen Volkes entgegen und sein Mitleid mit demselben knüpfte , ihm unbewußt , ein neues Band , das ihn an Jenny fesselte .
Er widmete sich ihr bald ausschließlich und hatte eine wahre Freude daran , sie , die er so lebhaft bewunderte , selbst unter der großen Zahl schöner und liebenswürdiger Frauen , die Baden in sich vereinte , als eine der schönsten und liebenswürdigsten zu erblicken .
Er wenigstens wollte durch sein Verhältnis zu Jenny und ihrem Vater zeigen , daß er frei von den Vorurteilen sei , durch die , wie er allmählich von Jenny erfuhr , auch sie und die Ihrigen so empfindlich gelitten hatten .
Er schien eine Ehre darin zu finden , Jenny's unausgesetzter Begleiter zu sein , und erklärte offen , wie er die Gesellschaft des alten Herrn Meier und seiner Tochter fast jeder anderen vorzöge .
Dabei ging Walter's Selbsttäuschung so weit , daß er jenes Gefühl , welches ihn zu handeln antrieb , nur für eine Gerechtigkeit , für eine Genugtuung des freien Glücklichen gegen den Unterdrückten hielt .
Er glaubte , nur seiner politischen Überzeugung , seiner Achtung vor Menschenrechten zu folgen , die ritterliche Pflicht eines Edelmannes zu erfüllen , indem er durch sein Beispiel gegen ungerechte Vorurteile kämpfte .
Einem Onkel , der durch Bekannte von Walter's Verhältnis zur Meierschen Familie unter richtet war und mit einiger Unruhe desselben gegen ihn erwähnte , schrieb er in dieser Zeit folgenden Brief :
" Sie haben mich gewöhnt , mein teurer Onkel ! die Besorgnisse und Vorwürfe zu verstehen , die Ihre schonende Liebe für mich zwischen die Linien schreibt , um mir jede unangenehme Empfindung zu ersparen .
So lese ich hinter dem wohlwollenden Rat , in die Heimat zurückzukehren und nicht wieder so gar lange von meinen Besitzungen fern zu bleiben , die Besorgnis , ich könnte nicht allein in diese Heimat einziehen , sondern eine Gattin mit mir bringen , die Ihnen , dem ehemaligen Vormund , dem väterlichen Freunde , nicht willkommen wäre , so gern Sie mich übrigens verheiratet und unser altes Geschlecht fortgepflanzt wüßten . "
" Fürchten Sie nichts !
Meine Liaison mit dem Kaufmann Meier und seiner Tochter ist allerdings eine sehr innige und , wie ich denke , dauernd ; indes ist mir der Gedanke , Fräulein Meier zu heiraten , vollkommen fremd .
Sie wissen , und ich glaube das fürchten Sie gerade , daß kein Vorurteil irgend einer Art mich abhalten könnte , ein Mädchen zur Gräfin Walter zu machen , das ich liebte :
doch ich liebe Jenny Meier nicht , so sehr ich sie bewundre und mich ihrer Freundschaft , ihres Umganges erfreue .
Es ist wahr , sie ist schön und liebenswürdig in hohem Grade , aber eine gewisse Jugendlichkeit , das weiblich Weiche fehlt ihr , das man an Mädchen ungern vermißt .
Sie weiß mit Sicherheit , daß sie gefällt ; es ist ihr lieb , ohne daß sie Anspruch darauf macht , und sie würde , wie mich dünkt , nicht das Geringste dazu tun , die Meinung oder Gunst eines Mannes zu erwerben .
Gefällt sie , ist es ihr recht , wenn nicht , so gilt es ihr gleich .
Gestehen Sie , das ist eigentlich nicht die Art , die wir lieben .
Es liegt etwas Männliches darin , das interessant ist , den Umgang sehr erleichtert , unser Vertrauen , unsere Freundschaft erweckt , aber nicht Liebe . "
" Ich traf mit dieser Familie Meier zufällig durch die Vermittlung eines gemeinsamen Freundes zusammen und nahm mit Dank das Erbieten desselben an , seine und ihre Wohnung zu teilen .
Dies veranlaßte vermutlich jenes Gerücht meiner Verlobung mit einer Jüdin , das Sie erschreckt hat .
Für diesmal , das sehen Sie , sind Sie der Sorge ledig , mich eine Heirat schließen zu sehen , die so stark gegen Ihre aristokratischen Ansichten verstoßen würde .
Was die Zukunft bringt , dafür kann ich nicht einstehen .
Doch ohne Scherz !
Sie wissen , wie ich darüber urteile , und habe ich je den Beruf gefühlt , mit allen Waffen kämpfend gegen Vorurteile II. 9 aufzutreten , so war es nach manchen Mitteilungen , die mir Fräulein Meier über ihre Jugend und die Verhältnisse ihres Bruders machte , der auch Ihnen dem Namen nach bekannt sein muß .
Jene Vorurteile , das sind die Drachen unserer Tage , die zu vertilgen , Ritterpflicht wäre , weil sie zerstörender wüten , als jene Ungeheuer es vermocht ; und so viel an mir ist , will ich beweisen , daß ich noch ein Ritter bin , wie jener St. Georg , der den Lindwurm tötete .
Es würde Sie selbst ergreifen , wenn Sie Jenny mit Stolz von dem Unglück sprechen hörten , das sie mit Tausenden teilt und für Alle empfindet ; denn obgleich sie lange zum Christentum übergetreten , ist sie von Grund der Seele Jüdin geblieben .
Sie gesteht das frei und es macht sie mir um so interessanter , wie denn ihr ganzes Wesen mir eine neue Erscheinung , ein Rätsel ist , das mich anmutig beschäftigt .
In ihr vereinen sich der Geist und der Mut eines Mannes mit unendlicher Güte , und es überrascht mich oft , daß doch zuletzt , trotz aller männlichen Klarheit , irgend eine liebenswürdige weibliche Schwäche oder ein lebhaftes Gefühl den Sieg über den Verstand davon tragen . "
" Sie sehen aus der Weise , in der ich ruhig den Charakter des Fräuleins zergliedere , daß mein Herz frei ist .
Selbst der geübteste Anatom vermöchte das nicht , wenn das Klopfen des Herzens ihm die Hand unsicher macht , wie viel weniger ich .
Also unbesorgt , mein Freund ! finden Sie mir in unseren Kreisen eine liebenswürdige Gattin und ich will mich nicht länger sträuben , mir Ketten anlegen zu lassen , die sehr beglückend sein können , wie ich an meinem Freunde William und seiner schönen Frau bemerke . "
9 * Tage und Wochen schwanden auf die anmutigste Weise dahin .
Walter überließ sich immer mehr dem steigenden Interesse , das ihn an Jenny fesselte und ihm ihren Umgang zu einem Bedürfnis machte , das er nicht mehr entbehren konnte , und auch ihr war Walter bereits seit lange ein werter Freund geworden .
Da entzog die Ankunft einer Freundin , der Geheimrätin von Meining , Jenny auf einige Tage der Gesellschaft ihrer Hausgenossen .
Frau von Meining , nur wenige Jahre älter als Jenny , war an einen bejahrten Mann verheirate , der in Berlin als Arzt eine bedeutende Stellung einnahm .
Dort hatte Jenny sie kennen gelernt und ein unbedingtes Vertrauen zu ihr gefaßt , das durch den hohen sittlichen Wert jener Dame vollkommen gerechtfertigt wurde .
Fast jeden Sommer pflegte die Geheimrätin in Baden zu leben , wo sie eine Besitzung hatte , während ihr Mann seinem fürstlichen Herrn auf dessen Reisen folgte , und die Aussicht , Jenny zu treffen , hatte sie um so mehr bestimmt , auch in diesem Jahre ihren Lieblingsort wieder zu besuchen .
Leider aber war sie diesmal unpäßlich in Baden angelangt , und eine große Reizbarkeit der Nerven nötigte sie , sich fürs Erste der Gesellschaft fern zu halten und sich allein auf Jenny zu beschränken , die mit Freude ihre Zeit zwischen der Geheimrätin und den Ihrigen teilte .
Willig ließ man sie darin gewähren ; nur Graf Walter konnte sein Mißvergnügen über Jenny's häufige Abwesenheit nicht verbergen und äußerte eines Abends gegen Herrn Meier , wie er sich die Abwesenheit einer so liebenswürdigen Tochter nicht gefallen lassen würde .
Clara lachte darüber und Herr Meier bemerkte :
" Sie werden auch uneigennützig werden , mein Freund , wenn Sie das Glück kennen werden , das man in der Zufriedenheit seiner Kinder empfindet .
Übrigens muß man auch der armen Leidenden die kleine Zerstreuung gönnen , die Jenny's Gesellschaft ihr gewährt . "
" Aber heute bleibt Fräulein Jenny doch ungewöhnlich lange dort " , sagte Walter , als man Anstalten machte , sich für den Abend zu trennen , ohne Jenny's Rückkehr zu erwarten .
" Meine Tochter hat den Wagen erst nach elf Uhr bestellt .
Die Geheimrätin leidet an Schlaflosigkeit und Jenny wollte versuchen , ob es ihr nicht gelänge , sie durch leises , gleichmäßiges Vorlesen oder auf irgend eine andere Weise in Schlaf zu wiegen .
Ich wünsche der liebenswürdigen Frau und Euch eine gute Nacht . "
Mit den Worten entfernte sich Herr Meier ; auch Clara und William zogen sich zurück und ließen Walter allein .
Es war ihm zu früh , sich zur Ruhe zu begeben .
Er ging hinab ins Freie , um noch eine Stunde der Kühlung zu genießen , denn er fühlte sich verdrießlich , un ruhig und in großer Spannung .
Ihm war , als stehe er am Vorabende einer neuen Epoche seines Lebens , als erwarte er etwas , oder als müsse ihm heute irgend ein besonderes Ereignis begegnen .
Und wenn er sich fragte , was ihn so bewege , worauf er so sehnsüchtig harre :
dann mußte er sich bekennen , daß er es selbst nicht wisse .
Vergebens versuchte er diesen Zustand zu bekämpfen , und um endlich , wie er glaubte , eine körperliche Erregtheit durch Ermüdung abzustumpfen , ging er rastlos und schnell vorwärts .
So befand er sich nach kurzer Zeit am Ausgange der Lichtentaler Allee , in der Nähe des Hauses , in dem Frau von Meining wohnte .
Die Meiersche Equipage hielt noch vor der Türe .
Die Fenster der Geheimrätin waren matt beleuchtet .
Zerstreut blieb Walter eine Weile stehen , sah zu den Fenstern empor und schickte sich dann plötzlich zur Rückkehr an .
Kaum aber hatte er ein paar hundert Schritte gemacht , als er sich auf eine der Bänke warf , die sich in der Allee befinden , und in ein tiefes Hinträumen versank , aus dem ihn dennoch der Fußtritt jedes Vorübergehenden emporschreckte .
Allmählich wurde die Allee einsamer .
Die Uhr des Nonnenklosters in der Stadt schlug zwölf .
Bald darauf hörte er das Rollen von Rädern , er fuhr auf und blickte nach der Gegend , woher der Ton zu kommen schien .
Aber täuschte er sich nicht ?
Ein weißes Kleid schimmerte glänzend aus der Dunkelheit empor , er eilte der Gestalt entgegen , sein Herz schlug hörbar -- Jenny stand vor ihm .
" Sie hier , Graf Walter ? " sagte sie überrascht , doch freundlich , und legte ihren Arm in den des Grafen , der ihn ihr schweigend bot .
Wer es nicht empfunden , wie viel Vertrauen in der Art liegen kann , mit dem eine Frau sich auf den Arm eines Mannes lehnt , der wird nicht begreifen , wie Walter sich so glücklich fühlte , als Jenny's Arm jetzt in dem seinen ruhte .
Denn es gibt gewiß nichts Gleichgültigeres , als die Sitte , einer fremden Dame den Arm zu bieten , und doch fast nichts Süßeres , als wenn diese gleichgültige Sitte unter Personen zur traulichen Gewohnheit wird , die es noch selbst nicht wissen , wie nahe sie schon zu einander gehören .
Was unverstanden wie eine dunkle Ahnung in Walter geschlummert hatte , das fühlte er plötzlich als unwiderstehliche Wahrheit .
Er hatte Jenny immer schon geliebt und jetzt , da sie freundlich und doch sorglos , als müsse es so sein , seinen Schutz und seine Stütze annahm , jetzt ging die Sonne der Liebe glorreich in seinem Bewußtsein auf und er fragte sie innerlichstselig :
" Warum erst jetzt ? "
Schweigend legten sie eine Strecke des Weges zurück , denn Walter vermochte nicht zu sprechen vor innerer Wonne , und Jenny fühlte 9** sich so geborgen unter dem Schutze dieses Mannes , so zufrieden in dem Gedanken an die Erleichterung , die sie ihrer Freundin verschafft hatte , daß sie sich willig jener weichen Ruhe überließ , zu der die schöne Sommernacht verführerisch einlud .
Allmählich aber wurde ihr Walter's Schweigen peinlich .
Es war , als ob seine Stimmung sich ihr mitteilte , sie fühlte sich beklommen , geängstigt , und um nur eine Veränderung in diese Situation zu bringen , sagte sie :
" Es war so schwül in den Zimmern der Frau von Meining , daß ich dringend die Notwendigkeit fühlte , mich abzukühlen und deshalb mit unserem alten Diener den Fußweg einschlug .
Die Nacht ist wunderschön . "
" O , unaussprechlich schön ! " wiederholte Walter und die frühere Stille trat wieder ein .
Jenny es Unruhe stieg dadurch von Minute zu Minute .
Sie bildete sich endlich ein , um ihre Unruhe zu motivieren , ihrem Vater sei irgend ein Unglück begegnet und man habe ihr Walter entgegengeschickt , sie davon in Kenntnis zu setzen .
" Wie ging es meinem Vater , als sie ihn verließen ? " fragte sie bebend .
" Er war wohl und munter , und hatte sich zur Ruhe begeben , ehe ich fortging " , antwortete der Graf , und Jenny , als sie in diesem Augenblick ihre Wohnung erreichten , machte ihren Arm aus dem des Grafen los und sank tief aufatmend auf den Sitz vor ihrer Türe nieder .
Sie hätte weinen mögen , so bewegt war ihr Herz ; sie wollte aufstehen und noch in das Zimmer ihres Vaters gehen , um sich zu überzeugen , daß er wohl sei , und war doch so erschöpft von der Beängstigung auf dem Wege , daß sie kein Glied zu rühren vermochte .
Schweigend saß Walter neben ihr .
Die tiefste Stille herrschte ringsum ; nur das Rauschen der Blätter , das leise Rieseln des Oelbaches tönte an ihr Ohr .
Balsamisch drang der Duft des frisch gemähten Grases von den Wiesen empor und Jenny's Seele fand Ruhe und Friede in dieser feierlichen Stille , der sie sich mit Wonne hingab .
Da tauchte plötzlich ein lichter Schein am nördlichen Horizonte auf , hell und immer heller , sodaß der ganze Himmel davon durchleuchtet und verklärt schien , während ein Lichtmeer den Ursprung der herrlichen Erscheinung bezeichnete .
Einzelne Strahlen schossen blitzschnell gegen den Zenit empor , im wechselnden Farbenspiel und mit ganz überirdischer Pracht ; dann verschwammen sie wieder in dem Lichtmeer und neue , ebenso glänzende Flammenstreifen tauchten daraus hervor .
Es war das schönste Nordlicht , das man seit lange gesehen hatte und bewundernd hingen Jenny's Blicke an dem erhabenen Anblick .
Ihre Hände falteten sich unwillkürlich und mit bebender Stimme sagte sie :
" Und sie sprechen von Offen barung !
Als ob es eine göttlichere , unwiderstehlichere geben könnte , als diese .
Wer sollte nicht glauben an Den , der so zu uns spricht ?
Das ist Gott !
Das ist der Gott , den ich anbete , und der keines Mittlers , keiner sinnverwirrenden Lehren von Kreuz und Blut und Tod bedarf , um uns fühlen zu lassen , daß sein die Macht und Er die Liebe ist . "
Tränen der seligsten Begeisterung flossen aus Jenny's Augen .
Kein Gedanke , als die anbetende Verehrung , die tiefste Demut vor Gott war in ihrer Seele , als Walter mit einem Ausruf von Entzücken sich vor Jenny niederwarf und ihre gefalteten Hände an seine glühenden Lippen preßte .
Erschreckt und unangenehm durch diese leidenschaftliche Berührung in ihrer Andacht gestört , stand Jenny auf und sagte mit einem Tone des Vorwurfs :
" Entweihen Sie die Stunde nicht .
Knien Sie nicht vor dem Geschöpf , wenn der Schöpfer selbst Sie einer solchen Offenbarung würdigt . "
Und schritt rasch in das Haus , an dessen Türe ihr Diener ihres Eintritts wartete .
Bestürzt sah Walter ihr nach .
Sein Herz hatte voll grenzenloser Liebe verlangt , sich in dieser feierlichen Stunde der Geliebten für immer zu eigen zu geben , und im Übermaß des Gefühls war er vor sie niedergesunken .
Er betete sie an , wie sie den Schöpfer , und kalt und tadelnd hatte sie ihn von sich gestoßen .
Er warf es sich vor , wie ein blöder Träumer vor Jenny gestanden zu haben , statt wie ein Mann von ihr die Seligkeit zu fordern , die er begehrte , die sie allein ihm zu gewähren vermochte .
" Jetzt " , sagte er sich , " jetzt könnte sie mein sein .
Ich könnte meine brennenden Lippen auf die ihren drücken , den Schlag ihres Herzens an dem meinen fühlen , wissen , daß sie mein ist für immer -- daß sie mich liebt .
... "
Walter hielt inne .
Daß sie ihn liebte , da für hatte er keinen Beweis und doch glaubte er daran .
Eine Liebe wie seine konnte nicht unerwidert bleiben , sie mußte Gegenliebe finden .
Diese Hoffnung gab ihm Mut und voll Vertrauen auf einen glücklichen Ausgang wollte er am nächsten Morgen Jenny seine Liebe gestehen und von ihrem Vater die Hand seiner Tochter fordern .
Doch nur zu oft vernichtet der Morgen die Hoffnungen des vorigen Tages .
Als Walter das Zimmer betrat , in dem man sich zu versammeln pflegte , sah er an den verstörten Zügen der beiden Damen , daß ihre Ruhe erschüttert , ein unangenehmes Ereignis hereingebrochen sein müsse .
Clara schien geweint zu haben und schüttelte traurig das Haupt , als Herr Meier tröstend sagte :
" Sie sollten froh sein , mein Kind , daß dies Verhältnis nun endlich zu einer Entscheidung gekommen ist .
An den augenblicklichen Schmerz darf man nicht denken , wo eine lange und so Gott will bessere Zukunft gewonnen werden soll . "
Um nicht zu stören , verließ der Graf das Zimmer und ging zu William , den er schreibend fand .
Von ihm erfuhr er , wie vor einer Stunde ein Brief Eduard's angekommen sei , der diese allgemeine Aufregung verursacht hatte .
Er war an William gerichtet und lautete :
" Mein Freund .
Mache Dich gefaßt , eine Mitteilung zu hören , die , obgleich erwünscht in ihren Folgen , doch für den Augenblick ihr tief Betrübendes hat .
Ferdinand ist bei mir , aber er ist krank und sehr zu beklagen . "
" Vorgestern in der Nacht schellte man an meiner Türe .
Man öffnete und kam , mich zu wecken , weil ein Kranker nach mir begehre .
Gleich darauf trat der Fremde bei mir ein und ich fragte , wohin man mich verlange , wer erkrankt sei ?
" Ich selbst bin krank zum Sterben und ich wollte , ich wäre schon tot " , antwortete der Unbekannte .
Ich sah ihn prüfend an .
Eine verfallene Gestalt , üsirte Züge und wenig , fast ergrautes Haar -- obgleich der Mann so alt nicht schien , um diesen gänzlichen Verfall zu rechtfertigen .
" Sie kennen mich nicht mehr , oder wollen Sie mich nicht kennen ? " fragte er höhnisch .
Aber ich hatte ihn bereits erkannt , trotz der fast unglaublichen Veränderung in seinem Äußeren .
Es war Ferdinand . "
" Ich nötigte ihn , sich niederzusetzen .
Ich fragte nach seiner Frau .
" Nennen Sie das Weib nicht ! " rief er und sein Gesicht zuckte krampfhaft .
" Mit dem Wenigen , das man mir als Almosen hinwarf , vermochte sie sich nicht zu begnügen .
Ihre Vorwürfe , ihre Ansprüche brachten mich zur Verzweiflung .
Ich war krank , ein Fieber nahm mir die Besinnung und diesen Zeitpunkt benutzte sie , mir Alles zu rauben , was ich noch besaß , und mich zu verlassen .
Ich hatte ja nichts mehr zu verschenken , zu verschwenden "
So schloß er und wieder flog das konvulsivische Zittern durch seine Züge . "
" Ich sah , daß seine körperliche Erschöpfung aufs Höchste gestiegen war , und redete ihm zu , die Nacht bei mir zu bleiben , zu ruhen ; wir könnten das Nötige dann am Morgen überlegen .
Er betrachtete mich mit einem Mißtrauen , das mich befremdete , da er gerade mich ausgesucht hatte , und sagte :
" Wollen Sie erst von der Familie Horn Verhaltungsbefehle holen ? "
Nun wußte ich , wie ihm beizukommen war .
Es gelang mir , ihn zu beruhigen .
Ich ließ eine Mahlzeit auftragen , denn er bedurfte dringend einer Erquickung .
Mit gieriger Hast griff er nach den Speisen und brach dann , als er sich gesättigt hatte , in lautes Weinen aus .
" So komme ich in meine Heimat zurück ! " rief er und fing dann an , mir zu erzählen , wie er seit gestern fast keine Nahrung zu sich genommen , den Postwagen nicht verlassen hätte , aus Scheu , hier in der Nähe seiner Vaterstadt Bekannten zu begegnen .
" Auch hatte ich kaum , wovon eine Mahlzeit zu bezahlen " , sagte er .
Sie hat mir Alles genommen , ehe sie mich verließ .
Als ich zum Bewußtsein erwachte , war ich allein , ein Bettler .
Seit Monden war unser Kredit erschöpft , Niemand wollte uns mehr borgen .
Ich erfuhr , daß sie einem Russen gefolgt war , der ihr lange nachgestellt hatte und ihr glänzendere Aussichten versprach , als sie bei mir erwarten konnte .
Ein Ring , den ich nie abgelegt und den ich jetzt verkaufte , bot mir die Mittel , sie zu verfolgen -- doch bald sah ich die Torheit dieses Unternehmens ein .
Ich mag sie nicht wiedersehen .
Eine unbezwingliche Sehnsucht trieb mich hierher .
Ich will hier sterben , wo ich einst glücklich war . "
" Erschöpft fiel er in den Sofa zurück , und da ich absichtlich schwieg , schlief er bald ein , obgleich er heftig fieberte .
Seitdem hat sich unverkennbar ein nervöses Fieber deklariert und die Krankheit ist im Steigen .
Er hat nur wenige klare Augenblicke , in seinen Phantasien aber spricht er mit dem tiefsten Haß von seiner Mutter , der er sein Unglück zuzuschreiben scheint .
Wenn nicht besondere Zufälle dazwischen treten , ist sein Zustand nicht gefährlich , und ich hoffe , ihn herzustellen .
Indessen halte ich es für ratsam , den Eltern die Anwesenheit Ferdinands zu verbergen , bis er körperlich und geistig im Stande ist , ein Wiedersehen zu ertragen .
Jetzt , da die Trennung von seiner Frau erfolgt ist , wird es uns ein Leichtes sein , ihn allmählich seinen Eltern und seinen früheren bürgerlichen Verhältnissen wieder zu geben . "
" Beruhige Deine Frau deshalb und sage ihr , daß es ihm an der Pflege und Sorgfalt , die sein Zustand erfordert , nicht fehlen soll .
Ich bürge dafür und hoffe , Dir bald tröstlichere Nachrichten geben zu können . "
Mit der Entschlossenheit , die William's ganzes Wesen charakterisierte , erklärte er gleich nach Lesung dieses Briefes sich bereit , nach Clara's Vaterstadt zu reisen , um nicht Eduard allein die Sorge für den Unglücklichen aufzubürden , und unter strömenden Tränen beschwor ihn Clara , sie mit sich zu nehmen , es ihr zu vergönnen , daß sie selbst die Pflege des Bruders übernehmen und seine Rückkehr in das väterliche Haus einleiten könne .
Auch dazu war William geneigt , nur die Unmöglichkeit , mit den Kindern eine so schleunige Reise zu machen , wie sie hier erforderlich war , schien Clara's Wünschen ein Hindernis in den Weg zu legen , bis Jenny mit ihres Vaters Zustimmung sich erbot , die Kinder unter ihre Obhut zu nehmen und mit sich nach Hause zu bringen .
So wurde es beschlossen , noch an demselben Nachmittage abzureisen , und in trauriger Stimmung sah Clara der Stunde entgegen , in der sie zum ersten Mal sich von den Lieblingen ihres Herzens trennen sollte , während William und Jenny ihr Mut zusprachen und das Nötige besorgten .
Natürlich mußten Walter's persönliche Wünsche vor diesen Ereignissen in den Hintergrund treten .
Jenny schien des vorigen Abends vergessen zu haben .
Sie war eifrig um Clara bemüht und gönnte sich nicht eher Ruhe , bis sie die Freundin wohlversorgt auf dem Wege in die Heimat wußte .
Dann ließ sie die Kinder in ihr Zimmer bringen , richtete sie dort gehörig ein und traf endlich zur Theestunde mit dem Grafen und ihrem Vater zusammen .
Jetzt erst fühlte sie , wie sich seit gestern ihr Verhältnis zu Walter geändert hatte .
Sie wußte nun , daß er sie liebte , und obgleich er ihr sehr wert war , war ihr seine Liebe nicht willkommen .
Sie konnte den rechten Ton für die Unterhaltung nicht finden , wurde zerstreut , dann verdrießlich , daß sie sich so wenig zu beherrschen wisse , und entfernte sich unter dem Vorwande , Frau von Meining ihren Besuch zugesagt zu haben .
Walter , dem Jenny's befangenes Wesen , ihre Zurückhaltung nicht entgangen war , glaubte sie durch sein leidenschaftliches Betragen verletzt und benutzte ihre Abwesenheit dazu , ihrem Vater seine Bitte um Jenny's Hand auszusprechen , um sich dann auch gegen sie zu erklären und in seiner Liebe eine Entschuldigung für den Ungestüm zu finden , mit dem er sie gestern erschreckt hatte .
So oft Herr Meier auch in gleicher Lage gewesen war , so sehr überraschte ihn Walter's Antrag .
Er fragte , ob der Graf die Liebe seiner Tochter besitze ?
" Ich glaube mit Zuversicht , daß mir ihre Freundschaft und Achtung gewiß ist , ich hoffe , ihre Liebe zu erwerben " , antwortete Walter .
" Und ist Ihre Familie von dem Schritte unterrichtet , den Sie tun wollen , lieber Walter ? "
" Nein , aber Sie wissen , daß ich unabhängig und Herr meiner Handlungen bin . "
" Indem Sie mir diese Erklärung geben " , sagte Herr Meier , " gestehen Sie mir zu , daß Sie die Meinung der Ihrigen gegen sich haben würden .
Das fürchte ich selbst , und wünschte , ich könnte Ihre Werbung ungeschehen machen .
Ich weiß nicht , ob Jenny Sie liebt , noch wenigstens ist sie , wie ich hoffe , frei genug , eine Trennung von Ihnen zu ertragen ; darum folgen Sie meinem Rate , Walter , benutzen Sie William's Abreise , uns gleichfalls zu verlassen , und geben Sie einen Wunsch auf , dessen Erfüllung Ihnen und uns Kummer machen könnte . "
" So verweigern Sie mir Jenny's Hand ? " fragte Walter erbleichend und setzte mit einem Ton , dem man den tief gekränkten Stolz anhörte , hinzu : " Darauf war ich nicht vorbereitet . "
Ruhig nahm Herr Meier Walter's Hand und zog ihm zu dem Sitze nieder , von dem er aufgestanden war .
" Verstehen Sie mich nicht falsch " , sagte er .
" Ich glaube , Ihnen durch mein Betragen gegen Sie gezeigt zu haben , daß ich Sie achte , Sie für einen edlen Menschen halte .
Sie selbst wissen , daß Ihre Stellung in der Welt den Ansprüchen des ehrgeizigsten Vaters genügen müßte .
Aber Sie würden Jenny zu einem Range erheben , dessen die gräflich Waltärsche Familie die Tochter eines Juden nicht würdig achten könnte .
Davor möchte ich Jenny bewahren und Sie vor der schweren Pflicht , Ihre Frau gegen die Vorurteile Ihrer Familie und Ihrer Standesgenossen zu schützen . "
" Und glauben Sie , daß mir dazu der Wille oder die Kraft fehlte ? " fragte Walter .
" Glau II. 10 ben Sie , daß Jenny's persönlicher Wert nicht die Einwendungen besiegen würde , die mein Onkel gegen diese Verbindung machen könnte ?
Er ist der Einzige , dessen Meinung mir Wert hat , dessen Ansichten ich schonen möchte , und er wird den Schritt billigen , wenn er Jenny kennt und meine Liebe für sie .
Ich war glücklich , seit ich denken kann -- ich habe Alles , was das Leben schön macht , nur eine Gattin fehlt mir , mein Glück zu teilen .
Da führt ein günstiges Geschick mir Jenny zu .
Ich liebe sie , ich möchte ihrer Hand mein höchstes Gut verdanken , und Sie verweigern es mir , weil Sie mich von Vorurteilen nicht frei glauben , die man in unserer Zeit kaum noch der Rohheit des Niedrigsten verzeiht . "
" Wollte Gott , es wäre so ! " sagte Herr Meier ernst , " dann sollte mir kein Gatte willkommener für Jenny sein , als Sie ; Keinem würde ich meine Tochter mit größerer Zuver Sicht vertrauen , als Ihnen .
Die Erklärung muß Ihnen für meine volle Achtung bürgen . "
Bei den Worten reichte er Walter seine Hand , der sie herzlich drückte .
" Was aber nun Ihren Antrag und Ihr Verhältnis zu Jenny betrifft , darin folgen Sie mir .
Es gilt das Glück meiner Tochter und Ihres , Walter .
Trauen Sie mir , der ich die Welt und die Menschen länger kenne , als Sie .
Ich betrachte Sie für frei von jeder Verpflichtung gegen uns .
Übereilen Sie nichts .
Lassen Sie sich Zeit , die Ansicht Ihres Onkels zu hören , prüfen Sie selbst die Meinung des Kreises , dem Sie angehören , und wenn Sie dann ihren Wunsch noch hegen , wenn Jenny damit einverstanden ist , will ich von Herzen einen Bund segnen , der in Bezug auf Sie schon jetzt meine vollkommenste Zustimmung hat .
Sind Sie damit zufrieden , Walter ? " fragte er .
" Muß ich nicht ? " antwortete der Graf , 10 * der sich nur ungern in den Gedanken fand , sein Ziel so weit hinausgeschoben zu sehen , obgleich er fühlte , daß Herr Meier seiner Denkart nach nicht anders handeln konnte und ihn deshalb nur um so höher schätzte .
Mit Widerstreben verstand er sich dazu , sich gegen Jenny nicht zu erklären , bis er seinen Onkel von seiner Absicht in Kenntnis gesetzt und dessen Antwort erhalten hätte , und verließ den Greis , um dem Onkel zu schreiben .
Auch Herr Meier zog sich zurück , um Eduard seinerseits von dem Geschehenen zu benachrichtigen .
Er machte ihn auf die glänzenden Verhältnisse , auf den trefflichen Charakter Walter's aufmerksam und sagte :
" Dennoch widerstrebt meine innere Überzeugung dieser Verbindung fast ebenso sehr , als der mit Reinhard , mit dem Unterschiede , daß jetzt meine Besorgnis den Verhältnissen gilt , während sie bei Reinhard den Charakter des Mannes betraf .
Niemand ist so gleichgültig gegen das Urteil der Menschen , daß Lob oder Tadel seiner Umgebung ihn kalt ließe , und es könnte für Jenny's Glück eine harte Probe werden , wenn sie es erleben müßte , Walter's Entschluß von seinen Standesgenossen getadelt und ihn dadurch verletzt zu sehen .
Ihre erste Verlobung brachte sie in geistiger Beziehung in einen traurigen Konflikt , diese könnte sie in ein schwer zu überwindendes Mißverhältnis zu den äußeren Umständen versetzen und sie leicht ebenso unglücklich machen , als jene .
Wie ich Jenny beurteile , fühlt sie das selbst und hat Scheu vor Walter's unverkennbarer Neigung , weil sie sich nicht den Mut zutraut , seiner Liebe und seiner Werbung zu widerstehen .
Bei Walter's persönlichen Eigenschaften und seiner Stellung in der Welt würde es vielleicht jedem Mädchen schwer , da keines von Eitelkeit frei und Walter ganz der Mann ist , Liebe und Zutrauen zu erwecken .
Doch bin ich überzeugt , daß diese Heirat früher oder später zu Stande kommt , und teile Dir diese Nachricht mit als Etwas , das ich nicht gerne sehe , aber nicht zu hindern vermag . Deinen Ansichten dürfte das Verhältnis willkommen sein .
Gott gebe , daß meine Besorgnis mich trüge und Jenny so glücklich werde , als sie es verdient . "
In seiner Ansicht von Jenny's Scheu vor der Bewerbung Walter's und ihrem Mißtrauen gegen sich selbst hatte ihr Vater sich wirklich nicht getäuscht .
Jenny war zu sehr an Huldigungen gewöhnt und nicht mehr jung genug , um in jeder Annäherung eines Mannes Liebe zu erblicken .
Gerade deshalb hatte sie sich in ihrem Verhältnis zu Walter , in seiner Gesellschaft um so behaglicher und freier gefühlt , als sie mit Sicherheit glaubte , hier keinen anderen Ansprüchen zu begegnen , als denen , welche man einem geachteten Freunde willig zugesteht .
Jetzt war ihr plötzlich die Überzeugung des Gegen teils geworden und mit ihr das Bewußtsein , daß sie durch Walter's Liebe manchem neuen Kampfe ausgesetzt werden könnte : sei es , daß er ihre Hand verlange , oder aus Rücksicht auf seine weltliche Stellung darauf verzichte .
Verstimmt gemacht durch diese Gedanken , langte sie , während Walter die Unterredung mit ihrem Vater hatte , bei Frau von Meining an , die in Jenny's beweglichem Gesicht die Spuren einer inneren Unruhe leicht bemerkte .
Sie fragte um die Ursache derselben , obgleich Jenny anfangs die Tatsache leugnete , und erst nach freundlichem Bitten und Dringen von Seiten der Geheimrätin sagte Jene : " Ich habe die Entdeckung gemacht , die Liebe eines Mannes zu besitzen , an die ich nie gedacht , und das ist mir unangenehm . "
Die Geheimrätin sah sie verwundert an , lächelte dann und meinte :
" Das heißt , Du bemitleidest ihn , weil Du diese Liebe nicht erwi derst und er Dir nicht gefällt .
Das kommt wohl vor im Leben und sollte Dir nicht so neu sein , Dich so sehr zu verstimmen . "
" Im Gegenteil " , antwortete Jenny , " er ist mir lieb und wert , und gerade darum tut es mir so wehe . "
" Jenny " , sagte die Geheimrätin , plötzlich ernsthaft geworden , " ich will kein Vertrauen erzwingen , wenn Du nicht geneigt bist , es mir zu gewähren .
Nur das Eine sage mir , mich zu beruhigen : Ist der Mann , der Dich liebt , verheiratet , oder sonst in einer Weise gebunden , die Deine Unruhe erregt ?
Nur die Eine Frage beantworte mir . "
" Nein , nein , mein guter , lieber Engel ! " rief Jenny , über den feierlichen Ernst ihrer Freundin lächelnd .
" Er ist frei und unumschränkter Herr seines Willens ; ich zweifle nicht , daß er mir seine Hand anträgt , aber das ist es , was ich fürchte und was mein Vater ungern sehen wird . "
" So ist er arm und seine Stellung der Deinen zu ungleich ? " fragte Frau von Meining .
" Kennst Du meinen Vater und mich so wenig " , entgegnete Jenny im Tone des Vorwurfs , " zu glauben , daß dergleichen uns irren könnte ?
Nein , im Gegenteile , Walter ist es , der mich liebt , und dessen Liebe ich fürchte . "
" Walter ! " rief die Geheimrätin erfreut und setzte dann hinzu :
" Du bist unwahr gegen Dich oder mich .
Walter's Liebe kann Dir nicht unwillkommen sein , denn gleichgültig ist er Dir nicht . "
" Auch habe ich das nicht behauptet , " antwortete Jenny .
" Aber ich habe durch meine Verlobung mit Reinhard so viel gelitten , mich so an das ruhige Glück gewöhnt , welches ich jetzt genieße , daß ich vor dem Gedanken zittere , neuen Stürmen ausgesetzt zu sein .
Ich habe in der Liebe meines Vaters und meiner Brüder -- denn auch Joseph ist mir ein Bruder -- in der Kunst mir eine Welt geschaffen , in der 10** ich Freude finde und sie den Anderen bereite .
Nenne es Feigheit oder Egoismus , wie Du willst , ich mag aus diesem sicheren Hafen mich nicht in das Meer des Lebens wagen .
Ich will nicht heiraten . "
" Und wenn Dein Vater stirbt ? "
" Dann leben mir die Brüder .... "
" Die wahrscheinlich Deinen Entschluß nicht teilen " , fiel ihr die Geheimrätin ins Wort , " sich verheiraten würden , wenn Du Dich ihnen durch einen vernünftigen Entschluß entzögest und so ihr und Dein Bestes fördertest .
Wie viel hundert Mal hast Du mir über die hohe Ansicht gesprochen , die Du von der Ehe hegst !
Wie erhaben hast Du mir Walter's Idee davon geschildert , als Du mir neulich von der Unterhaltung erzähltest , die Du über diesen Gegenstand mit ihm gehabt .
Also Gleichnisse zeichnen kannst Du , aber im Leben sie durch Dich zu realisieren , stehst Du an ! "
Sie war ganz erhitzt durch den Eifer , mit dem sie gesprochen hatte , lehnte sich in ihrem Fauteuil zurück und sagte lächelnd , da Jenny nachdenkend schwieg :
" Wie sich doch Alles im Leben wiederholt .
Meine Tante würde eine Freude haben , könnte sie sehen , wie ich jetzt an Dir die Ermahnungen probiere , die sie mir gemacht , ehe ich mich verheiratete .
Ich denke aber , sie finden bei Dir ein so williges Ohr , als bei mir , und nehmen auch ein so glückliches Ende . "
" Das sagst Du , Clementine " , rief Jenny , " Du , die mir selbst erzählt , welchen Kampf Du noch nach Deiner Hochzeit zwischen Pflicht und Liebe bestanden hast ? "
Clementine strich mit der Hand über die hohe , zarte Stirn und sagte mit unbeschreiblicher Weichheit und Demut :
" Ich halte Dich nicht für schwächer als mich .
Was ich vermochte , mußt Du auch vermögen .
Du sollst sie auch kennen lernen , die Wonne , seine Neigung dem Glücke eines Anderen zu opfern , und darin ein neues , besseres Glück zu finden . "
Dann nach einer Pause fuhr sie fort :
" Übrigens , was will ich denn ?
Von dem Opfer einer Neigung ist ja hier die Rede nicht !
Du liebst keinen Anderen ; Du bist frei und Walter ist Dir wert .
Was drückt und ängstigt Dich denn ? "
" Der Gedanke , man könne mir ehrgeizige Motive unterlegen " , sagte Jenny lebhaft , " wenn ich Walter's Hand annehme ; und -- daß ich es Dir gestehe -- die Möglichkeit , er könne es einst bereuen , eine Bürgerliche , eine Jüdin , geheiratet zu haben , wenn mir der Zutritt zu den Zirkeln des Hofes versagt bleibt , oder wenn irgend ein anderes Ereignis ihn unangenehm daran erinnert .
Ich mag nicht , wie Walter es in jenem Gleichnis nannte , die kümmerliche Pflanze sein , die sich zu einer Höhe emporrankt , für die sie nicht geboren ist .
Liebte ich Walter , vielleicht wäre ich schwach genug , meine Vernunft zu verleugnen ; jetzt nimmermehr !
Mag Walter sich eine Gefährtin wählen , die ihm gleich ist an Vorzügen des Ranges und der Geburt , die mit ihm auf gleicher Höhe erwuchs .
Ich will keinem Menschen Etwas verdanken , das er jemals bereuen könnte , mir gegeben zu haben . "
" Aus der Hand eines geachteten Gatten entehrt keine Gabe und er bereuet sie nicht , wenn er sie , wie Walter Dir , mit ruhiger Überzeugung gibt " , sagte Clementine , die wohl fühlte , daß hier der Punkt läge , von dem Jenny's Weigerung gegen Walter's Wünsche ausging .
Auch sie kannte Walter und , erfreut durch den Gedanken , ihn und Jenny verbunden zu sehen , wünschte sie womöglich dazu beizutragen .
Darum vermied sie es für diesmal , Jenny auf dieser für sie empfindlichsten Seite anzugreifen und bemerkte ablenkend :
" Und das ist doch der einzige Grund , der Dich besorgt machen kann ! "
" Nein ! " antwortete Jenny , " auch in mir sind Gründe dagegen .
Mir fehlt die Fähigkeit , mich in dem Leben eines Anderen aufgehen zu lassen .
Meine Existenz ist eine fest bestimmte , in sich abgeschlossene .
Ich habe mich an eine gewisse Freiheit gewöhnt , die ich nicht mehr entbehren kann und die ich in der Ehe doch aufgeben müßte .
Vor Allem aber , wie ich Reinhard liebte , kann ich nicht wieder lieben .
Mir fehlt die Jugendlichkeit , die Frische des Herzens , das fühle ich tief .
Ich kann so nie wieder lieben ! "
" So liebe Walter anders ! " wandte Frau von Meining ein .
" Auch Du bist sicher nicht das erste Mädchen , das ihn die Liebe kennen lehrt .
Er ist ein Mann , der in der Schule des Lebens und des Hofes seine Prüfungen bestand .
Den ruhigen Mann reißt keine Leidenschaft blindlings hin ; was er tut , hat er überlegt , was er verspricht , will und wird er halten .
Und was die Frische des Herzens betrifft , so ist es mit der Liebe wie mit dem Menschen überhaupt .
Die Geschlechter gehen und kommen , jedes hat die Erfahrungen des vorigen für sich , sie gleichen sich fast alle und doch -- hat jedes neue Geschlecht seine Torheit und seine Weisheit , seine Jugend , seine Blüte , nach seiner Individualität ; eine Blüte , die rein und schön ist , obgleich sie erst auf der Asche der geschiedenen Generation erwuchs .
Darum Mut , mein Herz !
Den falschen Stolz besiege und im Übrigen vertraue der Liebesfähigkeit und der Liebebedürftigkeit des Frauenherzens . "
Eine innige Umarmung beendete diese Unterhaltung , die in Frau von Meining den Entschluß hervorgerufen hatte , sich sobald als es ihr möglich sein würde , der Gesellschaft anzuschließen , um Jenny und Walter schnell an ein Ziel zu bringen , das ihr für Beide so glückversprechend schien .
Diese freudige Hoffnung tat für die Anregung ihrer Nerven mehr , als irgend eine Arznei vermochte und schon am nächsten Tage nahm sie zum ersten Male Walter's Besuch an , der fast täglich in ihrer Wohnung gewesen war , um sich nach ihrem Ergehen zu erkundigen .
Zwei Gefühle waren es besonders , die Jenny beunruhigten und sie bewogen , sich von Walter zu entfernen .
Die Furcht , welche sie Frau von Meining gestand , vor einer Verbindung , die man gerade in den Kreisen eine Mesalliance nennen würde , in denen sie als Walter's Frau zu leben bestimmt war , und was sie nur sich selbst bekannte , Scham vor sich selbst , daß sie einer zweiten Neigung fähig sei , die sich entschieden zu Walter's Gunsten in ihr geltend machte .
Trotz ihres klaren Verstandes besaß Jenny die Schwärmerei eines tieffühlenden Herzens und hatte mit Treue das Andenken des Geliebten ihrer Jugend in sich gepflegt , bis sich nach Reinhard's Verheiratung der Gedanke in ihr ausgebildet , sie habe nunmehr keinen Anspruch an Liebesglück zu machen , ihr Leben sei in der Beziehung beendet .
So hatte sie sich seit Jahren mit der Idee : " entsagt zu haben " wie mit einem Witwen Schleier geschmückt , den sie jetzt abzulegen sich nicht entschließen konnte .
Sie fühlte ihre wachsende Neigung für den Grafen , aber sie kämpfte dagegen , wie gegen ein Unrecht , weil sie sich scheute , den Ihrigen zu sagen :
" Ich liebe wieder ! " und doch zu wahrhaft war , um eine Verbindung mit Walter , die sie trotz aller Bedenken wünschte , für eine bloße Konvenienz auszugeben , was außerdem kränkend für ihn gewesen wäre .
Nach Jahren inneren Friedens mit sich selbst machte dieser Zwiespalt ihrer Seele ihr doppelte Unruhe und gab ihr einen Anstrich von Kälte , die Walter irre an ihr zu machen drohte ; da ohnehin die Sorge für Clara's ihr anvertraute Kinder und für die kranke Frau , welche sie am Wege gefunden , ihr einen Grund gab , den Grafen weniger zu sehen , als es früher der Fall gewesen war .
Dadurch trat eine Art von Spannung zwischen Walter und Jenny ein , von der Beide gleichviel zu leiden schienen , bis es Frau von Meining gelang , Walter's Vertrauen zu gewinnen .
Sie bat ihn , Geduld zu haben , Jenny Zeit zu lassen , bis sie sich selbst klar geworden sei :
" Glauben Sie , lieber Graf ! " sagte sie , " je deutlicher in uns Frauen das Bewußtsein von der Heiligkeit der Ehe wird , je langsamer entschließt man sich , den Schritt zu tun .
Jenny steht jetzt bang und zögernd auf der Schwelle des Tempels , die sie vor zehn Jahren hüpfend und sorglos überschritten hätte .
Lassen Sie sich dadurch nicht irren !
Ich bin wirklich nicht intrigant und halte es für Unrecht , Leute zu einem Entschluss zu überreden , zu dem sie keine Neigung haben oder dem ihre Eigentümlichkeit widerstrebt .
Wenn aber , wie bei Jenny , nur ein mißverstandenes Gefühl sie davon abhält , ihr Glück und das Glück eines Mannes zu gründen , den sie lieb hat , wie Sie , lieber Walter !
da muß man aus Freundschaft ein Übriges tun und das Mädchen zwingen , glücklich zu sein . "
" Das ist ein hartes Wort ! " bemerkte Walter , " und selbst Jenny's Hand möchte ich weder der Überredung , noch dem Zwange verdanken . "
" Aber Sie sind damit zufrieden , wenn Jenny sich und Ihnen gestehen lernt , daß ihre eigene Neigung sie zwingt , die Ihre zu werden ? " fragte Frau von Meining freundlich .
" Wenn Sie Jenny davon überzeugen könnten " , erwiderte Walter , " würde ich es Ihnen ewig danken ! "
" Lassen Sie das , mein Freund ! " wandte die Geheimrätin ein .
" Ich bleibe Ihnen verpflichtet und mein Mann wird es Ihnen Dank wissen , daß Sie mich aus meiner Abspannung befreiten , indem Sie mir Gelegenheit gaben , an Ihnen und meiner Freundin ein gutes Werk zu üben .
In wenig Tagen denke ich Jenny in ihrer Wohnung selbst aufzusuchen und rechne dann auf Ihre Begleitung . "
" Heute ist ein wahrer Glückstag " , sagte Jenny zu Frau von Meining , als dieselbe an einem heiteren Morgen in Walter's Begleitung zum ersten Male Jenny besuchte und mit ihr unter dem Schatten der Bäume saß .
" Du scheinst den letzten Rest von Schwäche von Dir geworfen zu haben und auch meine arme Kranke ist heute so wohl , daß ich es wagen konnte , sie gehörig um ihre Verhältnisse zu fragen . "
" Und was haben Sie erfahren ? " fragte Walter , den die Frau interessierte , weil Jenny Teil an ihr nahm .
" Eigentlich nicht viel mehr , als Vater schon durch die Behörde wußte .
Es ist eine von den traurigen Geschichten , die sich leider täglich wiederholen .
Sie ist die Tochter eines Handwerkers aus Gernsbach und kam gewöhnlich während des Sommers nach Baden , um in einem Hause auszuhelfen , in dem man Wohnungen vermietet .
Hier hat sie einen armen Jägerburschen kennen gelernt und ihn gegen den Willen ihres Vaters geheiratet , der sie einem wohlhabenden , aber sehr alten Bürger in Gernsbach bestimmt hatte .
Ein unglücklicher Fall auf der Jagd , in Folge dessen das Gewehr losging , raubte ihrem Mann im Herbst das Leben , lange ehe ihr Kind geboren wurde .
Im Winter gab es kein Verdienst für sie und in die bitterste Armut versunken , aus Mangel erkrankt , ist sie nun schwach und elend nach Gernsbach gegangen , um dort das Mitleid ihres Vaters anzuflehen .
Der aber hat ihr Kind mit Verwünschungen von sich gestoßen und sie hat hierher zurückkommen und Arbeit suchen wollen , als sie auf dem Wege zusammenbrach , wo ich sie fand .
Sie sagte mir , daß ihr Vater kein anderes Kind hätte als sie , und wohl die Mittel , für sie zu sorgen .
Aber er hätte gehofft , mit dem Gelde des reichen Schwiegersohnes sein Gewerbe zu vergrößern und selbst ein reicher Mann zu werden , und daß sie ihn um diese Hoffnung betrogen , werde er ihr nicht vergessen und verzeihen . "
" So muß man hier für sie sorgen ! " meinte Frau von Meining .
" Sie selbst verlangt nichts mehr , als die Mittel , sich durch einige Pflege Kräfte zu erwerben , um wieder arbeiten zu können " , sagte Jenny .
" Wie sie mir erzählt , hätte ihr Vater sie , ohne das Kind , wohl zu sich genommen , weil er hoffte , jener Bürger würde sie auch jetzt noch heiraten , wenn sie sich von ihrem Kinde trenne .
Das aber will und soll sie natürlich nicht und so meint mein Vater , man müsse einen der nächsten Tage dazu benutzen , nach Gernsbach zu fahren und versuchen , ob man nicht durch ein Jahrgeld , das man an das Leben des Kindes knüpft , den Vater vermögen könne , Tochter und Enkel bei sich aufzunehmen , wo sie am Ende doch am besten untergebracht sind . "
Walter stimmte dieser Ansicht bei und man verabredete eben einen Tag für diese Fahrt , als ein Herr von etwa 40 Jahren mit einer jungen Frau am Arme sich dem Platze näherte , auf dem die Gesellschaft vor dem Hause saß .
Ein Diener trug ihnen , trotz des schönen Wetters , einen Männerüberrock und einen kleinen Teppich nach .
" Steinheim ! " rief Jenny , als sie ihn erkannte , und stand auf , ihn und seine Begleiterin zu begrüßen :
" Vielmals willkommen ! "
" Erneute Huldigung gestatte mir ! " sagte Steinheim , ihr mit steifer Galanterie die Hand küssend , " und vergönnen Sie mir zugleich , Ihnen meine Frau vorzustellen und sie Ihrer Freundschaft zu empfehlen . "
Madame Steinheim war ein sehr hübsches , siebzehnjähriges , höchst schüchternes Wesen , das zu ihrem Manne wie zu einer Gottheit emporsah und sich nicht der Ehre wert zu fühlen schien , ihm anzugehören .
Steinheim hatte ein bedeutendes Embonpoint gewonnen und pflegte sein Äußeres und seine Gesundheit noch mit der alten übertriebenen Vorsicht , worin ihm die junge Frau , welche diese Schwäche noch nicht zu kennen schien , mit ängstlicher Sorgfalt beistand .
Nachdem Jenny die Angekommenen mit ihren Freunden bekannt gemacht hatte , fragte sie Steinheim , was ihn , den abgesagten Feind alles Reisens , zu dem Entschluß gebracht habe , sich dennoch auf den Weg zu machen und eine II. 11 Häuslichkeit zu verlassen , die jetzt erst wahren Reiz für ihn haben müsse .
" Ich bin mir selbst ein Rätsel ! " antwortete er , " und mir scheint , daß mit dem Liebesfrühling , der so urplötzlich in meiner Brust erwachte , ein ganz neues , junges Leben für mich begonnen hat .
Ein unbegreiflich holdes Sehnen trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehen .
Ich wünschte meiner Frau zu zeigen , wie schön die Welt sei und konnte mich der Gefahr , die das Reisen für meine Gesundheit hat , jetzt leichter aussetzen , da Hannchen -- so hieß Madame Steinheim -- mit dankenswerter Sorgfalt über mich wacht .
Aber findest Du nicht " , sagte er , sich unterbrechend , " daß der Fußboden hier feucht ist , liebes Hannchen ? "
Hannchen bejahte es und nach einer Entschuldigung gegen die Damen , ließ Steinheim den Teppich unter seine Füße breiten und zog den Überrock an , wobei der Diener und seine Frau ihm behilflich waren .
Dann fragte er nach William und Clara , von deren Anwesenheit in Baden er durch Eduard gehört hatte , während ihre Abreise ihm fremd war , denn auch er war schon längere Zeit auf der Reise und vom Hause entfernt .
Er erkundigte sich , wem die Kinder gehörten , die seitwärts unter Obhut der Wärterinnen sichtbar waren .
Man rief Richard herbei , ließ Lucy bringen und auch das hübsche , nun sauber gehaltene Kind der armen Frau , wobei die Verhältnisse derselben nochmals flüchtig besprochen wurden .
" Da sieht man " , sagte Steinheim , " wie tief das Gefühl für Standesunterschiede im Menschen begründet ist , das man einen leeren Wahn schilt .
Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt , wer mag sich gern davon befreien , besonders , wenn es darauf ankommt , 11 * eine Ehe zu schließen , in der vollkommene Gleichheit der Verhältnisse die erste Bedingung zum Glücke ist ? "
Hätte Steinheim absichtlich eine Äußerung machen wollen , die für alle Anwesende gleich verletzend wäre , er hätte keine bessere finden können .
Seine Frau und Frau von Meining waren Beide wohl um zwanzig Jahre jünger als ihre Männer und welch unangenehmen Eindruck Jenny und Walter durch die Behauptung empfingen , bedarf keiner Erwähnung .
Steinheim fühlte aber davon nichts , da er die Verhältnisse der einzelnen Personen nicht kannte und fuhr , immer nur mit sich beschäftigt , fort : " Es hat eine Zeit gegeben , in der ich auch an ein Verschmelzen der Stände , wo möglich gar an eine gleichmäßige Verteilung der Güter dachte und , von Eduard's Überspanntheit angesteckt , nur von Reformen und Weltverbesserungen träumte .
Der Traum war kindisch , aber Gott lich schön ; ich gestehe es , obgleich ich mich freue , daraus erwacht zu sein . "
" Und was hat denn Ihre plötzliche Sinnesänderung bewirkt , Herr Steinheim ? " fragte Walter .
" Herr Graf ! die Zeit kommt auch heran , wo wir was Gutes in Ruhe schmausen mögen " , antwortete der Gefragte , sich selbst Beifall lächelnd .
" Dies reformieren , Politisieren und dergleichen schickt sich nur für die Jugend , die Nichts zu verlieren und Alles zu gewinnen hat .
Zudem der ewige Ärger , in dem solch ein Parteienkampf uns hält , trieb mir die Galle ins Blut , raubte mir den Schlaf und hätte mich zuletzt noch um Gesundheit und Leben gebracht , wenn mir nicht endlich die Erkenntnis gekommen wäre , daß es für mich Zeit sei , den Liberalismus Anderen zu überlassen und fortan nur mir , der Literatur , die Ansprüche an mich hat , und meiner Frau zu leben , die wohl mit diesem Arrangement zufrieden sein wird .
Gestehen Sie , Herr Graf ! das ist das Vernünftigste , was man tun kann .
Sie , ein Edelmann aus altem Hause , werden es begreiflich finden , daß ich , ein nicht unbemittelter Bürger und als Haupt einer Familie , mich aus Grundsatz zur äußersten Rechten halte und entschieden gegen Alles eifre , was gegen das Bestehende läuft .
Der Unterschied der Stände ist ein heiliger und muß aufrecht erhalten werden , wie der des Besitzes und des Glaubens ; und nur wenn das geschieht , kehrt sie wieder :
Die goldene Zeit , womit der Dichter uns zu schmeicheln pflegt . "
Steinheim glaubte , als er das Schweigen der Gesellschaft , das entzückt aufhorchende Gesichtchen seiner Frau bemerkte , des allgemeinen Beifalls sicher zu sein und warf sich mit der Bravour einer Sängerin , die eine große Arie glücklich beendet hat und nun der Bravo's harrt , in seinen Stuhl zurück .
Umsonst !
Niemand rief ihm Beifall zu , die Damen sprachen unter einander und nur Walter sagte kurz :
" Ich teile Ihre Meinung nicht ! " als ob er es nicht der Mühe wert halte , sich in irgend eine Erörterung einzulassen .
Dann ging er schnell zu anderen Dingen über , fragte Steinheim nach seinen Reisen und bald war dieser auf ein neues Steckenpferd gebracht .
Er sprach von den Theatern , die er besucht , und von der Art , in der ein gewisser Schauspieler , den Alle kannten , den Nathan dargestellt und die er für die vollendetste Schöpfung der Schauspielkunst erklärte .
" Der Kunst " , bemerkte Walter , " insofern sie der Natur entgegensteht , denn diese fehlt seinen Schöpfungen , mehr oder weniger , fast immer . "
" Wo fehlt nicht irgendwo auf dieser Welt ? dem dies , dem das " , rezitierte Steinheim , " und Sie müssen doch eingestehen , daß Lessing's Nathan ein Meisterwerk ist und daß jener Schauspieler die Absicht des Dichters immer vollkommen begreift und versinnlicht . "
" In diesem Falle bestimmt nicht ! " sagte der Graf .
" Mir scheint , was die Dichtung anbetrifft , Nathan der Weise überhaupt mehr eine großartige Allegorie , ein didaktisches Gedicht , als ein darstellbares Schauspiel zu sein .
In dem Bestreben , die positiven Religionsunterschiede als unwesentlich darzustellen , sobald die innere , wahre Religion vorhanden , hat Lessing den einzelnen Repräsentanten der verschiedenen Konfessionen ihren nationalen und durch den Glauben bedingten Typus genommen , so daß Saladin , der Templer und Nathan , drei so ganz abweichende Charaktere , eine Art von protestantischer Familienähnlichkeit bekommen .
Das tut dem Interesse Abbruch , welches man an ihnen nehme , wenn die Gegensätze schärfer gezeichnet wären .
Dazu kommt nun , daß die Ruhe , mit der der Templer , der strenggläubige Christ , sich als den Abkömmling eines Muselmannes , den Bruder einer Jüdin erblickt , etwas Unwahres hat , wie der ganze Schluß , der nicht befriedigt -- wenigstens auf der Bühne nicht .
Das Schauspiel unterhält den Zuschauer nicht , so herrlich das Gedicht ist , und wird durch den Darsteller noch langweiliger . "
" Mir hat es auch kein Vergnügen gewährt " , sagte Madame Steinheim schüchtern , die bis dahin fast kein Wort gesprochen , sondern sich mit den Kindern beschäftigt hatte .
" Die langen , feierlichen Reden Nathan's fand ich sehr ermüdend . "
" Brutus ! auch Du ? " rief ihr Mann , und drohte ihr mit dem Finger , in einer Weise , die er für schalkhaft zu halten schien .
" Madame Steinheim hat recht ! " bekräf 11** tigte Walter .
" Gerade da liegt jenes Schauspielers Fehler in dieser Rolle .
Er ist nicht der schlichte , klare Mann , der aus eigener Anschauung Gott , die Welt und den Menschen begriffen hat ; nicht der anspruchlose Weise , der sich seiner hohen Weisheit kaum bewußt ist und sie für die natürlichste Erkenntnis hält -- sondern ein selbstbewußter Gelehrter , der seine Sentenzen im Kathedertone vorträgt , weil er ihre wichtige Bedeutung fühlt .
Deshalb stellt er sich jedesmal in Position , ehe er eine seiner moralischen Behauptungen spricht und der Schein von Demut , von Schlichtheit , mit dem er sich umgibt , täuscht uns keinen Augenblick .
Lessing dachte sich einen Abraham in heiliger , erhabener Einfalt und jener stellt uns einen Professor des neunzehnten Jahrhunderts vor , der wohl fühlt , daß er tausendmal geschickter sei als sein Auditorium , sich aber hütet , es zu zeigen , weil er weltklug genug ist , Niemand beleidigen zu wollen .
Er erscheint feig und arrogant zugleich . "
Frau von Meining lächelte und stimmte dem Grafen bei , auch Jenny schien seine Ansicht zu teilen .
" Dergleichen Reden hören sich gut an , doch hat es allerlei Bedenkliches damit ! " sagte Steinheim .
" Vor Allem vergessen Sie nicht , daß Nathan , der Unterdrückte , der verachtete Jude , zu seinem Herrn und Unterdrücke spricht .
Das mag die bescheidene , fast furchtsame Weise seines Auftretens bei aller seiner Selbstschätzung entschuldigen . "
" Im Gegenteil ! " rief Jenny .
" Wenn er es fühlt , daß er ein freier Mensch ist vor den Augen des Schöpfers , wenn er die Qual empfindet , unterdrückt , verachtet zu sein , so muß ihn das nur stolzer gegen seinen Unterdrücker machen .
Was kann ein Mann wie Nathan fürchten ?
-- Ketten und Gefängnis ?
Darüber erhebt ihn sein Selbstgefühl ; -- den Tod ?
Er hat sein Weib und seine Söhne sterben sehen und Gott getraut , er kann den Tod für sich nicht fürchten .
Feigheit ist nur die Schwäche kleiner Seelen ; wer sich wie Nathan frei empfindet , fürchtet Niemand und fühlt sich , selbst als verachteter Jude , den Besten gleich ! "
Sei es , daß Jenny durch Steinheim's frühere Behauptung über die notwendige Gleichheit in der Ehe verstimmt worden war , oder daß der Ausdruck " verachteter Jude " , den er jetzt gebraucht , ihr in Walter's Anwesenheit unangenehm gewesen , genug , sie fühlte einen Unmut in sich , der ihr fast Tränen erpresste .
Mit ungewohnter Heftigkeit hatte sie die letzten Worte gesprochen und stand dann schnell auf , um ihrem Vater entgegenzugehen . Sie fiel ihm um den Hals und küßte seine Hände :
" Du weiser Mann , Du armer verachteter Jude ! " sagte sie so leise , daß selbst ihr Vater die Worte nicht vernahm , der sich begrüßend zu Steinheim wandte , nach Nachrichten aus der Heimat fragte und Alle in die Unterhaltung verwickelte .
Nur Jenny war in tiefes Nachdenken versunken .
Walter bemerkte es und versuchte vergebens , in ihrer Seele zu lesen , als ein leichter Windstoß durch die Luft fuhr und Madame Steinheim unruhig auf ihren Gatten blickte .
Er schlug den Kragen seines Überziehers in die Höhe und rief : " Wie rast die Windsbraut durch die Luft !
Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken !
Weißt Du , Hannchen !
ich fühle ein Schnupfenfieber im Anzuge und wenn wir dies Baden - Baden nicht bald verlassen , stehe ich für Nichts .
Indes , wenn es Dir hier gefällt .... "
" Um Gottes Willen , nein ! " sagte die kleine Frau ängstlich und dann zu den Damen ge wandte :
" Es ist ganz wunderprächtig in Baden und ich hatte gehofft , hier das Badeleben kennen zu lernen , von dem man mir immer erzählt ; aber mein Mann hat so erstaunlich reizbare Nerven und meinte gleich , die Luft in diesem engen Tale würde ihm nicht zusagen .
Darum wollte ich nur , wir wären schon heraus und in Ems , wo mein lieber Steinheim eine Kur zu brauchen denkt . "
Während dieser Rede war Steinheim aufgebrochen , hatte sich fest in seinen Rock geknöpft , seine kleine Frau an den Arm genommen und empfahl sich , Goethes Worte parodierend , also :
" Wir aber , die wir hier nur Fremde sind und hier nur wenig Augenblicke weilten , wir kehren freudig und entzückt zurück , wenn wir Euch in der Vaterstadt begrüßen .
Ihr zählt uns zu den Euren und wir fühlen , welch einen Vorzug uns dies Los gewährt . "
Bald war das ungleiche Paar den Blicken entschwunden .
Der Diener mit dem zusammengerollten Teppich folgte in kleiner Entfernung .
Eine größere Gesellschaft hatte sich am Abend bei Frau von Meining versammelt .
Es war das erste Mal , seit sie in Baden lebte , und sie hatte es Herrn Meier und Jenny zur Pflicht gemacht , von der Partie zu sein , da sie dieselben mit einigen Personen bekannt zu machen wünschte , die ihnen fremd waren .
Die Gesellschaft war ziemlich belebt , man hatte geplaudert , musiziert und die Geheimrätin forderte Jenny auf , nun auch etwas zu singen .
Bereitwillig ging diese aus dem Salon in das Wohnzimmer , in der Hoffnung , unter den dort befindlichen Noten mehrstimmige Sachen zu finden , weil sie glaubte , daß dergleichen unterhaltender sein würde .
Die Etagere , auf der die Noten lagen , stand hinter einer Türe , deren geöffnete Flügel Jenny verbargen , sodaß sie von einigen Personen , die in der Türe standen , nicht gesehen werden konnte , obgleich kein Wort , das jene sprachen , für Jenny verloren ging .
" Was wird man jetzt singen ? " fragte eine alte Dame , deren Brust ein Stiftskreuz zierte , einen jungen Attache der ...
Gesandtschaft beim Bundestage .
" Ich glaube das Fräulein Meier proponierte mehrstimmige Piecen ! " antwortete der junge Mann .
" Sagen Sie mir , lieber Baron ! die Meiers scheinen ja Juden zu sein , wie kommt Frau von Meining zu denen und namentlich Graf Walter ?
Man sagt , er soll der unablässige Begleiter dieser Familie sein und man hält ihn für extravagant genug , die Vermutungen , von denen ich eben in dieser Rücksicht hörte , wahr zu machen " , sagte die Stiftsdame .
" Wie können Sie nur so etwas wiederholen , meine Gnädigste !
Graf Walter gefällt sich allerdings darin , der Rotüre gegenüber den Liberalen zu spielen , indes von der Torheit , die Sie ihm zutrauen , eine Jüdin zu heiraten , ist er sicher fern .
Die Meier ist hübsch und pikant .
Die Galanterie eines Grafen wird ihrer Eitelkeit schmeicheln und Sie wissen , die Freiheit des sogenannten Badelebens entschuldigt Manches ! " schloß lachend der Baron .
Atemlos und wie gelähmt stand Jenny da , den Kopf gegen eine Säule der Etagere gelehnt , als Frau von Meining zu ihr trat , der ihr langes Ausbleiben aufgefallen war .
Erschreckt fuhr sie empor , faßte sich aber gleich und sagte anscheinend ruhig :
" Ich finde die Noten nicht und möchte überhaupt nicht singen , wenn Du mich davon freisprechen wolltest . "
Aber davon wollte Frau von Meining nichts hören ; mit den freundlichsten Bitten nötigte sie Jenny an dem Flügel Platz zu nehmen und wenigstens irgend ein Lied zu singen , um damit der Gesellschaft ihren Tribut zu zahlen .
Einen Augenblick schien Jenny nachzudenken , sie mochte um die Wahl eines Liedes verlegen sein , dann war es , als ob ihr plötzlich ein Gedanke käme , sie griff mit sicherer Hand ein paar Akkorde und begann Byron's .
" Mädchen von Juda " zu singen , das von Kücken so meisterhaft komponiert ist .
Ihre starke , metallreiche Stimme schien von dem Schmerz in ihrer Brust einen neuen Zauber zu gewinnen , die tiefste Trauer klang aus ihren Tönen und als sie die zweite Strophe mit den Worten endete : " O Vaterland süß , o Vaterland mein ! wann wird dir Jehova ein Rachegott sein ? " wagte Niemand zu atmen und Alle standen wie festgebannt und beherrscht durch die Gewalt des Schmerzes , der in diesen Tönen zu Gott rief und von ihm Rache erflehte .
Dann ging der Gesang wieder zu wehmütiger Klage über , Jenny's Stimme wurde weicher , bis sie nochmals mächtig erklang in den Worten : " in Knechtschaft des Feindes der Jude verlacht " , und endlich matt in dem Wünsche erstarb : " O Vaterland süß , o Vaterland mein ! könnt ich nur im Tode vereinet dir sein . "
Die Röte der Begeisterung , die während des Singens Jenny's Wangen gefärbt hatte , war gegen das Ende des Liedes gewichen .
Ruhig aber angegriffen stand sie vom Instrumente auf .
Kein lautes Zeichen des Beifalls war zu hören , in Vieler Augen standen Tränen ; Andere sahen sich befremdet an .
Sie schienen dunkel zu ahnen , daß ihnen hier , wo sie flüchtige Unterhaltung zu finden gehofft , eine Wahr heit entgegengetreten war , vor der sie erschraken , wie vor einem Gespenste , das plötzlich am hellen Tage in die Reihen der Lebenden tritt .
Selbst Walter und Frau von Meining waren überrascht .
So hatte der Graf Jenny niemals singen hören ; er , der ihre Seele kannte , hätte vor ihr hinsinken und sie beschwören mögen , ihm die Ursache des Schmerzes zu vertrauen , der sie erschüttert hatte .
Er wollte und mußte sie sprechen , aber sie vermied seine Annäherung und verließ bald , nachdem sie gesungen hatte , die Gesellschaft .
Walter begleitete sie aus dem Saale hinaus und benutzte einen Augenblick , in dem ihr Vater im Nebenzimmer von einem Bekannten angeredet wurde , zu der Bitte , Jenny möge ihm heute noch eine kurze Unterredung gestatten , an der sein Glück und seine Hoffnung hänge .
" Ihr Glück , Herr Graf " , antwortete Jenny , " liegt außerhalb meiner Sphäre und Sie täuschen sich , wenn Sie es in meiner Nähe suchen !
Glauben Sie mir das , und dringen Sie nicht in mich ! "
Sie reichte ihm bewegt die Hand zum Abschied und ging am Arme ihres Vaters davon .
Jenny es Gesang und ihre ganze Persönlichkeit waren , während dies in einem der Nebenzimmer geschah , im Saale der Gegenstand der Unterhaltung geworden .
Einige priesen ihre Schönheit und Anmut , andere fanden ihr Auftreten abstoßend und stolz , zu ernsthaft und selbstbewußt für ein Frauenzimmer ; und ebenso große Meinungsverschiedenheit herrschte über ihren Gesang .
" Die Stimme ist vortrefflich " , bemerkte die Stiftsdame , " aber es zeigt immer von wenig Erziehung , sich und seine Gefühle so preiszugeben .
Ich will gestehen , es mag unangenehm genug sein , dem jüdischen Volke anzugehören , indes ist es doch nicht unsere Schuld , daß Freu lein Meier eine Jüdin ist und sich dessen schämt , und ich begreife nicht , mit welchem Rechte sie sich in der Gesellschaft in einer Weise gehen läßt , die für meine Nerven zum Beispiel viel zu stark ist .
Elle m'a fait Mal , je vous assure ! " " Viele stimmten ihr bei , schwiegen aber , als Frau von Meining sich dem Kreise näherte , in dem bald leichte Unterhaltung den Eindruck verwischte , den Jenny's Lied auf die Gesellschaft hervorgebracht .
Nur Frau von Meining dachte mit ängstlicher Besorgnis an sie , und ihr entging es nicht , daß auch der Graf bald nach Jenny's Entfernung das Haus verlassen hatte .
Der Abend war schwül und dunkel , als Walter aus den glänzend erleuchteten Zimmern der Geheimrätin in die nächtliche Dämmerung hinausschritt .
Er hatte im Laufe des Tages die Antwort seines Onkels erhalten , der es ihm nicht verbarg , wie diese Verbindung mit Jenny entschieden gegen seine Ansichten und seine Wünsche sei .
" Was ich aber nicht hindern kann " , schrieb er , " mag ich auch nicht tadeln .
Du bist unwiderruflich entschlossen und so wünsche ich von Herzen , daß Du in der Persönlichkeit Deiner künftigen Gattin , in ihrer Liebe Ersatz finden mögest , für die unerhört großen Opfer , die Du ihr bringen willst .
Sobald Deine Verlobung erklärt ist und Du mit Deiner Braut in unsere Gegend kommst , denke ich Dich zu treffen , um das Mädchen kennen zu lernen , das Dir würdig scheint , den Namen einer Gräfin Walter zu tragen ; eine Ehre , um die manche hochgeborene Jungfrau sie beneiden möchte .
Fräulein Meier wagt viel , indem sie sich auf diese Höhe stellt , und Du wirst Mut und Energie brauchen , um sie dort zu halten .
Aber das gerade zeigt Dich !
Nun , so geschehe , was geschehen soll und man muß sehen , wie man der Angelegenheit die beste Wendung gibt . "
Durch diesen Brief von dem Versprechen gegen Herrn Meier befreit , Jenny seine Liebe noch zu verschweigen , hatte er mit freudiger Bewegung den ganzen Tag eine Gelegenheit gesucht , sie allein zu sprechen .
Steinheim's Besuch , ihre darauf folgende Verstimmung hatten es ihm aber unmöglich gemacht , sich ihr zu nähern und ihn genötigt , sie bei Frau von Meining um jene Unterredung zu bitten , die sie ihm verweigert hatte .
Niemand konnte weniger persönliche Eitelkeit besitzen als Walter ; indes war er sich der Vorzüge bewußt , welche ihm seine Geburt und seine Verhältnisse vor vielen Männern geben .
Von Jugend auf hatte man ihm wiederholt , wie er jedes Mädchen durch seine Bewerbung ehre und überall waren die Frauen ihm in einer Weise entgegengekommen , die ihm eine Bestätigung für jene Behauptung geboten .
Jetzt liebte er mit aller Hingebung seiner Seele .
Jenny es früheres Betragen hatte in ihm die Hoffnung erweckt , daß sie seine Gefühle teile ; er war bereit , sie gegen die Vorurteile einer Welt zu schützen , deren Ansicht er gegen sich hatte , und sie verweigerte sich ihm , obgleich sie seine Liebe kannte .
Voll quälender Ungewißheit kehrte er endlich nach seiner Wohnung zurück ; in Jenny's Zimmer brannte Licht und ein Schatten bewegte sich an den Vorhängen hin und her .
Auch sie mußte noch wach sein .
" Das muß anders werden " , sagte Walter zu sich selbst .
" Ich will , so teuer sie mir ist , weder um ihre Liebe betteln , wenn sie mich ihrer unwert hält , noch II. 12 ihren Frieden stören .
Morgen ist sie mein , oder ich sehe sie nie wieder ! "
Trotz des männlichen Entschlusses seufzte er tief auf und blickte nochmals nach Jenny's Fenstern .
Aber eine Träne verdunkelte seinen Blick .
War es der Gedanke , Jenny zu verlieren , oder das Gefühl gekränkten Stolzes , das sie erpreßte ?
Walter zerdrückte sie schnell , als schämte er sich derselben und ging in das Haus , um auf seinem Lager , das der Schlummer floh , der Geliebten und des kommenden Tages zu denken .
Auch Jenny konnte keine Ruhe finden .
In der ersten Empörung ihrer Seele hatte sie , kaum heimgekehrt , sich ihrem Vater in die Arme werfen , ihm das Erlebte mitteilen und ihn beschwören wollen , am folgenden Tage Baden mit ihr zu verlassen .
Aber der Gedanke , wie tief die Überzeugung ihren Vater schmerzen würde , daß immer wieder der Fluch der Vorurteile auf seinen Kindern Ruhe , daß kein Alter und kein Verhältnis sie davor schütze , nötigte sie zum Schweigen und scheuchte sie in ihr Zimmer zurück , wo sie sich einsam der tiefsten Verzweiflung überließ .
Sie konnte sich es nicht verhehlen , sie liebte Walter ; nicht mit der stürmischen Glut der Leidenschaft , die sie für Reinhard gefühlt , sondern mit jener ruhigen Zuversicht , die an der Brust des Geliebten zwar nicht den Himmel jugendlicher Hoffnung , aber eine sichere Zuflucht in allen Stürmen des Lebens erwartet .
Sie wußte , wie teuer sie ihm sei , sie konnte sich in den lieblichsten Farben eine Zukunft an seiner Seite denken und hatte ihre Hoffnung , ohne es zu wissen , bereits an diese Zukunft geknüpft , das fühlte sie an dem Schmerz , den die Idee , sich von Walter trennen zu müssen , in ihr hervorrief .
Aber diese Trennung stand jetzt als Notwendigkeit vor ihr .
Die Äußerungen Steinheim's am Morgen und die Unterhaltung , 12 * deren Zuhörerin sie am Abend gewesen war , hatten ihr gezeigt , was sie ohnehin fühlte , daß sie Walter , indem sie seine Hand annehme , in den Kampf verwickle , den sie als Jüdin gegen die Meinung der Menge zu bestehen hatte .
" Ich war stark genug " , sagte sie , " noch ein Kind , meiner Liebe zu entsagen , um Frieden mit mir selbst zu haben , und sollte nicht Kraft besitzen , für Walter ein Gleiches zu tun , für ihn , der mir ein so großes Opfer bringen will ?
Nimmermehr !
Den Leidenskelch , der mir vom Schicksal bestimmt ist , will ich allein leeren .
Ich will Walter wiedersehen , ich will ihm morgen sagen , daß ich nie die Seine werde , weil ich ihn liebe , und mir wenigstens den Trost erhalten , sein Leben nicht verbittert zu haben .
Man hatte verabredet , am nächsten Tage die Fahrt nach Gernsbach zu machen , um mit dem Vater Maries , so hieß Jenny's Schütz ling , zu unterhandeln und wollte in zwei leichten Wagen fahren , da die Ungleichheit des Weges einer großen Equipage manche Schwierigkeiten bot .
Noch am Abend hatte Herr Meier Frau von Meining aufgefordert , einen Platz in seinem Coupe anzunehmen und Jenny wußte also , daß sie mit Walter fahren würde .
Dieses Arrangement wollte sie benutzen , sich gegen ihn zu rechtfertigen , und ihm begreiflich zu machen , daß sie scheiden müßten .
Auch Walter hatte seine Hoffnungen auf diese Fahrt gesetzt und war unangenehm überrascht , als am Morgen , nachdem die Equipage vorgefahren , der kleine Richard Jenny beschwor , ihn mit sich zu nehmen .
Anfangs schlug Jenny es ihm ab , aber der kleine Schmeichler schlang seine Arme um ihren Hals und rief weinend :
" Jenny !
Du hast mir es ja gestern versprochen und hast Mama versprochen , daß Du mich immer mitnimmst , und Du sagst , man muß Wort halten .
Ich bitte Dich , Tante ! nimm mich mit , ich werde ganz artig , ganz artig sein . "
Wollte sie die Absicht , mit Walter allein zu sein , nicht verraten , so war es nicht möglich , dem Knaben die Bitte abzuschlagen , da sie ihm dieselbe wirklich am vorigen Tage gewährt hatte .
Ebenso wenig konnte sie daran denken , ihn in den Wagen ihres Vaters zu placieren , dem die Unruhe des lebhaften Kindes bei solchen Partien sehr lästig war .
So mußte sie sich also , wenn auch nicht gern , dazu entschließen , Richard in Walter's Wagen mit sich zu nehmen , der , eine ungemein leichte Briczka mit Walter's mutigen Pferden bespannt , schnell einen so bedeutenden Vorsprung gewann , daß sie den Wagen ihres Vaters bald nicht mehr erblickten .
Der Morgen war prächtig und die schnelle Fahrt durch die wunderschöne Gegend erheiterte Jenny's Seele .
Zu jener Unterredung , zu der sie sich die Nacht hindurch mit Kraft und Mut gewaffnet hatte , ließ es die Anwesenheit Richard's nicht kommen , der bald Deutsch bald Englisch sein Entzücken aussprach , nach dem Namen jedes Dorfes fragte , an dem man vorüber fuhr und im Wagen aufspringend mit seiner Schmetterlingsschere nach den Schmetterlingen haschte , welche fröhlich gaukelnd durch die Lüfte flogen .
Sagte man ihm , sich ruhig zu halten , so fiel er Jenny um den Hals , fragte , ob er denn nicht artig sei , versprach , sich gleich besser zu betragen und war einen Augenblick darauf zu der ausgelassensten Fröhlichkeit und Unruhe zurückgekehrt .
" Wie dies fröhliche Kind mit der heiteren Natur harmoniert , die uns umgibt " , sagte Walter , der mit Vergnügen den schönen , kräftigen Knaben betrachtete .
" Wir sind bestimmt Alle erschaffen , um so glücklich zu sein ; und wird einst jenseits eine Rechenschaft von uns gefordert , so würde uns sicher jede Stunde , die wir durch unsere Schuld an Glück verloren , als eine Sünde ausgelegt werden . "
" Es kommt darauf an " , erwiderte Jenny , " was Sie unsere Schuld nennen , und ob ... "
" Jenny ! wie heißt der Fluß ? " fragte der Knabe , sie unterbrechend , als man eben jetzt eine freie Stelle erreicht hatte und die Murg sichtbar wurde , an deren hohem Felsenufer der Weg nach Gernsbach hinführt .
Je näher man diesem Städtchen kommt , je steiler werden die Abhänge des Weges .
Die ganze Gegend hat einen ernsteren Anstrich , man kommt in die Höhen des Schwarzwaldes , die tiefer ins Land hinein bei Vorbach , wo jene bekannten Holzschwellungen statthaben , einen fast schauerlichen Charakter gewinnen .
Jetzt fuhr man an dem linken Ufer der Murg dahin und Jenny konnte sich eines leichten Schwindels nicht erwehren , wenn sie von der Höhe , auf der die Straße gebahnt ist , hinab sah in das dunkle Wasser des Bergstromes , das hart an dem Fuße der steilen Felswand hinfließt .
Das ununterbrochene Steigen und Fallen des Weges brachte natürlich auch eine große Abwechslung in der Schnelle des Fahrens hervor , da die Pferde bald langsam eine Höhe hinaufstiegen , bald sie in Eile hinunterliefen , woran Richard eine unsägliche Freude zu finden schien .
Endlich hatte man den höchsten Punkt der Straße erreicht , von wo sie sich zu einer Tiefe senkt , welche die Anlegung von Hemmschuhen , auch für das leichteste Fuhrwerk und selbst bei den stärksten Pferden nötig macht .
Der Kutscher stieg ab , um diese Vorkehrung zu treffen und Richard erbat sich die Erlaubnis , zwischen Jenny und Walter auf den Sitz zu steigen , um zuzusehen , wie jener die Ketten losmachte , die Räder in die Gleise hob und dann zu den Pferden zu 12** rückkehrend , dem Diener die Zügel abnahm und vorwärts fuhr .
" Laß mich da stehen bleiben , Jenny ! " sagte der Knabe , " und zusehen , wie faul die Räder nun sind !
Ach ! " rief er dann , indem er sich mit der Schmetterlingsschere in der Hand hinüberbog , als ob er sie antreiben wollte :
" Ich werde euch laufen lehren ! "
In dem Augenblick hörte man ein leises Klirren und Richard rief fröhlich :
" Hei , wie die Dinger nun fortfliegen ! "
Die Kette des einen Hemmschuhes war gerissen , das andere Rad , durch die plötzliche Bewegung des Wagens aus dem Gleise gesprungen und mit fürchterlicher Schnelle flog die Briczka der Tiefe zu , ohne daß die Anstrengungen des Kutschers etwas gegen die Vehemenz vermochten , mit der der Wagen auf die Pferde eindrang , was sie zu verdoppelter Eile antrieb .
Ein Sturz der Pferde , ein Fehltritt nur , und der Wagen , aus der Richtung gekommen , lag zerschmettert am Fuße der Felsen in den Wellen der Murg !
Niemand , außer dem jubelnden Knaben , konnte sich es verbergen , wie drohend die Gefahr sei .
" Das Kind , das Kind ! " schrie Jenny , als sie das Unheil bemerkte , und zog mit Walter's Beistand den Knaben zu sich herunter , den sie in Todesangst an sich preßte .
Walter sah unverwandt auf die Pferde hin .
Er hatte seinen Arm wie schützend um Jenny gelegt und sagte :
" Keinen Laut ! keinen Schrei ! ich beschwöre Sie ! "
Dann zum Kutscher gewandt :
" Mut , Mut ! halte die Zügel kurz , sieh nicht zur Seite ! halte die Pferde nur noch wenig Augenblicke fest und wir sind gerettet ! "
Aber so ruhig er sich zu scheinen zwang , seine Stimme bebte und Leichenblässe bedeckte sein Gesicht , als endlich der Wagen in der Tiefe stillstand und der erschöpfte Kutscher den keuchenden Pferden Zeit zur Erholung gönnte .
Walter's erster Gedanke , sein erster Blick galt Jenny .
Sie war leblos , aus einer kleinen Stirnwunde blutend , zurückgesunken und ihre Arme hatten den Knaben losgelassen , der sie jetzt weinend umfaßt hielt .
Bei der Hast , mit der Jenny das Kind an sich gedrückt , hatte der eiserne Griff der Schmetterlingsschere Jenny's Stirn mit so heftigem Schlage getroffen , daß er die Haut zerriß , ohne daß Jenny in der entsetzlichen Aufregung des Momentes die Verwundung oder das herabtröpfelnd Blut bemerkte .
Nur des einen Gedankens , das Kind zu retten , das man ihr anvertraut hatte , war sie sich bewußt gewesen , und als mit dem Stillstehen der Pferde die furchtbare Angst von ihr gewichen , war sie , von einer in Seelenleiden durchwachten Nacht schon ohnehin angegriffen , ohnmächtig zusammengebrochen .
An eine augenblickliche Hilfe war hier nicht zu denken ; kein Haus in der Nähe , und wie weit der zurückgebliebene Wagen noch entfernt sei , ließ sich nicht berechnen .
Mit zitternder Hand legte Walter ein Tuch um Jenny's Stirn , nahm die ganz Bewußtlose in seine Arme und befahl dem Kutscher , so schnell als möglich vorwärts zu fahren , um Gernsbach zu erreichen , damit man das Nötige für Jenny herbeischaffen könnte .
Wie hatte er gewünscht , die Geliebte in seine Arme zu schließen , sie an seiner Brust zu halten !
Jetzt war sein Sehnen erfüllt und doch wie anders als er es gehofft !
Mit unaussprechlicher Liebe hingen seine Augen an Jenny's bleichen Zügen , er versuchte durch Reiben ihre Hände zu erwärmen und wer schildert sein Entzücken , als ein leiser Schimmer von Röte , ein schwacher Atemzug die Wiederkehr des Lebens anzeigten , als Jenny endlich langsam die großen dunklen Augen aufschlug , Richard mit seligem Lächeln anblickte , der ängstlich schwei gähnt vor ihr saß , und dann still weinend wieder an Walter's Brust sank .
Seiner selbst nicht mächtig drückte er sie an sein Herz und erwärmte mit glühenden Küssen ihre noch kalten Lippen .
" Warum weinst Du noch ?
Warum küßt Dich Graf Walter , Jenny ? " fragte der Knabe , ungeduldig das ihm peinliche Schweigen brechend .
" Weil Jenny meine Braut ist , weil wir uns freuen , daß wir dem Tode entgangen sind " , antwortete ihm Walter , strahlend vor Liebe und Wonne , " weil nun ein glückliches , seliges Leben vor uns liegt !
Komme , Richard , komme !
Du mußt unsere Freude teilen , denn auch über Dir , geliebtes Kind ! hat die Hand des Todes geschwebt ; komme , küsse auch Deine Jenny , meine schöne , süße Braut ! "
Und Jenny ?
Bei des Knaben erster Frage hatte sie sich von Walter's Brust emporgerichtet , beschämt über das Geständnis , welches sie demselben in ihrer Schwäche gemacht , als sie Ruhe suchend , sich an ihn , wie an ihren anerkannten Beschützer lehnte .
Jetzt stieg der Gedanke an die Trennung von dem Grafen wie ein düsterer Schatten vor ihrem Geiste auf , sie wendete sich ab von dem Geliebten und barg mit einem tiefen Seufzer das Gesicht in ihren Händen .
Aber Walter's Stimme , die Freude und Liebe , die aus seinen Worten klang , machte ihr innerstes Herz erbeben , und als er zärtlich sagte :
" Du wendest Dich fort , Jenny ? " vermochte sie nicht zu widerstehen , reichte ihm beide Hände hin und sagte :
" Ich habe es gewollt , ich wollte Dich meiden , weil mir Dein Glück teurer ist , als meines !
Gott will es anders -- wir leben noch !
so will ich auch nur in Dir leben , Walter ! "
Jenny es Hand in der seinen , Richard auf seinen Knien haltend , so langte Walter vor dem Gasthause in Gernsbach an , wo man ihn schon kannte , da er früher mehrmals auf seinen Streifereien hier eingesprochen war .
Er und der Diener halfen Jenny aus dem Wagen , die sich bereits wohler fühlte und dem Grafen , der nach einem Arzt verlangte , versicherte , wie sie weder eines Arztes , noch irgend eines Beistandes bedürfe .
" Nur der Kopf ist mir ein wenig schwer " , sagte sie , während sie die Binde von der Stirn nahm , " mir ist , als hätte ich zu tief und zu lange geschlafen -- und wirklich weiß ich kaum , ob ich erwacht bin , oder ob ein schöner Traum mich noch umfängt . "
" Frau Gräfin sollten doch den Doktor kommen lassen ! " sagte die geschäftige Wirtin und rief damit eine flüchtige Röte und ein freundliches Lächeln auf Jenny's Wangen hervor , das Walter unendlich glücklich machte .
Arm in Arm harrten sie der Ankunft ihres Vaters , der mit Überraschung sie in dieser Stellung sah , und , als er den Vorgang erfahren , als Walter ihn an sein Versprechen erinnert und dessen Erfüllung verlangt hatte , tief bewegt sein Kind segnete , das in so großer Gefahr ihm erhalten war und nun einer glücklichen Zukunft entgegenging .
Herr Meier und Frau von Meining allein genossen der Reize , welche Gernsbach und das zauberisch schöne Ebersteinsche Schloß schmücken .
Walter und Jenny sahen nur sich , und während jene sich der köstlichen Aussicht erfreuten , die man aus den Fenstern jenes Schlosses über das ganze Tal genießt , saß das Brautpaar am Fuße des Berges in dem Schatten einer Laube und Jenny erzählte dem Geliebten , wie sie noch gestern ihn habe beschwören wollen , sie zu verlassen , und wie schwer ihr der Entschluß geworden , weil sie ihn so lieb , so herzlich lieb habe .
Alle ihre Besorgnisse sprach sie ihm offen und frei aus , selbst jenes Gespräch der Stiftsdame teilte sie ihm mit , das sie so tief verletzt hatte , und fragte :
" Walter ! wird es Dich nie schmerzen , wenn Du Ähnliches hören müßtest ? "
" Niemals ! " sagte Walter entschieden .
" Glaube mir ! Habe ich es je als ein Glück empfunden , auf der Höhe des Lebens geboren zu sein , so war es , weil von dieser Höhe aus , mir jene Vorurteile , die den Sinn der Menge verwirren , stets so gar klein und töricht erschienen ; weil dieser Standpunkt unser Tun und Handeln sichtbar zur Richtschnur für viele Andere macht .
Ich bin stolz darauf , Dich , Du Geliebte , mit der Grafenkrone zu schmücken , zu zeigen , daß mir Dein Besitz mehr gilt als alle Würden der Welt und kein Tadel kann mich verletzen , da ich weiß , daß nie ein herrlicheres Weib unseren alten Namen getragen , als Du ! "
" Und Dein Onkel ?
Deine Angehörigen ?
Werden sie mich willkommen heißen , werden sie gleich Dir denken ? " wandte Jenny ein .
" Mein Onkel ist ein edler Mann und hat wie ich nicht mit dem Leben zu ringen gehabt ; wir fanden unseren Platz bereitet .
Darum würdigt er , gleich mir , die Stellung , die das Verdienst unserer Voreltern uns erworben ; aber er ehrt auch die Würde Desjenigen , der sich selbst erst seine Welt erschaffen muß .
Vergiß es nicht , daß es das freie , stolze England war , das zuerst seine Sklaven befreite .
Je freier ein edler Mensch sich selbst empfindet , je weiter wird sein Herz , je lebhafter empört er sich gegen Fesseln , die man den Anderen anlegt , gegen Unterdrückung und Unrecht .
Mein Onkel billigte meine Wahl nicht , ich gestehe das selbst , weil sie die alte Sitte unseres Hauses gegen sich hatte ; nun sie unwiderruflich ist und mein Glück begründet , wird er Dich lieben , wenn er Dich sieht , und gerade in ihm wirst Du den treusten Beistand finden , wie ich ihn kenne . "
In solchen Gesprächen und in fröhlichen Entwürfen für die Zukunft flogen die Stunden vorüber , und Herr Meier mußte Jenny erinnern , welche Absicht sie eigentlich hierher geführt .
Wie leicht mit Glücklichen zu unterhandeln sei , das empfand der Vater der kranken Marie bald .
Was er irgend verlangte , wurde ihm gern und schnell gewährt .
Man kam überein , ihm eine Summe zur Erweiterung seines Gewerbes anzuvertrauen , während man für Marie und ihr Kind ein kleines Kapital festsetzte , hinreichend , sie unabhängig von ihrem Vater zu unterhalten , der unter diesen Verhältnissen nicht anstand , der Tochter und dem Enkel sein Haus wieder zu öffnen , in das sie nach wenig Tagen wieder einziehen sollten .
Erst spät am Tage fuhren die Glücklichen nach Baden zurück , wo eine neue Freude ihrer harrte in den Briefen , die aus der Heimat angekommen waren .
Wie Herr Meier es vorausgesehen , hatte Eduard sich der Verbindung Jenny's mit Walter gefreut , von deren Wahrscheinlichkeit sein Vater ihn benachrichtigt hatte .
Er sah darin unwiderleglich den Triumph der Vernunft über jene Vorurteile , deren Bekämpfung sein Lebenszweck geworden ; und während diese Heirat Jenny's Glück begründete , gewann sie ihm einen Bundesgenossen , der aus Rücksicht auf sein eigenes Interesse und seine eigene Ehre , künftig die Rechte der Juden vertreten mußte , wo sie irgend angefochten wurden .
Eduard meldete noch , daß Ferdinand hergestellt und in den Kreis seiner Familie zurückgekehrt sei , was auch ein Brief von William und Clara wiederholte , die Beide in den wärmsten Ausdrücken von dem Danke sprachen , zu dem sie Eduard verpflichtet wären .
Sie nannten ihn den Gründer ihres Glückes , eines Glückes , dem jetzt nur die Anwesenheit ihrer Kinder fehle , um ein ganz vollkommenes zu sein , und Clara bat Jenny und Herrn Meier , ihre Abreise von Baden zu beschleunigen , falls es diese kein Opfer koste , weil sowohl sie als William sich lebhaft nach den Kindern sehnten .
Da nun ohnehin die Zeit , welche Frau von Meining gewöhnlich in Baden zuzubringen pflegte , sich bereits ihrem Ende nahte , so entschied man sich , Clara's Bitte nachzukommen und Baden etwas früher zu verlassen , als man es beabsichtigt hatte .
Noch einmal aber kehrten sie alle nach Gernsbach zurück , um Marie im Hause ihres Vaters zu besuchen , um noch einmal die Stelle wiederzusehen , an der dem Brautpaar aus Todesangst das höchste Glück erwachsen .
Diesmal war es Frau von Meining vergönnt , auch Jenny und Walter bewundernd die Gegend betrachten zu sehen , die ihr durch den alljährlich wiederholten Aufenthalt in derselben so wert war , und erst , nachdem der Graf ihr versprochen , im nächsten Jahre mit seiner Frau Baden wieder zu besuchen , schied man von der Gegend , in der Jenny's Schicksal eine so freundliche Wendung genommen hatte .
Über der Meierschen Familie , die wir durch wechselnde Erlebnisse begleitet , schien nun ein günstiges Gestirn in ruhiger Klarheit zu leuchten .
Vereint mit Frau von Meining und Walter hatte man Baden verlassen ; die Erstere fast bis in ihre Heimat begleitet und nach dem man die Kinder wohlbehalten in Clara's Arme geführt , hatte Jenny selig an Walter's Seite ihr väterliches Haus betreten .
Die innigste Eintracht verband ihre Familie mit der Hornschen .
Eduard schien in dem Glücke seiner Jenny , in der Freundschaft William's und Clara's den fröhlichen Sinn seiner frühesten Jugend wiederzufinden und gab sich mit ganzer Seele dem Vertrauen hin , mit dem Walter ihm brüderlich entgegenkam .
Männer wie Eduard und der Graf mußten sich leicht verständigen , da ihre Gesinnungen , wenn auch von verschiedenen Punkten ausgehend , sich am Ziele in dem Enthusiasmus begegneten , mit dem sie die Idee der Freiheit und des Fortschrittes umfingen .
Selbst die Ankunft von Walter's Onkel , deren Jenny bisweilen mit Scheu gedacht hatte , trug nur dazu bei , ihr Glück zu erhöhen .
Eine gewisse vornehme Zurückhaltung , welche der alte Graf bei der ersten Begegnung mit Jenny und ihrer Familie beobachtet hatte , war vor Jenny's Liebenswürdigkeit und der ruhigen Würde ihrer Angehörigen bald gewichen .
Schon nach wenigen Tagen , in denen Jenny die vollste Liebe des alten Grafen gewonnen hatte , sagte er , als er sich Abends mit Walter allein befand :
" Da es einmal nicht zu ändern ist , bekenne ich Dir , Du hättest schlechter wählen können , als dies Mädchen , die , ihre Geburt abgerechnet , eine wahre Perle unter den Frauen ist .
Aber folge mir ! heirate sie bald .
Es klingt mir doch nicht angenehm , Deinen Namen immerfort mit dem dieses übrigens wackeren Bankier Meier vereinigt zu hören .
Ist Jenny Deine Frau , so hört das natürlich auf und die Gräfin Walter ist leichter zu soutenieren gegen jede Einwendung als Mademoiselle Meier .
Sage dem lieben Kinde , daß ich es wohl mit ihr meine und darum die Beschleunigung Eurer II. 13 Ehe wünsche .
Ich denke den Vater schnell zu überzeugen , daß es für Euch das Beste ist , wenn Ihr bald als Mann und Frau auf Deine Güter geht und dort verweilet , bis Alles in die Residenz zurückkehrt , wo ich Euch erwarten will , um Jenny's erstes Auftreten zu erleichtern . "
Obgleich die Wichtigkeit , welche der alte Graf auf die Ausführung dieses Planes legte , Walter übertrieben schien , stimmte er doch so wohl mit seinen eigenen Wünschen zusammen , daß er bereitwillig darauf einging und man erlangte von Herrn Meier das Versprechen , Jenny's Hochzeit mit Walter schon in den ersten Tagen des Novembers zu feiern .
Der Onkel -- wie wir den alten Grafen mit Walter nennen wollen -- der Onkel selbst machte mit Walter fast überall den Begleiter und Beschützer der glücklichen Jenny , deren Gesellschaft ihm das lebhafteste Vergnügen gewährte .
Bis weilen fiel es ihm wohl auf , wie er jetzt ganz außer seinem gewohnten Kreise , in der Mitte einer jüdischen Familie lebe und sich ganz behaglich dabei fühle , dann aber beruhigte er sich mit dem Gedanken , daß es vernünftig sei , bonne mine à mauvais jeu zu machen und daß seine Pflicht ihm gebiete , den Schritt , den sein Neffe nun doch getan , gleichsam durch die Anerkennung zu rechtfertigen und zu heiligen , die er der künftigen Gräfin Walter schon jetzt bewies .
Er hatte erklärt , bis zur Hochzeit seines Neffen in dieser Stadt bleiben zu wollen , und unbeschäftigt , wie er es war , betrieb er auf das Angelegentlichste die Besorgung der Equipagen , des Silbergerätes und alles Dessen , was sonst noch zur vollständigen Einrichtung des künftigen Haushaltes gehörte ; oder er besuchte , da die Jagdzeit begonnen hatte , die Edelleute seiner Bekanntschaft , die in der Nähe ihre Besitzungen hatten .
13 * So war man in die letzten Tage des Oktobers gekommen , als der Onkel , während sie im Meierschen Hause zu Mittag aßen , seinen Neffen aufforderte , ihm zum Dank für die Mühe , welche ihm die Besorgung der neuen Einrichtung verursachte , auch seinerseits gefällig zu sein und ihn zu einem Freunde zu begleiten , der am nächsten Tage eine Jagdpartie veranstalten wollte , zu der er auch die beiden Grafen eingeladen hatte .
Walter antwortete anfangs ausweichend , aber der alte Herr wollte keine Entschuldigungen annehmen und sagte zu Jenny :
" Ich bitte Sie , Töchterchen ! legen Sie ein gutes Wort für einen alten Onkel ein , der Ihrem Bräutigam einst die erste Flinte in die Hand gab und sich nun einmal an den Künsten seines Schülers erfreuen möchte . "
Was wollte Walter machen ?
Er mußte die Einladung des Greises annehmen , dessen bitte Tender Ton sonderbar gegen seine befehlende Haltung abstach , und man stand von der Tafel auf , weil der Graf schon in der Dämmerung auf das Land zu fahren wünschte , um vor der Nacht bei seinen Freunden einzutreffen .
In lebhafte Diskussionen über eine Maßregel der Regierung vertieft , saßen nach dem Mittagsessen die beiden alten Herren ihren Kaffee trinkend vor der Flamme eines Kamins , während Walter mit seiner Braut in der Brüstung eines Fensters stand und Eduard und Joseph die neuesten Zeitungen durchflogen .
" Ich fahre ungern hinaus ! " sagte Walter , " so sehr ich die Jagd liebe , so wenig sagt mir gerade diese Gesellschaft zu , die mich außerdem ein paar Tage von Dir trennt . "
" Wie wäre es " , fragte Jenny , " wenn ich den Onkel bäte , Dich mir und meinem Vater zu lassen , da wir ja doch kaum noch eine Woche bei ihm bleiben ? "
" Nein ! laß das , Liebchen ! " antwortete der Graf , " und am Ende müssen wir diese kleine Trennung , die uns gerade jetzt so unangenehm ist , wie ein Opfer betrachten , das wir den Göttern bringen , damit sie uns nicht beneiden .
Wir sind zu glücklich gewesen bis jetzt und nun diese Zukunft vor uns ! "
" Sage das nicht , Walter ! "
bat Jenny ; " es klingt so sicher und wer ist des nächsten Tages nur gewiß ? "
" Abergläubisches Kind ! " schalt der Graf , indem er sie an sich zog .
" Warum sollte das Schicksal , das mich von Jugend auf begünstigte , mir jetzt seine Huld entziehen , da ich sie mit Dir zu teilen denke ?
Sei nicht bange , Jenny ! und vertraue mit mir meinem alten , wohlbekannten Glück ! "
Indessen hatte Eduard von der Zeitung aufgesehen und blickte mit innigstem Wohlwollen auf das Brautpaar hin :
" Schade , daß die Mutter das nicht sieht ! " sagte er leise zu Joseph , " daß sie nicht sieht , welch eine Zukunft Jenny's harrt , wie froh der Vater in Jenny's Glück sich fühlt !
Wie würde sie Teil nehmen auch an den Hoffnungen , die ich jetzt fester als jemals in mir hege ; die vielleicht bald zu schöner Wahrheit werden ! "
" Weißt Du , was noch bis dahin geschieht ? " entgegnete Joseph in seiner gewohnten Art .
" Den Toten ist am wohlsten , laß sie ruhn . "
Unangenehm durch diese Worte in seiner heiteren Stimmung berührt , stand Eduard auf und trat zu dem alten Grafen , der sich eben zum Fortgehen anschickte und Walter aufforderte , jetzt mit ihm zu kommen .
Herzlich nahm dieser Abschied von seiner Braut ; es war die erste tagelange Trennung seit ihrer Verlobung , und Jenny begleitete ihn bis in das Vorzimmer hinaus .
" Also zwei Tage , Walter ! " sagte Jenny , " länger bleibst Du nicht ! --
Hören Sie , lieber Onkel !
Keine Stunde länger borge ich Ihnen Walter und Sie selbst bringen mir ihn wieder ! "
-- rief sie den Scheidenden zu .
" Auf mein Wort ! " antwortete der alte Graf , als er mit Walter davonging .
Es war noch hell am Tage und Walter bat seinen Onkel , da sie noch Zeit hätten , mit ihm in den Laden des Juweliers zu treten , bei dem er den Brautschmuck für Jenny bestellt hatte , der noch einiger Abänderungen bedurfte .
Dort fanden sie einen Baron Werner , der früher mit Walter in demselben Regimente gedient hatte und nun nach jahrelangem Aufenthalt an verschiedenen Höfen Europas nach Deutschland zurückgekehrt war .
Verwundert , die beiden Grafen Walter hier zu sehen , wo sie weder Angehörige noch Besitzungen hatten , fragte Werner , während der alte Graf mit dem Juwelier in ein Nebenzimmer ging , wo Jenny's künftiges Silbergerät aufgestellt war .
" Welch ein Zufall führt Sie in diese Stadt , lieber Graf ? "
" Ich bin meiner Braut von Baden-Baden hierher gefolgt , und bleibe bis nach unserer Hochzeit hier ! "
" Sie sind Bräutigam ? " fragte Werner weiter -- " eine Feldheim ? eine Erstner vermutlich ! "
" Nein ! keines von Beiden !
Meine Braut ist Fräulein Jenny Meier , die Tochter des Bankier Meier . "
" Ah , fidonc !
Scherzen Sie nicht , das ist nicht möglich ! ein Judenmädchen ? " rief der Baron lachend .
" Was fällt Ihnen daran so sonderbar auf ? " fragte Walter verletzt und sehr ernsthaft .
" Ich kann_es nicht glauben !
Ihre Verhältnisse sind zu gut arrangiert " , antwortete Wer 13** einer noch immer lachend , " als daß sie nötig hätten , ein solches Mädchen zu heiraten pour fumer vos terres ! "
" Die Äußerung durfte keinen Mann von Ehre machen , nachdem ich erklärt , daß Fräulein Meier meine Braut sei ! " sagte Walter , heftig auffahrend .
Werner wollte in demselben Tone antworten , als der alte Graf mit dem Juwelier in das Zimmer und , ohne die Veranlassung des Streites zu kennen , zwischen sie trat .
" Keine Szene , meine Herren ! "
-- sagte er gebietend , aber leise .
" Sie wissen , wo Sie sich finden , was braucht es weiter ? "
-- Und indem er den Goldarbeiter ruhig noch einige Befehle gab , schritt er grüßend am Arme seines Neffen hinaus .
" Was gab es , Walter ? " fragte er , und dieser berichtete aufgeregt , was geschehen sei .
Der alte Herr schüttelte das Haupt : " Das war es , was ich fürchtete !
Dergleichen konnte nicht ausbleiben ! " sagte er , wie zu sich selbst .
Dann zu Walter sich wendend : " und was willst Du tun ? "
" Können Sie noch fragen ? " antwortete dieser .
" Der Unverschämte soll mir Genugtuung geben für die Beleidigung .
Ich eile , einen meiner Freunde aufzusuchen .
Ich werde Sie nicht hinausbegleiten , Onkel ! "
" Ruhig , ruhig , Walter ! " sagte der alte Graf .
" Ich werde ebenso wenig hinausfahren .
Die Angelegenheit mit Werner ist mir fatal !
Indes muß sie ernst und rasch beseitigt werden , darin Stimme ich Dir bei .
Es ist das Beste , Du weisest jede Vermittlung ab , zeigst gleich jetzt , daß Du in der Beziehung keine Scherze liebst , und damit man sieht , wie wir Achtung vor Deiner Braut hegen , will ich selbst Deinen Sekundanten machen .
Das Handwerk ist mir etwas fremd geworden -- indes ich finde mich wohl noch zurecht und sehe dann morgen doch , was mein Unterricht im Schießen für Früchte bei Dir getragen hat . "
Walter drückte dem väterlichen Freunde die Hand , der seine Unruhe scherzend verbergen wollte und nahm dankbar sein Erbieten an .
Werner's Herausforderung ließ nicht auf sich warten und Walter bat seinen Onkel , es so einzurichten , daß sie sich am nächsten Morgen schon treffen könnten .
Er selbst wolle seine Angelegenheiten ordnen und den Abend dann bei Jenny zubringen .
Aber sein Onkel riet ihm davon ab .
Er stellte ihm vor , daß Jenny ihn nicht erwarte .
" Und " , sagte er , " das gibt unnötig eine Rührung , die sie beunruhigt und Dich aufregt .
Ihr jungen Herren der jetzigen Zeit nehmt solche Dinge viel zu schwer .
In meiner Jugend war das anders !
Doch will ich Dich nicht hindern , Deine Angelegenheiten , wie Du es nennst , zu ordnen .
Nur zu Jenny gehe nicht !
Du siehst sie ja morgen wieder , sei es , daß Dir ein kleiner Aderlaß zugedacht ist , oder daß Du so davon kommst , und Du gehst ruhiger an die Sache , wenn Du Deine Braut ganz unbesorgt weißt . "
Diese Einwendungen überzeugten Walter und er fügte sich ihnen willig .
Jenny schlief am Morgen ruhig von anmutigen Träumen gewiegt , als man gegen die Gewohnheit sie aufzuwecken kam .
Verwundert fragte sie , was man verlange ?
Da der Eintritt ihres Vaters und Eduard's sie ein unerwartetes Ereignis ahnen ließen .
" Jenny ! " sagte ihr Vater , " kleide Dich schnell an , Du sollst heute zeigen , daß Du die Seelenstärke hast , die wir Dir zugetraut .
Walter ist erkrankt und verlangt nach Dir ! "
" Er ist tot ! " -- rief Jenny überwältigt von dem jähen Schreck .
" Nein , er lebt ! " antwortete Eduard , " aber er ist schwer verwundet auf der Jagd , und auf seinen Wunsch hat man ihn hierher gebracht ! "
Wenig Augenblicke darauf kniete Jenny an dem Lager des Geliebten .
Er kannte sie noch , dies bewies der Blick voll Liebe und Trauer , mit dem er sie begrüßte , die matte Bewegung , mit der er seine Hand auf ihr Haupt legte , als sie neben ihm niedersank .
Aber der Jammer auf den Gesichtern der Anwesenden , die Ruhe und Untätigkeit , welche in dem Zimmer herrschten , sagten ihr deutlich , daß hier keine Hoffnung sei , daß sie an einem Sterbebette stehe .
Walter's müdes Haupt ruhte wieder an ihrer Brust , unverwandt hing ihr Blick an den Zügen des Geliebten , keine Träne kam in ihre Augen , keine Klage entschlüpfte ihren Lippen .
Ihr stummer Schmerz beunruhigte die Anwesenden , und mit den Worten : " Jenny ! so mußte ich mein Wort lösen ! "
-- versuchte der alte Graf , so tief er selbst gebeugt war , die Unglückliche aus ihrer furchtbaren Ruhe zu reißen .
Aber umsonst !
Sie sah den Onkel ihres Bräutigams bemitleidend an , reichte ihm die Hand und versenkte ihre Seele wieder in das regungslose Anschauen des Geliebten .
Eine Stunde gräßlicher Stille war so entschwunden , nur Eduard's Bestrebungen , dem Verwundeten einige Erleichterung zu schaffen , unterbrachen die herrschende Ruhe .
Da hörte man plötzlich einen lauten Atemzug , Walter's Kopf sank vorwärts -- er hatte geendet .
Und mit einem Schrei des furchtbarsten Schmerzes fuhr Jenny nach ihrem Herzen und fiel auf die Leiche ihres Bräutigams nieder .
Am folgenden Tage verkündete die Zeitung :
" Gestern fand hier ein Schuß-Duell zwischen dem Grafen W... und dem Baron W... statt , dessen Folgen für den Grafen tödlich waren .
Er stand auf dem Punkte , sich zu vermählen und der Schmerz über seinen Verlust hat auch der unglücklichen Braut das Leben gekostet .
Familienverhältnisse sollen die Veranlassung zum Streite gegeben haben ! "
Weiter unten las man :
" Den plötzlich erfolgten Tod seiner einzigen Tochter Jenny meldet tief betrübt unter Verbittung des Beileides seinen Freunden und Bekannten. R. Meier . "
Bei Fackelschein hatte Graf Walter die Leiche seines Neffen aus der Stadt führen lassen , um sie selbst in die Gruft seiner Ahnen nach ihrem Stammschlosse zu begleiten .
Jetzt am Morgen standen drei Männer an einem frisch aufgeworfenen Grabe .
Es waren Herr Meier , Eduard und Joseph .
Sie hatten es von ihren Freunden als eine Gunst verlangt , daß man ihnen allein die Bestattung des teuren Lieblings überlasse , und Niemand hatte es gewagt , ihre Trauer zu stören .
Hell ging die Sonne an dem heiteren Himmel auf , der freundlichste Herbstmorgen beleuchtete Jenny's Grab .
Einsam standen die Ihren auf dem fremden christlichen Kirchhof , auf dem nun Jenny fern von ihrer Mutter , fern von jedem Blutsverwandten ruhte .
Starr und schweigend sah der unglückliche Vater zur Erde nieder , die sein Kind bedeckte , als aus Joseph's Brust der der Ausruf :
" Wozu leben wir noch ? " herzzerreißend zum Himmel tönte und die ersten Tränen in die Augen des Vaters lockte .
Da richtete Eduard sich mächtig empor :
" Wir leben " , sagte er , mit der Begeisterung eines Sehers -- " um eine Zeit zu erblicken , in der keine solche Opfer auf dem Altare der Vorurteile bluten !
Wir wollen leben , um eine freie Zukunft , um die Emanzipation unseres Volkes zu sehen ! "
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CC-BY
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- TextGrid Repository (2025). Lewald, Fanny. Jenny: Teil 2. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0d1.0