[ Vorrede zur 1. Auflage ]
In einem Jahrhundert , in welchem Kultur , Aufklärung und Verfeinerung zu einem so hohen Grade gestiegen sind , sollte man natürlicherweise den Einfluß davon auch auf das andere Geschlecht bemerken .
Man könnte erwarten , unter den Weibern mehr Ausbildung des Geistes , und richtigere Begriffe von ihren Pflichten und von ihrer Bestimmung zu finden .
Sie , welche in alle Verhältnisse des bürgerlichen Lebens verflochten sind , deren Einfluß sich von den einzelnen Teilen auf das Ganze erstreckt , sind noch weit entfernt , den Platz auszufüllen , welchen sie in der bürgerlichen Gesellschaft einnehmen .
In der großen Welt sind die Weiber in ihren Sitten , Ton und Manieren verfeinert ; allein an wahrer Geisteskultur fehlt es ihnen .
Doch über diese Sphäre hat der Luxus zu sehr seine verderblichen Fittiche ausgebreitet , als daß man hier hoffen könnte , durch heilsame , aber einfache Wahrheiten , Gutes stiften zu können .
Ich wende mich also an Euch , meine Mitbürgerinnen , die ihr nicht zu der Klasse gehört , in welcher die Bildung des Äußeren der letzte Zweck der Erziehung zu sein scheint , und wo auf die Begierde zu gefallen , alle Fähigkeiten des jungen Mädchens gerichtet werden .
Euch trage ich das Resultat meiner Betrachtungen vor .
Euch widme ich dieses Werk , welches ich nur darum schrieb , um in den Herzen mancher unter Euch gute Empfindungen zu erwecken .
Ich traure oft , wenn ich sehe , daß eine so große Anzahl von Geschöpfen , von der Natur mit ihren schönsten Anlagen begabt , entweder durch Erziehung verdrehet , oder ungebildet und roh auf der Bahn des Lebens fortwandelt , ohne im Geringsten sich ihrer Bestimmung zu nähern .
Es tut mir wehe , Menschen zu sehen , welche so tief unter dem wahren Menschen stehen : und wäre mein Buch nur ein Tropfen im Meere der Wahrheit und Aufklärung , so ist mir der Gedanke doch süß , vielleicht durch diesen Tropfen Einigen meiner Mitbürgerinnen Erkenntnis ihrer Bestimmung gegeben zu haben ; denn der Gesichtspunkt , aus welchem das Weib betrachtet wird , ist meistens noch falsch , er ist selbst bei wenigen Männern nur richtig .
Nur weil man sich noch nicht recht überzeugen will , wie groß der Nutzen sein kann , den das Weib in ihrer Sphäre zu stiften vermag , bleiben so viele Kräfte ihrer Seele unentwickelt .
Die Erziehung , welche die Weiber bekommen , kann in zwei Klassen geteilt werden : in der Einen wird alles auf das schimmernde gelenkt ; da lernt das Mädchen die geistigen und körperlichen Gaben anwenden , nur um zu glänzen , um zu gefallen .
In dieser Klasse findet man angenehme Gesellschafterinnen ; aber man gehe in ihre Wohnungen , wird man Gattinnen , wird man Mütter finden ? -
In dieser Klasse bilden sich noch die weiblichen bel esprits , von allen Weibern die schädlichsten ; weil durch sie Kenntnisse im Weibe lächerlich gemacht werden , da doch Kenntnisse das Weib , so wie den Mann , vervollkommnen .
In der Zweiten Erziehungsklasse wird das Weib zur Hausfrau gebildet :
da findet man gute Wirtschafterinnen ; aber wie wenig für den , der den ganzen Umfang der Pflichten des Weibes kennt !
O , wie wenige Weiber gibt es , welche wahrhaft aufgeklärt über ihre Pflichten und Bestimmung mit ausgebildetem Geiste und edlem Herzen auf der Bahn , auf welcher sie wandeln , alles das Gute und Nützliche stiften , welches innerhalb ihres Wirkungskreises liegt !
Und o , meine Mitbürgerinnen , warum sollten Sie nicht Alle von dem Stolze beseelt sein , sich über die Schranken zu erheben , welche Alltagsmeinungen Ihrem Geschlecht setzen ?
Warum sollten Sie das nicht in Ihrer Sphäre werden , was der Mann in der seinigen ist ?
Blicken Sie um sich , sehen Sie , wie groß Ihr Einfluß ist !
Sie sind ein Mitglied der großen Kette , an welcher alles zum Guten mitwirken soll !
Ihr Platz ist nicht unwichtig , füllen Sie ihn aus ! -
Und o , möchte doch unser Jahrhundert noch , so fruchtbar an großen Entdeckungen , an großen Geistesprodukten , doch auch der Nachwelt unsere Weiber als Muster vorstellen !
Vorrede zur zweiten Auflage Vorrede zur zweiten Auflage Die Nachsicht , mit der man ein Werk aufgenommen hat , welches der erste Versuch einer jugendlichen Feder war , macht es mir zur Pflicht , die Gründe darzutun , welche mich bewogen haben , Elisa , in jedem Moment ihres Lebens , gerade so , und nicht anders , darzustellen .
Ein Ideal kann nur einmal sein , sagt man , und dieses ist wahr ; allein ich wollte nur zeigen , wie in einzelnen Fällen , das Weib wohl am besten handeln würde .
Freilich hat jede individuelle Lage ihre eigenen Verpflichtungen ; allein die Gründe , welche Elisa zu ihren Handlungen bewogen , und ihr System , stets nach dem Gesetze des Guten zu handeln , und die Vernunft als ihre erste Führerin anzuerkennen , dieses sollte sich wohl jedes Weib zu eigen machen .
Ich stellte dieses System in einer Reihe von Handlungen auf , und konzentrierte sie in einer Person , weil ich gewiß glaube , daß Mann oder Weib , wer dieses System befolgt , glücklich ist .
Hierzu gehört freilich ein höherer Grad der Ausbildung des Verstandes , um das Bessere zu erkennen ; eine Standhaftigkeit ; eine Festigkeit im Guten .
Um alle diese Eigenschaften zu erlangen , hat der Mensch nicht selten mit Schwierigkeiten zu kämpfen , welche durch seine frühere Erziehung , durch Konvenienz , bürgerliche Einrichtungen , Gesellschaften und manches Individuelle in seiner Lage , erzeugt werden ; allein sollten wir darum jeden Versuch zur Besserung der Menschen aufgeben , weil so viele Ursachen vorhanden sind , die dieser Besserung entgegen wirken ?
Oder ist dieses nicht vielmehr ein Antrieb , wahre Aufklärung , und reine , einfache Moral , immer_mehr unter die Menschen zu verbreiten ?
Wenn wir gleich , unter unseren Weibern , keine Elisa finden möchten , so finden wir doch Manche unter ihnen , so empfänglich für jedes Gute , so bereitwillig es auszuüben , daß es ihnen oft nur an Berichtigung ihrer Begriffe , und mehrerer Ausbildung derselben fehlt , um ganz das leisten zu können , was sie als Weiber leisten sollten ; und für diese werden die Schriften , welche für sie geschrieben sind , nicht ganz ohne Nutzen bleiben .
Man hat es Unrecht gefunden , daß die sterbende Elisa Zweifel gegen die Unsterblichkeit der Seele hegte .
Es war meine Absicht , daß reine Moral die Bewegungsgründe zu Elisa's Handlungen ausmachte , und keine Grundsätze der positiven Religion , welche nur zu oft schwankend werden .
Dann aber mußte Elisa über positive Religion ganz aufgeklärt sein , oder sie war nicht das Weib , wie ich sie schildere .
Und sie , welche ihr ganzes Leben hindurch , Hoheit des Geistes und Festigkeit zeigte , hätte nicht sagen können , daß sie sich schon die Zerstörung ihres Wesens gedacht hätte ?
Mit der Erkenntnis , daß wir von einer Fortdauer nach dem Tode nichts wissen können , ist schon der Gedanke von der Zerstörung unseres Wesens verbunden , und viele Menschen müssen ihn schon gedacht haben .
Ich wollte zeigen , daß die Ruhe im Tode wohl hauptsächlich aus der Überzeugung entspringt , auf der Erde unsere Pflichten erfüllt zu haben ; weiter hinaus ist ein Vorhang vorgezogen , den wir Menschen wohl nie aufheben werden .
Halbe Aufklärung ist immer schädlich , warum sollen aber denn die Weiber nur halb aufgeklärt sein ?
Wer wird es verhindern , daß sie nicht viele Schriften lesen , in welchen über den Satz von der Unsterblichkeit der Seele entgegengesetzte Meinungen aufgestellt sind ?
Wird diese Ungewißheit sie aber nicht unglücklich machen , wenn sie diesen Satz als eine Bedingung ihrer Glückseligkeit angenommen haben ?
Und wäre es nicht besser , wenn jeder Einzelne diesen Satz als eine philosophische Meinung betrachtete , dessen Entscheidung außerhalb dem Gebiete des Menschen liegt , und eben deshalb auf die Ruhe und das Glück des Menschen keinen Einfluß haben kann ?
Bei mehrerem Nachdenken werden vielleicht die meisten Menschen zu dieser Überzeugung gelangen , die vielleicht im Tode am meisten Ruhe gewährt , da wir uns alsdann gewöhnt haben , an die Zukunft mit Ruhe zu denken .
Warum sollten wir aber das Nachdenken der Weiber nicht auch auf diesen Gegenstand leiten , da es für sie eben so wichtig ist , hier eine ruhige , feste Überzeugung zu erhalten .
Ich übergebe also meinen Mitbürgerinnen Elisa noch einmal in derselben Gestalt .
Selbst ein Weib , wünsche ich , wahre Tugend und höhere Ausbildung des Geistes immer mehr unter meinem Geschlecht verbreitet zu sehen , von welchen wir uns , durch eine falsche Richtung des Verstandes , immer mehr entfernen .
Durch die Kunst gebildet , wünschte ich das Weib zur Einfachheit und zur Natur zurückgeführt zu sehen .
Dieses war mein Zweck , als ich dieses Buch meinen Mitbürgerinnen weihte .
Mögen Andere diesen Zweck durch kräftigere Mittel erreichen , mögen edle Männer es sich zur Pflicht machen , durch ihr Verhalten die Weiber zur Tugend zu erziehen , jedes edle Weib wird ihnen danken !
Und die Verfasserin der Elisa wird gern ihr Buch der Vergessenheit übergeben , wenn sie hoffen darf , daß das System , welches Elisa befolgte , in den Herzen unserer meisten Weiber eingeprägt ist .
Vorbericht des Verlegers zu der dritten Auflage Vorbericht des Verlegers zu der dritten Auflage Um diesem musterhaften Buche , welches bereits in tausend Händen ist , den möglichsten Grad von Vollkommenheit zu geben , schrieb ich nach Erscheinung der vortrefflichen Rezension über Elisa ( in der A. L. Zeitung 1797 S. 381 ) an die verehrungswürdige Verfasserin , sandte ihr dieses Blatt und bat , wo möglich die Wünsche und Winke des Rezensenten zu erfüllen , und zu benutzen , da ich im Begriffe sei , eine N. Auflage zu machen ; zugleich forderte ich sie abermals auf , mir zu erlauben , doch jetzt ihrem Buche ihren Namen vordrucken zu dürfen , weil ein großer Teil ihrer Leser und Leserinnen wünschten , die Verfasserin der Elisa wenigstens dem Namen nach zu kennen .
Über alles dieses erhalte ich folgenden Brief , der als Neue Vorrede der Verfasserin gelten mag .
" Ich sage Ihnen meinen Dank für die Übersendung des Blattes der allgemeinen Literatur-Zeitung .
Sie wünschen also eine dritte Auflage zu veranstalten ? -
Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen , daß es nur wäre , um Ihrem Wünsche ein Genüge zu leisten , wenn ich mich noch einmal einer Arbeit an Elisa unterzöge .
Es ist ein Zug in meinem Charakter , daß ich mich ungern , und nicht mit glücklichem Erfolge , mit einem schon beendigten Werke noch einmal beschäftige , es fehlt mir hierzu an gehöriger Anstrengung , und es kostet mir viele Mühe , einen Faden wieder anzuknüpfen , den ich seit vielen Jahren fallen ließ .
Als ich Elisa schrieb , gehörte es in meinen Plan , sie sterben zu lassen .
Ich wollte die Ruhe schildern , welche das tugendhafte Weib bis ins Grab begleitet .
Ich legte ihr meine Überzeugungen in den Mund , wie ich es in dem ganzen Buche getan hatte , ohne zu wähnen , daß man hieran den mindesten Anstoß nehmen könnte ; denn die sterbende Elisa sagt ja nicht : Ich glaube an keine Unsterblichkeit der Seele , sie sagt nur :
Die Zukunft sei wie sie wolle , ich sterbe ruhig , weil ich mit dem Bewußtsein sterbe , meine Pflichten erfüllt zu haben .
Ich finde dieses Gefühl in dem tugendhaften Sterbenden so natürlich , daß ich Elisa nie anders sterben lassen könnte ; und wohl dem Menschen , der mit diesem Gefühl in den Tod gehen kann ! - -
Doch sollte Elisa zum Drittenmal verändert erscheinen , so würde ich sie nun gar nicht mehr sterben lassen .
Der Rezensent sagt zwar selbst , daß die Wendung verbraucht ist , ihr ihren ersten Geliebten zum zweiten Gatten zu geben ; wünschen Sie aber noch eine dritte Auflage von Elisa zu machen , so will ich sehen , wie mir diese Wendung gelingen wird , ob ich mir gleich nicht viel davon verspreche , da ich wenig Neues hinzufügen könnte , indem meine Getan ken über weibliche Pflichten in der Elisa , wie sie gegenwärtig ist , enthalten sind .
Doch ich würde alsdann meinen Versuch Ihrer Prüfung überlassen , und es würde Ihnen immer frei stehen , ob Sie diesen Anhang der Elisa beifügen wollen oder nicht .
Ich bitte Sie , mir hierüber bald zu antworten , und mir Ihre Gedanken mitzuteilen . -
Nur kann ich Ihnen nicht versprechen , das Geschäft bald zu beschleunigen , denn ich erwarte in einigen Monaten , Mutter zu werden , welches mir bei dieser Arbeit einige Hindernisse verursachen könnte .
Was Ihr zweites Verlangen betrifft , so kann ich Ihnen die Erfüllung desselben nicht gewähren .
Ich sage Ihnen meinen Dank für Ihre Verschwiegenheit , und bitte Sie , sie in Absicht meiner beizubehalten .
Ich bin so wenigen Menschen bekannt , daß durch Nennung meines Namens ich doch den meisten , welche mein Buch lesen , nicht bekannter werde , und in dem Zirkel , in welchem ich lebe , würde die Nennung meines Namens als eine Anmaßung gelten , die mir einen Teil der Achtung und des Zutrauens rauben könnte , deren ich jetzt genieße " u. s.w .
Alle diese hier von der Verfasserin selbst aufgestellten Gründe - die Notwendigkeit der baldigen Erscheinung dieser dritten Auflage , da ich kein einziges Exemplar mehr hatte , und die Nachricht , daß in Mannheim ein elender Nachdruck existiere , bestimmten mich , auf alle Umänderung Verzicht zu tun .
Mit hin tritt Elisa bloß verschönerter , und völlig von allen kleinen Fehlern frei , zum Drittenmal auf , und in dieser Gestalt ist sie auch zum Behuf für Lernende der französischen Sprache , in dieser Sprache übersetzt worden . -
Heil und Segen der würdigen Verfasserin ; denn ihre Lehren und ihre aufgestellten Beispiele der Tugend müssen hundertfältige Früchte bringen .
Elisa Elisa " Fast ein halbes Jahrhundert habe ich durchlebt , viele Menschen habe ich gesehen , aber selten wahres Glück angetroffen ; ich habe Unwürdigen Ehrenstellen erteilen , und sie vom Rechtschaffenen , aber minder Beglückten , beneiden sehen ; aber nicht den gefunden , der bei harten Schlägen des Schicksals sich sagte : und dennoch bin ich glücklich !
Nicht den , dessen Wünsche nicht seine Kräfte überschritten hätten , der zufrieden mit dem Platze , den das Schicksal ihm angewiesen , sich nicht immer aus demselben versetzt , und allenthalben Glück , nur da wo er sein mußte , Unglück sah .
Und eben weil die Menschen nie ihrer Lage gemäß denken und handeln , entsteht so mannigfaches Übel .
Nein , die Welt ist weder ein Himmel noch eine Hölle , und die Menschen weder Engel noch Teufel !
Manche frohe Stunde wirst Du haben , meine Tochter , aber auch manche Leiden warten Deiner .
Erwarte stets beides .
Denke im Taumel des Glücks , daß ein fernes Übel Dir droht , und in Widerwärtigkeiten vergiß nicht , daß auch dann noch Freude Dir lächelt .
Sei in beiden Dir gleich , sei immer tugendhaft .
Handle , wie Du handeln mußt .
Sei stets da , wo das Schicksal Dich berief , dann wird Stärke des Geistes Dich nie verlassen , und der Schimmer des Glücks Dich nie verführen .
Liebe die Menschen , ertrage sie , verzeihe ihnen Beleidigungen , wirke stets Gutes , so viel Du kannst , und Du wirst nie das Unglück kennen . "
So sprach auf seinem Sterbebette der Baron von Hohnau zu Elisa , seiner dreizehnjährigen Tochter , und starb bald darauf .
Seine Worte prägten sich tief in ihr Herz ; sie fiel nieder bei der Leiche ihres Vaters , küßte seine erstarrte Hand , und sprach : Vater , ich will stets Deine Tochter sein !
Lange blieb sie sprachlos bei dem entseelten Leichnam liegen ; ihre junge Seele faßte ganz den Schmerz der Trennung .
Elisa trauerte lange um den Verlust ihres Vaters , aber im Frühlinge des Lebens ist der Schmerz nicht dauernd , er sollte es am Abende auch nicht sein . -
Elisa hörte auf zu weinen , aber sie vergaß nicht die Lehren ihres Vaters ; sein Bild umschwebte sie , und seinen Schatten zu verehren , bildete sie ihre Seele zu jedem Guten .
In einer der größten Städte Deutschlands hatte der Baron von Hohnau mit seiner Familie gelebt .
Sie bestand aus seiner Frau und zwei Töchtern , von welchen Elisa die älteste war ; ihre Mutter verließ die Stadt nach dem Tode ihres Mannes , und begab sich auf das Land .
Die Baronin von Hohnau verband mit einem guten Herzen und einem richtigen Verstande viele Fehler : stolz , strenge , von einem kalten , gleichgültigen Charakter , war sie immer bereit , zu verdammen ; die unschuldigsten Handlungen hörten es auf in ihrem Auge zu sein , sobald sie der Schicklichkeit zuwider waren , und Ahnenstolz nannte sie Schicklichkeit .
Ganz das Gegenteil der sanften , gefühlvollen , Alles liebenden Elisa , liebte sie diese nicht sehr , sondern zog ihr Caroline , ihre jüngere Schwester , vor , welche fast ganz das Ebenbild ihrer Mutter , nur böser , als jene , war .
Elisa besaß eine Freundin , ihr Name war Henriette von Wahnberg sie war einige Jahre älter als Elisa , eine Waise und dürftig .
Die Baronin von Hohnau erlaubte , daß sie die Gesellschafterin ihrer Töchter wurde , und bot ihr ihr Haus zu ihrem Aufenthalte an .
An der Seite ihrer teuren Henriette verlebte Elisa die ersten Jahre ihres angehenden Frühlings .
Sie ordnete ihre allzu feurige Einbildungskraft , durch welche die junge Elisa hätte irre geleitet werden können .
Am Grabe ihres Vaters wiederholte ihr Henriette oft seine Lehren , und gerührt erwiderte ihr einst Elisa :
Ja , unvergeßlich sind mir seine letzten Worte , unvergeßlich ist mir seine Tugend , seine Größe der Seele !
Ach , Henriette !
ich versprach es seinem Schatten , ihm ähnlich zu werden , sage , hielt ich mein Versprechen ?
Henr . Liebe Elisa , es zu wollen , ist schon Tugend .
Elisa . Nein , nein , weg mit jener Gemeintugend , weg mit jenen guten Vorsätzen , welche unausgeführt bleiben !
Sieh , Henriette , den reinen heiteren Himmel , er soll immer das Bild meiner Seele sein , ewig rein und unbefleckt !
Henr . Wohl Dir dann , meine Freundin , wenn dieses stets so ist . -
O , daß Kummer immer so entfernt von Dir sein mag , als es das Laster gewiß sein wird !
Elisa . Warum diese Betrachtung , Henriette ?
Ich kann erwarten , daß ich den Kummer nicht kennen werde .
Ich kenne nur ein Glück , Liebe und Tugend können es gewähren .
Mit einem edlen Manne verbunden zu sein , ist das einzige Gut , nach welchem ich strebe ; es wird mir zu Teil werden , und an seiner Seite werde ich jedes Ungemach ertragen .
Henr . Warum nur unter dieser Bedingung , Elisa ?
Wer hat Dir Dein Los gesagt ?
Keine Schwärmerei !
Sie wird Dich elend machen .
Den Mann nach Deinem Herzen findest Du nicht .
Sanfte , gefühlvolle , erhabene Seele , Du lebtest nur in der Einsamkeit , Du weißt nicht , wie in der Welt Leidenschaften und entgegengesetztes Interesse mit einander kämpfen , wie bald die Tugend unterliegt , wie besonders jene Delikatesse , jene seine Gefühle bald erstickt werden , welche in der männlichen Seele nie in der Stärke als in der weiblichen sind .
O , Elisa ! eine Eigenschaft fehlt Dir noch , ohne welche die Tugend nur Schwachheit ist , und welche die letzte Rede Deines Vaters Dich lehren sollte : Stärke der Seele , und richtige Beurteilung .
Er warte Mittelmäßigkeit von den Menschen , erwarte von der Hand des Schicksals Kummer und Freude .
Dieses - Elisa . Dieses waren seine Worte ; glaube nicht , daß ich sie vergessen werde .
Ach , Henriette ! führe , leite mich .
Ich kann es mir oft nicht vorstellen , daß die Menschen nicht eben so dächten , eben so empfänden , als ich .
Alles Große und Schöne erregt ja ein so erhabenes Gefühl in uns , gefällt , so bald wir es erkennen , und erzeugt das Verlangen , es zu erreichen .
Henr . Wohl wahr , meine Freundin , wenn alle Menschen so wie Du und ich Zeit hätten , auf ihre inneren Gefühle zu merken .
Wenn sie nicht vom Strome der Leidenschaften und von tausend Begebenheiten hingerissen würden , welche es ihnen . unmöglich machen , richtig zu urteilen ; und wenn endlich , noch ehe sie denken konnten , nicht schon ihr Geschmack eine falsche Richtung bekommen hätte , wo sie nicht mehr fähig sind , weder das Schöne zu erkennen , noch Gefühl dafür zu haben .
Elisa . ( Mit einem Seufzer . )
Ach , Henriette ! so würde ich mich ja fast allein in der Welt finden ? so fände ich nicht Seelen , die mich verstehen , so müßte ich einsam , von den Menschen entfernt , meine Tage zubringen ?
Henr . Nein , ein so trauriges Bild wollte ich nicht in Dir erregen .
Fliehen sollst Du die Menschen nicht , nur keine überspannten Begriffe von ihrer Tugend haben .
Jede gute Seele wird Dich verstehen ( und deren gibt es noch viele ) , wenn Du nicht Vollkommenheit von ihnen heischest .
Nein , die Tugend selbst hörte auf , es zu sein , wenn sie nicht mit Menschen leben könnte ; und welche gefühlvolle Seele wünschte nicht lieber von Menschen hintergangen zu werden , als nur in sich verschlossen zu leben ?
Elisa . Ich fühle die Wahrheit Deiner Worte , auch erwarte ich nicht , mich in jedem Menschen zu finden ; aber es gibt doch deren gewiß , welche eben so denken , eben so empfinden , als ich .
Henr . Weit entfernt sei es von mir , die menschliche Natur so zu erniedrigen , um das Dasein schöner Seelen zu bezweifeln .
Ja , sie sind noch , die , welche das Gute nur um seiner selbst Willen lieben , die uneigennützig edel handeln , die Wohlwollen und Liebe für jedes Wesen empfinden .
Aber , ob Du sie antreffen wirst , Elisa ?
Ob sie sich nicht in der Menge verlieren werden , und Du sie dann nicht wahrnimmst ?
Wer kann dir das versprechen ?
Elisa . Mein Herz ! -
Es wird sie finden !
Henr . Liebenswürdige Schwärmerin ! oft wirst Du glauben , sie gefunden zu haben , und wirst dann trauern , wenn Du Dich hintergangen hast !
Elisa . ( Sie umarmend . )
Henriette , so wirst Du mir doch bleiben ! aber warum zerstörst Du immer die süßen Bilder meiner Einbildungskraft ?
Henr .
Weil es Bilder sind , und Du sie als Wirklichkeit betrachtest .
Elisa , ich schwärme vielleicht auch , aber meine Einbildungskraft zeigt mir Dich , als das Ideal weiblicher Vollkommenheit , und ich will , daß Du es erreichen sollst .
Elisa . Ich , Vollkommenheit erreichen , so weit sie ein Weib erreichen kann ?
O , Henriette , dieser Gedanke erhöht mein ganzes Selbst !
Henr . Und er schmeichelt meinem Stolze , wenn ich denke , daß auch ich daran arbeite .
Doch , ich täusche mich .
Wenn Elisa die Vollkommenste ihres Geschlechts wird , so ist sie es durch ihren Vater , durch sich selbst geworden .
Elisa . Vollkommenheit ! hoher , erhabener Begriff , den wir kaum fassen können , dir werde ich mich nicht nähern ! aber gut will ich werden , und hierzu , meine Henriette , bedarf ich Deiner Hilfe !
Henr . Ja , Elisa , nie werde ich schweigen , wenn Du fehlst , nie Dir die Wahrheit verhüllen .
Meine ganze Seele hängt an Dir , ich teile Deine Tugenden , Deine Fehler , ja die Ersteren machen mich stolz .
Elisa . Liebes Mädchen !
Sei versichert , von heute an bilde ich mir keine Menschen mehr , Du zeigst mir , daß ich Unrecht hätte , wenn ich mehr suchte , als ich schon gefunden habe . -
Elisa und Henriette umarmten sich , wie nur reine Seelen sich umarmen können , welche der Tugend Bund beschwören .
Stummes Entzücken , und Ergießung des Herzens , war in dem Kusse der Freundschaft .
Eine sah in der Anderen die liebevolle , erhabene Seele , und beide liebten sich um so mehr .
So verflossen noch einige Jahre , in welchen Elisa , immer noch von ihrer feurigen Einbildungskraft geleitet , das Ideal des Schönen und Großen nicht mehr in Anderen suchte , sondern in sich zu erreichen sich bestrebte .
Sie gewöhnte sich , Dinge und Menschen zu betrachten , wie sie wirklich waren .
Den schönen Traum von Tugend ; Freiheit , Gleichheit unter allen Menschen , träumte sie zwar auch , sah auch ein , daß es möglich werden könnte , und daß , wenn die Menschen besser wären , sie auch glücklicher sein würden ; allein dieses wurde zu ihrer Zeit so viel gesagt und geschrieben , ohne daß die , welche es am häufigsten sagten , bei sich selbst diese große Verbesserung anfingen .
Elisa sagte es nicht , aber sie wollte es sich durch sich selbst beweisen .
Sie sah , daß die Menschen nach unseren politischen und bürgerlichen Einrichtungen nicht besser sein konnten ; daß notwendige Ursachen eben diese Einrichtungen hervorgebracht hatten , das sah sie auch , und daß diese gleichwohl nicht eher würden geändert werden , als bis die Menschen klüger und besser würden , das erkannte sie .
Auch dachte sie , daß ein Jeder , der dieses einsieht , hierzu beitragen könnte ; zwar nicht durch das beständige Zurufen : Werdet besser , und werdet glücklicher ! sondern durch Handlungen , diesem Grundsatze gemäß .
Zeigt es erst den Menschen , daß dieses so ist , sprach sie zu ihrer Henriette , und dann fordert es von ihnen !
Klagt nicht , daß das Glück nicht das Verdienst belohnt , zeigt , daß es in eurem Verdienste , in eurer Tugend , in Euch selbst besteht , daß fremde Güter es Euch nicht geben , und Unfälle es Euch nicht rauben können , weil Ihr es mit Euch führt !
Bereitet Tugenden der künftigen Generation , und erzeiget der gegenwärtigen Gutes !
Oft muß ein halbes Jahrhundert erst eine Revolution in der Denkungsart bewirken .
- So wurde Elisa , immer noch feurig in ihren Empfindungen , kalt in ihren Urteilen und Schlüssen ; sie empfand lebhaft , aber sie dachte richtig .
Uneigennützige Liebe und Wohlwollen hegte sie gegen alle Menschen , aber sie erwartete sie nicht von ihnen ; wenn sie sie antraf , empfing sie die Beweise davon mit Dank und Rührung .
Jedoch weit entfernt , mißtrauisch zu sein , ahndete sie nicht Böses in jeder Handlung ihrer Mitgeschöpfe ; nein , sie wußte , daß die Menschen immer nach dem Guten streben , und daß falsche Begriffe allein sie irre leiten ; nie würden sie einander beleidigen , nie sich zu schaden suchen , wenn sie sich nicht gegenseitig als ein Hindernis ihrer Glückseligkeit betrachteten .
Dieses machte sie weniger empfindlich für Beleidigungen , und bereiter zu verzeihen .
Liebe und Güte schienen in der ganzen Natur zu atmen , und schienen allein ihr Wesen auszumachen .
Sie verehrte in allen Geschöpfen den ersten Ursprung aller Wesen .
Wenn sie zum Himmel blickte , sich Millionen Welten dachte , so verlor sich ihr Geist in diesen Betrachtungen .
Die Pracht , die Größe , die Mannigfaltigkeit der Welt erhob ihn ; im stummen Staunen stand sie da , und empfand endlich , daß der Geist zu dieser Unendlichkeit sich nicht erheben könnte ; wenn aber der Gesang der Vögel im nahen Hain erschallte , wenn der Nachtigall liebliches Lied ertönte , wenn sie den brausenden Käfer , den Wurm zu ihren Füßen , die wimmelnden Insekten , welche die Lust erfüllten , sah , dann fiel sie nieder und rief aus :
Ja , du bist !
du bist !
Der Wurm so wie der Sternen Heere beweisen dein Dasein ; das Insekt , das ich einatme , zeiget deine Größe !
- Und dieses Gefühl vom Dasein eines ersten Wesens , welches nur Sophisterei bezweifelt , das Herz aber immer erkennt , und der Verstand immer begreift , war ihr das seligste .
Wohin sie sah , erblickte sie den Urheber alles Seins :
Was du auch bist , sprach sie , gewiß , du hörst nie auf zu wirken ; ich erkenne es , deine Kraft belebt die ganze Natur ! -
Elisa glaubte , daß es des Menschen edelstes Geschäft wäre , den Geist aufzuklären , und ihn dadurch zu veredeln ; sie bildete ihren Verstand , erwarb sich Talente und Kenntnisse , und durch Lesen und Nachdenken hatte sie die Eigenschaften erlangt , welche sie so liebenswürdig machten .
Lesen , auf Gelehrsamkeit Anspruch machen , schöne Geister sein zu wollen , war zwar zu ihrer Zeit unter den Frauenzimmern so gewöhnlich , daß sie oft ihre wichtigeren Pflichten darüber versäumten , und daß vernünftige Männer , welche diesen Mißbrauch einsahen , alle Beschäftigungen des Geistes für ein Frauenzimmer verwarfen , weil sie sie als Quelle dieses Übels betrachteten , und sie zur Unwissenheit verdammten ; weil Mißbrauch der edelsten Beschäftigungen , falsche Anwendung derselben , und das Verlangen , mit Kenntnissen zu prahlen , sie zu Törinnen machte .
Wer hätte aber eine Elisa getadelt , welche nur lernte , um besser zu werden ? die edles Vergnügen , stärkeren Reiz zur Tugend in den Beschäftigungen des Geistes fand , die , weit entfernt durch Witz , Verstand und Gelehrsamkeit glänzen zu wollen , jeden Schein davon vermied , und welche auch die geringste Handarbeit nicht verachtete , ihr willig ihre liebsten Beschäftigungen aufopferte , sobald Pflicht es heischte ?
Elisa teilte einst selbst ihre Gedanken über diesen Gegenstand ihrer Henriette mit , nachdem sie einige Stunden in einer Gesellschaft schöner Geister von beiden Geschlechtern zugebracht hatte .
Elisa . ( Henriette , welche ihr entgegen kommt , freudig umarmend . ) O , wie wohl ist mir , Henriette , daß ich wieder bei Dir bin !
Henr . Habe ich diese Freude Deiner Liebe zu mir , oder der Langenweile , die Du empfandest , zu verdanken ?
Elisa . Beidem , liebes Mädchen !
doch ich gestehe es Dir , in diesem Augenblicke mehr noch der letzteren .
( Sie gähnt . ) O , es ist unerträglich langweilig , mit Leuten umzugehen , welche aufgehört haben , die Sprache der Natur zu sprechen ; die alle vor Verlangen brennen , ein wenig Witz und einige seichte Kenntnisse zu zeigen , und aus allzu großer Gelehrsamkeit oft Ungereimtheiten sagen .
Henr . Du sprichst so ?
Du , die Du in den Unterhaltungen des Geistes Dein größtes Vergnügen findest , und mit Entzücken die Schriften großer Männer liefest ?
Elisa . Ja , Henriette ; ich verehre wahre Gelehrsamkeit , aber ich verachte eben so sehr jeden Schein derselben , den nur unwissende Pedanten annehmen , um sich verächtlicher zu machen . -
Großes Wesen ! wenn es der edelste Vorzug des Menschen ist , daß er fähig ist , durch anhaltendes Forschen höhere Kenntnisse zu erlangen , wie sehr erniedrigt er sich , wenn er die großen Fähigkeiten , welche du ihm gabst , nur anwendet , durch Mißbrauch derselben unverdiente Bewunderung zu erlangen !
Wenn der , den das Glück begünstiget , seinen Geist zu bilden , sich nur begnügt , statt Begriffe leere Worte zu sammeln , mit welchen er vor Unwissenden , sich den Schein tiefer Gelehrsamkeit gibt , und noch stolz auf diese nichtige Wissenschaft ist !
Henr . Liebe Elisa , bist Du nicht allzu strenge gegen diese armen Würmer der Gelehrsamkeit , welchen , sich hinaufzuschwingen , Flügel fehlen ?
Elisa . Nein , Henriette , ich verlange nur , daß man seine Ohnmacht fühle , daß man einen Blick in sich selbst tue .
Wüßten alle schöne Geister und philosophierende Damen , wie töricht sie durch das Bestreben werden , mit der Oberfläche von Kenntnissen zu glänzen , welche nur ihre Unwissenheit beweist , sie würden ihrer Eitelkeit bald eine andere Richtung geben , und aufhören , Kenntnissen und Gelehrsamkeit den Anstrich des Lächerlichen zu geben .
Henr .
Aber , meine liebe Moralistin , Sie schelten auf philosophierende Damen , und philosophieren doch selbst so gern .
Elisa . Henriette !
ich bin doch keine Pedantin .
Unglücklich wäre das Weib , wenn es zur Unwissenheit verdammt wäre !
Nein , die Natur gab uns gleiche Fähigkeiten , wir haben also gleiche Verpflichtung , sie auszubilden .
Ja , unsere bürgerliche und gesellschaftliche Verfassung erfordert , daß Weiber in den höheren Ständen Welt- , Menschen- und Sachkenntnisse besitzen .
Und warum sollten sie des edlen Vergnügens beraubt sein , ihren Geist immer mehr aufzuklären , ihren Verstand zu bilden ?
Mögen sich auch die Männer dagegen aufwerfen , so werden sie doch gern das kluge Weib zu ihrer Gefährtin wählen .
Doch nein , der vernünftige , edle Mann verachtet nicht höhere Eigenschaften in dem Weibe , aber er verachtet in ihr jeden Anspruch , jeden Schein von Gelehrsamkeit , welcher sie ihre Pflichten vernachlässigen macht .
O , wer nur in der Veredlung seines Geistes Vergnügen findet , der wird nie , um Bewunderung zu erregen , mit lächerlicher pedantischer Miene ein wenig Gelehrsamkeit auskramen ; denn dieses erniedrigt uns !
Nie wird das Weib von richtigen Kenntnissen und Verstande und erhabenen Gesinnungen eine Pedantin werden ; nie nach einem höheren Rufe , als nach dem Rufe eines guten , ihren Pflichten getreuen Weibes streben .
Henr . Ich höre Dich mit Vergnügen , meine Freundin !
Nein , die Mode-Torheit unseres Zeitalters wird für Dich nicht ansteckend sein !
Du hast ins Innere geblickt , und den Schein von der Wirklichkeit getrennt , der so manches , in der Tat , kluge Frauenzimmer verführt .
Elisa . Ich fühle es auch , Henriette , wie leicht selbst ein kluges Frauenzimmer durch ihn verführt werden kann ; und die Männer , welche das pedantische , das gelehrte Weib tadeln , sind doch selbst die Ursache des gelehrten Paroxismusses , der jetzt unter unserem Geschlecht so herrschend ist .
Warum geben sie uns Beifall , indem sie uns verdammen ?
Durch Lob und Eitelkeit verblendet , sehen wir nur den Beifall , und hören nicht den Tadel , und nun verdoppelt sich das Bestreben , größeren Beifall zu erhalten .
Ich bedaure immer das Frauenzimmer , welche stets bereit ist , ihre höheren Kenntnisse zu zeigen , und um sich eine Schar Bewunderer zu sehen glaubt ; gern möchte ich ihr zurufen :
Ein Heer der Spötter versammelst du um dich !
Suche Bewunderung durch Tugend , nicht durch Gelehrsamkeit zu erlangen !
Henr . Billigest Du auch nicht , wenn ein wirklich kluges und bescheidenes Frauenzimmer die Gesellschaft gelehrter Männer sucht , nicht um zu glänzen , sondern um zu hören ?
Elisa . Dieses ist der Strand , an dem die Bescheidenheit scheitert , und Eitelkeit und das Verlangen zu glänzen , sich ihrer Seele bemächtigen .
Ich verlange nicht , daß ein Frauenzimmer sich das Vergnügen einer klugen Unterhaltung untersagen soll ; sie soll den klugen Mann nicht meiden , sie kann ihn suchen , nur nicht pedantisch ihm anhängen , nicht gelehrte Klubs besuchen .
Denn macht sie hierdurch nicht schon einen Anspruch auf Gelehrsamkeit ?
Sich in der Gesellschaft gelehrter Männer befinden ! -
O , Ihr Weiber ! die Ihr Euch über den gemeinen Haufen Eures Geschlechts erhebt ! die Ihr richtige Kenntnisse und Bescheidenheit besitzt , sagt selbst :
Macht dieser Gedanke Euch nicht stolz ?
Erregte er nie Eure Eitelkeit ?
Wart Ihr nur immer Zuhörerinnen ?
Empfandet Ihr nie das Verlangen , selbst zu glänzen ?
Erfülltet Ihr es nie ?
Und endlich , verließt Ihr diese Gesellschaften mit dem Vorsatze , bessere Gattinnen , bessere Mütter , bessere Kinder , bessere Menschen zu sein ?
Oder wolltet Ihr nicht vielmehr , bei Vernachlässigung Eurer wichtigsten Pflichten , Euch in den Stand setzen , einen der ersten Plätze in diesem geistreichen Zirkel einzunehmen ?
War Euer Gefühl für Tugend wärmer , als wenn einsam Ihr Euch mit Euren Betrachtungen über Euch selbst , über Eure Pflichten , über den Zweck des Menschen , über Gott und die Schöpfung unterhieltet ?
Nein , gewiß nicht !
aber auch nicht gelehrter verließt Ihr jene Gesellschaften , und das Vergnügen , das Ihr empfandet , entsprang bloß aus der Eitelkeit .
Henr . O , meine Elisa ! daß doch unsere Schwestern , welche aus Verblendung irren , Deinen Zuruf gehört hätten !
Sie halten jene gelehrten Klubs für ganz unschädlich .
Elisa . Sie glauben vielmehr , Veredlung des Geistes da zu finden .
Es wird da so viel über Tugend , über unsere Gefühle und Leidenschaften moralisiert .
Die großen Worte : Philosophie , Religion , Naturalismus , Toleranz und Menschenliebe , werden so oft wiederholt , daß man das , was man hört , zu sein glaubt .
Schöne , erhabene Gedanken , welche in einer Versammlung gelehrter Männer gewiß oft statt finden , werden zwar mit Begeisterung angehört , aber das Verlangen , selbst Bewunderung zu erregen , erlaubt dem Verstande nicht , sie richtig zu fassen , sie sich verständlich zu machen , und sie bleiben ohne Nutzen .
Ja , ich behaupte , daß selbst Männer diese Klubs ohne Nutzen besuchen ; denn ein jeder kommt nur hin , sich selbst und nicht Andere zu hören .
Hier , wo nur Stolz und Selbstbewunderung die Versammlung beschäftiget , werden sich die Begriffe nicht erweitern .
Im freundschaftlichen Gespräche , im Zirkel einiger denkenden Köpfe , welche ohne Prahlerei versammelt sind , nicht Gelehrsamkeit zum Zwecke haben , ist es , wo durch Mitteilung der Gedanken , Beobachtungen über Gegenstände unserer Aufmerksamkeit würdig , neue Begriffe in unserer Seele entstehen , sich erweitern , sich mit jenen verbinden , und unser Geist aufgeklärter wird .
Und dieses Vergnügen ist auch für die Wenigen unseres Geschlechts , welche durch höhere Begriffe , bessere Handlungen , sich über die gewöhnlichen Weiber erheben .
Ja , meine Schwestern ! dieses Vergnügen ist süßer , ist edler , als mit dem Scheine der Gelehrsamkeit zu glänzen , bei welchem unsere Eigenliebe so oft Demütigungen erfährt .
Auch in Eurem häuslichen Zirkel könnt Ihr dessen genießen , und die Erfüllung Eurer Pflichten wird Euch den Genuß verdoppeln .
Henr . Laß Dich umarmen , meine Elisa !
O , ihr Weiber ; lernt , wie sie , denken !
dann werdet Philosophinnen , Gelehrte , ihr werdet unter jedem Namen verehrungswürdig sein . -
So war Elisa , als Herrmann von Birkenstein seine Mutter besuchte , welche unweit Hohnauschloß , ( Rittersitz der Baronin von Hohnau ) auf einem einsamen Landgütchen lebte .
Die Baronin von Hohnau kannte die Frau von Birkenstein nicht ; sie war arm , ihre Familie hatte ihren alten Glanz verloren , und Frau von Hohnau würdigte sie nicht eines Besuchs .
Aber Elisa und Henriette waren ihr oft ( da beide Güter an einander grenzten ) auf ihren einsamen Spaziergängen begegnet , hatten in ihr Edelmut , sanfte Gefälligkeit und wahre Güte wahrgenommen , und eilten zuweilen , wenn Caroline sie nicht begleitete , nach Birkenstein , wo nicht der finstere Ernst einer alten Matrone , sondern die mütterliche Zärtlichkeit einer erfahreneren Freundin sie aufnahm .
Bei einem dieser Besuche war es , wo Herrmann und Elisa sich zuerst sahen ; sie war mit ihrer Freundin , ihrer Gewohnheit nach , nach Birkenstein gegangen ; beim Eingange des Dorfs erblickten sie eine Schar junger Bäuerinnen , ländlich geschmückt , und Blumenkränze tragend .
Der Zug ging nach dem Wohnhause der Frau von Birkenstein .
Was bedeutet das ? ruft Elisa den jungen Mädchen zu .
O , rufen Alle , heute ist der Geburtstag unserer guten Mutter , unserer gnädigsten Gebieterin ; sie tut uns so viel Gutes , wir wollen ihr zeigen , daß wir sie auch lieben ; aber wir können ihr nichts als Blumen bringen !
Elisa . Und Eure Dankbarkeit und Eure Liebe ?
Nicht so ?
Die Mädchen . O gewiß ! gewiß !
Elisa . Nun , gute Mädchen , das ist ein köstliches Geschenk , und sie wird gewiß sich dessen freuen .
Aber , wollt Ihr uns wohl mitnehmen ?
Die Mädchen . Herzlich gern !
Sie lieben ja auch unsere gute Mutter .
Elisa . Komme , Henriette , laß uns ihr auch Blumenkränze bringen !
Schnell riß Elisa den Hut vom Kopfe , bekränzte ihr Haar mit Blumen , gürtete ihr Kleid auf , und erhielt von den gutherzigen Landmädchen den schönsten Blumenkranz .
Henriette folgte ihrem Beispiele , und nun führten Beide den Zug an .
Schon in der Ferne erblickte Elisa Frau von Birkenstein , welche vor ihrem Hause unter dem Schatten einer Linde saß .
Elisa verdoppelt ihre Schritte ; ihr warmes Gefühl für Tugend läßt sie mit Entzücken das Schauspiel genießen , welches die Liebe und Dankbarkeit dieser guten Landleute gegen ihre Wohltäterin ihr darbietet .
O , Natur ! ruft sie aus , in deinem Schoße gibt es noch gute Menschen !
Diese freudige Empfindung erhöhte das Rot ihrer Wangen .
Sie hatte sich nun der Frau von Birkenstein genähert , voller Rührung wirft sie sich ihr in die Arme .
Liebe Mutter ! ruft sie aus , unsere Herzen huldigen Ihnen heute , sein Sie uns noch lange das Beispiel der Tugend und Güte .
Alles drängte sich nun um Frau von Birkenstein , ein Jeder wollte ihre Hand , ihren Rock ergreifen ; man legte die Blumen zu ihren Füßen , man küßte den Saum ihres Kleides .
Mit freudigem Wohlwollen blickte sie auf die guten Geschöpfe .
Ich danke Euch , meine Lieben , sprach sie mit sanftem Tone , ich werde mich bemühen , Eure Liebe zu verdienen .
O , gnädigste Frau , beste Gebieterin ! rufen Alle wie aus Einem Munde , wie können wir Ihnen vergelten . ... Genug , genug , fällt Frau von Birkenstein ein , wir wollen uns immer gegenseitig lieben , gegenseitig dienen . -
Elisa hing noch immer an ihren Blicken , und bemerkte nicht Herrmann , der neben seiner Mutter stand .
Aber seine Blicke waren unverändert auf sie geheftet ; er sah nicht die freudige Menge , welche um seine Mutter sich versammelte , nicht die mit Blumen geschmückten Mädchen ; er sah nur Elisa , hörte noch immer ihre sanfte Stimme , als sie schon längst nicht mehr sprach .
Stärker hatte ihm sein Herz geschlagen , als sie die Frau von Birkenstein Mutter nannte , und gerne wäre er neben ihr an den Busen der Mutter gesunken .
Schon waren die ersten Ausbrüche des Danks und der Freude gemindert , als erst Elisa Herrmann erblickte .
War es Bestürzung , hier so unvermutet einen jungen Mann zu sehen ? war es Verwirrung , weil ihre Blicke den seinigen begegneten ?
Kurz , Elisa schlug die Augen nieder , und errötete .
Doch bald blickt sie ihn wieder an , und findet , daß er schön ist .
Noch nie hatte sie bei einem Manne diese Anmerkung gemacht ; aber Herrmanns Auge war so voll Geist , das Feuer desselben schien so durch Güte und Menschlichkeit gemildert zu sein , es war eine so sanfte Rührung in seinen Blicken , daß die ihrigen mit Wohlgefallen auf ihm verweilten .
( Sie wendet sich zu Henriette . )
Wer mag der junge Mann dort sein ?
Henr . Ich habe ihn schon lange bemerkt ; seine Bescheidenheit , glaube ich , erlaubt ihm nicht , sich näher mit uns bekannt zu machen .
Elisa . Ich sah noch nie so interessante Züge , als die seinigen .
Henr . ( Lächelnd. )
Auch noch nie würdigtest Du einen Mann so vieler Aufmerksamkeit .
Hier wurden sie von Frau von Birkenstein unterbrochen , welche ihnen Herrmann als ihren Sohn vorstellte .
Er überraschte mich gestern , sprach sie ; es sind nun fünf Jahre , daß ich ihn nicht gesehen habe ; urteilen Sie , wie groß meine Freude war !
Herrmann und Elisa begrüßten sich mit Verwirrung .
Kommen Sie aus B... ? fragte sie ihn endlich mit bewegter Stimme .
Ja , mein Fräulein , war seine ganze Antwort , und nun hatte die Unterredung ein Ende .
Ich weiß nicht , Herrmann , hob Frau von Birkenstein an , wie du mit einemmal geworden bist ?
Du warst noch vor wenigen Augenblicken so heiter , aufgelegt , und nun bist Du still , kopfhängerisch .
Herrm . Liebe Mutter , Überraschung , Freude über diesen Tag , der Sie werden ließ , um mich durch die beste Mutter zu beglücken .
O , hätte ich nicht empfinden sollen , da hier alles empfand , nicht zehnfach diese Empfindungen der Liebe und Dankbarkeit hegen sollen ? -
Mit Inbrunst drückte er hier seiner Mutter Hand an seine Lippen ; ein Lächeln mütterlicher Zärtlichkeit war ihre Antwort .
Tief wurde Elisa durch diese Szene kindlicher und mütterlicher Liebe gerührt ; denn ach ! sie kannte das Glück nicht , von einer Mutter mit Zärtlichkeit geliebt zu werden ; sie dachte an ihren Vater , und eine helle Träne glänzte in ihrem schönen Auge .
Aber Henriette sah , daß Elisa's Gegenwart die Wärme erzeugte , mit welcher Herrmann sprach ; sie sah ihre Freundin bewegt , und zitterte schon für sie .
Sie wollte dieser stummen Szene , in welcher Empfindung so laut sprach , ein Ende machen ; sie wandte sich also gegen Frau von Birkenstein :
In der Tat , sprach sie , die Freude hat uns sprachlos gemacht , und ein wenig Zerrüttung in uns hervorgebracht .
Wir sind alle stumm , und haben uns doch alle etwas zu sagen .
Elisa und ich sollten Ihnen unseren Glückwunsch über die Ankunft Ihres Sohnes abstatten , und der Herr von Birkenstein könnte uns wohl seine Freude bezeigen , über das Glück , zwei so angenehme Nachbarinnen zu finden .
Herrm . Nur wenn ich schwach empfinde , drücke ich meine Empfindungen durch Worte aus , und dieses ist heute nicht der Fall .
Henr .
Gut , nun wir davon unterrichtet sind , sehen wir Ihr Stillschweigen als das größte Kompliment an .
Herrm . Ihnen kann man nie ein Kompliment machen .
Henr . O , Herr von Birkenstein , man merkt es , daß Sie aus B... kommen ; aber wir Landmädchen können Ihnen hierauf nicht antworten .
Fr. v. B .
Im Gegenteil , liebe Henriette , scheint mein Sohn heute sogar unter uns Landleuten verlegen .
Herrm . Liebe Mutter , häufen Sie doch nicht so viele Beschuldigungen gegen mich !
Wie werde ich mich gegen Sie Alle verteidigen können ?
Elisa .
Um Verzeihung , Herr von Birkenstein , Sie haben es nur mit zweien zu tun ; ich nahm keinen Anteil an der Beschuldigung meiner Freundin .
Herrm . ( Ihre Hand an seine Lippen drückend . )
Ihr huldreicher , sanfter Blick läßt mich hoffen , in Ihnen eine Beschützerin zu finden .
Elisa . Sie rechtfertigen in diesem Augenblicke , was Ihnen meine Freundin zuvor sagte .
Herrm . O , gewiß nicht , gewiß nicht !
Meine Mutter kann es Ihnen sagen , schon als Knabe entfernte ich mich nie von der Wahrheit. Fr. v. B .
Auch glaube ich mit Dir , Herrmann , daß Elisa und Henriette nur die Wahrheit hören können , wenn ihnen Lob erteilt wird .
Henr . Frau von Birkenstein , Sie treten zu seiner Partei über ; Elisa erklärt , daß von ihrer Seite kein Anariff geschehen ist ; ich sehe mich also allein auf dem Kampfplatze , und wohl oder übel , muß ich nun wohl Friede machen .
Die scherzhafte Wendung , welche das Gespräch nahm , stimmte Herrmanns und Elisa's Empfindungen zu dem vertraulichen Tone der Freundschaft um .
Gleich edel , gleich gefühlvoll für das Schöne , empfanden sie , daß sie sich verstanden , und verbannt war zwischen ihnen jenes steife Zeremoniell , welches nur kalte Seelen erfanden und an die Stelle des Gefühls setzen .
- Frau von Birkenstein schlug vor , die jungen Mädchen hier unter der großen Linde tanzen zu lassen .
Elisa , Henriette und Herrmann freuten sich dieses Einfalls , riefen den jungen Mädchen und Burschen , und tanzten selbst im Reihentanze mit .
O , sagte Elisa zu Herrmann , nachdem sie sich wieder gesetzt hatten , wie angenehm ist das Bild der Freude , und wo wird es treuer dargestellt , als auf ländlichen Festen !?
Herrm . Wohl wahr ! die Erinnerung an dieselben rührt mich oft , wenn ich in B... die Säle der Langeweile besuchen muß , zu denen man , als den Schauplätzen des Vergnügens hineilt .
Elisa . Das lebhafte Gefühl für die Natur ist gewiß das seligste , das beglückendste !
Ich freue mich , wenn ich es antreffe ; denn der Mensch , in dem es wohnt , ist gut , wie die Natur .
Herrm . Sie beweisen dieses !
Ja , nur mit einer schönen , erhabenen Seele konnte man so , wie Sie , mit den Bäuerinnen tanzen .
Elisa . Schmeicheln Sie mir nicht , Herr von Birkenstein , aus Ihrem Munde könnte mir das Lob gefährlich werden ; denn ich würde geneigt sein , es zu glauben .
Elisa errötete , nachdem sie diese Worte ausgesprochen hatte ; sie schätzte Birkenstein , und nicht gewohnt , zu heucheln , gestanden ihm diese Worte ihre Empfindung ; allein sie erkannte gleich , daß sie einem Manne , den sie gar nicht kannte , zu schnell ihre Gesinnungen entdeckt habe ; er bemerkte ihre Verwirrung , und weit entfernt , sie durch eine Miene der Freude und Selbstzufriedenheit zu vergrößern , bestrebte er sich , sie zu vermindern .
Nein , edles Märchen , sprach er , das Lob eines Mannes , der die Tugend verehrt , kann für eine schöne Seele nicht verderblich sein !
Elisa erblickte in diesem Betragen seine zärtliche Aufmerksamkeit für sie , und ihr Herz dankte ihm .
Elisa . ( Nach einer Pause . )
Wo ist denn Ihre Mutter und Henriette ?
Herrm . Mich dünkt , sie gingen dort jenen bedeckten Gang .
Elisa . Lassen Sie uns zu ihnen gehen .
Nun gingen Beide , schweigend , zu Henriette und Frau von Birkenstein .
Liebe Elisa , sprach Henriette , weißt Du wohl , daß es schon acht Uhr ist ? und eine Stunde gehen wir von hier bis Hohnauschloß .
Elisa . Schon so spät ?
Aber in Birkenstein beflügelt Freude die Zeit .
Herrm . ( Lebhaft. )
Nicht in Birkenstein , sondern da , wo Sie sind !
sie ist mit den Grazien , ihren Schwestern , immer in Ihrem Gefolge .
Verwirrt schlug Elisa die Augen nieder : mit Entzücken heftete Herrmann seine Blicke auf sie ; lose lächelte Henriette , und Frau von Birkenstein betrachtete einige Augenblicke diese Gruppe mit Aufmerksamkeit .
- Henriette unterbrach endlich diese Stille :
O , über die ewigen Komplimente ! sprach sie ; sie könnten uns endlich noch so gut gefallen , daß sie uns am Ende gar hier fesselten .
Wohlan , Elisa ! wir wollen uns der Gefahr mit Gewalt entreißen .
Elisa lächelte , und Beide nahmen nun Abschied von der Frau von Birkenstein .
Herrmann bat , daß sie ihm erlauben möchten , sie zu begleiten , und Elisa und Henriette , Beide so gewissenhaft in der Beobachtung äußerer Anständigkeit , hielten doch dieses nicht für unschicklich , sondern Elisa reichte ihm ihre Hand .
Man sprach wenig auf dem Wege ; Henriette bemühte sich vergebens , die Unterhaltung lebhaft und allgemein zu machen ; es gelang ihr nicht .
Vor Hohnauschloß trennten sich die beiden Freundinnen von Herrmann .
Er blieb stehen , bis daß er sie aus dem Gesichte verloren hatte , und ging dann nachdenkend nach Birkenstein zurück .
Was wird Deine Mutter sagen , sprach Henriette , nachdem Herrmann sie verlassen hatte , daß wir so spät zu Hause kommen ?
Elisa . Ich weiß nicht , ich fürchte ihren Anblick .
Ihr Herz schlug ihr , als sie in die Türe trat ; man sagte ihnen , daß Frau von Hohnau mit ihrer Tochter schon im Speisesaale wären ; zitternd eilten sie hinein .
Der Blick der Frau von Hohnau war finster .
Warum , sprach sie , kommt ihr so spät zurück ?
Elisa . ( Mit zitternder Stimme . )
Liebe Mutter , wir wußten nicht , wie viel Uhr es war .
Caroline . ( Welche die Uhr an ihrer Seite erblickt , spöttisch . )
Warum hattest Du denn die Uhr mitgenommen , Schwester ?
Elisa . ( Verwirrt. ) Ich ? die Uhr ?
Ich hatte nicht weiter daran gedacht .
Fr. v.
Hohn . Warum bist Du denn so verlegen ?
Ich will wissen , wo Du gewesen bist ?
Carol . ( Immer spöttisch . )
Hätte sich etwa ein junger Nachbar eingefunden , der sie auf ihren Spaziergängen überrascht , und ihnen die Zeit verkürzt hätte ?
Röte überzog Elisa's Wangen , allein ihre Stimme wurde fester ; Karolinens unedles Betragen gab Elisa'n die Würde der Tugend , und frei antwortete sie ihrer Mutter :
Wir sind in Birkenstein gewesen .
Fr. v.
Hohn . Ich werde Euch bitten , nicht mehr ohne mich Besuche abzustatten .
Elisa bat ihre Mutter um Verzeihung , daß sie , ohne es zu wollen , sie beleidigt habe , und Frau von Hohnau antwortete ihr kalt , es wäre schon gut .
Caroline lächelte spöttisch , Elisa klagte nicht , zurück in ihrem Zimmer unterhielt sie sich nur mit Henriette , von Birkenstein und Herrmann .
Henriette benachrichtigte sie , daß Herrmann schon seit einem Jahre in B... beim Kammergerichte angestellt wäre , und Hoffnung habe , bald eine Stelle zu bekommen .
Elisa . Ich werde mich dessen freuen .
Der junge Mann verdient gewiß glücklich zu sein .
Er hat eine solche offene Physiognomie , seine Züge sind so sanft , sein ganzes Wesen zeigt Güte und Menschlichkeit .
Henr . Dein Urteil ist sehr schnell , liebe Elisa , Du sahst ihn nur einmal .
Elisa . O , hätte ich ihn nur einen Augenblick gesehen , er wäre hinreichend gewesen , mich zu überzeugen !
Henr . Das sagtest Du nicht im Ernste .
Ich will Dir zugestehen , daß Herrmanns Ansehen für ihn spricht ; aber Du bist zu klug , um deswegen von seiner inneren Güte überzeugt zu sein .
Elisa . Ach , Henriette !
wenn unser Herz ein günstiges Urteil fällt , ist es dem Verstande nicht erlaubt , dessen Ausspruch anzunehmen ?
Henr .
Wenn Du jetzt bei dieser Frage nicht interessiert wärest , wie würdest Du sie beantworten ?
Elisa . ( Nach einer Pause . )
Ich erkenne es , Henriette , Du hast Recht !
Erst will ich Herrmann beobachten , und allein meine Erkenntnis soll das Urteil fällen .
- Auch Herrmanns Herz urteilte günstig von Elisa , und ihre Gestalt schwebte ihm im Traume vor .
Er eilte gleich am anderen Morgen unter die Linde , wo er sie am vorigen Tage zuerst gesehen hatte , und seine Mutter fand ihn im tiefen Nachdenken versunken .
Er war zerstreut ; Herrmann , sprach Frau von Birkenstein , Elisa hat eine schnelle Veränderung in Dir bewirkt .
Herrm . Mutter , ich liebte noch nie ; ich glaube auch nicht , daß ich jetzt schon liebe , aber ein Mädchen , wie Elisa , sah ich noch nie .
Fr. v. B. Sei vorsichtig , Herrmann !
Nie kann Elisa die Deine werden !
- Herrmann und Elisa begegneten einander nach einigen Tagen ; er war entschlossen , sein Herz vor der Liebe zu bewahren , und Elisa wollte ihn beobachten .
Kalt und mit Zurückhaltung redeten sie einander an ; dieser Zwang war Beiden lästig , der feurige Jüngling konnte ihn nicht länger ertragen .
Elisa , rief er aus , fehlt Ihnen etwas ?
Habe ich Sie beleidiget ?
Elisa , ( Mit sanfter Stimme . )
Nein , lieber Birkenstein , aber Sie selbst sind ja verändert .
Herrm . ( feurig . )
Ich , verändert ? gegen Sie ?
Ha !
... Henr . ( Einfallend. ) O , des brausenden Menschen !
Sagen Sie mir nur , warum Sie in so heftige Bewegung geraten ?
Herrm . Ach , verzeihen Sie , Elisa !
Ich bin seit einigen Tagen so unruhig .
Kommen Sie , lassen Sie uns auf jene Anhöhe gehen ; mich dünkt , man atmet freier , wenn man die Erde unter seinen Füßen sieht , und sich den Wolken nähert .
Er ergriff ihre Hand , und sie erstiegen den Berg .
Elisa . ( Nachdem sie einige Zeit in stummer Betrachtung da gestanden hatte . )
Wie schön ist es hier !
Ihr , die ihr unzufrieden mit dem Schicksale seid , kommt hierher !
Seht , wie schön die Erde ist !
Seht jenen Wald , der auch für euch seine Schatten ausbreitet !
Sauget der Blumen Balsamdüfte , die auch für euch da stehen !
Sehet im Werke des Allmächtigen die Spur der Menschenhände , welche auch eure Brüder sind !
Herrm . ( Feyerlich. )
Allgütige Natur , Mutter aller Freuden , laß uns dieses Augenblicks nie vergessen !
Sollten wir je des Schicksals Härte empfinden , so erinnere uns , daß in deinem Schoße uns der Freuden Fülle noch bleibt !
Alle waren bewegt ; langsam richtete Elisa ihre Augen auf Herrmann .
O , wie schön schien er ihr in diesem Augenblicke !
Würde und Sanftmut war in seinen Blicken vereiniget , Größe lag in seinen Zügen .
Sie reichte ihm ihre Hand .
Wohl ! wohl ! sprach sie , wollen wir des Augenblicks immer gedenken , um selbst bei Widerwärtigkeiten noch glücklich zu sein !
Eine Träne entschlüpfte bei diesen Worten ihrem Auge .
Herrmann schlang seinen Arm um ihren Leib .
Elisa kann nie unglücklich sein , rief er ; und nun riß er sich von ihr los , und eilte hinweg .
Staunend sah ihm Elisa nach , und seufzte , als er vor ihren Blicken verschwand .
Sie verlor sich in ihren Betrachtungen über ihn , und bald sah sie nicht mehr die wirklichen Gegenstände , welche sie umgaben :
sie sah nur Herrmann , der schon weit von ihr entfernt war .
Henriette , welcher keine ihrer Bewegungen entging , näherte sich ihr endlich .
Hat Herrmann , sprach sie , so ganz Deine Aufmerksamkeit mit sich genommen , daß Du alles übrige vergißt ?
Elisa . Zum wenigsten einen großen Teil derselben ; sein Betragen war sehr sonderbar .
Henr . ( Lächelnd. ) War sehr natürlich .
Elisa . Du scherzest jetzt immer , Henriette , und nie war ich weniger zu scherzen aufgelegt , als jetzt .
Henr . Sage auch , nie war ich so ungerecht , zu verlangen , daß Anderer Launen sich nach den meinigen richten sollten , als jetzt .
Elisa . Verzeihe , liebe Henriette ! und tausend Dank Dir , daß Du mir meine Fehler sagest .
- Ohne Dich würde ich ein albernes Mädchen werden .
Henr . Das nicht , liebe Elisa !
ich verbessere nur hin und wieder kleine Flecken , um den Glanz noch zu erhöhen .
Elisa . Mein Herz sagt mir in diesem Augenblicke , daß ich Dein Lob diesmal nicht verdiene .
Aber komme , laß uns zu Hause gehen , es wird kalt ! -
Elisa wurde nun nachdenkender ; sie lächelte seltener ; oft saß sie in Gedanken verloren , und Herrmann war der Gegenstand ihres Nachdenkens gewesen .
Ich weiß nicht , sprach sie zu Henriette , einige Tage nach ihrem letzten Spaziergange , warum Herrmann uns nicht besucht ?
Henr .
Er glaubt vielleicht , daß deine Mutter ihn nicht gut aufnehmen würde .
Elisa . O , dann kennt er sich - dann weiß er nicht , wie einnehmend er ist : ( Henriette lächelt .
Elisa errötend nach einer Pause . )
Ich gestehe , ich bin feurig in seinem Lobe ; wenn ich ihn sehe , schwindet der Vorsatz , ihn zu beobachten ; mich dünkt , ich beleidige die Menschheit und die Natur , wenn ich bei seinem Anblicke noch zweifle , daß er Einer der Besten unter den Sterblichen ist .
Sein Ausruf , seine Anrede auf dem Berge an die Natur , wie ungekünstelt ! wie feierlich !
Henriette , ich hätte mögen Tage da stehen , und ihn betrachten !
Henr .
So ist es denn wieder ein Ideal von Schönheit und Vollkommenheit , welches Dich zu Herrmann hinreißt ?
Elisa . Kein Ideal , welches in meiner Einbildungskraft entsprang .
Seine Zärtlichkeit für seine Mutter , seine Ehrfurcht für die Tugend , sein lebhaftes Gefühl für die Natur , dieses alles ist Wirklichkeit ; und wehe den kalten Seelen , welche diesen Eigenschaften nicht Achtung zollen ! -
Noch an eben dem Tage ließ sich Herrmann bei der Baronin von Hohnau melden .
Elisa es Wange wurde feuriger bei seinem Namen ; ihr zur Erde gesenkter Blick empfing ihn ; langsam drückte er ihre Hand an seine Lippen , und ein Seufzer entfuhr seiner Brust .
Herrm . ( Nachdem er sich gesetzt hatte , zur Baronin von Hohnau . )
Gnädige Frau , die Bitte eines Unglücklichen führt mich zu Ihnen , ein Bauer aus Birkenstein ... Baronin v. H. ( Einfallend. )
Ich hoffe nicht , Herr von Birkenstein , daß Sie sich dieses Diebes annehmen wollen ?
Herrm . ( Sanft . )
Er ist ja ein Mensch , und ist unglücklich , sollte ich ihm denn nicht beistehen , wenn er meiner Hilfe bedarf ?
B. v. H. Sie aber nicht verdient .
Herrm . ( Mit Wärme . )
Wann hört der Beistand auf , den der Mensch dem Anderen leisten soll , wer wagt das zu bestimmen ? -
Doch erlauben Sie mir , gnädige Frau , Ihnen sein Verbrechen und die Veranlassung dazu zu erzählen , und Sie werden sehen , daß hier Gerechtigkeit Härte sein würde .
Vor zwei Jahren starb der Vater des jungen Harberg ; auf seinem Sterbebette sagte er seinem Sohne , daß er seit vielen Jahren einem anderen Bauer zwanzig Taler schuldig wäre ; er habe aber die Schuld abgeschworen ; doch nun erwache sein Gewissen , und er könne nicht ruhig sterben , wenn er ihm nicht verspräche , die Schuld zu bezahlen .
Harberg hinterließ zwar seinem Sohne nichts ; allein der Jüngling hatte lange gedient , war sparsam und ordentlich gewesen , und hatte gerade so viel gesammelt , als die Schuld seines Vaters betrug ; er brachte die Summe augenblicklich dem Gläubiger seines Vaters und dieser segnete ihn sterbend .
Er bekam nun den Hof des Verstorbenen ; allein er fand in demselben weder Hausgeräte noch Vieh ; er mußte borgen , um das Notwendige kaufen zu können .
Der Mann , welcher der Gläubiger seines Vaters gewesen , und in guten Umständen war , gerührt durch seinen Edelmut , bot ihm seine Tochter zum Weibe an ; allein der junge Harberg liebte schon lange , und wurde wieder von einem redlichen , aber dürftigen , Mädchen geliebt .
Er wollte nicht treulos werden , und schlug die Tochter des alten Jacobs aus .
Er heiratete das Mädchen , das er liebte , arbeitete fleißig , und bezahlte auch immer etwas von seiner Schuld ; allein der schlechte Einschnitt im vergangenen Jahre ließ ihn nun wieder Mangel fühlen .
Sein Weib kam vor vierzehn Tagen nieder , und war dem Tode nahe ; noch liegt sie auf dem Krankenlager ; er besaß noch kaum soviel , um einige Brote backen zu können ; sein Vieh hatte schon seit einigen Tagen gehungert ; er hatte weder Stroh noch Heu , und im ganzen Dorfe wollte ihm kein Mensch etwas leihen ; er konnte sein Vieh , das Mittel seiner Unterhaltung , nicht sterben lassen , und die Not zwang ihn , die Wiese abzumähen , welche Ihnen , gnädige Frau , gehört , und an Birkenstein grenzt .
Sie haben ihn verklagt , der Richter hat ihn zum Ersatze , und zur vierwöchentlichen Gefängnisstrafe verdammt .
Der Ersatz macht zwanzig Taler ; hier sind sie ; aber ein Wort von Ihnen kann ihn von der Gefängnisstrafe befreien , welche ihn in seinen gegenwärtigen Umständen zum Bettler machen würde .
B. v. H.
Ich werde an den Richter schreiben ; allein in der Folge wird selbst Ihre Fürbitte den Dieben nichts helfen ; das Laster muß bestraft werden .
Herrm .
Ist Armut , worein Edelmut stürzte , Laster ?
O , gnädige Frau ! der gerechteste Richter ist die Stimme der Menschlichkeit !
B. v. H.
Mit diesen schönen Phrasen , wenn sie in Tribunalen gälten , würde der Staat sehr schlecht verwaltet werden .
Herrm . O , daß doch so wenig Menschen sich überzeugen können , daß Güte und Menschlichkeit mehr Tugenden bewirken , als Strenge !
Was hilft es , daß wir es in allen Schriften lesen , so lange wir noch Härte in den Herzen der Menschen finden !
Nein , gnädige Frau , wenn erst Billigkeit , Untersuchung der Tatsache , und Nachsicht mehr , als ungerechte Gesetze , gelten werden , dann erst kann man hoffen , die Menschen besser und glücklicher zu sehen !
Elisa . ( Leise zu Henriette . )
Edler Mann !
Höre ihn , Henriette , welche reine Menschenliebe aus ihm spricht !
Die Unterhaltung nahm nun eine andere Wendung ; die Baronin von Hohnau hatte sich durch seine Worte beleidiget gefunden ; er bemerkte es , und es tat ihm wehe .
Er wollte nicht ihrem Stolze schmeicheln , aber er konnte Elisa's Mutter nicht auf sich zürnen sehen .
Gnädige Frau , sagte er endlich mit einer Freimütigkeit , welche in Elisa's Augen ihn noch erhabener machte , ich sprach zuvor mit Eifer , die Sache der Menschheit flößt ihn mir immer ein ; meine Worte aber waren nicht an Sie gerichtet ; denn mußte ich nicht voraussetzen , daß das sanfte weibliche Herz jede Äußerung der Güte und Liebe billigte ?
Die Baronin von Hohnau wurde beschämt durch Herrmanns Betragen .
Wir verstanden einander nicht recht , anwortete sie ; wie könnte ich in Ihnen Menschenliebe tadeln ?
Nur muß sie recht geleitet werden .
Bald darauf brach Herrmann seinen Besuch ab ; er hat um die Erlaubnis , ihn wiederholen zu dürfen , und erhielt sie .
B. v. H. ( Nachdem er hinaus war . )
Ein artiger junger Mann ! Carol .
Nur etwas zu frei .
Elisa . ( Mit sanftem Tone. ) Du tadelst beständig Schwester !
Carol . ( Spöttisch. )
Und Dir gefällt man sehr leicht .
Elisa . ( Erröthend. ) Ich sagte ja nicht , daß mir Herr von Birkenstein gefiele .
Carol . ( Im vorigen Tone . )
Deine Röte beweist es !
Glücklicherweise bemerkte die Baronin von Hohnau diese Unterredung nicht ; Elisa war so schüchtern , daß sie den ganzen Abend nicht mehr sprach , und dieses gab Karolinen immer mehr Stoff zu ihren Spöttereien ; die sanfte , geduldige Elisa ertrug sie gelassen .
Sie sagte oft : es ist eine der ersten unter den geselligen Tugenden , Anderer Schwachheiten ertragen , und das sicherste Mittel , sie für sich unschädlich zu machen .
Herrmann kam nun oft nach Hohnauschloß ; er und Elisa kannten keine höhere Wonne , als sich zu sehen .
Das gefühlvolle Mädchen glaubte , Achtung und Freundschaft wären ihre Empfindungen für den liebenswürdigen Jüngling , und er , ach ! er fühlte wohl , daß Elisa ihm Alles war ; aber er wagte es nicht , sich selbst seine Empfindungen zu gestehen .
- So waren vierzehn Tage seit seinem ersten Besuche in Hohnauschloß verflossen , als an einem Morgen plötzlich ein junger Bauer in Elisa's Zimmer trat .
Es war Harberg .
Gott grüße Sie , schönes Fräulein !
Verzeihen Sie , daß ich gerade in die Stube komme : war seine Anrede .
Elisa . Das hat nichts zu sagen , mein Freund , entdecke Er mir nur sein Verlangen .
Harb . Ich wollte Sie bitten , daß Sie möchten Gevatter bei meinem Mädchen stehen .
Ich bin so arm gewesen , daß ich bis jetzt nicht habe können taufen lassen , aber unser gütiger junger Herr hat mich fortgeholfen .
( Er zieht einen Brief aus der Tasche . )
Hier ist ein Brief von der gnädigen Frau , sie bittet auch für mich .
Harb . ( Nachdem Elisa gelesen hatte . )
Verzeihen Sie , daß ich so frei bin , Sie so geradezu zu bitten ; aber als ich Sie auf unserer gnädigen Frau Geburtstage sah , wie Sie so freundlich gegen uns arme Leute , und so voll Liebe gegen unsere gute Mutter waren , ach ! da kann ich gar nicht sagen , wie mir war !
Ich hätte mögen zu Ihnen rennen , und Ihnen den Rock küssen , wenn es sich so geschickt hätte !
Elisa . Ich danke ihm für seine Liebe .
Ich werde kommen , wenn meine Mutter es erlaubt .
Aber , ist seine Frau nun wieder besser ?
Harb . Ja , Gott und unserem gütigen Herrn sei Dank !
O , was ist das für ein Herr !
Ich war in seiner Jugend sein Spielkamerad ; die gnädige Frau sagte dann immer : Herrmann , sei höflich und gefällig gegen Jürgen , er ist so gut , wie du !
Und wenn wir uns stritten , und Herrmann hatte Unrecht , so mußte er mich um Verzeihung bitten , und die gnädige Frau achtete mich dann weit mehr , als ihn , bis daß er sein Unrecht erkannte .
Aber ihre Lehren haben auch geholfen ; er ist ein Engel geworden .
Elisa . ( Schnell einfallend . ) O , erzähle Er mir doch etwas von ihm .
( Sie holt einen Stuhl . )
Setze Er sich , lieber Harberg , Er wird müde sein ?
Harb . O , das ist zu viel !
das ist zu viel !
Liebes Fräulein , machen Sie doch nicht so viel Umstände mit mir armen Manne !
Elisa . Er erzeigt mir einen Gefallen , wenn Er sich setzt ; ich habe es nicht gern , wenn die Leute vor mir stehen .
Harb . ( Setzt sich . )
So ist unser gnädiger Herr eben !
Als er des Abends zu mir kam , wie meine Frau noch krank war , und im Bette lag , und ich nur einen einzigen Schemel hatte , so mußte ich sitzen und er stand .
Er sagte : Harberg , Er hat gearbeitet und ich nicht , Er muß nun ruhen !
Er kam wohl viermal des Tages , wie meine Frau so schlecht war , um zu sehen , ob sie die Arznei ordentlich bekam , welche er vom Doktor verschreiben ließ , dem er täglich dafür , daß er aus der Stadt kam , einen Taler gab , und dann nahm er noch ein Weib an , welche meine Frau und mein Kind warten und pflegen mußte .
Ach , und wie ich das Gras gestohlen hatte , was gab er mir da für Lehren !
Harberg , sagte er , wie Er durch eine einzige Handlung sich unglücklich gemacht hat ! wäre er zu mir gekommen , und hätte mir sein Leid geklagt , ich hätte ihm geholfen , und wäre ich noch nicht hier gewesen , so hätte es meine Mutter getan ; denn ehrlichen Leuten steht man immer bei .
Nun kann Er aber ins Gefängnis kommen , und dann bleibt seine ganze Wirtschaft den Sommer über liegen , und Er wird dadurch an den Bettelstab gebracht .
Er erregt dann kein Mitleiden mehr ; man sagt :
Er ist ein Dieb , Er verdient sein Schicksal !
Verachtung liest Er auf allen Gesichtern , und womit kann Er sich dann trösten !
Mit innerlicher Zufriedenheit ?
Er hat sie verloren , Er wird sich in jedem Augenblicke sagen :
Ich habe mein Weib , mein Kind Zeitlebens unglücklich gemacht !
Sie werden aufhören , Ihn zu lieben .
Von einem Jeden verachtet , und von Keinem geliebt , wird Er sein Leben zubringen .
Mit Tränen wird er das erbettelte Stück Brot benetzen , weinen , wenn er sein Weib ansehen wird , die Er sonst mit so inniger Freude in seinen Armen drückte .
Vergleiche er diesen Zustand mit dem Tage , an dem Er die Schuld seines Vaters bezahlte !
Da verlor Er alles , aber Er war vergnügt .
Mit dem Tage , an dem sein liebes Mädchen sein Weib wurde , da war Er auch arm , aber Er handelte ehrlich , und Er fühlte seine Armut nicht !
Sie war ihm süß ; sie ist Ihm erst drückend geworden , seitdem Er gestohlen hat !
Diesen Unterschied wird Er immer empfinden .
je nachdem Er Recht oder Unrecht tut .
Seine eigene Erfahrung hat Ihn schon davon überzeugt .
Armut ist nicht eher ein Unglück , als bis man Böses tut , dann fühlt man alle Leiden doppelt .
- So etwas hatte mir der Priester nie gesagt ; aber ich war auch noch nie so gerührt gewesen ; denn ich fühlte , daß alles wirklich so war , wie mir der gnädige Herr gesagt hatte ; denn ich konnte mein Weib nicht ansehen , ohne zu weinen , und wenn mir der Herr Pastor auch noch so viel von Höllenstrafen vorsagte , so empfand ich davon nichts , und ich dachte dann nicht weiter daran .
Ich werde es nie vergessen , was der gnädige Herr sagte , wie einem Diebe zu Mute wäre , und ich wollte nicht mehr stehlen , sollte ich auch verhungern ; denn ich würde dadurch doch nicht so unglücklich werden , als ich es jetzt bin . -
Aber Sie sollten Mal den Bedienten des jungen Herrn hören , wenn der von ihm erzählt !
Ach , da muß man weinen , wie ein Kind !
Eine Geschichte besonders ! die vergesse ich nie , denn sie ist gar zu schön !
Elisa . ( Mit angenommener Gleichgültigkeit . )
Wie ist sie denn !
Harb .
Unser junger Herr ist doch in Berlin in Diensten , und da ist in demselben Fach noch ein Herr , der ist neidisch auf ihn gewesen , weil er so geschickt ist , und der Minister so viel aus ihm machte ; er hat ihn also nicht leiden können , und immer Böses von ihm zum Minister gesprochen .
Endlich sollte unser junger Herr eine Stelle erhalten ; allein der Andere hat so lange gemacht , bis daß er es verhindert hat .
Dies alles hat nun unser junger Herr wohl gewußt ; allein er hat sich nichts merken lassen .
Bald drauf wird der Andere krank , und da er immer sehr lustig lebt , so hat er kein Geld , und Verwandten hat er auch nicht in Berlin , da geht es ihm nun sehr schlecht ; dies erfährt unser junger Herr , der eben auch nicht bei Gelde ist , denn er läßt sich nur sehr wenig von seiner Mutter geben , weil sie auch nicht viel hat ; und er sagt , er will es hier den Armen nicht entziehen , welchen sie es gibt .
Er weiß sich nun nicht anders zu helfen , als daß er Stunden geben muß , um den Anderen beizustehen ; da , sagt Christian , hat er vier Wochen lang des Abends um sechs Uhr einen Oberrock angezogen , ist in eine andere Gegend der Stadt , und bei Leute gegangen , wo er nicht bekannt war , und hat bis um neun Uhr Stunden gegeben ; dann ist er zu dem Menschen gegangen , hat ihn gepflegt , ihm einen Doktor und eine Wartefrau angenommen ; aber das Geld hat er ihm durch die Post geschickt , so daß der nicht gewußt hat , von wem er es bekommen hat !
er ist immer erst spät von ihm gegangen , und oft , sagt Christian , wenn er dann hat viel Arbeit gehabt , hat er des Nachts gearbeitet , um nicht die Stunden zu versäumen .
- Wir hatten alle die Augen voll Wasser , als Christian das erzählte , Gott segne den guten jungen Herrn , und gebe ihm ein gutes Weib , die ihn für alles das belohne !
Harberg stand nun auf , er bat Elisa'n noch einmal , zu ihm zu kommen ; sie versprach es ihm , und er verließ das Zimmer .
Elisa . ( Nachdem Harberg hinaus ist , indem einige Tränen ihre Wangen herabrollten . )
Herrmann ! edler , guter Jüngling !
Ja wohl , möchtest Du unaussprechlich glücklich sein !
O , könnte ich Dein Glück mit meinem Leben erkaufen !
Jeder Tag sollte für Dich ein Tag der Wonne sein !
So blieb sie noch lange sitzen , dachte nur an Herrmann , und rief in ihr Gedächtnis alles zurück , was Harberg ihr gesagt hatte .
Sie erhielt von ihrer Mutter die Erlaubnis , nach Birkenstein zu gehen , und nun beschäftigte sie sich , für Harbergs Tochter einen Anzug zu verfertigen .
Ihre liebende Seele dachte sich die Freude der Mutter , wenn sie das kleine Geschöpf so geschmückt sehen würde , es war ihr süß , diese selbst zu bereiten .
Henriette wollte Elisa'n begleiten , allein sie befand sich am anderen Morgen nicht wohl , und Caroline sagte , sie hielte es nicht für eine Ehre , die Gevatterin eines Bauern zu sein , also fuhr Elisa allein nach Birkenstein .
Herrmann erwartete sie schon vor dem Dorfe , und führte sie zu seiner Mutter .
Beide konnten kaum die Freude verbergen , sich zu sehen .
Ihr Schweigen , Herrmanns trunkene Blicke , und Elisa's stärker klopfender Busen , Alles entdeckte ihre Empfindungen , und Frau von Birkenstein las in ihren Herzen .
Ach , könnte ich sie doch einmal als Tochter umarmen ! sprach sie zu sich selbst .
Sie gingen nun zusammen zu dem ehrlichen Harberg , und die feierliche Handlung nahm ihren Anfang .
Elisa hielt das Kind über die Taufe ; sanfter Ernst und Wohlwollen war während dieser Zeit auf ihrem Gesichte verbreitet .
Ich werde ihre zweite Mutter sein , sprach sie zur jungen Frau , indem sie ihr ihre Tochter wieder gab .
Harb . ( zu Herrmann , nachdem die Taufe vollzogen ist . )
Gott weiß es , gnädiger Herr , Sie haben mir viel Gutes getan , und was ich empfinde , kann ich Ihnen nicht sagen !
( Er wischt sich einige Tränen von seinen Wangen . )
Aber kann ich Ihnen Mal mit meinem Leben dienen , so befehlen Sie !
Weib und Kind will ich vergessen , und für Sie sterben !
Sie haben sie mir erhalten , und haben mich wieder zum ehrlichen Kerl gemacht !
Herrm . ( Gerührt. )
Ich freue mich , Harberg , Ihn wieder glücklich zu sehen !
Sei Er immer gut , dann wird Er das erste auch sein .
Harb . Das weiß ich nun schon aus Erfahrung , und wer in Birkenstein mehr als einmal sündiget , der muß ein Schurke sein !
( Zwei Bauern , die gegenwärtig sind . )
Da spricht Er ein wahres Wort !
Wo eine gute Herrschaft ist , die einen unterstützt , da sind gewiß nicht viel schlechte Kerl !
Das können Sie uns glauben , gnädige Frau , wir ließen Alle unser Leben für Sie ; aus Liebe für Sie , möchten wir nichts Böses tun !
( Alle Anwesende . )
Nein , gewiß , gewiß nicht !
Gerührt dankte Frau von Birkenstein Allen für diese Äußerungen der Liebe .
Seid gut ! seid glücklich ! sprach sie , dann werde ich es auch sein !
Elisa . ( Nach einer Pause , zur Frau von Birkenstein . )
Würdige Frau , wenn ich je ein Glück beneiden könnte , so wäre es das Ihrige !
Welche himmlische Wollust muß es sein , die Menschen zu besseren , sie gut und glücklich zu machen !
F. v. B. Ja , liebe Elisa , des Bild des Glücks und der Ordnung gefällt uns immer ; gern verweilen wir bei demselben ; aber doppelt süß ist es , sich als Schöpfer desselben zu sehen .
Die Freude erscheint uns dann noch in einem helleren Gewande , und die Tugend noch größer .
Man schreiet über das Verderben der Menschheit , und wie leicht kann man den Menschen das Gute liebenswürdig und annehmlich machen , wenn man jede seiner Pflichten erfüllt .
Dieses ist mein einziges Verdienst .
Einfach , von der Natur selbst eingegeben , sind die Mittel , welche ich anwende , das Gute zu befördern , und Freude zu verbreiten .
Ich liebe die Einwohner von Birkenstein , und unterstütze sie ; denn ihre Bedürfnisse sind so klein , daß , ob ich gleich nicht reich bin , ich sie doch befriedigen kann .
Dieses gewann mir ihre Liebe , und ihr Bestreben , mir zu gefallen .
Überzeugt , daß sie stets auf meinen Beistand rechnen können , wenden sie keine unrechtmäßigen Mittel an , ihre Bedürfnisse zu befriedigen .
Sie tun das Gute , weil es zu ihrem Nutzen gereicht , und lieben einander , weil kein Eigennutz sie trennt .
So leicht kann man den großen Haufen zum Guten gewöhnen , wenn man Mangel von ihm entfernt , und das Laster ihm schädlich werden läßt .
Dieses sollten jene Menschenbesserer bewirken .
Dieses sollte das Bestreben jedes Mannes , jedes Weibes , in jeder Klasse , in jeder Sphäre werden ; dann würden wir bald den größten Haufen der Menschen , so wie in Birkenstein , gut und fröhlich sehen . -
Aber leider ! finden wir mehr heftige Deklamationen über Sittenverderbnis und Menschenelend , als tätiges Bestreben , es zu verringern !
Harberg und sein Weib zogen nun Herrmanns und Elisa's Aufmerksamkeit auf sich .
Er hielt sie lange umarmt , und rief endlich ; Hanne , wie glücklich bin ich , daß ich dich wieder habe !
- Sie weinte , blickte auf ihn , und auf das Mädchen , welches in ihrem Schoße lag , und drückte sie wechselsweise an ihren Busen .
Es ist für dein Kind , sprach sie , daß ich so viel ausgestanden habe ; meine Liebe hat mir alles überstehen helfen .
Gott gebe uns nur seinen Segen , daß unser Mädchen fromm und groß werde !
Bei diesen Worten reichte sie ihm seine Tochter ; er nahm sie in seine Arme , drückte Mutter und Kind an sein Herz , und vergoß Tränen der Freude .
Auch Herrmanns und Elisa's Augen füllten sich mit Tränen , leise Seufzer drängten sich aus ihrer Brust .
Sie fühlten Beide die Allgewalt der Liebe und der Natur , und Beider Herzen sprachen leise :
In Herrmanns , in Elisa's Armen , würde auch ich so glücklich sein ! -
Mit diesen Empfindungen verließen sie diese Wohnung der Unschuld und der Zufriedenheit , als eben ein Bote der Frau von Birkenstein einen Brief brachte , welcher eine augenblickliche Antwort erforderte .
Frau von Birkenstein entschuldigte sich bei Elisa'n und verließ sie .
Gleich hinter dem Garten der Frau von Birkenstein war ein Park , in welchem Elisa gern verweilte .
Herrmann hatte dieses von seiner Mutter gehört , und schlug Elisa'n vor , zusammen in den Park zu gehen , indes seine Mutter schrieb .
- Schweigend gingen sie nun durch die dunklen Gänge wohlduftender Linden , und nur zuweilen unterbrach der Luftbewohner Abendgesang die feierliche Stille um sie .
Sie erstiegen eine Anhöhe ; die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf die Erde ; noch sahen sie sie durch die Zweige majestätischer Buchen brechen , welche am Fuße des Hügels standen , auf welchem sie saßen .
Herrmann hatte seinen Arm um Elisa'n geschlungen , und mit niedergesenktem Blicke saß sie da ; höher hob sich ihr Busen ; Herrmanns Auge wurde funkelnder ; Liebe wehte ihm das Rauschen der Blätter zu ; Liebe hörte er im Gesange der hoch sich schwingenden Lerche .
Er ergreift Elisa's Hand ; sie zittert .
Er blickt sie an ; eine Träne glänzt in ihrem Auge .
Elisa , stammelt er , meine Elisa ! und drückt seine Lippen auf die ihrigen .
Purpurröte überzieht ihre Wangen ; sie windet sich aus seinen Armen , und wagt es nicht , ihn anzusehen .
Herrm . Bin ich schuldig ?
Elisa . ( Mit bebender Stimme . )
So bin ich es denn auch , Herrmann ?
Herrm . ( Sie feurig umarmend . )
Nein , meine Elisa , das sind wir nicht !
Wir gehorchen der Stimme unseres Schöpfers , der aus Liebe uns schuf , durch Liebe uns werden ließ , und durch sie uns beglücken wird !
Elisa . ( Ihren Kopf an seine Schulter lehnend . ) O , Herrmann ! -
Herrm . Meine Elisa , wie glücklich machen Sie mich !
Ich wagte nicht , es zu glauben - Liebe !
Liebe ! wie groß sind deine Freuden !
Elisa . ( Gen Himmel blickend . )
Dank dir , mein Schöpfer , daß du mich ihn finden ließest , diesen Mann , der allein dieses selige Entzücken mich fühlen lassen konnte !
( Sie reichte ihm ihre Hand . )
Herrmann , Ihre Liebe macht mich stolz , macht mich glücklich !
Herrm . ( Kniet vor Elisa'n , und hält lange ihre Hand an seine Lippen . )
Himmlisches Mädchen !
ich vermag es nicht , meine Gefühle auszudrücken !
Bei diesen Worten sank er in ihre Arme , und Beide schwiegen nun .
Die Sprache des Gefühls ist zu mächtig , zu trunken das Wonnegefühl der Liebe , um durch Worte sie auszudrücken .
Ihre Blicke nur sagten sich ihr Glück .
Elisa . ( Nach einer langen Pause . )
Herrmann , die Sonne ist untergegangen , wir müssen zurückgehen .
Herrm . O , daß ich eine Ewigkeit hier sitzen könnte !
Elisa . Lassen Sie uns hoffen , nie getrennt zu werden !
Ach , ich könnte den Gedanken , ohne Sie zu leben , nicht ertragen !
Herrm . Und ich ihn nicht fassen !
Ohne Sie kann mir kein Glück mehr werden !
Elisa . Wir wollen ihn nicht denken , mein Herrmann ; das Schicksal ließ uns einander finden , unsere Liebe wird uns auf ewig vereinigen !
Herrm . Süßes , liebevolles Geschöpf !
Dank dir , gütiger Vater , du ließest mich einen Engel finden !
Ein holdlächelnder Blick , ein Kuß , den sie errötend auf seine Lippen drückte , war Elisa's Antwort .
Schnell eilte sie nun fort ; doch Herrmann erreichte sie bald wieder .
Im tiefen Schweigen war schon die Natur versenkt ; allein ihre Liebe belebte Alles , oder vielmehr hörten sie auf , andere Gegenstände zu bemerken .
In der ganzen Natur sah Herrmann nur Elisa , und Elisa nur Herrmann .
Zum Erstenmal erblickte sie ohne Entzücken den gestirnten Himmel , den aufgehenden Mond ; zum Erstenmal hörte Herrmann nicht die Schalmeie des fröhlichen Hirten , welche in der Ferne erschallte , und welche er sonst mit Vergnügen belauschte .
Im stummen Entzücken gingen sie fort , nur Seufzer der Liebe wehten die Lüfte ihnen nach .
Frau von Birkenstein erwartete sie am Eingange des Gartens .
( Elisa nähert sich ihr verwirrt . )
Sind Sie schon fertig , liebe Mutter ?
Fr. v. B.
Es freuet mich , daß Herrmann Sie so gut unterhalten hat , daß Sie den Verlauf zweier Stunden nicht bemerkt haben .
Elisa . ( Immer verwirrter , sieht errötend nach der Uhr . )
In der Tat , es ist schon spät .
Wir sind weit gegangen ....
Herrm . Mutter , unsere Unterhaltung war die , welche Jahre zu Minuten macht !
( Elisa verbirgt ihr Gesicht am Busen der Frau von Birkenstein , welche sie umarmt . )
Fr. v. B. Erröten Sie nicht , meine Freundin !
Herrmann ist Ihrer Liebe würdig ; und Liebe in solchem Herzen , als das Ihrige , ist Engelgefühl !
Herrm . ( Kniet nieder , vor Elisa und seiner Mutter . )
Meine Elisa !
Hier , vor meiner Mutter , gelobe ich Ihnen Liebe und Treue , und bekenne , daß Sie mir das Heiligste auf der Erde sind !
Elisa ( Ihn aufhebend . )
Und hier eröffne ich Ihnen ganz mein Herz .
Unaussprechlich , Herrmann , liebe ich Sie ; nur unbedingte Pflicht kann mich je von Ihnen reißen , und nie wird ein Mann , so wie Sie , meine Liebe besitzen !
Fr. v. B. ( Beide umarmend . ) O , meine Kinder ! möchte doch Eure Liebe Euer Glück und meine Freude im Alter machen !
Der Mutter und der beiden Liebenden Tränen der Freude und des Gefühls vermischten sich mit einander ; dichter , als ihre Arme , waren ihre Herzen in einander gekettet , und nur mit Mühe entriß sich ihnen Elisa , und eilte zurück nach Hohnauschloß .
Der Schleier der Nacht lag schon auf der Natur verbreitet , Elisa'n war er willkommen ; des Tages Geräusch hätte sie aus ihren Empfindungen geweckt , und Elisa konnte und wollte nur an Herrmann denken , und sich zurück träumen an seine Seite , seine Lippen auf den ihrigen gedrückt .
- Der Wagen hielt endlich still , Elisa stieg aus , schaute noch einmal mit einem Seufzer nach der Gegend hin , wo Birkenstein lag , und ging zu ihrer Mutter .
Hier verweilte sie nicht lange ; bald sagte sie ihrer Mutter und Karolinen gute Nacht , und eilte zu Henriette .
Sie warf sich in ihre Arme .
Henriette , ich liebe ! schrie sie , und drückte sie fester an ihren Busen .
Henr . Heute sagt mir es Dein Mund ; aber Deine Blicke sagten es mir schon lange .
Elisa . Meine Blicke ?
Nein , Henriette , noch fühlte ich nicht wie jetzt !
Hätte ich Liebe fühlen können , wenn ich entfernt von Herrmann war ?
Hätten meine Blicke beredt sein können , ehe seine Küsse mir Leben und Feuer einhauchten ?
Henr . Elisa , auch auf Dich wirkt der Zauber der Liebe so heftig ?
Elisa . O !
Henriette , Du kennst nicht seine Macht ! -
Als ich an deiner Seite saß , Herrmann , als deine feurigen Blicke , deine stammelnden Lippen mich das seligste Gefühl kennen lehrten ; als vor mir alle Gegenstände schwanden , ich nur dich sah , nur dein und meines Herzens Klopfen hörte ; als der erste Feuerkuß meine Lippen berührte , dein erstes Geständnis das Blut in meinen Adern stärker wallen ließ :
da hätte ich die Frage für unmöglich gehalten ?
Henr . Schwärmerin !
Elisa . Immerhin , Henriette , will ich umherschwärmen in dem Gebiete der Liebe ; ich habe die Tugend und Herrmann zu meinen Gefährten .
O , daß Du heute nicht mit uns warst , Henriette !
Nicht sahst unsere Liebe , nicht fühltest unser Glück !
Henr . Elisa , Deine allzufeurige Einbildungskraft ließ mich immer die Liebe für Dich fürchten .
Elisa . Fürchten ?
Warum denn fürchten ?
Sonst dachte ich nicht oft an die Liebe ; ich begehrte nicht , sie zu kennen ; doch ich glaubte nicht , daß man sie zu fürchten brauche .
Aber , nun ich sie an deiner Seite , in deinen Augen , durch deinen Händedruck , Herrmann , kennen lernte ; nun ihre Entzückungen meinen Busen heben , und ich durch sie dich , edelsten Mann , beglücken kann : nun dünkt mich Furcht vor ihr , so wie Furcht vor der Sonne , die Alles belebt , wie Furcht vor dem Urquell aller Wesen , der Allen Dasein gab !
Henr .
Daß sie Dir immer diese Wonne gewähren möge !
Elisa . Sie wird es !
Das Andenken ihrer vergangenen Freuden wird in trüben Tagen mich aufrichten !
Werde ich meinem Herrmann entrissen , so wird banger Kummer mein Los !
Aber die Erinnerung unserer Liebe wird mich durch das Leben begleiten , und mir noch in den letzten Augenblicken süß sein !
Henr . ( Lächelnd . )
Wer würde in dieser Heftigkeit die sanfte Elisa erkennen ?
Nein , liebes Mädchen , die Liebe muß Dich nicht umschaffen !
Sollte sie Dich allein unvollkommener machen ?
Elisa . Nein , Henriette , das soll sie nicht !
Mein Herrmann ist so edel , so gut ; er würde mich nicht mehr lieben , wenn ich aufhörte , es zu sein !
Henr . Du würdest also endlich die Tugend nur um Herrmann lieben ?
Elisa . Das nicht , Henriette !
Ja , ich fühle es , ich würde ihr selbst meine Liebe aufopfern ! aber - doch warum diese Frage ? -
Sprich , Henriette , versäume ich meine Pflichten seit dem Tage ? -
Ach , ich liebte ihn schon damals , als meine Augen ihn zuerst erblickten !
Henr . Elisa , Du bist unruhig !
Laß uns von anderen Gegenständen reden .
Elisa . Ich kann nicht , Henriette .
Herrmann schwebt vor meinen Augen , sein Bild ist in meinem Herzen , und selbst wider meinen Willen würden meine Lippen seinen Namen stammeln !
Henr . Elisa , ich hörte Dich so oft sagen :
Nie müsse man sich irgend einer Leidenschaft mit Heftigkeit überlassen .
Elisa . Wahr , Henriette !
ich fühle noch die Richtigkeit dieses Satzes ; allein Herrmann , und eine Vereinigung mit ihm , erfüllt so ganz jeden Begriff , den ich von Glückseligkeit hatte , welchem ich zwar nicht nachhing , weil ich ihn nie erfüllt zu sehen glaubte ; aber nun ich ihn kenne , den Mann - Ach , Henriette ! nun kann ich der Liebe nicht widerstehen !
Henr . Liebe Elisa , mein Wunsch war stets , Dich glücklich zu sehen .
Wirst Du es durch die Liebe , so werde ich den Tag segnen , an welchem die Natur und Dein Herrmann sie Dich zuerst kennen lehrten .
Elisa . ( Henriette umarmend . ) O , Freundschaft !
Auch du hast deine Freuden !
Stärker , als je , Henriette , schlägt mein Herz heute für Dich .
Henriette erwiderte den freundschaftlichen Kuß ; lange hielten sie sich umarmt .
Möchte uns doch das Schicksal nie trennen ! riefen Beide aus : O Herrmann ! o Henriette ! sprach Elisa , an Eurer Seite meine Tage verleben ! -
Gott ! das wäre mehr , als eine Sterbliche erwarten könnte ! das kann nicht geschehen !
Dieser Gedanke trübte ihre Stirn .
Ich fühle es , sprach sie , mit der Liebe schwindet die Ruhe , bange Besorgnisse erfüllen meine Brust ! -
O Herrmann !
Möchtest doch du nie sie kennen !
Möchtest doch du nur der Liebe Freuden genießen , ich will ihre Leiden tragen ! -
Aber auch Herrmann empfand wechselsweise Entzücken , Hoffnung , Zweifel und Furcht ; er eilte am anderen Tage nach Hohnauschloß .
Wie schlug nun Elisa's Herz , als er sich ihr näherte !
Wie zitterte nun seine Hand , als er die ihrige berührte ! -
Leise sprach er zu Henriette : Henriette , wissen Sie mein Glück ?
Henr . Ja wohl sind Sie glücklich , Birkenstein ; denn Elisa's Herz schlägt nur für Sie !
Herrm . O , daß ich ihr gleich zu ihren Füßen danken , vor der ganzen Welt bekennen könnte : Elisa , ich liebe Dich ! Henr . Nicht so heftig , lieber Birkenstein , noch müssen Sie sich nicht verraten .
Er entfernte sich von ihr , und augenblicklich kam Elisa und fragte :
Was sagte er Dir ?
Henr .
Er sprach , wovon die Geliebten gewöhnlich sprechen , von seiner Liebe .
Elisa . O , nein , er spricht nicht wie Andere , laß mich jedes Wort hören !
Henr . Man bemerkt uns , Elisa , Du mußt vorsichtig sein .
Elisa . O , des unerträglichen Zwanges !
Wie kann man seine Empfindungen verbergen ? -
Frau von Birkenstein , welche nichts unterlassen wollte , Herrmanns und Elisa's Glück zu befördern , hatte ihrem Sohne aufgetragen , die Baronin von Hohnau um Erlaubnis zu bitten , ihr ihre Aufwartung machen zu dürfen .
Die Baronin konnte dieses nicht abschlagen , und nach einigen Tagen stattete die Frau von Birkenstein einen Besuch in Hohnauschloß ab , welchen die Baronin von Hohnau erwiderte ; und nun erhielten Elisa und Henriette die Erlaubnis , zuweilen nach Birkenstein zu gehen .
Fast täglich sahen sich nun Herrmann und Elisa ; ihre Liebe wuchs mit jedem Tage ; ihre Besorgnisse schwanden ; sie tranken nun aus dem Kelch der Liebe und der Freude .
- An einem Nachmittage ging Elisa allein in einen kleinen Birkenwald , welcher zwischen Hohnauschloß und Birkenstein lag .
Ihr begegnete Herrmann ; sich einander sehen , und einander in die Arme fliegen , war immer das Werk eines Augenblicks .
Herrmann war einige Tage abwesend gewesen , also noch feuriger war heute ihr Kuß .
O , mein Herrmann , fing endlich Elisa an , wie sehr habe ich Ihre Abwesenheit empfunden !
Wie öde schien mir der Wald , da ich wußte , Sie atmeten nicht in seiner Nähe !
Herrm . Auch mir bot die Natur vergebens ihre Schönheiten dar ; wo Elisa nicht ist , da ist für mich Tod und Verwüstung .
Elisa . Anmutiger lächeln nun wieder die Gefilde . -
O Natur ! alle deine Werke ließ der Hauch der Liebe werden !
Herrm . ( Nach einer Pause . )
Kannst Du es fühlen , Elisa , das Entzücken , welches meine Brust belebt ; kannst Du sie begreifen , die unnennbaren Empfindungen , welche durch meine Nerven beben , wenn ich Dich höre die Liebe preisen , und mir dann sage :
Ich schuf dieses Gefühl in ihr ; ich belebe das Feuer ihrer Augen ; ich röte ihre Wange ; ich laß ihn stärker sich heben , diesen klopfenden Busen ? -
Kannst Du es , Elisa ?
O !
dann ist dein Gefühl das Gefühl eines Gottes , der Welten voller Wonne um sich schafft !
Elisa . Bist denn nicht auch Du der Schöpfer meines Glücks ?
Herrm . ( Sie an seine Brust drückend . )
Gott ! diese Worte aus Deinem Munde ! -
Welchem Fühllosen würden sie nicht Gefühl einhauchen !
Elisa . Wie heftig , Herrmann !
Kommen Sie , lassen Sie uns unter den Schatten jener lieblichen Birken setzen , und erzählen Sie mir da von Ihrer Reise .
Herrm . Von meiner Reise ?
O ! ich will Ihnen Alles sagen , was ich sah und hörte .
Unter jeder Linoe sah ich meine Elisa ; die Winde wehten mir das Lispeln ihrer Stimme zu ; ich hörte immer diese sanften schmelzenden Töne ; aber ich konnte nicht , wie jetzt , sie in meinen Armen drücken , nicht ihr sagen :
Herrmann lebt nur für dich , lebt nur da , wo du bist ! -
Sie setzten sich nun ; ein kleiner Bach , der unweit aus einem Berge floß , rauschte an ihrer Seite ; sein Murmeln , die graue Dunkelheit des Waldes , des Tages Schwüle , Alles wiegte ihr Herz in jene dunkle Empfindung des Verlangens , und der Wollust Träne rollte von ihren Wangen .
Herrmann sprach noch ; aber seine Stimme zitterte , und nur leise lispelte Elisa :
mein Herrmann ! und ließ ihren Kopf auf seine Schulter sinken .
Das Tuch , welches um ihren Hals sich schlang , entfaltete sich , und ließ Herrmann den schönen Busen erblicken , auf welchem sanft ihre braunen Locken spielten , und welchen der Liebe Seufzer bewegten .
Feuriger drückte er sie an sein Herz , und heißer wurden seine Küsse .
Er wagt es , und drückt seine brennenden Lippen auf ihren Busen ; aber nun erwachte Elisa aus dem Taumel der Wollust und der Liebe ; eilig stand sie auf .
Herrmann , laß uns fliehen , die Tugend verläßt uns !
Herrm . ( Bleibt liegen zu ihren Füßen . )
Elisa , verzeihe !
Ach ! wer kann der Allgewalt der Schönheit widerstehen !
Elisa . ( Ihn umarmend . ) O , mein Herrmann !
Dank sei der gütigen Vorsicht , daß ich Kraft hatte , mich Deinen Armen zu entreißen !
Jetzt weine ich Tränen der Freude , und einige Augenblicke vielleicht noch , vergösse ich Tränen des Schmerzes !
Herrm . Edle Seele !
Nur an Deiner Seite kann mir der Wollust Reiz gefährlich werden ; aber auch Du kannst ihn mich besiegen lehren !
Elisa . O Tugend !
Diese Gewalt verdanke ich dir !
Nie werde du von mir entweihet !
Lassen Sie uns nicht öfter der Gefahr trotzen , Herrmann .
Ach , im Arme der Liebe ist die Tugend so wankend ! -
Nie wollen wir uns mehr allein sehen .
Herrmann schwieg , sein Herz murrte ; aber er verehrte Elisa'n , und jeder ihrer Aussprüche war ihm heilig .
Er sah in ihren Blicken die heitere Zufriedenheit , welche jede edle Tat gewährt , und sie schien ihm schöner , als da zum Erstenmal ihre Lippen ihm Liebe stammelten .
Nur der Wollüstling wird trauern , daß das Mädchen nicht in seinen Armen Unschuld und Tugend zurückließ , nicht der Mann von Gefühl .
Auch die besten Menschen können straucheln ; auch ihnen zeichnet die Leidenschaft ihre Zauberbilder vor , und so verblendet , reißt sie sie mit sich fort ; aber bald läßt Gefühl für das wahre Schöne sie ihren Irrtum erkennen ; sie kehren zurück , und freuen sich ihres Sieges .
So freute sich auch Herrmann , als er seine Elisa noch in der vollen Blüte der Unschuld , und mit dem süßen Bewußtsein , die heftigste Leidenschaft besiegt zu haben , vor sich erblickte .
Die Stärke des Gefühls ließ ihn ausrufen : Nein , Elisa , selbst in Deinen Armen würde ich die Wonne nicht empfinden , die jetzt das selige Gefühl der Tugend mir gibt !
Elisa . ( Mit tränendem , gen Himmel gerichtetem Blick . )
Wohl mir , Tugend , du bist kein Traum !
Du lebest in der Brust des edelsten Mannes !
Und dieser Mann ist mein ! liebt mich - werde mein Los nun , welches es wolle !
Ich habe des Glücks Größtes gekannt !
Herrm . O , Elisa !
Warum kann ich nicht alle Mädchen der Erde um Dich versammeln , Dich ihnen zeigen , und ihnen sagen : Werdet wie Elisa , und Welten werden euch verehren !
Elisa . Enthusiastischer Schwärmer ! -
Auch dem Weisesten hält die Liebe ihr Vergrößerungsglas vor .
Herrm . Nicht dem , der Dich liebt , Elisa !
Deine Strahlen blenden nicht ; nur nach und nach erblickt man den Glanz , der Dich umgibt .
Elisa . ( Legt ihre Hand auf seinen Mund . )
Still , Herrmann .
Sie wissen , aus Ihrem Mund ist das Lob mir gefährlich !
Ich könnte mich erheben , und - lassen Sie mich immer Ihrer würdig bleiben .
Herrm . Welch ein Ausdruck ! -
Doch Sie sollen nicht allein die Stufen der Vollkommenheit ersteigen ; auch ich will hinanklemmen , und durch Ihren Anblick gestärkt , mich bestreben , dem Gipfel mich zu nähern .
Elisa . Dieser Vorsatz veredelt uns , mein Herrmann , und macht uns des Glücks würdiger , welches unsere Liebe uns gewährt .
Er wird selbst , wenn das Schicksal uns trennen sollte , uns Standhaftigkeit verleihen .
Herrm . Elisa , warum mischen Sie diesen bitteren Gedanken in den Kelch der Freude ?
Elisa . Ach , er drängt sich zuweilen mit aller Gewalt in mein Herz , um es mit Angst zu erfüllen !
( Eine Pause . )
Doch es ist unweise , sich der Zukunft wegen zu ängstigen ; sie liegt ja im Schleier verborgen , und wir können ihn doch nicht aufheben ! -
( Sie küßt Herrmann . )
Lassen Sie mich von Ihrer Stirn die trüben Wolken wegküssen , welche ich aufsteigen ließ !
Herrm . ( Sie mit Wehmut an seine Brust drückend . )
Ach , Mädchen !
Du lässt mich fühlen , daß Trennung von Dir mehr als zehnfacher Tod wäre !
Elisa . Nicht weiter davon , mein Herrmann .
Noch bin ich Dein , und mein Herz sagt mir , Dein werde ich bleiben .
Herrm . Holdes Geschöpf !
Mögest Du wahr reden ! -
Sie waren jetzt am Eingange von Hohnauschloß , und mußten sich trennen .
Heiter kehrte Elisa zurück ; ihr Gefühl war Freude , und edle Selbstzufriedenheit ; die süßeste Belohnung , welche Tugend gewährt .
Elisa hielt ihr Versprechen , und sah Herrmann nicht anders , als in Henriettes Begleitung .
Nach einigen Tagen reiste die Baronin von Hohnau mit Karolinen zu ihrer Schwester , und war vierzehn Tage abwesend .
Dieses waren Tage der Wonne für Herrmann und Elisa ; fast täglich ging Elisa nach Birkenstein ; mit mütterlicher Zärtlichkeit empfing sie Frau von Birkenstein , und an ihrem Busen weinte oft Elisa Tränen der Liebe und der Freude .
Zuweilen führten Herrmann und Elisa die gute Mutter auf die Anhöhe , auf welcher sie sich zuerst ihre Liebe gestanden .
O , Mutter !
hob dann Herrmann an , hier fing mein Glück an ; hier drückte ich den ersten Kuß auf Elisa's zitternde Lippen ; hier sah ich , daß Liebe ihre Wangen rötete !
Elisa . Und was empfand ich da !
Menschensprache kann dieses nicht ausdrücken !
Es glänzten Tränen der Freude im Auge der Frau von Birkenstein .
Ich habe schon viel der Freuden gekannt , sprach sie ; aber die größte , gütigste Vorsicht , bereitest du mir noch !
Das Glück meines Sohnes , meines Lieblings , kann ich noch sehen ! -
O , Elisa ! wenn Sie werden Mutter sein , werden Sie diese Empfindung begreifen !
Elisa errötete , und lebhafter drückte Herrmann ihre Hand. Fr. v. B. Gefühlvolles Mädchen , viele Freuden warten Ihrer noch !
Aber alle werden sie aus der Hand der Tugend gegeben .
Wäre Ihre Seele nicht der Abdruck der Tugend und der Unschuld , Ihre Liebe würde Sie nicht so glücklich machen !
Wie oft entweihet man den Namen Liebe !
Nur der Tugendhafte kennt sie , und alle ihre seligen Empfindungen !
Unordentliche Begierden , eine Verbindung , welche nur Genuß zum Zwecke hat , verdienen diesen Namen nicht ; sie haben in ihrem Gefolge Unmut , und die Ruhe flieht vor ihnen . -
Wohl Euch , meine Kinder , daß Ihr die wahren Freuden des Lebens kennen lerntet , und daß kein falscher Schimmer derselben Euch irre leitete !
Herrm .
Ihnen verdanke ich dieses , meine Mutter !
Elisa . ( Eine Träne im Auge . )
Und ich Dir , heiliger Schatten meines unvergeßlichen Vaters !
Du leitetest mein Herz zu jedem Guten !
Deine letzten Worte waren Lehren der Tugend !
Du warst es , der durch sie mir meinen Herrmann gab !
Mit Entzücken drückte sie dann Herrmann an seine Brust , und Frau von Birkenstein freute sich ihres Glücks .
Die Baronin von Hohnau kam zurück ; mit ihr zwei Herren von Wallenheim , welche sie bei ihrer Schwester gesehen hatte .
Sie waren Vettern ; der Eine war der einzige Sohn eines reichen Vaters ; der Andere der Neffe des alten von Wallenheim , ohne Vermögen , und ganz abhängig von dem Willen seines Onkels .
Sie erregten Elisa's Aufmerksamkeit nicht ; nur mit Herrmann beschäftiget , bemerkte sie andere Männer kaum .
Von ihm unterhielt sie sich am anderen Morgen mit ihrer Henriette , als ihre Mutter sie zu sich rufen ließ .
B. v. H.
( Nach dem ersten Morgengruße . )
Wie gefällt Dir Karl von Wallenheim ?
( Es war der Sohn des noch lebenden Wallenheim . )
Elisa . Er scheint sehr finster , sehr in sich verschlossen zu sein .
B. v. H .
Er soll Dein Gemahl werden .
Elisa . ( Stutzt .
Nach einer Pause . )
Meine Mutter , ich muß den Mann erst kennen , dem ich meine Hand gebe .
B. v. H. Du wirst ihn kennen lernen .
Allein Dein Urteil über ihn sei , welches es wolle , so erwarte ich Gehorsam .
Elisa . Und ich kann hoffen , daß meine Mutter mich nicht wird unglücklich machen wollen .
B. v. H. Kein Rommanengeschwätz !
Wenn Du Deine Pflichten erfüllst , wirst Du nicht unglücklich werden .
Elisa . Ich würde es , wenn ich Ihrem Willen gehorchen müßte .
Denn - teure Mutter , verzeihen Sie mir mein Geständnis :
Ich liebe .... B. v. H. ( Spöttisch. )
Der Gegenstand Deiner Liebe wird wohl so edel sein , als es Deine Denkungsart ist .
Elisa .
Er ist edel durch sein Herz , durch seine Gesinnungen , aber auch durch seine Geburt .
Ich liebe Herrmann von Birkenstein !
B. v. H. Nie hätte ich in eine Verbindung mit ihm gewilligt , wenn ich auch nicht wichtige Ursachen hätte , Dich mit dem Herrn von Wallenheim zu verheiraten .
Elisa . ( Mit Tränen im Auge . ) O , meine Mutter !
Können Sie so mit kaltem Blute das ganze Glück meines Lebens aufopfern ?
B. v. H. Willst Du mir das Meinige rauben ?
Wisse , Caroline liebt Philipp von Wallenheim mit einer Heftigkeit , welche mich für sie fürchten läßt , und sein Oheim , aufgebracht , daß sein Neffe , und nicht sein Sohn , das reiche Mädchen heiraten sollte , verbot ihm , Karolinen wieder zu sehen ; Caroline wurde krank ; ich fuhr selbst zum alten Wallenheim ; nichts konnte ihn bewegen , bis daß er endlich hörte , daß ich noch eine Tochter hätte ; da versprach er , seine Einwilligung in seines Neffen Verbindung mit Karolinen zu geben , doch unter der Bedingung , daß sein Sohn Dich heiraten würde .
Ich fürchte , meine Caroline zu verlieren , wenn ihr Wunsch nicht erfüllt wird , und Du würdest es sein , welche meinem Herzen diese Wunde schlüge !
Elisa . Das soll nicht geschehen , meine Mutter !
Schreiben Sie Herrn von Wallenheim , ich entsage meinem ganzen Vermögen ; sein Sohn soll der Besitzer desselben werden , dann wird er in Karolinens Verbindung willigen .
Und ich ? -
O , meine Mutter ! werde an Birkensteins Seite meine Tage verleben können !
Er wird bald eine Stelle bekommen ; die Einkünfte davon , und das geringe Vermögen , welches er besitzt , werden hinlänglich sein , mich glücklich zu machen .
B. v. H. Nie soll Birkenstein mein Sohn werden !
Dein Vorschlag kann nicht angenommen werden ; Du mußt Wallenheim Deine Hand geben .
Elisa . Meine Mutter , lassen Sie mich an Herrn von Wallenheim schreiben .
Vielleicht wird er gerührt durch die Schilderung meines Kummers .
Vielleicht schreckt ihn der Gedanke , zwei schuldlose Geschöpfe unglücklich zu machen . -
B. v. H. Elisa , so viel Widersprüche bin ich nicht gewohnt !
Elisa . ( Wirft sich zu den Füßen der Baronin , und ergreift ihre Hände . ) O , meine Mutter !
ich bestrebte mich immer , meine Pflichten zu erfüllen ; jeder Ihrer Winke war mir Befehl , welchen ich nie überschritt , und mein ganzes Leben soll Gehorsam gegen Sie sein ! -
Ich entsage Birkenstein , aber ich kann keinem anderen Manne meine Hand geben !
B. v. H. ( Entzieht Elisa 'n ihre Hände , und wendet sich von ihr. ) Du sollst sie Wallenheim geben ! -
Caroline liebte nicht ; versprach sich nicht wider meinen Willen ; ich werde sie Dir nicht aufopfern .
Elisa . ( Mit einem Ausbruche von Tränen . )
Gott ! so muß ich das Opfer sein !
Meine Mutter , bin ich denn nicht auch Ihre Tochter ?
B. v. H. Eine widerstrebende , ungehorsame Tochter !
Elisa . O , meine Mutter ! mit der Vernunft gab mir der Schöpfer das Recht , selbst mein Glück zu wählen .
Indem ich Ihnen gehorche , widerstehe ich dem ersten Gebote der Natur , welches mich zum Glücke ruft !
B. v. H.
Das erste Gebot der Natur ist kindlicher Gehorsam .
Elisa . Ich weiß es !
Allein er hört da auf , wo das ganze Glück des Lebens , wo die Tugend selbst auf dem Spiele steht , ohne daß die Urheber unserer Tage Vorteil davon ziehen .
Werden Sie glücklicher sein , wenn Sie mich unter der Last des Kummers gebeugt sehen werden ?
Wird Ihr Ohr , ermüdet von meinen Seufzern , noch den Tönen der Freude offen sein ?
B. v. H.
Und wenn mir dieses alles Caroline auch sagte ?
Elisa . Tat ich Ihnen nicht einen Vorschlag , welcher uns Beide befriedigen könnte ?
Nehmen Sie ihn an !
Und wenn ihn Wallenheim ausschlägt , kann Philipp nicht den Tod seines Oheims erwarten ?
B. v. H. Sein Oheim ist noch nicht alt , und er drohet ihn in ein Kloster zu stecken , wenn er Karolinen nicht gänzlich entsagt .
Und das erstere - würde von Deiner Seite ein sehr unschicklicher Schritt sein .
Elisa . Meine Lage rechtfertigt ihn , und fremdes Urteil ist mir gleichgültig , wenn ich weiß , daß ich recht handle .
B. v. H. Allein , hoffe nicht Birkensteins Weib zu werden !
Elisa . ( Mit erstickten Tränen . )
Ich habe Ihnen schon gesagt , meine Mutter , ich entsage ihm ! -
( Nach einer Pause . )
Darf ich schreiben ?
B. v. H. Du erzwingst meine Einwilligung !
Schreibe !
Elisa verließ das Zimmer , wankend ging sie in das ihrige , und sinnlos warf sie sich in einen Sessel .
Lange saß sie da ; betäubt waren ihre Empfindungen , und trocken ihr Auge .
Nur Seufzer drängten sich aus ihrem Busen ; ihr Auge war gen Himmel gerichtet , und schien Hilfe von der unbekannten Macht zu erflehen .
Ein Ring von Herrmanns Haaren geflochten , und den sie erst am vorigen Tage von ihm erhielt , erweckte endlich ihre Empfindungen .
Ihr Blick fiel auf ihn , sie drückte ihn mit Inbrunst an ihre Lippen , und eine Flut von Tränen rollte von ihren Wangen .
Sie weinte lange .
Herrmann , rief sie endlich aus , so habe ich dir denn entsagt !
So habe ich denn mit einem Worte alle Freuden von deinen und meinen Tagen verscheucht !
O , daß ich nicht die Last deines Kummers tragen kann !
Daß ich dich unglücklich mache , indem ich elend werde ! -
Das alles forderte Pflicht von mir ? -
Ich gehorche ! -
Nie , nie soll meine Liebe über die Tugend siegen . -
Ich will Leiden tragen lernen .
- Von dir getrennt , Herrmann , werde ich meine Tage verweinen ; aber ich werde mir sagen : Ich erfüllte das Gebot meiner Mutter ; nie streute ich Unmut auf ihre Tage . -
O , dann werde ich noch in meinen Tränen Trost finden !
Aber einem Anderen meine Hand geben ? - Nein - ich will bei meiner Mutter bleiben - ich will Karolinens Glück sehen - mich dessen freuen - Ach !
es kostete mir ja Alles ! -
Aber namenlos würde mein Elend , wenn ich Wallenheim - o , der Name ist mir verhaßt ! -
Liebe schwören müßte !
- Dagegen will ich alle meine Kräfte aufbieten .
- Ich will es tragen das harte Geschick , von Herrmann getrennt zu sein ! -
O , mein Vater !
Du ahndetest es , als Du sterbend mich noch Ergebung in den Willen des Schicksals und Standhaftigkeit lehrtest ! -
Wohl !
Ich will Dir folgen - ich will sie erfüllen jede Pflicht , die Du mir auferlegtest - Aber mich in einen Abgrund stürzen , aus welchem nur der Tod mich retten kann ? -
Nein , das kann nicht Mutterbefehl ! -
Herrmann !
Herrmann !
Du sollst mich nicht in den Armen eines Anderen sehen ! -
Nun stand sie auf , setzte sich an ihren Schreibtisch , und schrieb folgende Zeilen an den Herrn von Wallenheim :
" Mein Herr , Unbekannt werden Ihnen diese Züge sein , wie mir bisher Ihr Name war !
Ihr Name , den ich nun zitternd ausspreche ! -
Doch nein , voll des Vertrauens auf die Güte , welche der Schöpfer in jedes menschliche Herz pflanzte , nähere ich mich Ihnen , und wage , Sie , jetzt Gebieter meines Schicksals , um Mitleiden anzuflehen ! -
Ohne mich zu kennen , glaubten Sie mich würdig , die Gattin Ihres Sohnes zu werden .
- Ich erkenne es in seinem ganzen Umfange , dieses edle Vertrauen , und wäre mein Herz frei gewesen , so würde ich mich bestrebt haben , es zu verdienen .
Aber schon lange fesselt mich Übereinstimmung der Neigungen und der Denkungsart an einen edlen Jüngling .
Und wie kann ich nun , mit einem Herzen voll unaussprechlicher Liebe gegen ihn , Ihrem Sohne die Hand geben , mich schuldig , und ihn unglücklich machen ?
Das kann ein Vater nicht wollen .
Er darf nicht die Mutter seiner Kinder unglücklich machen , sonst würden einst Ihre Enkel Ihnen meine Tränen vorwerfen !
Aber Sie verlangen , mich als Gattin Ihres Sohnes , oder das Band zerrissen zu sehen , welches meine Schwester an Ihren Neffen knüpfte !
Sie wollen sie trennen , sie , welchen die Liebe einander zurief und vereinigte !
Und ich , ich sollte es sein , welche Kummer auf die Tage meiner Schwester verbreitete ?
Welche dem Herzen ihrer und meiner Mutter jede Freude raubte , indem sie die blühende Tochter dahin welken sah ? -
O , wohin ich blicke , wartet meiner Verbrechen und Elend ! -
Ihre Güte allein kann mich retten !
Ein Wort von Ihnen sichert mein und meiner Schwester Glück ! -
Aber der Wille meiner Mutter , welche mich bestimmte , die Gattin Ihres Sohn's zu werden , legt mir eine Pflicht auf , die ich erfüllen will .
Meine Hand kann ich dem Herrn von Wallenheim nicht geben ; aber mein Vermögen sehe ich als das Seinige an .
Ich entsage Allem , was ich besitze , und mache ihn zum Herrn desselben .
Es ist mir süß , ihm diesen Beweis meiner Achtung zu geben , und kränken würde es mich , wenn Ihre Großmut ihn ausschlüge ! -
Das erwarte ich nicht ; denn es ist nicht ein Sold , den ich geben will , um Ihre Einwilligung zur Verbindung meiner Schwester mit Ihrem Neffen zu erlangen - O nein ! das Glück so vieler Geschöpfe kann nicht mit Gelde bezahlt werden !
Und über jeder Belohnung , als über die , welche Tugend gewährt , ist der , welcher so viel Segen über seine Mitgeschöpfe verbreitet !
Nur unser Dank , nur unser spätester Segen kann Ihnen lohnen , nie unser Geld ! -
Das Meinige gehört nach allen Rechten Ihrem Sohne ; es verwerfen , hieße mich verachten ! -
Ich habe Sie nun in meinem Herzen lesen lassen ; ich habe Ihnen alle meine Gesinnungen entdeckt , muß ich nun noch Ihren Ausspruch fürchten ?
O , bedenken Sie , daß das Glück meines Lebens von ihm abhängt ! daß er es ist , welcher jeden meiner Tage zu Tagen der Wonne machen wird ! -
Mehr wage ich nicht hinzuzusetzen .
Wenn Ihr Gefühl nicht für mich spricht , so bin ich verloren !
Elisa von Hohnau . "
Diesen Brief brachte sie ihrer Mutter , und bat sie zugleich , in ihrem Zimmer bleiben zu dürfen , bis daß sie eine Antwort von Herrn von Wallenheim würde erhalten haben .
Die Baronin von Hohnau erlaubte es ihr , verbot ihr aber , an Herrmann zu schreiben , und auch Henriette erhielt Befehl , nicht ohne Karolinen das Haus zu verlassen .
Beide gehorchten ; die sanfte Elisa murrte nicht , auch klagte sie nicht länger vergebens ; sie bestrebte sich , ihren niedergeschlagenen Geist wieder aufzurichten .
Unaufhörlich war sie beschäftiget ; sie suchte jedes Gefühl zu betäuben ; las ernste philosophische Schriften , um ihre Gedanken von Herrmann und von ihrer Liebe abzuziehen .
Oft hatte sie sonst gesagt :
Ein jeder Mensch wird physikalisch und moralisch gezwungen , sich dem Gesetze der Notwendigkeit zu unterwerfen ; aber nur der Weise erkennt es , und ergibt sich ihm ohne Murren und Widerstand ; denn er weiß , daß keine Macht im ganzen Weltall es aufheben kann . -
Dieser Worte erinnerte sie sich jetzt .
Ach , sagte sie sich mit einem Seufzer , ich muß nun das ausüben , was ich sonst als weise und gut erkannte !
- Selten nur sprach sie mit Henriette von ihrer Liebe , und so erlangte sie , Ruhe in ihrem Herzen zu erhalten .
Aber Wallenheim ihre Hand geben ? -
Diesen Gedanken konnte sie nicht ertragen .
Dann flog von ihren Lippen das heitere Lächcln , welches ihr Antlitz zum Bilde der Unschuld und der Tugend machte .
Ihre Mutter hatte ihren Brief dem Herrn von Wallenheim geschickt , und am sechsten Tage nach seiner Absendung , erhielt Elisa eine Antwort .
Die Baronin von Hohnau brachte sie ihr , und Caroline begleitete sie .
Elisa war bei ihrer Freundin ; zitternd erbrach sie den Brief ; er enthielt folgende Worte :
" Gnädiges Fräulein , Ich konnte Sie nicht zwingen , die Gattin meines Sohn's zu werden ; aber nie werde ich in die Verbindung meines Neffen mit Ihrer Schwester willigen .
Ich beharre stets auf meinem Entschluß , und was ich einmal für gut erkenne , das ändere ich nie . -
Die Welt würde mich als den eigennützigsten Mann betrachten , wenn ich Ihr Geld annähme ; das kann also nicht geschehen .
Und da mein Sohn nicht das Glück gehabt hat , Ihnen zu gefallen , so soll er unverzüglich mit meinem Neffen zurückkommen .
Dieses habe ich ihm auch geschrieben .
- Ich bedaure übrigens , daß ich nicht das Glück haben kann , mit Ihnen und Ihrer Familie verbunden zu sein , und daß Sie mir jede Gelegenheit geraubt haben , Ihnen zu beweisen , wie sehr Sie lieben würde Ihr ergebener Diener , Franz von Wallenheim . "
Elisa sank auf einen Stuhl , nachdem sie ihn durchgelesen hatte ; sie reichte ihn ihrer Mutter :
Er enthält meinen Tod , sprach sie .
Caroline . ( Nachdem auch sie den Brief gelesen hat . )
Nein , meine Mutter , Philipp soll mich nicht verlassen !
B. v. H. Elisa , Du mußt Dich entschließen ....
Elisa . ( Wirft sich der Baronin und Karolinen zu Füßen . )
Meine Mutter !
Caroline !
Ach , Mitleid !
Mitleid !
Tausendfache Leiden zerreißen meine Brust !
B. v. H. Elisa , Deine Mutter bittet Dich ! Caroline . ( Umarmt Elisa 'n . ) Schwester , Du machst mich unglücklich !
Elisa . Ach , Caroline , hast Du nur Gefühl für Dein eigenes Unglück ?
Könntest Du einem Anderen die Hand geben , in dem Augenblicke , da Du Philippen entsagen müßtest ?
B. v. H. Dein Zaudern würde nur Deine Verbindung mit Wallenheim aufschieben , aufheben nicht , so lange Caroline lebt .
Was würde es Dir helfen , täglich ihre und meine Tränen zu sehen .
Du würdest durch sie nicht glücklicher ; denn Birkenstein soll nie der Deine werden .
- Fluch würde dann mein letzter Gedanke an Dich sein ; Fluch der Tochter , die das Herz ihrer Mutter zerriß !
Elisa . Gott !
Caroline . O , daß jede meiner Tränen höllische Martern in Deine Brust gießen möge !
Elisa . Halt ein , Caroline !
Ach , Muttersegen , Mutterfluch , beide machen mich elend ! -
Und nirgends ein Ausweg für mich , nirgends mehr Hilfe !
B. v. H. Noch in Deinem Gehorsam , Elisa. Caroline .
Noch in dem Wonnegefühl , wie Du es nennst , Andere glücklich zu machen .
Oder hättest Du nur gelernt , schön zu sprechen , und - schlecht zu handeln ?
B. v. H. Sprich , Elisa , was ist Dein Entschluß ?
Elisa . ( Mit schwacher Stimme . )
Zu sterben , aber Ihnen zu gehorchen .
Caroline . ( Wirft sich Elisa'n um den Hals . )
Elisa , Elisa , was soll ich tun ?
Elisa . Mir nicht danken .
Dein Dank , Deine Freude läßt mich mein Unglück fühlen !
( Nach einer Pause . )
Nur eine Bitte , meine Mutter , gewähren Sie mir !
Lassen Sie mich noch einige Tage in meinem Zimmer bleiben ; ich muß Kräfte sammeln , um Wallenheim sprechen zu können , und - o Gott ! - lassen Sie mich selbst meinem Herrmann sagen , daß er und ich ewig elend sind !
Hier sank sie wieder kraftlos in einen Sessel , und verhüllte ihr Gesicht in ein Tuch .
Henriette eilte zu ihr , faßte sie in ihre Arme ; aber vergebens waren ihre Bemühungen , sie aus der Betäubung zu ziehen .
Die Baronin von Hohnau und Caroline verließen das Zimmer , und die Erstere sagte Henriette , sie willige in das Verlangen ihrer Tochter .
Henriette weinte .
Grausame Mutter , sprach sie , um die Leidenschaft deiner einen Tochter zu befriedigen , opferst du die Ruhe der Anderen auf ? -
Ach ! mögest du nie dein Verbrechen empfinden !
In Elisa's Seele kehrte nun das Andenken ihrer letzten Worte zurück ; sie erhob ihren Kopf , und sah die weinende Henriette an ihrer Seite .
Auch Dich , meine Freundin , sagte sie , mache ich unglücklich !
O , meine Mutter ! daß auch diese Tränen Dir mögen vergeben werden !
Henr . ( Für sich . )
Die edle Seele ! wie entfernt ist Zorn von ihr !
Elisa . So werde ich dich auch nicht mehr lieben dürfen , mein Herrmann ?
Ach , Henriette !
Das war mein Trost , als ich ihm entsagte , daß mein Herz ihm doch immer bleiben würde , und nun soll ich sein Bild darin vertilgen !
Nun darf ich seinen Namen nicht mehr nennen !
Gott ! können Menschen dieses fordern , und kann ich das alles halten ?
Henr . Ich erwarte Stärke von deiner Tugend .
Elisa . ( Nach einer Pause , fällt auf ihre Knie . )
Ewige , unsichtbare Macht , dein erster Wille lenkte die Begebenheiten aller Zeiten hindurch ; auch ich bin mit begriffen in dem Gesetze ewiger Notwendigkeit ; ach , laß mich immer überzeugt sein , daß es so am besten in der Reihe der Dinge war !
( Sie läßt ihren Kopf auf Henriettes Schoß sinken ) Henriette !
ich wollte ihn aussprechen den Schwor , nicht mehr zu lieben . -
Ich kann nicht !
Henr . ( Hebt sie auf . )
Fasse Dich , meine Freundin !
Du mußt nun Dein Glück allein in der Tugend suchen .
Elisa . Sprich nicht von Glück , Henriette ; erflehe nur Ruhe für mich ; dem Glücke habe ich entsagt !
Sie schwieg nun ; ruhig war ihr Blick und alle ihre Bewegungen .
Henriette sagte ihr , daß ihre Mutter ihr ihre Bitte gewähre ; ein Seufzer war ihre Antwort .
Ach ! sprach sie endlich , daß Herrmann mich vergessen möge , daß er nur möge glücklich werden !
Eine Träne zitterte bei diesen Worten in ihrem Auge : aber Elisa unterdrückte jeden Ausbruch des Schmerzes .
Täglich war Herrmann in den Birkenwald gegangen , in welchem er stets seine Elisa anzutreffen pflegte .
Hoffnung beflügelte an jedem Tage seine Schritte , und voll düsterer Schwermut wankte er an jedem Abend zurück nach Birkenstein .
Er weiß kaum , was er denken soll .
Er wagt es nicht , irgend einer Mutmaßung Raum zu geben ; denn schwarze Bilder schweben um seine Einbildungskraft .
Er wagt es endlich am fünften Tage , nach Hohnauschloß zu reiten ; allein die Baronin von Hohnau nimmt seinen Besuch nicht an ; er zieht Erkundigungen ein , und kann weiter nichts erfahren , als daß Elisa und Henriette nicht das Zimmer verlassen , ob sie gleich ganz wohl sind .
Dieses vermehrt nur seine Besorgnisse ; er geht am anderen Tage wieder in den Birkenwald ; unruhig durchläuft er alle Gänge , welche nach Hohnauschloß führen ; da erblickt er endlich seine Elisa , welche wankend daher kommt ; er eilt ihr entgegen , und kraftlos sinkt sie in seine Arme .
Herrm . Gott !
was ist das ?
Elisa , Dein Herz schlägt heute so schwach gegen das meinige ?
Elisa . ( Entreißt sich seinen Armen , mit angenommener Standhaftigkeit und fester Stimme . )
Herrmann , wir sehen uns heute zum letztenmal !
Herrm . ( Blickt sie starr an ; Elisa hält ihre Hand vor die Augen ; er fällt endlich zu ihren Füßen . )
Elisa , sprichst Du mein Todesurteil ?
Elisa . Herrmann , erschwere mir meine Pflicht nicht ; ich wollte bei Dir Standhaftigkeit suchen .
Herrm . ( Steht auf . )
Spötterin !
Du kannst noch meines Elends spotten ?
Elisa . ( Mit sanfter , einschmeichelnder Stimme . )
Höre mich , mein Herrmann !
Mutterbefehl entreißt mich Dir !
Ach , ich würde in Deinen Armen nicht mehr glücklich sein , wenn meiner Mutter Fluch auf mir ruhte !
Herrm . Elisa , warum bist Du so vollkommen , und ich so unglücklich ?
O , Mädchen ! wärest Du in den Tiefen eines Abgrundes gewesen , an dessen Rande tausend Dolchstiche meine Brust zerfleischt hätten ; mit dem Tode ringend wäre ich zu Dir geeilt , hätte Dich in meine Arme genommen , wäre gestorben , aber wäre glücklich gewesen ! -
Ach , Elisa , ich kannte nur Leben und Glück , seit dem Augenblicke , da ich Dich sah !
Nein , ich hatte kein Dasein zuvor !
Und nun stoßest Du mich zurück in ewige Finsternis ! -
O , welche herrliche Aussicht lag vor mir !
Wie ergötzte ich mich oft , wenn ich in die Zukunft blickte !
Elisa gab Licht und Leben allen Gegenständen , die ich sah ! -
Und nun ? -
Schauder ergreift mich - meine Tage werden öde sein - kein Gefühl kenne ich mehr -
Nun wird Verzweiflung mir süß und Raserei mein Los sein .
Elisa . Halt ein , Herrmann !
Du zerreißest mein Herz . -
O Mutter !
Mutter !
Mögen seine Flüche nie über Dich kommen !
( Sie sinkt nieder auf den Rasen . )
Wo soll ich Kraft hernehmen , seinen Schmerz zu tragen ?
Herrm . ( Setzt sich neben sie , und umarmt sie . )
Elisa , Weib meines Herzens , Du willst mich verlassen ?
Elisa . ( Ein Strom von Tranen rollt von ihren Wangen ; sie legt ihren Kopf auf seine Schulter ; nach einer Pause . )
Herrmann , ich bin doppelt unglücklich !
Ich muß einem Anderen meine Hand geben ; Du darfst mich lieben ; ich muß Dich vertilgen , aus diesem Herzen , in welchem Du herrschest . -
Aber , schwuren wir uns nicht oft , der Tugend treu zu bleiben ?
Mein Herrmann , gedenke des Tages , an dem Du sagtest , wir wollen zusammen die Leiter der Vollkommenheit ersteigen . - Wollen wir nur auf der untersten Sprosse stehen bleiben ?
Herrm . ( Seinen Kopf auf seine Hände gestützt . )
Gott ! ich soll sie verlieren ?
O ! wie werde ich Kraft zum Leben behalten ?
Elisa . Blicke um Dich , mein Herrmann , die Natur verläßt keines ihrer Kinder ; in ihrem Schoße wirst Du Balsam für Deine Wunden finden .
Herrm . Vergebene Hoffnung ! mit Dir schwindet jeder Genuß ; alles ist nun tot für mich !
Elisa . Aber ich bin ja noch ; meine Ruhe hängt von der Deinigen ab !
Herrmann !
Herrmann ! könnte ich mit diesem Leben Dein Glück erkaufen ! -
Ach ! schone meiner !
Herrm . ( Drückt sie mit Inbrunst an seine Brust . )
Himmel ! wäre dieses der letzte meiner Augenblicke , ich wollte ihn segnen !
Ich stürbe an meiner Elisa Brust !
Elisa . Ach , Herrmann , wie schwer machest Du mir den Kampf zwischen Liebe und Pflicht !
Herrm . Hat denn die Liebe nicht auch ihre Pflichten ?
Elisa . Wäre ich Dein Weib geworden , ich hätte sie alle erfüllt ; aber Herrmann , ich bin das versprochene Weib eines Anderen .
Herrm . Schreckliches Wort !
Der Gedanke " Zernichtung , " ist es weniger als Du !
Elisa . Laß uns nicht mit allem Gefühl des Schmerzes an diesem Augenblicke hängen ! - Herrmann , viel werden Deiner Tage noch sein ; wende sie an zum Wohl Deiner Brüder ; werde groß und gut ; streue Segen um Dich her !
- Du bist Mann ; weit kann Dein Wirkungskreis werden ; viel des Guten , welches Du stiften kannst !
Blicke dahin , solltest Du da nicht Trost finden ?
Herrm . An Deiner Seite hätte ich mich hinauf schwingen wollen zu jeder edlen Tat ; hätte handeln wollen , wie ein Mann von Ehre und Gefühl !
Meine Ruhe hätte ich meinen Pflichten , Vergnügungen meinen Geschäften aufgeopfert .
Dein Lächeln hätte mich belohnt .
Ach , es wäre der süßeste Lohn gewesen ! -
Er fehlt mir nun , und mit ihm verschwindet jede Kraft zu handeln .
Elisa . Nicht so , mein Herrmann !
Wenn ich Dir nicht mehr zulächeln kann , so bleibt Dir doch die innere Stimme Deines Herzens , die Dir lohnen , zehnfach lohnen wird !
Es bleibt Dir das selige Gefühl , Dich des Glücks zu freuen , welches Du schufst !
Herrm . ( Mit aufgehobenen Händen . )
Ach , jedes ihrer Worte läßt mich die Stärke meines Unglücks fühlen !
( Er läßt seinen Kopf auf ihren Schoß sinken . )
Elisa , Engel , ich koste Dir Tränen ! -
Was soll aus mir werden !
Elisa . ( Umarmt ihn . )
Sei standhaft , mein Herrmann !
Verdopple meine Leiden nicht ; ich muß unterliegen , wenn ich Deinen Schmerz sehe !
Herrm . Aber , Elisa , wie konntest Du auch so bereit sein , Deiner Mutter zu gehorchen ?
Elisa . Herrmann !
Du weißt nicht , wodurch ich dahin gebracht wurde !
Meiner Schwester , meiner Mutter Glück fordert es von mir .
Wenn ich Wallenheim meine Hand gebe , darf meine Schwester Philippen von Wallenheim , den sie liebt , heiraten .
Dieses ist der Wille des alten Wallenheim , und meine Mutter drohte mir mit ihrem Fluche , wenn ich ihrer Tochter den Geliebten raubte .
Herrm . Grausame Mutter , Dich opfert sie also auf ?
Elisa . Schweige , Herrmann !
Liebe ist unwillkürlich .
Eine ihrer Töchter mußte sie zum Opfer bestimmen ; wie natürlich also , daß es die wurde , welche ihrem Herzen am wenigsten teuer ist .
Herrm . Wie bereit Du bist , sie zu entschuldigen !
O Elisa ! liebtest Du wie ich , Du könntest es nicht !
Elisa . Herrmann , werde nicht unbillig !
Du warst sonst so edel !
O , wenn ich gegen meine Liebe kämpfen , wenn ich heiße Tränen des Schmerzes weinen werde , daß sie stärker als Vernunft und Tugend in mir ist , dann laß mir den Trost , in meiner Liebe die Entschuldigung zu finden , daß ich den edelsten Mann liebe !
Herrm . Gott ! welch ein Weib !
O , daß Wallenheim ganz ihren Wert erkennen möge !
( Er drückt sie mit Wehmut an seine Brust , mit erstickten Tränen . )
Meine Elisa , werde glücklich , vergiß Deinen Herrmann !
Er steht schnell auf , und lehnt sich an einen Baum ; Elisa nähert sich ihm , nimmt seine Hand , und drückt ihre Lippen auf die seinigen .
Herrmann , bleibe mein Freund ; ich bleibe ewig Deine Freundin !
- Nun entfernte sie sich mit starken Schritten ; Herrmann wandte sich um , er sieht sie forteilen , und fast sinnlos sinkt er an den Baum zurück .
Elisa !
Gott ! ruft er aus .
Sie sieht sich noch einmal um , und mit schwacher Stimme ruft sie ihm zu :
Er gebe Dir Kraft , Geliebter meiner Seele !
Sie verdoppelt ihre Schritte , und bald erreicht sie den Eingang des Gartens , an welchem Henriette ihrer wartete ; sie wirft sich in ihre Arme ; ihre Kräfte waren erschöpft ; sie bleibt empfindungslos am Busen ihrer Freundin liegen .
Ihre Augen waren geschlossen , Blässe überzog ihre Wangen ; Henriette legt sie auf den Rasen ; mit mitleidsvollem Auge blickt sie auf ihre Freundin , und trauert , daß das edle Geschöpf so jung den Kummer kennt .
Sie reibt ihre Stirn und Schläfe , und Elisa kehrte zurück ins Leben .
Ihre ersten Worte waren , indem sie Henriette umarmte :
Ach , Henriette , nie , nie werde ich ihn nun wiedersehen !
Ein Strom von Tränen brach durch ihr mattes Auge .
Meine Seele , mein ganzes Dasein , sprach sie , ist bei ihm zurückgeblieben - aber - ich habe meine Pflicht erfüllt !
Trost war ihr dieser Gedanke ; ihre Tränen wurden ruhiger .
Ach , dachte Henriette , möchten doch Alle die , auf welchen die Hand des Kummers ruht , sich dieses sagen können !
Ihr Schmerz würde nicht so zerreißend , ihre Seele des Trostes fähig sein .
Am Arme ihrer Freundin ging Elisa zurück .
Sie kam vor ihrer Mutter Zimmer vorbei !
sie hört Wallenheims Stimme , und schaudert .
Gott ! sagt sie voller Schrecken , bald bin ich sein Weib !
In düstre Schwermut stürzt sie diese Betrachtung ; ihr Schweigen war schrecklich ; ihre Blicke drückten Verzweiflung aus .
Henr . ( Sie umarmend ) Elisa , meine Freundin , Dein Zustand zerreißt mein Herz !
Elisa .
Ich Elende !
Alles , was mich liebt , mache ich unglücklich !
Henr . O , meine süße Elisa , wer würde nicht gern mit Dir leiden , wenn man von Dir geliebt wird ?!
Elisa . ( Mit aufgehobenem und tränenvollem Blicke . )
Ach , in den bittersten Stunden unseres Lebens gibt es noch süße Augenblicke !
Nie fühlte ich so , wie jetzt , die Seligkeit der Freundschaft !
Henr . Nie , meine Elisa , warst Du mir so teuer !
O , könnte ich Glück und Leben geben , und Dich glücklich sehen !
Elisa . Dank Dir , Henriette !
Du lässt mich empfinden , daß es noch Freuden für mich gibt .
Henr Liebes Mädchen , die Zukunft wird Dir noch mehrere bereiten !
Elisa . Ach , wenn mein Herrmann nur nicht so unglücklich wäre !
Wie gerne wollte ich leiden , wie willig Alles tragen , was die Hand des Schicksals mir auferlegte , wenn ich wüßte , daß er frei von Kummer , sorgenlos und heiter wäre , wie am Tage , da ich ihn zuerst sah .
Ich raubte ihm jede Freude des Lebens !
Ich verbitterte seine Tage ; ich machte ihn namenlos elend ! -
O , Henriette , als ich ihn verließ , da stand er an einen Baum gelehnt , hatte nicht die Kraft , mich zurückzurufen !
Henr . Ja , sein Schmerz wird groß , wie seine Liebe , sein ; aber , liebe Elisa , er wird ihn bekämpfen , und wird einst , so wie Du , auch wieder Ruhe finden !
Elisa . Wollte der Himmel , mein Andenken erlösche heute in seinem Herzen !
- Ich wollte mich freuen , wenn ich von ihm vergessen würde !
Zwar ist mir der Gedanke , von ihm vergessen zu sein , schmerzhaft ; aber mein Herrmann würde ruhig sein ; sein Bild voll Jammer umschwebte mich dann nicht mehr ! -
Könnte ich ihn nur noch einmal mit dem heiteren Lächeln auf den Lippen , mit der edlen Zufriedenheit auf der Stirn sehen , mit welcher er an meiner Seite saß , als am Geburtstage seiner Mutter die Bäuerinnen unter der großen Linde tanzten !
Henr . Warum rufst Du diesen Tag in Dein Gedächtnis zurück ?
Elisa , Du mußt nun Deine Blicke von der Vergangenheit abwenden !
Elisa . Ach , ich weiß es , daß ich ihn nicht mehr lieben darf !
ich will sie auch bekämpfen , diese Leidenschaft . -
Aber noch einmal will ich sie zurückrufen , alle Szenen der Wonne , alle seligen Augenblicke , welche ich mit meinem Herrmann durchlebte .
- Ihr Andenken soll mich stärken , den dunklen Pfad zu betreten , der vor mir liegt .
Ich will denken :
Einst war ich glücklich !
Henr . Wie wenig Kraft wirst Du dann haben , wenn Du diese Liebe zu Herrmann unterhältst !
Elisa . ( Weinend . )
Ach , Henriette , ich kann ihn nicht mit einemmal aus meinem Herzen reißen ! -
Aber ich will nicht mehr von ihm sprechen .
- Da , nimm den Ring , den er mir gab ; trage ihn immer , nur nicht in meiner Gegenwart .
( Sie küßt den Ring. ) Du warst mir so teuer ; meine Blicke weilten so gern auf dir , und auch von dir muß ich mich trennen !
( Sie gibt Henriette den Ring und verhüllt ihr Gesicht in ein Tuch . )
Henr . Das ist ein Opfer , welches Du der Tugend machest ; sie wird Dich nicht unbelohnt lassen !
Elisa . ( Nach einer Pause . )
Dieses Wort erweckt jede schlummernde Kraft meiner Seele .
( Sie reicht Henriette die Hand. ) Dir , Henriette , gelobe ich es , bei dem Andenken meines Herrmanns schwöre ich es , Alles , was Tugend von mir heischt , will ich erfüllen ! -
O , dann werde ich stark sein , alle Widerwärtigkeiten des Lebens zu ertragen !
Henr . ( Elisa'n umarmend . )
Ja , meine Freundin , dann wird Glück und Zufriedenheit Dich bis zum letzten Hauche Deines Lebens begleiten !
O , daß Dein Vater seine Tochter sehen , daß er das edle Geschöpf an seine Brust drücken könnte , in welches er den Keim zu jeder Tugend , und dadurch den Grund dauerhafter Glückseligkeit für sie legte ! -
Elisa seufzte noch ; aber sie fühlte sich stärker ; fest war sie entschlossen , ihren Widerwillen gegen Wallenheim zu bekämpfen , und jede Erinnerung an Herrmann zu entfernen .
Lange noch stand Herrmann in der Stellung , in welcher Elisa ihn verlassen hatte ; Schmerz war jeder Ausdruck seiner Züge , Verzweiflung das einzige Gefühl , das ihn belebte .
So kehrte er zurück nach Birkenstein ; aber noch heftiger wurde sein Schmerz , als er sich der Linde näherte , unter welcher er seine Elisa zuerst gesehen hatte .
Gott ! ruft er aus , und wirft sich unter ihren Schatten , hier hob ein Tag des Glücks , und eine Ewigkeit von Qualen für mich an !
Frau von Birkenstein , welche alle Abende unter dem wohltätigen Schatten der Linde verweilte , kam nun auch ; hier freute sie sich immer des verlebten Tages , wenn sie vom Unglücklichen den Kummer verscheucht , und statt dessen sanfte Freude in seinem Herzen verbreitet hatte .
Noch heute hatte sie das Glück zweier Geschöpfe befördert , indem sie ein junges Mädchen der Gewalt einer Stiefmutter entriß , welche Tyrannin gegen sie war , und ihr eine Ausstattung gab , welche sie in den Stand setzte , dem Mann , den sie liebte , ihre Hand zu geben .
Noch begleitete sie der Segen des liebenden Paars ; da dachte sie an Herrmann , und an seine Liebe , und Tränen der Freude , Tränen des Danks gegen die gütige Vorsicht , die unter den Leiden , welche die Sterblichen sich bereiten , so mannigfaltige Freuden auf sie schüttet , rollten von ihrem Auge .
So erblickt sie Herrmann ; er sah seine Mutter nicht ; im Schmerze vergraben lag er da , und nur Elisa's Bild schwebte vor seinen Augen. Fr. v. B. Herrmann , was ist Dir ?
Herrm . ( Steht auf. ) Sie hier , meine Mutter ?
Fr. v. B. Warum sind Deine Blicke so fürchterlich ?
Du bist blaß , Du zitterst ?
O , mein Sohn ! welch ein Unglück droht Dir ?
Herrm . Das schrecklichste , Mutter , welches den elenden Erdensohn treffen kann !
Elisa ist verloren , ewig verloren für mich !
Fr. v. B. Herrmann , sei ein Mann !
Herrm . Ich fühle , daß ich es bin .
Denn der Schmerz dringt langsam , aber desto tiefer in meine Nerven , und Verzweiflung rollt wild in meinen Adern !
Fr. v. B. Unglücklicher Herrmann !
Deine Liebe zu mir führte Dich hierher , und hier mußtest Du die Quelle Deines Grams finden !
Herrm . O , hätte ich es gewähnt , als ich Elisa'n hier zum Erstenmal erblickte , ich wäre geflohen , ich hätte ihren Zauberblicken mich länger nicht genähert !
Aber wer hätte ihr widerstanden ?
Wer Unglück geahndet in der Gesellschaft eines Engels ? -
So liebevoll schmiegte sie sich an Ihren Busen , so sanft blickte sie auf mich , so offen , so vertraulich war ihr Gespräch ! -
O , Augenblicke der Wonne , nie kehret ihr mehr zurück !
Fr. v. B.
Aber woher entstand diese plötzliche Veränderung ?
Herrm . Von der Grausamkeit ihrer Mutter ; sie opfert sie Karolinen auf ; sie muß einem reichen Herrn von Wallenheim ihre Hand geben , damit Caroline dessen Vetter heiraten kann , welches sonst der Vater nicht zugegeben hätte .
Fr. v. B.
Das arme Mädchen , wie viel wird ihr Herz leiden !
Herrm . Ach , Mutter , und ich mache sie so unglücklich !
Hätte sie mich nicht gesehen , hätte ich ihr meine Liebe nicht entdeckt , nicht Alles angewandt , die ihrige zu gewinnen , so wäre sie jetzt ruhig , so gehorchte sie jetzt willig dem Befehle ihrer Mutter !
- Und nun - Ach , wie sie kämpfte , wie sie litt !
Fr. v. B. O , daß ich Eure Liebe so tief Wurzel fassen ließ !
Daß ich Dich nicht wegschickte , Herrmann , ehe dieses alles so weit kam !
Herrm . Mutter ! machen Sie sich keine Vorwürfe , daß Sie nicht der Zukunft Schleier enthüllen konnten !
Sie wollten mein Glück , von fern ließ das Schicksal es mich erblicken , um es mir zu entreißen !
Fr. v. B. Herrmann , muß Erfahrung Dich erst lehren , daß der unaufhörliche Wechsel der Freude und des Leidens das ewige Los aller Sterblichen ist ?
Der gemeine Haufen der Menschen erwartet Trost von der Hand der Zeit , aber der Weise kommt ihr durch Standhaftigkeit zuvor .
Herrm . Ach !
Mutter , Sie verloren nicht alles , was das Leben Ihnen teuer machte !
Fr. v. B.
Ich verlor es einst .
Aber keine Trennung hebt je unsere Pflichten als Mensch auf , darum müssen wir uns fassen , um fortwirken zu können .
Herrm . Ich fortwirken ?
Nein , Mutter , der Unglückliche hört auf zu wirken !
Fr. v. B. Mein Sohn , mein Herrmann , verdrängte die Liebe zu Elisa'n jede andere Liebe aus Deinem Herzen ?
O , es gibt noch ein Wesen , dessen Wohl ganz von dem Deinigen abhängt !
Herrm . Teure Mutter ! -
Ach , verzeihen Sie dem ersten Ausbruch meines Schmerzes - Ich fühle es , das Glück meines Lebens ist dahin !
Fr. v. B. Aber Deine Ruhe muß es nicht sein ! -
Komme mit mir in das Haus , weine an meinem Busen ; ich bin nicht unempfindlich gegen Deinen Schmerz .
Herrmann folgte seiner Mutter ; aber Ruhe war diese Nacht von seinem Lager verscheucht .
Er durchstrich am anderen Morgen früh alle Gänge , welche er einst an der Hand seiner Elisa durchging .
Ich kann nicht länger in Birkenstein bleiben , rief er endlich aus ; hier , wo ich sie nie mehr sehen werde , ist das Leben mir eine unerträgliche Qual !
Gefaßt war nun sein Entschluß , das Königreich wollte er verlassen , und weit von seinem Vaterlande Ruhe oder den Tod suchen .
Er entdeckte diesen Vorsatz seiner Mutter ; sie widersetzte sich ihm nicht ; denn sie wußte , daß Zerstreuung das beste Heilungsmittel ist .
Noch war er in ihrem Zimmer , als ein Bote aus Hohnauschloß kam ; er brachte der Frau von Birkenstein einen Brief ; er war von Elisa'n .
Herrmann küßte das Siegel , die Aufschrift .
Also heute , noch heute , du Innigstgeliebte , hast du dich mit mir beschäftiget ?
Hast meinen Namen noch gedacht , ihn noch genannt ? -
So sprach er , und eine Träne entschlüpfte bei diesen Worten seinem männlichen Auge .
Frau von Birkenstein las indes folgende Zeilen :
" Verehrungswürdige Frau , Mit welchem Gefühl soll ich heute mich Ihnen nähern , da ich bisher gewohnt war , Sie als Mutter zu betrachten , zu verehren ?
Welcher Worte soll ich mich bedienen , Ihnen zu sagen , daß das Band zerrissen ist , welches meinem Herzen so teuer war ? -
O , ich wähnte es nicht , als ich das Letztemal von Birkenstein ging , daß ich es nie wieder betreten würde !
Denn - verzeihen Sie mir , meine Mutter , ( noch sprechen meine Lippen unwillkürlich diesen Namen aus ) , ich darf nicht mehr nach Birkenstein kommen ; ich darf nicht den Abschiedskuß auf Ihre Lippen drücken ; ich würde auf ihnen die Spur von Herrmanns Küssen suchen . -
Ach , es war eine Zeit , da umschlossen Ihre Arme uns Beide ! -
Sie ist dahin , und das Andenken an sie ist nun Verbrechen für mich . -
Oft ermahnten Sie mich zur Tugend ; seine Pflichten aufs strengste erfüllen , ist die höchste Tugend ; ich will suchen , sie zu erreichen .
Ich darf also den Ort nicht wieder sehen , an welchem Alles mich an meine Liebe , an den Mann erinnern würde , dessen Namen ich nicht mehr aussprechen darf .
O , wie gerne weinte ich noch einmal an dem mütterlichen Busen , an welchem jetzt auch mein Herrmann Tränen des Schmerzes vergießt !
Aber der Gedanke , Verbrechen , schreckt mich zurück !
In wenigen Wochen bin ich das Weib eines Anderen , und dann ist Gedanke an ihn schon Sünde . -
Also nur diese Zeilen dürfen Ihnen Lebewohl sagen !
Meine Blicke werden Sie nie mehr sehen ; aber mein Herz wird Sie ewig lieben ! - Trösten Sie meinen Herrmann !
Ach , daß er noch glücklich werden möchte !
Dieses ist das Einzige , was ich jetzt vom Himmel erflehe ! -
Leben Sie wohl , meine Mutter ! meine Freundin !
Elisa von Hohnau . "
Frau von Birkenstein benetzte diesen Brief mit ihren Tränen ; sie gab ihn Herrmann .
Ich noch dein Herrmann ? rief er aus , nachdem er ihn durchgelesen hatte .
Einziges Mädchen !
Das Andenken . Deiner Liebe soll mir Trost sein . -
Ach , Wallenheim ist noch unglücklicher als ich !
( Zur Frau von Birkenstein . )
Meine Mutter , lassen Sie mir diesen Brief ; er ist der letzte Beweis ihrer Liebe .
Wenn stiller Kummer an meinem Herzen naget , dann will ich ihn lesen ; er wird mir Stärke geben !
Frau von Birkenstein gewährte ihm seine Bitte , und Elisa'n antwortete sie folgende Zeilen :
" Teure Elisa !
Welch ein Ausdruck soll Ihnen die Empfindungen meines Herzens bekannt machen ? -
O , meine junge Freundin , ich fühle Ihren Schmerz , ich sehe Herrmanns Leiden , und weine um den Verlust einer Tochter ! -
Jede freudige Hoffnung meines Alters ist ver Schwunde . -
Doch gerne wollte ich die Ruhe meiner übrigen Tage dahingeben , wenn ich sie dadurch in Ihr Herz zurückrufen könnte .
Ich klage mich jetzt an , wegen der Nachsicht gegen meinen Sohn , daß ich seine Liebe duldete ; aber ich war Mutter , und wünschte sein Glück , und meine Zärtlichkeit sprach lauter , als die Klugheit , welche mir hätte vorhersagen können , daß Elisa von Hohnau nie das Weib meines Sohnes werden würde .
Verzeihen Sie mir dieses , Elisa ! -
Ach , wer kann Sie kennen , und nicht wünschen , Sie Tochter zu nennen !
- Mein Herz ist zerrissen , bei dem Gedanken , daß ich Sie nicht mehr sehen soll ; und doch erkenne ich , daß dieses notwendig ist .
Ihre Lage würde mich zittern machen , wenn Sie eines der gewöhnlichen Weiber wären !
Mit einem Herzen voll Liebe gegen einen Anderen einem Manne , den Sie nie kannten , Ihre Hand zu geben ! -
Wie viel Standhaftigkeit gehört hierzu , um tugendhaft zu bleiben !
Aber ich kenne Sie , meine Freundin ; ich weiß , Sie werden Ihren Pflichten jede Leidenschaft aufopfern , welche Ihnen an ihrer Ausübung hinderlich sein könnte , und noch verehrungswürdiger werden Sie dann sein , meine Freundin !
Die Achtung des Mannes , den Sie zum glücklichsten Gatten machen werden , und der Beifall Ihres Herzens , wird Ihre Belohnung sein , und Sie der Tage voll Kummer vergessen machen , welche Sie jetzt verleben .
Auch mein Herrmann wird sich dann bestreben , durch Bekämpfung seiner Leidenschaft , der Liebe würdig zu sein , welche die Edelste Ihres Geschlechts einst für ihn hegte .
Sie werden ihn dann als Freund wiedersehen , und vielleicht ist es mir noch erlaubt , Sie noch einmal zu umarmen !
Ich werde indes Ihre mütterliche Freundin bleiben , und Sie als meine Tochter lieben .
Jeder meiner Wünsche wird für Ihr Glück und meines Sohn's Ruhe sein ! -
O , lassen Sie mich bald hören , meine süße Elisa , daß meine Wünsche nicht vergebens waren ; dann werde ich sterbend noch mich freuen , und dem ewigen Geber alles Guten danken , daß er das letzte Gebet erhörte von Kunigunde von Birkenstein . "
Herrmann sagte seiner Mutter , daß er am anderen Tage von Birkenstein abreisen , und nur dann zurückkehren wolle , ihr das letzte Lebewohl zu sagen , wenn Elisa Hohnauschloß verlassen haben würde .
Frau von Birkenstein hieß Alles gut ; sie verschloß den Gram , welchen sie bei dem Gedanken der nahen Trennung von ihm empfand ; sie wünschte nur seine Ruhe , und wollte seinen Kummer nicht vermehren .
Mögen ihn doch meine mütterlichen Arme , so sprach sie zu sich selbst , nicht mehr umschließen , und er nur fern von hier Glück und Ruhe finden !
So reiste er am anderen Morgen ab , von ihrem Segen und von seiner Liebe begleitet .
Noch sah er in der Ferne den Turm von Hohnauschloß hervorragen .
Ewiger Friede auf dir , himmlische Bewohnerin dieses engen Bezirks , welchen du zum Aufenthalte der höchsten Freuden machtest !
Ach , bald verschwindet diese Turmspitze !
Elisa , ewig entferne ich mich von dir ! -
O , als ich noch mit dir jene Anhöhen erstieg , von welchen wir die Natur in ihrer Pracht erblickten , sie bewunderten , ihren Schöpfer preist , da war ich gewiß der Glücklichste der Sterblichen ! und nun ? -
Großes Wesen !
Nun bin ich das Elendeste deiner Geschöpfe !
So sprach Herrmann .
Helle Tränen glänzten in seinem Auge ; er blickte zurück ; verschwunden war die Turmspitze , an welcher sein Blick mit schmerzlichem Vergnügen hing ; er streckte seine Arme nach der Gegend aus .
Ewig ! so rief er donnernd , und nun sank sein Haupt ; seine Empfindungen wurden stumpf .
Fort rollte der Wagen ; die Natur voränderte ihre Szenen um ihn ; Herrmann bemerkte es nicht .
Er kam in B... an ; das laute Getümmel auf den Gassen weckte ihn nicht aus seiner Betäubung .
Ewige Trennung von Elisa'n ! - dieses war der einzige Gedanke , welcher ihn beschäftigte , und nichts vermochte ihn davon abzuziehen . -
Elisa hatte indes Alles angewandt , um ihren Schmerz zu bekämpfen .
Henriette verließ sie nicht ; aber Elisa versagte sich den Trost , an ihrem Busen zu weinen ; sie sprach den Namen ihres Geliebten nicht mehr aus .
Oft suchte sie Zerstreuung an ihrem Klavier ; aber sie sang nicht mehr die Arien , welche ihr Herrmann gern hörte .
So vergingen ihr vier Tage ; am fünften kam ihre Mutter am Morgen zu ihr .
Sie schien die Blässe auf Elisa's Wangen nicht zu bemerken , und nach dem Morgengruße sprach sie zu ihr : Elisa , wann wird es Dir endlich gefällig sein , den Herrn von Wallenheim zu sprechen ?
Elisa . Wenn Sie es befehlen , meine Mutter .
B. v. H .
So geschehe es noch heute ; man merkt es , daß Deine Krankheit nur vorgegeben ist , und dieses ist nicht sehr schmeichelhaft für Deinen künftigen Gatten .
Elisa . Weiß er es denn nicht , daß bloß unbedingte Notwendigkeit mich zwingt , ihm die Hand zu geben ?
B. v. H.
Ich habe es ihm nicht gesagt ; ich schrieb gleich nach Deiner Einwilligung an seinen Vater , und sagte ihm , daß Du nur einige Tage Bedenkzeit verlangt hättest , welche ich Dir zugestanden hätte , und daß Du jetzt bereit wärest , meinen Willen zu erfüllen .
Ich hoffe , sprach er , daß Fräulein von Hohnau dieses nicht ungern tut ?
Ich versicherte ihn vom Gegenteil , und sagte ihm zugleich , daß eine kleine Unpäßlichkeit Dich verhinderte , das Zimmer zu verlassen .
Er erkundigt sich fleißig nach Deiner Gesundheit , und gestern haben er und ich Briefe vom alten Wallenheim empfangen .
Er wünscht seinem Sohne Glück , daß er alle Schwierigkeiten überwunden hat , und erlaubt ihm , bis nach Vollziehung der Hochzeit hier zu bleiben .
Elisa seufzte , die Baronin von Hohnau befahl ihr , beim Mittagsmahle zu erscheinen , und verließ das Zimmer .
Gott ! was waren da Elisa's Empfindungen !
Sie stand lange unbeweglich da , bis endlich Henriette hinein kam .
Elisa . Ach , Henriette , heute soll ich ihn nun sehen !
Werde ich stark genug sein , seinen Anblick zu ertragen , den Antrag zu hören , den er mir machen wird ?
Henr . Fragt Elisa mich das , welche immer stark zu Allem war , was Pflicht von ihr heischte ?
Elisa . Ach , bisher war es mir so leicht , gut zu sein ; ich folgte nur dem Hange meines Herzens .
Aber nun empören sich alle meine Empfindungen gegen meine Pflichten .
Henr . Und nun wirst Du beweisen , daß feste Grundsätze alle Leidenschaften besiegen , und daß , wenn man unwandelbar fortgeht auf dem Wege zum Guten , man Kraft hat , alle Hindernisse zu überwinden .
Elisa . O , meine Freundin !
ich fühle es , daß diese Anhänglichkeit zum Guten mir jetzt Trost gibt ; ich müßte unterliegen , wenn nicht der Gedanke mich unterstützte :
Ich tue meine Pflicht !
Henr .
Er begleite Dich beständig , meine holde Freundin , und Du wirst erfahren , daß der Satz wahr ist : daß für den Rechtschaffenen der Freuden mehr , und der Leiden weniger in der Welt sind .
Elisa umarmte ihre Freundin mit einem Seufzer ; ihr Bestreben war nun , die erforderliche Gemütsruhe zu erlangen , um mit Wallenheim zu sprechen .
Bisher hatte sie Herrmanns Gemälde an ihrem Halse unter dem Tuche getragen , heute band sie es ab , küßte es , benetzte es mit ihren Tränen , und verschloß es .
O , daß ich zugleich meine Liebe aus meinem Herzen verbannen könnte ! sprach sie .
Einige Augenblicke hing sie dem Gedanken an Herrmann nach ; aber dann entriß sie sich ihm , ergriff ein Buch , und las mit anstrengender Aufmerksamkeit , bis daß Henriette ihr rief , mit ihr zu Tische zu gehen .
Blässe überzog jetzt ihre Wangen ; aber sie faßte sich schnell , und trat voller Würde in das Zimmer .
Wallenheim näherte sich ihr augenblicklich , und fragte nach ihrer Gesundheit .
Höflich , aber kurz , waren ihre Antworten .
Sie erhielt ihren Platz neben ihm .
Alle waren fröhlich ; aber sie vermochte es nicht zu sein ; ihr Blick war ernst ; allein Achtung und Gefälligkeit bezeigte sie Wallenheim .
Ihre Mutter schlug nach Tische einen Spaziergang im Garten vor , und als Wallenheim ihr seinen Arm anbot , konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren :
Ach , so oft durchstrich ich die Gänge an Herrmanns Seite !
Diese Rückerinnerung ihres vorigen Glücks war in diesem Augenblicke ihr schmerzhaft ; ihr Busen hob sich höher ; sie zitterte ; aber Wallenheim bemerkte diese Bewegung nicht .
Elisa war ihm gleichgültig , und sein künftiges Weib schien ihm bis jetzt noch keiner Aufmerksamkeit würdig .
Sie gingen nun , nur die Mutter und Henriette blieben zurück , und bald entfernte sich Caroline mit ihrem Geliebten von ihrer Schwester .
Sie war nun allein mit Wallenheim , und sie befanden sich eben am Eingange einer Laube .
Wallenheim fragte sie , ob sie einige Augenblicke ruhen wollte ?
Elisa wünschte es ; denn kaum vermochte sie noch zu gehen .
Sie setzten sich nun .
In eben dieser Laube hatte sie so oft mit Herrmann gesessen , hatte mit ihm von ihrer Liebe , von einer glücklichen Zukunft gesprochen ; jedes Wehen der Blätter lispelte ihr hier den Namen Herrmann zu .
Elisa war stark erschüttert , allein sie unterdrückte ihre Empfindungen ; ihr Blick war zur Erde gesenkt ; denn sie wagte es nicht , Wallenheim anzublicken .
Er ergriff endlich ihre Hand .
Mein gnädiges Fräulein , sprach er , Ihre Frau Mutter hat mir Hoffnung gemacht , daß ich vielleicht so glücklich sein würde , bald diese Hand zu erhalten .
Er küßte bei diesen Worten die Hand , welche er hielt .
Elisa . ( Mit einem Tone voll Würde )
Mein Herr , man hat mich bestimmt , Ihre Gattin zu werden ; es ist der Wille Ihres Vaters und meiner Mutter .
Ich gehorche ihm - aber ich werde den Mann nicht betrügen , dessen Gattin ich werden soll .
Ich liebe , mein Herr ; edel und gut ist der Jüngling , den ich allen Anderen vorziehe ; allein ich weiß , daß meine Liebe nun zum Verbrechen wird , und ich will sie bekämpfen ; ich will mich bestreben , die Gesinnungen zu erlangen , welche ich Ihnen schuldig bin .
Wenn Sie nach diesem Geständnisse mich noch würdig finden , Ihre Gattin zu werden , so sei mein ganzes künftiges Leben angewandt , Ihre Liebe zu verdienen .
Elisa schwieg ; Wallenheim sah sie staunend an ; sie schien ihm so edel , und dieses machte ihn verlegen ; endlich sagte er stotternd : Glauben Sie , mein gnädiges Fräulein , daß ich bis jetzt nichts hiervon gewußt habe ; es wird mir nun schwer werden , meiner Hoffnung zu entsagen .
Elisa . Aber darf ich hoffen , daß , wenn ich gleich nicht Ihre Gattin werde , Sie von Ihrem Herrn Vater die Einwilligung zur Verbindung meiner Schwester bewirken werden ?
Wahlen . Dieses kann ich nicht versprechen : jede Mühe , welche ich anwenden würde , würde vergeblich sein .
Elisa . Nun dann , mein Herr , so stehe ich nicht länger an , Ihre Hand anzunehmen. Wahlen .
Mein Fräulein , darf ich wohl hoffen , Sie des glücklichen Mannes vergessen zu machen ?
Elisa . Ich werde es nie vergessen , daß ich Ihre Gattin sein werde .
Nun stand Elisa auf , und sprach von anderen Gegenständen .
Unbefangen und ruhig war ihr Wesen , aber auch ruhig war ihre Seele ; zwar schien ihr Wallenheim nicht liebenswürdig ; zwar entflohen ihr Seufzer , sobald sie an Herrmann dachte , und sie dachte nur ihn ; allein ein Blick , den sie auf ihre Mutter und ihre Schwester warf , gab ihr das Wonnegefühl der Tugend , und dieses Kraft , ihren Schmerz zu tragen .
Sie war voller Aufmerksamkeit gegen Wallenheim ; er begegnete ihr höflich ; sie erwartete nicht seine Liebe ; aber seine Achtung wollte sie verdienen , und nichts verriet ihm den Widerwillen , den sie im Herzen gegen ihn hegte .
Vier Wochen vergingen so , und der Tag kam endlich , der sie mit Wallenheim , und ihre Schwester mit Philippen vereinigen sollte .
Welch ein Tag war dieses für Elisa'n !
Kaum hatte er angefangen , so eilte sie hinaus , ins freie Feld , erstieg eine Anhöhe , und fiel da nieder auf ihre Knie , ihre Augen gen Himmel gerichtet , ihre Hände gefaltet .
Verwirrt waren ihre Empfindungen ; der erste Strahl der Sonne weckte Alles zu neuer Freude , nur in ihrem Herzen blieb es öde .
Die Lerche zwitscherte ihren Morgengesang ; alle Bewohner der Luft schwangen sich jauchzend in die Höhe ; es blökten in der Ferne die hüpfenden Herden ; Leben war wieder verbreitet in der ganzen Natur !
Vater der Natur , rief endlich Elisa aus , du schufst ja alle deine Geschöpfe zur Freude !
Und ich sitze hier in der Mitte deiner fröhlichen Schöpfung , und kann mich nicht freuen !
Die wiederkehrende Sonne , ihr Strahl , der Alles belebt , erleuchtet den Tag der Trauer für mich . -
Nur noch einige Stunden , und ich bin das Eigentum eines Mannes , den ich nicht lieben kann ! -
In deinem Schoße , allgütige Natur , will ich mich stärken .
- Ordnung und Schönheit erblicke ich hier , wo ich nur meine Blicke hinwerfe . -
Ach , dieses lehrt mich , daß alle meine Empfindungen , Gedanken und Handlungen dieses Gepräge haben müssen , wenn ich glücklich werden will .
Ich nehme heute alle Verbindlichkeiten eines Weibes auf mich ; ich werde nun ein wirkendes Mitglied der Gesellschaft .
- Schon längst wußte ich meine Bestimmung ; aber nie erschien sie mir so feierlich als heute , und nie wähnte ich sonst , daß die Pflichten der Gattin mir würden so schwer zu erfüllen werden . -
Heute soll ich Wallenheim Treue und eheliche Liebe versprechen !
Und noch denke ich mit Schaudern an den Augenblick , der uns vereinigen soll ! -
Doch über alle Wesen auf der Erde ist ja der Mensch erhaben . -
Er hat die Kraft , groß und gut zu handeln . -
O ! hier im Angesichte der Natur schwöre ich es , ich will Wallenheim den Schwor halten , den ich ihm heute schwören werde .
- Täglich will ich ihn erneuern und in seiner Haltung die Kraft finden , im Guten standhaft zu bleiben .
- Sie stand nun auf und fühlte sich gestärkt ; sie kehrte zurück ; ihre Schwester kam ihr entgegen , und umarmte sie .
Ach , Elisa , heute werde ich ganz glücklich !
Elisa es Augen füllten sich mit Tränen ; sie suchte sie zu unterdrücken .
Mögest Du es immer sein ! sprach sie , und entriß sich ihr ; sie eilte zu ihrer Henriette , welche , voller Besorgnisse für ihre Freundin , diese Nacht schlaflos zugebracht hatte .
Elisa . Was ist Dir , Henriette , Du bist so blaß ?
Henr . Elisa , Dein Hochzeittag ist mir so traurig .
Elisa . Gutes , teilnehmendes Geschöpf !
Aber , liebe Henriette , ich habe gebetet , ich habe es mir vorgenommen , meiner Pflicht getreu zu bleiben . -
O , ich fühle es , ich werde standhaft sein !
Henr .
Aber Du leidest , meine Freundin !
Elisa . Meine Schwester begegnete mir , und sagte mir , sie würde heute ganz glücklich .
Dieses soll mich stärken , mein Opfer zu vollenden ; ich werde Freude in ihren Augen sehen , und , Henriette , nie bleibe ich gleichgültig bei Anderer Glück ; ich werde das ihrige teilen , es wird mich mein trauriges Los vergessen machen .
Henr . Ich danke dem Himmel für Deine Ruhe !
O , meine süße Elisa , ich zittere nicht länger für Dein Glück ; eine Seele , wie die Deinige , muß es stets finden !
Elisa .
Mein künftiges Los soll mich länger nicht beschäftigen .
Ich erwarte keine Freuden mehr ; ich will nur Leiden tragen lernen , nur lernen , Andere glücklich machen .
O , daß es mir vergönnt sein möge , Heiterkeit auf die Tage meines Gatten zu streuen , und oft von der Wange des Unglücklichen die Träne des Kummers abzutrocknen ; dann will ich den meinigen vergessen , vergessen , daß ich dem Glücke entsagen mußte , und nur mich freuen , daß mein Herz der Empfindungen der Menschenliebe und des Wohlwollens fähig ist !
Elisa seufzte hier , und tränenvoll richtete sie ihren Blick gen Himmel .
Sie fuhr fort nach einer Pause :
Aber etwas ist noch , welches meinem Herzen wieder Freude geben könnte , und das wäre , Versicherung zu erhalten , daß Herrmann wieder glücklich ist .
Nenne mir nie seinen Namen ; aber wenn Du weißt , daß Freude wieder um ihn lächelt , dann sage es mir .
Sie umarmte Henriette , und eilte in ihr Zimmer .
Da lag schon der hochzeitliche Schmuck , der heute sie zieren sollte ; sie kleidete sich an , mit einem Herzen voller Wehmut ; schon hörte sie auf dem Schloßhofe die Wagen rollen , die Gäste versammelten sich , auch der alte Wallenheim war zu diesem Tage gekommen , und noch immer zögerte sie , sich in das Gesellschaftszimmer zu begeben ; endlich erschien sie , schön wie die Göttin der Jugend , aber traurig und voll sanften Ernsts .
Sie sprach es aus , das Ja , welches sie ewig mit dem Manne verband , gegen den sie , ungeachtet aller ihrer Bemühungen , nur Widerwillen empfand .
Allein sie war standhaft , und keiner ihrer Züge entdeckte dem Zuschauer , was in ihrem Herzen vorging .
Wallenheim bekleidete eine ansehnliche Stelle in B... ; allein er besaß auch noch ein Landgut , wo er oft im Sommer einige Wochen zu verweilen pflegte , und dorthin wollte er für das erste seine Gemahlin führen .
Philipp , welcher bisher die Aufsicht auf den Gütern seines Oheims gehabt hatte , sollte nun mit Karolinen in Hohnauschloß wohnen bleiben , weil die Mutter sich nicht von der Tochter trennen wollte .
Henriette wünschte ihre Freundin begleiten zu können , und nicht minder wünschte Elisa , ihre teure Henriette zur Gesellschafterin zu behalten .
Sie hoffte es auch gewiß , daß ihre Mutter ihr diese Bitte nicht abschlagen würde , und sie entdeckte ihr ihr Verlangen am Tage vor ihrer Abreise von Hohnauschloß .
Caroline war gegenwärtig , und antwortete sogleich :
Ich bin an Henriettes Gesellschaft gewöhnt ; auch hat Henriette bisher von der Gnade meiner Mutter gelebt , und nicht von der Deinigen , sie darf uns also nicht verlassen .
Elisa . Wenn meine Mutter befiehlt , daß Henriette in Hohnauschloß bleiben soll , so weiß ich , daß es meine Pflicht ist , nichts weiter dagegen zu sagen ; Aber , teure Mutter , vergönnen Sie sie mir nur auf einige Zeit .
Ich komme in eine ganz fremde Welt , mein Mann selbst ist mir fremd . -
O , das geringste Geschöpf hat ja noch einen Freund , mit dem es vertraulich schwatzen kann , soll ich denn ganz verlassen sein ?
Carol . Es ist Dir gut , wenn Du nicht mit Henriette so viel von Birkenstein plaudern kannst , dann wirst Du ihn vergessen .
Elisa . Caroline , sollte das Glück hartherzig machen ?
B. v. H. Mir ist Henriettes Gegenwart oder Abwesenheit gleichgültig ; allein Du , Elisa , kommst nach B... und wirst dort mehr Gesellschafterinnen finden , als Carsline hier in einigen Jahren sieht .
Elisa . Aber keine Freundin , meine Mutter .
Und Caroline bleibt hier in der Gesellschaft einer geliebten Mutter , und eines Gatten , den sie liebt .
Carol . ( Spöttisch . )
Wer verbietet Dir , den Deinigen zu lieben ?
Ein Blick voll Verachtung war Elisa's einzige Antwort .
B. v. H. Caroline , vielleicht kennst Du ein junges Mädchen , welches Dir Henriettes Stelle ersetzen würde ?
Laß sie mit Elisa'n ziehen , sie liebt Sie ohnehin mehr als Dich . Carol .
Aber mir gefällt Henriette .
Ich verlange keine andere Gesellschafterin , und sehe Elisa's Forderung als eine Unbilligkeit an .
B. v. H.
Nun denn mag Henriette hier bleiben .
( Zu Elisan . )
Du wirst es selbst einsehen , Elisa , daß ich Karolinen dieses nicht wohl abschlagen kann .
Elisa . Sie wissen , meine Mutter , daß Ihr Wille mir immer heilig ist .
Elisa verließ hierauf das Zimmer ; weinend ging sie zu ihrer Henriette ; sie umarmte sie , und hing lange an ihrem Halse .
Elisa . ( Nachdem sie sich wieder aufgerichtet hat . )
Auch diese Wonne ist mir versagt , meine Henriette , Du darfst nicht mit mir gehen .
Henr . ( Tränen rollten von ihren Wangen . )
Elisa , ich soll Dich verlassen ?
Elisa . Es ist meiner Mutter und Karolinens Wille .
Henr . Zum erstenmal empfinde ich mit Schmerz meine Abhängigkeit .
Elisa . Ach , es ist hart , sich von Allem zu trennen , was einem teuer ist !
( In diesem Augenblicke tritt Wallenheim herein . )
Wahlen .
Haben Sie schon alle Anstalten zu unserer Abreise getroffen ?
Ich werde morgen früh wegreisen .
Elisa . ( Trocknet ihre Augen . )
Ja , mein Bester , ich werde Sie gewiß nicht auf mich warten lassen .
Wallenh . ( Spöttisch. )
Und ich besorgte fast , Sie würden mir gar nicht folgen können ?
Elisa . Warum das ?
Wahlen . ( Im vorigen Tone . )
Ihre Augen lassen mich mutmaßen , daß Sie die Trennung nicht ertragen werden ?
Elisa . Können Sie es mir verdenken , Wallenheim , daß ich Schmerz empfinde , indem ich meine Mutter , die Gespielin meiner Jugend , und den Ort verlasse , wo ich bisher so glücklich war ? Wahlen .
Sie brauchten ihn mir aber doch nicht in seiner ganzen Stärke zu zeigen ?
( Wallenheim entfernte sich jetzt , Elisa seufzte und schwieg . )
Es war am sechsten Tage nach ihrer Verbindung mit ihm , als sie Hohnauschloß verließ .
Sie umarmte ihre Mutter und Karolinen , und benetzte ihre Wangen mit ihren Tränen ; aber als sie Henriette in ihre Arme schloß , da schlug ihr Herz heftiger , ihr Schmerz war stumm , und ihr Mund sprach das Lebewohl nicht aus .
Auf dem Schloßhofe waren alle Einwohner Hohnau's versammelt .
Sie wollten sie segnen , sie noch einmal sehen , sie , die so oft Freude in ihren niedrigen Hütten verbreitet hatte .
Alles drängte sich um sie , und Elisa nahm von einem Jeden Abschied , und drückte denen , von welchen sie wußte , daß sie arm waren , noch einige Goldstücke in die Hand .
Auch Harbergen erblickte sie ; er ergriff ihren Rock , küßte ihn und weinte , und sie hörte ihn sagen :
Ach , unser guter junger Herr !
was wäre er glücklich gewesen !
Diese Worte erschütterten sie stark ; sie stieg eilends in den Wagen , wollte ihren Tränen Einhalt tun , und vermochte es nicht .
Der Wagen rollte fort ; noch einmal überschaute sie die Fluren , welche sie froh durchwandelt hatte , an der Hand der Liebe und der Freundschaft .
Das Andenken an Herrmann und an Henriette drängte sich an ihr Herz , und einige Augenblicke , vergessend , daß Wallenheim an ihrer Seite saß , hing sie ganz ihrem Schmerze nach .
Allein ein Blick auf ihn , sagt ihr , daß sie schuldig ist ; sie trocknet ihre Augen , und verschließt tief in ihr Herz die Leiden , welche es zerreißen .
Ernst und finster waren Wallenheims Blicke ; Elisa sucht ihn aufzuheitern , keine Träne entschlüpft mehr ihrem Auge , sondern nur beschäftigt ist sie , die Wolken von der Stirn des Gatten wegzutreiben .
Allein es gelang ihr nicht ; denn Wallenheim war stets in sich verschlossen .
Nie hatte sich sein Herz der Freundschaft oder der Liebe geöffnet !
er kannte Begierden , aber nicht Empfindungen ; die Menschen waren ihm gleichgültig , und die Vergnügungen , welche er liebte , waren wild und rauh , wie seine Seele war .
Sie langten am zweiten Tage ihrer Reise in Wallenthal an ; ( so hieß das Landgut Wallenheims . ) und nach einigen Tagen schrieb Elisa folgenden Brief an ihre Henriette :
" Meine teure Henriette !
Auch entfernt von Dir ist mir Deine Freundschaft noch Trost .
Ach , ich kenne jetzt nur die Sprache des Zwanges !
Wie wohl ist mir , daß ich einmal wieder die der Freiheit sprechen darf !
Du lasest stets in meiner Seele , und Du allein sollst auch noch ihre geheimsten Gedanken wissen .
Nein , diese meine Offenherzigkeit gegen Dich kann nicht strafbar sein !
Du bist verschwiegen , und was ich der Freundschaft entdecken darf , soll für jeden Anderen tief in meiner Brust verschlossen bleiben . -
O , Henriette , sollte ich Dir jetzt meine Empfindungen schildern , oder vielmehr würde ich es können ? -
Doch eine Beschreibung von Wallenthal wird Dir einen Begriff von meiner jetzigen Lage geben .
Das Wohnhaus , oder das Schloß , wie es die Einwohner nennen , ist in einiger Entfernung vom Dorfe ; hohe Linden und Kastanienbäume beschatten den grünen Hofplatz , und verdunkeln die großen , gewölbten Zimmer des Hauses , an welches auf der entgegengesetzten Seite der Garten stößt .
Dunkle Zypressengänge laden hier die Seele zu melancholischen Betrachtungen ein , aus welchen sie durch nichts erweckt wird ; denn ein schwarzer Tannenwald , der gleich hinter dem Garten anhebt , begrenzt die Aussicht .
Die Natur scheint hier in ewiger Trauer verhüllt ; in den hohlen Tannen haben die Unken ihre Wohnung aufgeschlagen , und singen ihr Trauerlied .
In der Ferne hört man einen Wasserfall , der sich mit dem Eulengeschrei , und mit dem Brausen des Windes vermischt .
- Und hier , Henriette , bringe ich meine Tage allein zu ; denn die Jagd ist Wallenheims liebste Beschäftigung , ihr weihet er jede Stunde des Tages .
Früh so wie der Tag anbricht , entfernt er sich ; zwar kehrt er zum Mittagsessen zurück , allein nach geendigter Mahlzeit eilt er schon wieder fort ; und ich bleibe dann allein mit meinen Gedanken . -
O , Henriette , sie sind oft quälend !
Herrmanns Bild drängt sich dann mit Gewalt in mein Herz , lebhaft wird die Vorstellung seiner Liebe , und wider meinen Willen vergleiche ich Wallenheim mit ihm . -
Ach , ich fühle dann auch , daß ich schuldig bin !
Heiße Tränen der Reue vergieße ich , und doch möchte ich sie vor Wahlen im verbergen .
Ich erzwinge Heiterkeit auf meinem Gesichte , und in seiner Gegenwart öffnet sich mein Mund dem Lächeln der Freude .
Ich weiß es zu gut , daß meine Schwermut ihn noch mehr von mir entfernen würde , und mein ganzes Bestreben ist jetzt , ihn Vergnügen in meiner Gesellschaft finden zu lassen .
- Aber ich habe auch angefangen , die dunklen Bilder meiner Phantasie , und die nur zu wirklichen Empfindungen meiner Seele zu zerstreuen .
O , es gibt nur eine Art Zerstreuung für mich , und diese suche ich .
Ich muß die Leere in meinem Herzen ausfüllen , ich muß Empfindungen darin unterdrücken , und wie werde ich es besser können , als wenn ich andere an ihre Stelle setze ? -
Ich habe meinen Spaziergängen einen Zweck gegeben , der mich stets heiter zurückkehren läßt ; ich besuche die Einwohner des Dorfs , ich unterhalte mich mit ihnen , ich suche ihre Liebe , ihr Vertrauen zu erlangen , und will mich beschäftigen , ihre Bedürfnisse zu befriedigen , ihre Begriffe aufzuklären , jede Last ihnen zu erleichtern , und jedes ihnen nützliche Vergnügen zu verschaffen .
Durch ein gutes Beispiel , durch Wohltaten , Herablassung und jene Popularität , vermöge welcher man durch Gespräche die Begriffe des gemeinen Mannes aufklären , und ihm ein richtiges Urteil über Recht und Unrecht geben kann , geschieht es , daß man zur Vervollkommnung einer Menschenklasse beitragen kann , welche noch der Aufmerksamkeit selbst der besten Menschen entgeht .
Wie mancher würdige Gutsbesitzer könnte , wenn er auf diesen Gegenstand seine Aufmerksamkeit richtete , in dem kleinen Bezirke , in welchem sein Wille Befehl ist , Generationen beglücken , und das durch höchst einfache Mittel !
Der falsche Wert , den man den meisten Dingen beigelegt hat , ist schuld , daß so wenig Menschen das wirklich Nützliche erkennen , und es befördern .
Fast jede Staatsverwaltung ist ein glänzendes Rad , woran ein Jeder sich hänget , unbekümmert , ob die Säulen , welche es stützen , auch Festigkeit genug haben .
Der gemeine Mann , der in allen Staaten den größten Teil der Einwohner ausmachet , ist der , auf dessen moralische Bildung und physische Verbesserung seiner Lage am wenigsten Sorgfalt verwendet wird .
Glänzende politische Anschläge beschäftigen die Köpfe der Minister , aber dem Wohl des Volks weihen sie nicht eine Stunde .
Henriette , man sollte glauben , die Menschen wären der Konvenienz und des politischen Gleichgewichtes wegen da , so sehr beschäftigen sich unsere größten Köpfe mit allem dem glänzenden Nichts , und so wenig mit Menschenglück . -
Doch wo gerate ich hin ?
Ich wollte Dir sagen , daß ich mich bestreben will , in der Sphäre , in der ich mich befinde , so viel als möglich , nützlich zu werden ; daß dieses mich stark machen wird , jede Widerwärtigkeit zu ertragen , und daß dieses Wirken zum Wohl meiner Mitmenschen mich von dem Gegenstande abziehen wird , der so tief in meinem Herzen eingegraben ist .
Untätigkeit nährt jede Leidenschaft , keinen Augenblick erlaube ich sie mir ; und mit jeder Stunde erkenne ich es , wie groß der Nutzen ist , wenn die Erziehung unseren Geist ausgebildet , und uns Talente gegeben hat .
Wie manches junge Weib wird zur Kokette , weil mit einem gefühlvollen Herzen und einem lebhaften Verstande , sie nicht gelernt hat , sich zu beschäftigen ; das Lesen einiger Romane , und unsere Handarbeiten , können ihr nicht hinlängliche Unterhaltung gewähren ; sie wird immer eine Leere in ihrem Herzen empfinden , durch nichts kann sie sie ausfüllen , als durch eine Leidenschaft , welcher man oft mit den festesten Grundsätzen kaum zu widerstehen vermag .
- Eltern , wenn Ihr eure Töchter zu Opfern bestimmtet , o so lehrt sie die Mittel , ihren Geist zu unterhalten , wenn diese unglücklichen Geschöpfe nicht die Schande ihrer Familie , und die Zerstörerinnen dessen Glücks werden sollen ! -
Diese Betrachtungen lehrt mich mein eigenes Schicksal , und könnte ich sie doch allen Eltern lebhaft vorstellen , könnte ich ihnen die Empfindungen schildern , welche das Herz eines jungen Weibes zerreißen , welche sich auf Lebenslang mit dem Mann verbunden sieht , gegen den sie Widerwillen heget , und der sie mit Gleichgültigkeit behandelt ! -
O , sie würden vielleicht aufhören , die Tyrannen ihrer Kinder zu sein !
Sie würden nicht länger zu dem Sittenverderbnisse beitragen , welches durch die Ehen , welche Interesse knüpfet , und in welchen gegenseitige Abneigung sich verbindet , so sehr befördert wird ! -
Ich muß aufhören , Henriette , - diesen Gegenstand hätte ich nicht berühren sollen , mein Herz leidet zu sehr dabei . -
Lebe wohl ! " -
Oft wurde Elisa durch ähnliche Betrachtungen in Traurigkeit versenkt , aber immer entriß sie sich ihr .
Aufrichtig war ihr Bestreben , eine stets gleich heitere Laune zu erhalten ; nie sah Wallenheim auf ihrem Gesichte die Spur von Tränen , welche sie oft in der Einsamkeit vergoß , und doch blieb er , ungeachtet aller Bemühungen seiner Gattin , mürrisch und in sich verschlossen .
Elisa scherzte um ihn , und kaum lächelte er ; sie suchte jene Vertraulichkeit gegen ihn anzunehmen , ohne welche selbst die Liebe bald erkaltet , aber Wallenheim erwiderte sie nicht .
Er fuhr fort seine Tage auf der Jagd zuzubringen , oder Besuche in der Nachbarschaft zu machen , doch nie in Elisa's Begleitung .
Die ziemlich späte Jahrszeit , denn schon näherten sie sich der Mitte des Herbstes , erlaubte Elisa'n nur selten noch spazieren zu gehen , und sie brachte Tage zu , ohne ihr Zimmer zu verlassen .
Sie waren bereits zwei Wochen in Wallenthal , als ein schöner Herbstmorgen den braunen Tannenwald vergoldete .
Die Sonne schien noch einmal der Erde zuzulächeln , prachtvoll warf sie ihren Glanz auf die gelben Blätter , welche der Herbst gefärbt hatte .
Elisa ergötzte sich an diesem Anblicke .
Natur , rief sie aus , selbst wenn du dahin sinkest , bist du schön !
Sanfte Freude liegt noch auf dir verbreitet !
O , daß ich auch einst , in meinen letzten Tagen , so zurückschauen könnte auf den Sommer meines Lebens , und mich seiner freuen !
Ruhig und heiter eilte sie nun hinaus ; ihr Gefühl war Freude , sie vergaß auf einen Augenblick ihre Leiden , um im Angesichte der Natur den Empfindungen der Bewunderung und der Verehrung gegen den Urheber alles Daseins nachzuhängen .
Plötzlich sah sie unweit vom Dorfe ein Weib ohnmächtig auf dem Grase liegen ; sie näherte sich ihr .
Heftige Krämpfe verzogen bald alle Muskeln dieser Unglücklichen , und Elisa's Beistand vermochte nicht , sie ins Leben zurückzurufen .
Elisa eilte in das Dorf , und so schnell als möglich kehrte sie mit noch mehreren Personen zur Hilfe des armen Weibes zurück .
Sie wurde in das Dorf gebracht , und Elisa ging selbst in das Schloß , um einige Arzneimittel zu hohlen ; sie verließ die Frau nicht eher , als bis sie ganz wieder hergestellt , und kein Rückfall mehr zu befürchten war .
Sie kehrte nun zurück ; aber Wallenheim war schon vor ihr zu Hause gekommen ; sie eilte zu ihm : Verzeihen Sie , mein Bester , sprach sie , daß ich so spät zurück gekommen bin ; allein eine Unglückliche , der ich begegnete , welche leblos auf dem Boden lag , heischte Hilfe von mir , und dieses hat mich so lange aufgehalten .
Wahlen . ( Kalt. ) Sie täten wohl , wenn Sie lernten die Pflichten der Menschlichkeit mit den Pflichten gegen Ihren Gatten vereinigen .
Elisa schwieg ; sie unterdrückte selbst einen Seufzer , der aus ihrer Brust sich drängen wollte .
Wallenheim sprach während der ganzen Mahlzeit nicht , und nur beim Weggehen sagte er :
Ich hoffe , Elisa , daß Sie mich am Abend nicht wieder werden warten lassen ?
erteilen Sie Ihre Hilfe zur rechten Zeit , damit Sie Ihre Schuldigkeit nicht versäumen .
Er ging fort , und Tränen strömten von Elisa's Wangen .
Welch eine Zukunft stellte sich ihr dar , und o wie bitter waren ihre Empfindungen !
Sie wollte sie unterdrücken , und ging an ihren Schreibtisch , um an Henriette zu schreiben .
In einem Kästchen verschlossen lag da Herrmanns Gemälde .
Noch hatte Elisa das Kästchen nicht geöffnet , seit dem Tage , an dem sie das Gemälde hineingelegt hatte .
Heute öffnet sie es unwillkürlich , und der Anblick des Gemäldes verdoppelt ihren Schmerz .
Sie nimmt es heraus , sie küßt es : Ach , Herrmann , sprach sie , du hättest mir nicht so begegnet !
Bewegt legt sie es weg , bald ergreift sie es aber wieder :
Ich will nicht strafbar werden , ruft sie aus , ich will es Henriette schicken , aber noch einmal will ich diese Züge betrachten , die ich nie wieder sehen werde !
Zu bewegt , um schreiben zu können , ging sie in den Garten , indem sie noch das Gemälde hielt .
Noch erwärmte die Sonne die Atmosphäre , und Elisa setzte sich , beleuchtet von ihrem milden Strahl .
Alle Szenen der Vergangenheit stellten sich ihr jetzt lebhaft dar , und bei jeder Rückerinnerung benetzte Elisa das Gemälde mit ihren Tränen .
Sie saß da , den Kopf auf ihre Hand gestützt , als der Fußtritt eines Menschen sie aus ihrem Nachdenken weckt ; sie blickt auf , und - Herrmann steht vor ihr .
Der Schreck machte sie sprachlos .
Herrmann schloß sie in seine Arme : Verzeihen Sie , Elisa , rief er aus , ich entferne mich auf ewig von Ihnen , und nur noch einmal will ich Sie sehen !
Elisa . Herrmann , besser wäre es für uns , wir hätten uns nie gesehen !
Herrm . Elisa , gönnen Sie mir nicht einen Augenblick Erleichterung meiner Leiden ?
Elisa . O , Herrmann !
Diese Sprache darf ich nicht mehr hören !
Sie wissen nur zu gut , wie sehr Ihr Kummer mich schmerzt !
Sie wischte bei diesen Worten eine Träne aus ihren Augen , welche sie vor Herrmann verbergen wollte ; er sah sie aber , ergriff ihre Hand , und drückte sie an sein Herz .
O , meine sanfte , meine süße Elisa , Sie lieben mich noch ; ich fühle in diesem Augenblicke keinen Kummer !
Ich nehme den Trost mit mir , daß Sie mein bleiben , mein , durch das Band ewiger Liebe , das kein Mensch trennen soll !
Elisa . Halten Sie ein , Herrmann , ich bin Gattin ; mein Bestreben ist , Sie zu vergessen ! -
Wollen Sie mich strafbar machen , Sie , für den mein Herz so warm noch schlägt ?
O nein !
Lassen Sie mir die Freude , Sie sehen zu dürfen , ohne mir sagen zu brauchen :
du bist schuldig !
Herrm . Kann meine Elisa fürchten , daß ich ihre Ruhe aufopfern will ?
Und weiß ich nicht , daß sie diese nur in der Tugend findet ?
Verzeihen Sie , wenn mich die Liebe auf einen Augenblick hinriß ! -
Ach , kann ich vergessen , daß vor wenig Monden - Hier schwieg er , ihre Blicke begegneten sich , sie seufzten Beide , und Tränen rollten von Beider Wangen .
Elisa . ( Nach einer langen Pause . )
Herrmann , der Vergangenheit dürfen wir nicht mehr gedenken , sie verschwand mit ihren Freuden !
- Und in künftigen Jahren werden auch diese Tage voll Kummer nur noch in unserem Gedächtnisse leben ; neue Freuden , vielleicht auch neue Leiden , werden ihr Andenken verdrängen .
O , daß wir es jetzt schon tun könnten !
Mein Herrmann , vergessen Sie , daß Sie mich liebten !
Denken Sie nicht immer an Elisa , entreissen Sie sich jeder Erinnerung an sie , die Ruhe wird Ihnen dafür lohnen .
Herrm . Wohl , Elisa , ich will Ihrer würdig bleiben !
Ich will eine Leidenschaft bekämpfen , durch welche ich einst glücklich war . -
O , sagen Sie mir nur noch , daß Sie nicht unglücklich sind , dann will ich mich vergessen , dann soll der Kummer nicht mehr an meinem Herzen nagen , Ihr Glück wird mir Trost sein !
Elisa . Ich suche meine Pflichten zu erfüllen , urteilen Sie selbst , ob ich unglücklich bin ?
Herrm . Aber Sie weinten , Elisa , als ich Sie überraschte ?
Elisa . ( Reicht ihm das Gemälde )
Dieses war die Ursache meiner Tränen , Übereilung und Zufall hatten mir es wieder in die Hände gegeben , und - ich bin noch nicht stark genug , um bei dem Anblicke desselben gleichgültig zu bleiben .
( Herrmann ergreift das Gemälde , und bleibt mit seinem Kopfe auf Elisa's Hand liegen . )
Elisa . ( Nach einer Pause , zieht ihre Hand zurück . )
Herrmann , wir müssen uns trennen , auch Sie können meinen Anblick nicht ertragen !
Herrm . Elisa , heute zum Letztenmal .
O , nur noch einige Augenblicke !
Elisa . Wie , und warum kamen Sie hierher ?
Herrm . Ich war in Birkenstein gewesen , um von meiner Mutter Abschied zu nehmen , denn auch sie werde ich nicht mehr sehen .
O , Elisa ! wenn Sie nach Hohnauschloß kommen , besuchen Sie die unglückliche Mutter , trösten Sie sie wegen des Verlustes ihres Sohnes - sie liebt Sie ja als ihre Tochter ! -
Ich verlasse mein Vaterland , vielleicht sehe ich es nie wieder .
Ich suche nicht Glück unter einem anderen Himmelsstriche , aber Ihre und meine Ruhe , welche wir nicht erlangen würden , wenn nur wenige Meilen uns trennten .
Aber mich ewig von Ihnen entfernen , ohne Ihnen noch einmal Lebewohl zu sagen , war mir unmöglich !
Ich wußte , daß die strengste Tugend dieses nicht verdammen könnte , und ich flog nach Wallenthal , um noch einmal , Elisa , Sie zu sehen , Sie , die mich einst des Lebens höchste Freuden kennen lehrten !
Elisa . Herrmann , ich entferne Sie von Freunden und vom Vaterlande ? -
Edler Jüngling !
Sie suchen meine Ruhe ?
O ! möchte ich nie sie finden , wenn Sie nicht glücklich werden !
Herrm . Nichts davon , Elisa !
Ich will nicht murren , nicht klagen an Ihrer Seite .
- Mein künftiges Schicksal sei welches es wolle ! -
Ich konnte nur ein Gut verlieren - und ...
Elisa . Auch ich verlor das einzige Gut , Herrmann , und wir müssen Beide lernen , den Verlust ertragen .
Herrm . Schreckliche Notwendigkeit !
Warum stellten Sie sie mir in diesem Augenblicke vor ?
Elisa . Weil ich nicht vergessen darf , was ich bin !
Wollen Sie zürnen , Herrmann , daß ich meine Pflichten mehr liebe als Sie ?
Herrm . Weib !
Weib !
Eben Deine Tugend macht meine Liebe unauslöschlich !
Elisa . Aber die Tugend soll sie auch heiligen , soll sie nicht zur verzehrenden Flamme machen .
Sie soll wieder Frieden in Deine Seele gießen .
( Elisa's Augen füllen sich mit Tränen , eine Pause , sie reicht ihm ihre Hand )
Reisen Sie jetzt , Herrmann !
Zeit und Zerstreuungen werden Ihre Wunde heilen , und nach Jahren vielleicht werden wir uns wieder umarmen können !
Mit stummen Schmerze drückte Herrmann sie an sein Herz .
Lebe wohl ! rief er aus , teures ewig geliebtes Weib !
Elisa . Noch eine Bitte , Herrmann , gewähren Sie mir .
Nehmen Sie dieses Gemälde mit , ich darf es nicht länger besitzen - Aber Ihr Bild soll als das Bild eines teuren Freundes ewig in meinem Herzen leben !
Er nahm es , seufzte , drückte noch einen Kuß auf ihre Lippen , und flog fort !
Ihre Blicke folgten ihm , und ihre Tränen flossen , als er vor ihnen verschwand .
Erst einige Augenblicke war Herrmann fort , als Elisa Wallenheim kommen sah ; er war an diesem Tage früh zurückgekehrt , und hatte Herrmann aus dem Garten kommen sehen , er fand Elisa'n weinend .
Wahlen . Wer war das , der so eben von Ihnen ging ?
Elisa . Birkenstein. Wahlen .
Sie scheinen es vergessen zu haben , daß Sie mir einst sagten , Sie würden sich immer erinnern , daß Sie meine Gattin wären !
Oder denken Sie nur daran in meiner Anwesenheit , und glauben Sie , daß Ihre Pflichten aufhören , sobald ich abwesend bin ?
Elisa . Ich scheine diesen Vorwurf zu verdienen , und doch , Wallenheim , bin ich noch eben so schuldlos , als da Sie mich verließen .
Wahlen . Vielleicht hatten Sie auch da schon Ihren Geliebten bestellt .
Elisa . Diese Vermutung ist demütigend für mich ; nie glaubte ich Sie dazu berechtiget zu haben .
Birkenstein kam , um Abschied von mir zu nehmen , weil er sein Vaterland verläßt , und wenn ich schuldig bin , so bin ich es nur , daß ich litt , daß er so lange hier verweilte. Wahlen .
Weil dieses verursachte , daß ich ihn gesehen habe , und Sie nun Ihre Zusammenkünfte werden einstellen müssen .
Elisa . Diese Worte kränken mich nicht , Wallenheim , das Gefühl der Unschuld läßt sie mich ertragen. Wahlen .
Ich bin solche schöne Phrasen von Ihnen gewohnt , und um daß Sie diese erhabene Theorie desto leichter in Ausübung bringen mögen , so verbiete ich Ihnen , so lange wir noch in Wallenthal sind , Ihr Zimmer zu verlassen : Ihre Spaziergänge geben Anlaß zu Begebenheiten , welche nicht meinen Beifall haben .
Elisa . Könnte ich doch durch die willige Aufopferung dieses Vergnügens Ihnen beweisen , wie bereit ich immer sein werde , jeden Ihrer Wünsche zu erfüllen !
Wahlen . ( Kalt. ) Heute haben Sie dazu den Anfang nicht gemacht ; doch soll es mich freuen , wenn es in der Folge geschieht .
Er verließ hierauf Elisa'n , und sie ging zurück in ihr Zimmer ; sie sah ihn an diesem Abend nicht mehr , und am anderen Morgen reiste er weg , ohne Abschied von ihr zu nehmen , und war einige Tage abwesend .
Geduldig ertrug sie diese Begegnung .
Es waren noch einige schöne Herbstage , sie genoß ihrer nur an ihrem Fenster , aber sie murrte nicht ; sie schrieb hierüber folgendes an ihre Henriette :
" Noch einmal habe ich Herrmann gesehen , noch einmal mich von ihm getrennt !
O , Henriette !
ich konnte den Schmerz nicht unterdrücken , ich konnte nicht gleichgültig scheinen , aber doch dachte ich an meine Pflichten , und gewiß , Empfindungen , die wir nicht zu erregen suchen , die wir aber doch unwillkürlich hegen , können uns nicht schuldig machen !
Herrmann wird mir immer der teuerste von allen Männern sein .
Meine Leidenschaften werde ich bekämpfen , aber das innige Gefühl der Achtung , ein lebhaftes Interesse an seinem Schicksal werden immer gleich stark in mir sein .
Und doch werde ich mich als Gattin nicht schuldig finden , weil ich stets über mich wachen werde , um diese Empfindungen nicht zu stark werden zu lassen .
Sie sind unwillkürlich , sie gründen sich auf Tugend , auf gegenseitige Achtung und Übereinstimmung ; aber die Vernunft soll sie leiten , und Festigkeit im Charakter wird mich der Liebe und der Sinnlichkeit widerstehen lassen .
So kann ich ohne Gefahr Empfindungen hegen , welche zu stark sind , als daß ich sie gänzlich unterdrücken könnte ; aber gewiß , hätte ich nicht den festen Vorsatz , alle meine Pflichten genau zu erfüllen , und alles zu entfernen , was mich daran hindern könnte , so würde ich fürchten , daß Liebe unter der Larve von Achtung und Freundschaft , in meinem Herzen versteckt bliebe , und mich endlich , durch Sophistereien , welche die Sprache der Vernunft und Tugend entlehnen , von meinen Pflichten entfernte .
So gefährlich ist es , wenn wir einem anderen Manne in unserem Herzen den Vorzug gewähren . -
O , das Weib , welches dieses weiß und sich nicht täglich prüft , nicht eine beständige Aufmerksamkeit auf sich selbst , und auf ihre geheimsten Empfindungen hat , wird endlich , selbst mit den besten Grundsätzen , mit Anhänglichkeit an Tugend und an ihre Pflichten , doch von ihnen entfernt ; sie wird ihre Stimme nicht mehr hören , wenn sie vernachlässiget hat , die Liebe zu bekämpfen :
Ich , meine Henriette , will mir diesen Vorwurf nie machen ; Nachsicht gegen mich selbst werde ich mir nie erlauben , sie ist immer Schwachheit .
- Wallenheim glaubt mich schuldig , er hat Herrmann weggehen sehen , und hat mir verboten , mein Zimmer zu verlassen , so lange wir noch in Wallenthal wären ; und ich lebe jetzt , gleich einer Gefangenen .
Aber ich verzeihe Wallenheim ; der Schein war wider mich , und an Tugend glaubt er nicht .
Er ist jetzt abwesend , ich könnte sein Gebot überschreiten , und wenn ich es den Bedienten verböte , so würden sie mich nicht verraten , denn sie lieben mich ; aber ich würde mich in ihrer Achtung heruntersetzen , mich einigermaßen von ihnen abhängig machen ; und der Ruf , zuweilen die Ruhe eines Weibes , hängen von der Meinung ihrer Leute , und von dem , was sie von ihr sagen , ab .
Die unschuldigste Handlung , wenn wir ihr den Anstrich des Geheimnisses geben , bekommt den Anschein der Schuld , und gibt zu falschen Mutmaßungen Anlaß ; man sollte dieses immer vermeiden . -
O , wie viel Vorsicht muß man in der Ehe anwenden , wenn man sich stets in der Achtung seines Gatten und seiner Untergebenen erhalten will !
Und dieses ist notwendig zum Wohl der ganzen Familie . -
Ich kann Dir nicht sagen , mit welcher Empfindung ich jetzt an meinem Fenster die Luft einatme , welche ich unter dem freien Himmel nicht genießen darf .
Es ist ein gemischtes Gefühl von Ruhe und Traurigkeit ; eine dunkle Empfindung von Abhängigkeit , und dann wieder das Bewußtsein :
ich verdiene diese Begegnung nicht .
O , dann scheint mir der Himmel heiterer zu sein !
Mein Herz schlägt mir vor Freude , es erhebt sich , es blickt mit Gleichgültigkeit auf alle Begebenheiten des Lebens ; denn es fühlt , daß etwas in ihm ist , welches es über sie erhebt , und es mächtiger macht , als das Schicksal .
- Henriette , es ist mir ein tröstender Gedanke , daß , so lange ich der Tugend anhänge , ich standhaft sein werde , alle Widerwärtigkeiten zu ertragen .
- Dank der gütigen Vorsicht , daß mein Platz in der Reihe der Geschöpfe so war , daß meine Seele zum Guten gebildet werden konnte !
Jeder Umstand meiner Jugend , welcher meinem Geiste eben diese Bildung gab , war eine Quelle immerwährender Zufriedenheit für mich , und ohne Furcht blicke ich in die Zukunft , welche mir trübe scheint . "
- Mit eben der Ruhe empfing Elisa ihren Gatten , als er zurück kam ; sie freute sich in der Tat , ihn wieder zu sehen , und ihre Blicke sagten es ihm .
Sie verdoppelte nun ihr Bestreben , ihm zu gefallen , und jeden Argwohn von ihm zu entfernen ; aber kälter , als sonst , war jetzt Wallenheim gegen seine Gattin !
Nach einigen Wochen schrieb Elisa wieder an Henriette :
" Ich habe Dich immer von meinem Schmerz unterhalten , nimm auch heute Teil an meiner Freude .
Henriette , es öffnen sich mir Aussichten des Glucks !
Ich kann noch wieder vergnügt und heiter werden , wie ich es in meinen glücklichen Tagen in Hohnauschloß war . -
Doch ich muß Dir die Veranlassung meiner Freude Erzahlen .
- Wallenheim war , seitdem er zurückgekommen , mürrischer noch als zuvor ; oft vergingen Tage , ohne daß wir zusammen sprachen ; denn er antwortete mir nicht auf meine Fragen , und schien mich nicht zu hören , wenn ich mit ihm sprach .
Ich verdoppelte nun meine Aufmerksamkeit und meine Gefälligkeiten gegen ihn ; ich bedauerte ihn aufrichtig :
denn wie viele Freuden des Lebens muß er entbehren , da er seine Seele vor allen den Empfindungen verschließt , welche sie uns genießen lassen !
Diese Betrachtung machte mich nachsichtig gegen ihn .
Ich verziehe ihm , denn ich fühlte , daß , obgleich eingeschlossen , obgleich getrennt von allen , die ich liebe , fast von aller menschlichen Gesellschaft , ich doch noch glücklicher war , als er .
Gestern Abend war er mürrischer als gewöhnlich zurückgekommen ; stumm und verdrießlich saß er in meiner Stube auf dem Sofa , und schien mich kaum zu bemerken ; ich ging an das Klavier , spielte und sang eine Arie , deren Melodie sanft , einnehmend un fröhlich war ; sie erregte Wallenheims Aufmerksamkeit .
Als ich dieses bemerkte , wiederholte ich sie , und er stellte sich nun hinter meinen Stuhl .
Wie ich geendigt hatte , bat er mich fortzufahren .
Man kann Sie nicht ohne Vergnügen hören , sprach er .
Ich wählte nun lauter Stücke von gefälliger Melodie , und bestrebte mich , meinen Vortrag angenehm zu machen ; er blieb neben mir stehen , wurde heiter , wir scherzten zusammen , endlich umarmte er mich , und sagte :
Ich danke Ihnen , Elisa , Sie haben meine Launen weggespielt !
Ich fühle , daß ich heute diese Aufmerksamkeit von Ihnen nicht verdiente !
Ich erwiderte seine Umarmung :
Möchte ich doch immer so glücklich sein , Wallenheim , Ihnen jeden Verdruß vergessen machen zu können !
Gewiß , dieses sollte die angenehmste Beschäftigung meines Lebens werden !
Er küßte meine Hand : Sie sind ein liebes gutes Weib , ich erkenne es , daß ich oft Ihrer Nachsicht bedarf !
Ich lächelnd .
Und glauben Sie nicht , Wallenheim , daß ich nicht auch auf die Ihrige rechne ?
O , ich bin zu eigennützig , um etwas unentgeltlich zu geben !
Er lachte , küßte mich und sagte ; Ich kenne Sie und mich genug , um mutmaßen zu können , daß ich Ihr Schuldner bleiben werde .
So scherzten wir noch einige Zeit ; wir setzten uns auf den Sofa , und zum Erstenmal wurde unser Gespräch vertraulich .
Ich hatte schon lange einen Plan gehabt , zu dessen Ausführung aber ich Wallenheims Einwilligung bedurfte ; ich entdeckte ihn ihm , und er willigte in mein Verlangen .
O , wie viele Freuden schenkte er mir mit dieser Einwilligung !
Du weißt , Henriette , daß es immer mein Wunsch war , die Zahl der Unglücklichen vermindern zu können ; meine Lage setzt mich in den Stand , ihn zum Teil in Erfüllung zu bringen , und ernstlich dachte ich , seitdem ich in Wallenthal bin , auf Mittel , meinen Mitgeschöpfen nützlich zu werden .
Ich sah stets mit Abscheu und Mitleiden auf die Elenden , welche auf unseren Landstraßen und in unseren Dörfern wimmeln , und welche niederträchtig genug sind , lieber vom Almosen , als von ihrer Hände Arbeit zu leben .
Zum letzten Grade der Sittenverderbnis ist diese Menschenklasse gesunken ; sie vereinigen mit der Roheit des ungesitteten Menschen alle Laster und Ausschweifungen gebildeter Nationen .
Bei ihrem Anblicke trauert man , daß die Menschheit so tief sinken kann .
Aber noch stärker wird dieses Gefühl , wenn man auf ihre Kinder blickt ; sie von der Natur mit allen Anlagen zum Guten begabt , und durch ihre Geburt zum Laster und Elende verdammt sieht !
O , ihr Menschenfreunde !
Generationen dem Laster und dem Elende entziehen , dieses müßten eure Bemühungen sein !
Hierauf , Regenten , Minister , müßte eure Sorgfalt gerichtet sein !
Es sind Menschen , diese unglücklichen Kleinen , welchen die Natur gleiche Rechte mit Euch gab ; Menschen , welche zu jedem Großen und Edlen fähig sind , deren Kräfte zum Nutzen ihrer Mitbürger gebraucht werden können ; aber eure Nachlässigkeit erstickt jede Anlage zum Guten in ihnen , und macht sie , unter der Leitung ihrer Eltern , gleich ihnen , zum Abschaum der Menschheit !
Einen Teil dieser Kinder will ich dem Verderben entziehen , und sie zu nützlichen Mitbürgern machen .
Noch in diesem Jahre lasse ich ein Gebäude für sie aufführen , und werde dann zehn Kinder , fünf Knaben und fünf Mädchen , erziehen lassen .
Ich werde sie alle in einem Alter von zehn Jahren annehmen , und bis in ihr sechzehntes sollen sie in diesem Erziehungshause bleiben ; die Knaben sollen Handwerke oder Feldarbeiten , und die Mädchen alle Arbeiten lernen , welche sie in den Stand setzen , sich ihren Unterhalt zu verschaffen .
Sie sollen in den Kenntnissen unterrichtet werden , welche für ihren Stand erforderlich sind , und unter der Aufsicht eines vernünftigen Mannes und eines vernünftigen Weibes stehen .
Außer den Kosten , welche die ersten Einrichtungen erfordern , wird diese Anstalt nicht sehr kostbar werden ; das Gehalt des Mannes und des Weibes wird nicht sehr groß sein , da sie freie Wohnung und freien Unterhalt bekommen ; und ein Garten , der neben dem Gebäude sein wird , und den sie selbst bestellen sollen , wird sie fast hinlänglich mit Lebensmitteln versorgen ; die Mädchen und auch die Knaben , welche keine Handwerke lernen , werden für uns arbeiten .
So werde ich alle sechs Jahre mit wenigen Kosten , welche vielleicht nur das Opfer einiger neuer Kleider und einiger neuer Moden erfordern , zehn Menschen dem Elende entziehen , und sie vielleicht auf ihr ganzes Leben beglücken !
O , Henriette ! welche beseligende Aussicht ! welch ein frohes Gefühl wartet meiner mein ganzes Leben hindurch !
Könnte ich es doch allen Menschen begreiflich machen !
Sie würden gewiß alle die Kleinigkeiten , die sie beschäftigen , mit dem Wonnegefühl vertauschen , welches sich in uns regt , wenn wir uns sagen können :
ich habe Menschen beglückt !
Aber auch das sinkende Alter will ich unterstützen ; Ruhe will ich auf die letzten Tage des Greises verbreiten .
Er soll noch einmal lächeln , der Unglückliche , welcher sein Leben durchweint hat ! -
Ich lasse in Wallenthal noch ein Haus bauen , welches zehn Stuben enthalten soll ; alte dürftige Männer und Weiber nehme ich hier auf ; zu jeder Stube soll ein kleiner Garten sein , und alle Woche werde ich ihnen alles , was zu ihrem Unterhalt erforderlich ist , austeilen lassen , und jedesmal , wenn durch den Tod eines von ihnen eine Stelle ledig wird , soll ein anderer Unglücklicher sie ersetzen .
Ich selbst werde die Aufsicht über dieses alles haben ; ich selbst werde das Lager des Greises , und die Wohnung der Kinder besuchen .
Und dieses alles auszuführen , hat mir Wallenheim erlaubt ; im künftigen Frühjahre werden die Gebäude fertig sein , dann eile ich nach Wallenthal , und im Schoße der gütigen Natur will ich , indem sie Segen auf alle Sterblichen schüttet , am Glücke Einiger mei einer Mitmenschen arbeiten .
Lebhaft und innig war mein Dank gegen Wallenheim ; seitdem ich Hohnauschloß verließ , brachte ich noch nie einen so glücklichen Abend zu .
Wallenheims Güte machte mich beherzt ; ich hatte bemerkt , daß er sich wenig um seine Angelegenheiten bekümmerte , er hatte die Verwaltung seines Vermögens und seines Landguts einem Menschen übertragen , welcher mir nicht dieses Vertrauens würdig schien , ich hatte Nachlässigkeiten und Betrügereien entdeckt .
Ich sagte ihm dieses und bat ihn , mir diese Verwaltung zu überlassen .
Ich versicherte ihm , daß alle Geschäfte , durch welche ich ihm Vorteil verschaffen könnte , mir angenehm sein würden .
Nun , sagte er lächelnd , so setze ich Sie als meinen Sachwalter ein , schalten Sie mit meinem Vermögen wie Sie wollen ; ich will keine Rechenschaft fordern .
- Ich habe auch heute schon angefangen , mir von dem Verwalter , dem Wallenheim den Abschied geben wird , alle Rechnungen und einen Bericht von Wallenheims Angelegenheiten geben zu lassen .
Zwar besitze ich zu solchen Geschäften weder Erfahrung , noch die erforderlichen Kenntnisse ; allein Ordnung , Achtsamkeit und Fleiß sollen sie , bis ich sie erlangt habe , ersetzen .
Die Aufsicht auf die häuslichen Angelegenheiten ist eine der ersten Pflichten des Weibes .
Wenn ich in der Reihe der Geschöpfe keins erblicke , dessen Dasein ohne Nutzen ist , und ich sehe dann so viel Weiber , welche nichts zu dem großen Zwecke der Schöpfung , Nutzen zu verbreiten , beitragen , welche unbekümmert ihrer selbst , ihrer Familie und ihrer Mitmenschen dahin leben , und der Bildsäule gleichen , welche nur zum Beschauen , nicht zum Wirken , dasteht , o dann seufze ich über unser Geschlecht !
Solch ein Weib erniedrigt sich unter die Ameise , welche für ihre kleine Wohnung und ihre Nahrung sorgt .
Sehr eingeschränkt ist die Sphäre des Weibes , weit erstreckt sich ihr Wirkungskreis nicht ; aber sehr groß kann der Nutzen sein , den sie in diesem stiften kann , und gewiß ist die Leitung der inneren Wirtschaft und aller häuslichen Angelegenheiten , wenn der Mann solche vernachlässiget , nicht einer der geringsten .
Wie könnte ich Wohltaten erweisen , wenn ich nicht zu gleicher Zeit auf die Erhaltung unseres Vermögens bedacht wäre ?
Verschwenderisch und strafbar würde ich alsdann werden !
Nein , ihr Unglücklichen !
Eure Hilfe , euer Beistand zu bleiben , muß ich Wirtschafterin sein , und mit tätigem Fleiße unsere Angelegenheiten besorgen !
Auch meines Mannes Achtung werde ich dadurch gewinnen . -
O , wie viele Bewegungsgründe sind dieses nicht , auch diese Pflicht redlich zu erfüllen .
- Wir bleiben bis im Dezember hier , und - so schrecklich mir diese Einsamkeit auch im Anfange war , so ist es mir doch jetzt angenehm , daß wir unseren Aufenthalt noch nicht sobald verändern .
Diese Stille stimmt mit meinen Empfindungen überein ; mich dünkt , ich bin hier freier und heiterer , als ich es in B... sein würde .
Nur der Glückliche kann im Geräusche der Welt Vergnügen finden , der Unglückliche fühlt da zu sehr , daß er der Freude entsagen muß , und die , welche ich mir bereite , finde ich in Wallenthal .
Gern bliebe ich unter den Eulen , welche unsere Wohnung umgeben , den ganzen Winter hier ; ihr Klagelied ist mir nicht mehr traurig , es läßt mich empfinden , daß vielleicht kein Unfall ist , der mir ganz meine innere Zufriedenheit rauben könnte .
- Mit diesem Gefühl , Henriette , gibt es Augenblicke , in welchen ich mich glücklich preise ; denn ich erkenne , daß es das Los aller Sterblichen ist , Widerwärtigkeiten zu erfahren ; aber nur Wenige haben gelernt , sie zu ertragen , nur Wenige sehen standhaft dem Sturm entgegen , der nur den Mutlosen gänzlich unterdrückt .
Meine Bemühungen sollen immer sein , meine Schwäche zu bekämpfen , damit ich immer standhaft dem Schicksal entgegen lächeln kann . "
- So blieb Elisa sich stets gleich ; immer bestrebte sie sich , auch die kleinsten ihrer Pflichten zu erfüllen , und nie dehnte ein Weib solche mehr aus , als sie .
Ihre Aufmerksamkeit , ihre Gefälligkeit gegen Wallenheim , vermehrte sich mit jedem Tage , und mit Wachsamkeit und tätigem Fleiße ordnete sie ihre innere Wirtschaft und alle häusliche Angelegenheiten .
Innere Ruhe und das Vergnügen , Wallenheim weniger mürrisch , weniger unzufrieden zu sehen , waren ihr Lohn .
So reisten sie nach B... Stolz , Liebe zur Pracht und zum Spiel führten Wallenheim in glänzende Gesellschaften , in welchen er übrigens kein Vergnügen fand , und bewogen ihn auch , in seinem Hause viele Leute zu sehen .
Elisa empfand einen Widerwillen gegen diese Lebensart .
Ihr Geist fand in den rauschenden , glänzenden Zirkeln keine Unterhaltung , und ihnen mußte sie Beschäftigungen aufopfern , welche ihr Vergnügen gewährten ; allein nie verriet ein Wort , eine Miene , ihr inneres Mißvergnügen :
Wallenheim wollte es , und dieses war genug , um jede Unzufriedenheit in ihr zu unterdrücken ; und mit eben der heiteren Miene , mit welcher sie einsam in Wallenthal ihn empfing , wenn er den Tag abwesend gewesen war , folgte sie ihm jetzt in die glänzenden Versammlungen , wo sie wußte , daß sie Langeweile fand , welche jedoch kein Sterblicher auf ihrem Gesichte las .
Edel und offen war der Anstand , mit welchem sie in ihrem Hause die Leute empfing ; ihre Miene , ihr Wesen schien einem Jeden zu sagen , daß sie sich freute , ihn zu sehen ; selbst dann , wenn sie gern den rauschenden Zirkel mit ihrem einsamen Zimmer vertauscht hätte .
Aber auch mit eben der Sorgfalt , als in Wallenthal , ordnete sie in B... ihre häuslichen Angelegenheiten ; auch nicht der kleinste Umstand entging ihrer Aufmerksamkeit , und nicht die geringste Nachlässigkeit erlaubte sie sich ; denn sie war zu sehr überzeugt , daß diese immer größere nach sich ziehen .
Wallenheim war , seit dem sie in B... waren , wieder kälter und zurückhaltender gegen sie ; seine Geschäfte und andere Gegenstände entfernten ihn dort mehr , als in Wallenthal , von ihr .
Er kannte die Tugenden seines Weibes ; allein ihre Seele war über die Seinige zu erhaben , als daß er in ihr jene Übereinstimmung gefunden hätte , welche die Herzen vereiniget , und zwei Wesen gegenseitig mit dem süßesten Gefühle erfüllt .
Man sah bald , daß Elisa ihrem Gatten gleichgültig war , und ungeachtet aller ihrer Aufmerksamkeit gegen ihn , bemerkte man doch , daß auch sie nicht viel mehr für ihn empfand .
Elisa war jung , schön , und wurde von ihrem Gatten vernachlässiget ; wie viel Gründe , um bald ein Heer junger Stutzer um sie zu versammeln , und auch den gefühlvollen Mann zu ihr zu führen , der den Wert des liebevollen Weibes erkannte , und - empfand .
Allein Elisa , welche ihre Pflicht als Gattin , selbst in Herrmanns Anwesenheit nicht vergessen hatte , entfernte durch Ernst und Würde diejenigen , welche ihr den Hof machten .
Sie hielt diesen Zeitvertreib , wenn er auch nicht zu sträflicheren Folgen leitete , doch eines Weibes unwürdig .
Die kleinen weiblichen Coquetterien machen das Weib zum Zeitvertreib des Mannes ; aber sie entsagt durch sie der Achtung , auf die sie Anspruch machen kann .
Bald hört sie auf die Männer zu belustigen , allein das Andenken an das Vergangene löscht sie nicht aus ; sie werden sie immer als eine Puppe betrachten , mit der sie spielten , so lange es ihnen gefiel .
Wie natürlich also , daß Geringschätzung jetzt die Stelle ihrer vorigen scheinbaren Anbetung einnimmt , und ihr die Ehrfurcht versagt wird , welche das tugendhafte Weib jedem Manne einflößt .
So dachte Elisa , und ihre Anbeter verehrten sie , indem sie sie entfernte ; denn es war nicht die stolze Spröde , sondern das ihrer Würde sich bewußte Weib , welches durch Sanftmut sie abwies .
Auch sah sie nicht mehr einen Hof Verehrer um sich , allein ihr Name erweckte Ehrfurcht , und man näherte sich ihr mit der Achtung , welche man selbst unwillkürlich der Tugend zollt .
Und selbst die Weiber sagten von ihr :
sie ist eine liebenswürdige Frau !
Elisa , unbekümmert dessen , was man von ihr sprach , entfernt von der Begierde zu glänzen oder Bewunderung zu erwecken , erfüllte treu ihre Pflichten , und wurde dadurch nur noch verehrungswürdiger .
Folgendes schrieb sie an Henriette , nachdem sie einige Wochen in B... gewesen war :
" Meine Henriette , schon bin ich vier Wochen in B. ... , und noch habe ich Dir keine Nachricht von mir gegeben .
Glaube aber ja nicht , daß die rauschende Lebensart , welche ich hier führe , mich Dich vergessen läßt O , nein , meine Henriette !
Eben in den glänzenden Zirkeln empfinde ich recht lebhaft , daß ich einer Freundin beraubt bin .
Ich sehe hier so viele Gesichter , bin von so vielen Wesen umringt ; aber alle lassen eine Leere in meinem Herzen zurück .
Es dünkt mich immer , wenn ich unsere großen Gesellschaften besuche , ich komme unter eine Anzahl sich bewegender Bildsäulen , welche alle durch eine einzige Maschine aufgezogen sind , die ihre Bewegungen leitet , so viel Gleichförmigkeit haben hier die Menschen in ihrem Wesen ; denn indem sie sich von der Natur entfernen , entfernen sie sich auch von der Eigentümlichkeit des Charakters , welche in großen Gesellschaften allein Annehmlichkeit verbreiten könnte , und sie durch ihre Verschiedenheit für den Beobachter anziehend machen würde .
Allein so wie man bei einem jeden in seiner Kleidung die herrschende Mode findet , so haben auch der Ton , das Wesen , die Manieren dieselbe Gestalt , hier und da mit einigen kleinen Abänderungen ; und dieses gibt den Menschen das Leblose , macht die Gesellschaften langweilig , verbannt aus ihnen alle geistige Unterhaltungen , um schalen Witz und schönen Unsinn an ihre Stelle zu setzen .
Zwar bin ich überzeugt , daß manches vernünftige Weib , mancher kluge Mann sich in diesen Zirkeln befindet ; allein nur eine nähere Bekanntschaft kann jene bessere Eigenschaften uns entwickeln :
denn wenn man auch in großen Gesellschaften sich nicht vom Strom hinreißen läßt , nicht spricht wie der gemeine Haufen , so spricht man doch nichts anders ; man schweigt , oder spricht von gleichgültigen Dingen , um sich nicht zu unterscheiden , und nur ein Zufall kann uns mit den wenigen Personen , welche in der großen Welt durch Kopf und Herz sich unterscheiden , bekannt machen .
Ich suche diese Gelegenheiten nicht .
Zwar bin ich nicht unempfindlich gegen das Vergnügen , welches der Umgang und die Unterhaltung kluger Personen gewährt ; allein ich besitze jetzt nicht die gehörige Heiterkeit und Unbefangenheit , um an solchen Gesprächen Teil zu nehmen .
Die natürliche Unterhaltung mit einer Freundin würde jetzt meinem Herzen wohltun .
Wenn ich ganze Tage dem Zwange , der Langenweile , und allen den leeren Beschäftigungen , welche die Gesellschaft von uns fordert , aufgeopfert habe , o , wie glücklich würde ich dann sein , einige Augenblicke in den Armen der Freundschaft zu ruhen , ihr meine Empfindungen mitzuteilen , und der immer erneuerten Wonne zu genießen , welche Freundschaft und Liebe zwei Seelen , die sie verbunden haben , empfinden lassen !
Wie glücklich ist das Weib , welches dieses in dem Gatten findet !
Welches , bei den Unannehmlichkeiten des Lebens , durch das Vertrauen , durch die Liebe ihres Freundes gestärkt wird , sie mit frohem Mute zu ertragen , und in seinen Blicken Vergessenheit mancher trüben Stunden findet .
O , Ihr , die ihr in freundschaftlicher Übereinstimmung zusammen die Bahn des Lebens durchwandertet , sprecht , war euch eure Liebe , eure gegenseitige Teilnehmung an dem gemeinschaftlichen Schicksal , kein Trost in den Widerwärtigkeiten , die euch trafen ?
Und wenn er es war ? -
O , so gönnt ihn auch euren Kindern !
Gebt ihnen den Gefährten , an dessen Seite die Freude höher ihre Wangen färbt , ihr Herz entzückender klopfen und das Leiden seine Gewalt sie minder fühlen läßt !
- Weniger als je herrscht diese Freundschaft , diese Vertraulichkeit zwischen Wallenheim und mir ; wir sind einander hier wieder so fremd , er sieht mich so wenig , und diese Entfernung von einander erzeugt in ihm wieder die Kälte gegen mich , welche in Wallenthal sich zu verlieren schien .
Männer , welche es sich zum Geschäft machen , gleich einer Biene um jede Blume zu sumsen , haben mich trösten wollen ; selbst einige , welche Verdienste besitzen , und nicht , gleich den Gecken , jedem Frauenzimmer den Hof machen , aber doch der Denkungsart der großen Welt beitreten , welche die Liebeshändel einer Frau mit dem Namen Galanterien belegt , und diese ganz untadelhaft findet , haben auch die Zahl meiner Anbeter vermehrt .
Aber , Henriette !
Herrmanns Bild , mit so starken , so liebenswürdigen Zügen in meinem Herzen eingegraben , läßt mich nicht fürchten , daß ich meine Pflichten vergessen werde !
Zwar hoffe ich , daß , wenn ich auch nicht so liebte , daß keine andere Liebe sich mehr in mein Herz einschleichen kann , weil mein Herz , ohne es zu wollen , Vergleichungen anstellt , und mir dann zuflüstert :
Herrmann bleibt von allen diesen Männern der edelste , der liebenswürdigste - daß ich , diesem ungeachtet , doch den Namen Gattin nicht entweihen würde .
Allein mehr auf meiner Hut würde ich sein .
Die Gecken fürchte ich nicht , aber der Mann von Gefühl könnte mich empfindlich finden , ihn würde ich vermeiden .
Ich glaube nicht , daß das Band der Ehe uns unempfindlich macht , besonders wenn die Liebe es nicht geknüpft hat ; aber eine Neigung zu einem Anderen unterhalten , ist strafbar , weil wir ihre Grenzen nie bestimmen können , weil sie bald in uns zur heftigen Leidenschaft wird , die Befriedigung fordert , und zu fehlerhaften Handlungen uns verleitet .
Ja , ich würde bei dem Bestreben des angenehmen , des verdienstvollen Mannes , mir zu gefallen , mich fragen :
Hat er auch keinen Eindruck auf Dich gemacht ?
Ich würde , wenn es wäre , diesem entgegen arbeiten , ich würde ihn fliehen . -
Lache nicht , Henriette , die Flucht verrät vielleicht Schwachheit ; allein Mißtrauen in uns selbst kann uns Leidenschaften besiegen lassen , und wird uns immer verhindern , ihnen zu unterliegen . -
Doch , das Andenken an Herrmann , an seine Liebe , wird nie in meinem Herzen erlöschen !
Rein , schuldlos war seine Liebe . -
O , es gibt noch Augenblicke , in welchen diese Erinnerung mich entzückt !
Nie werde ich sie mit dem Bewußtsein einer strafbaren Leidenschaft vertauschen .
Unschuld erhöhte das entzückende Gefühl , welches an Herrmanns Seite mich beseligte ; sie ist es , welche noch heute mir diese Ruhe einflößt , wenn ich an ihn denke , die selbst dieses Andenken nicht zum Verbrechen macht .
Ja wenn ich ihn gleich immer noch liebe , so ist meine Seele doch noch eben so schuldlos ; denn wäre er hier , er würde seine und meine Leidenschaft bekämpfen , ich würde mich in Wallenheims Arme werfen , und mir sagen : Ich bin seine Gattin !
- Mit diesem Gefühl wird jeder andere Mann mir gleichgültig bleiben , und jede andere Liebe verwerflich , weil ich mit ihr nicht Unschuld und Tugend vereinigen könnte . "
Elisa verlebte nun den Winter auf die Art , wie sie ihn angefangen hatte ; Wallenheim und sie veränderten Beide nichts in ihrem Betragen ; er abwechselnd freundlich , mürrisch , kalt ; sie immer aufmerksam , ihm zu gefallen , immer sich bestrebend , jedem seiner Wünsche zuvorzukommen ; nie hörte er von ihr eine Klage oder einen Vorwurf , nie sah er Ihre Stirn sich runzeln ; er fand immer in ihr das gelassene , heitere , gefällige Weib , und oft sagte er es sich , daß Elisa die Erste der Weiber wäre .
Der Frühling kam ; Elisa bat ihren Gatten , mit ihr nach Wallenthal zu reisen , damit sie dort die erste Einrichtung ihrer wohltätigen Anstalten treffen könnte .
Er schlug es ab ; doch erlaubte er ihr , allein hinzureisen .
Froh , einmal wieder im Schoße der Natur der Freiheit und der Wonne zu genießen , welche ihre mannigfaltigen Szenen im Herzen des gefühlvollen Bewunderers erwecken , und Jahre voll Zwanges vergessen machen können , reiste Elisa von B.. .
Sie hatte ihrer Mutter und Karolinen geschrieben , und sie gebeten , Henriette zu erlauben , zu ihr nach Wallenthal zu kommen , und Beide , Elisa und Henriette , langten an demselben Tage dort an .
Mit welchem Wonnegefühl schlossen sie einander in die Arme !
Meine Henriette !
Meine Elisa ! stammelten Beider Lippen , und innig empfanden sie das süße Glück des Wiedersehens , welches nur empfunden , nie beschrieben werden kann .
Sie blieben vierzehn Tage in Wallenthal ; dieses waren frohe Tage für Elisa'n .
An der Seite ihrer Henriette , beschäftiget Nutzen und Glück zu verbreiten , atmete ihre Seele die reine Wonne ausübender Tugend , und genoß des ruhigen , befriedigenden Genusses der Freundschaft in seinem ganzen Umfange .
Ohne Mühe hatte sie von den herumziehenden Bettlern zehn Kinder erhalten , alle in einem Alter von zehn Jahren .
Sie ließ sie kleiden , und in sechs Tagen waren sie alle in dem für sie bestimmten Hause eingerichtet .
Sie ordnete ihre Beschäftigungen und ihren Unterricht , welcher stets noch unter den Landleuten und niedrigen Einwohnern der Städte so sehr vernachlässiget wird . -
Aber indem Elisa sich mit dem Glück der blühenden Jugend beschäftigte , vergaß sie nicht das leidende Alter , Ruhe und Bequemlichkeit suchet der Mensch am Ende seiner Laufbahn , und zehn Greise sollten sie in Wallenthal finden .
Schon waren in dem Hause der Greise neun Stuben bewohnt , aus welchen Elisa'n Segen und Dank entgegen strömten , als sie an einem Morgen mit Henriette in dem an der Landstraße gelegenen Tannenwalde spazieren ging .
Ein klägliches Rufen :
O , meine Tochter ! meine Tochter ! erregte bald ihre Aufmerksamkeit .
Es ist das Geschrei eines Unglücklichen , rief Elisa , laß uns zu ihm eilen , Henriette !
Sie gingen nun dahin , von wo der Schall kam , und sahen einen Greis , ein Bild des Jammers .
An Kräften erschöpft , war er auf den Rasen gesunken , und helle Tränen tröpfelten in seinen eisgrauen Bart .
Ach , meine Tochter , du mußt sterben ! rief er wieder .
Er schien seine Seele mit diesen Worten auszuhauchen ; er rang seine Hände , und blickte langsam empor gen Himmel .
Jetzt hatten Elisa und Henriette sich ihm genähert ; er erblickte sie und versuchte aufzustehen ; allein seine Schwäche fesselte ihn an den Boden .
Elisa . Bleibe er sitzen , guter Alter , er scheint müde zu sein , er muß erst ausruhen .
Greis . ( Seufzt . )
Ach , gnädige Frau , ich werde wohl hier die ewige Ruhe finden !
Ich habe lange genug gelitten , und doch , wenn der Himmel nur noch ein Paar Tage mein Leben gefristet hätte !
Elisa .
Er ist unglücklich , guter Mann , o , sage er mir , was Menschenhülfe tun kann , ihn zu unterstützen ? und ich will suchen , die letzten Tage seines Lebens frei vom Kummer zu machen !
Greis . ( Faltet seine Hände . )
Gott , ich danke dir , du sendest mir einen Retter !
( Zu Elisa'n . ) O , gnädige Frau ! noch nie flehte ich um Almosen , aber heute , heute muß ich . -
( Er bricht in Tränen aus , welche ihn verhindern weiter zu sprechen . )
Elisa . ( Gerührt , setzt sich neben ihn . )
Beruhige er sich , guter Alter !
Es ist ja keine Schande , dürftig zu sein !
Greis . Ach , gnädige Frau ! und doch blicken so viel Menschen auf den Armen mit Verachtung ! -
Aber meine Tochter , wenn ich nur die retten könnte !
Elisa .
Wo ist sie , mein Freund , ich will sie holen , ich will ihr Hilfe erteilen .
Greis . Wir wohnen anderthalb Meilen von hier , nahe bei Dunkelwalde ; schon seit acht Tagen ist meine Tochter krank , und seit einigen Tagen so schlecht , daß ich gestern glaubte , sie würde sterben .
Da wollte ich nun heute in die Stadt gehen , zu dem Doktor , und auf den Knien ihn bitten , zu meiner Tochter zu kommen ; aber es ist noch eine Meile von hier , und ich habe gestern und heute nichts gegessen - ich konnte nicht mehr ! -
Neue Tränen hemmten wieder seine Sprache .
Elisa sprang auf .
Bleibe bei ihm , Henriette , ich bin gleich wieder hier .
Sie eilte nun zu Hause , ließ einen Wagen anspannen , befahl , daß sogleich ein anderer in die Stadt fahren sollte , um den Arzt zu holen , nahm eine Bouteille Wein und Brot mit sich , und kehrte zu dem Greise und Henriette zurück .
Elisa . ( Schenkt ein Glas Wein ein , und reicht es dem Greis . )
Trinke er , guter Alter !
Ich habe auch etwas Brot mitgebracht , stärke er sich erst ; dann wollen wir zusammen zu seiner Tochter fahren , und sie hierher holen , ich habe auch schon nach dem Arzte geschickt .
Greis . ( Nimmt das Glas . )
Gnädige Frau , ich kann Ihnen nicht danken . -
Aber , Gott !
Du siehst mein Herz !
Elisa . Guter Greis , wenn nur seine Tochter wieder hergestellt wird , und er noch einige Zeit zufrieden in unserem Dorfe lebt , das wird mir Danks genug sein !
Greis . ( Blickt dankbar gen Himmel . )
Gütiger Vater , ich will nicht mehr klagen , da es noch solche gute Menschen auf deiner Erde gibt !
Der Greis fühlte sich gestärkt ; die Hoffnung , seine Tochter ins Leben zurückzurufen , belebte ihn .
Er stand auf , Elisa leitete ihn selbst zum Wagen , setzte sich mit ihm und Henriette hinein , und befahl dem Kutscher , so geschwinde als möglich zu fahren .
Der Greis saß nun da mit gefalteten Händen , mit Tränen im Auge , seine Blicke bald auf Elisa'n , bald gen Himmel gerichtet .
Elisa . ( Nach einer Pause . )
Guter Alter , ich segne heute meinen Spaziergang !
O , wie will ich mich freuen , wenn wir erst bei seiner Tochter sein werden ! -
Aber - sage er mir , ist er schon lange mit der Dürftigkeit bekannt ?
Greis . Über die Hälfte meiner Tage waren Tage der Leiden für mich !
Die Geschichte meines Lebens mag dieses beweisen , wenn die gnädigen Frauen sie anhören wollen ?
Elisa und Henriette . ( Zugleich. ) Gern , guter Alter .
Greis . Mein Vater war Kaufmann in B... , von Geburt ein Franzose , welcher aus Liebe zu meiner Mutter , durch welche er auch in den Besitz eines geringen Vermögens gekommen war , sich in B... niedergelassen hatte .
Sein Handel war nicht sehr ausgebreitet , und seine Vermögens-Umstände nur mittelmäßig ; er machte also keine Einwendung gegen mein Verlangen , das Tischlerhandwerk zu erlernen , zu welchem ich viel Neigung hatte ; denn er war nicht reich genug , mich zum Handel bestimmen zu können , da ich nicht sein einziger Sohn war , sondern noch einen Bruder und eine Schwester hatte .
Ich hatte schon ausgelernt , als mein Vater bankrott machte .
Wir gerieten nun in die äußerste Armut .
Mein Großvater lebte noch in Frankreich , und mein Vater beschloß , daß ich hinreisen , und von ihm einige Hilfe erflehen sollte .
Ich mußte einige Monate arbeiten , um mir einiges Reisegeld zu verschaffen , und ich ging dann nach Hamburg , wo ich mich an Bord eines französischen Schiffes begab .
Dieses Schiff sollte im Hafen von Marseille einlaufen ; allein im mittelländischen Meere erreichte uns ein Algierischer Kaper , und ungeachtet unseres Widerstandes wurden wir zu Gefangenen gemacht .
Wir kamen nach Algier und wurden Sklaven .
Ach , gnädige Frau ! keine Vorstellung kann die Wirklichkeit der Mißhandlungen und des Jammers erreichen , welche die unglücklichen Sklaven dort erfahren .
Man spannte uns bei Tage gleich Ochsen an den Pflug , und des Nachts wurden wir gefesselt in eine Art von Stall geworfen , wo man uns in einem Trog eine elende Nahrung vorsetzte .
Die Vorstellung von meinem Vater , welcher vergebens auf Hilfe wartete , seine Verzweiflung über die betrogene Hoffnung , die Armut meiner Familie , ihr Trauern um mich , die Klagen , das Leiden meiner unglücklichen Gefährten , dieses alles zerriß zehnfach mein Herz , und machte , verbunden mit meinem eigenen Leiden , mein Leben zur Empfindung eines immerwährenden Schmerzes .
Meine Gefühle wurden endlich abgestumpft , ich wurde empfindungslos gegen alles .
So verlebte ich zehn Jahre ; nach Verlauf derselben traf auch mich die Reihe , von den Algierischen Fesseln , durch das Lösegeld , befreiet zu werden , welches in Europa von mildtätigen Menschenfreunden zur Befreiung der Christen-Sklaven in Algier gesammelt wird .
Welch ein Augenblick war das , als man mir die Fesseln abnahm ! -
Nein , nie werden Worte die unnennbaren Gefühle ausdrücken , welche mich durchströmten !
Ich stand da , war kaum meines Daseins gewiß , zweifelte an der Wirklichkeit meiner Befreiung , und freute mich ihrer doch , und hielt Alles doch nur für Träume , welche meine Einbildungskraft umschwebten .
Plötzlich drang die Vorstellung von meinem Vater , von meiner Mutter tief in meine Seele ; ich fiel nieder zur Erde , weinte und rief aus :
Ich werde sie wieder sehen !
Nun wurde das Verlangen , meine Eltern und mein Vaterland wieder zu sehen , das herrschende Gefühl in mir , und das Vermögen , daß ich es konnte , erfüllte mich mit unaussprechlicher Freude ; allein ein Blick auf meine unglücklichen Gefährten , welche zurückblieben , schlug auf einige Zeit sie wieder nieder .
Diese jammerten laut , als sie uns weggehen sahen .
Ach ich empfand das Schreckliche ihres Gefühls bei unserer Befreiung , und ich hatte zu lange gelitten , als daß fremde Leiden mich nicht tief durchdrungen hätten !
Ich weinte mit ihnen , ich ließ sie von der Zukunft Befreiung ihres Unglücks hoffen , und teilte mit ihnen das wenige Geld , welches ich erhalten hatte , damit , zum wenigsten einen Tag , sie sich Erleichterung verschaffen könnten .
Mit mir waren noch neun Gefangene befreiet worden ; wir wurden alle auf ein französisches Schiff gebracht , und hatten die Überfahrt bis Frankreich frei .
Diese Reise ist der glücklichste Zeitpunkt meines Lebens .
Die wieder genossene Freiheit nach zehn Jahren unnennbaren Elendes , die Erwartung , die Personen wieder zu sehen , welche mir so teuer waren , dieses alles wiegte mich in die sanftesten Empfindungen der Freude , der frohen Hoffnungen und des Genusses gegenwärtigen Glücks .
Wir kamen in Marseille an , und ich beschloß , nach Languedoe zu gehen , wo mein Großvater gelebt hatte , und wo ich einige von meinen Verwandten zu finden hoffte .
Kaum reichte das wenige Geld , das ich hatte , zu dieser Reise ; selten kehrte ich in ein Wirtshaus ein , mein Lager war der Rasen unter dem Schatten eines Baums , und ein Stück trocken Brot oft meine ganze Nahrung .
Ich kam endlich in Languedoe an , und nach vielen Erkundigungen fand ich den Bruder meines Vaters .
Mein Großvater war seit einigen Jahren tot , und hatte eine geringe Erbschaft hinterlassen , welcher sich mein Oheim ganz bemächtigt , weil er in einigen Jahren nichts von meinem Vater gehört hatte .
Ich gab mich ihm zu erkennen , stellte ihm die Armut meines Vaters , und die Billigkeit der Teilung vor .
Er sagte mir aber , daß er keine Überzeugung davon habe , daß ich sein Neffe sei , und daß , wenn dieses auch sei , er doch keinen Teil seines Vermögens missen könnte , weil er sonst selbst mit seiner Familie würde betteln müssen .
Freilich war er selbst nur in mittelmäßigen Umständen , und ich , fremd und arm , konnte nichts gegen ihn ausrichten .
Er erlaubte mir , einige Tage in seinem Hause zu bleiben , um mich von meiner Reise zu erholen , gab mir dann einige Hemden , einen alten Rock , denn meine Kleidung war so zerrissen , daß ich mich kaum noch sehen lassen konnte , und einiges Reisegeld , und riet mir nun , in mein Vaterland zurückzukehren .
Ich trat also meine Reise mit dem kummervollen Gedanken an , daß ich zu meinen Eltern ohne die geringste Erleichterung ihrer Armut zurückkehrte .
Das Geld , welches ich von meinem Oheim bekommen hatte , reichte , bei aller meiner Sparsamkeit , denn oft lebte ich Tage lang , ohne etwas zu genießen , als das Wasser , welches ich aus einer frischen Quelle schöpfte , doch nicht weiter , als bis ich in Straßburg angekommen war .
Um Almosen konnte ich nicht flehen ; bis B... mich von den erbettelten Gaben meiner Mitmenschen zu erhalten , welche sie oft mit Verachtung und Beschimpfung mir zuwerfen würden : dieser Gedanke war mir unerträglich .
Ach es ist so demütigend , Anderer Mitleiden anzuflehen !
Ich hatte zwar erniedrigende Begegnungen genug erfahren , allein ich hatte sie mir doch nicht selbst zugezogen ; ich hatte Grausamkeiten erlitten , aber doch nicht Verachtung ertragen müssen .
Ich beschloß also , mein Handwerk wieder so lange zu treiben , bis daß ich mir das Geld zur Reise erworben haben würde .
Ich bot einem Tischlermeister meine Dienste an , und wurde angenommen .
Ich blieb drei Monate in Straßburg , allein ich mußte noch einigemal auf meiner Reise in einigen anderen Städten arbeiten , weil ich immer nicht viel mehr als meinen Unterhalt erwarb .
Endlich langte ich , nachdem ich ein Jahr auf dieser Reise zugebracht hatte , in dem Städtchen R... , wohin ich heute zu gehen gedachte , an .
Ich hatte nun noch zehn Meilen bis B... , und je mehr ich mich meiner Vaterstadt näherte , desto unentschlossener war ich , mich in diesen armseligen Umständen meinen Eltern zu zeigen .
Ich fand in einem Wirtshause in R... einen Handelsmann aus B... , ich geriet in ein Gespräch mit ihm ; er wohnte in der Nachbarschaft meines Vaters , und konnte mir daher Nachricht von ihm erteilen .
Meine Mutter war tot , und mein Vater und meine Geschwister lebten in der äußersten Armut .
Sie arbeiteten alle für Tagelohn , um sich zu unterhalten ; allein sie konnten nur das Notdürftigste erwerben , weil mein Vater schon sehr schwach wurde , und nicht mehr viel arbeiten konnte .
Diese Nachricht erregte neuen Gram in meinem Herzen .
Mein Vater hatte einige Unterstützung gehofft , als er mich nach Frankreich schickte , und - ach !
ich sollte mit leeren Händen zu ihm zurückkehren !
Ich sollte noch seine Dürftigkeit durch meinen Aufenthalt bei ihm vermehren ; denn wer wußte , ob ich gleich einen Meister finden , der mich annehmen würde ?
O , dachte ich , wenn ich doch zuvor , ehe ich zu ihm zurückkehre , mir noch etwas erwerben könnte , um ihm einige Hilfe erteilen zu können .
Mit diesem Gedanken beschäftigte ich mich den ganzen Tag ; am folgenden war ich immer noch unentschlossen , auch befand ich mich nicht wohl ; ich ging früh zu Bette , und bekam ein heftiges Fieber ; ich war drei Monate so krank , daß ich das Bette nicht verlassen konnte .
Mein weniges Geld , was ich gehabt hatte , ging nun darauf , ich mußte meinen Rock auch noch verkaufen ; kurz , ich besaß nicht einen Pfennig , nachdem ich wieder hergestellt war .
Nun konnte ich mich unmöglich entschließen nach B... zu gehen ; ich hätte von Dorf zu Dorf mich hinbetteln müssen , und welcher Meister in B... hätte mich in dem elenden Aufzug , in welchem ich mich jetzt befand , genommen ?
Ich hätte mich keinem einmal zeigen können .
Ich ging also zu dem Tischlermeister , welcher in dem Städtchen war , klagte ihm meine Not , und bat ihn , mich anzunehmen ; er brauchte eben einen Gesellen , und wollte es , wie er sagte , mit mir versuchen .
Der Meister hatte wenig Bestellungen , ich erwarb also nicht viel .
Immer beharrte ich auf dem Vorsatze , so viel zu erwerben , um nicht mit dem Ansehen eines Bettlers zu meinem Vater zurückzukehren .
Ich blieb also fünf Jahre in R.. .
Ich hatte mir nun wieder einige Kleidungsstücke angeschafft , und hatte noch überdem zehn Taler , diese wollte ich meinem Vater bringen .
Ich ging nach B .
Aber -
Ach , gnädige Frau , wie werde ich Ihnen meinen Schmerz beschreiben können , als ich meinen Vater nicht mehr fand !
Er war seit einem halben Jahre tot , und meine Geschwister waren nicht mehr in B ...
Ich stand da , als wenn meine Füße an den Boden geheftet wären ; zernichtet war jede Hoffnung für mich , ich glaubte mich allein in einer Einöde zu sehen .
O wie viele Vorwürfe machte ich mir !
Eine falsche Scham hatte mich abgehalten , zu meinem Vater zu eilen , als ich ihn noch sehen konnte , und nun hatte ich ihn auf ewig verloren !
Ich ging endlich in die Stube , in welcher er gewohnt hatte , da warf ich mich auf den Boden , und schluchzte laut .
Ach eine düstre Schwermut verbreitete sich seit diesem Augenblicke auf mein ganzes Leben !
Ich kehrte am folgenden Tage zurück nach R... , denn man konnte mir den Aufenthalt meiner Geschwister nicht sagen .
Mein Bruder war als Bedienter in die Dienste eines Herrn getreten , der auf Reisen war , und meine Schwester hatte geheiratet ; allein man wußte nicht , wo sie hingekommen war .
Ich arbeitete nun wieder bei meinem vorigen Meister , war aber unaufhörlich traurig .
Er war ein guter Mann , er suchte oft mich zu trösten , und begegnete mir als seinem eigenen Sohne ; ich gewöhnte mich nach und nach , mich als ein Glied dieser Familie zu betrachten .
Wir teilten gegenseitig Kummer und Freude .
Der Meister hatte fünf Söhne und eine Tochter ; das Mädchen hatte mich liebgewonnen .
Einst sagte ihr Vater zu mir : Martin , du bist zwar arm , aber arbeitsam , meine Tochter ist auch arm , ein reicher Mann heiratet sie doch nicht , das Mädchen liebt dich , kannst du sie leiden , so nimm sie ; Gott wird euch seinen Segen geben !
Mir hatte das Mädchen stets gefallen , mich dünkte immer , daß ich weniger traurig war , wenn ich bei ihr war .
Ich dankte dem Vater , und fragte Loten , so hieß sie , ob sie mich wohl haben möchte ?
Ach Martin , sprach sie , ich bin dir so herzlich gut , gern will ich Freude und Leid mit dir teilen !
Sie weinte bei diesen Worten ; auch ich weinte und küßte sie .
Vier Wochen darauf war unsere Hochzeit .
Ich fuhr fort bei meiner Frauen Vater zu arbeiten ; wir lebten dürftig , aber wir erwarben uns doch unseren Unterhalt .
Mein Schwiegervater lebte noch fünf Jahre , meine Frau war indes Mutter zweier Söhne geworden .
Als mein Schwiegervater starb , wollte ich Meister in R. werden ; allein ein anderer Tischlermeister , welcher sich schon vor einiger Zeit dort niedergelassen hatte , suchte dieses zu verhindern ; es gelang ihm , denn er war reich .
Ich mußte aus R... ziehen , weil ich dort keinen Verdienst mehr fand .
Ich mietete das Haus bei Dunkelwalde , in welchem ich noch jetzt wohne .
Nun arbeitete ich als Taglöhner , auch mein gutes Weib arbeitete fast Tag und Nacht ; nie klagte sie über Armut oder Mühseligkeiten .
Lieber Mann , sagte sie mir oft , wir werden immer so viel verdienen , daß wir leben können , und was brauchen wir mehr ?
Unseren Kindern wird Gott weiter helfen !
Ihr Mut , ihre Standhaftigkeit half mir unsere Dürftigkeit ertragen , ein Leben voll Kummer hätte die meinige niedergeschlagen .
Nach einem Jahr gebar meine Frau eine Tochter ; sie war acht Tage in Wochen , da bekamen unsere Söhne die Blattern , und starben Beide . -
Ach jetzt war keins von uns fähig , den Anderen zu trösten !
Als unser zweiter Sohn die Augen schloß , da reichte ich meiner Frau die Hand , und sprach : Weib , wir verbanden uns , alles Ungemach zu tragen !
Sie sank auf seinen Leichnam und ich auf meine Knie , und lange lagen wir so und schluchzten laut , bis endlich die kleine Lotte schrie ; da richtete ich mich auf :
" Weib , sprach ich , wir haben noch ein Kind , Dein allzuheftiger Schmerz wird es umbringen !
Ach bereite uns nicht noch mehr Leiden ! "
Ich nahm das Mädchen aus der Wiege , und gab sie der Mutter .
Sie drückte sie mit innigster Wehmut an ihr Herz , benetzte sie mit ihren Tränen , und legte sie endlich an ihre Brust .
" Ach ! mein Fritz , mein Ludwig , rief sie aus , auch euch ernährte ich einst an meinem Busen , und nun - "
Verzweiflungsvoll rang sie wieder die Hände .
Ich fürchtete , sie würde sich und das Kind töten , ich nahm ihr es wieder , und legte es in die Wiege .
Ich umarmte sie :
Meine Lotte , sprach ich , vergiß nicht deines dritten Kindes !
Sie hing sich nun an meinen Hals , und unsere Tränen flossen zusammen .
Wir durchweinten die Nacht .
Am Morgen bat ich Loten , sich ins Bette zu legen , sie schlummerte eine Stunde ; aber unsere folgenden Tage waren nun alle trübe .
Ach !
der Anblick unserer Kinder hatte uns so oft erfreuet und gestärkt , hatte uns jede Arbeit erleichtert , wenn wir das mit Mühe erworbene Brot mit ihnen teilten ! -
Indes wuchs unsere Lotte heran , und in ihr vereinigte sich nun unsere ganze Liebe und Sorgfalt ; sie wurde ein gutes Mädchen .
Als sie erwachsen war , teilte sie jede Arbeit und Beschwerde mit uns .
So verlebten wir nun unsere Jahre , zwar unter Mühseligkeiten , doch in Ruhe ; allein unsere Kräfte nahmen ab , folglich auch die Mittel zu unserer Unterhaltung .
Vor zwei Jahren starb mein Weib .
- Der Schmerz über diesen Verlust machte mich so schwach , daß ich nicht mehr zu arbeiten vermochte .
Meine Tochter war nun meine einzige Unterstützung , ihrer Hände Arbeit unser einziger Unterhalt ; auch arbeitete das gute Mädchen unaufhörlich .
Ach , oft benetzte ich mit meinen Tränen das Brot , welches sie so sauer erworben hatte , und wußte nicht einmal , daß meine Tochter hungerte , um es mir zu geben !
Und mitten unter diesen Mühseligkeiten tröstete sie mich , wenn ich kummervoll auf sie blickte .
Ach , sie war das letzte , das einzige Gut , welches mir übrig blieb ; ihre Liebe , ihre Sorgfalt machte mich jede Not , oft selbst die Bekümmernis um sie vergessen , und nun - o , meine Tochter ! nun sollst du sterben ! -
Elisa . ( Ihn bei der Hand fassend . )
Guter Greis , seine Tochter kann ja noch gerettet werden .
Mangel an Hilfsmitteln und gehöriger Pflege haben vielleicht ihre Krankheit so schlimm gemacht , und diese Ursachen sollen nun aufhören .
Nun erblickte sie in der Ferne das Haus , welches der Greis bewohnte ; er wurde unruhiger , je mehr er sich demselben näherte .
Ach , meine Tochter , werde ich dich noch sehen ? rief er , als der Wagen stille hielt .
Angst und Liebe gaben ihm Kräfte ; er ging schnell in das Haus , Elisa und Henriette folgten ihm .
Ein Tisch , zwei Betten und zwei Stühle war alles , was in der Stube stand , und alles , was der Greis besaß .
Er warf sich auf das Bette seiner Tochter , sie lebte noch ; sie schlief , aber sie schien eine brennende Hitze zu haben .
Sie erwachte bald ; allein sie bekam einen heftigen Paroxysmus , aus welchem Elisa und Henriette schlossen , daß sie das hitzige Fieber hätte .
Elisa schickte nach Dunkelwalde , und ließ dort den Amtmann um Zitronen bitten , und bereitete Zitronenwasser , welches sie ihr trinken ließ , nachdem der Paroxysmus vorüber war .
Sie ließ sie nun in den Wagen bringen , und sie fuhren zurück nach Wallenthal ; sie wurde gleich in die Stube gebracht , welche für sie und ihren Vater bestimmt war ; auch war der Arzt schon vor ihnen da , und versicherte den Greis , daß sie noch nicht ohne Hoffnung wäre .
Elisa und Henriette wachten diese Nacht wechselsweise bei dem Mädchen , und nach einigen Tagen befand sie sich in der Besserung .
Den Tag vor ihrer Abreise ging Elisa mit ihrer Henriette noch einmal in die Wohnungen , welche sie für das Glück und die Ruhe so vieler Menschen errichtet hatte ; sie hatten dem Prediger von Wallenthal die Aufsicht über diese Anstalten ihrer Wohltätigkeit gegeben .
Sie nahm nun Abschied von den Kindern , versicherte sie ihrer beständigen Sorgfalt für sie , ermahnte sie zum Fleiße , zur Gelehrigkeit , und ihre Aufseher zur Ordnung und Treue .
Die fröhliche Miene der Kinder , ihre kindischen Versicherungen , daß sie immer alles gern tun würden , was die gnädige Frau haben wollte , freuten sie sehr ; sie erteilte noch einem jeden ein kleines Geschenk und verließ sie. Elisa ( Zu Henriette , nachdem sie aus dem Hause der Kinder gekommen ist . )
Liebe Henriette , was ist es doch für eine süße Empfindung , wenn man für das Wohl der Menschen arbeitet !
Wenn ich diese Kinder sehe , ist mir , als wäre ich an einem schönen Sommermorgen voller Erwartung eines schönen Tages ; ihre Gutmütigkeit läßt mich hoffen , daß sie den Zweck des Menschen erreichen werden , sie werden glücklich und in ihrem Stande nützlich sein .
Doch nun komme zu unseren Greisen , auch von ihnen will ich Abschied nehmen .
Sie fanden diese alle vor dem Hause versammelt ; auch Lotte war herausgekommen , um der schönen Frühlingsluft zu genießen , ob sie gleich noch nicht völlig hergestellt war .
Elisa . ( Nähert sich ihnen . )
Guten Tag , meine Lieben !
Seid Ihr alle noch wohl , noch zufrieden ?
Einige . Ach , gnädige Frau !
Ihre Güte - Elisa .
Ihr könnt doch wohl noch einige Bedürfnisse haben , die ich nicht kenne , und die ich leicht befriedigen könnte ?
Einige .
Einen Wunsch haben wir noch ; aber den kann nur der Himmel erfüllen .
Er ist für Ihr Glück .
Elisa . Ich danke Euch , meine Lieben !
( Eine Pause . )
Ich kam hierher , um von Euch Abschied zu nehmen , ich reise morgen weg .
( Alle sehen sich betrübt an , Elisa wendet sich zu Martin . )
Guter Greis , Er wird doch wohl nun auch bei uns wohnen bleiben ?
Er sieht unsere Einrichtung .
Seine Tochter braucht nun Seinen Unterhalt nicht mehr kümmerlich zu erwerben ; allein wenn sie künftig durch ihrer Hände Arbeit für sich etwas verdienen will , so werde ich dafür sorgen , daß sie immer Arbeit bekommt .
Greis . ( Tränen strömen von seinen Wangen . ) O , gnädige Frau !
Sie retteten sie vom Tode , Sie senkten Ruhe auf meine alten Tage , durch Sie kann ich mich meiner letzten Lebenstage freuen ! -
Nein , keine Worte können Ihre Güte und meinen Dank ausdrücken !
Alle zugleich . Ach , Sie haben uns alle glücklich gemacht !
Elisa . ( Gerührt. )
Es freut mich , meine Lieben , wenn es mir gelungen ist , Euch zufrieden gemacht zu haben .
Ihr könnt glauben , daß ich glücklich dadurch werde .
Lebt nun in Eintracht unter einander , und wenn ihr etwas verlanget , so sagt es dem Herrn Prediger , er wird es mir schreiben , und ich werde es euch gewähren , wenn ich kann .
Alle weinten jetzt , alle schlossen einen Kreis um Elisa'n , sie reichte einem Jeden die Hand .
Lotte warf sich zu ihren Füßen .
Gott , ihr deinen Segen ; stammelte ihr Vater . -
Lebt wohl , meine Freunde ! rief Elisa , ich werde euch nicht verlassen !
Sie wollte nun gehen , aber noch hielten einige ihr Kleid , einige ihre Hand .
Süße Tränen der Empfindung und der belohnten Tugend glänzten in Elisa's Auge .
Liebevoll blickte sie noch auf einen Jeden , und riß sich dann von ihnen los .
Segenswünsche und Danksagungen folgten ihr , und auf allen Gesichtern waren dieselben Empfindungen : Liebe , Dank , Freude und Rührung , ausgedrückt .
Henr . ( Nachdem sie einige Zeit schweigend fortgegangen sind . ) O ! meine Elisa , empfange meinen Dank , daß Du mich zur Zeugin Deines Glücks machtest !
Elisa . ( Umarmt Henriette . )
Deine teilnehmende Freundschaft erhöht jedes mich beseligende Gefühl , und Dir verdanke ich sie auch , Du lehrtest mich meine Pflichten erfüllen !
Henr . Nein , meine Elisa , die Vernunft gab Dir die Kraft , eine Leidenschaft zu besiegen , und die Natur dieses richtige Gefühl für das Gute und Schöne .
Elisa . Ja !
Dank der gütigen Vorsicht , daß ich beider Stimmen hören konnte , und daß nichts außer mir sie übertäubte !
Sie schenken dem Sterblichen , der auf sie hört , die seligsten Freuden !
Henr . Du kannst Dir nicht vorstellen , Elisa , wie sehr , seitdem ich hier bin , mein Glaube an Tugend und an die Glückseligkeit , die sie gewährt , gestärkt ist ! -
Es ist mir so süß , Deine Seelenruhe zu sehen , ich fühle es überzeugend , daß Du glücklich bist , und glücklich durch die Ausübung Deiner Pflichten !
Elisa . Ja , meine Henriette , ich bin es !
Mein Glück ist der Genuß innerer , wahrer Zufriedenheit , und die Aussicht einer immer glücklicheren Zukunft ; denn jedes tätige Bestreben , Nutzen und Glück um mich zu verbreiten , wird diese Zufriedenheit erhöhen .
- Und , Henriette - bald werde ich die süßesten Pflichten , Mutterpflichten zu erfüllen haben . -
O , welch ein seliges Vergnügen wird in ihrer Ausübung liegen !
Schon der Gedanke daran erfüllt mich mit unaussprechlicher Freude !
Henr . Ja , meine Elisa , auch ich fühle es , daß die Summe Deines Glücks sich mit der Summe Deiner Pflichten vermehrt .
Edles Weib !
Dank sei der Tugend , daß sie Dich belohnt für die Opfer , die Du ihr brachtest !
Elisa . Gewiß , Henriette , das tut sie immer , wenn die Menschen dieses nur versuchen wollten .
O , es ist so etwas Beruhigendes , so etwas Seliges in dem Gedanken :
ich erfülle alle meine Pflichten ; und je schwerer sie sind , desto mehr erhebt er uns in unserer eigenen Meinung , desto mehr Kraft finden wir in unserem Selbstgefühl , bloß nach den Gesetzen des Guten und Edlen zu handeln , selbst mit Aufopferung unserer liebsten Neigungen , um in uns die höchste Stufe menschlicher Größe zu erblicken ; denn Eigenliebe und Stolz bleiben doch immer mächtige Triebfedern unserer Handlungen . -
Ja , Henriette , oft denke ich , wie weit entfernt ich noch von jener himmlischen Tugend bin , welche immer sich gleich , stets ihren Pflichten gemäß handelt , ihnen ihre Neigungen , ihre Freuden opfert , und über alle Leidenschaften siegt .
Oft frage ich mich :
Wenn ich Herrmann zuweilen sähe , würde ich ihm und der Liebe widerstehen ?
Würde ich mich bestreben , eben so meine Pflichten gegen Wallenheim zu erfüllen , würde ich nicht nachlässiger darin werden , würde ich eben so geduldig , eben so bereit sein , jeden seiner Wünsche zu erfüllen ?
Ich zittere dann , die Antwort meines Herzens zu hören , und unterdrücke sie .
Siehe , heute , wo ich wirklich mit den Kindern , und der Besorgung für die Bequemlichkeit und Ruhe der Greise beschäftiget , wo ich von ihrem Abschied , von ihrem Dank gegen mich , gerührt war , wo selbst die göttliche Empfindung :
Diese Menschen mache ich glücklicher , mein ganzes Wesen durchströmte , lag doch der Gedanke :
Heute vor einem Jahre sah ich Herrmann zum Erstenmal , wie im Hinterhalte meiner Seele .
Sein Bild , wie er neben seiner Mutter stand , voll kindlicher Liebe , und Blicke des Wohlgefallens auf mich war_es , schwebte beständig vor mir ; Tränen des seligsten Vergnügens und der Rührung vergoß ich , als ich Abschied von den guten Leuten nahm ; aber zu gleicher Zeit entfuhren mir Seufzer , welche Herrmanns Andenken erpreßte .
Henr .
Meine edle Freundin , keine Blicke in die Vergangenheit !
Freude und Leid erteilte das Schicksal Dir in diesem Jahre , mutlos und traurig könnte ihr Andenken auf einige Zeit Dich machen !
Elisa . Besorge nichts , Henriette !
Hast Du vergessen , daß ich mir auch Gegenmittel bereitete ?
O , ich darf nur an meine Einwohner in Wallenthal denken , ich darf nur durch meine Bemühungen Wallenheim zufrieden und freundlich sehen , dann verliert das Andenken von seiner Stärke , und ich werde wieder ruhig .
Henr . Ja , diese Ruhe wird unvergänglich wie Deine Tugend sein !
Elisa . Enthusiastische Lobrednerin !
Vergißt Du mein voriges Geständnis ?
Henr . Du selbst , Elisa , tadelst Du Dich dessen ?
Elisa . Ich habe Dir schon gesagt , daß diese fortdauernde Liebe zu Herrmann mich von meinen Pflichten abziehen könnte , und also finde ich sie verwerflich .
Allein mir selbst kann ich bezeugen , daß ich diese Liebe zu schwächen mich bestrebe , daß ich nie vergesse , daß ich Gattin bin , und daß ich noch aufmerksamer auf mich sein würde , wenn Herrmann gegenwärtig wäre - und endlich , daß ich in ihm die Tugend liebe , und daß zugleich seine liebenswürdigen Eigenschaften es mir unmöglich machen , ganz aufzuhören , ihn zu lieben !
Henr . Du entschuldigest Dich also ?
Elisa . Ich kann über mich keinen Ausspruch tun , ich habe Dir mein Herz geöffnet .
Henr . In jeder gemeinen Seele würde ich so viel Liebe gegen einen Anderen verdammen ; aber mit Deiner Standhaftigkeit , mit Deiner Anhänglichkeit an Tugend , wird sie für Dich unschädlich !
Elisa . Glaubst Du , Henriette , daß das Weib , welches gewohnt wäre , alle ihre Begierden zu befriedigen , so lieben könnte , als ich ?
Henr . Wahr , Elisa !
Du läßt mich fühlen , daß keine gemeine Seele so lieben würde .
Elisa . Ach , ich mag mich nicht entschuldigen !
Ich fühle ja , wie teuer mir Herrmann noch ist ; allein wenn es nicht in meiner Gewalt ist , meine Neigung ganz zu unterdrücken , so sind doch meine Handlungen in derselben , und nie leitete Leidenschaft diese , sondern Erkenntnis des Guten .
Henr . Ja , Dank dem Urheber Deiner Tage !
Elisa . Wohl , Dank ihm !
Bei seinem Andenken schwor ich , der Tugend treu zu bleiben , auch bei dem Andenken des liebenswürdigsten Mannes , und nun bald werde ich es schwören , bei dem heiligen Namen Mutter , den ich erlangen werde ! - - Könnte ich wohl einen dreifachen Meineid begehen ?
Henr . O , Tugend ! wie erhaben machst du ! welch ein seliger Anblick , den Sterblichen zu schen , in dessen Herzen du wohnest !
Elisa . ( Umarmt Henriette mit Innigkeit . )
Meine Henriette , diese Wärme für sie teiltest Du mir mit !
Ja , Deine Gegenwart belebt jedes gute Gefühl dann aufs neue in mir .
Dein Herz versteht das meinige , dieses gibt ihm Leben und Wärme - Äch , und morgen schon müssen wir uns trennen ! -
( Tränen rollten bei diesen Worten von Beider Wangen .
Eine Pause . ) O , wie gerne bliebe ich hier in Wallenthal wohnen !
Hier sind mir meine Beschäftigungen alle so angenehm , und sie mit Dir teilen , ist mir doppelt süß .
In B... ist das Leben , welches ich führe , langweilig , ich habe dort keinen Freund , und hier finde ich der Freuden so viele .
Henr . Vielleicht kannst Du Wallenheim bewegen , einen Teil des Sommers hier zuzubringen .
Elisa . Vor der Jagdzeit wird er nicht herkommen , und dann fängt die Natur schon an zu trauern .
Und das Andenken an den vorigen Sommer wird in B... gewiß mir trauriger sein , als es mir hier sein würde .
Henr . Fast sollte ich glauben , daß die Einsamkeit und die Spaziergänge es lebhafter in Dir erwecken , und Dich folglich trauriger machen würden .
Elisa . Nein , Henriette ; hier beschäftigen so viele andere Gegenstände meinen Kopf und mein Herz .
Selbst wenn ich auf unseren Spaziergängen an Herrmann , an die Liebe und an ihre Freuden dachte , so zerstreute mich das Vergnügen , welches ich immer im Genuß der Natur empfinde .
Wenn man ihre Schönheit , ihre Mannigfaltigkeit betrachtet , so drängen sich so viele Gefühle , so viele Betrachtungen auf , daß man von den Hauptvorstellungen der Seele abgezogen wird .
Allein , eingeschlossen in B... , ist nichts , was zu meinem Herzen so nahe spricht , um mich jenen Erinnerungen zu entziehen .
Henr . Es sind aber auch keine Gegenstände da , welche Dich auf diese Erinnerungen leiten .
Elisa . ( Lächelnd. )
Dann werde ich nichts mehr von meiner Liebe für Herrmann fürchten , wenn ich an ihn erst muß erinnert werden .
( Sie seufzt . )
Und jetzt - wo jeder Tag mir die Vergangenheit zurückruft ! -
Doch laß uns hiervon abbrechen , Henriette ; ich habe schon das Gesetz , welches ich mir machte , überschritten .
- Sie gingen nun schweigend nach Hause .
Dieser Abend war für Beide traurig , denn Beide empfanden aufs Neue den Schmerz der Trennung .
Indes freute sich doch Elisa , ihren Gatten wieder zu sehen ; ihre Abneigung gegen ihn hatte sie überwunden , und nach ihren Grundsätzen konnte der Mann , der ihr Gatte war , der Vater ihres Kindes sein würde , ihr nicht gleichgültig sein .
Sie hatte ihm geschrieben , und ihm den Tag bestimmt , an welchem sie zurückkommen würden ; allein sie fand ihn nicht zu Hause .
Erst um Mitternacht kam er zurück ; sie eilte ihm entgegen und umarmte ihn .
Wahlen . ( Verwundert. ) Sie noch auf , Elisa ?
Ich glaubte , Sie würden zu sehr von der Reise ermüdet sein ?
Elisa . In der Tat bin ich etwas müde ; allein ich wünschte doch , Sie heute noch zu sehen !
Wahlen . ( Küßt ihre Hand . )
Elisa , Sie sind zu gütig !
Ein Lächeln , und der sanfteste Händedruck war ihre Antwort .
Wallenheim war gerührt über ihre Aufmerksamkeit , ihre Nachsicht gegen ihn , in dem Augenblick , da er ihr den empfindlichsten Beweis seiner Kälte gegeben hatte .
Den ganzen folgenden Tag war er äußerst gefällig gegen sie ; allein der Eindruck verlosch wieder , und sein Betragen gegen sie blieb dasselbe .
- Erst in der Mitte Augusts reiste Wallenheim mit seiner Gattin nach Wallenthal .
Wie im vergangenen Jahre war dort die Jagd seine einzige Beschäftigung , und Elisa der Einsamkeit überlassen ; allein ihre Beschäftigungen machten ihr diese süß .
Unaufhörlich mit dem Glücke der Einwohner Wallenthals beschäftiget , vergoß sie oft Freudentränen , wenn sie auf so vielen Gesichtern Zufriedenheit und Freude las .
Täglich besuchte sie die Kinder und die Greise , und der Anblick aller dieser Geschöpfe war eine unerschöpfliche Quelle des süßesten Vergnügens für sie .
Auch war sie jetzt nicht bloß ruhig und heiter , sondern lustig und froh .
Selbst Wallenheim teilte sie diese Heiterkeit mit ; oft vergaß er des Nachmittags zur Jagd zurückzukehren , indem er mit Elisa'n die Stunden verplauderte ; sie ging dann mit ihm in das Dorf .
Fleiß , Unschuld und Freude fand er , durch die Bemühungen seiner Gattin , bei seinen Untertanen vereiniget , er wurde oft dadurch gerührt ; denn wo ist der Sterbliche , auf den das Bild der Tugend und des Glücks ganz seine Macht verloren hätte ?
Elisa freute sich , wenn sie sein Herz sich den Empfindungen der Liebe und der Freude öffnen sah ; er selbst war dann vergnügter , und sagte zu Elisa'n , sie sei für ihn die Schöpferin neuer , ihm unbekannter , Freuden .
Elisa . O , Carl ! dann wäre ja mein heißester Wunsch , Sie heiter und glücklich zu machen , erfüllt !
Wallenheim . O , daß ich eine Seele hätte , wie die Ihrige ; so empfänglich für jedes Gute , so wohlwollend , so frei von Fehlern , damit auch Sie in der Übereinstimmung mit mir , so glücklich würden , als Sie es verdienen !
Elisa . Glauben Sie mir , Wallenheim , ich bin es schon durch Ihren Beifall , Ihre Zufriedenheit , und die Liebe , welche alle diese guten Leute gegen mich hegen .
Wallenheim . ( Umarmt sie . )
Vortreffliches Weib ! -
So nannte Wallenheim stets seine Gattin , wenn er von ihren Tugenden gerührt war ; allein der Eindruck davon war nicht von Dauer .
Von Natur zurückhaltend , kalt und in sich verschlossen , konnten Bewunderung und Liebe wohl auf einige Augenblicke sein Herz erwärmen , aber nicht in demselben haften .
Sein Charakter blieb derselbe , und äußerte sich immer auf eine gleiche Art .
Gegen Ende des Septembers kam Wallenheim mit seiner Gattin zurück nach B... , weil Elisa ihre Niederkunft erwartete .
Sie gebar einen Sohn .
Sie schrieb an Henriette , sechs Wochen , nachdem sie Mutter geworden war : " O , meine Henriette , laß mich Dir das süße Gefühl mitteilen , welches mich jetzt so unaussprechlich glücklich macht !
Ich schreibe Dir , neben der Wiege meines Sohns , fast in jedem Augenblicke meine Blicke auf ihn richtend , mein Herz ihm entgegen klopfend .
- Wie sanft er ruhet ! -
O , Henriette ! mächtig drängt sich der Gedanke mir auf :
Immer wird er so ruhen , wenn Du sein Herz zur Tugend bildest ! -
Ach ! seit dem Augenblicke seines Daseins fühlte ich diese Verpflichtung , und zitterte , daß ich zu ohnmächtig sein würde , sie ganz erfüllen zu können !
Wie kann man noch leichtsinnig sein , nachdem man Mutter ist ?
Wie kann es noch Weiber geben , welche bei dem Gedanken nicht erschüttert werden :
Dieses Geschöpf ist deiner Sorgfalt anvertrauet , du kannst vielleicht durch die guten , oder die schlechten Eindrücke , die es durch dich empfängt , das Glück oder das Unglück seines Lebens bestimmen ?
Und dieses Geschöpf , dessen Schicksal vielleicht in deiner Hand steht - ist dein Kind !
Henriette , diese Worte schallen beständig vor meinen Ohren .
Wenn ich des Nachts erwache , so ist Carl mein erster Gedanke , und stundenlang bin ich mit Entwürfen seiner Erziehung beschäftiget .
Denn ungeachtet alles dessen , was man jetzt über Erziehung schreibt , ist sie doch im Ganzen noch nicht viel besser als sonst .
Und so lange Mütter nicht selbst dieses Geschäft übernehmen , wird sie es auch nie sein ; denn die erste Erziehung ist ganz von ihnen abhängig , und schon in den ersten Jahren der Kindheit kann man die junge Seele zum Guten gewöhnen , ihr Liebe dafür einflößen ; denn die Eindrücke , welche sie dann bekommt , bleiben unauslöschlich das ganze Leben hindurch .
Und wer ist wohl geschickter , das Herz eines Kindes zu bilden , als eine kluge und tugendhafte Mutter ?
Wer wird mit mehrerer Wärme , mit mehrerer Sorgfalt daran arbeiten , als sie ?
Gewiß , auch der geschickteste Erzieher nicht . -
O , ich will sie alle erfüllen die Pflichten , welche die Natur mir auferlegte !
Mein Carl soll beständig bei mir sein , ich will seine ersten Handlungen , seine ersten Neigungen leiten ; stets will ich ihn beobachten , um die Anlagen seiner Seele zu entdecken , und ich selbst will seine ersten Fähigkeiten entwickeln .
Nur meine Liebe zu ihm , fürchte ich , könnte mich vielleicht verblenden , parteiisch machen .
Ach , ich kenne so viele gute Mütter , welche es nicht ahnden , daß sie die Fehler ihrer Kinder übersehen , und sich von ihrem Willen leiten lassen !
O , wärest Du bei mir , meine Henriette , Du solltest mich warnen , wenn Du sähest , daß mütterliche Zärtlichkeit die Klugheit besiegte ! -
Ich bin allein ; Wallenheim beobachtet mich zu wenig , und ist zu wenig bei mir , als daß er bei der Erziehung meines Kindes mein Freund und Ratgeber werden könnte ; ich muß mich also auf mich selbst verlassen , und mit doppelter Anstrengung will ich über mich wachen , damit meine Liebe nicht Schwachheit werde .
- Du weißt , daß ich selbst mein Kind stille , Wallenheim erlaubte es mir , und stets hielt ich es ja für die erste Pflicht der Mutter , wenn ihre Gesundheit es erlaubet ; und jede unverdorbene Seele , jedes Weib , welches nicht Gefühl für die Natur und ihre Freuden verloren hat , wird gewiß in dieser mütterlichen Pflicht eine ihrer seligsten Vergnügungen finden .
O , wenn mein Carl an meinem Busen liegt , wenn das Lächeln seines Wohlbehagens mir der Ausdruck seines Danks und seiner Liebe zu sein scheint , und ich mir dann sage :
Mit der ersten Nahrung , welche die Natur ihm bereitete , saugt er keine wilden Leidenschaften , keine Keime des Lasters ein , sondern die ruhigen , wohlwollenden Empfindungen seiner Mutter ; wenn seine Bildung , sein künftiges Glück mich dann beschäftigen -
O , Henriette , dann kenne ich nur zwei Empfindungen : Liebe und Freude ! die reinste Liebe und die seligsten Freuden !
Mütterliche Empfindungen sind noch über die Empfindungen der Liebe , und nie war ich so glücklich an Herrmanns Seite , als ich es bin , meinen Sohn in meinen Armen haltend .
Selbst Wallenheim ist mir , seitdem ich Mutter bin , teurer geworden .
Er ist der Vater meines Kindes . -
Ach , ich fühle es , wie viel Liebe dieser Name heischt !
Und auch ich bin ihm nicht mehr so gleichgültig , seitdem ich Mutter bin .
Er wünschte sehr einen Sohn , und Du kannst nicht glauben , wie sehr ich mich freute , daß sein Wunsch erfüllt wurde .
Als er zum Erstenmal das Kind an meinem Busen sah , blieb er lange , mich betrachtend , stehen ; seine Blicke drückten Vergnügen und Rührung aus .
Endlich umarmte er mich und das Kind , und sprach :
O , möchtest du doch mit der Milch deiner Mutter alle ihre Tugenden einsaugen !
Dieser Ausruf rührte mich sehr ; o !
ich nahm es mir vor , mit Geduld seine Fehler zu ertragen !
Ich sehe , daß sein Herz der Empfindung fähig ist , und wären wir immer in Wallenthal , es würde mir gelingen , es für jedes gute Gefühl zu erweichen ; allein in B... erstickt Liebe zur Pracht und zum Spiel jede andere Empfindung , welche Vaterliebe und Achtung zu mir in ihm erregt .
Auch ist er jetzt wieder viel abwesend , und wenig bei mir ; allein die ersten Wochen nach meiner Niederkunft verließ er mich fast gar nicht .
Ich werde diesen Winter wenig ausgehen .
Wie froh bin ich , daß ich von dem Zwange und der lästigen Gesellschaften befreiet sein werde !
Zu Hause , mit meinem Kinde beschäftiget , werde ich der stillen häuslichen Freuden genießen , und die Gesellschaft meines kleinen Karls wird mir unterhaltender sein , als alle die glänzenden Zirkel , in welchen ich im vergangenen Jahre so viele Stunden langweilig zubrachte .
Hätte ich meine Henriette nun noch , o , dann würde Freundschaft und mütterliche Liebe , jede Stunde mir den reinsten Genuß des Lebens gewähren ! -
Carl erwacht .
- Lebe wohl , meine Henriette !
Mein Sohn entzieht mich Dir ! " -
Ja , Elisa erfüllte sie treu , die Pflichten der Mutter ; sie wurde ihres Sohnes erste Erzieherin , und schon mit dem ersten Augenblick seines Daseins weihte sie ihm ihre ganze Sorgfalt .
Sie hatte es von Wallenheim erlangt , daß , auch nachdem sie aufgehört hatte , ihn zu stillen , sie doch nicht mehr so viel in Gesellschaft zu gehen brauchte , und nachdem Carl ein Jahr alt war , nahm sie ein Frauenzimmer von mittlerem Alter und guter Erziehung zu sich , welcher sie den Plan ihrer Erziehung mitteilte , ihr Verhalten gegen ihn bestimmte , unter deren Aufsicht er blieb , wenn sie abwesend war .
Im Sommer ging Wallenheim mit seiner Gattin wieder auf einige Wochen nach Wallenthal , und Henriette , welche sie nun über ein Jahr nicht gesehen hatte , erhielt von der Baronin von Hohnau und Karolinen die Erlaubnis , ihre Freundin dort zu besuchen .
Sie fand Elisa'n vergnügt und glücklich ; ihre Miene war ganz wieder der Ausdruck der Ruhe und Unschuld : aber Wallenheim schien ihr noch eben so rauh , eben so mürrisch zu sein , als er es in Hohnauschloß war .
Wie ehrwürdig fand sie ihre Freundin , wenn er voller übler Laune ihr sein Mißvergnügen über einige Anordnungen , die sie in ihren häuslichen Angelegenheiten gemacht hatte , und welche nicht seinen Beifall hatten , in ziemlich harten Ausdrücken zu verstehen gab , und sie dann mit dem sanftesten Tone ihm ihre Ursachen , warum sie so gehandelt habe , sagte , und ihm bewies , daß es auch so am besten wäre ; allein immer noch hinzusetzte :
Doch , lieber Wallenheim , wenn Sie da noch einige Fehler entdecken , so sagen Sie es mir , wir wollen es abändern .
Wir Beide vereint , werden gewiß die Sache richtiger einsehen , als wenn ich sie nur allein betrachte .
- Wenn er sein Unrecht erkannte , so schwieg er , oder sagte :
Ich hatte diese Ursachen nicht erwogen .
Dann blickte sie ihn liebevoll an , ergriff seine Hand , und sagte : Sie sind doch nicht böse ?
Aber gewiß , ich hätte nicht geglaubt , daß Sie diese Anordnung mißbilligen würden .
Einst antwortete er ihr unwillig :
" Ich habe Ihnen ja schon gesagt , daß es gut ist , " und wandte sich weg .
Henriette sah eine Träne in Elisa's Auge , aber in eben dem Augenblicke ging sie hinaus , und kam mit Carln auf dem Arme zurück ; ihre Miene war freundlich und heiter ; sie spielte einige Zeit mit dem Kinde , und Wallenheim betrachtete mit Vergnügen die Lebhaftigkeit und freundliche Miene desselben .
Als sie dieses bemerkte , näherte sie sich ihm , und der Kleine streckte seine Arme gegen ihn aus .
Beider Blicke fielen auf ihn , und begegneten sich ; Güte und Liebe drückten Elisa's Blicke aus .
Wallenheim gerührt umarmt sie .
Elisa . ( Nach einer Pause , indem Wallenheim noch seinen Arm um sie geschlungen hat , und seinen Sohn liebkoset . )
Wie glücklich unser Carl ist , wenn er zwischen uns Beiden ist !
Wahlen . ( Nimmt das Kind auf seinen Arm . ) O , Carl , sei Du immer mein Fürsprecher bei Deiner Mutter !
Elisa . Und der Meinige bei Deinem Vater !
Wahlen . ( Nimmt ihre Hand und küßt sie . )
Nein , meine Elisa , Ihre Tugenden sind das ! -
Nun drückte er sein Weib und seinen Sohn noch einmal an seine Brust , und ging hinaus .
Henr . ( Nachdem er hinaus ist . )
Vortreffliches Weib !
Wie rührend , wie erhaben war Deine Sanftmut , Deine Zärtlichkeit , Deine Güte !
Elisa . Sage auch Wallenheims Vaterliebe , das schweigende Bekenntnis seines Unrechts .
Henr .
Jeder Deiner Blicke mußte es ihn ja fühlen lassen .
O , er hätte aufhören müssen , ein Mensch zu sein , wenn Deine Sanftmut , Deine Zweifel , indem Du wußtest , daß Du Recht hattest , die scheinende Vergessenheit seiner Beleidigung , als Du mit dem Kinde zurückkamst , und Deine , nur Liebe sprechenden Blicke nicht diese Wirkung auf ihn gemacht hätten !
Elisa . Zu sehr , meine Henriette , erhebt Deine Freundschaft mein Verdienst .
Eine Frau sollte , ohne die Zustimmung ihres Mannes , keine Anordnung in ihren häuslichen Angelegenheiten machen ; nur weil Wallenheim sich so wenig um die Seinigen bekümmert , und mir oft , wenn ich ihn um Rat frage , antwortet :
" Tun Sie , wie Sie wollen ! " bin ich genötigt , fast immer nach meinem eigenen Gutdünken zu handeln .
Doch selten tue ich es , ohne es ihm zuvor gesagt zu haben ; allein als ich diese Anordnung traf , über die er unzufrieden war , war er abwesend , und sie schien mir so notwendig zu sein , daß ich weiter kein Bedenken darüber hatte .
Allein , aus welchem Rechte konnte ich verlangen , daß Wallenheim sie aus eben dem Gesichtspunkte betrachten sollte , als ich ?
Es war also meine Pflicht , sie ihm in demselben zu zeigen ; aber nicht in einem entscheidenden , seines Rechts sich bewußt , und es behauptenden Tone ; dieser erzeugt Erbitterung , und auf der anderen Seite auch Behauptung des Willens ; sondern Gründe der Vernunft , Sanftmut und Zweifel über die Gerechtigkeit unserer Sache , müssen wir anwenden , wenn wir überzeugen und uns rechtfertigen wollen .
Wer kann ihnen widerstehen ?
Der Vernunft muß man oft selbst unwillkürlich nachgeben : allein dieses Nachgeben beleidiget doch oft unsere Eigenliebe , und dieses machte Wallenheim unwillig auf mich .
Im ersten Augenblicke schmerzte mich dieses ; allein die Betrachtung , daß , Wallenheims eigensinnigem , unbeweglichem Charakter gemäß , es ihn ärgern mußte , daß er zwar nicht mir , doch meinen Gründen nachgeben mußte , ließ mich seine Beleidigung vergessen , oder vielmehr machte , daß ich sie nicht mehr als eine solche empfand .
Ich war hinausgegangen , weil sein ungerechter Unwille mir eine Träne erpreßte , und ich wollte nicht , daß er sie erblickte , weil sie ihm ein Vorwurf seines Unrechts gewesen wäre ; allein sobald die vorige Betrachtung dieses entschuldigte , sann ich auf ein Mittel , ihn zu besänftigen .
Ich hätte ihm sonst als ein herrschsüchtiges Weib erscheinen können , ich hätte vielleicht einen Teil seiner Achtung verloren , und mir diese bei ihm zu erhalten , ist mir Pflicht .
Ich wußte , daß Carl ihn von seinen Gedanken abziehen , und mir ein Mittel verschaffen würde , mich mit ihm wieder auszusöhnen , und darum kam ich mit ihm herein .
Du siehst also , Henriette , daß ich nur meine Pflicht erfüllte , und daß jedes andere Betragen tadelhaft gewesen wäre .
Henr . Möchten doch alle Weiber Alles in einem solchen Lichte betrachten , als Du , und solche richtige Folgerungen machen , wie viel seltener würden in den Ehen Zwist und Uneinigkeit sein , welche oft Haß und wirkliche Übel erzeugen !
Elisa . Gewiß , Henriette , wenn Gatten es sich zum Gesetze machten , nur der Vernunft zu folgen , so würde fast immer Übereinstimmung zwischen ihnen sein .
Wenn entgegengesetzte Meinungen sie von einander entfernen , so muß Vernunft der Mittelpunkt sein , der sie wieder vereiniget .
Von ihrer Fackel erleuchtet , müssen sie unparteiisch die Gründe für und wider untersuchen , und von denen sich leiten lassen , welche sie für die besten erklärt .
O , daß wir uns doch gewöhnten , daß wir doch unsere Kinder gewöhnen möchten , von Jugend an nach Gründen zu handeln !
Wenn ein Weib in jedem Augenblicke ihrem Gatten sagen könnte : warum sie so gehandelt habe , warum sie so handeln will ? -
Wenn sie dieses mit Sanftmut täte , und Vernunft und Wahrheit wären auf ihrer Seite , würde er wohl da noch zornig sein , noch hartnäckig seinen Willen behaupten ?
Allein gesetzt , er fände das Gegenteil für besser , dann ist es ihre Pflicht , seinem Willen gemäß zu handeln , wenn dieses nicht gegen die ersten Pflichten , gegen die Pflichten als Mensch streitet .
- Hätte mir Wallenheim heute , nachdem ich ihm meine Gründe vorgestellt hatte , gesagt :
Ich finde diese Ursachen nicht hinreichend , und ich will , daß dieses anders eingerichtet werden soll , - so hätte ich seinem Willen gefolgt , ohne ihm weiter etwas zu sagen .
Aber auch dann muß das Weib nicht mürrisch sein , nicht Unwillen oder Unzufriedenheit zeigen , nicht dem Gatten Vorwürfe machen , wenn die Folgen seines genommenen Entschlusses unangenehm sind , sondern suchen , sie aufzuheben , oder sie unwirksam zu machen .
- So wird sie Ruhe und Einigkeit erhalten , und das Glück ihres Gatten , ihr eigenes , und das ihrer Familie machen .
Henr . Ich höre Dich mit Vergnügen .
O , wenn man diese Grundsätze den jungen Mädchen ins Herz prägte , wenn man sie es empfinden ließe , es ihnen anschaulich machte , welchen erhabenen Platz sie in der Schöpfung einnehmen könnten , wenn ihr Gatte , ihre Kinder , die Unglücklichen , deren Wohltäterinnen sie waren , und künftige Generationen noch , sie als die Stifterinnen ihres Glücks verehrten , würden sie um diesen Preis nicht den so wenig befriedigenden , so schnell vorübergehenden Vergnügungen , den Künsten der Koketterie , und das Wohlgefallen daran , welches sie verächtlich macht , entsagen ?
Elisa . Ja , Henriette , die wahre Bestimmung des Weibes ist edel , und wer dieses recht empfindet , wird gewiß suchen , sie zu erfüllen .
Allein lehrt man sie diese kennen ? -
In den großen Städten , in der großen Welt , wird der Wert des Weibes in Annehmlichkeit und Grazie gesetzt ; zu glänzen , dieses ist der Zweck ihrer Erziehung ; hierauf wurden alle Fähigkeiten ihres Geistes gerichtet .
Mit dem Verlangen nun Eroberungen zu machen , mit der Begierde der Vergnügungen zu genießen , mit einer Leere des Geistes und des Herzens tritt das junge Mädchen nun in ihrem fünfzehnten oder sechzehnten Jahre in die Welt .
Alles schmeichelt da ihre Sinne , überall erblickt sie Beispiele der Koketterie , der Zügellosigkeit , in dem Gewande des Witzes , der Annehmlichkeit und der Galanterie ; sie wird fortgerissen , sie glaubt auf der Bahn der Vergnügungen die Blumen ihres Frühlings zu pflücken ; so wird sie verheiratet , ihre Vergnügungen , ihre Leidenschaften zu befriedigen , ist ihr zum Bedürfnis geworden , weil ihr Geist keine andere Beschäftigungen kennt , als diese , und ihnen opfert sie die Pflichten der Gattin und Mutter , von denen sie kaum einen Begriff hat . -
Auf dem Lande und in den Provinzstädten ist der Begriff vom wahren Werte des Weibes eben so unrichtig ; man läßt ihn in einer guten Haushälterin bestehen , und macht also einen Teil ihrer Pflichten zum ganzen Umfange derselben .
Allein an die moralische Bildung des Mädchens wird nirgends gedacht ; sie kann so eine gute Wirtschafterin , eine geschickte Näherin werden , allein nicht Gattin , nicht Mutter , nicht Erzieherin ; nicht das kluge , über das wahre Interesse ihrer Familie aufgeklärte Weib , nicht die weise und gute Hausfrau , welche die Mutter aller ihrer Leute ist , nicht die liebevolle Freundin der Menschen , welche tätig am Glücke ihrer Mitbrüder arbeitet .
- Denn nur der richtige Begriff von ihrer wahren Bestimmung , und eine richtige Bildung des Verstandes , werden sie zu dem allen machen . -
Kaum hatte Elisa aufgehört , zu sprechen , als Wallenheim mit einem anderen jungen Manne hereinkam ; er nahm ihn bei der Hand , und führte ihn zu seiner Frau : Liebe Elisa , sprach er , Herr von Felsig ist seit Kurzem unser Nachbar geworden ; er ist einer meiner besten Freunde , und er wünschte , die Gattin seines Freundes kennen zu lernen .
Elisa begrüßte ihn freundlich .
Felsig blieb zu Mittage bei ihnen ; er hatte nicht das Rauhe von Wallenheim , sondern etwas Sanftes und Einnehmendes in seinem Wesen .
Die Gewohnheit , sich von ihrer ersten Jugend an zu sehen , hatte Felsig und Wallenheim zu Freunden gemacht ; denn Beider Landgüter grenzten an einander ; allein Felsig war erst seit einigen Wochen , nach dem Tode seines Vaters , Besitzer desselben geworden ; sein Vermögen war indes nur mittelmäßig .
Er kam oft nach Wallenthal , Henriette gefiel ihm ; Elisa sah mit Vergnügen ihre gegenseitige Neigung .
Oft wenn Felsig und Henriette traulich beisammen gingen , dachte sie an Herrmann , an ihre Liebe , und dieses Andenken erpreßte ihr Tränen .
Sie verließ sie dann , eilte zu ihrem Carl , drückte ihn an ihren Busen , und rief aus : Du bist Wallenheims Sohn !
Mütterliche Liebe unterdrückte das zu lebhafte Andenken an ihren Geliebten , sie wurde dann wieder ruhig und heiter , und ihren Carl im Arme , erwartete sie das liebende Paar , und freute sich ihres Glücks .
Einst als sie von ihrem Spaziergange zurückgekommen waren , warf Henriette sich um ihren Hals : Elisa , sei Du die Erste , welche meine Empfindungen mit mir teile , und welche der Wahl meines Herzens Beifall gebe !
Elisa . Schon längst billigte ich sie , meine Henriette , und freute mich , daß durch sie wir nun nicht mehr so viel getrennt sein würden .
Felsig . O , meine gnädige Frau ! könnte ich ihnen die Größe meines Glücks schildern !
Noch immer zweifelte ich , ob meine Henriette meine Liebe erwidern würde .
Oft hoffte ich es , wenn ich sah , daß errötend ihre Blicke sich von mir wandten , und doch hatte ich nur erst heute den Mut , ihr meine Seele zu öffnen .
Elisa . Einer meiner heißesten Wünsche war Henriettes Glück , und seine Gewährung erfüllt mich mit Freude .
Gerührt umarmten sich Elisa und Henriette .
Felsig nahm Beider Hände und küßte sie ; endlich schlang er seinen Arm um Henriette :
O , Henriette ! sprach er , ich empfange Sie aus der Hand Ihrer Freundin !
Und jetzt empfand Henriette die ganze Größe des Opfers , welches Elisa der Tugend gebracht hatte ; sie empfand , wie viel sie gelitten hatte , und ihre Augen füllten sich mit Tränen .
Auch Elisa erinnerte sich , wie sie , nach dem ersten Geständnisse ihrer Liebe , mit Herrmann am Halse seiner Mutter hing , welche Freudentränen vergaß , und alle Szenen ihrer Liebe und ihrer Leiden schwebten mit Einemmal vor ihrer Einbildungskraft .
Sie drückte ihrer Freundin die Hand ; eine lange Pause erfolgte ; endlich stand Elisa auf : Sein Sie glücklich ! sprach sie bewegt , und ging hinein , um dem Andenken ihres Herrmanns einige Tränen zu weihen .
Felsings Mutter lebte noch , und wohnte bei ihm in Felsingburg .
Als Felsig ihr seinen Entschluß eröffnete , Henriette zu heiraten , fragte sie gleich : wie viel Vermögen Henriette besäße ?
Und erklärte ihrem Sohne , nachdem dieser ihr gesagt , daß sie gar nichts besäße , daß sie nie in die Heirat willigen würde , da sein verstorbener Vater es ihr anbefohlen hätte , keine Heirat ihres Sohnes mit einem armen Mädchen zu gestatten , weil noch Schulden auf Felsingburg hafteten , welche , wenn nicht ein Teil davon bezahlt würde , vielleicht Felsig in der Folge nötigen könnten , das Gut zu verkaufen , und er wollte nicht , daß es je aus seiner Familie kommen sollte .
Alle Versicherungen Felsings , nie Felsingburg zu verkaufen , sondern durch Sparsamkeit und gute Wirtschaft die Schulden in der Folge abzutragen , konnten Frau von Felsig nicht bewegen , ihren Entschluß zu ändern .
Nie , sagte sie , wirst Du mit meiner Einwilligung Fräulein von Wannberg heiraten , und ich werde Alles tun , diese Verbindung zu hindern .
Niedergeschlagen kam also Felsig am anderen Tage nach Wallenthal , und entdeckte Henriette und Elisa'n die Widersetzung seiner Mutter gegen seine Verbindung , und ihre Gründe dazu .
Allein die Gesetze , sprach er zu Henriette , machen mich unabhängig von dem Willen meiner Mutter ; ich bin frei , und nichts soll mich hindern , Sie , liebenswürdige Henriette , die Meinige zu nennen !
Henr . Felsig !
Nie werde ich es ohne die Einwilligung Ihrer Mutter !
Ich weiß , daß Kinder nicht genötigt sind , dem Eigensinne ihrer Eltern ihr Glück zu opfern , daß sie es selbst nicht müssen , wenn nicht unbedingte Notwendigkeit , oder die dringendsten Ursachen sie dazu bewegen .
Allein ich will nicht die Ursache Ihres Ungehorsams gegen Ihre Mutter sein , durch mich soll das heiligste Band der Natur nicht zerrissen , und Mutter und Sohn nicht getrennt werden .
Nun wandte Felsig auch bei Henriette vergebens seine Beredsamkeit an , ihren Entschluß zu ändern ; sie beharrte auf ihrem Vorsatz .
Elisa versprach Fehlsingen , am folgenden Tage mit Wallenheim nach Felsingburg zu kommen , und Alles anzuwenden , seiner Mutter Einwilligung zu erhalten .
Sie erfüllte ihr Versprechen ; allein ihre Bemühungen waren umsonst .
Frau von Felsig erklärte ; Hätte Henriette nur einiges , nur weniges Vermögen , so wollte sie in die Verbindung willigen , um ihrem Sohne zu willfahren ; allein ein ganz armes Mädchen könnte nicht ihre Schwiegertochter werden , sie würde sonst die letzte Pflicht gegen ihren verstorbenen Gatten verletzen .
Wallenheim und seine Gattin verließen also Felsingburg , ohne den geringsten Vorteil für ihre Freunde erlangt zu haben .
Als sie zurückfuhren , bat Elisa ihren Gatten , ihr zu erlauben , Henriette sechstausend Taler von ihrem Vermögen zu schenken .
Sie versprach ihm , den Aufwand für ihre Person , der zwar geringe war , noch mehr einzuschränken .
Glauben Sie mir , Carl , sagte sie , es wird mich stolz machen , in meinem einfachen Gewande neben den prächtig gekleideten Weibern zu stehen !
Ich werde es mit Entzücken fühlen , daß ich besser mit den wahren Freuden des Lebens bekannt bin !
Wenn Andere in der Sphäre ihres Putzes leben , werde ich des Glücks meiner Freundin genießen , und mir sagen : auch ich trug bei , es zu befördern ! Wahlen .
Ich werde Sie nie verhindern , die uneingeschränkte Sachwalterin Ihres Vermögens zu sein , es ist das Ihrige ; ich bin reich ; was Sie verschenken , ist Ihr Verlust !
Lebhaft dankte ihm Elisa ; sie konnte kaum ihre Freude verbergen , als sie Henriette die abschlägige Antwort der Frau von Felsig mitteilte .
Am anderen Morgen gingen die beiden Freundinnen , wie gewöhnlich , spazieren ; Elisa hatte diesmal Carln mitgenommen ; sie trug ihn selbst .
Sie setzten sich auf eine Rasenbank im Tannenwalde .
- Es war hier , wo Felsig Henriette seiner Liebe versichert , und das Geständnis ihrer Gegenliebe erhalten hatte , darum wählte Elisa diesen Platz .
Henriette war sehr niedergeschlagen , ihre Blicke weilten auf Elisa'n , welche mit dem vollen Ausdrucke mütterlicher Zärtlichkeit und mütterlicher Freude ihren Sohn anlächelte , der an ihrem Busen lag .
Henriette dachte an Felsig , an den Abend , da er ihr hier seine Liebe gestand , und mit dieser Erinnerung verbanden sich dunkle Vorempfindungen von Freuden , die sie gehofft hatte , und welche Elisa's Anblick in ihr erregte .
Ihr selber unbewußt , rollten Tränen von ihren Wangen ; die aufmerksame Elisa erblickte sie , sie reichte ihrer Freundin die Hand .
Henriette , sprach sie , Dir verdanke ich größtenteils das Glück meines Lebens !
Als der Tod mir meinen Vater entriß , und meine Mutter und Caroline nur Gleichgültigkeit gegen die Tochter und die Schwester empfanden , da warst Du mir Alles !
Du warst das einzige Geschöpf , welches mich liebte , das Einzige , in dessen Arme ich mit Zuversicht mich werfen konnte !
Aber Du befestigtest mein Glück , als Du meine Einbildungskraft ordnetest .
Auf wirkliche Gegenstände geleitet , lernte ich durch Dich die wahren Verhältnisse kennen , und die Pflichten , die sie heischen ; ich lernte , daß nicht eine warme Einbildungskraft , nicht aufwallende Empfindungen , sondern kalte Vernunft unsere Führerin sein muß ; und dieser Richtung meines Geistes verdanke ich meine Ruhe , meine Heiterkeit ; sie gab mir Kraft , mein Glück meinen Pflichten aufzuopfern , und belohnte mich dafür .
O , in den trüben Stunden meines Kampfes warst Du wieder meine Trösterin , meine Ratgeberin !
An Deinem Busen konnte ich weinen , als man mir Mitleid versagte ; warmes Mitgefühl schlug in Deinem Herzen , als ich auf jedem Gesichte Kälte las ! -
Und , Henriette , für alle diese Erteilungen des Trostes , der Freude , erlaubest Du der Freundschaft , Dir eine zu erwidern ?
Henr . Ich verstehe Dich nicht , Elisa .
Elisa . Darf ich Dir nicht einen von den unzähligen Vorteilen zurück geben , welche ich durch Deine Freundschaft erhielt ?
Henr . Liebe Elisa , gewährte mir denn die Deinige nicht eben so viel , als Dir die Meinige ?
Elisa . O , wenn das ist , meine Henriette , wenn Du fühlst wie ich ; dann wirst Du mir meine Bitte nicht abschlagen !
Henr . Und du könntest zweifeln , daß ich etwas Dir versagen würde , was Dir Vergnügen macht ?
Elisa . Verzeihe mir , meine Henriette !
Aber Du kannst mich so glücklich machen .
Henr . Du spannst meine Erwartung auf das Höchste , so sprich doch !
Elisa . ( Umarmt sie )
Sei groß genug , meinen Dank nicht auszuschlagen !
Erröte nicht , ein Geschenk von der Freundschaft anzunehmen !
Henr . ( Verwundernd. ) Was willst Du tun ?
Elisa . Dir Deinen Felsig geben !
( Sie gibt ihr ein Blatt Papier , welches die Verschreibung der sechstausend Taler ist . )
Hier sind sechstausend Taler , sie gehörten mir , jetzt Dir !
Henr . Nein , Elisa , Deine Großmut verschweigt Dir die Größe dieses Geschenks !
Elisa . So siegt falsche Delicatesse über mich , über die Freundschaft ?
So glaubt Henriette , daß sie größer handelt , wenn sie mich kränkt , als wenn sie mich ihres Glücks genießen ließe ?
O , Henriette , wir waren ja lange schon über den Wert des Geldes einig , wir sahen es als ein Mittel an , diejenigen Güter zu erlangen , welche viel zum Glücke des Lebens beitragen .
Vergnügen und Freuden müssen die Zinsen sein , welche wir aus dem toten Metalle ziehen ; und welch ein reineres Vergnügen könnte ich genießen , als wenn ich meine Henriette glücklich in den Armen eines geliebten und würdigen Gatten sähe , und mir sagen könnte ; auch ich arbeitete an ihrem Glück ?
Welch ein seliges Gefühl , wenn wir uns gegenseitig als die Schöpferinnen unserer Freuden betrachten , und desto inniger uns lieben , wenn wir Beide uns sagen :
Auch ich beförderte das Glück meiner Freundin , auch ich schenkte ihr Freuden .
O Henriette ! kann wohl der Stolz Dir , mir die sechs tausend Taler dieses gewähren ?
Henr . ( Wirft sich Elisa'n um den Hals ) Elisa , Du hast gesiegt !
Ja , ich will Dir jede Freude meines Lebens verdanken !
Elisa . Dank Dir , meine Freundin !
Ganz erkenne ich Deine edle Seele ! -
Als Felsig am Nachmittage kam , sagte ihm Henriette , welches Geschenk sie von ihrer Freundin erhalten hatte .
Ich habe nicht errötet , es anzunehmen , Felsig , setzte sie hinzu ; ich kenne die edle Seele meiner Freundin , sie will nicht Verbindlichkeiten auflegen , sie will Glückliche machen .
Sie fühlte , daß ihr Anerbieten mich demütigen könnte , und sie machte es mir , indem sie selbst demütig bat , und meine Freundschaft beschwor .
O , meine Weigerung würde unedel gewesen sein !
Es hätte geschienen , als setzte ich Mißtrauen in diese schöne Seele ; ihr und mir war ich schuldig , ihr diesen Beweis meiner Achtung zu geben !
Felsig bewunderte beide Weiber , er dankte Elisa'n , sie gab ihm seine Henriette .
Nach einigen Tagen lud Wallenheim die Frau von Felsig mit ihrem Sohne zu Mittage ein ; sie hatten verabredet , ihr zu sagen , die Baronin von Hohnau habe Henriette sechstausend Taler zu ihrer Aussteuer geschenkt , welche sie ihr einst schon versprochen habe .
Wallenheim stellte der Frau von Felsig Henriette vor , und zeigte ihr zugleich die Verschreibung der sechstausend Taler .
Henriettes Bescheidenheit nahm die Frau von Felsig für sie ein .
Wenn Du mir gewiß versprichst , nie Felsingburg zu verkaufen , sprach sie zu ihrem Sohn , so will ich meine Einwilligung zu Deiner Verbindung mit dem Fräulein von Wannberg geben .
Felsig versicherte ihr , nie ihrem und seines verstorbenen Vaters Willen entgegen zu handeln .
Fr. v. F.
Nun so heirate sie , da sie doch jetzt einiges Vermögen hat !
Felsig umarmte seine Henriette , und führte sie zu seiner Mutter .
Nie , sprach Henriette , indem sie die Hand der Frau von Felsig ergriff , nie hoffe ich , werden Sie mich des Namens Ihrer Tochter unwürdig finden !
Frau von Felsig umarmte sie : Sie scheinen ein gutes Mädchen zu sein , sagte sie , und ich freue mich über die Wahl meines Sohnes !
Mit gerührtem Entzücken betrachtete Elisa diesen Auftritt ; Henriette blickte auf sie , sie las ihr eigenes Glück in ihrer Freundin Augen , sie flog an ihren Hals , Beide verstanden ihre gegenseitige Empfindungen , und ihre Umarmung war die Ergießung ihrer Seelen . -
Nun blieben Wallenheim , Elisa und Henriette nur noch wenige Tage in Wallenthal .
Henriette reiste wieder an einem Tage mit ihrer Freundin ab ; Felsig wollte ihr in einigen Tagen folgen , um der Baronin von Hohnau seinen Antrag um sie zu machen .
Die Baronin satte ihm gleich , daß Henriette von ihr ganz unabhängig wäre , und es wurde festgesetzt , daß im Herbste die Hochzeit vollzogen werden sollte .
Die Baronin von Hohnau und Henriette baten Elisa'n , zu derselben nach Hohnauschloß zu kommen , und Elisa erhielt von ihrem Gatten die Erlaubnis auf acht Tage hinzureisen .
Sie wurde erschüttert , als ihr Wagen auf dem Felde von Hohnauschloß dahin rollte , sie sah in der Ferne den Turm von Birkenstein , sie kam vor dem Platze vorbei , wo sie von ihrem Herrmann Abschied genommen hatte ; die Stärke ihrer Empfindungen wuchs mit der Lebhaftigkeit jener Erinnerungen .
Endlich hielt der Wagen vor dem Wohnhause , Elisa mußte einige Augenblicke sich sammeln , sie wankte , als sie heraus stieg .
Die Baronin von Hohnau , Caroline , ihr Gatte und Felsig waren ausgegangen ; Henriette war allein , sie eilt ihrer Freundin entgegen , Elisa stürzt sich weinend in ihre Arme , und Henriette drückt mit inniger Teilnehmung die Freundin an ihr Herz .
Elisa . ( Nachdem siewieder einige Fassung gesammelt hat . )
Ach wie froh bin ich , daß sich meine Mutter nicht gleich fand , und einige Augenblicke meinen Empfindungen Raum geben konnte !
Mein Herz war so gepreßt .
Henr . ( drückt ihr mitleidsvoll die Hand . )
Elisa . Du bist immer so nachsichtig , Henriette , und ich noch immer so schwach !
Aber , ich konnte hier das Andenken an ihn nicht unterdrücken , wo Alles es erweckt !
Indes , fürchte nichts für meine Ruhe , Henriette , ich hatte ja die Kraft mich ihm zu entreißen , sollte ich nicht auch die haben , mich hier , wo Alles meines kurzen Glücks mich erinnert , meiner Tugend zu freuen ?
Henr . Ja , Elisa , ich weiß , daß Deine Ruhe erschüttert , nie zernichtet werden kann !
Jetzt hörte man Geräusch im Hause , Elisa konnte nun mit Fassung ihrer Mutter entgegen gehen , und diese freute sich , sie zu sehen .
Caroline empfing ihre Schwester mit Gleichgültigkeit , und Felsig und Wallenheim bezeugten ihr Ehrerbietung .
Auch Caroline war Mutter , sie hatte eine Tochter .
Allein Elisa bemerkte , daß die Liebe zwischen Wallenheim und seiner Gattin erkaltet war ; Caroline ließ auch ihn die Heftigkeit ihres Charakters empfinden ; fast täglich war ein Streit zwischen ihnen , und selten war bei ihnen Übereinstimmung .
Elisa bestrebte sich , ihre gewöhnliche Ruhe und Heiterkeit wieder anzunehmen ; sie ging nicht allein spazieren , und vermied die Spaziergänge , wo sie Herrmann am häufigsten gesehen hatte .
Einst fragte die Baronin von Hohnau sie :
Bist Du glücklich ?
Elisa . Ja , meine Mutter .
B. v. H .
Dem Himmel sei gedankt !
Deine Schwester lebt fast in beständiger Uneinigkeit mit ihrem Manne , und schon warf ich es mir vor , Deine Neigung gezwungen zu haben , da doch Caroline dadurch nicht glücklich geworden ist .
Elisa . ( Gerührt . )
Dieser Gedanke beunruhige Sie nie , meine Mutter !
Ich besitze die Achtung meines Gatten , und bestrebe mich , sie zu verdienen , und finde mein Glück in den Bemühungen , meine Pflichten zu erfüllen .
B. v. H.
( Mit einem Seufzer , umarmt Elisa'n . ) Elisa , ich verkannte Dich !
Sie verließ hierauf das Zimmer .
Elisa sah , daß ihre Mutter ihre vorige Härte gegen sie bereute , sie wollte sie darüber keinen Schmerz empfinden lassen .
Heiterer als zuvor wurde nun ihre Miene ; sie scherzte froh mit den Übrigen , und durch das Bestreben , ihre Mutter von ihrer Zufriedenheit zu überzeugen , vergaß sie , daß in Hohnauschloß sie einst zerstört wurde .
Henriette war nun seit zwei Tagen Felsings Gattin , und der vierte Tag nach ihrer Hochzeit war zu ihrer und Elisa's Abreise festgesetzt .
Elisa konnte aber Hohnauschloß nicht verlassen , ohne noch einmal die Frau von Birkenstein zu sehen .
Sie ging mit Henriette am Tage vor ihrer Abreise nach Birkenstein , und Carl mußte mit seiner Wärterin sie begleiten .
Die beiden Freundinnen sprachen auf dem ganzen Wege kein Wort ; Elisa war im tiefen Nachdenken verloren , und nur zuweilen drängte sich ein Seufzer aus ihrer Brust .
Stärker schlug ihr Herz , als sie sich dem Wohnhause der Frau von Birkenstein näherten .
- Nun war sie bei der Linde , unter welcher sie Herrmann zuerst gesehen hatte ; allein ihre Blicke weilten nicht auf dieser Stelle , sie nahm Carln auf den Arm , und eilte schnell in das Haus .
Frau von Birkenstein kam ihr entgegen , Elisa warf sich in ihre Arme ; sie blieb lange in dieser Stellung .
Endlich fühlte sie sich von den Tränen der Frau von Birkenstein benetzt , und sie selbst weinte , ohne es zu wissen .
Sie richtete sich nun auf , ergriff die Hand der Frau von Birkenstein : So lieben Sie mich denn noch ?
Fr. v. B.
( Sie noch einmal in ihre Arme drückend . )
Elisa , wer einmal meine Liebe erhielt , verliert sie nie .
Sie gingen nun in ein Zimmer ; ruhiger Ernst verbreitete sich allmählich wieder auf Elisa's Gesicht. Fr. v. B. ( Nachdem sie einige Zeit von gleichgültigen Dingen gesprochen haben . )
Liebenswürdige Elisa , Sie haben einen meiner heißesten Wünsche erfüllt !
O , so oft regte sich das Verlangen in mir , Sie noch einmal zu sehen !
Elisa . Beste Frau , wie hätte ich können in Hohnauschloß sein , und nicht nach Birkenstein kommen ?
Nein , das Andenken an Ihre Güte , Ihre Liebe wird nie in meinem Herzen erlöschen !
Fr. v. B. O , meine teure Freundin , ich freue mich , daß ich in Ihrem Herzen fortleben werde !
Die liebenswürdige Henriette verläßt nun auch Hohnauschloß - nun kann ich der Freundschaft , der Liebe Aller , die mir teuer sind , nur noch in Ihrem Andenken genießen .
Elisa . ( Eine Träne im Auge , drückt der Frau von Birkenstein die Hand , nach einer Pause . )
Erlauben Sie mir eine Frage , aber ihre Beantwortung kann mich ruhiger machen .
- Ist Herrmann wieder glücklich ?
Fr. v. B.
( Mit einem Seufzer . )
Er ist Geheimderath in D ** , und beschäftiget sich , seine Mitmenschen glücklich zu machen , und dem Staate nützlich zu sein .
Diese Arbeit bleibt nicht unbelohnt ; sein Glück ist das Glück des Rechtschaffenen ; allein sein Herz ist noch das eines Jünglings .
Elisa . Männertugend wird es mit männlicher Kraft erfüllen , und ihn über des Jünglings Empfindungen siegen lassen , und glücklich dann durch sich selbst , glücklich durch den Sieg über Leidenschaft , wird sein Glück erhaben , wie seine Tugend sein !
Ja , diese Hoffnung erfüllt mich mit Freude !
Ihr Sohn ist wieder ruhig , dreifach bin ich es nun !
Fr. v. B. Dank sei der Vorsicht , welche mir noch die Erfüllung meines Wunsches gewährte !
Ich lese auch auf Ihrer Stirn Ruhe und Heiterkeit , selbst Ihre Tränen verwischten diese Züge nicht , sie scheinen mit Ihrem Wesen eingewebt zu sein . -
Sie sind also glücklich , meine Elisa !
Und Zufriedenheit des Weisen wird vielleicht bald meines Sohnes Eigentum !
Und dieses für Sie Beide zu erlangen , hätte ich gerne die Ruhe meines Alters aufgeopfert , und neue Beschwerden , neue Trübsale unternommen !
Elisa . ( Umarmt sie mit Lebhaftigkeit . ) O , noch einmal wieder meine Mutter !
Durch Ihre Liebe meine Mutter ! -
Ja , Sie sehen mich glücklich !
Zwar ist Ihr Sohn noch von allen Sterblichen mir der Teuerste , und wird es immer sein ; - allein ich erfülle meine Pflichten , und mein Herz hegt die Empfindungen der Gattin und Mutter . -
F. v. B. Beide Namen verehren Sie immer , sie sind die ersten Titel des Weibes !
Weil Sie ihren Wert recht erkannten , blieben Sie tugendhaft , und wurden glücklich in einer Lage , in welcher die meisten Weiber sich entweder dem Laster oder der Verzweiflung in die Arme werfen .
Elisa . ( Drückt Carln an ihren Busen . )
Ach , die kennen nicht Muttergefühl !
Fr. v. B.
Meine Elisa , mögen Sie eine glückliche Mutter werden !
( Sie nimmt Carln und küßt ihn . )
Und du , der würdige Sohn des würdigsten Weibes !
Nun stand Elisa auf ; ihre Trennung von der würdigen Frau wurde ihr schwer ; auch Henriette vergoß Tränen am Busen der Frau von Birkenstein .
Sie drückte Beide in ihre Arme .
Ich werde es nie vergessen , sagte sie , als sie nun sich von ihr losgerissen , daß Sie Beide am Abend meines Lebens mir manche Stunde erheiterten !
Elisa . ( Mit einem Seufzer . )
Ach ich verbitterte Ihnen so viele !
Fr. v. B. Nein Elisa , das ewige Verhängnis tat es !
Menschen müssen wir dieses nicht zurechnen .
Elisa und Henriette ergriffen nun noch einmal ihre Hand , drückten sie , und eilten fort .
Sie kamen vor Harbergs Wohnung vorbei .
O wie viele Erinnerungen wurden da wieder bei Elisa'n lebhaft !
Ich möchte gerne wissen , sagte sie zu Henriette , wie es dem guten Manne geht ?
Komme mit mir hinein !
Harberg saß mit seinem Weibe und mit seinen Kindern am Tische beim Nachtessen .
Freudig erschrak er , als er Elisa'n erblickte :
Ach gnädige Frau , sind Sie einmal wieder hier gewesen ?
Ach wie wird sich unsere gnädige Frau gefreut haben !
Elisa . Auch ich habe mich gefreut , einmal wieder in Birkenstein zu sein .
Wie ist es ihm denn immer gegangen , lieber Harberg ?
Harb . Gott , und unserem guten jungen Herrn sei Dank , ich habe nicht Not gelitten !
Wir leben zufrieden ! meine Hanne und ich .
Aber es betrübt uns oft , daß unsere gute gnädige Frau immer so traurig ist .
Ach es ist ganz anders ! seitdem Sie und der junge Herr nicht mehr hier sind !
Elisa . Wie so , lieber Harberg ?
Herr von Birkenstein war ja nur eine so kurze Zeit hier , und ich habe nie einmal die Gelegenheit gehabt , Euch meine Bereitwilligkeit , Euch zu dienen , zu beweisen .
Harb . Wir freuten uns doch , Sie zu sehen .
Freilich wir haben noch unsere gute Herrschaft behalten ; aber die armen Bauern in Hohnauschloß - Ach , die trauern noch immer , daß Sie nicht mehr da sind !
Elisa . Ich konnte ihnen auch nicht viel helfen , als ich noch zu Hause war .
Harb . O , liebe gnädige Frau , eine kleine Unterstützung ist für einen Armen immer viel !
Doch wer weiß , wie es uns noch gehen wird ?
Man sagt , der junge Herr wird gar nicht wieder ins Land kommen .
Wie er hier war , da freuten wir uns immer in ihm !
Ich habe oft die alten Bauern weinen sehen , wenn er so recht freundlich und herzlich mit ihnen gesprochen hatte .
Gottlob ! sagten sie denn , unsere Kinder werden es so gut haben als wir !
Aber wenn nun unsere gute Mutter stirbt ; ach , dann verlieren wir alles mit ihr !
Harbergen stand eine Träne im Auge , und auch Elisa war sehr gerührt ; sie nahm von Harberg und seinem Weibe Abschied , und drückte dem kleinen Mädchen , ihrer Pate , ein Goldstück in die Hand , und ging eilig hinaus ; allein das Kind zeigte das Geld gleich seiner Mutter .
Beide Eltern folgten nun Elisa'n ; aufrichtige , ungekünstelte Danksagungen strömten von ihren Lippen .
Vor der Tür saß die Wärterin mit Carln ; Harberg erblickte ihn .
Harb . Ach , gnädige Frau , ist das Ihr Kind ?
O , erlauben Sie mir , den kleinen Junker einen Augenblick auf den Arm zu nehmen !
Elisa . I , ja , guter Harberg .
Harb . ( Nimmt Carln auf den Arm und küßt ihn . )
Hanne , weißt du wohl noch , wie der junge Herr und die gnädige Frau bei unserem Mädchen Gevatter standen , da sagte ich dir noch am selben Abend :
Ihre Kinder wollen wir einst recht lieben und ehren , und Gut und Blut für sie lassen ....
Ach , da dachte ich , es würde anders kommen ! -
Doch , wie Gott gewollt hat !
Die Kinder unseres jungen Herrn werde ich vielleicht nimmermehr sehen ; aber zwischen Ihnen Beiden machten wir keinen Unterschied , und so bin ich doch so glücklich gewesen , und habe Ihren Junker auf meinem Arme gehabt .
- ( er küßt ihn noch einmal . )
Alle Tage will ich zu Gott beten , daß er möge groß und glücklich werden , und Sie recht viel Freude an ihm erleben !
Elisa . ( Sehr gerührt ) .
Der gütige Vater erfülle auch dieses an seinen Kindern !
Lehre er sie meinen Namen , Harberg , und wenn sie in Mangel geraten , oder etwas wünschen , zu dem ich ihnen helfen könnte , so sage er ihnen , sie sollen zu mir kommen , ich hätte ihren Eltern versprochen , ihre Mutter zu sein !
Elisa ging , und Tränen des Danks folgten ihr .
Allein Harberg hatte mit der Vergangenheit auch ihren Schmerz zurückgerufen ; sie war stark gewesen , als sie Frau von Birkenstein verließ , weil sie in Herrmann den nützlichen Staatsbürger , den Menschenfreund erblickte ; allein Harberg hatte ihr Herrmann , ihren Geliebten wieder vorgestellt , die Gegenwart verschwand , und ihre Einbildungskraft verlor sich in den Vorstellungen der Vergangenheit .
Menschenliebe , mächtiger in ihr , als jedes andere Gefühl , verdrängte in Hohnauschloß wieder jede andere Empfindung in Elisa'n ; sie erinnerte sich , was ihr Harberg von den Bauern in Hohnauschloß gesagt hatte , und ihre ersten Worte waren , seitdem sie Birkenstein verlassen hatte : Henriette , ich muß suchen Einigen dieser armen Einwohner zu helfen .
- Sie ging nun zu einer jeden Familie , fragte nach ihren Bedürfnissen , nach den Beschwerden , die sie hätten , gab den Armen Geld , versprach ihnen , daß sie ihre Fürsprache anwenden wollte , ihnen Erleichterung zu verschaffen , sie tröstete sie , bewies ihnen , daß durch Unterwürfigkeit und Geduld sie die Härte ihres Schicksals milderen könnten .
Sie schienen die Beschwerden nicht mehr zu empfinden , als Elisa mit ihnen sprach , und sie hatte an diesem Abend in den Wohnungen von Hohnauschloß Zufriedenheit verbreitet .
Caroline war hart , selbst Armut konnte bei ihr nicht Anspruch auf Schonung machen , und ihre unfreundliche Miene entfernte von ihr den Unglücklichen , der es nicht wagte , ihr seine Not zu klagen .
Wallenheim war nicht genug mit dem Zustande der armen Einwohner bekannt ; es war also keiner , der sie gegen Karolinens Härte schützte , keiner , der ihrem Mangel abhalf .
Elisa unterrichtete ihre Mutter von den Beschwerden und Unterdrückungen , die sie litten , und bat sie , ihnen beizustehen ; die Baronin von Hohnau versprach es ihr , und vergnügter verließ am anderen Tage Elisa Hohnauschloß ; denn sie nahm das Bewußtsein mit , auch hier Gutes gestiftet zu haben .
Sie begleitete Henriette nach Felsingburg , und blieb einige Tage in Wallenthal .
Henriette wollte auch , wie ihre Freundin , Wohltäterin der Menschen werden .
Zwar war ihr Vermögen nur eingeschränkt ; allein dem wahren Menschenfreunde bleiben Kräfte und Hilfsquellen genug , seinen Mitbrüdern beizustehen .
Sie schlug ihrem Felsig , welcher immer die wohltätigen Anstalten Elisa's bewundert hatte , vor , zwei Häuser nach eben dem Plane erbauen zu lassen ; allein dies sollte erst in den beiden folgenden Jahren geschehen , weil die Ausgabe für sie mit Einemmal , zu groß gewesen wäre ; auch war die Zahl der Greise und der Kinder , die sie versorgen würden , nur auf fünf gesetzt .
Mehrere zu unterhalten , erlaubte ihnen ihr Vermögen nicht ; und nur Sparsamkeit und weise Anwendung des Geldes setzten sie in den Stand , mehr Gutes zu wirken , als karge und verschwenderische Reiche , wenn sie Jahrhunderte durch lebt haben . -
Elisa war nun wieder in B...
Unverändert blieb ihre Art zu handeln , unverändert ihre Sanftmut , ihre Gefälligkeit , ihr Wohlwollen .
Die Geschäfte ihrer Haushaltung , die Besorgung aller häuslichen Angelegenheiten , die Erziehung ihres Sohnes , die Erwerbung höherer Kenntnisse , die Ausbildung ihres Verstandes , die Übung ihrer Talente , dieses waren ihre Beschäftigungen ; zu allen hatte sie Zeit , und stets war sie bereit , ihren Gatten , so oft er es verlangte , in Gesellschaft oder zu Lustpartien zu begleiten , oder in ihrem Hause Gesellschaft zu sehen .
Wallenheim fand immer in ihr die muntere Gesellschafterin , deren Bestreben es war , ihn aufzuheitern , ihn zu ergötzen ; aber sie war auch seine Ratgeberin , seine Freundin .
Ernsthaft , scharfsinnig und klug , wenn er von Geschäften mit ihr sprach , liebevoll und sanft , wenn er verdrießlich war , oder eine Unannehmlichkeit erfahren hatte , und scherzhaft , wenn seine Seele Aufheiterung gebrauchte .
Innere Zufriedenheit , Ruhe und Heiterkeit waren mit der Tugend in ihr vereiniget ; sie war glücklich , weil sie ihres eigenen Beifalls versichert war ; sie war froh , weil sie Freude um sich verbreitete .
Die Ruhe , die Heiterkeit ihrer Seele gab ihrem Wesen eine Annehmlichkeit , welche ein jeder empfand ; sie wurde in allen Gesellschaften geliebt und gesucht .
Man liebte sie , ohne es zu wissen , und sie zog alle Herzen an sich , ohne es selbst zu ahnden .
Höflichkeit , Bescheidenheit und Güte waren in Gesellschaft die Hauptzüge , von denen sie sich nie entfernte .
Immer lobte Elisa Anderer Tugenden , und entschuldigte Anderer Fehler : immer war sie bereit , einem Jeden zu dienen , und stets sah man sie in Gesellschaft den untersten Platz einnehmen .
Auch nannte man sie allgemein die liebenswürdige Frau von Wallenheim , und manches junge Mädchen , dessen Herz noch unverdorben war , wurde von ihrer sanften Tugend eingenommen , und beschloß , ihrem Beispiel zu folgen .
Wenn Elisa dieses merkte , so suchte sie mit denen , welche sie zu lieben oder zu bewundern schienen , in Verbindung zu kommen ; sie bat sie oft zu sich , und erfüllte in ihrer Gegenwart ihre Pflichten ; aber auch stets bemühte sie sich , ihren jungen Freundinnen Vergnügungen zu verschaffen ; durch sie wollte sie ihnen die Tugend annehmungs- und liebenswürdig machen .
Des Sommers veranstaltete sie daher fast immer Lustfahrten auf dem Lande , Spaziergänge , Wasserfahrten , und Fröhlichkeit und munterer Scherz herrschte dann unter ihnen .
Im Hause waren Musik , witzige und kluge Unterhaltungen , kleine gewählte Gesellschaften , und angenehme Lektüre ihre Unterhaltungen .
Langeweile war aus ihren Zirkeln verbannt , und Elisa ließ ihre Freundinnen empfinden , daß wahre Freuden , wahrer Genuß des Lebens , nur mit Unschuld verbunden ist .
Sie fühlten es , daß bei ihr die Freude und die Tugend Hand in Hand gingen , und sie gewöhnten sich , sie immer vereiniget zu denken .
Sie fühlten sich besser und froher , wenn sie mit Elisa'n den Tag durchlebt hatten .
So bildete sie ihren Geschmack und ihr Herz ; ihr Beispiel und eine nähere Bekanntschaft mit ihr , bewahrte manches Mädchen vor Ausschweifung und Torheit .
Stets bestrebte sich noch Elisa , ihren Wirkungskreis zu erweitern ; nie glaubte sie , dem Nutzen , welchen sie stiften könnte , Grenzen setzen zu können .
Hörte sie von einem Unglücklichen , so eilte sie zu ihm , und bemühte sich , seine Leiden zu vermindern .
Anderer Wünsche zu gewähren , Anderer Bedürfnisse zu befriedigen , ruhige Ergebung , aufrichtige Liebe zum Guten in Anderen zu befördern , dieses waren ihre Bemühungen , und waren selten fruchtlos , weil sie immer die besten Maßregeln ergriff .
Unter diesen Beschäftigungen verlebte sie jeden ihrer Tage .
Carl war zwei Jahre alt , da wurde Elisa zum zweitenmal Mutter , und Mutter einer Tochter ; sie nannte sie Henriette .
Auch Frau von Felsig war einige Monate zuvor niedergekommen ; sie hatte einen Sohn , und Felsig hatte ihn Heinrich genannt .
Carl und Henriette machten nun Elisa's süßestes Vergnügen ; ihrer Erziehung widmete sie alle ihre Sorgfalt .
Als Carl vier Jahr alt war , sagte einst an einem Morgen Wallenheim zu seiner Gattin :
Ich bin entschlossen , Carln in eine öffentliche Erziehungs-Anstalt zu bringen ; die Erziehung der Söhne im väterlichen Hause taugt selten etwas .
Elisa . ( Erschrocken. )
Jetzt schon wollen Sie ihn aus dem Hause bringen ?
Wahlen . Warum nicht ?
Je früher in der Erziehung der Anfang gemacht wird , desto leichter wird sie nachgehend , und desto besser ist ihr Erfolg .
Elisa . Sie haben Recht .
Und ich habe mich bemüht , seit der Geburt meines Sohnes diesem Grundsatze gemäß zu handeln .
Aber könnten wir ihn nicht noch ferner in unserem Hause erziehen ?
Wahlen .
Unter ihrer Aufsicht allein ?
Elisa . Nein , Wallenheim ; ich besitze nicht alle die Kenntnisse , die er einst wird haben müssen , und ich allein kann seine Erziehung nicht vollbringen .
Allein wir wollen einen geschickten Erzieher nehmen , und gemeinschaftlich an seiner Erziehung arbeiten. Wahlen .
Sie erzeigen den Hofmeistern viel Ehre , wenn Sie sie Erzieher nennen .
Dieses ist eben das , was sie nie sind , und aus eben der Ursache bin ich entschlossen , nie Einen zu nehmen .
Elisa . Es ist der Eltern Schuld , wenn sie dieses nicht sind ; wir wollen ihn dazu bilden .
O , Wallenheim , wie kann man sich wundern , daß die Hofmeister nicht Erzieher sind , da die Eltern selbst es nicht sind ?
Man betrachte das Betragen der Eltern gegen ihre Kinder , und gegen denjenigen , denen sie ihre Erziehung anvertrauet haben , wie zwecklos , wie planlos !
Der Erzieher sollte der erste Freund der Eltern sein ; er ist ja ihr Gehilfe bei der moralischen Bildung ihrer Kinder , eben bei dem , was eigentlich sie zu Menschen macht ; er teilt ja mit ihnen ihre Mühe für ihr Wohl ; ein Zweck , ein Plan , ein Interesse , so viel es sein könnte , sollte sie verbinden .
Man sollte durch Liebe , durch Achtung , durch das Versprechen , ihn Lebenslang zu besolden , ihn zum Mitglied der Familie machen .
Dann , Wallenheim , dann würden sich auch Erzieher finden .
- Die meisten , welche es jetzt sind , werden , indes sie eine Stelle bekommen , Hofmeister , um sich ihren Unterhalt zu verschaffen , und werden auch in den meisten Häusern als die ersten Bedienten behandelt .
Sie sind jung , sie haben nie über Erziehung nachgedacht , selten darüber gelesen ; sie konnten nicht ein eigenes Studium daraus machen , weil sie wußten , daß ihnen dieses nie ihren Unterhalt verschaffen würde .
Allein , man lasse auch die Erzieher hoffen , daß durch ihre Geschicklichkeit in diesem Fache , sie sich ansehnliche Versorgungen versprechen können ; man versicherte ihnen , als Erziehern , Besoldungen auf Lebenslang ; man mache ihnen dieses Geschäfte angenehm ; man mache den edlen Wunsch in ihnen rege , Menschen bilden zu wollen ; man zolle Dank und Ehrfurcht dem Manne , der ihn zu erfüllen strebet ; und gewiß , Viele würden sich ganz dem Erziehungsgeschäfte widmen .
Doch jetzt bleibt allen Hofmeistern keine andere Aussicht übrig , als durch ihre eigenen Bemühungen sich eine Stelle zu verschaffen ; da sie in den meisten Häusern auf einen unangenehmen Fuß stehen , so suchen sie diese bald zu erlangen ; daher der öftere Wechsel der Hofmeister , der immer der Erziehung nachteilig ist ; daher ihre wenige Anhänglichkeit an dieses Geschäfte , und an ihre Zöglinge . -
Doch , Wallenheim , da wir diese Fehler einsehen , so können wir sie vermeiden .
Lassen Sie uns einen Mann von Kenntnissen und von guter Aufführung suchen , und wo möglich , lassen Sie uns einen jungen Mann nehmen .
Ein junger Mann wird sich eher leiten lassen , er wird mehr für sein Geschäft erwärmt werden , er wird sich noch nicht Ruhe und Bequemlichkeit wünschen , und folglich noch nicht so bald an eine Versorgung denken , besonders wenn wir ihn durch Liebe und Zutrauen an uns gefesselt haben , und seine Lage ihm angenehm machen .
Wenn wir diesen gefunden haben , o so lassen Sie von seinem ersten Eintritt in unser Haus , völlige Gleichheit unter uns eingeführt sein , damit wir seinen Charakter und seine Meinungen über Erziehung kennen lernen ; lassen Sie uns ihm unsere Begriffe darüber mitteilen , und gemeinschaftlich einen Erziehungsplan entwerfen , nach unseren vereinigten Einsichten den besten , und ihn gemeinschaftlich ausführen. Wahlen .
Zu allem diesen habe ich nicht Zeit ; dieser schöne Plan wird also wohl müssen unausgeführt bleiben .
Elisa . O , so vertrauen Sie mir das Geschäft !
Es wird mir zu wichtig sein , als daß ich es je vernachlässigen sollte !
Glauoen Sie denn , Wallenheim , daß Fremde mit mehrerer Aufmerksamkeit über Ihren Sohn wachen werden , als ich , seine Mutter ?
Glauben Sie , daß ihre Bemühungen für seine Erziehung ernstlicher sein werden , als die meinigen ?
Doch vielleicht könnte es mir noch an hinlänglicher Kenntnis fehlen ; allein auch die will ich suchen zu erlangen .
Sie sollen den Entwurf zu seiner Erziehung beurteilen , so viel Zeit werden Sie ja wohl haben ?
Er soll mit dem übereinstimmen , was hierüber am besten gesagt und geschrieben worden ist , und vorzüglich , er soll dem Charakter meines Sohnes angemessen sein .
Versuchen Sie es doch nur !
überlegen Sie doch nur meine Gründe !
Wahlen . Welche haben Sie denn gegen die Erziehung außer dem Hause ?
Elisa . Beispiele haben mir so oft gezeigt , daß sie von allen die schlechteste ist ; denn sie wird gewiß immer am meisten vernachlässiget .
Die Kinder sind ja fast nur in den öffentlichen Lehrstunden unter Aufsicht ; auf ihre Handlungen wird nicht gemerkt ; man sucht nicht Begierde nach Kenntnissen in ihnen zu erregen , und die Bildung ihres Herzens wird gänzlich unterlassen .
Wahlen . Allein sie lernen Menschen- und Weltkenntnis ; sie lernen mit Menschen umgehen , und die Regeln der Vorsicht praktisch ausführen .
Elisa . Sollte man in der Privaterziehung nicht auch diesen Vorteil erlangen können , wenn man Proben veranstaltete , welche die Kinder Erfahrung lehrten ? und gesetzt , man erreichte dieses nicht ganz in dem Grade , sollte der kluge , einsichtsvolle , mit festen Grundsätzen begabte Jüngling , wenn er in die Welt tritt , nicht bald lernen , den Regeln der Klugheit und der Vorsicht gemäß zu handeln ?
Man Lehre ihn beobachten , und er wird bald die Menschen und die Welt kennen lernen ; und seine Beobachtungen werden für ihn von doppeltem Nutzen sein , da er sie nicht unter fremder Leitung , sondern mit dem recht angewandten Gebrauche seiner reiferen Vernunft anstellte. Wahlen .
Um eben dieser kluge , einsichtsvolle Jüngling zu werden , will ich ihn in eine öffentliche Erziehungs-Anstalt bringen .
Elisa . Und dieser Zweck wird da vielleicht am ersten verfehlt .
Wie kann man über den Vorzug , den die Privaterziehung vor der öffentlichen hat , noch einige Zweifel haben ?
Man wendet ja auf die erste weit mehr Sorgfalt ?
Kennt man den Lehrer , dessen Privat- Aufsicht man in einer öffentlichen Erziehungs-Anstalt die Kinder übergibt ?
Weiß man , ob er sich ihre Erziehung angelegen sein läßt ?
Kann man ihn beobachten ? -
Nein , man setzt sich außer Stand , die Erziehung seines Kindes selbst zu ordnen , das Fehlerhafte davon zu entdecken , und ihm abzuhelfen .
Man weiß vielmehr , daß das Kind meistens sich selbst überlassen ist , daß es mit so vielen die Bemühungen des Lehrers teile , daß es diesem unmöglich ist , seine Beschäftigungen und seine Aufmerksamkeit nur einem zu widmen ; man muß es also auf das Ungefähr ankommen lassen , ob das Kind zum guten oder zum schlechten Menschen , zum nützlichen Bürger , oder zum ausschweifenden Toren gebildet werde .
Allein wenn wir unseren Sohn im Hause behalten , so können wir ja alle Sorgfalt auf seine Erziehung wenden ; er bleibt unter beständiger Aufsicht .
Und wenn auch Sie , lieber Wallenheim , diesem Geschäfte keine Zeit widmen können , so werden doch die Bemühungen zweier , die , eines geschickten Erziehers , ( denn diesen hoffe ich durch die Mittel , die ich ihnen gesagt habe , zu erhalten ) und die meinigen , fruchtbarer sein , als der geteilte Unterricht eines Lehrers , den kein so starkes Interesse belebt .
Wird man wohl in einer öffentlichen Erziehungs-Anstalt so die Handlungen meines Kindes beobachten , so seine Neigungen ausspähen , und ihnen die edle Richtung geben , wie ich beflissen sein werde , es zu tun ?
Glauben Sie mir , Wallenheim , Eltern sind die besten Erzieher , wenn sie es aufrichtig sein wollen , und zu diesem Geschäfte die erforderlichen Einsichten besitzen !
Ich zittere für Carln , wenn man nicht sucht , seinem Charakter Festigkeit zu geben .
Vielleicht wird es kein Anderer bemerken , daß in seinem Charakter eine Leichtigkeit ist , welche zur Schwäche wird .
Ich , die ich ihn immer beobachte , habe dieses nur zu oft wahrgenommen .
Er beharrt nie auf einem einmal genommenen Entschluß ; augenblicklich geht er durch Anderer Zureden , durch den Anblick anderer Gegenstände , von dem , was er tun wollte , ab .
Diese Schwäche kann ihn einst , mit den besten Eigenschaften , zu den größten Fehlern , selbst Verbrechen verleiten .
Auch hatte ich schon auf Mittel gedacht , ihm Festigkeit zu geben .
Ich wollte , wenn er erst selbst Schlüsse machen könnte , Proben veranstalten , durch welche er den Schaden seiner Nachgiebigkeit selbst empfinden sollte ; dieses oft und auf verschiedene Art wiederholt , würde gewiß endlich Festigkeit in ihm hervorbringen .
- Und dieses Alles wird in einer öffentlichen Erziehungsanstalt verabsäumt .
Da wird an keine Bildung des Charakters gedacht , keine Mittel gebraucht , durch welche moralische Eigenschaften in den Seelen der Zöglinge haften .
Und Carl kann ja in unserem Hause eben den Unterricht genießen , welcher in den öffentlichen Erzieh hungs-Anstalten erteilt wird ; wir könnten ihm Lehrer halten , welche ihn in denjenigen Kenntnissen unterrichteten , die sein Lehrer nicht besitzt . -
O , Wallenheim !
Nie drang ich in Sie , mir eine Bitte zu willfahren -
Aber diesmal - es betrifft das Wohl meines Sohnes - lassen Sie ihn mir im Hause !
Wahlen . Elisa , Sie sollten wissen , daß ich nie von einem einmal genommenen Entschluß abgehe .
Carl soll außer dem Hause erzogen werden .
Elisa . Lieber Wallenheim , ich bitte Sie ja nur , meine Gründe zu prüfen .
Carl ist noch so jung , und erhält jetzt dadurch noch keinen Vorteil , wenn er auch in die beste Erziehungs-Anstalt gebracht würde .
Sein Alter hingegen erfordert noch so viel Sorgfalt , ist noch so vielen Unfällen ausgesetzt , daß nur elterliche Zärtlichkeit diese von ihm wenden , und jene ihm widmen können .
Versuchen Sie also den Plan , den ich zu seiner Erziehung entworfen habe ; lassen Sie ihn bis in sein zwölftes Jahr unter unserer Aufsicht in unserem Hause erziehen , und glauben Sie dann noch , daß die Erziehung außer dem Hause besser ist , nun so werden doch die Jahre seiner Kindheit auch nicht für ihn verloren gegangen sein , und die öffentliche Erziehung wird dann vielleicht von mehrerem Nutzen für ihn sein ; jetzt kann sie ihm in jedem Betracht nur schädlich werden .
Entreissen Sie ihn also nicht der mütterlichen Sorgfalt , um ihn Händen anzuvertrauen , welche vielleicht nicht wissen , wie sie das Kind behandeln sollen , und nicht gewohnt sind , den Mängeln dieses Alters ihre Aufmerksamkeit zu weihen .
Wahlen . Elisa , ich verlange keine Widerrede mehr ; ich habe Ihnen nicht meinen Willen bekannt gemacht , um Widersprüche zu hören .
Elisa . Ach , verlangten Sie mein Glück , mein Leben von mir , Sie sollten sie nicht von mir hören !
All in es gilt das Glück meines Sohns - Auch mir gebot die Natur , es zu befördern ; sie machte mich zu seiner ersten Versorgerin , und ich fühle es , daß ihm kein Anderer meine Stelle ersetzen könnte .
Auch kann ich mir selbst bezeugen , daß ich bisher die Mutterpflichten gegen ihn treu erfüllte , und dieses Bewußtsein läßt mich hoffen , daß ich immer im Stande sein würde , es zu tun .
Verzeihen Sie mir also , Wallenheim , meine Einwendungen , da ich sehe , daß Sie im Begriff sind , von einem Ungefähr die moralische Bildung , und mithin das Glück Ihres Sohnes abhängen zu lassen , indem ich glaube , Mittel anwenden zu können , ihm dieses zu versichern .
Und ich bitte Sie ja nur , die Ausführung Ihres Entschlusses auf einige Jahre zu verzögern .
Nehmen Sie doch Rücksicht auf Karls Alter ; wie leicht kann er krank werden , und vielleicht wenig Pflege alsdann bekommen .
Der Mangel an Aufsicht ( denn ein öffentlicher Lehrer kann sich unmöglich viel mit einem Kinde von seinem Alter beschäftigen ) kann ihm Gebrechen , Schaden zuziehen , und ihn vielleicht dem Tode nahe bringen , selbst ins Grab ihn stürzen - O , Carl ! ersparen Sie sich Vorwürfe , welche diese Handlung vielleicht für die Zukunft Ihnen bereitet , und mir die Angst , beständig in der Ungewißheit über den Zustand meines Sohnes zu sein !
Wahlen .
Ihre Beredsamkeit ist diesmal umsonst !
Sagen Sie mir kein Wort mehr , sondern suchen Sie sich in Absicht Karls zu beruhigen ; ich werde schon gehörige Sorge für ihn tragen , und bemühen Sie sich , die Trennung von ihm gelassen zu ertragen !
Elisa . ( Sie unterdrückt eine Träne . )
Wallenheim , o dann gewähren Sie mir nur eine Bitte !
Erlauben Sie mir zum wenigsten , Sie und Carln zu begleiten , damit ich selbst die Personen sehe und kennen lerne , deren Aufsicht mein Carl anvertraut wird , um , wo möglich , ihnen meine Liebe , meine Sorgfalt einzuflößen , und eine Mutter dort bei der Liebe zu ihren Kindern zu beschwören , mütterliche Sorgfalt für meinen Carl zu haben !
Wahlen . Dieses Alles wird nicht nötig sein ; ich bin Karls Vater , und werde wohl selbst gehörige Maßregeln ergreifen können , damit er gut gehalten werde .
Auch würden Sie wohl noch wollen Henriette , ihre Wärterin und die Mamsell mitnehmen , und mit solchem Gefolge liebe ich nicht zu reisen .
Setzen Sie also Carln nur in den Stand , in einigen Tagen mit mir wegzureisen , ohne sich wider meinen Willen zu meiner Gesellschafterin aufzudringen .
Er verließ hierauf das Zimmer ; Elisa war sehr gerührt ; sie drückte ihren Sohn mit inniger Wehmut an ihre Brust .
O , mein Carl ! rief sie aus , du sollst nicht länger an dem mütterlichen Busen ruhen ! -
Wallenheim , ich ertrug Alles ; aber daß du mich meines Kindes beraubest , daß du mich außer Stand setzest , an seiner Erziehung , an seinem Glücke zu arbeiten , dieses zu ertragen , dazu gehört eine höhere Kraft ! -
( Eine Pause . ) allein er ist Gatte und Vater , und auch hier ist es meine Pflicht , geduldig seinem Willen ergeben zu sein .
Nein , ich will nicht murren , nicht mit ihm zürnen , sondern jedes sanfte Mittel , jede vernünftige Vorstellung noch anwenden , um ihn von seinem Entschluss abzubringen .
Ich will seinen Zorn gelassen ertragen ; ich spreche ja für das Wohl meines Kindes , und zu dem Vater desselben .
- Und reißt er dich doch aus meinen Armen ! -
O , dann , Vernunft , mache mich stark , auch dann meine Pflicht nicht zu vergessen !
Standhaftigkeit , Festigkeit und Geduld , bleibe auch dann unveränderlich in mir ! -
Kann ich Carln auch nicht selbst erziehen , so will ich doch Alles anwenden , ihn mit der Zeit gute Grundsätze einzuflößen !
( Sie drückt Carln wieder mit Heftigkeit an ihre Brust . ) O , mein Kind , mögest du edel und gut wer den ! -
Ach , Wallenheim , daß du mich dieses nicht bewirken lassen willst ! -
Elisa trocknete indes ihre Tränen wieder , und erwartete Wallenheim mit heiterer Miene ; allein alle ihre Versuche , ihn zu bewegen , Carln nicht aus dem Hause zu bringen , waren vergebens ; er beharrte auf seinem Entschluss .
Elisa verbarg zwar vor ihm ihre Tränen ; allein es war ihr doch unmöglich , so heiter zu sein , als sie gewöhnlich zu sein pflegte .
Indes schien Wallenheim ihre Traurigkeit nicht zu bemerken , sondern reiste mit Carln am vierten Tage , nachdem er Elisa'n seinen Vorsatz entdeckt harte , ab , und brachte ihn nach D .
Diese Trennung von ihrem Sohne war Elisa'n sehr schmerzhaft ; allein ihr Betragen gegen Wallenheim blieb dasselbe , blieb gleich sanft und freundlich .
Sie reiste nach Wallenthal , um in den Umarmungen der Freundschaft Erleichterung ihres Kummers zu suchen .
Felsig und Henriette lebten einig und glücklich ; Henriette hatte sich ihre Freundin zum Muster genommen ; sie besaß ihre sanften Tugenden , und Elisa's liebevolle Seele atmete nur Freude , wenn sie das Glück ihrer Freunde sah . -
Zum Drittenmal wurde Elisa Mutter .
In Wallenthal war es , wo sie , ein Jahr nach Karls Entfernung aus dem Hause , niederkam , und einen Knaben zur Welt brachte .
Er war acht Tage alt , und man hatte noch keinen Namen für ihn bestimmt .
Wie wollen wir denn unseren Knaben nennen ? fragte Wallenheim seine Gattin , als er mit Henriette an einem Morgen an ihrem Bette saß .
Elisa . Er mag Herrmann heißen !
Sehen Sie Wallenheim , seine große Augen , wie offen sein Blick einst werden wird !
O , gewiß , ein süßes Vorgefühl sagt es mir , er wird ein biederer Junge werden , und dieser Name ihm am angemessensten sein !
Wahlen . ( Lächelnd. )
Nun , er mag ihn erhalten ; denn Sie scheinen sich viel von dem Namen zu versprechen .
Auch Elisa lächelte , und bald darauf ging Wallenheim hinaus .
Henr . ( Nachdem Wallenheim das Zimmer verlassen hat . )
Elisa !
So soll Dein Sohn Dich denn in jedem Augenblick an Deinen Geliebten erinnern ?
Elisa . Nenne ihn nicht mehr so , Henriette ; als Mutter dreier Kinder bin ich nun wohl ganz Wallenheims Gattin .
Herrmanns Andenken kann mich nicht mehr schmerzen , kann keine andere Empfindungen , als die Empfindungen inniger Achtung und Freundschaft in mir erregen .
Gern höre ich jetzt von ihm , gern spreche ich von ihm .
Wenn ich an ihn und an seine Liebe denke , so ist mir , als sähe ich in ein schönes Land zurück , wo ich einst weilte und wo ich einen Begleiter fand , der dort meinen Weg mit Blumen bestreute .
Ich erinnere mich des Entzückens , das ich empfand , und mein Herz liebt noch den Urheber desselben ; allein das Entzücken ist vorüber , und mit ihm das lebhafte Gefühl für den , der es erzeugte .
Warum sollte ich meinen Sohn nicht Herrmann nennen , da dieser Name mir Erinnerung meiner Freuden , meiner Leiden , und ich darf auch sagen , meiner Standhaftigkeit ist ?
Ich denke mir Herrmann nicht mehr als meinen Geliebten , nicht mehr , wie er auf dem Berge in Birkenstein mir seine Liebe erklärte , nicht , wie er beim Abschiede verzweiflungsvoll mich an seine Brust drückte ; nein , ich denke ihn mir als den edlen Mann , den nützlichen Staatsbürger , den warmen Menschenfreund , und mit immer erneuerter Tätigkeit wird mich diese Vorstellung beleben , meinen Sohn dazu zu bilden !
Wenn ich ihn nennen werde , werde ich in ihm den edelsten Mann , den liebenswürdigsten Sterblichen erblicken , und alle meine Bemühungen sollen dahin gehen , daß er es werde .
Henr . ( Lächelnd. )
Ich erkenne Dich so ganz wieder Elisa !
Noch immer ist Dein Gefühl für jedes Gute und Edle schwärmerisch .
Elisa . O , Henriette , in der Liebe schwärmt man immer , so auch in der Liebe zur Tugend !
Doch hüte man sich , so viel man kann , vor dieser Schwärmerei !
Leicht kann man durch sie die wahre Tugend verkennen , und empfindsame Hirngespinste an ihre Stelle setzen .
Wer wahrhaft warmes Gefühl für Tugend hat , der lasse auch in den Augenblicken der Begeisterung die kalte , prüfende Vernunft seine Führerin sein .
Herrmann wurde nun , ohne daß sie es selbst ahndete , seiner Mutter , und bald auch seines Vaters Liebling ; allein der Knabe rechtfertigte diesen Vorzug .
Er war erst einige Jahre alt , und man bemerkte schon ihn ihm ein gutes fühlendes Herz , und jede Anlage zum großen Geiste .
Mit Entzücken drückte ihn oft Elisa an ihre Brust , und sagte dann :
O , er wird Dir ähnlich sein , Herrmann !
mein Sohn , mein Herrmann , ich werde dich verehren , wie ihn !
Es waren nun sechs Jahre , daß Elisa in Wallenthal die zehn Kinder angenommen hatte .
Sie waren alle sechzehn Jahre alt , und ein jedes hatte gelernt , durch seiner Hände Arbeit sich seinen Unterhalt zu verschaffen .
Sie sollten nun eingesegnet werden , und dann das Erziehungshaus verlassen .
Elisa reiste zu der Zeit nach Wallenthal , und wohnte der Einsegnung bei .
Nach dieser Feierlichkeit bestellte sie sie auf das Schloß ; sie empfing sie auf dem Hofe ; gerührt näherten sich ihr die Jünglinge und Mädchen .
O , unsere Wohltäterin ! riefen alle , und fielen vor ihr nieder .
- Elisa . Steht auf , meine Kinder , und setzt Euch hier neben mich .
( Alle gehorchten , und setzten sich auf die Bänke , welche Elisa für sie hatte hinstellen lassen .
Sie fährt fort . )
Wir werden uns vielleicht nun nicht mehr oft sehen ; es ist vielleicht heute das Letztemal , daß wir hier alle versammelt sind , und glaubt mir , meine Kinder , die Trennung von Euch geht mir nahe ; denn Euer Wohl liegt mir am Herzen ! -
Doch sie ist notwendig .
Ihr seid nun in einem Alter , in welchem Ihr Euch selbst Euren Unterhalt erwerben könnt , und es ist meine Sorge gewesen , Euch in den Stand zu setzen , dieses tun zu können .
Nun ist es Eure Pflicht , für Euch selbst zu sorgen .
O , meine Kinder , Ihr nahmt heute die Verbindlichkeit auf Euch , gute Menschen zu sein ; vergeßt dieses nie , wenn Ihr wollt , daß es Euch wohl gehen soll !
Seid treu in Eurem Dienste , arbeitsam , geduldig und liebreich gegen Eure Nebenmenschen ; dann werden Eure Herrschaften Euch lieben und Eure Treue belohnen , und diejenigen , mit denen Ihr umgeht , Euch gerne Gefälligkeiten erweisen .
Lebt aber auch ordentlich und eingezogen ; denn eine liederliche Lebensart stürzt in Unglück , Krankheit und Laster , und seid versichert , daß , wenn Ihr Euch gut aufführt , Ihr immer in mir eine Mutter finden werdet , die bereit sein wird , Euch zu helfen .
Kommt nur zu mir , wenn Ihr in Mangel oder in Elend geratet , selbst wenn die geringste Widerwärtigkeit Euch trifft , ich werde Euch unterstützen .
Alles , was ich für Euch tat , geschah in der Absicht , Euch glücklich zu machen , und es würde mich sehr kränken , wenn Ihr durch eine schlechte Aufführung selbst Euer Glück zerstörtet .
O , meine lieben Kinder , versprecht mir , daß Ihr mir nie diesen Gram machen wollt !
Alle weinten , und fielen wieder zu Elisa's Füßen , die nächsten umfaßten ihre Knie .
O , gnädige Frau , o , unsere liebreiche Mutter ! nimmer ! nimmer !
Elisa . Wenn das ist , meine Kinder , so werde ich Euch ruhiger von hier ziehen sehen ; und solltet Ihr auch einmal einen Fehltritt begehen , so verliert doch nicht Euer Zutrauen zu mir , kommt auch dann noch zu mir , auch dann werde ich Euch aufnehmen , Euch zurecht weisen ; denn nie werde ich aufhören , Euch zu lieben !
- Sollten jetzt einige von Euch sein , welche noch keinen Dienst haben , oder noch kein Mittel wissen , sich ihren Unterhalt zu erwerben ; so können sie , bis sie einen Dienst bekommen , hier in Wallenthal auf dem Schlosse bleiben , und indes für uns arbeiten . -
Nun ging Elisa zu einem jeden , richtete ihn auf , drückte ihm die Hand und gab einem jeden zwei Taler .
Dank strahlte aus aller Augen , und ein Jeder versprach es sich selbst , seiner Wohltäterin würdig zu bleiben .
Elisa las es in ihren Herzen , sie sah ihren Vorsatz , er erfüllte sie mit der reinsten Freude .
Ich habe sie dem Laster und dem Elende entrissen , sprach sie zu sich selbst , ich habe sie zu Menschen gebildet , ich habe an ihrem Glücke gearbeitet ! -
Diese Vorstellungen strömten Wonnegefühl und das seligste Entzücken in ihr Herz .
Sie vergoß Tränen der seligsten Empfindung , der Freude über sich selbst , Menschen beglückt zu haben ; voll dieses Gefühls , eilte sie in ihr Zimmer , warf sich auf ihre Knie , und erhob ihr schönes Auge , aus welchem reine Verehrung der Gottheit und warme Menschenliebe blickten .
Dank Dir , gütige Vorsicht , rief sie aus , Du lehrtest mich die edelsten Freuden kennen !
Durch Deine Leitung wurde meine Seele gefühlvoll und liebend !
O , daß ich nie gleichgültig gegen Menschenwohl werde ! daß ich nie erkalte in dem tätigen Eifer , es;u befördern ! Dir , erste und wohltätige Quelle alles Daseins , erneuere ich das Gelübde , mein ganzes Leben hindurch Menschenglück zu befördern !
Und daß jeder Blick gen Himmel mich dessen erinnere , oder mit Vorwürfen mich strafe , wenn ich kalt in seiner Erfüllung werde ! -
Nun ging Elisa wieder hinunter ; ihr Blick schien der Blick eines Engels , und über ihrem ganzen Wesen lag holde Milde verbreitet .
Auch schlugen alle Herzen voll Liebe für sie .
Es waren auf dem Hofe viele Einwohner des Dorfs versammelt , und alle sagten unter einander :
O , wie schön ist unsere gnädige Frau !
Wie gütig sieht sie aus !
O , wir wollen immer Alles tun , was sie verlangt , gälte es auch unser Leben ; denn sie ist ja immer bemüht , uns zufrieden zu machen !
Elisa hatte für alle Kinder , welche an diesem Tage eingesegnet worden waren , eine Mahlzeit bereiten lassen ; sie ließ nun auf dem Hofe einen Tisch decken , und sie mußten sich an denselben setzen .
Fröhlichkeit herrschte bei diesem Mahle , und Elisa genoß mit Entzücken den Anblick unschuldiger , jugendlicher Freude .
Der kleinen Henriette trug sie auf , zu Allen zu gehen , zu fragen , was sie verlangten , zu sehen , was sie wünschten , und es ihnen dann zu bringen ; sie wollte sie jung gewöhnen , Vergnügen in Dienstleistungen , und in der Austeilung von Geschenken zu finden .
Die folgenden Tage war Elisa beschäftiget , zehn andere Kinder anzunehmen , welche die Stelle der Ersteren ersetzten , und reiste dann wieder zurück nach B.. .
In dieser Zeit starb Elisa's Mutter , und sie erbte nun ein ziemlich ansehnliches Vermögen ; allein gleich einfach blieb sie in ihrer Kleidung , und in ihrer Lebensart ; gleich aufmerksam in der Besorgung ihrer Wirtschaft und allen ihren häuslichen Angelegenheiten .
Wallenheim hatte indessen schon einen großen Teil seines Vermögens im Spiele durchgebracht , und Elisa's Bemühungen , ihn von dieser Leidenschaft zu heilen , waren vergebens .
Auch wollte er nun , daß mehr Prunk in seinem Hause herrschen sollte ; er nahm noch einige Bedienten an , und fing wieder an , viel Gesellschaft in seinem Hause zu sehen , in welchem alles auf einen sehr glänzenden Fuß eingerichtet werden mußte .
Oft reiste er allein nach Wallenthal , gab dort große Jagden , und verspielte dort ansehnliche Summen .
Ungern erfüllte Elisa , in Absicht des Aufwandes , den er führen wollte , seinen Willen .
Sie machte Vorstellungen dagegen ; allein er antwortete ihr :
ich will es so , Elisa !
Es ist von meinem Vermögen .
Sie schwieg dann , und bestrebte sich , in Allem , was er wünschte , ihm gefällig zu sein , und so viel es sein konnte , mit den wenigsten Kosten diesen Aufwand zu führen .
Sie erhielt auch von ihm , daß er für Herrmann , als dieser fünf Jahr alt war , einen Erzieher ins Haus nahm .
Schon seit einigen Jahren hatte sie gesucht , mit vielen jungen Männern bekannt zu werden , welche sich dem Erziehungsgeschäfte widmen wollten .
Jetzt fiel ihre Wahl auf einen jungen Mann , welcher mit edlen Gesinnungen und einem biederen Herzen nützliche und gründliche Kenntnisse verband .
Zwar besaß er wenig Weltkenntnis ; auch hatte er wenige Begriffe über Erziehung , und es fehlte ihm an Bildung in seinem äußeren Wesen ; allein Elisa hoffte , daß er dieses alles durch Erfahrung erlangen würde ; doch nur in dem Umgange mit ihr konnte dieses geschehen :
denn sie wurde , ohne daß er es wußte , seine Lehrerin .
Sie teilte ihm ihre Begriffe über Erziehung mit , machte ihn aufmerksam auf den Charakter und die Anlagen ihres Sohnes , sagte ihm , welches die beste Art sein würde , ihn zu behandeln .
Nach einem Jahr war Waldin ( so hieß der Lehrer des jungen Wallenheims ) fähig , im eigentlichen Sinne des Worts , Erzieher zu sein .
Unaufhörlich beobachtete er seinen Zögling , nicht ein Gedanke , nicht ein Verlangen des Kindes entging seiner Aufmerksamkeit , und jedes seiner eigenen Worte und Handlungen hatte Herrmanns Erziehung zum Zwecke .
Elisa es höfliches , vertrauliches und liebreiches Betragen gegen ihn , hatte verursacht , daß sein äußeres Wesen jene feine Politur bekam , welche man nur beim Weltmann antrifft , und welche doch der Erzieher stets haben sollte .
Verehrung ihrer Tugenden und Liebe gegen Herrmann , als den Gegenstand seiner Bemühungen , und das Wesen , welches durch ihn seine moralische Bildung erhalten sollte , fesselte ihn an die Wallenheimsche Familie , und machten ihm seine Stelle angenehm .
Einst , als Elisa lange mit ihm über ihre Kinder , über den Erziehungsplan , den sie gemeinschaftlich entworfen , und gemeinschaftlich ausführten , gesprochen hatte , sagte sie ihm endlich :
Herr Waldin , Ihnen werde ich vielleicht künftig das süßeste Glück meines Lebens verdanken , womit werde ich dieses vergelten können ?
Sie opfern der Erziehung meines Sohns Ihre Jugend und die Vergnügungen derselben , und ich werde Ihnen nichts geben können als meinen Dank ?
Waldin .
Der Dank der Edelsten Ihres Geschlechts ist viel wert , gnädige Frau , und doch wird er nur eine meiner geringsten Belohnungen sein !
Lassen Sie mich Herrmann zum Mann bilden , und ich darf sagen , mein Gefühl wird dem Ihrigen gleich kommen , es wird in sich seine Belohnung führen !
Elisa . Es wird noch erhabener sein , Herr Waldin .
Alles , was ich tue , heißt Muttergefühl mir , und Mutterfreuden werden mich belohnen ; aber Ihre Bemühungen sind eben so uneigennützig , als sie groß sind ! Waldin .
Und rein wird meine Freude einst sein !
O , gnädige Frau , Sie nur können die Gedanken und alle die seligen Empfindungen begreifen , welche in seinem Gefolge sind !
Den Gedanken :
ich habe einen Menschen gebildet , ich habe ihn zum nützlichen Mitgliede der Gesellschaft gemacht , ohne irgend ein anderes Interesse als das , Gutes tun zu wollen , ohne irgend einen anderen Antrieb als den , meine Pflicht und den erhabensten Beruf zu erfüllen !
Alles Gute , welches dieser Mensch tut , fällt mir , als dem ersten Urheber desselben , zu !
Wenn er seine Mitbürger beglückt , und sie ihn segnen , so segnen sie mich !
Wenn er glücklich durch seine Tugend ist , so ist er es durch mich , und ich zehnfach durch ihn ! -
Ich arbeitete an dem Glücke der würdigsten Mutter ; jede Freudenträne , welche sie über ihren Sohn vergießt , strömt Segen auf mich herab . -
In diesem Augenblicke kam Herrmann angelaufen ; er warf sich auf den Schoß seiner Mutter , und schrie in einem freudigen Tone :
Liebe Mutter , ich bin recht vergnügt !
Elisa . Das freuet mich , mein Herrmann ; aber was macht Dich denn so vergnügt ?
Herrm . Ich ging vor die Türe , liebe Mutter , eben als Sie mir die Kirschen und das Brot gegeben hatten , und da saß ein kleiner Junge ; er weinte so sehr , und ich fragte ihn weswegen ?
Er sagte mir , ihn hungerte sehr , und seine Eltern könnten ihm heute den ganzen Tag nichts zu essen geben ; da gab ich ihm meine Kirschen und das Brot .
Ich war zwar auch hungrig , und ich hatte mich sehr auf die Kirschen gefreut ; aber ich dachte nicht mehr daran .
Ich habe ihm auch gesagt , er sollte auf den Abend wieder kommen , ich wollte ihm mein Abendbrot geben ; ich kann ja morgen essen , und des Nachts fühle ich den Hunger nicht .
O da war er recht vergnügt , als ich das sagte ; er sprang und rennte freudig weg , und das machte mich auch lustig !
Bei diesen Worten hüpfte der Knabe aufs neue .
Elisa blickte auf Waldin ; inniger Dank war ihr Blick , und eine Träne der Freude rollte über ihre Wange ; sie nahm ihren Sohn in ihre Arme .
Waldin verstand den Blick ; ihn ganz will ich verdienen , sprach er zu sich selbst , und fest haftete der Vorsatz in seiner Seele .
Elisa . ( welche noch immer Herrmannen auf ihrem Schoße hält . )
Jedesmal , mein lieber Herrmann , wenn du den Armen etwas geben , oder etwas tun wirst , was ihnen Freude macht , wirst du so vergnügt sein .
Herrm . Jedesmal , liebe Mutter ?
Und Sie werden mich dann auch immer lieben wie jetzt ?
Elisa . Gewiß , Herrmann , ich werde dich jedesmal mehr lieben .
Herrm . O wenn doch recht oft kleine Jungen kämen , welche hungerten , ich wollte ihnen immer geben , was ich hätte !
Elisa . Weißt Du kein Mittel , Herrmann , wodurch dieses geschehen könnte ?
Herrm . Keins , Mutter . -
( Es sinnt nach . )
Doch etwas fällt mir ein , ich könnte , wenn ich spazieren ginge , die kleinen Jungen , welche traurig und schlecht angezogen sind , fragen , ob sie hungrig sind ? und dann sie mit mir nehmen .
Elisa . Ja , das geht an .
Aber sage mir , sagte der kleine Knabe , mit dem du heute sprachst , daß er oft hungere ?
Herrm . Das habe ich ihn nicht gefragt .
Doch ich weiß schon , was ich tun werde , ich werde ihm sagen , daß jedesmal , wenn er hungere , er zu mir komme , und dann wird er sich jedesmal so freuen , als heute .
Elisa . Tue das , Herrmann , er soll dann jedes Mal neben dir mit uns am Tische essen .
Herrmann fällt seiner Mutter freudig um den Hals .
Neben mir ? und ich werde auch essen ?
O , das ist herrlich ! -
( Nach einigem Besinnen . )
Doch , liebe Mutter , er hat nur so ein schlechtes Kleid an , es ist so schmutzig und so zerrissen .
Elisa . Der arme Knabe , wie mag ihn im Winter frieren ?
Herrm . Ach ja ! und dann kann er so nicht mit uns am Tische essen .
Elisa . Warum nicht , Herrmann ?
Dein Kleid ist oft schmutzig , und das deines Vaters und das Meinige sind stets rein ; wenn wir dich nun mit dem beschmutzten Kleide nicht wollten an den Tisch nehmen ?
Herrm . O liebe Mutter , das wäre hart !
Ich kann oft nicht dafür , daß mein Kleid beschmutzt wird ; es geschieht auf den Spaziergängen , und wenn ich im Garten arbeite , ohne daß ich es weiß .
Elisa . Der arme Knabe kann noch weniger dafür , daß seine Eltern ihm kein gutes Kleid kaufen können .
Herrm . Nein , gewiß nicht .
Elisa . Ist denn nun sein Kleid ein Hindernis , daß er nicht mit uns essen kann ?
Herrm . ( Beschämt. ) Nein , liebe Mutter . -
( Er wird nachdenkend , nach einer Pause . )
Aber , wenn er doch nun für den Winter ein anderes Kleid hätte , damit er nicht zu frieren brauchte ?
Elisa . Und gewiß haben auch seine Eltern nicht einmal Holz , um einheizen zu können ?
Herrmann , der bisher noch immer im Nachdenken versunken war , springt freudig auf , und klatscht mit den Händen .
O , liebe Mutter , mir ist etwas eingefallen ; o , er wird nun nicht so frieren !
Elisa . Wie wirst du dem abhelfen können ?
Herrm . Ich will ihm eins von meinen Kleidern geben .
O , wie vergnügt er sein wird , wie er springen wird ! -
Er läuft freudig fort .
Waldin geht ihm nach , ihn zu beobachten .
Elisa mit freudigem Entzücken : Herrmann , dein Geist ruht auf ihm !
Er wird einst edel sein , wie Du , und ich werde einst noch in meinem Sohne Dich lieben !
Auf diese Art beschäftigte Elisa sich mit ihren Kindern ; täglich wuchs ihre Zärtlichkeit gegen sie , und vorzüglich gegen Herrmann .
Carl besuchte seine Eltern alle Jahre , und jedesmal vermehrten sich Elisa's Besorgnisse um ihn .
Zwar besaß er innere Güte ; allein sein Charakter blieb schwankend .
Er liebte das Gute , und ließ zum Bösen sich hinreissen ; seine Leidenschaften waren heftig , und sein Verstand träge , unfähig zum ernsten Denken , unfähig , jene unter die Herrschaft der Vernunft zu bringen .
Oft erneuerte Elisa die Versuche , Wallenheim zu bewegen , Carln wieder in ihr Haus zurückzunehmen ; allein jedesmal erhielt sie eine abschlägliche Antwort .
Sie trauerte im Stillen darüber , ohne weiter ihrem Gatten Vorwürfe zu machen .
Doch noch einen empfindlicheren Schmerz bereitete ihr Wallenheim .
Einst als er einen großen Verlust im Spiele erlitten hatte , beredete ihn einer seiner Freunde , ihn zur Redoute zu begleiten , um sich zu zerstreuen .
Gleichgültig , wohin er seine Schritte wendet , mißmutig und mürrisch folget er seinem Freunde , und setzt auf der Redoute sich gedankenvoll in einen Winkel ; eine weibliche Stimme weckt ihn aus seinem Nachdenken : Gehen Sie , liebe Wilhelmine , hohlen Sie mich hier wieder ab , ich bin so müde , daß ich hier einige Augenblicke ruhen will ! -
Dieses waren die Worte , welche an seiner Seite erschallten ; er wendet sich um , und erblickt neben sich eine weibliche Figur , welche in diesem Augenblicke die Maske abnimmt , und dadurch Wallenheim auf einige Augenblicke stutzen macht .
Noch nie hatte Schönheit auf ihn Eindruck gemacht ; allein Rosalie war eins von den Geschöpfen , auf welche die Natur ihre liebsten Züge drückte : sanfter Zauber war ihr Blick , Liebe lächelte um ihren Mund , Grazie war in jeder ihrer Bewegungen ; ein schwarzer Mantel schlang sich in weiten Falten um ihren schlanken Leib , ohne die Schönheiten ihres Körpers zu verhüllen ; durch ihn sah man den schönsten Busen sich bewegen , auf welchem sanft ihre braunen Locken spielten .
Kaum saß sie , so wendete sie sich zu Wallenheim ; ihre Unterhaltung war angenehm , sie schwatzte den Mißmut aus seiner Seele ; er vergaß seinen Verlust , und er fühlte , daß er dieses Vergessen seiner schönen Nachbarin zu verdanken hatte .
Bald vergaß er jeden anderen Gegenstand , und in dem ganzen Zirkel erblickte er nur die schöne Rosalie ; sie bot alle Künste der feinsten Koketterie auf , ihn immer mehr an sich zu ziehen ; schon berauscht er sich in ihren Blicken , schon zittert Wollust in seinen Adern , als er seinen Arm um ihren halbentblößten Körper schlingt .
So führt ihn Rosalie weg in ihre Wohnung ; hier läßt sie ihn nicht genießen , sie gibt ihm aber den Vorschmack von dem , was Genuß ihm gewähren würde ; sie erregt sein Verlangen , reizt seine Begierden , und windet sich dann aus seinen Armen .
Er muß sie verlassen , ohne daß einmal seine Hand auf ihrem klopfenden Busen geruht habe , und doch zitternd vor Verlangen nach ihrem Besitze .
Er kehrte am anderen Tage zu ihr zurück , und mit starken Zügen läßt ihn Rosalie aus dem Becher der Freude und der Wollust trinken ; doch läßt sie ihn denselben nicht ausleeren .
Immer weiß sie den Freuden , welche in ihre Arme ihn locken , einen neuen Reiz zu geben , bis daß sie um ihn die Kette der Liebe und Wollust geschlungen hat , aus welcher er sich nicht mehr winden kann .
Rosalie beherrscht ihn nun ganz ; große Summen empfängt sie von ihm , die sie wieder verschwendet ; Pracht und Überfluß muß in ihrem Hause herrschen , und jedem ihrer Wünsche bestrebt sich Wallenheim zuvorzukommen .
Schon sechs Monate dauerte seine Leidenschaft zu Rosalien , und Elisa ahndete nichts von der Untreue ihres Gatten , als er einst nach Wallenthal gereist war , und bei seiner Zurückkunft seinen Bedienten vorausschickte , welcher Elisan sagte , daß er seinen Herrn am Tore verlassen habe , welcher ihm unverzüglich folgen würde .
Elisa wollte die Ankunft ihres Gatten erwarten , und nicht eher zu Bette gehen ; allein schon war Ludwig , ( Wallenheims Bedienter ) eine Stunde zurück , und Wallenheim kam noch nicht .
Elisa ließ Ludwig noch einmal kommen ; im ängstlichen Tone sagte sie zu ihm : Ludwig , mein Mann kommt ja nicht ?
Wenn ihm nur kein Unfall begegnet ist ?
Ludwig .
Ihr Gnaden , er war dicht am Tore , es kann ihm unmöglich mehr etwas zugestoßen sein .
Elisa . O , es muß doch sein !
Warum würde er außen bleiben ?
Er war ja diesen Abend nicht versagt ?
Und er selbst sagte mir , daß er ihm gesagt habe , er würde gleich ihm folgen !
Gott ! wenn er nur nicht gestürzt ist , es ist so dunkel !
... Ludwig .
Ich bitte um Verzeihung , Ihr Gnaden , es ist heller Mondschein .
Elisa . O , es wäre doch möglich !
Ich kann unmöglich länger ruhig sein !
Reite er wieder bis an den Ort hin , wo er ihn verlassen hat , Ludwig , ziehe er Erkundigungen von ihm ein , und bringe er mir bald Nachricht von ihm .
Ludwig erfüllte ihren Befehl ; allein er kam zurück , ohne ihr eine befriedigende Antwort zu bringen , er hatte nichts von seinem Herrn gehört .
Elisa es Unruhe stieg nun immer höher .
Sie lief alle Augenblicke an das Fenster , um ihn um so eher zu erblicken ; allein der Wächter rief zwölf , und Wallenheim kam nicht ; er rief eins , und Wallenheim war noch nicht da .
Endlich hört Elisa das Traben eines Pferdes :
O , das ist er ! ruft sie froh , und eilt hinaus .
Er war es ; doch wild und zerstört war seine Miene .
Elisa empfängt ihn an der Treppe , und umarmt ihn freudig .
O , Wallenheim , wie froh bin ich , daß ich Sie sehe !
Ich dachte , ein Unfall wäre Ihnen begegnet , ich konnte mir Ihr langes Aussenbleiben nicht erklären !
Wahlen . ( Kalt , erwidert ihre Umarmung nicht . )
Es wäre natürlicher gewesen , wenn Sie geglaubt hätten , Einer meiner Bekannten wäre mir begegnet , und ich hätte mit ihm diese Zeit zugebracht , wie denn dieses wirklich der Fall ist .
Elisa . ( Lächelnd. ) O , wer kann immer der geschäftigen Einbildungskraft Einhalt tun , wenn Besorgnisse über einen teuren Gegenstand in uns erregt sind !
Wahlen . ( Im vorigen Tone )
Es tut mir leid , daß Sie meinetwegen , und ohne Not diese Besorgnisse gehabt haben .
Ersparen Sie sich dieselben in der Zukunft !
Ich liebe es ohne dies nicht , ausgespäht zu werden , und von jedem meiner Schritte Rechenschaft geben zu müssen .
Er wandte sich hierauf weg , und ging in sein Zimmer ; auch Elisa ging in das Ihrige , und gab ihren Tränen ungehindert Lauf .
Am anderen Morgen erwachte sie früh ; sie hatte leise das Fenster geöffnet , und stand an demselben , die Morgenluft einzuatmen .
An der einen Seite ihres Schlafgemachs war das Zimmer ihrer Kammerjungfer ; auch dort waren die Fenster offen .
Elisa hört Ludwig hineintreten .
Friederike ruft ihm entgegen .
Gehe er sachte , Ludwig , die gnädige Frau schläft noch , sie ist gestern Abend spät zu Bette gegangen .
Ludw . Unsere gute , gnädige Frau !
Sie jammerte mich gestern recht !
Wie bekümmert sie war !
O , hätte ich ihr nur die Augen öffnen dürfen !
Doch aus Liebe zu ihr möchte ich es ihr nicht sagen. Frieder .
Was meint er , Ludwig ?
Ludw . Sie wissen also nicht , Mamsell Friederike , was in der ganzen Nachbarschaft schon längst von unserem Herrn bekannt ist ? Frieder .
Ich habe wohl was sprechen hören , doch nichts Bestimmtes .
Ich bekümmere mich um dergleichen Geschwätze nicht ; der gnädigen Frau darf ich von keinem Menschen , am wenigsten von unserem Herrn etwas erzählen .
Sie hat mir gleich gesagt , sie hasse das Klatschen , sie wolle mir alle meine Fehler verzeihen ; allein merke sie diesen an mir , so entließe sie mich ihrer Dienste .
Ludw . Die rechtschaffene Frau !
Und eine solche Buhldirne muß ihr bei unserem Herrn den Rang ablaufen !
Ich ärgere mich jedesmal , wenn ich mit ihm zu ihr gehen , oder ihr die prächtigsten Sachen hintragen muß .
Auch glaubte ich es gestern gleich , daß er bei ihr sein würde , und die Versicherung davon erhielt ich jetzt von ihrem Bedienten , der so eben einen Brief von ihr brachte. Frieder .
So vornehm ist sie also ?
Ludw .
Durch unseren Herrn geworden .
Allein ein gemeines Mädchen war sie nicht .
Sie heißt Mamsell Werner ; sie ist eines Malers Tochter , und ist viel mit ihrem Vater gereist , der vor zwei Jahren gestorben ist , worauf sie diese Lebensart angefangen hat .
Allein jetzt , glaube ich , gehört sie nur unserem Herrn allein , der sie stets seine schöne Rosalie nennt , und bis zum Sterben in sie verliebt ist .
Den geringsten ihrer Wünsche erfüllt er , ihr Wille leitet seine Handlungen ; in ihrem Hause ist es so prächtig , als in dem Unsrigen , und sie kleidet sich kostbarer , als unsere gnädige Frau .
Ich weiß auch , daß er schon ein Paarmal Geld geborgt hat , um es ihr zu schicken .
Und Sie sollten sehen , welche Aufmerksamkeit er ihr bezeigt , welche Zärtlichkeit er gegen sie hat ! -
Als er neulich in Wallenthal gewesen war , stieg er auch bei ihr ab ; ich folgte ihm , sie kam ihm entgegen , er schlug seinen Arm um sie , drückte sie lange an seine Brust , und sagte endlich :
O , meine Rosalie , ich habe nicht gelebt die Tage , da ich Dich nicht gesehen habe !
Schmeichler , antwortete sie , verlangst Du nun etwa doppelte Entschädigung ?
Ja , ja , sagte er , laß sie mich nur hier suchen !
Bei diesen Worten griff er ihr in den Busen , und als führt der Bräutigam zum Erstenmal die Braut ins hochzeitliche Bette , so ging er mit ihr hinein .
Doch schön ist sie , das ist wahr !
Sie hat ein Paar schwarze Augen , so voll Feuer , und doch so voll Sanftmut , einen so niedlichen Mund , so schönes Haar , welches auf einem so weißen Nacken , und auf einem so schönen Busen , der nur immer halb bedeckt ist , spielt .
Allein unsere gnädige Frau ist doch auch schön , mir kommt sie immer wie ein Engel vor ; es geht Einem durchs Herz , wenn sie einen ansieht und anlächelt .
Und unser Herr - Wenn er nur noch der Buhldirne überdrüssig würde !
Allein er ist noch eben so vernarrt in sie , als er es vor sechs Monaten war . -
Nicht ein Wort dieses Gesprächs blieb von Elisa'n ungehört ; ihr selbst unbemerkt , rollten Tränen von ihren Wangen .
Sie machte das Fenster wieder leise zu , um nicht gehört zu werden , und an demselben Tage schrieb sie folgenden Brief an Henriette .
" Meine Henriette !
Jahre verflossen mir in ruhiger Heiterkeit ; glücklich in meinen Kindern , ahndete ich keinen anderen Schmerz , als ihren Verlust .
Noch gestern glaubte ich nicht , daß ich heute Tränen gekränkter Liebe vergießen würde -
Doch , was klage ich ? -
O , Henriette ! wir werden unbillig , wenn wir lange glücklich sind !
Wir fordern dann , daß kein Wölkchen den heiteren Himmel trüben soll .
Doch ich will es nicht sein , ich will auch jetzt meine Empfindungen unterdrücken - Henriette , Wallenheim liebt , liebt eine Buhlerin , und diese ist jetzt seine Maitresse .
Ein Zufall machte , daß ich heute eine Unterredung zwischen Friederike und Ludwig hörte , welche mich hiervon unterrichtete .
Ich gestehe Dir , Schmerz war meine erste Empfindung ; ich vergoß einen Strom von Tränen .
Zwölf Jahre eines traulichen Umgangs , zwölf Jahre durch Ein Interesse verbunden , zwölf Jahre er und die Beförderung seines Glücks und seiner Zufriedenheit der Gegenstand meiner Bemühungen , und die Triebfeder meiner Handlungen , haben mir Wallenheim endlich teuer gemacht ; ich liebe ihn jetzt , und es kränkt mich , daß eine Andere seinem Herzen näher war als ich .
Ich weinte lange -
O , Henriette , es waren bittere Tränen , welche ich vergoß .
Seit langer Zeit wieder hatte mir Wallenheim oft übel begegnet ; allein ich hatte es für eine seiner gewöhnlichen Launen gehalten , und jede Empfindlichkeit darüber unterdrückt .
Jetzt glaubte ich , daß seine Liebe ihm Abneigung gegen mich eingeflößt hätte , und dieser Gedanke war mir schrecklich !
Ich wollte indes meine Tränen vor ihm verbergen , es war am Morgen , und wir frühstücken stets zusammen , nachdem Wallenheim aufgestanden ist .
Ich hörte schon seine Stimme , er war gestern von Wallenthal zurückgekommen , und erst spät in der Nacht zu Hause gekommen , weil er so lange bei seiner schönen Rosalie , ( wie er sie nennt ) gewesen war ; ich hatte ihn erwartet , weil sein langes Aussenbleiben mich besorgt machte , und er hatte mir hierüber Vorwürfe gemacht .
Ich erkannte , daß das Bewußtsein seiner Schuld diese veranlaßt hatte , und ich verzieh ihm . -
Nein , ich will ihn nicht von mir entfernen ! sagte ich zu mir selbst , und suchte meine gewöhnliche Heiterkeit wieder anzunehmen .
Ich erwähnte des vorigen Tages nicht ; ich unterhielt ihn , ich war lustig , er still und mißmutig ; ich holte heute beim Frühstücke unsere Kinder , er sah sie und mich mit Rührung , an , er küßte sie herzlich , und küßte auch mich beim Weggehen .
Noch haßt er mich nicht , sagte ich mir , und nun prüfte ich mich , ob ich etwa nachlässig in dem Bestreben , ihm zu gefallen , gewesen wäre ?
Ich konnte mir nichts vorwerfen ; allein ich kann unwissentlich gefehlt haben . -
Das Mädchen soll schön sein , Wallenheim kannte die Liebe noch nicht , Verlangen hatte ihn nie in meine Arme geführt , Wollust konnte ich ihm nicht mitteilen ; denn ich empfand sie nicht in den seinigen .
Und vielleicht ist dieses alles nur eine vorübergehende Leidenschaft , ein Rausch der Wollust , der wieder aufhören wird .
Dem sei wie ihm wolle , ich bin entschlossen , die größte Aufmerksamkeit auf mich zu haben , um mein Betragen gegen ihn nicht zu verändern .
Ich werde ihm nie über seine Neigung etwas sagen , er soll nie mich mürrisch oder verdrießlich sehen ; durch mich soll er in keiner seiner Handlungen , in keinem seiner Schritte eingeschränkt werden ; nie will ich als Ausspäherin vor ihm erscheinen , und kein Blick , kein Wort , keine Bewegung soll mich verraten , daß ich das Geheimnis seines Herzens weiß .
Vor einem Jeden will ich dieses verbergen .
Ich will weiter nicht nachforschen , ich will nichts mehr zu erfahren suchen .
Die Empfindungen sind unwillkürlich , und wehe dem Weibe , welches durch Zwang den Gatten erhalten will !
Nein , Wallenheim !
Ich werde Dir keine Fesseln anlegen !
Die der Liebe banden uns nicht , so wollte es das Geschick !
Auch glaubte ich immer , Henriette , daß der Mann nie fühlen müßte , daß er als Gatte weniger frei ist ; die Ehe muß nicht das Grab seiner Vergnügungen sein .
Die Männer werden durch Koketterie , durch den Reiz der Neuheit zu den Weibern hingezogen , und das Weib muß durch Annehmlichkeit , durch eine beständige Aufmerksamkeit , dem Gatten zu gefallen , jene Eindrücke zu schwächen suchen , welche Andere zuweilen auf ihn machen .
Sie darf nicht Beständigkeit von ihm erwarten , sie muß ihn nicht einschränken , sie muß ihn glücklich machen , und er wird sie immer lieben .
Dieses war mein Bestreben , seit dem Augenblicke , da ich Wallenheims Gattin wurde ; ich verdoppelte es , als mir Wallenheim teuer wurde ; allein Wallenheim liebt mich nicht - O , gewiß , ohne Eifersucht hatte ich ihn unbeständig gesehen , ich ertrug seine Gleichgültigkeit ; aber daß ein anderes Weib sein Zutrauen , seine Liebe besitzt , daß ich ihm jetzt weniger bin , als ihm seine Buhlerin ist - O , Henriette ! dieses schmerzt mich ; denn gern hätte ich seine Liebe verdienen mögen !
Allein Vorwürfe werde ich ihm nie machen .
Nein , mit jedem Morgen will ich mir zurufen :
Durch Liebe mußt du ihn wieder zu gewinnen suchen ! und gewiß , nicht Langeweile , nicht Unzufriedenheit über mich , soll ihn Rosalien suchen lassen ! -
Ich fühle mich jetzt ruhiger , da ich mein Betragen gegen ihn bestimmt habe ; ich suche Wallenheims Glück , und ich bin froh , daß ich zum wenigsten nichts tue , es zu zerstören .
Ich fühle , daß ich seine Liebe verdient hätte , und dieses Gefühl gibt mir noch Zufriedenheit , selbst wenn ich Tränen vergieße . -
Doch , Henriette , ich habe noch mehr Besorgnisse : Ich fürchte , Rosalie kostet Wallenheim viel , und ich mutmaße , daß er seit kurzem große Summen im Spiele verloren hat .
Ich weiß , daß seine Angelegenheiten in großer Unordnung sind ; ich habe auch schon mit ihm deshalb gesprochen ; allein er antwortet mir :
Ich sollte mich nicht darum bekümmern , er wüßte schon , wie es mit seinen Sachen stände , und er wüßte auch , welche Maßregeln er ergreifen müßte .
Ich habe geschwiegen , ich sage nun nichts mehr ; allein ich will mich noch mehr einschränken , ich will meine Ausgaben berechnen , es werden noch viele sein , welche nicht notwendig sind ; diese will ich ausstreichen .
Wallenheim und meine Kinder sollen in ihren Vergnügungen nicht eingeschränkt , die Unglücklichen nicht meiner Hilfe beraubt werden ; dieses verbietet mir Menschenpflicht , und mein Herz würde sich dagegen sträuben ; allein mir will ich Alles entziehen , was nicht unbedingte Notwendigkeit fordert .
O , Henriette , ich fühle , daß ich eine höhere Wollust empfinden werde , wenn ich dem Notleidenden die Summe geben werde , welche für meine Gemächlichkeit , für mein Vergnügen bestimmt war - Nein , ich darf nicht sagen , daß ich ein Opfer tue , ein höheres Glück bereite ich mir ! -
Nun ist es schon ein Jahr , meine Henriette , daß ich Dich nicht gesehen habe !
Sehnlich wünschte ich einmal wieder nach Wallenthal reisen zu können ; allein ich darf es jetzt wohl nicht hoffen .
Es sind vier Wochen , daß ich Wallenheim mein Verlangen äußerte ; allein er antwortete mir , daß seine Geschäfte ihm nicht erlauben würden , diesen Sommer einige Wochen von B ... abwesend zu sein .
Er will sich nicht von Rosalien trennen , und ich will nicht ohne ihn hinreisen ; heftiger würde sonst seine Liebe zu ihr , da nichts ihr das Gegengewicht halten würde ; allein ich will alle meine Bemühungen anwenden , ihn zu bewegen , mit mir nach Wallenthal zu reisen .
Sein Aufenthalt dort würde ihn vielleicht eher zu mir zurückbringen .
Abwesenheit würde ihr Bild schwächen , ländliche Stille seine von Leidenschaft berauschte Seele wieder in Ruhe einwiegen , und die natürlichen Empfindungen der Gatten-und Vaterliebe , im Schoße der Natur , vielleicht stärker wieder erregt werden .
O , ich kann noch nicht die Hoffnung aufgeben , einmal wieder seine Liebe zu gewinnen ! -
Noch sind ihm seine Kinder nicht gleichgültig , Herrmann wird ihm täglich teurer .
O , Henriette , wenn Du den Knaben siehst , wirst Du Dich mit mir über ihn freuen !
Der Keim jeder Tugend scheint in des Knaben Seele zu sein .
Täglich ruft er mir Birkensteins Bild zurück ; wie die seinige , ist seine Stirn offen ; edel , wie der seinige , ist sein Blick , und schon sehe ich männliches Feuer in seinen Augen funkeln . -
Doch auch meine Henriette wird ein liebenswürdiges Geschöpf ; sie ist so sanft , so Gehorsam , so fleißig , so aufmerksam , meinen Willen zu erfüllen ; ihre kleine Seele findet schon ein Wohlgefallen darin , Anderen Freuden zu schaffen ; sie fühlt schon Anderer Leiden , und ist die Trösterin unserer Leute .
Wenn Herrmanns Wildheit ihn zu Fehlern verleitet , so entschuldiget sie sie , und verbirgt sie vor uns .
O , Henriette !
ich darf hoffen , daß ihre Seele einst mit der meinigen übereinstimmen wird !
Wenn ich nicht eine glückliche Gattin bin , so werde ich doch vielleicht eine glückliche Mutter werden !
Und welches Recht habe ich denn , alle die Glückseligkeiten zu besitzen , welche einzeln unter uns Erdenkindern verteilt sind ? -
Nein , ich will jedes Leiden willig ertragen , und dankbar jedes Guten mich freuen , welches mir zu Teile wird ! -
O , mir wurde ja so viel !
Ich kenne ja , von meiner Kindheit an , die süße Empfindung der Freundschaft !
Noch heute habe Dank dafür , meine Henriette ; denn noch heute empfand ich recht lebhaft , wie süß , wie beruhigend es ist , in dem Busen der Freundschaft alle Empfindungen der Freude und des Kummers ausschütten zu können ! "
- An eben dem Tage , als Henriette diesen Brief empfing , erhielt Felsig folgenden von Wallenheim :
" Ich soll Dir schreiben , Felsig ?
Du beschwerst Dich , daß Du nichts mehr von mir hörtest ?
Ich lasse Deine Briefe unbeantwortet , ich reise nach Wallenthal , und komme nicht zu Dir ?
Alles wahr !
Doch , Felsig , ich kann mich jetzt nicht mit mir selbst beschäftigen , viel weniger mit Gegenständen außer mir !
Ich kann nicht denken , Alles ist Leidenschaft in mir !
Ich lebe nur in dem Anschauen , in den Umarmungen eines Weibes , und bin wütend , wenn ich an ihrem Busen mich gesättigt habe !
Ich rase über meine Leidenschaft , und bin nur glücklich in ihrer Befriedigung !
Ich verehre mein Weib , und hasse sie wegen ihrer Vollkommenheit !
In diesem Zustande , was soll ich Dir sagen , Felsig ?
Unwiderstehlich hingezogen zu Rosalien , zu dem schönsten Weibe , das ich je sah , mache ich mir unaufhörlich Vorwürfe , daß ich die Vortrefflichste aller Weiber hintergehe !
Ihr , die ihr Leben anwendet , mich vergnügt und glücklich zu machen , lohne ich mit Untreue und Undank , und doch kann , doch mag ich Rosalien nicht entsagen !
Seit ich sie kenne , weiß ich , was Liebe ist !
Ein unglückliches Verhängnis wollte , daß ich mein Weib nie lieben konnte , ob sie gleich so schön , so liebevoll ist .
Ich bewundere sie ; ich kann sagen , ich verehre sie wie eine Gottheit ; denn wer kann sie täglich sehen , täglich ihre Handlungen beobachten , und nicht glauben , die Tugend sei herabgestiegen , und habe ihre Gestalt angenommen , und doch -
Ja , Felsig , mein Leben opferte ich Elisa'n auf ; allein mit Rosalien möchte ich es zubringen , an ihrer Seite möchte ich meine Tage verleben - Solltest Du sie kennen , diese Rosalie , solltest Du nur einmal ihre Zauberkraft empfinden !
Doch , ich spreche wie ein Jüngling - Elisa's Umgang hatte mein Herz zu weichen Gefühlen gestimmt ; ich hatte jene vorige Rauigkeit verloren ; ich war fähig zu lieben - In diesem Zustande fand ich einst an meiner Seite ein Weib - das Meisterstück der Natur !
Ihre Stimme war Gesang - ich war schwermütig , sie schwatzte den Mißmut aus meiner Seele - mein Herz öffnete sich neuen Gefühlen - ich umschlang sie , ihr Hauch war Liebe , und mein ganzes Wesen wurde es nun !
Sechs Monate sind es jetzt schon , daß ich in Rosaliens Besitze glücklich und unglücklich bin !
Bei ihr bin ich glücklich , ich vergesse alles Übrige , ich lebe nur in ihr , ich empfinde nur durch sie !
Allein kehre ich zu Elisa'n zurück , dann liegt das Bewußtsein meiner Schuld schwer auf mir .
Wenn sie mit ihrer himmlischen Sanftmut mich empfängt , wenn sie lächelnd mir meine Kinder zuführt , wenn munterer Scherz von ihren Lippen strömt , der , als ich noch nichts liebte , so oft mich erheiterte -
O , Felsing !
dann ist es , als wenn eine Stimme mir zurief : Du bist ein Unmensch !
Ich werde wütend , und lasse gegen Elisa'n den Zorn über mich selbst aus !
Ihre Liebkosungen erwidere ich mit Kälte , ihre Sanftmut mit Unwillen .
Noch diese Nacht - O , wie habe ich das arme Weib gekränkt !
Ich war in Wallenthal gewesen , und flog zurück in Rosaliens Arme .
Zwei Tage hatte ich sie nicht gesehen , zwei Tage nicht an ihrem Busen geruht , heiß war mein Empfang , zärtlich der Ihrige ; ich schwelgte an ihrer Seite die halbe Nacht hindurch ; noch berauscht von ihren Küssen , riß ich mich von ihr los , und ritt nach Hause .
Mein Weib empfing mich ; dieses war ein Donnerschlag für mich ; ich glaubte , sie stände da , mir mein Glück vorzuwerfen , und ich begegnete ihr hart - Wie gewöhnlich , machte sie mir keine Vorwürfe , und klagte nicht ; allein Kummer war heute über allen ihren Zügen verbreitet , ob sie gleich sich bestrebte , heiter zu sein .
Sollte sie die Ursache meines Außenbleibens erfahren haben ? -
Dieses beunruhiget mich , Felsig . -
O , durch mich wurde Elisa aller Freuden der Jugend und der Liebe beraubt ; ich bestreute den Pfad ihres Lebens mit Dornen !
Muß ich nun noch durch Untreue ihre übrigen Tage verbittern ? -
Dieses waren meine Betrachtungen , als ich sie heute sah , Felsig , und ich war sehr gerührt .
Gewiß , ich werde es nicht bemerken können , ob sie meine Liebe zu Rosalien weiß , denn ich bin überzeugt , ihr Betragen gegen mich wird unverändert bleiben .
Noch nie sprach ihr Mund gegen mich einen Vorwurf aus , und diese himmlische Sanftmut , diese beständige Aufmerksamkeit , mir zu gefallen , und jedes Mißvergnügen von mir zu entfernen , macht mich jetzt noch unglücklicher ; denn es vergrößert meine Schuld .
Jetzt denke ich oft : warum konnte ich doch nicht Elisa'n lieben , wie ich Rosalien liebe ?
Wie glücklich wäre ich gewesen !
Letzt kam ich einmal an einem Morgen von Rosalien , ich hatte die Nacht in ihren Armen geruht , ich hatte auf ihrem Busen gespielt - ganz hatte ich den Becher der Liebe und Wollust geleert , den die schönste Tochter der Freude mir dargeboten hatte .
Die Vorstellung genossener Freuden umschwebte mich noch , als ich zurückkam ; in ihnen verloren und zerstreut , öffnete ich das Schlafzimmer meiner Frau , statt der Tür des meinigen - Ich weiß nicht , welche Wirkung in diesem Augenblick ihr Anblick auf mich machte -
Die Vorhänge ihres Bettes waren zurückgeschlagen , ihre Hand war entblößt , ihr Busentuch hatte sich geöffnet - sie schien mir so schön - ich näherte mich ihr - ihr Hauch war so leise , ihre Miene so ruhig , so heiter ; selbst schlafend lächelte ihr Mund , ihr Busen hob sich so sanft - sie schien mir das Bild der Unschuld - Ich weiß nicht , welche Gefühle sich in mir drängten - Ich fiel vor ihr nieder -
Ach , ich hatte sie oft in meinen Armen gehabt , und hatte nichts empfunden !
Zum Erstenmal erkannte ich , welcher Freuden ich hätte genießen können ! -
In der Tat , vor meiner Bekanntschaft mit Rosalien , war mir mein Weib seit einiger Zeit teuer geworden , und ich glaube , auch sie fing an mich zu lieben ; denn heißer wurden ihre Küsse , und immer drückte ich sie oft an meine Brust ; allein ein Kuß von Rosalien machte mich kalt gegen Elisa's Umarmungen . -
O , Felsig , hätte ich doch Elisa'n schon lange vor meiner Verheiratung gekannt , hätte sie mich doch da schon empfinden lehren können !
Ich hätte erkannt , welche Seligkeit es sein müßte , von einem solchen Weibe geliebt zu werden !
Jetzt ist diese Erkenntnis zu spät , sie macht mich mißmutig , oft wütend !
Ich mag dem Gedanken nicht nachhängen , und doch drängt er sich oft mir unwillkürlich auf !
Vorzüglich wenn ich von Rosalien komme , und dort glücklich gewesen bin , und dann wider meinen Willen die stillen Tugenden meines Weibes verehren muß .
Darum meide ich jetzt ihren Anblick , und bin mißmutig , wenn ich bei ihr bin , und nur selten gelingt es ihr jetzt , mich aufzuheitern ; ich fliehe dann zu Rosalien , in ihren Armen liegt Vergessenheit meiner Sorgen .
Ich habe jetzt noch mehrere , diese wird Elisa mit mir teilen - Lebe wohl , Felsig !
Fast möchte ich erröten , wie ein Knabe , daß ich Dich nur von Weibern unterhalten habe .
Als ich ein Jüngling war , erwähnte ich ihrer nicht , und jetzt - Doch ich möchte den Mann sehen , der Elisa'n nicht bewundern , und Rosalien nicht lieben würde !
P. S.
Zeige diesen Brief nicht Deiner Gattin . "
Ihrem Vorsatze treu , änderte Elisa nicht ihr Betragen gegen ihren Gatten .
Gleich blieb ihre Liebe , ihre Gefälligkeit , ihre Geduld .
Selbst ihre Traurigkeit verbarg sie vor ihm .
Oft prüfte sie sich , ob auch ihr Betragen noch untadelhaft wäre , und ermunterte sich zur Ausübung ihrer Pflichten gegen ihren Gatten .
Noch bereitwilliger verzieh sie ihm jetzt Äußerungen des Zorns oder des Mißmuts ; denn sie schrieb sie seiner Leidenschaft zu Rosalien zu .
So verflossen noch sechs Monate , als an einem Morgen , da Wallenheim abwesend war , ein Mädchen einen Brief an ihn brachte , und ihn Elisa'n , welche ihr begegnete , mit den Worten gab : Der Herr möchte ihn doch ja gleich erbrechen ; denn er wäre von der äußersten Wichtigkeit .
Schnell lief das Mädchen wieder weg , ohne daß Elisa sie fragen konnte , von wem der Brief wäre .
Elisa , welche sich nie erlaubte , offene Briefe , welche ihr Gatte in ihrem Zimmer vergaß , zu lesen , stand unschlüssig da , ob sie diesen Brief eröffnen sollte .
Wallenheim war nach Wallenthal gereist ; er hatte ihr nicht gesagt , wenn er zurückkommen würde , und vielleicht betraf dieser Brief eine Sache , welche keinen Aufschub litt .
Wenn er vielleicht gar von einem Gläubiger wäre , sprach Elisa zu sich selbst , und ich könnte Wallenheim eine Unannehmlichkeit ersparen ?
Diese Betrachtung bewog sie , das Siegel zu erbrechen ; sie las folgenden Inhalt :
" Eilen Sie zu meiner Rettung , Wallenheim !
Zwar muß ich mich schuldig erkennen ; Ich habe meinem unglücklichen Hange zur Verschwendung nicht genug widerstanden !
Aber Mann - Warum warst Du auch so königlich in Deinen Geschenken , als Du in Deiner Liebe zärtlich bist ?
O , Du verwöhntest mich ! -
Meine Bücher- und Gemäldesammlung , welche ich vor einigen Monaten kaufte , ist noch nicht bezahlt , ich borgte das Geld dazu ; ich wollte die Summe von Ihnen nicht fordern , da Sie mich mit Geschenken überhäufen , und ich glaubte , sie nach und nach abtragen zu können .
Im Taumel der Freuden , die Deine Liebe mir schafft , vergaß ich , daß ich Schuldnerin war .
Ich konnte und wollte den hundert Kleinigkeiten nicht entsagen , wodurch ich Dir gefalle , und welche nur ihren Wert durch Deinen Beifall erhalten ; ich konnte meine Vergnügungen nicht einschränken ; denn sie sind die Deinigen , und - Wallenheim , die Bedingung war , daß ich nach drei Monaten den vierten Teil meiner Schuld bezahlen sollte .
Viere sind verflossen , ich habe noch nichts bezahlt .
Mein Gläubiger fordert nun die ganze Summe , es sind 3000 Taler ; er drohet mir mit Gesängnißstrafe , wenn ich sie nicht in drei Tagen schaffe .
Der vorige Besitzer meiner Bücher- und Gemäldesammlung ist nicht mehr hier ; er würde sie vielleicht wieder annehmen , und einen anderen Käufer finde ich nicht so bald .
Könnte ich auch die Gemälde verkaufen , Wallenheim , vor welchen Du und ich so oft Arm in Arm geschlungen standen , und .... O welche Erinnerungen erwachen da in meiner Seele !
In diesem Augenblicke sitze ich vor dem Gemälde des .... wie er mit zauberischen Zügen die Göttin der Liebe schildert , als sie den Trojanischen Königssohn bewog , ihr der Schönheit Preis zu geben .
Ach Du verglichest einst meine Gestalt mit der Ihrigen , da sank ich , von süßen Gefühlen überwältigt , in Deine Arme ; mir schwand jedes Bewußtsein , ich fühlte nur noch Deine zitternden Lippen auf meinem Busen , ich warf noch einen Blick auf die Göttin , ich fühlte Dein Herz an dem meinigen schlagen , und .....
Doch wohin leitet mich meine Phantasie ?
Sie sollte mir einen Kerker zeigen , wenn Wallenheim mich verläßt !
Schon habe ich Dich gestern den ganzen Tag nicht gesehen ; dieses erfüllte mich schon mit Bangigkeit .
Sollte mein Glück nur so kurze Zeit gedauert haben ? -
Schon wieder einen Brief von meinem Peiniger :
in einigen Stunden will er mir einen Polizeidiener schicken - O , Wallenheim ! komme zu mir !
Der Anblick wird Deine Rosalie wieder beruhigen ! "
- Bestürzt stand Elisa nach Lesung des Briefes .
Tränen rollten von ihren Wangen .
Wie zärtlich wird sie geliebt ! sprach sie .
Sie machte den Brief wieder zu , und legte ihn in Wallenheims Zimmer .
Er soll ihn erhalten , sprach sie , nachdem Rosalie schon wird gerettet sein .
Elisa fürchtete , daß Wallenheim nicht mehr die Summe besitzen möchte , welche Rosalie verlangte ; sie wußte aber auch , daß er sie ihr dennoch schaffen würde , und sie besorgte , daß er in Schulden geraten möchte .
Sie beschloß also , ihre Juwelen zu verkaufen , deren Wert sich auf drei tausend Taler belief ; denn von ihrem Vermögen konnte sie an barem Gelde diese Summe nicht sobald erhalten ; auch wollte sie sie nicht aufnehmen .
Ich darf die Juwelen zu meinem Gebrauche bestimmen ; sie sind ein Zierat , den ich entbehren kann ; durch sie entreiße ich Wallenheim einer Verlegenheit , und verhindere , daß er noch eine größere Summe verliert .
- Dieses waren in diesem Augenblicke Elisa's Betrachtungen .
- Sie nahm die Juwelen , und fuhr zu zwei Juwelieren .
Beide schätzten ihren Wert auf 3000 Taler ; allein bares Geld konnten sie ihr sogleich nicht geben , und Elisa wollte , daß Rosalie die Summe vor Wallenheims Zurückkunft erhalten sollte .
Allein Wallenheim war an demselben Morgen von Wallenthal zurück , und bei Rosalien angekommen , als diese eben den Brief an ihn weggesandt hatte .
Beide befanden sich in großer Verlegenheit .
Wallenheim gestand Rosalien , daß er genörhiget wäre , die Summe aufzunehmen , und daß seine Angelegenheiten jetzt in der größten Unordnung wären , und Rosalie machte sich heimlich Vorwürfe , daß sie die Schuld dieser Zerrüttung seiner Vermögensumstände wäre ; denn sie hatte einen ansehnlichen Teil desselben verschwendet .
Diesmal hatten Scherz und Freude sie verlassen ; ihre Unterhaltung war ernst , und Unmut las man auf ihren Gesichtern .
Plötzlich erblickt Wallenheim seinen Wagen vor der Tür , und seine Frau in demselben .
Wahlen . ( wird blaß . )
Himmel !
da ist mein Weib !
Was bedeutet das ?
Rosalie . ( erschrocken . )
Ihre Frau ?
Ich zittere !
Ihr ist gewiß der unglückliche Brief in die Hände geraten , den ich Ihnen am Morgen schrieb ? Wahlen .
Wie ! wäre das möglich ?
sie eröffnet meine Briefe nie !
Doch welche Absicht es auch sei , welche sie hierher leitet , sie kann nicht anders als gut sein .
Sie kennen das Weib nicht , alle ihre Handlungen sind die eines höheren Wesens .
In diesem Augenblicke kam ein Bedienter herein , und meldete Rosalien eine Unbekannte , welche sie bitten ließ , ihr eine Unterredung einer halben Stunde zu gewähren. Rosalie .
Ich kann sie nicht annehmen !
Wahlen . Nehmen Sie sie an , Rosalie , ich bin Bürge , daß Sie keine Beleidigungen zu befürchten haben , und ich würde es auch zu rächen wissen !
Rosalie . ( zum Bedienten . )
Nun , so führe er die Dame in mein Zimmer !
( Der Bediente geht hinaus )
Aber wo bleiben Sie , Wallenheim ? Wahlen .
Ich werde hier in dieses Kabinett gehen .
Rosalie . O , entfernen Sie sich nur nicht weiter !
Gott ! was wird das für eine Unterredung sein !
Wahlen . ( küßt sie . )
Werden Sie nicht mutlos , Rosalie , die Liebe wird Ihnen beistehen !
- Er ging hinaus , und Elisa trat in das Zimmer .
Elisa . ( Nachdem sie eine Verbeugung gemacht hat . )
Verzeihen Sie , Mademoiselle , mein Besuch ist vielleicht unbescheiden , allein eine wichtige Angelegenheit führt mich zu Ihnen. Rosalie . ( Verwirrt .
Sie ist dieses während der ganzen Unterredung . )
Gnädige Frau , in der Tat kann ich nicht begreifen , wodurch ich die Ehre Ihres Besuchs erhalte , da ich nicht die Ehre habe , von Ihnen gekannt zu sein ?
Elisa . Ich fühle es , ich bin zudringlich , ich muß um Ihre Nachsicht bitten !
Der Titel einer Unbekannten , und meinen Namen kann ich Ihnen nicht entdecken , gibt mir keinen Anspruch , von Ihnen gehört zu werden , wenn Sie mir dieses nicht aus Güte gewähren .
Rosalie . Gnädige Frau , Sie setzen mich in Erstaunen - Elisa . ( Einfallend. )
Ich werfe mir Ihre Verwirrung vor ... allein , ( Sie ergreift ihre Hand . ) können Sie einer Unbekannten eine Bitte gewähren ? Rosalie .
Ich kann es nicht versprechen , wenn ich nicht ihren Inhalt weiß .
Elisa . Mademoiselle , unwillkürlich , und durch einen Zufall , bin ich die Inhaberin eines Ihrer Geheimnisse geworden .
Werden Sie nicht unwillig darüber !
Ich bin benachrichtiget worden , daß Sie Dreitausend Taler schuldig sind , und daß Sie diese gleich bezahlen sollen ; ich wußte , daß Sie sie schleunig verlangten , und dieses bewog mich , Ihnen meine Juwelen anzubieten , deren Wert sich auf diese Summe beläuft .
( Sie zog bei diesen Worten das Kästchen mit den Juwelen aus ihrer Tasche . )
Ich hoffe von Ihrer Großmut , daß Sie sie nicht ausschlagen werden .
Ich kann sie entbehren ; doch wollen Sie sie nicht annehmen , so betrachten Sie sie als eine Schuld , welche Sie abtragen können , sobald es Ihre Umstände erlauben .
Nur eine Bitte wage ich hinzu zu setzen : sagen Sie keinem Menschen , auch dem Herrn von Wallenheim nicht , daß Sie diese Juwelen erhalten haben !
Rosalie . ( bestürzt . )
Wissen Sie meine Verbindung mit Ihrem Gatten ?
Elisa . Er liebt Sie .
Ich wünschte stets sein Glück , o , möchte er es doch finden , selbst in den Armen einer Anderen !
Ich kann nur bedauern , daß ein unglückliches Verhängnis es ihn fern von mir suchen ließ , ohne ihm andere Fesseln anlegen zu wollen , als die der Liebe !
( mit immer steigender Wärme ; sie ergreift Rosaliens Hand . )
Werden Sie ihm also , was ich seinem Herzen nicht werden konnte , vergelten Sie ihm wieder Liebe , lassen Sie sie aber nicht bloß in sinnlichen Freuden bestehen , sondern lehren Sie ihn auch das Glück kennen , welches zwei Wesen in der Übereinstimmung ihrer Seelen finden ; daß er mit Entzücken fühlen mag , daß ein Wesen mit ihm verbunden ist , welches jedes Gefühl mit ihm teilt ; daß er in dieser Empfindung jede Zufriedenheit , jede Freude des Lebens finden mag !
O , darum sein Sie ihm Geliebte und Freundin ! - -
( stockend . )
Aber entziehen Sie ihn nicht ganz einer Gattin , die ihn liebt , und die ihre Ruhe der seinigen aufopfern will -
( mit erstickten Tränen . )
Entziehen Sie meinen Kindern nicht ihren Vater : - dann soll Ihnen in der Stunde meines Todes meine Dank noch werden !
( Sie will das Zimmer verlassen , Wallenheim eilt aus dem Kabinett , und wirft sich zu ihren Füßen . )
Wahlen . Elisa ! edles , großmütiges Weib !
Elisa . ( bestürzt , nach einer Pause . )
Wallenheim , Sie hier ?
Und in welcher Stellung ?
O , stehen Sie auf !
Wahlen . ( immer zu ihren Füßen , )
Ich will Ihre Verzeihung erflehen !
O , Elisa !
mein Herz ist nicht ganz ohne Gefühl !
Ich kann den Adel Ihrer Seele empfinden , und in diesem Augenblicke fühle ich keinen anderen Schmerz , als daß ich Ihnen keine so erhabene , so uneigennützige Liebe erwidern kann , und daß Sie diesen Mangel empfinden werden !
Elisa . ( gerührt , umarmt ihn , und hebt ihn auf . )
Wallenheim , Sie werden mir stets so teuer sein , als jetzt , und kann ich einst Ihre Liebe erhalten , so wird diese mich zum glücklichsten Weibe machen !
( Tränen glänzen in Wallenheims Auge , er küßt mit Inbrunst Elisa's Hand . ) Rosalie . ( nähert sich Elisa'n . ) Gnädige Frau , mit dem Bewußtsein meiner Schuld hätte ich vom ersten Augenblicke an nicht Ihren Anblick ertragen können , wenn Ihre holdselige Güte mir nicht Mut eingeflößt hätte .
Ich flehe nicht um Ihre Verzeihung , es ist unter Ihrer großen Seele , solche zu erteilen , Sie konnten nicht zürnen .
Ich habe die Tugend in ihrer ganzen Größe gesehen , und in ihr meine eigene Niedrigkeit erblickt .
Mich wieder über mich selbst erheben , und die Wollust fliehen , soll von heute an das Bestreben meines Lebens werden .
Ich verlasse morgen B ....
Nehmen Sie aber Ihre Juwelen zurück , gnädige Frau , Sie sehen , daß , wenn ich alle diese Sachen verkaufe , die nur Bedürfnisse des Luxus sind , und mir unnötig werden , ich meine Schuld bezahlen kann .
Ich opfere diese Sachen auch nur meinem eigenen Stolze ; denn sie würden mir unaufhörlich zurufen :
Wir sind der Lohn deiner Schande !
Elisa . Wohl Ihnen , Rosalie , Ihre Seele ist unverdorben geblieben !
Sie war von der Natur zur Tugend bestimmt ; nur jugendlicher Leichtann und Übereilung konnten Sie auf Abwege führen .
Es ist schön , in der Blüte der Jugend und Schönheit , von ihnen zurückzukommen !
Allein , ( sie ergreift Rosaliens Hand . )
Sie sollen der Tugend nicht Ihre Gemächlichkeit opfern , Ihre Rückkehr zu ihr soll Ihnen durch Entbehrung des Angenehmen nicht schmerzhaft werden , Sie sollen nicht in Mangel geraten ; Ihre Phantasie könnte Ihnen sonst Ihre vorige Lage mit verschönerten Farben wieder vorstellen , und sie Sie zurückwünschen lassen .
Sie sollen empfinden , daß man im Schoße der Tugend jedes Gute doppelt genießt .
Behalten Sie also von Ihren Sachen , was Notwendigkeit Ihnen nicht heischt , zu verkaufen , und - ( sie wendet sich gegen Wallenheim . )
Wallenheim , Sie erlauben mir doch , Rosalien meine Juwelen , als ein Geschenk anzubieten ? Wahlen .
Sie allein können nur über alles , was Sie besitzen , gebieten , und ich kann nur Sie bewundern !
Elisa . ( Errötet , und mit dem ganzen Ausdruck der Liebe blickt sie auf Wallenheim , zu Rosalien . )
Um der Tugend Willen also , schöne Rosalie , nehmen Sie mein Geschenk an !
Rosalie . O , gnädige Frau ! wollen Sie denn nur allein so großmütig sein ?
Elisa . Rosalie , in Ihrer gegenwärtigen Lage ist es eben so großmütig mein Geschenk anzunehmen. Rosalie .
Ich sehe es , es wäre Beleidigung , Sie glauben zu lassen , ich hätte Sie mißverstanden !
( Sie nimmt die Juwelen , und führt Elisa'n in ihr Kabinett vor ein Gemälde , auf welchem die Tugend geschildert ist , welche dem Titus eine Krone reicht , auf welcher die Worte stehen : Ich mache unsterblich . )
Alles , was Sie hier sehen , nehme ich als ein Geschenk von Ihnen an ; aber von Allem soll dieses mir das Teuerste sein .
Ich werde es ansehen , als hätten Sie es mir gegeben , um mich zur Tugend zu ermuntern .
Es soll gerade über meinem Bette hängen , und an jedem Morgen wird es bei meinem Erwachen das Erste sein , was ich erblicken werde :
ich werde in der Tugend Ihre Züge zu erkennen glauben , und mich dann erinnern , daß ich Ihnen gelobte , zu ihr zurückzukehren .
Elisa . Welche feine Züge des Schönen liegen in Ihrer Seele , Rosalie ! sie sind Ihrer äußeren Bildung gleich .
Sein Sie unverzagt ; einmal zur Tugend zurückgekehrt , werden Sie ihre Anhängerin bleiben ; da Sie sie jetzt schon verehren , werden Sie sie lieben , wenn Sie sie näher kennen werden ! -
( Sie umarmt sie. ) Leben Sie wohl !
Meine besten Wünsche werden Sie begleiten .
- Elisa verließ nun das Zimmer .
Wallenheim ergriff Rosaliens Hand , drückte sie an seine Lippen , und rief ; Leben Sie wohl , Rosalie !
Nach meiner Gattin werden Sie mir stets unter allen Weibern das Liebste sein !
Rosalie sprach nicht , sie vergoß Tränen , Tränen des Danks , der Bewunderung , der Reue und der Demütigung .
- Wallenheim folgte seiner Gattin sprachlos saß er an ihrer Seite , Vorwürfe waren in ihm erwacht , er trauerte , daß er der Nachsicht seiner Gattin bedurfte , und dieses Gefühl demütigte ihn , und machte ihn niedergeschlagen .
Elisa las es in seiner Seele , sie wollte jeden Schmerz von ihm entfernen , sie wollte ihn wieder mit sich selbst aussöhnen .
Sie suchte seine Aufmerksamkeit auf andere Gegenstände zu richten , sie bewies ihm so viel Liebe , so viel Achtung ; in ihrem ganzen Wesen war eine ungezwungene Heiterkeit , sie bestrebte sich , ihm zu zeigen , daß sie glücklich sei .
Er fühlte das Edle ihres Betragens , er war gerührt .
So langten sie in ihrer Wohnung an .
Wallenheim begleitete seine Gattin in ihr Zimmer ; hier drückte er sie in seine Arme , und in seinem Auge glänzte eine Träne .
Die sanfte , gefühlvolle Elisa weinte Tränen des süßesten Gefühls .
O Wallenheim , sagte sie , indem sie ihren Kopf auf seine Schulter lehnte , wie glücklich werde ich nun sein !
Wallenheim vermochte nicht zu sprechen , er drückte nur ihre Hand , und sagte zu sich selbst : wie konnte ich doch das Weib nicht lieben ?
Nun kamen Henriette und Herrmann herein , und in diesem Augenblicke machte ihr Anblick Wallenheim seine Gattin noch teurer .
- Wahlen . ( Zu seiner Gattin , nachdem die Kinder wieder hinausgegangen sind . )
Elisa , ich bedarf Ihre Nachsicht noch weit mehr ! meine Vermögensumstände sind in der größten Zerrüttung , ich habe Schulden , ich habe Spekulationen gemacht , bei welchen ich ansehnliche Summen verloren habe , ich fürchte , mir bleibt nichts mehr übrig .
Elisa . Ich besitze ja noch mein ganzes Vermögen , teurer Wallenheim .
Lassen Sie uns morgen Ihre Angelegenheiten untersuchen , ich werde Ihre Schulden bezahlen , und bleibt uns nicht viel übrig , so wollen wir nach Wallenthal ziehen ; unser Aufenthalt dort wird weniger kostbar sein , als in B... Wahlen . Elisa !
Weib !
Ich raubte Dir die Freuden Deiner Jugend .
Ich streute Gram auf den Pfad Deines Lebens ; und nun soll ich Dich auch noch Deines Eigentums berauben ?
Nun sollst Du in die Einsamkeit fliehen , mit dem Manne , den Da nicht lieben kannst ?
Nun sollst Du büßen für meine Schuld ? -
Elisa . Nicht doch , lieber Wallenheim !
Das Vergangene ist nicht mehr .
Ich hatte auch Freuden an Ihrer Seite .
Wie oft waren wir froh , wenn unsere Kinder um uns spielten ! -
Da unser Erstgeborener zum Erstenmal in meinem Schoße ruhte , o , da umarmten Sie mich mit der innigen Zärtlichkeit des Gattin und des Vaters ! - Seitdem wuchs meine Liebe zu Ihnen , und ich darf sagen Ihre Achtung zu mir - und ich war glücklich .
- Ich war glücklich , wenn ich Ihren Beifall , glücklich , wenn ich Sie zufrieden sah , glücklich , wenn Sie mit Liebe auf mich und meine Kinder blickten ; und dieses dankte ich Ihnen !
Der trüben Stunden wollen wir vergessen , sie zogen ja bald vorüber .
- Sollte ich denn nun mein Interesse von dem Ihrigen trennen ?
- Sie und ich können es nicht , Wallenheim ; es ist zu genau verbunden .
Lassen Sie uns also gemeinschaftlich an der Wiederherstellung unseres Vermögens arbeiten !
Ich gebe Ihnen ja nichts , wenn Sie mit meinem Gelde Ihre Schulden bezahlen , es ist ja Ihr Eigentum , ich genoß ja des Ihrigen .
- Und können Sie glauben , daß ich unglücklich in Wallenthal sein werde ?
Ich liebe das Land , Sie und meine Kinder begleiten mich , und mit ihnen meine süßesten Freuden .
Nur eine Besorgnis würde ich kennen , das wäre , Sie unglücklich zu sehen . -
Doch nein , auch Sie , mein Wallenheim , werden das Süße der häuslichen Freuden empfinden , wenn Sie sie kennen wer den .
Sie sind mit den rauschenden Vergnügungen bekannt , o , lassen Sie mich Sie mit dem stillen Vergnügen des häuslichen Glücks bekannt machen !
Es soll in Wallenthal das Unsrige werden .
Es wird es sein , wenn inniger vereiniget wir unser gemeinschaftliches Bestes zu erreichen streben , und gegenseitig jeden Verdruß von einander entfernen , und dann an jedem Abend mit der inneren Überzeugung , unsere Pflichten erfüllt zu haben , uns in der Mitte unserer Kinder befinden , welche wir zu nützlichen Menschen erziehen , und deren Anblick die süßeste Freude in uns erwecken wird ; wenn wir fortfahren , unseren unglücklichen Mitbrüdern beizustehen : wenn wir , obgleich nicht mehr reich , doch nicht aufhören , die Greise zu unterstützen , und die Kinder des Elendes zu erziehen .
O , dann wird jede Gabe , welche wir den Unglücklichen reichen , zehnfache Wonne auf uns strömen ; denn bisher gaben wir nur von unserem Überfluß , jetzt opfern wir vielleicht einige unserer Bequemlichkeiten , allein edle Selbstzufriedenheit wird uns lohnen , und der Segen der Unglücklichen uns Freudentränen erpressen !
Manche Stunden schenken wir dann auch der Freundschaft .
Ihr Felsig und meine Henriette , werden uns unsere Einsamkeit noch süßer machen ; mit ihnen genießen wir die Annehmlichkeiten der Natur .
Alles ist Genuß für eine zufriedene Seele .
Ein ländliches Mal auf dem grünen Rasen , an der Seite unserer Freunde , von unseren Kindern umringt , wird ein Fest für uns sein .
Unsere Spaziergänge , mein Wallenheim , werden Ihnen süß werden , wenn Sie erst ein lebhafteres Gefühl für die Natur haben werden !
Die Freude soll uns immer begleiten , ich werde dafür sorgen , sie bei uns zu erhalten .
Abwechslung soll in unseren Beschäftigungen , in unseren Vergnügungen sein , und so können wir der Langeweile Trotz bieten .
Eine Reihe zufriedener , im Genusse der Freundschaft und der Liebe durchlebter Tage , wird unser Leben nun sein -
( Sie ergreift Wallenheims Hand . ) O , mein Wallenheim ! diese Aussicht ist nicht so trübe !
Aus Wallenheims Augen stürzten Tränen , er umarmte mit Heftigkeit seine Gattin :
Elisa !
Elisa !
Der Mann , der sie verdient hätte , wäre der glücklichste Sterbliche gewesen !
Nach diesen Worten floh er aus dem Zimmer .
Elisa eilte nun , den Zustand von Wallenheims Vermögen zu untersuchen ; alle Gläubiger mußten sich melden , und Elisa fand , daß ihr ganzes Vermögen zur Bezahlung der Schuld erfordert wurde .
Sie gab es hin , ohne Klagen , ohne Murren ; sie vermied es , mit Wallenheim über seine Angelegenheiten zu sprechen , und nachdem sie in Richtigkeit gebracht waren , ging sie zu ihm , brachte ihm alle Papiere , welche sie hierüber hatte , und gab sie ihm mit den Worten :
Wallenthal bleibt uns . -
Wallenheim antwortete nicht , er umarmte seine Gattin , und benetzte sie mit seinen Tränen .
Schon seit einiger Zeit hatte Wallenheim den Dienst verlassen , und seinen Abschied genommen , um unabhängiger zu sein .
Er konnte also B. ... verlassen .
- Dieses geschah bald .
Nicht ganz gleichgültig verließ Elisa B... , sie mußte dem Umgange einiger Personen entsagen , welche ihr teuer waren .
Zwar hatte sie ungern in der großen Welt gelebt ; allein kleine Gesellschaften einiger von ihr gewählten Freunde , deren sie öfters gehabt hatte , in der Zeit , daß Wallenheim Rosalien liebte ; Schauspiele und Musik hatten ihr manches Vergnügen gewährt .
Sie fürchtete nicht die Langeweile , allein sie liebte die Unterhaltungen des Geistes , und sie wußte , daß bei einem beständigen Aufenthalte auf dem Lande , und bei ihrer eingeschränkten Lage , man deren viele entbehren muß .
Indes verbarg sie ihre Empfindungen vor ihrem Gatten , und war nur aufmerksam , ihn zu erheitern , und zu zerstreuen .
Es war in den ersten Tagen des Märzmonats , als Wallenheim mit seiner Familie aus B... reiste .
Schon hatte die Natur ihr weißes Gewand abgelegt , freundlicher blickte aus Osten die Sonne , und schien den Sterblichen wieder neue Freuden zuzulächeln .
Es war über ein Jahr , daß Elisa nicht in Wallenthal gewesen war , über ein Jahr , daß sie der ländlichen Freuden nicht genossen hatte , und sie vergaß , als sie die ersten Spuren des herannähernd Frühlings sah , alle traurige Empfindungen , welche sie bei ihrer Abreise aus B... gehabt hatte , und überließ sich der Freude , welche sie stets im Schoße der Natur empfunden hatte .
Sobald sie in Wallenthal waren , war ihr erstes Bestreben , ihre innere Wirtschaft so viel als möglich einzuschränken , ohne dieses jedoch Wallenheim empfinden zu lassen .
Er entbehrte keine seiner vorigen Bequemlichkeiten ; zwar herrschte an seinem Tische nicht mehr der Überfluß , aber doch noch immer Zierlichkeit .
Elisa wurde eine eifrige Landwirtin , und widmete sich diesen Beschäftigungen , wiewohl nur einige Stunden des Tages , ob sie gleich die ganze Wirtschaft , selbst die Feldwirtschaft bestellte ; allein in der Folge bewog sie Wallenheim , sich mit derselben zu beschäftigen .
Bisher hatte Elisa von weiblichen Arbeiten nur so viel getan , als zu ihrem Vergnügen gereichte ; um aber nicht in ihren Wohltaten gegen Unglückliche eingeschränkt zu sein , hatte sie alle ihre weibliche Bediente , ein einziges Mädchen ausgenommen , verabschiedet ; sie verrichtete also nun selbst alle Handarbeiten , und nähere für ihren Gatten , für sich und ihre Kinder .
Es waren bereits sechs Jahre , daß Elisa zum Zweitenmal Kinder in dem Erziehungshause angenommen hatte ; sie sollten es nun verlassen , und andere ihre Stelle ersetzen , und sie verfertigte zum Teil selbst die Kleidungsstücke , wel che sie bei ihrer Ankunft erhielten .
So fuhr sie fort , Gutes zu stiften , und ihren Mitmenschen nützlich zu sein , ob sie gleich nicht mehr reich war .
Indes vernachlässigte sie bei allen diesen Beschäftigungen doch Henriettes Erziehung nicht .
Henriette war stets bei ihr ; sie büdete ihren Geist und ihr Herz ; sie unterrichtete sie in der Musik und in fremden Sprachen .
Zu diesem allen hatte Elisa Zeit , denn sie liebte ihre Pflichten , und hatte sich stets daran gewöhnt , sie zu erfüllen .
Die Einteilung ihres Tages war : Sie stand um fünf Uhr auf , und las bis um sieben ; um diese Zeit war Wallenheim aufgestanden , dann ging sie zu ihm und frühstückte mit ihm .
Nach dem Frühstücke kam Henriette zu ihr , welche dann angekleidet sein mußte ; sie mußte nun in ihrer Mutter Zimmer schreiben , entweder Briefe oder Auszüge und Aufsätze machen ; während dem war Elisa mit den Anordnungen ihrer Wirtschaft beschäftiget ; gemeiniglich dauerte dieses anderthalb Stunden , dann setzte sie sich auf , und kleidete sich an ; dieses beschäftigte sie nur eine Stunde , indes erteilte sie Henriette Unterricht im Rechnen , alsdann sah sie das , was sie geschrieben hatte , nach , womit sie gewöhnlich um elf Uhr fertig war ; dann gab sie Henriette eine Stunde entweder in der englischen , oder in der italienischen Sprache ; da Waldin beide Sprachen nicht konnte , so wohnte auch Herrmann dieser Stunde bei .
Um zwölf Uhr mußte Henriette ihrer Mutter aus der Geschichte vorlesen , und Elisa unterhielt sich mit ihr über das Gelesene , machte Anmerkungen darüber , hörte die ihrer Tochter , und bemühte sich , daß Henriette auf diese Art deutliche und wahre Begriffe erhielt .
Dieses dauerte bis halb zwei ; während dieser ganzen Zeit war Elisa mit ihrer Handarbeit beschäftiget .
Um halb zwei mußte Henriette entweder zu ihrem Bruder gehen , und den Unterricht , welchen er in der Geographie erhielt , mit ihm teilen , oder sie mußte sich auf dem Klavier oder auf der Harfe üben .
Elisa fuhr dann mit ihrer Beschäftigung fort , indem sie sich mit ihrem Gatten unterhielt , der um diese Zeit gewöhnlich in ihr Zimmer kam .
Um zwei Uhr setzten sie sich zur Mittagsmahlzeit , welche eine Stunde dauerte .
Nach Tische pflegte Elisa noch mit ihrem Gatten zu plaudern , mit ihm umher zu gehen , oder einige Anordnungen in der Wirtschaft zu machen .
Henriette ging dann mit ihrem Bruder spazieren , oder spielte mit ihm , oder arbeitete mit ihm im Garten , immer unter der Aufsicht ihrer Erzieherin und Herrn Waldins , welcher auf diesen Spaziergängen seinen Zöglingen , in der Form eines Gesprächs , Unterricht in der Naturgeschichte erteilte .
Um vier Uhr ging sie wieder zu ihrer Mutter , welche ihr eine Stunde auf dem Klavier oder auf der Harfe gab , und sie singen ließ .
Um fünf Uhr mußte sie ihr wieder vorlesen , und die Bücher , welche Elisa dazu wählte , dienten ihr zum Unterricht und zur Unterhaltung : wie am Morgen machte sie dann wieder Anmerkungen , und unterhielt sich mit ihrer Tochter über das Gelesene .
Wenn das Wetter nicht erlaubte spazieren zu gehen , so mußte Henriette sich auch eine Stunde mit Handarbeiten beschäftigen ; sie konnte diejenigen wählen , zu welchen sie an diesem Tage die meiste Lust hatte , und gewöhnlich wünschte sie eben die Arbeit zu machen , mit welcher sie ihre Mutter beschäftiget sah .
Um sieben Uhr kam auch Herrmann zu seiner Mutter , und er und Henriette konnten sich nun die Zeit vertreiben , wie sie wollten .
War es schön Wetter , so ging Elisa mit ihrem Gatten , ihren Kindern , Herrn Waldin und Henriettes Erzieherin spazieren ; sie bestrebte sich dann Wallenheim die Zeit zu vertreiben .
Oft stellte sie kleine Lustpartien an , ländliche Feste im Walde , Wasserfahrten , oder gab am Sonntage den Bauern ein Fest , manchmal nur den Kindern ; besuchte zuweilen mit ihrem Gatten und Kindern die Greise und das Erziehungshaus .
Durch ihre Bemühungen herrschte Fröhlichkeit an solchen Festen ; sie waren einfach , allein Heiterkeit , Scherz und Freiheit gaben ihnen Anmut , und Wallenheim empfand in ihrem Genuß wirkliches Vergnügen .
Wenn Elisa die Abende in ihrem Zimmer zubrachte , so suchte sie Wallenheim durch ihre Unterhaltung und durch Musik , welche er liebte , die Zeit zu verkürzen .
Mit jedem Tage wurde sie ihrem Gatten teurer , er fand sich glücklich in ihrem Besitze .
Er war nicht mehr der mürrische , unzufriedene , in sich verschlossene Mann ; nein , seine Seele war jeder Empfindung offen , und jedes Genusses fähiger , den Freundschaft , Liebe und die Natur den Sterblichen bereiten .
Wie natürlich also , daß seine finstere Laune wich , jemehr er mit den wahren Freuden des Lebens bekannt wurde , und sie empfand .
Elisa weinte Freudentränen , wenn sie ihren Gatten glücklich sah ; sie selbst war nie so glücklich gewesen .
Wallenheims Liebe , sein Dank , die Übereinstimmung , in der sie mit ihm lebte , lohnte ihr jetzt für ihre Tugenden .
Nun genoß sie das Glück einer zufriedenen Ehe , und dieses war um so größer für sie , da sie nur allein dessen Schöpferin war , und sie es durch so viele Aufopferungen , durch so manche trübe durchlebte Stunde errungen hatte .
Für ihre liebende Seele war es höchste Seligkeit , daß eben ihr Glück auch das ihres Gatten machte .
Sie teilte ihrer Henriette oft ihre frohe Empfindungen mit , und sagte ihr dann : Nein , Henriette ; Tugend ist kein Verdienst ; denn ihr Lohn ist überschwenglich groß !
O , ein Tag , wie jetzt alle meine Tage sind , wiegt ein Leben voll Mühseligkeiten auf !
Doch , was sage ich ?
Sind mit der Tugend auch Mühseligkeiten verbunden ?
Nein , sie macht selbst die schwerste Pflicht leicht , und lohnt uns dann noch mit den seligsten Empfindungen , und mit der reinsten Zufriedenheit ! - Wallenheim war nun mit seiner Familie fünf Monate in Wallenthal , als an einem Abende Elisa allein vor der Türe auf dem Hofe saß .
Sie hörte das Traben eines Rosses , schlug die Augen auf , und erblickte einen Mann , den ihr Herz augenblicklich erkannte ; sie flog ihm entgegen , und umarmte ihn mit der ganzen Unbefangenheit ihres Herzens .
Schweigend schloß sie Birkenstein in seine Arme , er fühlte sein Herz klopfen , und er empfand , daß dreizehn Jahre Abwesenheit das Andenken seiner Liebe noch nicht erloschen hatte .
Elisa . ( Nach einer Pause . )
Willkommen , Birkenstein , willkommen mir !
O , wie sehr freue ich mich , Sie zu sehen !
Birk . ( Küßt Elisan die Hand . )
Indem ich in mein Vaterland zurückkehre , konnte ich nicht unterlassen , derjenigen zuerst meine Aufwartung zu machen , deren Andenken ich stets verehrt habe .
Elisa . Sie kehren also zurück zu Ihrer Mutter ?
Ich habe lange nichts von ihr gehört .
Birk . ( Indem eine Träne in seinem Auge glänzt . )
Ihr Tod ruft mich zurück .
Elisa . ( Mit Rührung . )
Sie ist tot ? -
O , würdige Frau !
Möchtest Du doch noch jenseits des Grabes diese Empfindungen kindlicher Liebe erblicken können , welche für Dich mein Herz so warm , so innig hegte !
Birk . Dank Ihnen , Elisa , für diese Tränen , welche Sie dem Andenken der besten Mutter weihen .
Mit stiller Wehmut gingen Herrmann und Elisa , Hand in Hand den Hof herauf , bis an die Stelle , wo Elisa gesessen hatte .
Elisa fühlte , daß ihre Lage in der jetzigen Stimmung ihrer Seele gefährlich war ; sie unterbrach das Schweigen , welches so empfindungsvoll war .
Elisa . Birkenstein , werden sie nun wieder Ihr Vaterland verlassen ?
Birk . Meine guten Bauern in Birkenstein glauben , durch nichts über den Verlust meiner Mutter getröstet werden zu können , als wenn ich bei ihnen wohne .
Sie haben die ersten Ansprüche auf meine Beschützung , auf meine Sorgfalt , und ich darf sie ihnen nicht versagen .
Elisa . Sie sind gewohnt , Glückliche zu machen , Sie werden in dieser edlen Bemühung fortfahren !
Birk . Bisher erfüllte ich nur meine Pflichten ; dem Staate , der mich unterhielt , war ich meine Dienste schuldig , und um seine Wohlfahrt zu befördern , suchte ich seine Einwohner der Armut zu entreissen .
In diesem Augenblicke kam Henriette zu ihrer Mutter gelaufen ; sie stutzte , als sie einen Fremden erblickte .
Birk . Ihre Tochter , Elisa ?
O , lassen Sie mich sie an mein Herz drücken !
( Er umarmt Henriette ; nach einer Pause . )
Nennen noch mehr solcher holdseligen Geschöpfe Sie Mutter ?
Elisa . Ich habe noch zwei Söhne , der älteste ist nicht in unserem Hause , der zweite , v. Birkenstein , das ist ein lieber Knabe !
Sie erblickte ihn in der Ferne , und rief ihm zu : Herrmann , Herrmann , komme her ! und errötete , als sie diesen Namen aussprach .
Birkenstein bemerkte es ; er freute sich , daß sie ihrem Sohne den Namen gegeben hatte , von dem er glauben konnte , daß er einst ihr teuer war ; seine Blicke sagten ihr dieses , und ihre Verwirrung stieg höher .
Endlich kam Herrmann angelaufen .
Als er Birkenstein sah , sagte er zu Elisa'n : Liebe Mutter , diesen Mann habe ich noch nicht bei uns gesehen ?
Elisa . Es ist ein alter Bekannter von mir , Herrmann , der bisher weit von hier gewesen ist .
Herrm . ( reicht Birkenstein mit naiver Gutherzigkeit die Hand . )
Wenn sie ein Freund meiner Mutter sind , so bin ich Ihnen auch gut !
Birk . ( schließt ihn in seine Arme . )
Liebenswürdiger Knabe !
Sei immer so offen wie jetzt ! -
O , Elisa !
Diese Kinder sagen mir , Sie werden eine glückliche Mutter werden .
Elisa . ( gerührt . )
Es ist das Einzige , was ich von der gütigen Vorsicht erbitte ; jede ihrer Fügungen sind mir willkommen , mögen meine Kinder nur gut und glücklich werden !
Es ist mein Bestreben , daß sie das Erste werden , ich weiß , daß man das Zweite dann ist .
Die Kinder haben sich indes entfernt ; Herrmann ergreift Elisa's Hand :
Gefühlvolles Weib !
Und wie erhaben in jedem Deiner Gefühle !
O , dieser Knabe !
Er ist der Abdruck Deiner Seele , seine Züge sind so edel , und doch so sanft das Feuer , das in seinen Augen glühet .
Elisa . Herrmann , kein so feuriges Lob , ich bin jetzt Gattin .
Birk . O , ich verehre diesen Titel in Ihnen ! -
Und , meine Elisa , doch auch eine glückliche Gattin ?
Elisa . ( Mit Ernst . )
Ja , Birkenstein , Wallenheim liebt mich .
Birk . Elisa , ich wollte Sie nicht beleidigen !
Leidenschaft lodert nicht mehr in mir ; allein warme , innige Freundschaft , diese erlauben Sie mir doch , für Sie zu fühlen ?
Elisa . ( reicht ihm lächelnd die Hand . ) O , nie hörte ich auf , diese für Sie zu hegen !
Ich hätte nicht einmal den Gedanken ertragen können , daß ich Ihnen gleichgültig geworden wäre !
O , Birkenstein , zu einer höheren Empfindung , als die brausende Leidenschaft des Jünglings ist , können wir uns erheben !
Freundschaft , uneigennützige Freundschaft und wahre Hochachtung wird und soll uns vereinigen .
Birk . ( läßt seinen Kopf auf ihre Hand sinken . )
Diese Versicherung fehlte mir noch zu meinem Glücke ; nun bleibt mir kein Wunsch mehr übrig .
( Jetzt sah Elisa Wallenheim kommen , sie stand auf , und ging ihm mit Herrmann entgegen . )
Elisa . Lieber Wallenheim , ich stelle Ihnen hier den Herrn von Birkenstein vor , einen Mann , den ich freudig willkommen hieß , weil ich ihm schon seit vielen Jahren den Titel eines Freundes erteilte , den er , hoffe ich , auch von Ihnen erhalten wird ?
Wahlen . ( verlegen und kalt . )
Ich freue mich , mein Herr , die Ehre zu haben , Ihre Bekanntschaft zu machen .
Birk . ( offen , und mit edlem Anstande . )
Verbannen Sie jedes Mißtrauen , mein Herr !
Es ist wahr , ich liebte sonst Ihre Gattin ; allein meine Liebe zu Ihr entfernte mich von Ihr .
Ich kehre jetzt zurück , weil Verehrung Ihrer Tugenden das einzige Gefühl ist , welches ich jetzt für Sie hege , und indem ich nach Wallenthal kam , wollte ich nicht minder mich um Ihre Freundschaft bewerben , als Ihre Gattin um die Ihrige bitten. Wahlen .
Ich sehe es , daß solch ein Mann von meiner Gattin geliebt werden mußte .
Elisa . ( umarmt Wallenheim . )
Lassen Sie uns doch vom Vergangenen nicht mehr reden .
Birkenstein , Wallenheim , Sie sind mir Beide teuer , und dieses muß Sie vereinigen , dieses muß Sie zu Freunden machen .
Birk . ( reicht Wallenheim die Hand . )
Wollen wir nicht den Willen derjenigen erfüllen , die wir Beide verehren ?
Wahlen . ( umarmt Birkenstein . )
Der Freund meiner Elisa kann nicht anders als auch der Meinige sein ! -
Birkenstein wollte nun Wallenheim und seine Gattin verlassen , aber Beide baten ihn in Wallenthal die Nacht zu bleiben , und er willigte ein .
Sie setzten sich zum Abendessen .
Elisa war heiter wie immer , sie suchte alles , was die Vergangenheit hätte zurückrufen können , zu vermeiden ; ihre Unbefangenheit , ihr munterer Scherz hob jede Verlegenheit zwischen ihrem Gatten und Birkenstein auf ; indes war doch Wallenheim ernst , und auf Herrmanns Zügen lag eine sanfte Rührung verbreitet .
Seine Blicke folgten jeder Bewegung Elisa's , und oft entfuhr ihm ein Seufzer , wenn er ihre liebevolle Aufmerksamkeit für ihren Gatten , ihre zärtliche Sorgfalt für ihre Kinder sah .
Unter vertraulichen Gesprächen blieben sie spät bis in die Nacht zusammen .
Wallenheim begleitete Birkenstein in sein Zimmer .
Elisa blieb gedankenvoll , als sie das ihrige verlassen hatten .
Endlich fühlte sie eine Träne ihre Wangen hinabrollen .
Gott ! rief sie aus , hätte mich dieses Wiedersehen zu tief gerührt ?
Wäre ich noch nicht stark genug in der Tugend , um dem Zauber der Liebe zu widerstehen ?
O , ich muß mich prüfen !
Ich muß den Empfindungen dieses Tages nachspüren !
So hätte mich denn nur Abwesenheit vor einem Vergehen bewahrt ?
So wäre sie denn jetzt noch nötig , jetzt , da ich Wallenheim liebe ? -
( Nach einer Pause , im erhabensten Tone . )
Nein , Herrmann könnte an jedem Tage mir zur Seite sein , ich würde mich bewachen , so wie heute würde ich an jedem Abend mein Herz befragen , und dann wäre es unmöglich , daß eine wärmere Empfindung als Freundschaft sich darein einschliche .
Wahr ist es , Herrmann ist mir sehr teuer ; aber an der Seite meines Gatten fürchte ich ihn nicht !
Ich empfand heute keine Unruhe , ich empfand ja Freude , sie beisammen zu sehen - O , dieser Freude will ich mich überlassen ; denn ich fühle es , sie ist unschuldig ! -
Aber Wallenheim war heute unruhig - O , ich muß gehen , ihn zu beruhigen !
Elisa fand ihren Gatten im tiefen Nachdenken ; sie flog an seinen Hals .
Mein Wallenheim , Birkensteins Besuch hat doch Ihre Ruhe nicht gestört ?
Gewiß , er würde sich dieses vorwerfen , wenn er es glauben könnte , und mich würde der Gedanke schmerzen !
Ja , wenn ich auch einst Birkenstein liebte , so fühle ich doch jetzt zu gut , daß ich Ihre Gattin bin , und er mir nur Freund ist !
Wahlen . ( drückt Elisa 'n an seine Brust . )
Bestes , edles Weib !
Dieser Mann ist ganz Ihrer Liebe würdig !
Elisa . Ja , Wallenheim , er ist edel , und ich schätze ihn , ich liebe ihn als den teuersten meiner Freunde .
Aber jene Liebe unserer Jugendjahre -
( lächelnd . ) o , die ist längst erloschen , und wird nicht wieder angefacht ! Wahlen .
Es war nicht dieses , was ich fürchtete .
Der einzige Gedanke , der mich beunruhigte , war dieser , daß Sie vielleicht aufs neue bereuen könnten ....
Elisa . ( scherzhaft . ) O , weg mit diesen Grillen !
Ich stelle mich sonst morgen verliebt in Birkenstein ; denn gestraft müßten Sie doch für diesen Gedanken werden. Wahlen .
Er hat also keine Wirklichkeit ?
Elisa . ( mit Ernst. ) Sehen Sie mich an , Wallenheim !
Lesen Sie je Unwahrheiten in diesen Blicken ?
Wahlen . Nein !
Elisa . Nun dann , wenn diese Augen nie Ihnen logen , so werden sie die Wahrheit meiner Worte bestätigen : daß noch nicht der entfernteste Gedanke von dem , was Sie besorgten , in mir aufgestiegen war .
Wahlen . ( umarmt Elisa 'n mit Herzlichkeit . )
Nun , meine Elisa , bin ich Deinem Birkenstein noch einmal so gut ! -
In der Tat empfing Wallenheim am anderen Morgen Birkenstein mit einer weit offeneren und heitereren Miene , als er am vorigen Tage gehabt hatte .
Elisa war hierüber sehr vergnügt , und empfing Birkenstein mit noch mehrerer Herzlichkeit .
Wallenheim wollte seiner Gattin beweisen , wie entfernt er von jeder Eifersucht sei , und verließ sie und Herrmann bald nach dem Frühstücke .
Einige Stunden flohen ihnen nun in traulicher Unterhaltung , in welchen Beide sich glücklich fühlten .
Birkenstein sagte endlich Elisa , Unschuld gibt doch jeder Empfindung Wert !
O , wenn wir in jenen Jahren der Leidenschaft nachgegeben hätten , würden wir wohl jetzt so vertraut , so zufrieden , Hand in Hand zusammen sitzen ?
Birk . Ja , meine süße Elisa , der Tugend Wert lehrt uns erst eigene Erfahrung !
Wohl der Jugend , wenn sie sich entschließt , sich selbst davon zu überzeugen !
Man mache es sich nur zum Gesetze , sich nie von dem , was Recht ist , zu entfernen , und die schwersten Opfer werden uns dann belohnt , so wenig wir auch in jenen Augenblicken Schadloshaltung für möglich halten .
Als das Schicksal mich von Ihnen riß , als ich Birkenstein verließ , da betrachtete ich die ganze Welt nur als eine Wüste , in welcher jede Freude für mich erstorben war .
Ich war überzeugt , ich würde mein ganzes Leben hindurch elend sein , ich würde ihn immer fühlen , den nagenden Schmerz , der mir fast alle Denkkraft raubte .
Indes gewohnt , den Gesetzen des Guten zu folgen , war ich stark genug , mir ihren Anblick zu versagen , welcher mir doch das einzige für mich übrig gebliebene Glück zu sein schien .
Ich sagte mir es nicht ; allein das Bewußtsein blieb mir , daß ich doch noch nützlich sein könnte , und so suchte ich Dienste außer meinem Vaterlande .
Jeder Ort war mir gleich , ich fühlte nur meinen Schmerz , ich kam zuerst nach D .... , und blieb dort .
Fleiß , und einige gute Anschläge , welche ich gab , machten , daß man mich bald auszeichnete , und in eine höhere Sphäre setzte .
Anstrengung in meinen Geschäften hatte das Wütende meines Schmerzes und meiner Leidenschaft gedämpft ; ich war wieder des Denkens fähig ; ich sah , daß ich für Menschenwohl arbeiten könnte , und dieses war der erste Trost , welchen meine leidende Seele erhielt .
Ich ergab mich nun mit Eifer diesem Geschäfte , ich fühlte Linderung , ich empfand oft Freude , aber eben so oft vergoß ich auch noch Tränen des bittersten Schmerzes .
Wenn die Unschuld , deren Rechte ich verteidiget , und welche ich ihren Unterdrückern entrissen hatte , mir Dank stammelte , und vor mir Freudentränen vergoß , o , dann sagte ich mir , ich wäre glücklich , wenn ich mit Elisa'n meine Empfindungen teilen könnte ; der Beifall einer Welt ist mir nichts , wenn ich nicht den ihrigen in ihren Blicken lesen kann !
So achtete ich auch den meinigen nicht , empfand noch nicht jene edle Selbstzufriedenheit , die Triebfeder großer Taten .
Ich fühlte endlich , daß , um mich des Guten freuen zu können , was ich tat , um nicht bloß maschinenmäßig meine Pflichten zu erfüllen , ich nicht allein gut handeln , sondern auch weise werden , auch meine Leidenschaft bekämpfen müßte ; jetzt entzog ich mich jedes Gedankens an Sie , suchte Zerstreuungen , spürte der inneren Verwaltung des Staats nach , entdeckte ihre Mängel , machte Plane zu deren Verbesserung , überreichte sie dem Fürsten , unterhielt mich mit ihm über die Mittel , seinen Untertanen aufzuhelfen , und seinen Staat blühender zu machen .
Je ernstlicher ich meine Leidenschaft bekämpfte , je mehr ich mich jeder Erinnerung meiner Liebe entzog , desto mehr fühlte ich innere Stärke , desto mehr erwachte Tätigkeit in meiner Seele .
Bisher hatte ich nur einzelne gute Handlungen verrichtet ; jetzt bekamen meine Handlungen und Geschäfte , Zweck und Verbindung .
Ich wurde erster Geheimrat in D ... , allenthalben richtete ich meine Blicke , und half , wo ich helfen konnte .
Nun genoß ich meines eigenen Beifalls , ich genoß des Glücks und des Wohlstandes vieler Einwohner .
Nun erst erfuhr ich , daß Tugend belohnt ; die höchste Zufriedenheit war nun mein ; die edelsten Freuden durchdrangen oft mein Herz .
Ihr Bild , meine Elisa , erschien mir jetzt in einem sanften Schimmer , es zerstörte nicht mehr meine Glückseligkeit ; nein , es erhöhte sie .
Zwar dachte ich oft , an Elisa's Seite wäre ich doppelt glücklich gewesen .
- Allein wäre sie mein geworden , ohne ihrer Mutter Einwilligung ; so hätten wir Beide wider unsere Pflicht gehandelt , und wir wären Beide unglücklich geworden !
Allein mit dieser ? -
Doch dieses war unmöglich !
Alle Begebenheiten sind unabänderlich in die Kette der Dinge gereiht , und Tugend ist es eben , wenn man , selbst bei den widrigsten derselben , nicht aufhört , seine Pflichten zu erfüllen .
Elisa . ( drückt Herrmanns Hand , eine Träne glänzt in ihrem Auge . ) O , wir hielten das Gelübde , welches wir einst im Feuer unserer Liebe taten , stets auf der Tugend Pfad zu wandeln ! und wir wurden glücklich !
Vereiniget , Herrmann , wäre dieses vielleicht nicht gewesen .
Herrmanns Kopf sank auf Elisa's Hand , sie blieben einige Augenblicke in dieser Stellung .
Endlich sagte Elisa :
Auch ich , Herrmann , suchte in einer kleinen Sphäre für Menschenwohl zu arbeiten : Kommen Sie ! ich will Sie zu meinen angenommenen Kindern , und zu meinen Greisen führen , vielleicht können Sie noch einige Verbesserungen in meinen Einrichtungen treffen .
Herrmann folgte Elisa'n : sie ging mit ihm in das Erziehungshaus , und in das Pflegehaus der Greise .
Er bewunderte , wie mit so vieler Einfachheit sie für das Glück so vieler Menschen arbeitete .
Diese Kinder bekamen durch Sie einen Platz in der bürgerlichen Gesellschaft , und am Rande des Grabes fand hier der Unglückliche noch Unterstützung ; und dieses waren keine vorübergehenden Wohltaten , nein , ein ganzes Menschenleben hindurch wurden hier Menschen beglückt .
Und dieses geschah so ganz ohne alles Gepränge .
O , Tugend , fuhr Herrmann fort , als er aus dem Pflegehause der Greise ging , hier strahlst Du in Deinem wahren Glanze , erhaben und einfach !
Hier sollte eine Welt niederfallen , und Dich verehren !
Herrmann hatte Elisa's Hand auf diesem Wege öfter und inniger gedrückt ; eine Träne hatte er aus seinem Auge getrocknet , als sie sich bei den Greisen befanden !
Elisa es Güte und zärtliche Sorgfalt für sie , der Greise Dank , Liebe und tiefe Verehrung gegen sie , ihre emporgehobenen Blicke und Hände , um für Elisa'n den Segen des Himmels herabzuflehen , war für Herrmann ein rührender Auftritt gewesen , und schweigend ging er an Elisa's Seite zurück .
Elisa hatte ihm gesagt , daß Henriette unweit von Wallenthal wohne , und er beschloß , sie zu besuchen .
Nach geendigter Mittagsmahlzeit , nahm Herrmann von Wallenheim und seiner Gattin Abschied .
Er schloß Elisa'n in seine Arme , und fühlte eine Träne seine Wangen hinabrollen , und sah auch die Ihrige in ihrem seelenvollen Auge ; fest drückte er den jungen Herrmann an seine Brust , der zu ihm sagte , Lieber , fremder Mann , besuche uns doch bald wieder !
Herrmann lächelte , küßte ihn noch einmal , und eilte hinaus .
Wallenheim begleitete ihn , Herrmann umarmte ihn noch einmal .
Ich scheide doch als Ihr Freund von Ihnen ? Wahlen . ( drückt ihm die Hand . )
Ja , Birkenstein , mein Weib ist zu tugendhaft , Sie zu edel , als daß Ihr Besuch Besorgnisse in mir erweckt hätte , Ich habe Sie kennen gelernt , und liebe Sie.
Birk . Ich danke Ihnen , Wallenheim , für dieses edle Vertrauen !
Nie werde ich es mißbrauchen , ich fühle mich stark genug , den Anblick Ihres Weibes zu ertragen , und doch - nur in vielen Jahren sehen wir uns wieder !
Nun schwang er sich auf sein Pferd , und eilte fort .
Elisa sah ihm nach , und trocknete ihre Augen .
Herrmann erblickte bald den Turm von Felsingburg ; er ließ sich bei Henriette melden .
Birkenstein ? fragte sie staunend , und schon sah sie ihn den Hof heraufkommen .
Sie ging ihm entgegen : Staunen und Freude , Sie zu sehen , Birkenstein , machen mich fast unfähig , Sie zu begrüßen !
Birk . ( Küßt ihr die Hand . )
Welch ein süßes Vergnügen ist mir dieses , mir schmeicheln zu können , daß ich noch unter die Zahl Ihrer Freunde gehöre ?
Henr . ( Lächelnd. ) Sie trauen also der Abwesenheit nicht viel ?
Birk . So nicht , gnädige Frau !
Bei Gott , ich fühle es , es gibt Verbindungen , welche durch nichts geschwächt werden , und so war auch die Unsrige !
( Jetzt begleitete Birkenstein Henriette in ihr Zimmer , Felsig war abwesend ; doch erwartete ihn Henriette am Abend . )
Birk . ( Nach einer Pause . )
Ich komme von Wallenthal !
Henr . O , hätte ich doch dem ersten Augenblicke Ihres Wiedersehens mit Elisa'n beiwohnen können !
Birk . Wir freuten uns Beide , unsere Beider Herzen schlugen heftiger .
O gnädige Frau , Jünglingsfeuer rollt nicht mehr in meinen Adern ; allein wärmer schied ich doch von ihr , als ich bei meiner Ankunft war .
Henr . Sie lieben sie noch ?
Birk . Überzeugt , daß ich nur warme , innige Freundschaft für sie empfand , kam ich nach Wallenthal .
Ihr Anblick rief in mir die Szenen der Vergangenheit zurück , ich umarmte meine vorige Geliebte ; aber dieser Name konnte nur auf einen Augenblick mein Herz erschüttern , ich war gewohnt , sie mir als Wallenheims Gattin zu denken ; allein Elisa'n sehen , ihre Tugenden bewundern , sie geliebt zu haben , und nur ihr Freund bleiben - nein , Henriette , das vermag ich noch nicht !
Welche sanfte Gefälligkeit hat sie gegen ihren Gatten , wie geflissen war sie , durch ihr Betragen ihm jeden Verdacht gegen sich und mich zu benehmen !
Ihr Lächeln , jede ihrer Mienen spricht ihm Liebe , und doch mir so zugetan , so unverstellt , so offen in ihrem Betragen gegen mich .
Indem sie nur jedes Verlangen ihres Gatten aus seinen Augen zu lesen schien , um diesem zuvorzukommen , indem sie uns auf die angenehmste Art unterhielt , wendete sie doch eine beständige Aufmerksamkeit auf ihre Kinder ; Keins ihrer Worte entging ihnen , und ich sah , daß Elisa in keinem Augenblicke aufhörte , ihre Erzieherin zu sein .
Und welche Ordnung herrscht in ihrem Hause !
Früh am anderen Morgen hatte sie schon ihr Hauswesen bestellt , und ich fand sie angekleidet .
Allein , wenn Elisa in dem Zirkel ihrer Familie bewunderungswürdig ist , wie vielmehr ist sie es nicht , wenn man sie als Wohltäterin ihrer Gegend betrachtet ; wenn man ihr in das Erziehungshaus und in das Pflegehaus der Greise folgt ; wenn man mit den Bauern in Wallenthal spricht , welche sich glücklich preisen , und bei denen man mehr gesunde Vernunft antrifft , als in dieser Klasse bei den Einwohnern einer ganzen Provinz zusammengenommen .
O könnte ich doch ihr ganzes Geschlecht nach Wallenthal rufen , ihnen Elisa'n zeigen , wie wirklich groß und erhaben sie durch ihre Tugenden ist ! -
Weiber !
ihr wollt Alle glänzen !
Möchtet ihr doch Alle die Mittel erwählen , durch welche Elisa das Erste der Weiber wurde !
Wahrlich ! wenn schon Silberlocken eure Stirn zierten , würden wir euch doch noch Dank , Verehrung und Liebe zollen !
Henr . Und Sie sahen sie nur einen Tag , Birkenstein ?
Wenn man ihr aber in jedem Auftritte ihres Lebens folgt , wie viel größer erscheint sie dann !
Der erste Augenblick , in welchem Wallenheim sie in seine Arme empfing , war für sie abscheulich , und doch von diesem Augenblicke an , versagte sie sich jeden Gedanken an Sie .
Der rauhste , der mürrischste Mann , den ich je sah , war Wallenheim , ihre Sanftmut schuf ihn um , sie zwang ihm , sie zu lieben ; es war kein Opfer , welches sie ihm nicht brachte , keine unwürdige Behandlung von ihm , welche sie nicht geduldig ertrug .
Sein Herz öffnete sich endlich dem Gefühl , und sie machte ihn glücklich .
Er hat ihr Vermögen verschwendet , ein nur kärgliches Einkommen bleibt ihnen übrig , und Elisa versagt sich jede Bequemlichkeit , um ihren Gatten nicht die Verringerung ihres Vermögens empfinden zu lassen , welche er verursachte .
Sie verbirgt dieses vor ihm , damit er sich keine Vorwürfe mache .
Sie arbeitet oft in der Nacht ; denn bei Tage widmet sie ihre Stunden dem Unterrichte ihrer Tochter , und die Abende der Unterhaltung ihres Gatten ; sie macht sich es zum Geschäft , ihm die Zeit angenehm zu vertreiben .
Noch ist sie eben so reich in ihren Wohltaten , und in ganz Wallenthal empfindet nur sie den Verlust ihres Vermögens .
Dieses Alles , Birkenstein , wußten Sie noch nicht , und , sollte man glauben , daß diese Tugenden noch einer Erhöhung fähig sind ?
Und doch erhöhet sie Elisa noch durch ihr Betragen .
Ihre Seele ist so erhaben , und doch , welche Leichtigkeit , welche Gefälligkeit in ihrem Wesen !
Alle ihre Handlungen führen in sich das innere Gepräge der Tugend ; allein es erscheint in ihnen so viel Einfachheit , daß man es kaum fühlt , daß Elisa so erhaben ist über Alles , was sie umgibt .
Man fühlt sich zur Bewunderung hingerissen , nein , zur Liebe ! den Elisa sucht sich einem Jeden gleich zu stellen , und will nicht über Andere erhaben scheinen .
Und diese Bescheidenheit ist bei ihr nicht erkünstelt , nein , sie ist überzeugt , sie erfüllt nur ihre Pflichten , und ist weit entfernt , sich den Wert beizulegen , den der Beobachter ihrer Handlungen ihr zugestehen muß .
Und dann eine beständige Aufmerksamkeit , Anderen Vergnügen zu machen , welche sich auf das geringste Individuum erstreckt , wirft auf ihr ganzes Wesen eine Liebenswürdigkeit , welcher man nicht zu widerstehen vermag , und man empfindet , daß Elisa auch das angenehmste der Weiber ist ; und fast möchte ich sagen , auch die Glücklichste !
Ruhe und Heiterkeit liegen auf ihren Zügen verbreitet , und sie sind das Bild ihrer Seele .
Zwar ging sie durch so manchen unangenehmen Auftritt des Lebens ; allein diese blieben unverändert in ihr .
Ich sah oft ihr Auge trübe ; allein nie hörte ich sie klagen über das Geschick .
Immer fand ich Elisa'n noch heiter , wenn auch Schmerz ihre Seele niederbeugte ; denn sie ist überzeugt , daß jede Begebenheit eine notwendige Folge vorhergegangener Ursachen ist , und so bleibt sie ruhig , auch bei den Widerwärtigkeiten des Lebens .
Sie hört auch dann nicht auf , tätig im Guten zu sein , und sie findet Trost in dem Bewußtsein , daß sie ihre Pflichten erfüllt .
So bleibt sie sich stets gleich , stets wirksam , die Übel , die sie treffen , für Andere unschädlich zu machen , und so ist sie fähiger , jedes Ungemach zu ertragen .
Birk . Wie vortrefflich schildern Sie Ihre Freundin , Henriette !
Und wie nahe müssen Sie selbst dem Bilde kommen , dem Sie so aufrichtig ihre Verehrung zollen !
Henr . Die innigste Freundschaft vereinigte uns ja stets ; schon in unseren Frühlings-Tagen machte mich der Gedanke stolz , daß die , welche ich so sehr liebte , sich vielleicht einst dem Gipfel weiblicher Vollkommenheit nähern würde .
Birk . O , Henriette , welche Tage rufen Sie zurück !
Doch , meine Elisa wäre nicht das Muster weiblicher Tugend geworden , wäre sie nicht die Gattin des Mannes geworden , vor dem sie Widerwillen empfand .
Henr . ( Nach einer Pause . )
Also ersetzte noch kein Weib Elisa's Stelle in Ihrem Herzen ?
Birk . Keins , und wird es nie ; denn Elisa ist einzig .
Zwar sah ich manches liebenswürdige Weib ; allein Elisa's Bild , ob ich gleich nicht mehr liebte , entfernte doch jede andere Liebe von meinem Herzen .
Sie war die Erste , die dieses Gefühl mich kennen lehrte , und das in seiner ganzen Reinheit .
Elisa vereinigte Alles : Verstand , Reize , Tugend , Liebenswürdigkeit , und nur die höchste Liebe konnte man für sie empfinden .
Nie wird eine zweite Liebe in meinem Herzen Platz finden , und der Gedanke erregt mir Widerwillen , mein Schicksal mit einem Weibe zu vereinigen , welches ich nicht so lieben könnte , als ich noch jetzt Elisa'n liebe .
Mich dünkt , ich würde das einzige Band zerreißen , welches uns jetzt noch verbindet .
Elisa , obgleich schon längst meine Leidenschaft zu ihr aufgehört hat , ist doch noch immer der Gegenstand meiner liebsten Gedanken und Empfindungen , und dann dürfte sie es nicht mehr sein ; und ich kann mir nicht das Vergnügen rauben , an sie zu denken ; ich kann nicht undankbar gegen ein Weib werden das mich vielleicht allein lieben würde , und dem ich diese Liebe nicht erwidern könnte !
Henr .
Aber , Birkenstein , fürchten Sie nicht , einst eine Leere in Ihren Herzen zu finden , wenn kein Gegenstand es fesselt , keiner Ihre liebende Seele erfüllt ?
Birk . Nein , Henriette !
Die Unglücklichen sollen mich fesseln !
Die , deren Los ich verbesserte , meine Seele erfüllen !
Ich werde für sie arbeiten , ich werde suchen , frohe Menschen um mich zu versammeln , und ich werde glücklich sein !
Ich werde Elisa's wohltätige Anstalten nachahmen , ich werde Menschen erziehen , und auch in Birkenstein soll , wie in Wallenthal , das dahin sinkende Alter Unterstützung finden .
Wie viel Gegenstände , Henriette , welche mein Herz erfüllen werden ! und dann , Elisa und ihre Kinder - Elisa , welche mir immer teuer sein wird , und in deren Gesellschaft ich künftig manche Stunde verleben will !
Wundern Sie sich nicht über diesen Vorsatz , Henriette , jetzt reise ich weg , und komme in vielen Jahren erst wieder !
Zwar traue ich mir Tugend genug zu , um nicht das Weib eines Anderen zu verführen , und ich weiß , das Elisa vor dem Gedanken zurückbeben würde , einen Anderen , als ihren Gatten , zu lieben - Allein wenn ich sie sehen kann , ohne daß ich aufhöre , ein ehrlicher Mann zu sein , so kann ich sie nicht sehen , ohne daß ich sie liebe , und auch ihr Herz würde oft unwillkürlich bei meinem Anblick stärker klopfen ; dieses will ich ihr und mir ersparen !
Wir bekämpften Beide unsere Leidenschaft , wir siegten , der Kampf soll nicht erneuert werden !
Allein , Henriette , wenn kälter das Blut in meinen Adern rollt , dann will ich ein Mitglied der Wollenheimischen Familie , dann will ich Elisa's Bruder werden !
Hier in Städtchen R... Kauf ich mir dann ein Haus , und verlebe hier sechs Monate des Jahrs ; denn meine Bauern in Birkenstein verlasse ich nie ganz .
Elisa es Kinder sollen dann die Meinigen werden , wenn Herrmann , dieser Knabe , aus dessen Blicken der Mutter liebevolle Seele strahlt , und der mir noch teurer ist , durch den Namen , den er von ihr erhielt , und durch den sie ein Denkmal ihrer Liebe stiftete , wenn er der mütterlichen Leitung entwachsen ist , dann will ich sein Führer werden , dann will ich ihn zum Manne bliden , und ihn ihr dann wieder geben ! -
O , Henriette ! wie kann ich eine Leere fürchten ?
Elisa es Freund , ihr Bruder , ihre Kinder die Meinigen , und einige Sterbliche , an deren Glück ich arbeiten und die ich lieben werde !
Henr . ( gerührt . )
Herrmann !
Elisa !
Möchten doch eure Namen in den Annalen der Tugend aufgeschrieben werden !
Herrm . ( drückt Henriettes Hand . )
Ja , Henriette , wünschte ich , daß er je unvergeßlich würde , so wäre es dort !
Herrmann und Henriette schwiegen , und dieses Schweigen war feierlich und ernst ; ein Wagen , der daher rollte , weckte sie aus ihrem Nachdenken , und Felsig trat herein .
Herrmann und Felsig wurden Freund , und erst am anderen Tage schied Herrmann von ihm und seiner Gattin .
Viel sprachen Elisa und Henriette bei ihrem Wiedersehen von ihrem Freunde ; allein Henriette sah bald , daß Elisa über ihr Herz gewacht , und jede aufkeimende Empfindung darin unterdrückt hatte .
In der Tat suchte Elisa , seitdem Herrmann in Wallenthal gewesen war , ihrem Gatten noch mehr Liebe zu beweisen .
Er sah diese Bemühung , schätzte sein Weib um so mehr , und Beide waren glücklich .
Es war ein Jahr , daß sie nun in Wallenthal waren , da wurde Herrmann krank ; man fing bald an , für sein Leben besorgt zu sein .
Elisa zitterte , sie verließ sein Bette nicht , ihre Augen füllten sich mit Tränen , wenn sie auf ihren Sohn blickte , und doch wollte sie sie vor ihrem Gatten verbergen , der trostlos ihr zur Seite saß .
Wallenheims ganzes Herz hing an dem Knaben , sein Anblick hatte ihn stets mit Freuden erfüllt , auf allen seinen Spaziergängen war er sein Begleiter gewesen , und oft hatte ein Lächeln , ein kindischer Einfall des Knaben , des Vaters Unmut zerstreuet .
O , Elisa , sprach er zu seiner Gattin , wenn mir Herrmann entrissen wird , dann wird mein ganzes Leben öde und freudenleer werden .
Wie viel versprach ich mir nicht von dem Knaben !
Er war Ihr Ebenbild !
Er sollte die Freude meines Alters werden !
Ach , er war ja jetzt schon die Freude meines Leben !
Elisa weinte , sie umarmte ihren Gatten .
Lassen sie uns stark sein , Wallenheim !
Wir dürfen ihm nicht unterliegen , dem Schmerze !
Wir müssen - ( hier stockte ihre Stimme , und ihre Tränen flossen häufiger ) wir müssen für unsere anderen Kinder leben !
Wallenheims Tränen verdoppelten sich , er verließ das Zimmer ; da sank Elisa auf ihre Knie , sie nahm des Knaben Hand , ihr Kopf sank auf dieselbe :
O , Herrmann , mein Sohn , bald wirst du nicht mehr sein !
Im stummen Schmerze blieb sie liegen .
Endlich stand sie auf , blickte gen Himmel , umarmte dann Herrmann :
Ach , seitdem er lebt , hat er mein Herz mit Freude erfüllt ! so manchen süßen Augenblick gewährte er mir !
Dank dir , mein Sohn !
Dank Dir , gütige Vorsicht , die mich acht Jahre durch ihn eine glückliche Mutter sein ließ !
Ich will sie nicht vergessen , diese Jahre der Freude !
Noch jetzt will ich mit Dankbarkeit mich ihrer erinnern !
Jetzt , wo ich ihn verliere , auf ewig verliere ! -
( sie bricht aufs neue in Tränen aus . ) O , mein Herz ist zerrissen !
Aber meine Standhaftigkeit soll mich nicht verlassen !
- Dir , gütige Vorsicht , opfere ich meine Leiden , opfere ich den Schmerz , der jetzt in meinem Busen wühlt - Beim Eintritte in die Welt , harrten meiner Leiden und Freuden ! -
Ich will sie tragen die Leiden , ich genoß ja die Freuden ! -
( sie wirft sich wieder auf Herrmanns Bette . ) O , Herrmann , mein Sohn , du wirst nicht mehr sein ! -
Aber , Elisa , deine Pflichten hören nicht auf !
Dein Gatte , deine übrigen Kinder leben , du mußt an ihrem Glücke arbeiten !
Dazu berief dich die Natur !
Und ehe sie mich nicht zurückruft , vom Schauplatze des Lebens , eher darf ich nicht aufhören zu wirken !
Dazu muß ich stark sein ! -
( sie fällt nieder auf ihre Knie , und hebt die Hande gen Himmel . )
Ja , ich will es sein ! -
Ich will mit ruhiger Ergebung das größte der Leiden tragen - ich will ihn bekämpfen , den Schmerz - ich muß Wallenheim trösten - O , Wallenheim !
Du sollst nicht zu gleicher Zeit deine Gattin und deinen Sohn verlieren !
Nun stand Elisa auf , und setzte sich wieder neben ihrem Herrmann ; er war schon seit zwei Tagen ohne Empfindung .
Sie nahm ihn oft in ihre Arme , weinte ; aber eben so oft blickte sie empor zum Himmel , und rief aus : Du wirst mich stärken , großes Wesen !
Wallenheim kam wieder herein ; es war schon Abend , Elisa bat ihn zu Bette zu gehen .
Meine Elisa , sprach er , soll ich nicht mit Ihnen diese traurigen Stunden teilen ?
Wollen Sie allein jene bange Bekümmernis über sich nehmen , allein ihn mit unermüdeter Sorgfalt bewachen , und ich - soll ruhen ?
Elisa . Ja , mein Wallenheim , suchen Sie auf einige Stunden zu ruhen .
Unser Sohn stirbt noch nicht !
Noch ist der Faden seines Lebens nicht durchschnitten !
Vielleicht !
- doch gehen Sie jetzt , Ihre Gegenwart hier würde mich noch mit mehrerer Besorgnis erfüllen , ich würde auch für Sie zittern !
Wallenheim umarmte sie , weinte , und verließ das Zimmer .
Elisa glaubte , daß Herrmann in dieser Nacht sterben würde , und sie wollte nicht , daß Wallenheim diesem traurigen Auftritte beiwohnen sollte .
Wallenheim ging zu Bette , von Gram und Tränen abgemattet , schlossen sich seine Augen .
Er war eine Stunde weg , da hörte Elisa ihren Sohn leise röcheln ; das Röcheln nahm zu , sie sah mit unverwandtem Blick auf ihn , ihr Busen hob sich hoch und heftig , Schmerz wütete in ihrem Inneren .
Jetzt drängt sich das letzte Röcheln aus Herrmanns Brust , seine Seele entfliehet , seine Augen sind auf ewig geschlossen !
Elisa sinkt auf den toten Leichnam , sie heftet ihre Lippen auf die entseelten Lippen ihres Kindes , hier bleibt sie eine halbe Stunde liegen ; man will sie wegbringen .
O , laßt mich , ruft sie aus , meinen Schmerz auf seinen Lippen aushauchen !
Dieses war der einzige heftige Ausbruch ihres Schmerzes .
Nach einer halben Stunde stand sie auf , und ging in ihr Zimmer .
Nun flossen ihre Tränen ; allein sie war ruhig .
Oft richtete sie ihre Blicke gen Himmel , und einigemal rief sie aus : Großer Urheber alles Seins , Du wolltest es so !
Wallenheim hatte einige Stunden geschlafen ; allein schon lange hatten ihn bange Besorgnisse geweckt .
Indes herrschte eine Stille im ganzen Hause , und diese ließ ihn nichts Böses ahnden .
Endlich klingelt er ; da trat Elisa herein , warf sich in seine Arme , und rief aus :
O , mein Wallenheim !
er ist nicht mehr ! -
Ach , wir verbanden uns , Freude und Leid zu tragen !
Wahlen . Herrmann ?
Elisa !
Herrmann ?
- Elisa weinte .
Auf ewig , auf ewig Dich verloren ? rief Wallenheim .
Elisa . ( drückt Wallenheim an ihren Busen . )
Mein Wallenheim , mein Gatte , laß uns stark sein !
Lange weinten nun Beide ; endlich sagte Elisa !
Trockenen Sie Ihre Tränen , Geliebtester , kommen Sie , beim entseelten Körper meines Sohns wollen wir Standhaftigkeit schwören !
Wahlen . Elisa , Du bist ein Weib , Du bist Mutter , und Du kannst ? -
Elisa . Ach , Wallenheim !
mein Herz ist zerrissen ; aber ich habe gelernt Leiden zu tragen !
Sie gingen nun zu dem Leichnam ihres Sohnes .
Beide knieten vor demselben :
O , mein Sohn ! mein Sohn ! rief Elisa , entrissen meinem Herzen !
Ach , es blutet !
Tief im Inneren nagte der Schmerz !
Aber einst kniete ich so , wie jetzt , vor der Leiche meines Vaters , und da schwor ich der Tugend ! -
Es ist ja auch Tugend , standhaft zu sein !
Ich will es sein , -
( Sie steht auf und ergreift Wallenheims Hand . )
Wallenheim , laß uns weinen um unseren Sohn ; lange werden meine Tränen noch fließen ; aber daß der Schmerz uns nicht unsere Pflichten versäumen lasse .
Nun riß sie ihn mit sich fort , ging zu Henriette , tröstete sie .
Bald kam Felsig mit seiner Gattin .
Mit inniger Teilnehmung umarmte Henriette ihre Freundin .
Komme auf einige Tage mit deinem Gatten und Henriette nach Felsingburg , sprach sie zu ihr , Waldin und Felsig werden alles besorgen !
Die Szenen des Kummers , die Zurüstungen trauriger Obliegenheiten zu vermeiden , ist Pflicht , wenn man sich ihrer entziehen darf .
Dieses wußte Elisa , und sie folgte ihrer Freundin .
Die Beerdigung ihres geliebten Sohnes wurde nun Felsings und Waldins Geschäft , und nach sechs Tagen kehrte die Wallenheimsche Familie nach Wallenthal zurück .
Wallenheim und seine Gattin setzten ihrem Sohne kein Denkmal ; sie wußten , er wurde in ihren Herzen fortleben ; aber sie wollten durch keinen sinnlichen Gegenstand ihrem Schmerze Nahrung geben .
Jene Untätigkeit , welcher man sich im Schmerze so gern ergibt , vermied Elisa jetzt .
Zurück in Wallenthal , fing sie auch ihre Beschäftigungen wieder an .
Zwar unterbrachen ihre Tränen sie oft ; allein sie gestattete es sich nicht , sich dem Schmerze zu ergeben ; weinend setzte sie ihre Beschäftigungen fort , und zwang so ihre Aufmerksamkeit , sich auf andere Gegenstände zu richten .
Sie las viel , und bewog auch Wallenheim viel zu lesen ; sie wählte ernste Bücher , welchen sie ihre Aufmerksamkeit widmen mußte .
So sehr sie auch um ihren Herrmann trauerte , so bemühte sie sich doch , Wallenheim zu trösten .
Sie verließ ihn in den ersten Tagen fast gar nicht , sie vermischten ihre Tränen ; aber mitten unter denselben bestrebte sich Elisa , seine Gedanken von seinem Sohne abzuziehen , ihm das Gesetz der Notwendigkeit in seiner ganzen Stärke vorzustellen , und ihm diejenige Ergebung einzuflößen , welche der Weise , selbst bei den härtesten Schlägen des Schicksals , noch behält ; welche zwar den Schmerz empfinden läßt , aber Verzweiflung entfernt .
- Gleich nach Herrmanns Tode hatten Wallenheim und seine Gattin Carln kommen lassen .
Die Natur erwachte jetzt aufs neue aus ihrem Schlummer ; das grüne Gewand der Erde ging wieder aus ihrem Schoße hervor ; aber die blühende , lachende Natur goß neue Traurigkeit in Wallenheims und seiner Gattin Herzen .
Ach , sagte Elisa , Alles blühet , und mein Herrmann ist dahin ! -
Doch bald erinnerte sich Elisa , daß sie so oft Trost im Schoße der Natur gefunden hatte , daß ihre Freuden nie ersterben , sie besuchte also den Wald , den Garten , die grünen Felder wieder , und so schmerzhaft ihr auch im Anfange die wiederkehrende Freude der Natur gewesen war , so goß sie doch bald wieder Ruhe in ihr Herz ; es war zu empfindungsvoll , als daß es hätte fühllos gegen die allgemeine Freude bleiben können .
Auch Wallenheim bewog sie , sie auf ihren Spaziergängen zu begleiten , und ihre Kinder folgten ihnen dann .
Es war an einem sanften Frühlingstage , als Elisa zum Erstenmal nach Herrmanns Tode mit ihrem Gatten spazieren ging .
Sie gingen durch den Tannenwald auf eine Anhöhe , von welcher man auf der einen Seite über den dunklen Wald hinblickte , und auf der anderen erstreckten sich grüne Auen , in einer dem Auge unerreichbaren Länge .
Sie setzten sich ; Henriette hascht einen Schmetterling , sieht ihn an , und fängt an zu weinen .
Ach , Mutter ! sonst haschte Herrmann die Schmetterlinge , und half mir Kräuter suchen !
Ach , ich kann es immer noch nicht vergessen , jedesmal daß ich spazieren gehe !
Wahlen . ( nimmt Henriette wehmütig in seine Arme ) Armes Mädchen !
( er weint . )
Ja , Elisa , jeder Baum im Tannenwalde hat mich an den Knaben erinnert !
Wenn ich mit ihm auf die Jagd ging , und er dann vergnügt an meiner Seite hüpfte , mir die Vögel zeigte , und unter dem Baume lauschte , o , dann habe ich mich so oft über des Knaben Munterkeit gefreut !
Gefreut , wenn ich so viel Züge seines guten Herzens , so manchen Beweis seines lebhaften Verstandes sah !
O , Elisa ! ich kann Ihnen nicht sagen , wie jetzt Alles so öde , so freudenleer um mich ist !
Elisa . ( drückt Wallenheim die Hand und trocknet ihre Augen ; nach einer Pause . )
Meine Wallenheim , blicken Sie um sich , die Natur ist noch immer schön !
Zwar ein großer Teil unseres Glücks , unserer Freuden ist uns entrissen ; aber viel bleibt uns noch übrig !
Unsere Kinder werden wieder lustig werden , sie werden , hoffe ich , gut werden , und uns noch manche Freude gewähren !
Wir werden noch manchmal hier der sanften Freuden der Natur genießen !
Sehen Sie das lachende Grün , hören Sie das frohe Zwitschern der Vögel !
O lassen Sie Ihr Herz die Übereinstimmung , die Harmonie der Natur empfinden , und wenn wir dann um unseren Herrmann weinen , so lassen Sie uns auch empfinden , daß in der Schöpfung doch noch Freuden für uns sind !
Wahlen . ( umarmt Elisa 'n . ) Sanftes , liebevolles Weib !
Ja , ich fühle mich getröstet , ich fühle mich stärker , wenn ich bei Ihnen bin ! -
Auf diese Art bestrebte sich Elisa , immer Wallenheims Gram zu minderen , und dem Ihrigen das Bittere desselben zu benehmen .
Zwar trauerte sie lange um ihren Herrmann ; allein ihr Gram war eine sanfte Schwermut , mit derjenigen ruhigen Heiterkeit vereiniget , welche Elisa'n fast nie verließ . -
Jahre verflossen nun , ohne daß der Wollenheimischen Familie etwas Merkwürdiges begegnete .
Henriette war der Gegenstand der Zärtlichkeit ihrer Eltern geworden ; allein Elisa hatte über ihre Liebe zu ihr gewacht , und hatte mit den Jahren ihre Sorgfalt für ihre Erziehung verdoppelt ; und schon erkannte man in Henriette die Tugenden ihrer Mutter .
Herr Waldin war in Wallenthal geblieben , bis daß er einen Dienst bekommen hatte , welchen er durch Elisa's Bemühungen erhielt .
Als er weg war , erhielt Henriette allein ihren Unterricht von ihrer Mutter , welche sich täglich um mehrere Kenntnisse bewarb , um den Verstand ihrer Tochter gehörig zu bilden .
Übrigens blieb Elisa sich gleich ; der Jugend Blüte war von ihr geschwunden , aber nicht der Reiz derselben ; in keine ernsteren Falten zog sich ihre Stirn ; eben das ruhige , sanfte Lächeln thronte noch auf ihren Lippen , und eben derselbe liebevolle Blick , der einst Herrmann zuerst die Liebe kennen lehrte , begleitete noch jede ihrer Handlungen , und jedes ihrer Worte .
Unaufhörlich blieb sie beschäftiget , die Summe des Glücks zu vermehren , und nachdem die Zeit und ihre Bemühungen den Schmerz über Herrmanns Tod getilgt hatten , rief sie die Freude zurück an ihre Seite , und verbreitete sie wieder über Alles , was sie umgab , über ganz Wallenthal , soweit es dem Menschen möglich ist , und nur selten sah man dort einen kummer- oder unmutsvollen Blick .
In seinem fünfzehnten Jahre war Carl in den Militairdienst getreten ; oft schon hatte Elisa bittere Tränen um ihn vergossen .
Sein Charakter hatte keine Festigkeit bekommen , seine Leidenschaften , welche heftig waren , keine gehörige Richtung .
Sie hatte Wallenheim oft ihre Besorgnisse mitgeteilt , ohne ihm indes Vorwürfe zu machen ; allein er wollte aus falscher Scham es nie gestehen , daß sein Weib Recht habe , und nie hatte sie ihn bewegen können , in Absicht Karls andere Maßregeln zu nehmen .
Er war nun vier Jahre beim Regimente , und überließ sich jetzt , da er sich frei glaubte , seinen Leidenschaften ohne Einschränkung .
Das Spiel war fast seine einzige Beschäftigung , und die Stunden , welche er fern vom Spieltische zubrachte , verlebte er in den Armen feiler Buhlerinnen .
Er war zwanzig Meilen von Wallenthal entfernt ; allein Elisa ließ ihn beobachten , sie war von jeder seiner Handlungen unterrichtet ; aber sie verschwieg ihrem Gatten seine Aufführung , um ihm die Vorwürfe , welche er sich machen könnte , zu ersparen , und auch , weil sie besorgte , daß er vielleicht , um ihn zu besseren , falsche Maßregeln ergreifen könnte .
Sie wollte einige Zeit seine Leidenschaften ausbrausen lassen ; sie glaubte , daß , wenn ein Jüngling eine schlechte Erziehung bekommen hätte , und seinen Leidenschaften nicht schon vor ihrem Erwachen ein Zügel angelegt worden wäre , sie einem reissenden Strome glichen , der alle Dämme durchbricht , welche man ihm entgegensetzt ; daß folglich in der ersten Hitze derselben jedes Mittel zur Besserung vergebens sei , und sie wollte diese nicht eher anwenden , als bis er einige Zeit seine Leidenschaften befriedigt haben würde .
Doch jetzt näherte er sich dem zwanzigsten Jahre ; nun , glaubte sie , wäre es Zeit , ihn von seinen Ausschweifungen zurückzubringen , sonst bliebe er Lebenslang ein Spieler und ein Wollüstling .
Sie beschloß , selbst nach S... zu reisen , wo er in Garnison stand .
Sie sagte ihrem Gatten , daß Carl sich von heftigen Leidenschaften hinreißen ließe , und daß sie hoffte , daß , wäre sie einige Zeit in S... , sie vielleicht Gelegenheit haben würde , kräftige Maßregeln zu seiner Besserung anzuwenden .
Eine zwanzigjährige Erfahrung hatte Wallenheim zu sehr von der Klugheit und Vorsicht seiner Gattin überzeugt , als daß er jetzt nur einen Augenblick hätte zweifeln können , daß Elisa nicht ganz so handeln würde , als Zeit und Umstände es erforderten .
Er war gewohnt , sie in allen Fällen die besten Maßregeln ergreifen zu sehen , und schon seit langer Zeit schränkte er sie in keiner ihrer Handlungen mehr ein , und Elisa gebrauchte diese Freiheit nur , ihn und ihre Kinder zu beglücken .
Reisen Sie , teure Elisa , sprach er , es wird der besten Mutter aufbehalten sein , den Sohn zurückzubringen , den des Vaters Fehler auf Irrwege leitete !
Und Elisa reiste .
Sie trat in S. ... in einem Gasthofe ab ; sie verbarg ihren Namen ; viel hörte sie von ihrem Sohn sprechen ; er hatte Zweitausend Taler Schulden in S. ... , und täglich fand man bei ihm eine Versammlung von Spielern und Freudenmädchen .
Inzwischen erzählte man sich auch Züge seines guten Herzens :
Der junge Wallenheim , hörte Elisa einige Männer sagen , kann nur der Verführung nicht widerstehen ; es ist zu viel Schwäche in seinem Charakter ; ich weiß , daß er oft die besten Vorsätze nimmt , allein sie schwinden im anderen Augenblicke , sobald einer seiner Freunde zu ihm sagt : komme mit mir zum Pharotische .
Aus allen diesen Reden schöpfte Elisa Hoffnung .
Er ist noch nicht ganz verdorben ! sagte sie zu sich selbst .
Sie erfuhr , daß am anderen Tage wieder eine Versammlung seiner Spielgesellen bei ihm sein würde .
Sie bat die Wirtin , bei welcher Carl wohnte , ihr für ein gutes Trinkgeld zu erlauben , während der Zeit , daß bei dem jungen Wallenheim Gesellschaft wäre , sich in dem Zimmer neben dem Seinigen aufzuhalten .
Die Frau gestattete ihr dieses , und Elisa ging am Nachmittage dahin .
Bald hört sie das wilde Jauchzen , die üppige Fröhlichkeit Karls und seiner Gesellschafter ; sie unterscheidet unter ihnen zwei weibliche Stimmen , welche ihn zum Spiele ermunterten :
Mache Wallenheim , daß du gewinnst , riefen sie ihm zu , allein wir bekommen die Hälfte des Gewinstes , aber dafür sollst du auch eine göttliche Nacht haben !
O , ihr werdet sie wohl sehr menschlich machen , antwortete Einer aus der Gesellschaft , und ein wildes Gelächter erscholl .
Doch jetzt hörte Elisa , daß man sich um den Pharotisch versammelte , und nach einer halben Stunde hörte sie Carln ausrufen :
Der Teufel ! schon hundert Louisd'or weg ! Da öffnete sie plötzlich die Tür , und trat in das Zimmer .
Wie vom Blitze gerührt , stand Carl da ; Elisa schwieg .
Teufel ! rief ihm einer seiner Kameraden zu , was machst du , Wallenheim ?
Das Weib sieht ja nicht so schrecklich aus , um dir ein solch Herrjemines Gesicht abzujagen ?
Wahlen . Schweige ! es ist meine Mutter !
Nun wurde die Bestürzung unter Karls Gesellschaftern allgemein ; alle schwiegen .
Elisa . ( nähert sich ihm einige Schritte . )
Carl , und du heißest mich nicht einmal willkommen ?
Carl . ( bedeckt sein Gesicht mit seinen Händen . ) O ! meine Mutter !
Elisa . Carl ! wenn die kindliche Liebe nicht in dir spricht , so spricht doch die mütterliche Liebe desto lauter in meinem Herzen !
Komme in meine Arme , ich habe dich in so langer Zeit nicht gesehen .
Carl . ( stürzt sich schluchzend in Elisa's Arme . ) O , meine Mutter ! darf ich Sie umarmen ?
Elisa . Bist du denn mein Sohn nicht mehr ?
Carl ! laß mir die Hoffnung , daß der Knabe , den ich unter meinem Herzen trug , nicht ganz aufhören kann , mein Sohn zu sein !
Carl . Meine Mutter !
Was kann ich Ihnen sagen ?
Ich kann mich nicht rechtfertigen , alles spricht hier gegen mich .
Elisa . Laß diese Zeugen deiner Handlungen in der Zukunft aufhören , und ich werde sie vergessen !
Carl . Ach , Mutter !
ich fühle es , ich muß ein schlechter Mensch sein , daß ich solch ein Wüstling wurde , und solche vortreffliche Mutter habe !
Elisa . Genug , mein Sohn , von dem Vergangenen .
Laß mich hoffen , daß du dich in der Zukunft meiner Leitung überlassen wirst , und ich werde auch durch dich eine glückliche Mutter werden .
Carl . Mutter , wenn der Eindruck Ihrer Güte nicht fest in meiner Seele haftete , so müßte ich jede Empfindung verlieren , und aufhören ein Mensch zu sein !
Elisa . ( hebt Carln auf , und umarmt ihn . )
Dank dir , mein Carl , für die süßen Hoffnungen , mit welchen du mich belebest .
O , wenn du weise und gut sein wirst , dann , dann drücke ich dich noch mit mehrerem Entzücken an mein Herz , als am Tage deiner Geburt !
Carl weinte am Halse seiner Mutter .
Carl , sagte endlich Elisa , du vergisst deine Gesellschafter .
Carl wurde verwirrt ; er kehrte zum Spieltische zurück , um welchen Alle noch versammelt standen :
Meine Freunde , sprach er , ihr müßt mich heute verlassen .
Verzeiht , daß meiner Mutter Ankunft mir nicht länger erlaubt , mit euch zu sein !
Aber unser Geld , Wallenheim ? flüsterten ihm Einige leise zu .
Carl . Ich werde es euch zustellen !
jetzt habe ich es nicht .
Baron von T...
( Der wildeste von Karls Gesellschaftern . ) O , deine Mutter wird dich zum Heiligen machen , und dann wirst du eine Spielschuld nicht bezahlen , gib sie nur lieber gleich !
Carl . Aber T... , ich habe sie nicht !
B. v. T...
Na , Bruder , dann komme ich morgen früh wieder :
denn länger warte ich nicht !
Elisa . ( hat indes ihre Uhr abgemacht , und reicht sie dem B. von. T... ) Mein Herr , diese Uhr wird den Wert der Summe ausmachen , welche mein Sohn Ihnen schuldig ist !
Carl . O , meine Mutter !
Baron von T...
( verwirrt . )
Ich kann warten , meine gnädige Frau !
Elisa . Einmal muß die Schuld doch bezahlt werden .
Carl . Aber , liebe Mutter , Ihre Uhr !
Elisa . Ich bin nicht reich , Carl !
Carl , ( schlägt sich verzweiflungsvoll vor die Stirn . ) O , ich Elender !
Elisa . ( zum Baron von T... )
Ich bitte Sie , mein Herr , nehmen Sie die Uhr !
Mir bleibt kein anderes Mittel , meines Sohnes Schuld abzutragen .
Baron von T... ( nimmt die Uhr gerührt . )
Alle entfernten sich , indem sie sich ehrerbietig gegen Elisa'n verneigten .
Die beiden Freudenmädchen blieben .
Mit frecher Gebärde stellten sie sich an ein Fenster , und sprachen zusammen .
Elisa tat , als bemerkte sie sie nicht , und Karls Verwirrung stieg immer höher ; endlich nähert er sich ihnen :
Wollen Sie mich nicht auch jetzt verlassen ? sprach er .
Nach erhaltener Bezahlung , Herr von Wallenheim , war Beider Antwort .
Carl . Aber , Mädchen , ihr seid ja noch für diese Nacht frei .
Warum sollte ich euch bezahlen , da ich euch nicht von weitem Verdienste abhalte ?
Die Eine . Herr von Wallenheim , wir kamen unter der Bedingung , daß Sie jeder von uns fünf Louisd'or geben würden .
Sie wissen , wir gehen nicht zu einem jeden .
Carl . Aber , Mädchen , ich habe euch nicht gebraucht !
Die Andere . ( laut lachend . )
Darum bleiben wir auch hier , um uns unser Geld noch zu verdienen .
Die Erste .
Und genug , Herr von Wallenheim , wir geben nicht ohne Bezahlung .
Carl . ( hitzig . ) O , der unverschämten Geschöpfe !
Die Vorige .
Keine Beschimpfungen , Herr von Wallenheim !
Auch wir werden uns Recht verschaffen können ; entweder bezahlen Sie uns , oder wir verklagen Sie morgen .
Baron von T... ist Zeuge Ihrer Versprechungen gewesen , auf ihn berufen wir uns !
Carl . ( für sich . )
Was soll ich anfangen ?
( er wirft sich seiner Mutter zu Füßen . ) O , meine Mutter , befreien Sie mich !
Elisa . ( geht zu den beiden Mädchen , und gibt jeder fünf Louis_d'ors .
Beide entfernen sich augenblicklich . )
Elisa . ( nachdem sie hinausgegangen sind . )
Dieses sind also die Freuden , Carl , denen du deine Ruhe , dein Glück , deine Ehre opferst ?
Denn ein Mann von Ehre wird die Drohungen einer öffentlichen Buhldirne als einen Schimpf ansehen , den er nicht ertragen kann ; ein Mann von Ehre wird nicht anderer Geld entwenden ; denn Schulden machen , die man nicht bezahlen kann , ist doch wohl so gut als Raub ? -
Und diese Freuden erkaufst du mit den Tränen deiner Eltern ?
Armer Jüngling , wie wenig mußt du mit den wahren Freuden des Lebens bekannt sein , um diesen ein so großes Opfer zu bringen !
Carl lag noch auf seinen Knien und weinte .
Scham , Reue und Liebe zu seiner Mutter waren die Empfindungen , welche in seinem Herzen abwechselten .
Elisa überließ ihn diesen Gefühlen ; sie schwieg .
Ein starkes Anpochen an der Tür riß Carln aus denselben .
Er steht auf , öffnet die Tür .
Fünf seiner Gläubiger stehen vor ihm ; er erschrickt .
Gut , junger Herr , fängt der Eine von ihnen an , daß wir ihre Mutter noch bei ihnen finden ; Sie werden uns doch erlauben , mit ihr unsere Sache abzumachen ?
Carl richtet seinen Blick furchtsam auf seine Mutter ; er hätte gewünscht in die Erde sinken zu können .
Nun traten die Herren herein , und zogen Rechnungen und Schuldverschreibungen heraus .
Was ist das , Carl , fragte Elisa ?
Nichts , gnädige Frau , antwortete jener Mann , welcher schon zuvor gesprochen hatte , als Rechnungen und Schuldverschreibungen , welche sich auf Zweitausend Taler belaufen , welche Ihr Herr Sohn uns schuldig ist .
Elisa . ( erschrocken . )
Gott ! Zweitausend Taler ?
Wo soll ich die hernehmen ?
Der Gläubiger . Gnädige Frau , richten Sie es ein , wie Sie können ; nur soviel sage ich Ihnen , wenn wir nicht bezahlt werden , oder Sie uns nicht Bürge für die Bezahlung sind , so lassen wir den jungen Herrn nicht aus der Stadt .
Elisa . Meine Herrn , hier sind fünfhundert Taler , in jedem der drei folgenden Jahre sollen Sie eine gleiche Summe erhalten , und im Vierten die Zinsen des Kapitals .
( Sie setzt sich hin und schreibt . )
Hier haben Sie das schriftliche Versprechen und - hier das Geld !
( Sie zählt auf einen Tisch hundert Louisdo'r. )
Die Gläubiger nahmen nun mit vielen Komplimenten von Elisa'n Abschied .
Sobald sie das Zimmer verlassen haben , bricht Elisa in Tränen aus .
Carl . Meine Mutter , Sie weinen ?
O , ich Unglücklicher !
Elisa . Mein Herz ist zerrissen .
Wozu habe ich mich anheischig machen müssen ?
Meinen Vergnügungen habe ich kein Geld bestimmt , ich kann also das Geld , deine Schulden zu bezahlen , nicht mir entziehen ; denn ich habe keine andere Ausgaben für mich , als die , welche unbedingte Notwendigkeit fordern .
Und das Wenige , welches ich zur Annehmlichkeit deines Vaters und deiner Schwester bestimme , soll ich ihnen entziehen ?
O , ich werde die Klagen des Vaters über den Sohn hören müssen , der ihm nichts übrig ließ , als das bloße Stück Brot !
Ich werde meine süße Henriette in den Jahren der Freude sehen , und ihr jedes Mittel zum Vergnügen entziehen müssen !
Doch schwerer noch wird es meinem Herzen werden , dem Unglücklichen jede Hilfe zu versagen !
Die Summe , welche ich den Armen gab , ist die einzige , über welche ich bestimmen kann , das Einzige , welches ich besitze .
Armer , hilfloser Greis , wenn du nun vor meiner Tür vorbeischleichest , darf ich dir nicht mehr ein Labsal reichen !
Ich muß deine Tränen sehen , und darf sie nicht trockenen !
Ich darf dich nicht unterstützen , unglückliche Mutter , wenn du mich um ein Stück Brot ansprichst , deine Kinder zu unterhalten !
Ich werde euch sehen , meine bedrängten Brüder , euer Elend empfinden , und euch nicht helfen können !
Carl ! dieses schmerzt mich !
O , gern opferte ich dir alles , was ich besäße , müßte ich dir nur nicht Pflichten gegen meine unglücklichen Mitmenschen aufopfern !
Carl . ( wieder zu den Füßen seiner Mutter . )
Meine Mutter !
O , wie groß ist meine Schuld !
Ich fühle es , Sie können mich nicht mehr lieben !
Elisa . ( Mit sanfter , rührender Stimme , indem sie ihn umarmt . )
Du bist mein Sohn !
Carl weinte noch einige Zeit in ihren Armen ; endlich sprach Elisa zu ihm :
Ich wünschte , daß du mich begleitetest !
Du bist in langer Zeit nicht in Wallenthal gewesen , siehe zu , daß du auf drei Monate Urlaub bekommst .
Carl erhielt diesen Urlaub .
Elisa kehrte am Abend in den Gasthof zurück , und sagte ihm , daß sie ihn am anderen Morgen erwarte , um mit ihm abzureisen .
Carl kam am anderen Morgen ; er fand seine Mutter schon angekleidet ; allein er sah weder eine Kutsche , noch Pferde .
Haben Sie die Postpferde schon bestellt ? fragte er nach einiger Zeit .
Elisa . Ich habe kein Geld mehr , und ich mag meine Schulden nicht vermehren .
Ich werde zu Fuße gehen , du kannst ja reiten !
Carl . Meine Mutter !
Sie , zu Fuße gehen , von hier bis Wallenthal ; es sind ja zwanzig Meilen !
Elisa . Ich kann es nicht ändern , Carl .
Freilich wird es langsam gehen ; allein in sieben Tagen denke ich hinzukommen .
Carl . Meine Mutter , alle die Mühseligkeiten einer solchen Reise wollen Sie ertragen ?
O , ich bitte Sie , borgen Sie die Summe , welche zu Ihrer Reise erforderlich ist , und ziehen Sie es mir von meinem Taschengelde ab !
Elisa . Nein , mein Sohn , ich will deinen Bedürfnissen nichts entziehen .
Laß mich zu Fuße gehen , du wirst sehen , ich werde es schon aushalten können .
Carl schwieg , er machte sich Vorwürfe , und verabscheute seine vorige Aufführung .
Elisa hatte nun alles zur Abreise bereitet ; ein Bedienter hatte sie begleitet ; sie versprach ihm , den Weg , den er mit ihr machen müßte , zu belohnen .
Sie wollte durch dieses Mittel Carln lange seine Schuld empfinden lassen .
Sie machten sich nun auf den Weg , Carl ging beschämt durch die Straßen ; es demütigte ihn , daß man seine Mutter und ihn in diesem geringen Aufzug sah .
Er war auf dem ganzen Wege traurig und niedergeschlagen ; oft weinte er , wenn er seine Mutter vor Hitze und Durst ganz abgemattet sah , und sie dann ermüdet auf den Rasen sank , und nur nach einigen Stunden wieder Kräfte sammeln konnte , um ihren Weg fortzusetzen ; aber liebevoll sprach ihm dann Elisa Trost ein ; sie machte ihm nie Vorwürfe , sie klagte nie , ob sie gleich viel Unbequemlichkeiten auf dieser Reise zu ertragen hatte .
Sie waren an jedem Tage drei Meilen gegangen , und am Siebenten langten sie endlich in Wallenthal an .
Man hatte sie nicht kommen hören ; sie traten in das Zimmer .
Hier fand Elisa , außer ihrem Gatten und ihrer Tochter , Birkenstein und Felsig mit seiner Gattin und seinem Sohne .
Wallenheim eilt Elisa'n entgegen , und schließt sie in seine Arme .
Aber , teure Elisa , wir haben kein Geräusch gehört , sind Sie denn nicht gefahren ?
Elisa . Nein , Wallenheim !
Wahlen . ( verwundert . )
Warum nicht ?
Elisa . Ich konnte nicht .
Wallenheim sieht sie voller Verwunderung an , und erblickt Carln , welcher verwirrt an der Tür stehen geblieben ist .
Elisa wendet sich um .
Wallenheim , ich habe Ihnen unseren Sohn mitgebracht .
Carl warum begrüßest du nicht deinen Vater ?
Carl nähert sich beschämt und verwirrt ; Wallenheim empfängt ihn kalt ; Henriette hat sich indes in die Arme ihrer Mutter geworfen .
Alle nähern sich nun Elisa'n und bewillkommen sie .
Birkenstein . Elisa , Sie sehen mich hier unter der Zahl ihrer Freunde , und gewiß nicht als einen der Letzten , der sich freuet , Sie zu sehen !
Elisa . Birkenstein , Sie können glauben , daß meine Verwunderung , Sie hier zu sehen , mir nicht unangenehm ist .
Birk . ( Drückt Elisa 'n die Hand . )
Unsere Herzen verstanden sich ja immer , sie sind gewiß auch einstimmig im süßen Tone der Freundschaft !
Elisa erwiderte den Druck der Hand .
Birk . Ich bin jetzt Ihr Nachbar .
Ich habe mir ein Haus im Städtchen R... gekauft , und von nun an verlebe ich hier die Hälfte des Jahrs .
Elisa . O welch ein herrlicher Einfall !
Nun werde ich also stets im Kreise aller meiner Lieben sein !
Birk . Konnten Sie denn glauben , daß ich mich stets Ihres Umgangs , Ihrer Freundschaft entziehen würde ?
Nein , Elisa !
Jetzt können wir uns ohne Gefahr sehen , und jetzt wollen wir uns ruhig im Genusse unserer Freundschaft freuen .
Elisa . Dank Ihnen , Birkenstein , daß Sie durch Ihren Aufenthalt hier noch die Summe meines Glücks vermehren werden !
Birk . O , um diese Worte aus dem Munde des verehrungswürdigsten Weibes zu hören , lohnte es der Mühe , Leidenschaften zu bekämpfen , und weise zu werden !
Froh brachten Wallenheim und seine Gattin mit ihren Freunden den Abend zu .
Zwar war Elisa außerordentlich ermüdet ; allein dieses blieb unbemerkt , weil sie es nicht scheinen wollte .
Carl war der Einzige , welcher sah , wie viel Anstrengung seine Mutter anwendete , um nicht der Müdigkeit zu unterliegen .
Sein Herz dankte ihr dafür , und immer fester haftete darin der Vorsatz , seine Mutter , welche so vieles für ihn tat , nie wieder zu kränken .
Er blieb an diesem ganzen Abend traurig ; ihn dünkte , ein Jeder kenne seine Schuld , und er läse Verachtung in eines Jeden Blicke .
Tief schlug ihn dieses nieder , und nur beschämt und furchtsam blickte er umher .
Elisa suchte ihn Mut zu machen ; immer redete sie ihn liebevoll an , und noch mehr rührte dieses den Jüngling .
Gern wäre er zu den Füßen seiner Mutter gestürzt , um dort seine Schuld abzubüßen .
Ein ganz anderes Betragen hatte der junge Felsig ; er war seit vier Jahren vom väterlichen Hause entfernt , und seit einem Jahre auf der Universität in G ... ; jetzt war er während der Ferien nach Felsingburg gekommen , und wollte zwei Monate dort bleiben .
Seine Bildung war angenehm , und in seinem äußeren Anstande vereinigte er mit dem Feuer der Jugend sanften Ernst .
Mit Eifer und Fleiß ergab er sich den Studien , und diese Neigung entfernte ihn von Ausschweifungen .
Mit trefflichen Anlagen war er auf der Schule unter die Aufsicht eines geschickten Mannes gekommen , welcher seiner Seele eine edle Bildung gab , und seine Leidenschaften auf das Schöne und Erhabene lenkte , und Heinrich von Felsig war ein Jüngling , von dem man erwarten konnte , daß er als Mann die schönsten Früchte tragen würde .
Erst seit zwei Tagen war er in Felsingburg , und die ihn zärtlich liebende Henriette , welche glaubte , daß Elisa in Wallenthal zurück sein würde , wollte mit ihr ihre Freude über ihn teilen , und darum fand Elisa sie dort bei ihrer Ankunft .
Heinrich gewann schon am ersten Abend Elisa's Achtung ; er war bescheiden , und doch nicht blöde ; wenn er sprach , so geschah es nie in einem entscheidenden Tone .
Sein Scherz war witzig und fein , und seine Urteile der schlichten Vernunft gemäß ; zuvorkommend war er gegen Carln ; er bemerkte , daß er traurig war , und suchte ihn zu zerstreuen .
Carl , dessen Herz durch die Stimmung , in welcher er heute war , mehr als sonst noch , jedem Eindrucke offen war , gewann den jungen Felsig lieb , und bald wurden Heinrich und Carl vertraute Freunde .
Elisa sah diese Freundschaft gern ; sie glaubte , daß Carl durch die Unterhaltung seines Freundes zum Guten geneigter werden würde ; sie selbst sprach mit Heinrich über diesen Gegenstand , und bat ihn , Carln das Gute in einem Lichte vorzustellen , welches ihn es lieben mache ; allein sie glaubte , daß jede Mühe , welche sie bis jetzt zu seiner Besserung angewandt hatte , vergeblich sein würde , wenn sie ihn nicht Liebe zur Beschäftigung einflößte , und in ihm Gefühl für das wahre Schöne erregte .
Sie fing also an , ihm den Geschmack zum Lesen einzuflößen ; dann bildete sie seine Begriffe , erweiterte sie , machte ihn empfänglich für jede Naturszene .
Hatte Carl einen fröhlichen Tag in der Gesellschaft seiner Eltern und seines Freundes durchlebt , so machte ihn Elisa darauf aufmerksam , ließ ihn seine jetzigen Gefühle mit seinen vorigen vergleichen , und Carl fand sich jetzt glücklicher .
Fast täglich veranstaltete sie ein neues ländliches Vergnügen , wo Scherz und Freude herrschten , um Carln den Genuß der einfachen Freuden der Natur annehmlich zu machen ; und wenn er dann zuweilen im Kreise munterer Jünglinge und Mädchen war , und froher Scherz von eines Jeden Lippe floß , und sie auf dem Rasen mit jugendlichen Spielen und Tänzen die Stunden hinweg gaukelten , dann ließ sie ihn in das Zimmer kommen , setzte ihn an einen L' Hombre- oder Pharotisch ; allein der Glanz des Goldes konnte Carln nicht mehr den Reiz des Vergnügens ersetzen .
Oft blickte er mit Verlangen nach dem Fenster , wenn er draußen das fröhliche Jauchzen und Lachen seiner Gesellschafter hörte , und das Spiel wurde ihm zuwider , weil er ihm manche vergnügte Stunde aufopfern mußte .
In allem diesem arbeitete Elisa gemeinschaftlich mit dem jungen Felsig .
Es schien nicht , als hätte sie die Absicht , Carln zu besseren ; er hörte von ihr keine Vorwürfe mehr ; keine langweiligen Ermahnungen scheuchten ihn aus der Gesellschaft seiner Mutter ; nein , an der Hand der Freundschaft leitete ihn Elisa auf den Weg , auf welchem sie wünschte , daß er fortgehen sollte ; nur zuweilen ließ sie ihn , in Absicht ihrer , die Folgen seiner Schuld empfinden .
Es traf sich einigemal , daß er bei ihr war , und daß ein Unglücklicher , welche alle wußten , daß sie in Wallenthal Unterstützung zu erwarten hatten , Elisa'n um eine Gabe ansprach ; dann wendete sich Elisa weg , ging fort , und Carl sah eine Träne in ihrem Auge .
Dieses war ein Dolchstich für ihn .
Einen Strom von Tränen vergoß er dann , und war sein Freund Felsig gegenwärtig , so warf er sich in seine Arme , machte sich Vorwürfe , und Felsig ergriff diese Gelegenheit , jeden Vorsatz zum Guten in ihm zu befestigen .
Es blieb Elisa'n nun noch übrig , so viel als möglich zu verhüten , daß Carl nicht wieder unter seine vorigen Gesellschafter geriete .
Sie schrieb also an den General des Regiments , bei welchem Carl war , um ihn zu bitten , daß er ihn nach einer anderen Garnison versetzen möchte , und dieser bewilligte ihr Verlangen .
Elisa war nun ruhig in Absicht ihres Sohns .
Es waren beinahe zwei Monate verflossen , seitdem Carl in Wallenthal war , und viel hatte die Bildung seines Herzens und seines Verstandes in dieser Zeit gewonnen .
Seine Grundsätze waren fester , seine Begriffe von den wahren Gütern des Lebens richtiger , und die Gewohnheit war in ihm entstanden , in seinen Handlungen den Gesetzen der Vernunft zu folgen .
Elisa konnte also hoffen , daß Leidenschaften ihn nicht mehr zu solchen großen Fehlern hinreissen würden ; allein daß sie ganz ihre Macht über ihn verlieren würden , dieses erwartete sie nicht , weil sie den Menschen kannte , und nicht vergaß , was doch so viele Eltern tun , daß ihr Sohn nur ein zwanzigjähriger Jüngling war , und daß Weisheit in diesem Alter noch nicht ausgeübt , nur erst erlernt werden muß .
Doch fast eben so sehr als Carl Beschäftigte jetzt Henriette ihre Aufmerksamkeit .
Henriette und Felsig hatten sich oft gesehen , und Elisa bemerkte , daß Henriette freudiger aufblickte , wenn Felsig in die Stube trat ; daß sie rot wurde , wenn man von ihm sprach ; daß ihre Blicke mit Vergnügen auf ihm verweilten , und daß Henriette in Felsings Abwesenheit nicht mehr so fröhlich , so heiter als ehedem , ja sogar unruhig war , wenn sie ihn erwartete .
Aber auch in Heinrichs Augen glänzte ein höheres Feuer , wenn er mit Henriette sprach , und es blieb Elisa'n nicht unbemerkt , daß ein sanfter Händedruck oft seine Begrüßung war .
Mit doppelter Aufmerksamkeit beobachtete Elisa ihre Tochter , ohne sie dieses merken zu lassen , und Beschäftigte sie mehr als sonst , um sie jetzt nicht den Spielen der Einbildungskraft zu überlassen , welche bald jene aufkeimende Liebe zur lodernden Flamme werden läßt .
Elisa teilte Wallenheim ihre Beobachtungen mit .
Wird Felsig ein redlicher Mann , sprach er , und hat etwas gelernt , so kann er unsere Tochter heiraten ; Liebe wird sie vereinigen .
Elisa wünschte das Glück ihrer Tochter ; ihre geliebte Henriette , wünschte sie , möchte nur der Liebe Süßigkeit , nicht auch ihre Bitterkeit empfinden , und darum sah sie ihre Liebe zu Felsig nicht gern , weil , um lebenslängliche Fesseln zu tragen , er noch zu jung war .
Indes sagte sie ihr nichts , um sie nicht mißtrauisch gegen sich zu machen .
Es war nun am Tage vor Heinrichs Abreise .
Wallenheim war mit seiner Familie zwei Tage in Felsingburg gewesen , und er und Elisa baten beim Abschiede Felsig und seine Gattin , den letzten Tag von Heinrichs Aufenthalte in Felsingburg , in Wallenthal zuzubringen .
Henriette kam , wie gewöhnlich , nach dem Frühstücke schon angekleidet zu ihrer Mutter .
Schwermut lag in ihren Zügen , ihr Blick war trübe , und ihre Augen rot vom Weinen .
Elisa tat , als merkte sie dieses nicht , war noch liebevoller gegen sie , und umarmte sie mit inniger Zärtlichkeit .
Henriette , welche in dieser Stunde stets ihrer Mutter aus philosophischen Schriften etwas vorlas , wobei Elisa fortfuhr , ihre Begriffe zu bilden und zu erweitern , ergriff auch heute ein Buch ; allein sie war zerstreut , ihre Stimme zitterte , sie hörte nicht ihre Mutter , wenn diese sprach , und antwortete ihr nicht .
Elisa . Henriette , du bist heute vielleicht zum Lesen nicht aufgelegt .
Du bist nicht wohl .
Lege das Buch weg , meine Tochter ; du mußt dir keinen Zwang auflegen !
Henriette . ( Macht das Buch zu , errötet , und schlägt die Augen nieder . )
Elisa . Komme zu mir , meine Henriette , setze dich hier neben mich .
Du bist seit einiger Zeit nicht mehr so fröhlich als sonst , und dieses tut mir wehe !
Das Glück meiner Kinder ist mein einziger Wunsch ; alle meine Handlungen zielen dahin , und es schmerzt mich , daß ich diesen Zweck verfehle !
Henr . ( Wirft sich weinend in die Arme ihrer Mutter . ) O , meine gütige , meine liebe Mutter !
Elisa . Besitze ich dein Zutrauen nicht ?
Ich würde doch so gern Alles tun , um die Ursache deines Mißvergnügens aufzuheben ?
Henriette .
Meine Mutter , ich hätte Ihnen schon lange alles gesagt , wenn ich nur recht gewußt hätte , was eigentlich in meinem Herzen vorginge ; allein ... ( Henriette errötet , und wird verwirrt . )
Elisa . Liebe Henriette , ich errate dich .
Gib mir die Hand , meine Tochter , erröte nicht .
Es ist das erste , das seligste Gefühl , welches die Natur in unsere Herzen legte , wir müssen es nur gehörig leiten , und dieses zu tun , versprich mir , meinen Beistand anzunehmen .
Henr . O , meine Mutter , leiten Sie mich !
Gern , gern folge ich Ihnen , müßte ich auch meine Liebe zu Heinrich aufgeben .
Wenn Sie es wollten , so wüßte ich , es wäre gut .
Elisa . Dieses ist der seligste Augenblick meines Lebens !
In meiner Kinder Herzen versprach ich mir den Lohn für jede meiner Handlungen , und Dank dir , meine Henriette , du hast meine Erwartung nicht betrogen !
Du wolltest mir deine Liebe aufopfern ?
Ich weiß , was dieses deinem Herzen kosten würde .
Und meine sorgfältigsten Bemühungen für dein Glück sollen mich deines unbeschränkten Vertrauens immer würdiger machen !
Henr . ( Küßt ihrer Mutter gerührt die Hand . )
Elisa . Jetzt laß uns von deinen Angelegenheiten sprechen .
Gestand dir Felsig seine Liebe ?
Henr .
Meine Mutter , ich will Ihnen Alles , Alles sagen , was zwischen uns vorgegangen ist .
Ich hatte bisher auf meine Empfindungen nicht gemerkt ; ohne es zu wissen , empfand ich Vergnügen in Felsings Gesellschaft .
Felsig war so zuvorkommend gegen mich , er suchte mir immer Gefälligkeiten zu erzeigen , oder mir Vergnügen zu machen ; sein Ton war so sanft , wenn er mit mir sprach ; seine Worte hatten so das Gepräge der Innigkeit und Herzlichkeit , daß ich immer gerührt war , wenn ich einige Stunden mit ihm verplaudert hatte .
Gestern auf unserem Spaziergange redete er mit mir von seiner Abreise ; das machte mich traurig .
Als wir zurückkamen , setzten Sie sich , liebe Mutter , mit Felsings und meinem Vater auf den großen Rasenplatz vor dem Hause .
Herrn von Birkenstein sah ich mit meinem Bruder und Heinrich im Garten den Laubengang hinunter gehen .
Unwillkürlich entfernte ich mich von Ihnen , liebe Mutter , und ging auf die entgegengesetzte Seite des Gartens .
Ich kam an die kleine Grotte , neben dem Teiche , dessen Ufer die schönen Kastanienbäume beschatteten ; ich setzte mich da , die Sonne war untergegangen , stille und traurig war Alles um mich .
Ich dachte nur an Felsings Abreise ; mein Herz war so beklommen , daß ich endlich in Tränen ausbrach .
Mich dünkte , nun höre jedes Vergnügen für mich auf ; dieser Garten , den ich so oft an Felsings Hand froh durchstrichen hatte , verlor nun seinen Reiz für mich .
Alles wird nun öde sein , sprach ich zu mir selbst , und meine Tränen verdoppelten sich .
Dieses machte mich endlich aufmerksam auf mich selbst .
War ich denn nicht auch vergnügt , fragte ich mich , ehe Felsig hierher kam ?
Und werde ich eben so traurig bei Karls Abreise sein ?
Nein ; und Carl ist doch mein Bruder , und ich liebe ihn so sehr !
... Ach , Mutter !
da suhlte ich , daß ich eine vorzügliche Neigung für Felsig empfand , und ich machte mir Vorwürfe , daß ich dieses nicht eher bemerkt , und Ihnen entdeckt hätte .
Ich war noch in diesen Betrachtungen versunken , als ich Jemand kommen hörte ; ich wandte mich um , es war Felsig .
Ich erschrak , ich zitterte ; er kam eilig zu mir : Henriette , sagte er , wollen Sie mir Ihre Gesellschaft den letzten Abend entziehen , an welchem ich mit Ihnen sein kann ?
Er sprach diese Worte in einem wehmütigen Tone , und seine Stimme zitterte .
Ich war sehr verwirrt ; er setzte sich neben mich , mein Herz schlug gewaltig .
O , Henriette , hob er aufs neue an , wie glücklich wäre ich , wenn ich Felsingburg mit der Hoffnung verlassen könnte , daß ich einst alle künftigen Tage meines Lebens an Ihrer Seite verleben würde ?
Er blickte mir bei diesen Worten ins Gesicht : eine Träne entfiel mir ; er sah es , und schlug seinen Arm um meinen Leib .
Mit Heftigkeit drückte er mich an seine Brust , und zum Erstenmal drückte er seine Lippen auf die Meinigen .
O , Henriette ! rief er aus , wenn Liebe Liebe versteht ? -
O , meine süße Freundin , dann darf ich hoffen ...
Er schwieg , ich schlug die Augen nieder ; endlich wand ich mich aus seinen Armen .
Hören Sie , Felsig , sprach ich , es ist wahr , ich glaube , ich liebe Sie .
Der Schmerz über Ihre nahe Abreise hat mich über meine Empfindungen belehrt , und warum sollte ich es Ihnen nicht sagen ?
Ich glaube , daß es das Glück meines Lebens machen würde , wenn ich mich einst als Ihre Gattin sähe .
Hier errötete ich , und er drückte mir sanft die Hand .
Doch , fuhr ich fort , unsere Eltern müssen unsere Liebe billigen .
Wir müssen uns ihnen entdecken , und bis dahin kein Wort mehr von unserer Liebe ; was sie über uns beschließen , dem unterwerfe ich mich .
Sie kennen die Güte , die Tugend , die Klugheit meiner Mutter ; was sie will , ist gewiß das Beste für mich . -
Nun standen wir auf , Heinrich ergriff meine Hand , und sprach in einem feierlichen Tone : Henriette , diese Worte , über welche vielleicht mancher Jüngling klagen würde , machen Sie mir noch verehrungswürdiger !
Ich werde mich bestreben , Sie durch Tugend zu verdienen , und dann glaube ich , daß ich ruhig den Ausspruch Ihrer verehrungswürdigen Mutter erwarten kann .
Wir beschlossen nun , daß er heute seinen Eltern seine Liebe entdecken , und auch Sie mit derselben bekannt machen sollte .
Und nun - ( in einem ängstlichen Tone ) meine Mutter , entscheiden Sie !
Elisa . Sei ruhig , liebe Henriette , du wirst stets Gebieterin über dich selbst bleiben , nur du kannst über dich bestimmen !
Eltern haben bloß das Recht , ihren Kindern das Beste vorzustellen , ihnen die Mittel zu zeigen , durch welche sie glücklich werden können , die Wahl , welche sie ergreifen wollen , muß ihnen überlassen sein .
Hier hört das Recht der Eltern auf ; der Menschheit heilige Rechte nehmen ihren Anfang , und der Mensch muß es dem Menschen überlassen , welche Mittel zur Erreichung seines Glücks er nach seinen Empfindungen und Vorstellungen für die besten hält , und ihn diese ergreifen lassen .
Ich will dir also meine Gedanken über eine Verbindung mit dir und Heinrich mitteilen , und dann , meine Henriette , kann nicht ich , sondern du mußt entscheiden .
Heinrich ist jetzt achtzehn Jahr , nur wenige Monate ist er älter als du .
Er wird noch ein Jahr in G ... bleiben , dann wird er in B ... angestellt werden , und vor seinem zwei und zwanzigsten Jahre gebe ich es nicht zu , daß er dich heiratet .
Du , meine Henriette , bist dann vollkommen fähig , Gattin , Mutter und Hausfrau zu werden ; allein Heinrich ist dann noch immer der brausende Jüngling , in der ganzen Stärke seiner Leidenschaften .
Erwarte es nicht , daß du ihn fesseln wirst !
Wenn er dir treu bleibt , und wie kannst du dir dieses für gewiß von einem achtzehnjährigen Jüngling versprechen ?
so hört er auf es zu sein , wenn er dein Gatte ist .
Alles reizt dann noch seine Sinne , Alles erweckt seine Begierde .
Du , meine Henriette , näherst dich dann dem Alter , wo des Frauenzimmers erste Blüte schon vorüber ist , und doch mußt du deinem jugendlichen Ehemanne jetzt reizender erscheinen , als in den ersten Tagen eurer Liebe .
Um den Mann zu fesseln , muß das Weib sich nur bestreben , seine Achtung zu erlangen , und seine Liebe zu erhalten ; allein des Jünglings Gattin muß bei diesem noch seine Begierden erwecken .
Du mußt der ersten Jugend frohen Leichtsinn annehmen !
Zu gleicher Zeit mußt du seinem Herzen teuer sein , seine Sinne reizen , und seine Vernunft muß dir Beifall geben !
Erwäge dieses recht , Henriette !
Dieses ist wahrlich nicht so leicht !
Jetzt stürzt sich manches junge Mädchen in die Arme des Jünglings , wähnt sich Ewigkeiten des Glücks , ohne eine von den Eigenschaften zu besitzen , welche den Grund zu demselben legen könnten .
Jünglingsliebe ist nicht der Grundstein desselben , sondern Weiber-Klugheit , Weiber-Tugend .
Wenn du Heinrichs Gattin wirst , so muß es in den ersten Jahren deiner Ehe eine deiner Hauptbemühungen sein , daß du in Heinrichs Liebe für dich immer einen hohen Grad von Feuer und Lebhaftigkeit unterhältst .
Die Vergnügungen , welche er in deinem Umgange genießt , müssen daher stets abwechselnd sein , und ihm neu scheinen , und es wird eine wichtige Angelegenheit für dich sein , ihm Vergnügungen zu verschaffen , und ihm die Zeit zu vertreiben .
Ich sehe es daher gern daß ihr in B .. sein werdet , auf das Land sollten junge Eheleute , wenn der Ehemann in Heinrichs Alter ist , nie gehen .
Einförmigkeit tötet die Liebe , Mannigfaltigkeit unterhält sie .
Dieses ist ein wahrer Satz , er wird uns oft gesagt ; aber , leider ! beherzigen ihn unsere jungen Weiber nicht sehr .
Du , meine Henriette , wirst , hoffe ich , ihn in Ausübung bringen , daß Heinrich nie die Zeit lang werde , wenn er bei dir ist .
Du mußt die Gefährtin seines jugendlichen Frohsinns werden der Fröhlichkeit und dem Scherze mußt du tausend verschiedene Gestalten geben , und sie dich stets umgeben lassen .
In deiner ganzen Figur mußt du einen Reiz zu unterhalten suchen , und wenn Heinrich in anderen Armen geschwärmt hat , so muß er doch stets mit Wollust in die Deinigen zurückkehren .
Dieses ist die große Kunst , von welcher kein Mädchen sich etwas träumt , von welcher unsere Mütter uns nichts vorsagen , und welche doch so notwendig ist , wenn besonders , wie jetzt gebräuchlich ist , nicht Männer , sondern Jünglinge heiraten .
Darum , meine Henriette , wenn du Heinrichs Gattin bist , ergreife jedes Mittel , welches dir jene , den Weibern natürliche , Koketterie und eine genaue Kenntnis seines Geschmacks und seiner Neigungen , an die Hand geben , um seiner Liebe , so weit es der Natur der Sache nach möglich ist , stets neue Lebhaftigkeit zu geben .
Verschaffe ihm Vergnügungen , und dieses oft , und daß er dich als die Schöpferin derselben erblicke .
Doch bei diesem allem , Henriette , wiederhole ich dir , dein Gatte wird nicht beständig sein .
Allein nie müssen deine Blicke , dein Betragen , deine Worte , ihm den geringsten Verdacht verraten ; nie mußt du ihn einzuschränken suchen , nie dein Betragen gegen ihn verändern und unfreundlich werden !
Nein , gib ihm immer die überzeugendsten Beweise deiner Liebe ; in deinen Blicken , in deinen Worten , in deinen Handlungen atme stets Liebe gegen ihn ; arbeite in jedem Augenblicke deines Lebens an seinem Glücke , an seiner Zufriedenheit ; dann wirst du stets seinem Herzen teuer sein .
Wo einmal gegenseitige Liebe statt fand , da wird Liebe immer Liebe erwidern , und dann kannst du ohne Furcht ihn in Anderer Armen erblicken , in welche Sinnlichkeit ihn leitete ; wenn er den Gegenstand seiner heißen Begierden mit mehrerem Entzücken an sein Herz drückt , so wird er doch dich mit mehrerer Innigkeit an dasselbe drücken .
Vergißt sich Heinrich in deiner Gegenwart , läßt er sich in deiner Gegenwart durch Schönheit , Annehmlichkeit oder Sinnlichkeit zu diesem oder jenem Weibe hinreissen , und gibt ihr durch sein Betragen den Eindruck zu erkennen , den sie auf ihn gemacht hat ; so tue , als sähest du dieses nicht .
Dein Ton , deine Laune , deine äußere Stimmung müssen dieselben bleiben ; ohne den Schein davon zu haben , wetteifere in Annehmlichkeiten mit deiner Nebenbuhlerin , und besonders hüte dich , weder öffentlich , noch allein mit deinem Gatten , ihm dann weniger Achtung , oder mehrere Gleichgültigkeit zu bezeigen . -
Und bei dem allem , Henriette , kann dir sein Herz entrissen werden .
Der Eindruck , den man auf den Jüngling macht , ist nicht dauernd :
Oft die Sinnlichkeit befriedigt , und die Liebe verfliegt .
Es ist nicht das Alter , in dem der Mann geschickt ist , Gatte und Vater zu werden , und die vielen Heiraten , welche jetzt von Jünglingen geschlossen werden , müssen das Sittenverderbnis vergrößern , und die unglücklichen Ehen vermehren .
Wird in dem Alter , in welchem der Jüngling nur genießen will , und von einem Vergnügen zum anderen eilet , er sich lebenslängliche Fesseln anlegen , und sich den häuslichen Sorgen unterziehen ?
Nein , er heiratet , weil er in das Mädchen verliebt ist , welches er vielleicht nach einem oder zwei Jahren in eine andere eben so sehr sein wird ; allein einschränken wird er sich nicht , er wird seinen Vergnügungen eben so gut nachgehen , und seine häuslichen Angelegenheiten wird er nach seiner jedesmaligen Laune oder seinem Eigensinne anordnen , unbekümmert , ob zum Nutzen oder Schaden derselben : und gleichgültig wird er in der Folge gegen häusliche Freuden werden , da er sie eher kennen lernte , als er ihren Genuß zu schätzen wußte .
O , wie viel anders ist es , wenn der Mann heiratet , bei dem mit den Jünglings-Jahren auch die Jünglings-Leidenschaften aufgehört haben !
Seine Gattin ist nicht bloß der Gegenstand , der nur seine Begierden befriedigen soll ; nein , er sieht zugleich in ihr seine Gesellschafterin , seine Freundin .
Er hat jedes Vergnügen genossen , jetzt will er der Ruhe genießen , und sie soll sie ihm versüßen .
Bleibend wird der Eindruck sein , den das Weib seiner Liebe auf sein Herz gemacht hat , wenn sie diese zu erhalten weiß .
Nicht wilder Ungestüm wird ihn in der Anordnung seiner häuslichen Angelegenheiten leiten ; sondern weise , mit seiner Gattin wohl überlegte , Maßregeln wird er ergreifen , und Beide werden an ihrem gegenseitigen Glücke , an dem Glücke ihrer Familie mit vereinigten Kräften arbeiten .
Dieses , meine Henriette , ist die Lage , in welcher ich dich gewünscht hätte ; doch Liebe ruft dich in die Arme des Jünglings .
Größere und mehrere Pflichten werden dir zu Teil , ungewisser dein Glück , deine Ruhe !
Heftig sind die Leidenschaften des Jünglings , du mußt sie leiten , du mußt die Führerin werden , an deren Hand Heinrich in fernen Jahren Glück und Ehre findet .
Wie viel Klugheit , wie viel Geschicklichkeit sind erforderlich , um die Leidenschaften und Neigungen des Jünglings so zu leiten , daß seine Handlungen seinem wahren Interesse entsprechen !
Bestrebe dich , sobald du Heinrichs Gattin bist , dieses aus einem richtigen Gesichtspunkte zu betrachten , und dieses sei das Ziel , zu welchem du ihn leitest .
Allein , Henriette , in deinem äußern müsse nichts Herrschsüchtiges sein , nicht den Schein einer geringsten Überlegenheit müssest du über ihn annehmen .
Vernunft und Sanftmut sind die einzigen Mittel , durch welche du ihn leiten kannst .
Bestrebe dich , sein Vertrauen , und vorzüglich seine Achtung zu erlangen , damit Heinrich überzeugt werde , daß in jeder deiner Handlungen Vernunft deine Führerin ist ; dann kannst du ihn sicher ihre Stimme hören lassen , und er wird selbst dich zu seiner Ratgeberin erwählen .
Widersprich ihm nie in den ersten Aufwallungen seiner Leidenschaft , verhindere nur , daß in wichtigen Fällen er dann nicht handelt !
Die Leitung eurer häuslichen Angelegenheiten mußt du allein übernehmen ; genau mußt du , wenn du Heinrichs Gattin bist , dich mit den seinigen bekannt machen ; allein wider seinen Willen unternimm nichts !
Bestrebe dich nur , daß jede Anordnung , welche du triffst , so und nicht anders am besten ist ; dann wird Heinrich deine Maßregeln billigen , und du überhebest ihn der kleinen häuslichen Sorgen , welche dem Jünglinge den Ehestand zuwider machen , woraus bald Gleichgültigkeit oder Abneigung gegen seine Gattin , als die Ursache derselben , entspringt , und jedes häusliche Glück untergräbt .
Allein , mehr als der Mann , hat der Jüngling Launen und Eigensinn ; diesen gib nach , und bestrebe dich nur , so viel als möglich , sie unschädlich zu machen !
Kannst du dieses alles erfüllen , Henriette ?
Nun , so werde Felsings Gattin !
Doch auch jetzt überlaße dich nicht ganz deiner Liebe !
Heinrich sah erst wenig Mädchen , jetzt erst hat sich sein Herz den Empfindungen der Liebe geöffnet , er sah dich zuerst , und er liebte dich .
Ob aber in deiner Abwesenheit ein anderes Mädchen nicht eine eben so starke Liebe in ihm anzünden kann ?
Dieses kann er dir selbst nicht versprechen , so feurig , so aufrichtig auch jetzt seine Versicherungen sein mögen ; denn sehr wenige Menschen sind in ihrem Entstehen Herr über ihre Empfindungen , und am wenigsten der Jüngling .
Henr .
Meine Mutter , Heinrich ist kein gewöhnlicher Jüngling !
Sie kennen seine edlen Grundsätze .
Übereinstimmung erzeugte unsere Liebe , und ich darf hoffen , daß er mich immer mehr als jedes andere Mädchen lieben wird !
Doch , meine Mutter , der Tugend , so wie der Notwendigkeit , werde ich immer meine Leidenschaft opfern können , und Sie und ich wollen über mein Herz wachen , daß sie nicht zu stark werde .
Und meine Pflichten einst als Heinrichs Gattin ? -
O , meine Mutter , ich erkenne ihren ganzen Umfang !
Doch , Sie werden mich leiten durch Ihre Lehren ; durch Ihr Beispiel werde ich die Eigenschaften erlangen , welche mir noch fehlen !
Bei diesen Worten sank Henriette in die Arme ihrer Mutter , und in demselben Augenblicke traten Wallenheim , Felsig , seine Gattin und Heinrich herein .
Henriette erschrak !
Kommen Sie , Felsig , sprach Elisa , Sie lieben meine Tochter ?
( zu Felsig und seiner Gattin . )
Henriette , Felsig , billigen Sie seine Liebe ?
Henr .
Deine Tochter die Meinige nennen zu können ?
O , Elisa , wie sehr wird dieses ein Glück erhöhen !
Elisa . Nun dann , Felsig , so empfangen Sie sie ; mein Gatte williget in Ihre Verbindung !
Aber in diesem Augenblicke , wichtig und feierlich für mich , für meine Henriette , für Sie , lege ich Ihnen die Verbindlichkeit auf , sie glücklich zu machen !
Ich habe ihr die Gefahren einer Verbindung mit einem Jünglinge vorgestellt , sie will sich ihnen aussetzen , sie will ihre Ruhe Ihrem Glücke aufopfern !
Prüfen Sie sich jetzt , ob Sie ihr stets diese Liebe erwidern können ?
Sie sind jung ; nach dem Besitze Ihrer Gattin werden Sie vielleicht anders denken , als jetzt .
Sie werden es vielleicht bereuen , so jung Ihrer Freiheit und so manchem Vergnügen entsagt zu haben , welches für Sie , als Ehemann , als Hausvater aufhört ! -
Wenn dieses ist ?
O , so entsagen Sie meiner Tochter !
Nähren Sie keine Liebe in Ihrem Herzen , welche sie unglücklich machen könnte ; oder fürchten Sie zugleich die Vorwürfe einer Mutter , welche , indem sie Ihnen ihre Tochter gibt , Ihnen die Sorge für ihr Glück überträgt .
Heinrich . Gnädige Frau , ich sagte gestern zu Henriette , ich wollte sie durch Tugend verdienen ; dieses bleibt noch mein Vorsatz !
Nach einigen Jahren tun Sie den Ausspruch über mich !
Und wenn ich einmal den Pfad der Tugend betreten habe , sollte ich ihn verlassen , wenn ich im Besitze des liebenswürdigsten Weibes sein werde ?
Elisa . ( lächelnd . )
Schöne Jünglings-Phrasen !
Doch , ( sie wendet sich gegen Wallenheim . )
Wallenheim , unsere Tochter ist frei . -
Sie mag entscheiden !
Heinrich und Henriette blickten sich an , und warfen sich zu gleicher Zeit in Elisa's Arme , indem sie ausriefen :
O , meine Mutter , wir wollen stets gut sein !
Wir wollen Ihnen Freude machen , durch unsere Liebe , durch das Bestreben , uns gegenseitig glücklich zu machen !
Elisa umarmte sie Beide : auch Wallenheim schloß seine Tochter in seine Arme ; und gerührt drückte Henriette den Sohn an ihr Herz .
Die süßen Namen : Vater , Mutter , Tochter , Sohn , erschollen aus jedem Munde , und Beider Eltern fühlten ihre Freundschaft durch die Liebe ihrer Kinder verstärkt .
Auch Birkenstein kam an diesem Tage nach Wallenthal ; er teilte mit ihnen das Glück seiner jungen Freunde , und versprach Elisa'n , Heinrichs Bildung zu vollenden .
Das erste Jahr , daß er in B... sein wird , sprach Birkenstein , werde ich mit ihm dort zubringen .
Ich werde seine Leidenschaften leiten , jedes Schöne und Erhabene werde ich ihm als wünschenswert vorstellen , und seine Neigungen darauf richten ; ich werde ihn lehren Menschen kennen , und ihn gewöhnen , selbst in der Hitze der Leidenschaft auf die Stimme der Vernunft zu hören , und ihr zu folgen .
Kurz , mein Bestreben soll sein , daß Heinrich einst nicht nur edel denkt , sondern stets gut handelt ; und schön wird der Abend meines Lebens sein , wenn ich dazu beitragen kann , Sie einst in Ihrer Tochter glücklich zu machen !
Elisa dankte ihrem edlen Freunde .
Vergnügt verlebte dieser Zirkel guter und glücklicher Menschen nun diesen Tag .
Heinrich und Henriette dachten nicht an den Abschied , sie empfanden nur ihr gegenwärtiges Glück , und genossen des künftigen .
Doch sie kam , die Abschiedsstunde ; allein frühzeitig hatte Elisa ihrer Tochter Standhaftigkeit eingeflößt , und Henriette zeigte sich ihrer Mutter würdig bei der Trennung von ihrem Freunde .
Tränen rollten zwar von ihren Wangen ; allein sie flossen ohne Heftigkeit , und nach einigen Tagen hatte Henriette ganz ihre vorige Heiterkeit wieder .
Elisa fuhr fort , sie sehr zu beschäftigen , und zu verhindern , daß Heinrich nicht stets der Gegenstand ihrer Gedanken sei ; sie ließ sie jetzt selten allein , und ging öfterer , als sie bisher getan hatte , mit ihr in Gesellschaft .
Doch eben so sehr bestrebte sie sich , Henriette die Eigenschaften zu geben , welche sie als Heinrichs Gattin von ihr forderte .
Sie bildete ihren Geschmack , erteilte ihr einige Kenntnisse in den schönen Künsten und in der schönen Literatur , weil sie glaubte , daß Henriette eine angenehme Unterhaltung dadurch bekommen würde , und daß , wenn man sucht , dem Verstande Grazie und Feinheit zu geben , dieses sich auch auf das äußere Wesen ergießt , und dem Weibe Annehmlichkeit gibt .
Allein auch Menschen- und Weltkenntnis fand Elisa für nötig , daß sie ihre Tochter erlangte .
Sie bat also ihren Gatten , daß er einen Winter in B .. mit ihr und ihrer Tochter zubringen möchte .
Hier suchte sie die Gesellschaften , welche von den klügsten und artigsten Weibern B... s besucht wurden , und hier bildete sie ihre Tochter zum liebenswürdigsten , angenehmsten Mädchen .
Allein indem Henriette in ihrem Wesen die Politur der feinen Welt annahm , blieb sie doch ungekünstelt und natürlich .
Die Natur schien bei ihr durch die Grazien geschmückt zu sein . -
Doch Henriette sollte nicht nur das reizende , das angenehme , sondern auch das gute , das vernünftige Weib sein .
Von ihrer Jugend an hatte Elisa ihre Begriffe , ihre Grundsätze gebildet ; jetzt gab sie ihr Gelegenheit zu handeln , machte sie darauf aufmerksam , wenn sie fehlte , und flößte ihr Beharrlichkeit im Guten ein .
Aber auch die Besorgung aller häuslichen Geschäfte übertrug jetzt Elisa ihrer Tochter ; sie ließ sie in das Detail jeder wirtschaftlichen Angelegenheit gehen , und Henriette erlangte auch bald in diesem Fache alle Vollkommenheiten einer guten Hausfrau .
Elisa war glücklich in diesen Beschäftigungen , die guten Eigenschaften ihrer Tochter wurden mit jedem Tage erweitert , und durch sie Elisa's Glück erhöhet .
Ihr mütterliches Herz kannte jetzt nur Freuden ; auch in ihrem Sohne wurden ihre Bemühungen um sein Glück ihr belohnt .
Carl hatte seinen Ausschweifungen auf immer entsagt ; er näherte sich keinem Spieltische , ohne an die Aufopferungen zu denken , welche seine Mutter seiner Leidenschaft zum Spiele gemacht hatte , und diese Erinnerung trieb ihn weg vom Spiel .
Er hatte in Wallenthal das Gute kennen und lieben gelernt , und jetzt bestrebte er sich , es zu befolgen .
Er kam nach einem Jahre zurück nach Wallenthal ; die Freudentränen seiner Mutter flossen über seine Wangen , und der Jüngling fühlte , daß Tugend auch glücklich macht .
Aber auch ihr zweiter Sohn , wie Elisa Heinrich nannte , strömte Freude in ihr Herz .
Birkenstein war auf ein Jahr sein Führer gewesen , und er versicherte Elisa'n von seiner guten Aufführung , und seiner edlen Denkungsart .
Oft sagte sie entzückt zu Wallenheim :
Ich werde meine Kinder glücklich sehen !
Und die süßesten Tränen flossen dann von ihren Wangen .
So flossen die Tage ihres Lebens jetzt froh und glücklich dahin .
Immer noch beschäftiget , Gutes zu tun , und nützlich zu sein , in der Mitte aller derer , welche sie liebte , und von welchen sie angebetet wurde , genoß Elisa eines Glücks , welches ihr doppelt süß war , da es nicht das Werk des Zufalls war , sondern sie es sich durch Tugend errungen hatte , und Tugend ihr den Genuß erhöhte . -
Jetzt hatte Heinrich sein zwei und zwanzigstes Jahr erreicht ; er eilte nach Felsingburg .
Henriette errötete , als sie ihn jetzt wieder sah .
Elisa lächelte , und der Hochzeittag wurde festgesetzt .
Auch Carl war nach Wallenthal gekommen , und Alles atmete Freude .
Da wurde Elisa krank , und nach drei Tagen erklärte der Arzt , daß die Symptomen der Krankheit gefährlich wären , und daß er ihre Wiederherstellung bezweifelte .
Schrecken verbreitete sich auf allen Gesichtern .
Felsig , seine Gattin , Heinrich , Birkenstein blieben Tag und Nacht in Wallenthal , und alle verließen kaum auf einen Augenblick Elisa's Bette .
Elisa war ruhig , ohne Furcht fühlte sie die Abnahme ihrer Kräfte .
Zwar füllten sich ihre Augen mit Tränen , wenn sie alle ihre Lieben um ihr Bette sah , welche sie nun bald verlassen würde ; allein auch jetzt noch blieb sie standhaft , und bekämpfte ihren Schmerz .
Der Tod , sprach sie zu ihren Freunden , wird mir nur schwer , weil ich euch verlassen muß .
Um die Zukunft bin ich unbekümmert .
Zwar habe ich keine Gewißheit über die Unsterblichkeit unserer Seele ; allein ich habe immer geglaubt , daß etwas in uns ist , welches fortdauert . auch wenn die jetzige Organisation unseres Wesens aufhört .
Doch dem sei wie ihm wolle , sterben ist ewiges Gesetz der Natur !
Ich dachte mir oft die Zerstörung meines Wesens , und ich bin dazu bereit . 1 Ich habe mein Leben nicht unnütz zugebracht , ich habe zum Glücke einiger meiner Mitbrüder beigetragen , ich habe mich stets bestrebt , meine Pflichten zu erfüllen , und dieses macht jetzt meine Beruhigung , meine Freude .
Mein künftiges Schicksal sei welches es wolle , ich sterbe mit dem Bewußtsein , daß ich mitwirkte , die Summe des Guten zu vermehren , und meine Bestimmung als Mensch erfüllte , Und dieses Bewußtsein ?
O , meine Freunde !
es gibt ein unaussprechlich süßes Gefühl , welches selbst die Annäherung des Todes nicht zerstört , und über dessen Schrecken uns siegen läßt !
Die Trennung von Euch ist jetzt der einzige Schmerz , den ich empfinde und euer Gram um meinen Verlust , meine einzige Bekümmernis !
Doch , meine Freunde ! euch bleibt noch immer viel zum frohen Genusse des Lebens , wenn ich auch nicht mehr unter euch wandle !
Seid stark , und überwindet euren Schmerz !
Mein Wallenheim , die Liebe deiner Kinder wird dir meinen Verlust ersetzen !
Carl , Henriette , ich machte es zur Hauptbeschäftigung meines Lebens , an eures Vaters Glücke zu arbeiten , euch übertrage ich dieses nun !
Es ist die letzte Bitte eurer Mutter !
Tröstet euren Vater !
Ersetzt ihm meine Sorgfalt , meine Liebe für ihn !
O , meine guten Kinder !
Ich sehe es , ihr werdet es tun , und ich sterbe freudiger !
Komme her , meine Henriette , komme her , mein Carl !
( hier füllten sich ihre Augen mit Tränen , sie umarmte Beide . ) O , ihr wart meinem Herzen so teuer !
Doch auch euch kann ich ruhig verlassen !
Ich kann nichts mehr zu eurem Glücke beitragen ; ihr allein habt es jetzt in euren Händen ; ihr kennt die Mittel dazu , wendet sie an , meine Kinder , und süßer Friede wird immer in euren Herzen wohnen ! Dich erwarten nun bald neue Pflichten , neue süße Empfindungen , meine Henriette !
Ich sehe dich schon im Geiste in den Armen deines Gatten , und dann darfst du meinem Andenken nur die ruhigen Tränen der Wehmut widmen !
Keine anderen Tränen , meine Freunde , müssen auf mein Grab fallen !
Kommen Sie auch hierher , Heinrich !
Sie sind edel , ich bin unbesorgt um meiner Tochter Glück !
Und du , Henriette , du wirst ihre Mutter , ersetze ihr meine mütterliche Sorgfalt !
Und nun Dank Ihnen Allen , meine Freunde , die Sie mein Leben versüßten !
Henriette , Birkenstein , Felsig , Ihre Freundschaft erhob mein Leben zum höchsten Gipfel der Wonne , und meine letzten Empfindungen sind Dank und Liebe gegen Sie ! -
Elisa reichte einem Jeden nach der Reihe die Hand ; ein holdseliges Lächeln begleitete ihre letzten Worte ; man ehrte ihre Ruhe , und ein Jeder verbarg im Inneren seines Herzens den Schmerz über den Verlust des holdseligsten Weibes .
Jetzt , am Rande des Grabes schon , war Elisa doch noch beschäftiget , Gutes zu wirken , selbst nach ihrem Tode noch .
Sie vermachte eine Summe für die Stiftungen der Kinder und Greise in Wallenthal , wel che von den Zinsen derselben , auf eben die Art wie bisher , unterhalten werden sollten , und trug Henriette die Aufsicht über dieselben auf .
Die Greise , die Kinder aus dem Erziehungshause , die Einwohner Wallenthals , viele der Unglücklichen , welchen sie geholfen hatte , Alle kamen auf das Schloß , und wollten noch einmal ihre Wohltäterin sehen .
Elisa sprach mit ihnen , dankte ihnen für ihre Liebe , und zeigte ihnen , daß Tugend , auch in den letzten schrecklichen Augenblicken , nicht aufhöre , glücklich zu sein .
So entschlief sie , unter den Segnungen derer , die sie umgaben , ruhig und sanft , wie sie stets im Leben gewesen war , und ihre Miene war noch nach ihrem Tode der Ausdruck des sanften Friedens , der bis zu ihrem letzten Atemzuge in ihrem Herzen gewohnt hatte .
Henriette bewies jetzt die Vortrefflichkeit der Lehren ihrer Mutter .
Sie weinte ; allein ruhig war ihr Schmerz , und aufrichtig bekämpfte sie ihn , ob sie gleich ihre Mutter anbetete .
Nur Wallenheim fiel in eine düstre Schwermut ; nichts konnte ihn aus derselben reißen .
Meine Freunde , sprach er , ihr Alle kennt nicht die Größe meines Verlustes !
Was Elisa mir war , kann nur ich empfinden .
Nur ich sah sie in jedem Augenblicke ihres Lebens , und fand sie immer groß !
Nur ich weiß , wie fest sie an jedem Guten und an ihren Pflichten hing , wie unablässig sie bemüht war , Glück um sich zu verbreiten , und besonders mich glücklich zu machen !
Sie schuf in mir Gefühle , mein Weib machte mich zum Menschen !
Sie lehrte mich die Güter des Lebens kennen und genießen !
In ihren Kindern hat sie ihre Tugenden fortgepflanzt , sie können glücklich werden , wie sie war .
Nur ich bleibe einsam zurück , - ich lebte nur durch sie , meine Gefühle sterben mit ihr ! -
Und Lebenslang trauerte Wallenheim um sein Weib .
Lange beweinte sie Birkenstein , weil sie bis zu ihrem Tode der Inbegriff seiner wärmsten , seiner innigsten Empfindungen gewesen war .
Aber länger dauerte das Gute , welches Elisa gewirkt hatte .
Sie hatte in den niedrigen Klassen viele Menschen besser , und folglich glücklicher gemacht .
Sie hatte durch ihr Beispiel viele Weiber über ihre Pflichten aufgeklärt , und sie zur Nachahmung angereizt .
Sie hatte durch die vortreffliche Erziehung , welche sie Henriette gab , ihre Tugenden in ihr erblich gemacht , welche diese fortzupflanzen sich bestrebte , und so , wie ihre Mutter , Glück um sich verbreitete .
Lange blieb ihr Andenken unvergeßlich , und ihr Name Antrieb zur Tugend .
Und Elisa zeigte allen Weibern , daß des Weibes schönster Ruhm Tugend sei , und daß durch sie das Weib in jeder Sphäre Gutes wirken , und selbst Generationen beglücken kann .
Fußnoten 1 Über die Einwürfe , die man mir wegen dieser Stelle gemacht hat , habe ich mich in der Verrede erklärt .
- Rechtsinhaber*in
- Bildungsroman Projekt
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Korpus. Elisa. Elisa. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0f5.0