Erster Band .
Tübingen 1797 . in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung .
Non coerceri maximo , contineri minimo , divinum est .
Vorrede .
Ich verspräche gerne diesem Buche die Liebe der Deutschen .
Aber ich fürchte , die einen werden es lesen , wie ein Kompendium , und um das fabula docet sich zu sehr bekümmern , indes die anderen gar zu leicht es nehmen , und beide Teile verstehen es nicht .
Wer bloß an meiner Pflanze riecht , der kennt sie nicht , und wer sie pflügt , bloß , um daran zu lernen , kennt sie auch nicht .
Die Auflösung der Dissonanzen in einem gewissen Charakter ist weder für das bloße Nachdenken , noch für die leere Lust .
Der Schauplatz , wo sich das Folgende zutrug , ist nicht neu , und ich gestehe , dass ich einmal kindisch genug war , in dieser Rücksicht eine Veränderung mit dem Buche zu versuchen , aber ich überzeugte mich , dass er der einzig Angemessene für Hyperions elegischen Charakter wäre , und schämte mich , daß mich das wahrscheinliche Urteil des Publikums so übertrieben geschmeidig gemacht .
Ich bedaure , dass für jetzt die Beurteilung des Plans noch nicht jedem möglich ist .
Aber der zweite Band soll so schnell , wie möglich , folgen .
Erstes Buch .
Hyperion an Bellarmin .
Der liebe Vaterlandsboden gibt mir wieder Freude und Leid .
Ich bin jetzt alle Morgen auf den Höhn des Korinthischen Isthmus , und , wie die Biene unter Blumen , fliegt meine Seele oft hin und her zwischen den Meeren , die zur Rechten und zur Linken meinen glühenden Bergen die Füße kühlen .
Besonders der Eine der beiden Meerbusen hätte mich freuen sollen , wäre ich ein Jahrtausend früher hier gestanden .
Wie ein siegender Halbgott , wallte da zwischen der herrlichen Wildnis des Helikon und Parnass , wo das Morgenrot um hundert überschneite Gipfel spielt , und zwischen der paradiesischen Ebene von Sycion der glänzende Meerbusen herein , gegen die Stadt der Freude , das jugendliche Korinth , und schüttete den erbeuteten Reichtum aller Zonen vor seiner Lieblingin aus .
Aber was soll mir das ?
Das Geschrei des Jakals , der unter den Steinhaufen des Altertums sein wildes Grablied singt , schreckt ja aus meinen Träumen mich auf .
Wohl dem Manne , dem ein blühend Vaterland das Herz erfreut und stärkt !
Mir ist , als würde ich in den Sumpf geworfen , als schlüge man den Sargdeckel über mir zu , wenn einer an das meinige mich mahnt , und wenn mich einer einen Griechen nennt , so wird mir immer , als schnürt er mit dem Halsband eines Hundes mir die Kehle zu .
Und siehe , mein Bellarmin !
wenn manchmal mir so ein Wort entfuhr , wohl auch im Zorne mir eine Träne ins Auge trat , so kamen dann die weisen Herren , die unter euch Deutschen so gerne spuken , die Elenden , denen ein leidend Gemüt so gerade recht ist , ihre Sprüche anzubringen , die taten dann sich gütlich , ließen sich beigehn , mir zu sagen : klage nicht , handle !
O hätte ich doch nie gehandelt ! um wie manche Hoffnung wäre ich reicher ! -
Ja , vergiss nur , dass es Menschen gibt , darbendes , angefochtenes , tausendfach geärgertes Herz ! und kehre wieder dahin , wo du aus gingst , in die Arme der Natur , der wandellosen , stillen und schönen .
Hyperion an Bellarmin .
Ich habe nichts , wovon ich sagen möchte , es sei mein eigen .
Fern und Tod sind meine Geliebten , und ich vernehme durch keine Stimme von ihnen nichts mehr .
Mein Geschäft auf Erden ist aus .
Ich bin voll Willens an die Arbeit gegangen , habe geblutet darüber , und die Welt um keinen Pfennig reicher gemacht .
Ruhmlos und einsam kehre ich zurück und wandre durch mein Vaterland , das , wie ein Totengarten , weit umher liegt , und mich erwartet vielleicht das Messer des Jägers , der uns Griechen , wie das Wild des Waldes , sich zur Lust hält .
Aber du scheinst noch , Sonne des Himmels !
Du grünst noch , heilige Erde !
Noch rauschen die Ströme ins Meer , und schattige Bäume säuseln im Mittag .
Der Wonnegesang des Frühlings singt meine sterblichen Gedanken in Schlaf .
Die Fülle der alllebendigen Welt ernährt und sättiget mit Trunkenheit mein darbend Wesen .
O selige Natur !
Ich weiß nicht , wie mir geschieht , wenn ich mein Auge erhebe vor deiner Schöne , aber alle Lust des Himmels ist in den Tränen , die ich weine vor dir , der Geliebte vor der Geliebten .
Mein ganzes Wesen verstummt und lauscht , wenn die zarte Welle der Luft mir um die Brust spielt .
Verloren ins weite Blau , blick ich oft hinauf an den Äther und hinein ins heilige Meer , und mir ist , als öffnet ein verwandter Geist mir die Arme , als löste der Schmerz der Einsamkeit sich auf ins Leben der Gottheit .
Eines zu sein mit Allem , das ist Leben der Gottheit , das ist der Himmel des Menschen .
Eines zu sein mit Allem , was lebt , in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren in es All der Natur , das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden , das ist die heilige Bergeshöhe , der Ort der ewigen Ruhe , wo der Mittag seine Schwüle und der Donner seine Stimme verliert und das kochende Meer der Woge des Kornfelds gleicht .
Eines zu sein mit Allem , was lebt !
Mit diesem Worte legt die Tugend den zürnenden Harnisch , der Geist des Menschen den Zepter weg , und alle Gedanken schwinden vor dem Bilde der ewigeinigen Welt , wie die Regeln des ringenden Künstlers vor seiner Urania , und das eherne Schicksal entsagt der Herrschaft , und aus dem Bunde der Wesen schwindet der Tod , und Unzertrennlichkeit und ewige Jugend beseliget , verschönert die Welt .
Auf dieser Höhe stehe ich oft , mein Bellarmin !
Aber ein Moment des Besinnens wirft mich herab .
Ich denke nach und finde mich , wie ich zuvor war , allein , mit allen Schmerzen der Sterblichkeit , und meines Herzens Asyl , die ewig einige Welt , ist hin ; die Natur verschließt die Arme , und ich stehe , wie ein Fremdling , vor ihr , und verstehe sie nicht .
Ach ! wäre ich nie in eure Schulen gegangen .
Die Wissenschaft , der ich in den Schacht hinunter folgte , von der ich , jugendlich töricht , die Bestätigung meiner reinen Freude erwartete , die hat mir alles verdorben .
Ich bin bei euch so recht vernünftig geworden , habe gründlich mich unterscheiden gelernt von dem , was mich umgibt , bin nun vereinzelt in der schönen Welt , bin so ausge warfen aus dem Garten der Natur , wo ich wuchs und blühte , und vertrockne an der Mittagssonne .
O ein Gott ist der Mensch , wenn er träumt , ein Bettler , wenn er nachdenkt , und wenn die Begeisterung hin ist , steht er da , wie ein missratener Sohn , den der Vater aus dem Hause stieß , und betrachtet die ärmlichen Pfennige , die ihm das Mitleid auf den Weg gab .
Hyperion an Bellarmin .
Ich danke Dir , dass Du mich bittest , Dir von mir zu erzählen , dass Du die vorigen Zeiten mir ins Gedächtnis bringst .
Das trieb mich auch nach Griechenland zurück , dass ich den Spielen meiner Jugend näher leben wollte .
Wie der Arbeiter in den erquickenden Schlaf , sinkt oft mein angefochtenes Wesen in die Arme der unschuldigen Vergangenheit .
Ruhe der Kindheit ! himmlische Ruhe ! wie oft stehe ich stille vor dir in liebender Betrachtung , und möchte dich denken !
Aber wir haben ja nur Begriffe von dem , was einmal schlecht gewesen und wieder gut gemacht ist ; von Kindheit , Unschuld haben wir keine Begriffe .
Da ich noch ein stilles Kind war und von dem allem , was uns umgibt , nichts wusste , war ich da nicht mehr , als jetzt , nach all den Mühen des Herzens und all dem Sinnen und Ringen ?
Ja !
ein göttlich Wesen ist das Kind , solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist .
Es ist ganz , was es ist , und darum ist es so schön .
Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht ; im Kind ist Freiheit allein .
In ihm ist Frieden ; es ist noch mit sich selber nicht zerfallen .
Reichtum ist in ihm ; es kennt sein Herz , die Dürftigkeit des Lebens nicht .
Es ist unsterblich , denn es weiß vom Tode nichts .
Aber das können die Menschen nicht leiden .
Das Göttliche muss werden , wie ihrer einer , muss erfahren , dass sie auch da sind , und ehe es die Natur aus seinem Paradiese treibt , so schmeicheln und schleppen die Menschen es her aus , auf das Feld des Fluchs , dass es , wie sie , im Schweiße des Angesichts sich abarbeite .
Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens , wenn man nur zur Unzeit uns nicht weckt .
O es sind heilige Tage , wo unser Herz zum erstenmal die Schwingen übt , wo wir , voll schnellen feurigen Wachstums dastehen in der herrlichen Welt , wie die junge Pflanze , wenn sie der Morgensonne sich aufschließt , und die kleinen Arme dem unendlichen Himmel entgegenstreckt .
Wie es mich umhertrieb an den Bergen und am Meeresufer !
ach wie ich oft da saß mit klopfendem Herzen , auf den Höhen von Tina , und den Falken und Kranichen nachsah , und den kühnen fröhlichen Schiffen , wenn sie hinunterschwanden am Horizont !
Dort hinunter ! dachte ich , dort wanderst du auch einmal hinunter , und mir war , wie einem Schmachtenden , der ins kühlende Bad sich stürzt und die schäumenden Wasser über die Stirn sich schüttet .
Seufzend kehrt ich dann nach meinem Hause wieder um .
Wenn nur die Schülerjahre erst vorüber wären , dachte ich oft .
Guter Junge ! sie sind noch lange nicht vorüber .
Dass der Mensch in seiner Jugend das Ziel so nahe glaubt !
Es ist die schönste aller Täuschungen , womit die Natur der Schwachheit unseres Wesens aufhilft .
Und wenn ich oft dalag unter den Blumen und am zärtlichen Frühlingslichte mich sonnte , und hinaufsah ins heitere Blau , das die warme Erde umfing , wenn ich unter den Ulmen und Weiden , im Schoße des Berges saß , nach einem erquickenden Regen , wenn die Zweige noch bebten von den Berührungen des Himmels , und über dem tröpfelnden Walde sich goldene Wolken bewegten , oder wenn der Abendstern voll friedlichen Geistes heraufkam mit den alten Jünglingen , den übrigen Helden des Himmels , und ich so sah , wie das Leben in ihnen in ewiger müheloser Ordnung durch den Äther sich fortbewegte , und die Ruhe der Welt mich umgab und erfreute , dass ich aufmerkte und lauschte , ohne zu wissen , wie mir geschah - hast du mich lieb , guter Vater im Himmel ! fragte ich dann leise , und fühlte seine Antwort so sicher und selig am Herzen .
O du , zu dem ich rief , als wärst du über den Sternen , den ich Schöpfer des Himmels nannte und der Erde , freundlich Idol meiner Kindheit , du wirst nicht zürnen , dass ich deiner vergaß ! -
Warum ist die Welt nicht dürftig genug , um außer ihr noch Einen zu suchen ?
* ) O wenn sie eines Vaters Tochter ist , die herrliche Natur , ist das Herz der Tochter nicht sein Herz ?
Ihr Innerstes , ist es nicht Er ?
Aber habe ich es denn ? kenne ich es denn ?
Es ist , als sä ich , aber dann erschreck ich wieder , als wäre es meine eigene Gestalt , was ich gesehen , es ist , als fühlte ich ihn , den Geist der Welt , aber ich erwache und meine , ich habe meine eigenen Finger gehalten .
Hyperion an Bellarmin .
Weist du , wie Plato und seine Stella sich liebten ?
So liebte ich , so war ich geliebt .
O ich war ein glücklicher Knabe !
* )
Es ist wohl nicht nötig , zu erinnern , dass derlei Äußerungen als bloße Phänomene des menschlichen Gemüts von Rechts wegen niemand skandalisieren sollten .
Es ist erfreulich , wenn gleiches sich zu gleichem gesellt , aber es ist göttlich , wenn ein großer Mensch die Kleineren zu sich aufzieht .
Ein freundlich Wort aus eines tapferen Mannes Herzen , ein Lächeln , worin die verzehrende Herrlichkeit des Geistes sich verbirgt , ist wenig und viel , wie ein zauberisch Loosungswort , das Tod und Leben in seiner einfältigen Silbe verbirgt , ist , wie ein geistig Wasser , das aus der Tiefe der Berge quellt , und die geheime Kraft der Erde uns mitteilt in seinem kristallenen Tropfen .
Wie hass ich dagegen alle die Barbaren , die sich einbilden , sie seien weise , weil sie kein Herz mehr haben , alle die rohen Unholde , die tausendfältig die jugendliche Schönheit töten und zerstören , mit ihrer kleinen unvernünftigen Mannszucht !
Guter Gott !
Da will die Eule die jungen Adler aus dem Neste jagen , will ihnen den Weg zur Sonne weisen !
Verzeih mir , Geist meines Adamas ! dass ich dieser gedenke vor dir .
Das ist der Gewinn , den uns Erfahrung gibt , dass wir nichts I. Bd. B treffliches uns denken , ohne sein ungestaltes Gegenteil .
O dass nur du mir ewig gegenwärtig wärest , mit allem , was dir verwandt ist , trauernder Halbgott , den ich meine !
Wen du umgibst , mit deiner Ruhe und Stärke , Ringer und Kämpfer , wem du begegnest mit deiner Liebe und Weisheit , der fliehe , oder werde , wie du !
Unedles und Schwaches besteht nicht neben dir .
Wie oft warst du mir nahe , da du längst mir ferne warst , verklärtest mich mit deinem Lichte , und wärmtest mich , dass mein erstarrtes Herz sich wieder bewegte , wie der verhärtete Quell , wenn der Strahl des Himmels ihn berührt !
Zu den Sternen hätte ich dann fliehen mögen mit meiner Seligkeit , damit sie mir nicht entwürdigt würde von dem , was mich umgab .
Ich war aufgewachsen , wie eine Rebe ohne Stab , und die wilden Ranken breiteten richtungslos über dem Boden sich aus .
Du weist ja , wie so manche edle Kraft bei uns zu Grunde geht , weil sie nicht genützt wird .
Ich schweifte herum , wie ein Irrlicht , griff alles an , wurde von allem ergriffen , aber auch nur für den Moment , und die unbehilflichen Kräfte motteten vergebens sich ab .
Ich fühlte , dass mir_es überall fehlte , und konnte doch mein Ziel nicht finden .
So fand er mich .
Er hatte an seinem Stoffe , der sogenannten kultivierten Welt , lange genug Geduld und Kunst geübt , aber sein Stoff war Stein und Holz gewesen und geblieben , nahm wohl zur Not die edle Menschenform von außen an , aber um dies war es meinem Adamas nicht zu tun ; er wollte Menschen , und , um diese zu schaffen , hatte er seine Kunst zu arm gefunden .
Sie waren einmal da gewesen , die er suchte , die zu schaffen , seine Kunst zu arm war , das erkannte er deutlich .
Wo sie da gewesen , wusste er auch .
Da wollte er hin und unter dem Schutt nach ihrem Genius fragen , mit diesem sich die einsamen Tage zu verkürzen .
Er kam nach Griechenland .
So fand ich ihn .
Noch sehe ich ihn vor mich treten in lächelnder Betrachtung , noch höre ich seinen Gruss und seine Fragen .
Wie vor einer Pflanze , wenn ihr Friede den strebenden Geist besänftigt , und die einfäl tige Genügsamkeit wiederkehrt in die Seele - so stand er vor mir .
Und ich , war ich nicht der Nachhall seiner stillen Begeisterung ? wiederholten sich nicht die Melodien seines Wesens ?
Was ich sah , wurde ich , und es war Göttliches , was ich sah .
Wie unvermögend ist doch der gutwilligste Fleiß der Menschen gegen die Allmacht der ungeteilten Begeisterung .
Sie weilt nicht auf der Oberfläche , fasst nicht da und dort uns an , braucht keiner Zeit und keines Mittels ; Gebot und Zwang und Überredung braucht sie nicht ; auf allen Seiten , in allen Tiefen und Höhen ergreift sie im Augenblick uns , und wandelt , ehe sie da ist für uns , ehe wir fragen , wie uns geschieht , durch und durch in ihre Schönheit , ihre Seligkeit uns um .
Wohl dem , wem auf diesem Wege ein edler Geist in früher Jugend begegnete !
O es sind goldene unvergessliche Tage , voll von den Freuden der Liebe und süßer Beschäftigung !
Bald führte mein Adamas in die Heroenwelt des Plutarch , bald in das Zauberland der griechischen Götter mich ein , bald ordnet und beruhigt er mit Zahl und Maß das jugendliche Treiben , bald stieg er auf die Berge mit mir ; des Tags , um die Blumen der Heide und des Walds und die wilden Moose des Felsen , des Nachts , um über uns die heiligen Sterne zu schauen , und nach menschlicher Weise zu verstehen .
Es ist ein köstlich Wohlgefühl in uns , wenn so das Innere an seinem Stoffe sich stärkt , sich unterscheidet und getreuer anknüpft und unser Geist allmählich waffenfähig wird .
Aber dreifach fühlte ich ihn und mich , wenn wir , wie Manen aus vergangener Zeit , mit Stolz und Freude , mit Zürnen und Trauern an den Athos hinauf und von da hinüberschifften in den Hellespont und dann hinab an die Ufer von Rhodos und die Bergschlünde von Tänarum , durch die stillen Inseln alle , wenn da die Sehnsucht über die Küsten hinein uns trieb , ins düstre Herz des alten Pelopones , an die einsamen Gestade des Eurotas , ach ! die ausgestorbenen Tale von Elis und Nemea und Olympia , wenn wir da , an eine Tempelsäule des vergessenen Jupiters gelehnt , umfangen von Lorbeerrosen und Immergrün , ins wilde Fluss Bett sahen , und das Leben des Frühlings und die ewig jugendliche Sonne uns mahnte , dass auch der Mensch einst da war , und nun dahin ist , dass des Menschen herrliche Natur jetzt kaum noch da ist , wie das Bruchstück eines Tempels oder im Gedächtnis , wie ein Totenbild - Da saß ich traurig spielend neben ihm , und pflückte das Moos von eines Halbgotts Piedestal , grub eine marmorne Heldenschulter aus dem Schutt , und schnitt den Dornbusch und das Heidekraut von den halbbegrabenen Architraven , indes mein Adamas die Landschaft zeichnete , wie sie freundlich tröstend den Ruin umgab , den Weizenhügel , die Oliven , die Ziegenherde ; die am Felsen des Gebirges hing , den Ulmenwald , der von den Gipfeln in das Tal sich stürzte ; und die Lacerte spielte zu unseren Füßen , und die Fliegen umsummten uns in der Stille des Mittags - Lieber Bellarmin !
ich hätte Lust , so pünktlich Dir , wie Nestor , zu erzählen ; ich ziehe durch die Vergangenheit , wie ein Ährenleser über die Stoppeläcker , wenn der Herr des Lands geerntet hat ; da liest man jeden Strohhalm auf .
Und wie ich neben ihm stand auf den Höhen von Delos , wie das ein Tag war , der mir graute , da ich mit ihm an der Granitwand des Cynthus die alten Marmortreppen hinaufstieg .
Hier wohnte der Sonnengott einst , unter den himmlischen Festen , wo ihn , wie goldenes Gewölk , das versammelte Griechenland umglänzte .
In Fluten der Freude und Begeisterung warfen hier , wie Achill in den Styx , die griechischen Jünglinge sich , und gingen unüberwindlich , wie der Halbgott , hervor .
In den Hainen , in den Tempeln erwachten und tönten in einander ihre Seelen , und treu bewahrte jeder die entzückenden Akkorde .
Aber was spreche ' ich davon ?
Als hätten wir noch eine Ahnung jener Tage !
Ach !
es kann ja nicht einmal ein schöner Traum gedeihen unter dem Fluche , der über uns lastet .
Wie ein heulender Nordwind , fährt die Gegenwart über die Blüten unseres Geistes und versengt sie im Entstehen .
Und doch war es ein goldener Tag , der auf dem Cynthus mich umfing !
Es dämmerte noch , da wir schon oben waren .
Jetzt kam er herauf in seiner ewigen Jugend , der alte Sonnengott , zufrieden und mühelos , wie immer , flog der unsterbliche Titan mit seinen tausend eigenen Freuden herauf , und lächelt ' herab auf sein verödet Land , auf seine Tempel , seine Säulen , die das Schick saal vor ihn hingeworfen hatte , wie die dürren Rosenblätter , die im Vorübergehen ein Kind gedankenlos vom Strauche riss , und auf die Erde säte .
Sei , wie dieser ! rief mir Adamas zu , ergriff mich bei der Hand und hielt sie dem Gott entgegen , und mir war , als trügen uns die Morgenwinde mit sich fort , und brächten uns ins Geleite des heiligen Wesens , das nun hinaufstieg auf den Gipfel des Himmels , freundlich und groß , und wunderbar mit seiner Kraft und seinem Geist die Welt und uns erfüllte .
Noch trauert und frohlockt mein Innerstes über jedes Wort , das mir damals Adamas sagte , und ich begreife meine Bedürftigkeit nicht , wenn oft mir wird , wie damals ihm sein musste .
Was ist Verlust , wenn so der Mensch in seiner eigenen Welt sich findet ?
In uns ist alles .
Was kümmert_es dann den Menschen , wenn ein Haar von seinem Haupte fällt ?
Was ringt er so nach Knechtschaft , da er ein Gott sein könnte !
Du wirst einsam sein , mein Liebling ! sagte mir damals Adamas auch , du wirst sein wie der Kranich , den seine Brüder zurückließen in rauher Jahrszeit , indes sie den Frühling suchen im fernen Lande .
Und das ist_es , Lieber !
Das macht uns arm bei allem Reichtum , daß wir nicht allein sein können , dass die Liebe in uns , so lange wir leben , nicht erstirbt .
Gib mir meinen Adamas wieder , und komme mit allen , die mir angehören , dass die alte schöne Welt sich unter uns erneure , dass wir uns versammeln und vereinen in den Armen unserer Gottheit , der Natur , und siehe !
so weiß ich nichts von Notdurft .
Aber sage nur niemand , dass uns das Schicksal trenne !
Wir sind_es , wir !
wir haben unsere Lust daran , uns in die Nacht des Unbekannten , in die kalte Fremde irgend einer anderen Welt zu stürzen , und , wäre es möglich , wir verließen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Grenzen hinaus .
Ach ! für des Menschen wilde Brust ist keine Heimat möglich ; und wie der Sonne Strahl die Pflanzen der Erde , die er entfaltete , wieder versengt , so tötet der Mensch die süßen Blumen , die an seiner Brust gedeiht , die Freuden der Verwandtschaft und der Liebe .
Es ist , als zürnt ich meinem Adamas , dass er mich verließ , aber ich zürn ihm nicht .
O er wollte ja wieder kommen !
In der Tiefe von Asien soll ein Volk von seltener Trefflichkeit verborgen sein ; dahin trieb ihn seine Hoffnung weiter .
Bis Nio begleitet ich ihn .
Es waren bittere Tage .
Ich habe den Schmerz ertragen gelernt , aber für solch ein Scheiden habe ich keine Kraft in mir .
Mit jedem Augenblicke , der uns der letzten Stunde näher brachte , wurde es sichtbarer , wie dieser Mensch verwebt war in mein Wesen .
Wie ein Sterbender den fliehenden Odem , hielt ihn meine Seele .
Am Grabe Homers brachten wir noch einige Tage zu , und Nio wurde mir die heiligste unter den Inseln .
Endlich rissen wir uns los .
Mein Herz hatte sich müde gerungen .
Ich war ruhiger im letzten Augenblicke .
Auf den Knien lag ich vor ihm , umschloss ihn zum letztenmal mit diesen Armen ; gib mir einen Segen , mein Vater ! rief ich leise zu ihm hinauf , und er lächelte groß , und seine Stirn breitete vor den Sternen des Morgens sich aus und sein Auge durchdrang die Räume des Himmels - Bewahrt ihn mir , rief er , ihr Geister besserer Zeit ! und zieht zu eurer Unsterblichkeit ihn auf , und alle ihr freundlichen Kräfte des Himmels und der Erde , seid mit ihm !
Es ist ein Gott in uns , setzt er ruhiger hinzu , der lenkt , wie Wasserbäche , das Schicksal , und alle Dinge sind sein Element .
Der sei vor allem mit Dir !
So schieden wir .
Lebe wohl , mein Bellarmin !
Hyperion an Bellarmin .
Wohin könnte ich mir entfliehen , hätte ich nicht die lieben Tage meiner Jugend ?
Wie ein Geist , der keine Ruhe am Acheron findet , kehre ich zurück in die verlassenen Gegenden meines Lebens .
Alles altert und verjüngt sich wieder .
Warum sind wir ausgenommen vom schönen Kreislauf der Natur ?
Oder gilt er auch für uns ?
Ich wollte es glauben , wenn Eines nicht in uns wäre , das ungeheure Streben , Alles zu sein , das , wie der Titan des Ätna , heraufzürnt aus den Tiefen unseres Wesens .
Und doch , wer wollte es nicht lieber in sich fühlen , wie ein siedend Öl , als sich gestehen , er sei für die Geißel und für's Joch ge bohren ?
Ein tobend Schlachtross oder eine Mähre , die das Ohr hängt , was ist edler ?
Lieber ! es war eine Zeit , da auch meine Brust an großen Hoffnungen sich sonnte , da auch mir die Freude der Unsterblichkeit in allen Pulsen schlug , da ich wandelte unter herrlichen Entwürfen , wie in weiter Wäldernacht , da ich glücklich , wie die Fische des Ozeans , in meiner uferlosen Zukunft weiter , ewig weiter drang .
Wie mutig , selige Natur ! entsprang der Jüngling deiner Wiege !
wie freut er sich in seiner unversuchten Rüstung !
Sein Bogen war gespannt und seine Pfeile rauschten im Köcher , und die Unsterblichen , die hohen Geister des Altertums führten ihn an , und sein Adamas war mitten unter ihnen .
Wo ich ging und stand , geleiteten mich die herrlichen Gestalten ; wie Flammen , verloren sich in meinem Sinne die Taten aller Zeiten in einander , und wie in Ein frohlockend Gewitter die Riesenbilder , die Wolken des Himmels sich vereinen , so vereinten sich , so wurden Ein unendlicher Sieg in mir die hundertfältigen Siege der Olympiaden .
Wer hält das aus , wen reißt die schreckende Herrlichkeit des Altertums nicht um , wie ein Orkan die jungen Wälder umreisst , wenn sie ihn ergreift , wie mich , und wenn , wie mir , das Element ihm fehlt , worin er sich ein stärkend Selbstgefühl erbeuten könnte ?
O mir , mir beugte die Größe der Alten , wie ein Sturm , das Haupt , mir raffte sie die Blüte vom Gesichte , und oftmals lag ich , wo kein Auge mich bemerkte , unter tausend Tränen da , wie eine gestürzte Tanne , die am Bache liegt und ihre welke Krone in die Flut verbirgt .
Wie gerne hätte ich einen Augenblick aus eines großen Mannes Leben mit Blut erkauft !
Aber was half mir das ?
Es wollte ja mich niemand .
O es ist jämmerlich , so sich vernichtet zu sehen ; und wem dies unverständlich ist , der frage nicht danach , und danke der Natur , die ihn zur Freude , wie die Schmetterlinge , schuf , und gehe , und spreche in seinem Leben nimmermehr von Schmerz und Unglück .
Ich liebte meine Heroen , wie eine Fliege das Licht ; ich suchte ihre gefährliche Nähe und floh und suchte sie wieder .
Wie ein blutender Hirsch in den Strom , stürzt ich oft mitten hinein in den Wirbel der Freude , die brennende Brust zu kühlen und die tobenden herrlichen Träume von Ruhm und Größe wegzubaden , aber was half das ?
Und wenn mich oft um Mitternacht das heiße Herz in den Garten hinuntertrieb unter die tauigen Bäume , und der Wiegengesang des Quells und die liebliche Luft und das Mondlicht meinen Sinn besänftigte , und so frei und friedlich über mir die silbernen Gewölk sich regten , und aus der Ferne mir die verhallende Stimme der Meeresflut tönte , wie freundlich spielten da mit meinem Herzen alle die großen Phantome seiner Liebe !
Lebt wohl , ihr Himmlischen ! sprach ich oft im Geiste , wenn über mir die Melodie des Morgenlichts mit leisem Laute begann , ihr herrlichen Toten lebt wohl !
ich möchte euch folgen , möchte von mir schütteln , was mein Jahrhundert mir gab , und aufbrechen ins freiere Schattenreich !
Aber ich schmachte an der Kette und hasche mit bitterer Freude die kümmerliche Schale , die meinem Durste gereicht wird .
Hyperion an Bellarmin .
Meine Insel war mir zu enge geworden , seit Adamas fort war .
Ich hatte Jahre schon in Tina Langeweile .
Ich wollte in die Welt .
Gehe vorerst nach Smyrna , sagte mein Vater , lerne da die Künste der See und des Kriegs , lerne die Sprache gebildeter Völker und ihre Verfassungen und Meinungen und Sitten und Gebräuche , prüfe alles und wähle das Beste ! -
Dann kann es meinetwegen weiter gehen .
Lerne auch ein wenig Geduld ! setzte die Mutter hinzu , und ich nahm es mit Dank an .
Es ist entzückend , den ersten Schritt aus der Schranke der Jugend zu tun , es ist , als dächte ich meines Geburtstags , wenn ich meiner Abreise von Tina gedenke .
Es war eine neue Sonne über mir , und Land und See und Luft genoss ich wie zum erstenmal .
Die lebendige Tätigkeit , womit ich nun in Smyrna meine Bildung besorgte , und der eilende Fortschritt besänftigte mein Herz nicht wenig .
Auch manches seligen Feierabends erinnere ich mich aus dieser Zeit .
Wie oft ging ich unter den immer grünen Bäumen am Gestade des Meles , an der Geburtsstätte meines Homer , und sammelt ' Opferblumen und warf sie in den heiligen Strom !
Zur nahen Grotte trat ich dann in meinen friedlichen Träumen , da hätte der Alte , sagen sie , seine Iliade gesungen .
Ich fand ihn .
Jeder Laut in mir verstummte vor seiner Gegenwart .
Ich schlug sein göttlich Gedicht mir auf und es war , als hätte ich es nie gekannt , so ganz anders wurde ' es jetzt lebendig in mir .
Auch denke ich gerne meiner Wanderung durch die Gegenden von Smyrna .
Es ist ein herrlich Land , und ich habe tausendmal mir Flügel gewünscht , um des Jahres Einmal nach Kleinasien zu fliegen .
Aus der Ebene von Sarde kam ich durch die Felsenwände des Tmolus herauf .
Ich hatte am Fuße des Bergs übernachtet in einer freundlichen Hütte , unter Myrten , unter den Düften des Ladanstrauchs , wo in der goldenen Flut des Paktolos die Schwäne mir zur Seite spielten , wo ein alter Tempel der kübele aus den Ulmen hervor , wie ein schüchterner Geist , ins helle Mondlicht blickte .
Fünf liebliche Säulen trauerten über dem Schutt , und ein königlich Portal lag niedergestürzt zu ihren Füßen .
Durch tausend blühende Gebüsche wuchs mein Pfad nun aufwärts .
Vom schroffen Abhang neigten lispelnde Bäume sich , und übergossen mit ihren zarten Flocken mein Haupt .
Ich war des Morgens ausgegangen .
Um Mittag war ich auf der Höhe des Gebirges .
Ich stand , sah fröhlich vor mich hin , genoss der reineren Lüfte des Himmels .
Es waren selige Stunden .
Wie ein Meer , lag das Land , wovon ich heraufkam , vor mir da , jugendlich , voll lebendiger Freude ; es war ein himmlisch unendlich Farbenspiel , womit der Frühling mein Herz begrüßte , und wie die Sonne des Himmels sich wiederfand im tausendfachen Wechsel des Lichts , das ihr die Erde zurückgab , so erkannte mein Geist sich in der Fülle des Lebens , die ihn umfing , von allen Seiten ihn überfiel .
Zur Linken stürzt und jauchzte , wie ein Riese , der Strom in die Wälder hinab , vom Marmorfelsen , der über mir hing , wo der Adler spielte mit seinen Jungen , wo die Schneegipfel hinauf in den blauen Äther glänzten ; rechts wälzten Wetterwolken sich her über den Wäldern des Sipylus ; ich fühlte nicht den Sturm , I. Bd. C der sie trug , ich fühlte nur ein Lüftchen in den Lokken , aber ihren Donner hörte ich , wie man die Stimme der Zukunft hört , und ihre Flammen sah ich , wie das ferne Licht der geahnten Gottheit .
Ich wandte mich südwärts und ging weiter .
Da lag es offen vor mir , das ganze paradiesische Land , das der Cayster durchströmt , durch so manchen reizenden Umweg , als könnte er nicht lange genug verweilen in alle dem Reichtum und der Lieblichkeit , die ihn umgibt .
Wie die Zephyre , irrte mein Geist von Schönheit zu Schönheit selig umher , vom fremden friedlichen Dörfchen , das tief unten am Berge lag , bis hinein , wo die Gebirgkette des Messogis dämmert .
Ich kam nach Smyrna zurück , wie ein Trunkener vom Gastmahl .
Mein Herz war des Wohlgefälligen zu voll , um nicht von seinem Überflusse der Sterblichkeit zu leihen .
Ich hatte zu glücklich in mich die Schönheit der Natur erbeutet , um nicht die Lücken des Menschenlebens damit auszufüllen .
Mein dürftig Smyrna kleidete sich in die Farben meiner Begeisterung , und stand , wie eine Braut , da .
Die geselligen Städter zogen mich an .
Der Widersinn in ihren Sitten vergnügte mich , wie eine Kinderposse , und weil ich von Natur hin aus war über alle die eingeführten Formen und Bräuche , spielt ich mit allen , und legte sie an und zog sie aus , wie Fastnachtskleider .
Was aber eigentlich mir die schale Kost des gewöhnlichen Umgangs würzte , das waren die guten Gesichter und Gestalten , die noch hie und da die mitleidige Natur , wie Sterne , in unsere Verfinsterung sendet .
Wie hatte ich meine herzliche Freude daran !
wie gläubig deutet ich diese freundlichen Hieroglyphen !
Aber es ging mir fast damit , wie ehemals mit den Birken im Frühlinge .
Ich hatte von dem Safte dieser Bäume gehört , und dachte Wunder , was ein köstlich Getränk die lieblichen Stämme geben müssten .
Aber es war nicht Kraft und Geist genug darinnen .
Ach !
und wie heillos war das übrige alles , was ich hörte und sah .
Es war mir wirklich hie und da , als hätte sich die Menschennatur in die Mannigfaltigkeiten des Tierreichs aufgelöst , wenn ich umher ging unter diesen Gebildeten .
Wie überall , so waren auch hier die Männer besonders verwahrlost und verwest .
Gewisse Tiere heulen , wenn sie Musik anhören .
Meine bessergezognen Leute hinge gen lachten , wenn von Geistesschönheit die Rede war und von Tugend des Herzens .
Die Wölfe gehen davon , wenn einer Feuer schlägt .
Sahen jene Menschen einen Funken Vernunft , so kehrten sie , wie Diebe , den Rücken .
Sprache ich einmal auch vom alten Griechenland ein warmes Wort , so gähnten sie , und meinten , man hätte doch auch zu leben in der jetzigen Zeit ; und es wäre der gute Geschmack noch immer nicht verloren gegangen , fiel ein anderer bedeutend ein .
Dies zeigte sich dann auch .
Der eine witzelte , wie ein Bootsknecht , der andere blies die Backen auf und predigte Sentenzen .
Es gebärdet auch wohl einer sich aufgeklärt , machte dem Himmel ein Schnippchen und rief : um die Vögel auf dem Dache habe er nie sich bekümmert , die Vögel in der Hand , die seien ihm lieber !
Doch wenn man ihm vom Tode sprach , so legt er stracks die Hände zusammen , und kam so nach und nach im Gespräche darauf , wie es gefährlich sei , dass unsere Priester nichts mehr gelten .
Die Einzigen , deren zuweilen ich mich bediente , waren die Erzähler , die lebendigen Namenregister von fremden Städten und Ländern , die redenden Bilderkasten , wo man Potentaten auf Rossen und Kirchtürme und Märkte sehe 'n kann .
Ich war es endlich müde , mich wegzuwerfen , Trauben zu suchen in der Wüste und Blumen über dem Eisfeld .
Ich lebte nun entschiedener allein , und der sanfte Geist meiner Jugend war fast ganz aus meiner Seele verschwunden .
Die Unheilbarkeit des Jahrhunderts war mir aus so manchem , was ich erzähle und nicht erzähle , sichtbar geworden , und der schöne Trost , in Einer Seele meine Welt zu finden , mein Geschlecht in einem freundlichen Bilde zu umarmen , auch der gebrach mir .
Lieber !
was wäre das Leben ohne Hoffnung ?
Ein Funke , der aus der Kohle springt und verlischt , und wie man bei trüber Jahrszeit einen Windstoß hört , der einen Augenblick saust und dann verhallt , so wäre es mit uns ?
Auch die Schwalbe sucht ein freundlicher Land im Winter , es läuft das Wild umher in der Hitze des Tags und seine Augen suchen den Quell .
Wer sagt dem Kinde , daß die Mut ter ihre Brust ihm nicht versage ?
Und siehe !
es sucht sie doch .
Es lebte nichts , wenn es nicht hoffte .
Mein Herz verschloss jetzt seine schätze , aber nur , um sie für eine bessere Zeit zu sparen , für das Einzige , Heilige , Treue , das gewiss , in irgend einer Periode des Daseins , meiner dürstenden Seele begegnen sollte .
Wie selig hing ich oft an ihm , wenn es , in Stunden des Ahnens , leise , wie das Mondlicht , um die besänftigte Stirn mir spielte ?
Schon damals kannte ich dich , schon damals blicktest du , wie ein Genius , aus Wolken mich an , du , die mir einst , im Frieden der Schönheit , aus der trüben Woge der Welt stieg !
Da kämpfte , da glüht es nimmer , dies Herz .
Wie in schweigender Luft sich eine Lilie wiegt , so regte sich in seinem Elemente , in den entzückenden Träumen von ihr , mein Wesen .
Hyperion an Bellarmin .
Smyrna war mir nun verleidet .
Überhaupt war mein Herz allmählich müder geworden .
Zuweilen konnte wohl der Wunsch in mir auffahren , um die Welt zu wandern oder in den ersten besten Krieg zu gehen , oder meinen Adamas aufzusuchen und in seinem Feuer meinen Mißmut auszubrennen , aber dabei blieb es , und mein unbedeutend welkes Leben wollte nimmer sich erfrischen .
Der Sommer war nun bald zu Ende ; ich fühlte schon die düstern Regentage und das Pfeifen der Winde und Tosen der Wetterbäche zum voraus , und die Natur , die , wie ein schäumender Springquell , emporgedrungen war in allen Pflanzen und Bäumen , stand jetzt schon da vor meinem verdüsterten Sinne , schwindend und verschlossen und in sich gekehrt , wie ich selber .
Ich wollte noch mit mir nehmen , was ich konnte , von alle dem fliehenden Leben , alles , was ich draußen liebgewonnen hatte , wollte ich noch hereinretten in mich , denn ich wusste wohl , dass mich das wiederkehrende Jahr nicht wieder finden würde unter diesen Bäumen und Bergen , und so ging und ritt ich jetzt mehr , als gewöhnlich , herum im ganzen Bezirke .
Was aber mich besonders hinaustrieb , war das geheime Verlangen , einen Menschen zu sehen , der seit einiger Zeit vor dem Tore un ter den Bäumen , wo ich vorbei kam , mir alle Tage begegnet war .
Wie ein junger Titan , schritt der herrliche Fremdling unter dem Zwergengeschlechte daher , das mit freudiger Scheue an seiner Schöne sich weidete , seine Höhe maß und seine Stärke , und an dem glühenden verbrannten Römerkopfe , wie an verbotener Frucht mit verstohlenem Blicke sich labte , und es war jedesmal ein herrlicher Moment , wann das Auge dieses Menschen , für dessen Blick der freie Äther zu enge schien , so mit abgelegtem Stolze suchte und strebte , bis es sich in meinem Auge fühlte und wir errötend uns einander nachsahen und vorüber gingen .
Einst war ich tief in die Wälder des Mimas hineingeritten und kehrt erst spät Abends zurück .
Ich war abgestiegen , und führte mein Pferd einen steilen wüssten Pfad über Bäumwurzeln und Steine hinunter , und , wie ich so durch die Sträucher mich wand , in die Höhle hinunter , die nun vor mir sich öffnete , fielen plötzlich ein paar Karabornische Räuber über mich her , und ich hatte Mühe , für den ersten Moment die zwei gezückten Säbel abzuhalten ; aber sie waren schon von anderer Arbeit müh de , und so half ich doch mir durch .
Ich setzte mich ruhig wieder aufs Pferd und ritt hinab .
Am Fuße des Berges tat mitten unter den Wäldern und aufgehäuften Felsen sich eine kleine Wiese vor mir auf .
Es wurde hell .
Der Mond war eben aufgegangen über den finsteren Bäumen .
In einiger Entfernung sah ich Rosse auf dem Boden ausgestreckt und Männer neben ihnen im Grase .
Wer seid ihr ? rief ich .
Das ist Hyperion ! rief eine Heldenstimme , freudig überrascht .
Du kennst mich , fuhr die Stimme fort ; ich begegne Dir alle Tage unter den Bäumen am Tore .
Mein Ross flog , wie ein Pfeil , ihm zu .
Das Mondlicht schien ihm hell ins Gesicht .
Ich kannte ihn ; ich sprang herab .
Guten Abend ! rief der liebe Rüstige , sah mit zärtlich wildem Blicke mich an und drückte mit seiner nervigen Faust die meine , dass mein Innerstes den Sinn davon empfand .
O nun war mein unbedeutend Leben am Ende !
Alabanda , so hieß der Fremde , sagte mir nun , dass er mit seinem Diener von Räubern wäre überfallen worden , dass die beiden , auf die ich stieß , wären fortgeschickt worden von ihm , dass er den Weg aus dem Walde verloren gehabt und darum wäre genötigt gewesen , auf der Stelle zu bleiben , bis ich gekommen .
Ich habe einen Freund dabei verloren , setzt er hinzu , und wies sein totes Ross mir .
Ich gab das meine seinem Diener , und wir gingen zu Fuße weiter .
Es geschah uns recht , begann ich , indes wir Arm in Arm zusammen aus dem Walde gingen ; warum zögerten wir auch so lange und gingen uns vorüber , bis der Unfall uns zusammenbrachte .
Ich muss denn doch Dir sagen , erwidert Alabanda , dass du der Schuldigere , der Kältere bist .
Ich bin dir heute nachgeritten .
Herrlicher ! rief ich , siehe nur zu ! an Liebe sollst du doch mich nimmer übertreffen .
Wir wurden immer inniger und freudiger zusammen .
Wir kamen nahe bei der Stadt an einem wohlgebauten Khan vorbei , das unter plätschernden Brunnen ruhte und unter Fruchtbäumen und duftenden Wiesen .
Wir beschlossen , da zu übernachten .
Wir saßen noch lange zusammen bei offenen Fenstern .
Hohe geistige Stille umfing uns .
Erde und Meer war selig verstummt , wie die Sterne , die über uns hingen .
Kaum , dass ein Lüftchen von der See her uns ins Zimmer flog und zart mit unserem Lichte spielte , oder dass von ferner Musik die gewaltigeren Töne zu uns drangen , indes die Donnerwolke sich wiegt im Bette des Äthers , und hin und wieder durch die Stille fernher tönte , wie ein schlafender Riese , wenn er stärker atmet in seinen furchtbaren Träumen .
Unsere Seelen mussten um so stärker sich nähern , weil sie wider Willen waren verschlossen gewesen .
Wir begegneten einander , wie zwei Bäche , die vom Berge rollen , und die Last von Erde und Stein und faulem Holz und das ganze träge Chaos , das sie aufhält , von sich schleudern , um den Weg sich zu einander zu bahnen , und durchzubrechen bis dahin , wo sie nun ergreifend und ergriffen mit gleicher Kraft , vereint in Einen majestätischen Strom , die Wanderung ins weite Meer beginnen .
Er , vom Schicksal und der Barbarei der Menschen heraus , vom eigenen Hause unter Fremden hin und her gejagt , von früher Jugend an erbittert und verwildert , und doch auch das innere Herz voll Liebe , voll Verlangens , aus der rauhen Hülse durchzudringen in ein freundlich Element ; ich , von allem schon so innigst abgeschieden , so mit ganzer Seele fremd und einsam unter den Menschen , so lächerlich begleitet von dem Schellenklange der Welt in meines Herzens liebsten Melodien ; ich , die Antipathie aller Blinden und Lahmen , und doch mir selbst zu blind und lahm , doch mir selbst so herzlich überlästig in allem , was von ferne verwandt war mit den Klugen und Vernünftlern , den Barbaren und den Witzlingen - und so voll Hoffnung , so voll einziger Erwartung eines schöneren Lebens - Mussten so in freudig stürmischer Eile nicht die beiden Jünglinge sich umfassen ?
O du , mein Freund und Kampfgenosse , mein Alabanda , wo bist du ?
Ich glaube fast , du bist ins unbekannte Land hinübergegangen , zur Ruhe , bist wieder geworden , wie einst , da wir noch Kinder waren .
Zuweilen , wenn ein Gewitter über mir hinzieht , und seine göttlichen Kräfte unter die Wälder austeilt und die Saaten , oder wenn die Wogen der Meersflut unter sich spielen , oder ein Chor von Adlern um die Berggipfel , wo ich wandre , sich schwingt , kann mein Herz sich regen , als wäre mein Alabanda nicht fern ; aber sichtbarer , gegenwärtiger , unverkennbarer lebt er in mir , ganz , wie er einst dastand , ein feurig strenger furchtbarer Kläger , wenn er die Sünden des Jahrhunderts nannte .
Wie erwachte da in seinen Tiefen mein Geist , wie rollten mir die Donnerworte der unerbittlichen Gerechtigkeit über die Zunge !
Wie Boten der Nemesis , durchwanderten unsere Gedanken die Erde , und reinigten sie , bis keine Spur von allem Fluche da war .
Auch die Vergangenheit riefen wir vor unseren Richterstuhl , das stolze Rom erschreckte uns nicht mit seiner Herrlichkeit , Athen bestach uns nicht mit seiner jugendlichen Blüte .
Wie Stürme , wenn sie frohlockend , unaufhörlich fort durch Wälder über Berge fahren , so drangen unsere Seelen in kolossalischen Entwürfen hinaus ; nicht , als hätten wir , unmännlich , unsere Welt , wie durch ein Zauberwort , geschaffen , und kindisch unerfahren keinen Widerstand berechnet , dazu war Alabanda zu verständig und zu tapfer .
Aber oft ist auch die mühelose Begeisterung kriegerisch und klug .
Ein Tag ist mir besonders gegenwärtig .
Wir waren zusammen auf es Feld gegangen , saßen vertraulich umschlungen im Dunkel des immergrünen Lorbeers , und sahen zusammen in unseren Plato , wo er so wunderbar erhaben vom Altern und Verjüngen spricht , und ruhten hin und wieder aus auf der stummen entblätterten Landschaft , wo der Himmel schöner , als je , mit Wolken und Sonnenschein um die herbstlich schlafenden Bäume spielte .
Wir sprachen darauf manches vom jetzigen Griechenland , beide mit blutendem Herzen , denn der entwürdigte Boden war auch Alabanda's Vaterland .
Alabanda war wirklich ungewöhnlich bewegt .
Wenn ich ein Kind ansehe , rief dieser Mensch , und denke , wie schmählich und verderbend das Joch ist , das es tragen wird , und dass es darben wird , wie wir , dass es Menschen suchen wird , wie wir , fragen wird , wie wir , nach Schönem und Wahrem , dass es unfruchtbar vergehen wird , weil es allein sein wird , wie wir , dass es - o nehmt doch eure Söhne aus der Wiege , und werft sie in den Strom , um wenigstens vor eurer Schande sie zu retten !
Gewiss , Alabanda ! sagte ich , gewiss es wird anders .
Wodurch ? erwidert er ; die Helden haben ihren Ruhm , die Weisen ihre Lehrlinge verloren .
Große Taten , wenn sie nicht ein edel Volk vernimmt , sind mehr nicht als ein gewaltiger Schlag vor eine dumpfe Stirn , und hohe Worte , wenn sie nicht in hohen Herzen wiedertönen , sind , wie ein sterbend Blatt , das in den Kot herunterrauscht .
Was willst du nun ?
Ich will , sagte ich , die Schaufel nehmen und den Kot in eine Grube werfen .
Ein Volk , wo Geist und Größe keinen Geist und keine Größe mehr erzeugt , hat nichts mehr gemein , mit anderen , die noch Menschen sind , hat keine Rechte mehr , und es ist ein leeres Possenspiel , ein Aberglauben , wenn man solche willenlose Leichname noch ehren will , als wäre ein Römerherz in ihnen. Weg mit ihnen !
Er darf nicht stehen , wo er steht , der dürre faule Baum , er stiehlt ja Licht und Luft dem jungen Leben , das für eine neue Welt heranreift .
Alabanda flog auf mich zu , umschlang mich , und seine Küsse gingen mir in die Seele .
Waffenbruder ! rief er , lieber Waffenbruder ! o nun habe ich hundert Arme !
Das ist endlich einmal meine Melodie , fuhr er fort , mit einer Stimme , die , wie ein Schlachtruf , mir das Herz bewegte , mehr braucht_es nicht !
Du hast ein herrlich Wort gesprochen , Hyperion !
Was ? vom Wurme soll der Gott abhängen ?
Der Gott in uns , dem die Unendlichkeit zur Bahn sich öffnet , soll stehen und harren , bis der Wurm ihm aus dem Wege geht ?
Nein ! nein !
Man fragt nicht , ob ihr wollt !
Ihr wollt ja nie , ihr Knechte und Barbaren !
Euch will man auch nicht besseren , denn es ist umsonst ! man will nur dafür sorgen , dass ihr dem Siegeslauf der Menschheit aus dem Wege geht .
O ! zünde mir einer die Fackel an , dass ich das Unkraut von der Heide brenne ! die Mine bereite mir einer , dass ich die trägen Klötze aus der Erde sprenge !
Wo möglich , lehnt man sanft sie auf die Seite , fiel ich ein .
Alabanda schwieg eine Weile .
Ich habe meine Lust an der Zukunft , begann er endlich wieder , und fasste feurig meine beiden Hände .
Gott sei Dank ! ich werde kein gemeines Ende nehmen .
glücklich sein , heißt schläfrig sein im Munde der Knechte .
glücklich sein ! mir ist , als hätte ich Brei und laues Wasser auf der Zunge , wenn ihr mir sprecht von glücklich sein .
So albern und so heillos ist das alles , wofür ihr hingebt eure Lorbeerkronen , eure Unsterblichkeit .
O heiliges Licht , das ruhelos , in seinem ungeheuren Reiche wirksam , dort oben über uns wandelt , und seine Seele auch mir mitteilt , in den Strahlen , die ich trinke , dein Glück sei meines !
Von ihren Taten nähren die Söhne der Sonne sich ; sie leben vom Sieg ; mit eigenem Geist ermuntern sie sich , und ihre Kraft ist ihre Freude . -
Der Geist dieses Menschen fasste einen oft an , dass man sich hätte schämen mögen , so federleicht hinweggerissen fühlte man sich .
O Himmel und Erde ! rief ich , das ist Freude ! -
Das sind andere Zeiten , das ist kein Ton aus meinem kindischen Jahrhundert , das ist nicht der Boden , wo das Herz des Menschen unter seines Treibers Peitsche keucht . -
Ja ! ja ! bei deiner herrlichen Seele , Mensch !
Du wirst mit mir das Vaterland erretten .
Das will ich , rief er , oder untergehen .
I. Bd. D Von diesem Tag an wurden wir uns immer heiliger und lieber .
Tiefer unbeschreiblicher Ernst war unter uns gekommen .
Aber wir waren nur um so seliger zusammen .
Nur in den ewigen Grundtönen seines Wesens lebte jeder , und schmucklos schritten wir fort von einer großen Harmonie zur anderen .
Voll herrlicher Strenge und Kühnheit war unser gemeinsames Leben .
Wie bist du denn so wortarm geworden ? fragte mich einmal Alabanda mit Lächeln .
In den heißen Zonen , sagte ich , näher der Sonne , singen ja auch die Vögel nicht .
Aber es geht alles auf und unter in der Welt , und es hält der Mensch mit aller seiner Riesenkraft nichts fest .
Ich sah einmal ein Kind die Hand ausstrecken , um das Mondlicht zu haschen ; aber das Licht ging ruhig weiter seine Bahn .
So stehen wir da , und ringen , das wandelnde Schicksal anzuhalten .
O wer ihm nur so still und sinnend , wie dem Gange der Sterne , zusehen könnte !
Je glücklicher Du bist , um so weniger kostet es , Dich zu Grunde zu richten , und die seligen Tage , wie Alabanda und ich sie lebten , sind wie eine jähe Felsenspize , wo dein Rei Sägefährte nur Dich anzurühren braucht , um unabsehlich , über die schneidenden Zacken hinab , Dich in die dämmernde Tiefe zu stürzen .
Wir hatten eine herrliche Fahrt nach Chios gemacht , hatten tausend Freude an uns gehabt .
Wie Lüftchen über die Meeresfläche , walteten über uns die freundlichen Zauber der Natur .
Mit freudigem Staunen sah einer den anderen , ohne ein Wort zu sprechen , aber das Auge sagte , so habe ich dich nie gesehen !
So verherrlicht waren wir von den Kräften der Erde und des Himmels .
Wir hatten dann auch mit heiterem Feuer uns über manches gestritten , während der Fahrt ; ich hatte , wie sonst , auch diesmal wieder meines Herzens Freude daran gehabt , diesem Geist auf seiner kühnen Irrbahn zuzusehn , wo er so regellos , so in ungebundener Fröhlichkeit , und doch meist so sicher seinen Weg verfolgte .
Wir eilten , wie wir ausgestiegen waren , allein zu sein .
Du kannst niemand überzeugen , sagte ich jetzt mit inniger Liebe , Du überredest , Du bestichst die Menschen , ehe Du anfängst ; man kann nicht zweifeln , wenn Du sprichst , und wer nicht zweifelt , wird nicht überzeugt .
Stolzer Schmeichler , rief er dafür , Du lügst ! aber gerade recht , dass Du mich mahnst ! nur zu oft hast Du schon mich unvernünftig gemacht !
Um alle Kronen möchte ich von Dir mich nicht befreien , aber es ängstiget denn doch mich oft , dass Du mir so unentbehrlich sein sollst , dass ich so gefesselt bin an Dich ; und sieh , fuhr er fort , dass Du ganz mich hast , sollst Du auch alles von mir wissen !
wir dachten bisher unter alle der Herrlichkeit und Freude nicht daran , uns nach Vergangenem umzusehen .
Er erzählte mir nun sein Schicksal ; mir war dabei , als sä ich einen jungen Herkules mit der Megära im Kampfe .
Wirst Du mir jetzt verzeihen , schloss er die Erzählung seines Ungemachs , wirst Du jetzt ruhiger sein , wenn ich oft rauh bin und anstößig und unverträglich !
O stille , stille ! rief ich innigst bewegt ; aber dass du noch da bist , dass Du dich erhieltest für mich !
Ja wohl ! für Dich ! rief er , und es freut mich herzlich , dass ich Dir denn doch genießbare Kost bin .
Und schmeck ich auch , wie ein Holzapfel , Dir zuweilen , so keltre mich so lange , bis ich trinkbar bin .
Lasse mich ! lasse mich ! rief ich ; ich sträubte mich umsonst ; der Mensch machte mich zum Kinde ; ich verbarg ihm auch nicht ; er sah meine Tränen , und weh ihm , wenn er sie nicht sehen durfte !
Wir schwelgen , begann nun Alabanda wieder , wir töten im Rausche die Zeit .
Wir haben unsere Bräutigamstage zusammen , rief ich erheitert , da darf es wohl noch lauten , als wäre man in Arkadien .
- Aber auf unser vorig Gespräch zu kommen !
Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein .
Er darf nicht fordern , was er nicht erzwingen kann .
Was aber die Liebe gibt und der Geist , das lässt sich nicht erzwingen .
Das lass er unangetastet , oder man nehme sein Gesetz und schlag es an den Pranger !
Beim Himmel ! der weiß nicht , was er sündigt , der den Staat zur Sittenschule machen will .
Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht , dass ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte .
Die rauhe Hülse um den Kern des Lebens und nichts weiter ist der Staat .
Er ist die Mauer um den Garten menschlicher Früchte und Blumen .
Aber was hilft die Mauer um den Garten , wo der Boden dürre liegt ?
Da hilft der Regen vom Himmel allein .
O Regen vom Himmel ! o Begeisterung !
Du wirst den Frühling der Völker uns wiederbringen . Dich kann der Staat nicht hergebieten .
Aber er störe dich nicht , so wirst du kommen , kommen wirst du , mit deinen allmächtigen Wonnen , in goldene Wolken wirst du uns hüllen und empor uns tragen über die Sterblichkeit , und wir werden staunen und fragen , ob wir es noch seien , wir , die Dürftigen , die wir die Sterne fragten , ob dort uns ein Frühling blühe - fragst Du mich , wann dies sein wird ?
Dann , wann die Lieblingin der Zeit , die jüngste , schönste Tochter der Zeit , die neue Kirche , hervorgehen wird aus diesen befleckten veralteten Formen , wann das erwachte Gefühl des Göttlichen dem Menschen seine Gottheit , und seiner Brust die schöne Jugend wiederbringen wird , wann - ich kann sie nicht verkünden , denn ich ahne sie kaum , aber sie kommt gewiss , gewiss .
Der Tod ist ein Bote des Lebens , und dass wir jetzt schlafen in unseren Krankenhäusern , dies zeugt vom nahen gesunden Erwachen .
Dann , dann erst sind wir , dann ist das Element der Geister gefunden !
Alabanda schwieg , und sah eine Weile erstaunt mich an .
Ich war hingerissen von unendlichen Hoffnungen ; Götterkräfte trugen , wie ein Wölkchen , mich fort - Komme ! rief ich , und fasst Alabanda beim Gewande , komme , wer hält es länger aus im Kerker , der uns umnachtet ?
Wohin , mein Schwärmer , erwidert ' Alabanda trocken , und ein Schatte von Spott schien über sein Gesicht zu gleiten .
Ich war , wie aus den Wolken gefallen .
Gehe ! sagte ich , Du bist ein kleiner Mensch !
In demselben Augenblicke traten etliche Fremden ins Zimmer , auffallende Gestalten , meist hager und blass , so viel ich im Mondlicht sehen konnte , ruhig , aber in ihren Mienen war etwas , das in die Seele ging , wie ein Schwert , und es war , als stünde man vor der Allwissenheit ; man hätte gezweifelt , ob dies die Aussenseite wäre von bedürftigen Naturen , hätte nicht hie und da der getötete Affekt seine Spuren zurückgelassen .
Besonders einer fiel mir auf .
Die Stille seiner Züge war die Stille eines Schlachtfelds .
Grimm und Liebe hatte in diesem Menschen gerast , und der Verstand leuchtete über den Trümmern des Gemüts , wie das Auge eines Habichts , der auf zerstörten Pallästen sitzt .
Tiefe Verachtung war auf seinen Lippen .
Man ahnte , dass dieser Mensch mit keiner unbedeutenden Absicht sich befasse .
Ein anderer mochte seine Ruhe mehr einer natürlichen Herzenshärte danken .
Man fand an ihm fast keine Spur einer Gewaltsamkeit , von Selbstmacht oder Schicksal verübt .
Ein dritter mochte seine Kälte mehr mit der Kraft der Überzeugung dem Leben abgedrungen haben , und wohl noch oft im Kampfe mit sich stehen , denn es war ein geheimer Widerspruch in seinem Wesen , und es schien mir , als müsst er sich bewachen .
Er sprach am wenigsten .
Alabanda sprang auf , wie gebogener Stahl , bei ihrem Eintritt .
Wir suchten Dich , rief einer von ihnen .
Ihr würdet mich finden , sagte er lachend , wenn ich in den Mittelpunkt der Erde mich verbärge .
Sie sind meine Freunde , setzt er hinzu , indes er zu mir sich wandte .
Sie schienen mich ziemlich scharf ins Auge zu fassen .
Das ist auch einer von denen , die es gerne besser haben möchten in der Welt , rief Alabanda nach einer Weile , und wies auf mich .
Das ist Dein Ernst ? fragte einer mich von den Drei .
Es ist kein Scherz , die Welt zu besseren , sagte ich .
Du hast viel mit einem Worte gesagt ! rief wieder einer von ihnen .
Du bist unser Mann ! ein anderer .
Ihr denkt auch so ? fragte ich .
Frage , was wir tun ! war die Antwort .
" Und wenn ich fragte ? "
So würden wir Dir sagen , dass wir da sind , aufzuräumen auf Erden , dass wir die Steine vom Acker lesen , und die harten Erdenklösse mit dem Karst zerschlagen , und Furchen graben mit dem Pflug , und das Unkraut an der Wurzel fassen , an der Wurzel es durchschneiden , samt der Wurzel es ausreissen , daß es verdorre im Sonnenbrande .
Nicht , dass wir ernten möchten , fiel ein anderer ein ; uns kommt der Lohn zu spät ; uns reift die Ernte nicht mehr .
Wir sind am Abend unserer Tage .
Wir irrten oft , wir hofften viel und taten wenig .
Wir wagten lieber , als wir uns besannen .
Wir waren gerne bald am Ende und trauten auf das Glück .
Wir sprachen viel von Freude und Schmerz , und liebten , hassten beide .
Wir spielten mit dem Schicksal und es tat mit uns ein Gleiches .
Vom Bettelstabe bis zur Krone warf es uns auf und ab .
Es schwang uns , wie man ein glühend Rauchfass schwingt , und wir glühten , bis die Kohle zu Asche wurde .
Wir haben aufgehört von Glück und Missgeschick zu sprechen .
Wir sind emporgewachsen über die Mitte des Lebens , wo es grünt und warm ist .
Aber es ist nicht das Schlimmste , was die Jugend überlebt .
Aus heißem Metalle wird das kalte Schwert geschmiedet .
Auch sagt man , auf verbrannten abgestorbenen Vulkanen gedeihe kein schlechter Most .
Wir sagen das nicht um unsertwillen , rief ein anderer jetzt etwas rascher , wir sagen es um euertwillen !
Wir betteln um das Herz des Menschen nicht .
Denn wir bedürfen seines Herzens , seines Willens nicht .
Denn er ist in keinem Falle wider uns , denn es ist alles für uns , und die Toren und die Klugen und die Einfältigen und die Weisen und alle Laster und alle Tugenden der Rohheit und der Bildung stehen , ohne gedungen zu sein , in unserem Dienst , und helfen blindlings mit zu unserem Ziel - nur wünschten wir , es hätte jemand den Genuss davon , darum suchen wir unter den tausend blinden Gehilfen die besten uns aus , um sie zu sehenden Gehilfen zu machen - will aber niemand wohnen , wo wir bauten , unsere Schuld und unser Schaden ist es nicht .
Wir taten , was das unsere war .
Will niemand sammeln , wo wir pflügten , wer verargt es uns ?
Wer flucht dem Baume , wenn sein Apfel in den Sumpf fällt ?
Ich habe es mir oft gesagt , du opferst der Verwesung , und ich endete mein Tagwerk doch .
Das sind Betrüger ! riefen alle Wände meinem empfindlichen Sinne zu .
Mir war , wie einem , der im Rauch ersticken will , und Türen und Fenster einstößt , um sich hinauszuhelfen , so dürstet ich nach Luft und Freiheit .
Sie sahen auch bald , wie unheimlich mir zu Mute war , und brachen ab .
Der Tag graute schon , da ich aus dem Khan trat , wo wir waren beisammen gewesen .
Ich fühlte das Wehen der Morgenluft , wie Balsam an einer brennenden Wunde .
Ich war durch Alabanda's Spott schon zu sehr gereizt , um nicht durch seine rätselhafte Bekanntschaft vollends irre zu werden an ihm .
Er ist schlecht , rief ich , ja , er ist schlecht .
Er heuchelt grenzenlos Vertrauen und lebt mit solchen - und verbirgt es dir .
Mir war , wie einer Braut , wenn sie erfährt , daß ihr Geliebter insgeheim mit einer Dirne lebe .
O es war der Schmerz nicht , den man hegen mag , den man am Herzen trägt , wie ein Kind , und in Schlummer singt mit Tönen der Nachtigall !
Wie eine ergrimmte Schlange , wenn sie unerbittlich herauffährt an den Knien und Lenden , und alle Glieder umklammert , und nun in die Brust die giftigen Zähne schlägt und nun in den Nacken , so war mein Schmerz , so fasst er mich in seine fürchterliche Umarmung .
Ich nahm mein höchstes Herz zu Hilfe , und rang nach großen Gedanken , um noch stille zu halten , es gelang mir auch auf wenige Augenblicke , aber nun war ich auch zum Zorne gestärkt , nun tötet ich auch , wie eingelegtes Feuer , jeden Funken der Liebe in mir .
Er muss ja , dachte ich , das sind ja seine Menschen , er muß verschworen sein mit die sein , gegen dich !
Was wollt er auch von dir ?
Was konnte er suchen bei dir , dem Schwärmer ?
O wäre er seiner Wege gegangen !
Aber sie haben ihren eigenen Gelüst , sich an ihr Gegenteil zu machen ! so ein fremdes Tier im Stalle zu haben , lässt ihnen gar gut ! -
Und doch war ich unaussprechlich glücklich gewesen mit ihm , war so oft untergegangen in seinen Umarmungen , um aus ihnen zu erwachen mit Unüberwindlichkeit in der Brust , wurde so oft gehärtet und geläutert in seinem Feuer , wie Stahl !
Da ich einst in heiterer Mitternacht die Dioskuren ihm wies , und Alabanda die Hand aufs Herz mir legt und sagte :
Das sind nur Sterne , Hyperion , nur Buchstaben , womit der Name der Heldenbrüder am Himmel geschrieben ist ; in uns sind sie ! lebendig und wahr , mit ihrem Mut und ihrer göttlichen Liebe , und Du , Du bist der Göttersohn , und teilst mit deinem sterblichen Kastor deine Unsterblichkeit ! -
Da ich die Wälder des Ida mit ihm durchstreifte , und wir herunterkamen ins Tal , um da die schweigenden Grabhügel nach ihren Toten zu fragen , und ich zu Alabanda sagte , dass unter den Grabhügeln einer vielleicht dem Geist Achills und seines Geliebten angehöre , und Alabanda mir vertraute , wie er oft ein Kind sei und sich denke , dass wir einst in Einem Schlachttal fallen und zusammen ruhen werden unter Einem Baum - wer hätte damals das gedacht ?
Ich sann mit aller Kraft des Geistes , die mir übrig war , ich klagte ihn an , verteidigt ihn , und klagte ihn wieder um so bitterer an ; ich widerstrebte meinem Sinne , wollte mich erheitern , und verfinsterte mich nur ganz dadurch . Ach !
mein Auge war ja von so manchem Faustschlag wund gewesen , fing ja kaum zu heilen an , wie sollte es jetzt gesündere Blicke tun ?
Alabanda besuchte mich den anderen Tag .
Mein Herz kochte , wie er hereintrat , aber ich hielt mich , so sehr sein Stolz und seine Ruhe mich aufregt und erhitzte .
Die Luft ist herrlich , sagte er endlich , und der Abend wird sehr schön sein , lasse uns zusammen auf die Akropolis gehen !
Ich nahm es an .
Wir sprachen lange kein Wort .
Was willst Du ? fragte ich endlich .
Das kannst Du fragen ? erwiderte der wilde Mensch mit einer Wehmut , die mir durch die Seele ging .
Ich war betroffen , verwirrt .
Was soll ich von Dir denken ? fing ich endlich wieder an .
Das , was ich bin ! erwidert er gelassen .
Du brauchst Entschuldigung , sagte ich mit veränderter Stimme , und sah mit Stolz ihn an , entschuldige Dich ! reinige Dich !
Das war zuviel für ihn .
Wie kommt es denn , rief er entrüstet , dass dieser Mensch mich beugen soll , wie_es ihm gefällt ? -
Es ist auch wahr , ich war zu früh entlassen aus der Schule , ich hatte alle Ketten geschleift und alle zerrissen , nur Eine fehlte noch , nur eine war noch zu zerbrechen , ich war noch nicht gezüchtigt von einem Grillenfänger - murre nur !
ich habe lange genug geschwiegen !
O Alabanda !
Alabanda ! rief ich .
Schweige , erwidert er , und brauche meinen Namen nicht zum Dolche gegen mich !
Nun brach auch mir der Unmut vollends los .
Wir ruhten nicht , bis eine Rückkehr fast unmöglich war .
Wir zerstörten mit Gewalt den Garten unserer Liebe .
Wir standen oft und schwiegen , und wären uns so gerne , so mit tausend Freuden um den Hals gefallen , aber der unselige Stolz erstickte jeden Laut der Liebe , der vom Herzen aufstieg .
Lebe wohl ! rief ich endlich , und stürzte fort .
Unwillkürlich musst ich mich umsehn , unwillkürlich war mir Alabanda gefolgt .
Nicht wahr , Alabanda , rief ich ihm zu , das ist ein sonderbarer Bettler ? seinen letzten Pfennig wirft er in den Sumpf !
Wenn_es das ist , mag er auch verhungern , rief er , und ging .
Ich wankte sinnlos weiter , stand nun am Meer ' und sah die Wellen an - ach ! da hinunter strebte mein Herz , da hinunter , und meine Arme flogen der freien Flut entgegen ; aber bald kam , wie vom Himmel , ein sanfterer Geist über mich , und ordnete mein unbändig leidend Gemüt mit seinem ruhigen Stabe ; ich überdachte stiller mein Schicksal , meinen Glauben an die Welt , meine trostlosen Erfahrungen , ich betrachtete den Menschen , wie ich ihn empfunden und erkannt von früher Jugend an , in mannigfaltigen Erziehungen , fand überall dumpfen oder schreienden Misslaut , nur in kindli cher einfältiger Beschränkung fand ich noch die reinen Melodien - es ist besser , sagte ich mir , zur Biene zu werden und sein Haus zu bauen in Unschuld , als zu herrschen mit den Herren der Welt , und wie mit Wölfen , zu heulen mit ihnen , als Völker zu meistern , und an dem unreinen Stoffe sich die Hände zu beflecken ; ich wollte nach Tina zurück , um meinen Gärten und Feldern zu leben .
Lächle nur !
Mir war es sehr Ernst .
Bestehet ja das Leben der Welt im Wechsel des Entfaltens und Verschliessens , in Ausflug und in Rückkehr zu sich selbst , warum nicht auch das Herz des Menschen ?
Freilich ging die neue Lehre mir hart ein , freilich schied ich ungern von dem stolzen Irrtum meiner Jugend - wer reißt auch gerne die Flügel sich aus ? -
aber es musste ja so sein !
Ich setzt es durch .
Ich war nun wirklich eingeschifft .
Ein frischer Bergwind trieb mich aus dem Hafen von Smyrna .
Mit einer wunderbaren Ruhe , recht , wie ein Kind , das nichts vom nächsten Augenblicke weiß , lag ich so da auf meinem Schiffe , und sah die Bäume und Moskeen dieser Stadt an , meine grünen Gänge I. Bd. E an dem Ufer , meinen Fusssteig zur Akropolis hinauf , das sah ich an , und ließ es weiter gehen und immer weiter ; wie ich aber nun auf es hohe Meer hinauskam , und alles nach und nach hinabsank , wie ein Sarg ins Grab , da mit einmal war es auch , als wäre mein Herz gebrochen - o Himmel ! schrie ich , und alles Leben in mir erwacht ' und rang , die fliehende Gegenwart zu halten , aber sie war dahin , dahin !
Wie ein Nebel , lag das himmlische Land vor mir , wo ich , wie ein Reh auf freier Waide , weit und breit die Täler und die Höhen hatte durchstreift , und das Echo meines Herzens zu den Quellen und Strömen , in die Fernen und die Tiefen der Erde gebracht .
Dort hinein auf den Tmolus war ich gegangen in einsamer Unschuld ; dort hinab , wo Ephesus einst stand in seiner glücklichen Jugend und Teos und Milet , dort hinauf ins heilige trauernde Troas war ich mit Alabanda gewandert , mit Alabanda , und , wie ein Gott , hatte ich geherrscht über ihn , und , wie ein Kind , zärtlich und gläubig , hatte ich seinem Auge gedient , mit Seelenfreude , mit innigem frohlockendem Genusse seines Wesens , immer glücklich , wenn ich seinem Rosse den Zaum hielt , oder wenn ich , über mich selbst erhoben , in herrlichen Entschlüssen , in kühnen Gedanken , im Feuer der Rede seiner Seele begegnete !
Und nun war es dahin gekommen , nun war ich nichts mehr , war so heillos um alles gebracht , war zum ärmsten unter den Menschen geworden , und wusste selbst nicht , wie .
O ewiges Irrsaal ! dachte ich bei mir , wann reißt der Mensch aus deinen Ketten sich los ?
Wir sprechen von unserem Herzen , unseren Planen , als wären sie unser , und es ist doch eine fremde Gewalt , die uns herumwirft und ins Grab legt , wie es ihr gefällt , und von der wir nicht wissen , von wannen sie kommt , noch wohin sie geht .
Wir wollen wachsen dahinauf , und dorthinaus die Äste und die Zweige breiten , und Boden und Wetter bringt uns doch , wohin es geht , und wenn der Blitz auf deine Krone fällt , und bis zur Wurzel dich hinunterspaltet , armer Baum !
was geht es dich an ?
So dachte ich .
Ärgerst du dich daran , mein Bellarmin !
Du wirst noch andere Dinge hören .
Das eben , Lieber ! ist das Traurige , dass unser Geist so gerne die Gestalt des irren Herzens annimmt , so gerne die vorüberfliehende Trauer festhält , dass der Gedanke , der die Schmerzen heilen sollte , selber krank wird , dass der Gärtner an den Rosenstreuchen , die er pflanzen sollte , sich die Hand so oft zerreißt , o ! das hat manchen zum Toren gemacht vor anderen , die er sonst , wie ein Orpheus , hätte beherrscht , das hat so oft die edelste Natur zum Spott gemacht vor Menschen , wie man sie auf jeder Straße findet , das ist die Klippe für die Lieblinge des Himmels , dass ihre Liebe mächtig ist und zart , wie ihr Geist , dass ihres Herzens Wogen stärker oft und schneller sich regen , wie der Trident , womit der Meergott sie beherrscht , und darum , Lieber ! überhebe ja sich keiner .
Hyperion an Bellarmin .
Kannst Du es hören , wirst Du es begreifen , wenn ich Dir von meiner langen kranken Trauer sage ?
Nimm mich , wie ich mich gebe , und denke , dass es besser ist zu sterben , weil man lebte , als zu leben , weil man nie gelebt !
Neide die Leidensfreien nicht , die Gözen von Holz , denen nichts mangelt , weil ihre Seele so arm ist , die nichts fragen nach Regen und Sonnenschein , weil sie nichts haben , was der Pflege bedürfte .
Ja ! ja ! es ist recht sehr leicht , glücklich , ruhig zu sein mit seichtem Herzen und eingeschränktem Geiste .
Gönnen kann man es euch ; wer ereifert sich denn , dass die bretterne Scheibe nicht wehklagt , wenn der Pfeil sie trifft , und dass der hohle Topf so dumpf klingt , wenn ihn einer an die Wand wirft ?
Nur müsst ihr euch bescheiden , lieben Leute , müsst ja in aller Stille euch wundern , wenn ihr nicht begreift , dass andere nicht auch so glücklich , auch so selbstgenügsam sind , müsst ja euch hüten , eure Weisheit zum Gesetz zu machen , denn das wäre der Welt Ende , wenn man euch gehorchte .
Ich lebte nun sehr still , sehr anspruchslos in Tina .
Ich ließ auch wirklich die Erscheinungen der Welt vorüberziehen , wie Nebel im Herbste , lachte manchmal auch mit nassen Augen über mein Herz , wenn es hinzuflog , um zu naschen , wie der Vogel nach der gemalten Traube , und blieb still und freundlich dabei .
Ich ließ nun jedem gerne seine Meinung , seine Unart .
Ich war bekehrt , ich wollte niemand mehr bekehren , nur war mir traurig , wenn ich sah , dass die Menschen glaubten , ich lasse darum ihr Possenspiel unangetastet , weil ich es so hoch und teuer achte , wie sie .
Ich mochte nicht gerade ihrer Albernheit mich unterwerfen , doch suchte ich sie zu schonen , wo ich konnte .
Das ist ja ihre Freude , dachte ich , davon leben sie ja !
Oft ließ ich sogar mir gefallen , mitzumachen , und wenn ich noch so seelenlos , so ohne eigenen Trieb dabei war , das merkte keiner , da vermisste keiner nichts , und hätte ich gesagt , sie möchten mir es verzeihen , so wären sie dagestanden und hätten sich verwundert und gefragt :
was hast du denn uns getan ?
Die Nachsichtigen !
Oft , wenn ich des Morgens dastand unter meinem Fenster und der geschäftige Tag mir entgegenkam , konnte auch ich mich augenblicklich vergessen , konnte mich umsehn , als möchte ich etwas vornehmen , woran mein Wesen seine Lust noch hätte , wie ehemals , aber da schalt ich mich , da besann ich mich , wie einer , dem ein Laut aus seiner Muttersprache entfährt , in einem Lande , wo sie nicht verstanden wird - wohin , mein Herz ? sagte ich verständig zu mir selber und gehorchte mir .
Was ist es denn , dass der Mensch so viel will ? fragte ich oft ; was soll denn die Unendlichkeit in seiner Brust ?
Unendlichkeit ? wo ist sie denn ? wer hat sie denn vernommen ?
Mehr will er , als er kann !
das möchte wahr sein !
O !
das hast du oft genug erfahren .
Das ist auch nötig , wie es ist .
Das gibt das süße , schwärmerische Gefühl der Kraft , dass sie nicht ausströmt , wie sie will , das eben macht die schönen Träume von Unsterblichkeit und alle die holden und die kolossalischen Phantome , die den Menschen tausendfach entzücken , das schafft dem Menschen sein Elysium und seine Götter , dass seines Lebens Linie nicht gerade ausgeht , dass er nicht hinfährt , wie ein Pfeil , und eine fremde Macht dem Fliehenden in den Weg sich wirft .
Des Herzens Woge schäumte nicht so schön empor , und würde Geist , wenn nicht der alte stumme Fels , das Schicksal , ihr entgegenstände .
Aber dennoch stirbt der Trieb in unserer Brust , und mit ihm unsere Götter und ihr Himmel .
Das Feuer geht empor in freudigen Gestalten , aus der dunklen Wiege , wo es schlief , und seine Flamme steigt und fällt , und bricht sich und umschlingt sich freudig wieder , bis ihr Stoff verzehrt ist , nun raucht und ringt sie und erlischt ; was übrig ist , ist Asche .
So geht_es mit uns .
Das ist der Inbegriff von allem , was in schrökendreizenden Mysterien die Weisen uns erzählen .
Und du ?
was fragst du dich ?
Dass so zuweilen etwas in dir auffährt , und , wie der Mund des Sterbenden , dein Herz in Einem Augenblicke so gewaltsam dir sich öffnet und verschließt , das gerade ist das böse Zeichen .
Sei nur still , und lasse es seinen Gang gehen ! künstle nicht !
versuche kindisch nicht , um eine Ehle länger dich zu machen ! -
Es ist , als wolltest du noch eine Sonne schaffen , und neue Zöglinge für sie , ein Erdenrund und einen Mond erzeugen .
So träumte ich hin .
Geduldig nahm ich nach und nach von allem Abschied . -
O ihr Genossen meiner Zeit ! fragt eure Ärzte nicht und nicht die Priester , wenn ihr innerlich vergeht !
Ihr habt den Glauben an alles Große verloren ; so müsst , so müsst ihr hin , wenn dieser Glaube nicht wiederkehrt , wie ein Komet aus fremden Himmeln .
Hyperion an Bellarmin .
Es gibt ein Vergessen alles Daseins , ein Verstummen unseres Wesens , wo uns ist , als hätten wir alles gefunden .
Es gibt ein Verstummen , ein Vergessen alles Daseins , wo uns ist , als hätten wir alles verloren , eine Nacht unserer Seele , wo kein Schimmer eines Sterns , wo nicht einmal ein faules Holz uns leuchtet .
Ich war nun ruhig geworden .
Nun trieb mich nichts mehr auf um Mitternacht .
Nun sengt ich mich in meiner eigenen Flamme nicht mehr .
Ich sah nun still und einsam vor mich hin , und schweift in die Vergangenheit und in die Zukunft mit dem Auge nicht .
Nun drängte Fernes und Nahes sich in meinem Sinne nicht mehr ; die Menschen , wenn sie mich nicht zwangen , sie zu sehen , sah ich nicht .
Sonst lag oft , wie das ewigleere Fass der Danaiden , vor meinem Sinne dies Jahrhundert , und mit verschwenderischer Liebe goss meine Seele sich aus , die Lücken auszufüllen ; nun sah ich keine Lücke mehr , nun drückte mich des Lebens Langeweile nicht mehr .
Nun sprach ich nimmer zu der Blume , du bist meine Schwester ! und zu den Quellen , wir sind Eines Geschlechts ! ich gab nun treulich , wie ein Echo , jedem Dinge seinen Namen .
Wie ein Strom an dürren Ufern , wo kein Weidenblatt im Wasser sich spiegelt , lief unverschönert vorüber an mir die Welt .
Hyperion an Bellarmin .
Es kann nichts wachsen und nichts so tief vergehen , wie der Mensch .
Mit der Nacht des Abgrunds vergleicht er oft sein Leiden und mit dem Äther seine Seligkeit , und wie wenig ist dadurch gesagt ?
Aber schöner ist nichts , als wenn es so nach langem Tode wieder in ihm dämmert , und der Schmerz , wie ein Bruder , der fernher dämmernden Freude entgegengeht .
O es war ein himmlisch Ahnen , womit ich jetzt den kommenden Frühling wieder begrüßte !
Wie fernher in schweigender Luft , wenn alles schläft , das Saitenspiel der Geliebten , so umtönten seine leisen Melodien mir die Brust , wie von Elysium herüber , vernahm ich seine Zukunft , wenn die toten Zweige sich regten und ein lindes Wehen meine Wange berührte .
Holder Himmel Ioniens ! so war ich nie an dir gehangen , aber so ähnlich war dir auch nie mein Herz gewesen , wie damals , in seinen heiteren zärtlichen Spielen . -
Wer sehnt sich nicht nach Freuden der Liebe und großen Taten , wenn im Auge des Himmels und im Busen der Erde der Frühling wiederkehrt ?
Ich erhob mich , wie vom Krankenbette , leise und langsam , aber von geheimen Hoffnungen zitterte mir die Brust so selig , daß ich drüber vergaß , zu fragen , was dies zu bedeuten habe .
Schönere Träume umfingen mich jetzt im Schlafe , und wenn ich erwachte , waren sie mir im Herzen , wie die Spur eines Kusses auf der Wange der Geliebten .
O das Morgenlicht und ich , wir gingen nun uns entgegen , wie versöhnte Freunde , wenn sie noch etwas fremde tun , und doch den nahen unendlichen Augenblick des Umarmens schon in der Seele tragen .
Es tat nun wirklich einmal wieder mein Auge sich auf , freilich , nicht mehr , wie sonst , gerüstet und erfüllt mit eigener Kraft , es war bittender geworden , es fleht um Leben , aber es war mir im Innersten doch , als könnte es wieder werden mit mir , wie sonst , und besser .
Ich sah die Menschen wieder an , als sollte auch ich wirken und mich freuen unter ihnen .
Ich schloss mich wirklich herzlich überall an .
Himmel ! wie war das eine Schadenfreude , dass der stolze Sonderling nun Einmal war , wie ihrer einer , geworden ! wie hatten sie ihren Scherz daran , dass den Hirsch des Waldes der Hunger trieb , in ihren Hühnerhof zu laufen ! -
Ach ! meinen Adamas suchte ich , meinen Alabanda , aber es erschien mir keiner .
Endlich schrieb ich auch nach Smyrna , und es war , als sammelt alle Zärtlichkeit und alle Macht des Menschen in Einen Moment sich , da ich schrieb ; so schrieb ich dreimal , aber keine Antwort , ich flehte , drohte , mahnt an alle Stunden der Liebe und der Kühnheit , aber keine Antwort von dem Unvergesslichen , bis in den Tod geliebten -
Alabanda ! rief ich , o mein Alabanda !
du hast den Stab gebrochen über mich .
Du hieltest mich noch aufrecht , warst die letzte Hoffnung meiner Jugend !
Nun will ich nichts mehr !
nun ist_es heilig und gewiss !
Wir bedauern die Toten , als fühlten sie den Tod , und die Toten haben doch Frieden .
Aber das , das ist der Schmerz , dem keiner gleichkommt , das ist unaufhörliches Gefühl der gänzlichen Zernichtung , wenn unser Leben seine Bedeutung so verliert , wenn so das Herz sich sagt , du musst hinunter und nichts bleibt übrig von dir ; keine Blume hast du gepflanzt , keine Hütte gebaut , nur dass du sagen könntest :
ich lasse eine Spur zurück auf Erden .
Ach !
und die Seele kann immer so voll Sehnens sein , bei dem , dass sie so mutlos ist !
Ich suchte immer etwas , aber ich wagte das Auge nicht aufzuschlagen vor den Menschen .
Ich hatte Stunden , wo ich das Lachen eines Kindes fürchtete .
Dabei war ich meist sehr still und geduldig , hatte oft auch einen wunderbaren Aberglauben an die Heilkraft mancher Dinge ; von einer Taube , die ich kaufte , von einer Kahnfahrt , von einem Tale , das die Berge mir verbargen , konnte ich Trost erwarten .
Genug ! genug ! wäre ich mit Themistocles aufgewachsen , hätte ich unter den Scipionen gelebt , meine Seele hätte sich wahrlich nie von dieser Seite kennen gelernt .
Hyperion an Bellarmin .
Zuweilen regte noch sich eine Geisteskraft in mir .
Aber freilich nur zerstörend !
Was ist der Mensch ? konnte ich beginnen ; wie kommt es , dass so etwas in der Welt ist , das , wie ein Chaos , gehrt , oder modert , wie ein fauler Baum , und nie zu einer Reife gedeiht ?
Wie duldet diesen Herling die Natur bei ihren süßen Trauben ?
Zu den Pflanzen spricht er , ich war auch einmal , wie ihr ! und zu den reinen Sternen , ich will werden , wie ihr , in einer anderen Welt ! inzwischen bricht er auseinander und treibt hin und wieder seine Künste mit sich selbst , als könnte er , wenn es einmal sich aufgelöst , Lebendiges zusammensetzen , wie ein Mauerwerk ; aber es macht ihn auch nicht irre , wenn nichts gebessert wird durch all sein Tun ; es bleibt doch immerhin ein Kunststück , was er treibt .
O ihr Armen , die ihr das fühlt , die ihr auch nicht sprechen möchte von menschlicher Bestimmung , die ihr auch so durch und durch ergriffen seid vom Nichts , das über uns waltet , so gründlich einseht , dass wir geboren werden für Nichts , dass wir lieben ein Nichts , glauben ans Nichts , uns abarbeiten für Nichts , um mählich überzugehen ins Nichts - was kann ich dafür , dass euch die Knie brechen , wenn ihr_es ernstlich bedenkt ?
Bin ich doch auch schon manchmal hingesunken in diesen Gedanken , und habe gerufen , was legst du die Axt mir an die Wurzel , grausamer Geist ? und bin noch da .
O einst , ihr finsteren Brüder ! war es anders .
Da war es über uns so schön , so schön und froh vor uns ; auch diese Herzen wallten über vor den fernen seligen Phantomen , und kühn frohlockend drangen auch unsere Geister aufwärts und durchbrachen die Schranke , und wie sie sich umsahen , wehe , da war es eine unendliche Leere .
O ! auf die Knie kann ich mich werfen und meine Hände ringen und flehen , ich weiß nicht wen ? um andere Gedanken .
Aber ich überwältige sie nicht , die schreiende Wahrheit . Habe ich mich nicht zwiefach überzeugt ?
Wenn ich hinsehe ins Leben , was ist das letzte von allem ?
Nichts .
Wenn ich aufsteige im Geiste , was ist das Höchste von allem ?
Nichts .
Aber stille , mein Herz !
Es ist ja deine letzte Kraft , die du verschwendest ! deine letzte Kraft ? und du , du willst den Himmel stürmen ? wo sind denn deine hundert Arme , Titan , wo dein Pilion und Ossa , deine Treppe zu des Göttervaters Burg hinauf , damit du hinaufsteigst und den Gott und seinen Göttertisch und alle die unsterblichen Gipfel des Olymps herabwirfst und den Sterblichen predigest : bleibt unten , Kinder des Augenblicks ! strebt nicht in diese Höhen herauf , denn es ist nichts hier oben .
Das kannst du lassen , zu sehen , was über andere waltet . Dir gilt deine neue Lehre .
Über dir und vor dir ist es freilich leer und öde , weil es in dir leer und öd ist .
Freilich , wenn ihr reicher seid , als ich , ihr anderen , könntet ihr doch wohl auch ein wenig helfen .
Wenn euer Garten so voll Blumen ist , warum erfreut ihr Odem mich nicht auch ? -
Wenn ihr so voll der Gottheit sind , so reicht sie mir zu trinken .
An Festen darbt ja niemand , auch der ärmste nicht .
Aber Einer nur hat seine Feste unter euch ; das ist der Tod .
Not und Angst und Nacht sind eure Herren .
Die sondern euch , die treiben euch mit Schlägen an einander .
Den Hunger nennt ihr Liebe , und wo ihr nichts mehr seht , da wohnen eure Götter .
Götter und Liebe ?
O die Poeten haben recht , es ist nichts so klein und wenig , woran man sich nicht begeistern könnte .
So dachte ich .
Wie das alles in mich kam , begreife ich noch nicht .
Zweites Buch .
I. Bd. F Hyperion an Bellarmin .
Ich lebe jetzt auf der Insel des Ajax , der teuren Salamis .
Ich liebe dies Griechenland überall .
Es trägt die Farbe meines Herzens .
Wohin man sieht , liegt eine Freude begraben .
Und doch ist so viel Liebliches und Großes auch um einen .
Auf dem Vorgebirge habe ich mir eine Hütte gebaut von Mastixzweigen , und Moos und Bäume herumgepflanzt und Thymian und allerlei Sträucher .
Da habe ich meine liebsten Stunden , da sitz ich Abende lang und sehe nach Attika hinüber , bis endlich mein Herz zu hoch mir klopft ; dann nehme ich mein Werkzeug , gehe hinab an die Bucht und fange mir Fische .
Oder lese ich auch auf meiner Höhe droben vom alten herrlichen Seekrieg , der an Salamis einst im wilden klugbeherrschten Getümmel vertobte , und freue des Geistes mich , der das wü tende Chaos von Freunden und Feinden lenken konnte und zähmen , wie ein Reuter das Ross , und schäme mich innigst meiner eigenen Kriegsgeschichte .
Oder schau ich aufs Meer hinaus und überdenke mein Leben , sein Steigen und Sinken , seine Seligkeit und seine Trauer und meine Vergangenheit lautet mir oft , wie ein Saitenspiel , wo der Meister alle Töne durchläuft , und Streit und Einklang mit verborgener Ordnung untereinanderwirft .
Heute ist es dreifach schön hier oben .
Zwei freundliche Regentage haben die Luft und die lebensmüde Erde gekühlt .
Der Boden ist grüner geworden , offener das Feld .
Unendlich steht , mit der freudigen Kornblume gemischt , der goldene Weizen da , und Licht und heiter steigen tausend hoffnungsvolle Gipfel aus der Tiefe des Hains .
Zart und groß durchirret den Raum jede Linie der Fernen ; wie Stufen gehen die Berge bis zur Sonne unaufhörlich hinter einander hinauf .
Der ganze Himmel ist rein .
Das weiße Licht ist nur über den Äther gehaucht , und , wie ein silbern Wölkchen , wallt der schüchterne Mond am hellen Tage vorüber .
Hyperion an Bellarmin .
Mir ist lange nicht gewesen , wie jetzt .
Wie Jupiters Adler dem Gesange der Musen , lausch ich dem wunderbaren unendlichen Wohllaut in mir .
Unangefochten an Sinne und Seele , stark und fröhlich , mit lächelndem Ernste , spiele ich im Geiste mit dem Schicksal und den drei Schwestern , den heiligen Parzen .
Voll göttlicher Jugend frohlockt mein ganzes Wesen über sich selbst , über Alles .
Wie der Sternenhimmel , bin ich still und bewegt .
Ich habe lange gewartet auf solche Festzeit , um Dir einmal wieder zu schreiben .
Nun bin ich stark genug ; nun lasse mich dir erzählen .
Mitten in meinen finsteren Tagen lud ein Bekannter von Kalaure herüber mich ein .
Ich sollte in seine Gebirge kommen , schrieb er mir ; man lebe hier freier als sonstwo , und auch da blühten , mitten unter den Fichtenwäldern und reissenden Wassern , Limonienhaine und Palmen und liebliche Kräuter und Myrten und die heilige Rebe .
Einen Garten habe er hoch am Gebirge gebaut und ein Haus ; dem beschatteten dichte Bäume den Rücken , und kühlende Lüfte umspielten es leise in den brennenden Som Mehrtagen ; wie ein Vogel vom Gipfel der Zeder , blickte man in die Tiefen hinab , zu den Dörfern und grünen Hügeln , und zufriedenen Herden der Insel , die alle , wie Kinder , umherlägen um den herrlichen Berg und sich nährten von seinen schäumenden Bächen .
Das weckte mich denn doch ein wenig .
Es war ein heiterer blauer Apriltag , an dem ich hinüberschiffte .
Das Meer war ungewöhnlich schön und rein , und leicht die Luft , wie in höheren Regionen .
Man ließ im schwebenden Schiffe die Erde hinter sich liegen , wie eine köstliche Speise , wenn der heilige Wein gereicht wird .
Dem Einflusse des Meers und der Luft widerstrebt der finstere Sinn umsonst .
Ich gab mich hin , fragte nichts nach mir und anderen , suchte nichts , sann auf nichts , ließ vom Boote mich halb in Schlummer wiegen , und bildete mir ein , ich liege in Charons Nachen .
O es ist süß , so aus der Schale der Vergessenheit zu trinken .
Mein fröhlicher Schiffer hätte gerne mit mir gesprochen , aber ich war sehr einsilbig .
Er deutete mit dem Finger und wies mir rechts und links das blaue Eiland , aber ich sah nicht lange hin , und war im nächsten Augenblicke wieder in meinen eigenen lieben Träumen .
Endlich , da er mir die stillen Gipfel in der Ferne wies und sagte , dass wir bald in Kalaure wären , merkte ich mehr auf , und mein ganzes Wesen öffnete sich der wunderbaren Gewalt , die auf Einmal süß und still und unerklärlich mit mir spielte .
Mit großem Auge , staunend und freudig sah ich hinaus in die Geheimnisse der Ferne , leicht zitterte mein Herz , und die Hand entwischte mir und fasste freundlichhastig meinen Schiffer an - so ? rief ich , das ist Kalaure ?
Und wie er mich darum ansah , wusste ich selbst nicht , was ich aus mir machen sollte .
Ich grüßte meinen Freund mit wunderbarer Zärtlichkeit .
Voll süßer Unruhe war all mein Wesen .
Den Nachmittag wollte ich gleich einen Teil der Insel durchstreifen .
Die Wälder und geheimen Tale reizten mich unbeschreiblich , und der freundliche Tag lockte alles hinaus .
Es war so sichtbar , wie alles Lebendige mehr , denn tägliche Speise , begehrt , wie auch der Vogel sein Fest hat und das Tier .
Es war entzückend anzusehen !
Wie , wenn die Mutter schmeichelnd fragt , wo um sie her ihr Liebstes sei , und alle Kinder in den Schoß ihr stürzen , und das Kleinste noch die Arme aus der Wiege streckt , so flog und sprang und strebte jedes Leben in die göttliche Luft hinaus , und Käfer und Schwalben und Tauben und Störche tummelten sich in frohlockender Verwirrung unter einander in den Tiefen und Höhn , und was die Erde festhielt , dem wurde zum Fluge der Schritt , über die Gräben brauste das Ross und über die Zäune das Reh , und aus dem Meergrund kamen die Fische herauf und hüpften über die Fläche .
Allen drang die mütterliche Luft ans Herz , und hob sie und zog sie zu sich .
Und die Menschen gingen aus ihren Türen heraus , und fühlten wunderbar das geistige Weben , wie es leise die zarten Haare über der Stirn bewegte , wie es den Lichtstrahl kühlte , und lösten freundlich ihre Gewänder , um es aufzunehmen an ihre Brust , atmeten süßer , berührten zärtlicher das leichte klare schmeichelnde Meer , in dem sie lebten und webten .
O Schwester des Geistes , der feurigmächtig in uns waltet und lebt , heilige Luft ! wie schön ist_es , dass du , wohin ich wandre , mich geleitest , Allgegenwärtige , Unsterbliche !
Mit den Kindern spielte das hohe Element am schönsten .
Das summte friedlich vor sich hin , dem schlüpft ein taktlos Liedchen aus den Lippen , dem ein Frohlokken aus offener Kehle ; das streckte sich , das sprang in die Höhe ; ein anderes schlenderte vertieft umher .
Und all dies war die Sprache Eines Wohlseins , alles Eine Antwort auf die Liebkosungen der entzückenden Lüfte .
Ich war voll unbeschreiblichen Sehnens und Friedens .
Eine fremde Macht beherrschte mich .
Freundlicher Geist , sagte ich bei mir selber , wohin rufest du mich ? nach Elysium oder wohin ?
Ich ging in einem Walde , am rieselnden Wasser hinauf , wo es über Felsen heruntertröpfelte , wo es harmlos über die Kieseln glitt , und mählich verengte sich und wurde zum Bogengange das Tal , und einsam spielte das Mittagslicht im schweigenden Dunkel - Hier - ich möchte sprechen können , mein Bellarmin ! möchte gerne mit Ruhe dir schreiben !
Sprechen ? o ich bin ein Laie in der Freude , ich will sprechen !
Wohnt doch die Stille im Lande der Seligen , und über den Sternen vergisst das Herz seine Not und seine Sprache .
Ich habe es heilig bewahrt ! wie ein Palladium , habe ich es in mir getragen , das Göttliche , das mir erschien ! und wenn hinfort mich das Schicksal ergreift und von einem Abgrund in den anderen mich wirft , und alle Kräfte ertränkt in mir und alle Gedanken , so soll dies Einzige doch mich selber überleben in mir , und leuchten in mir und herrschen , in ewiger , unzerstörbarer Klarheit ! -
So lagst du hingegossen , süßes Leben , so blicktest du auf , erhobst dich , standst nun da , in schlanker Fülle , göttlich ruhig , und das himmlische Gesicht noch voll des heiteren Entzückens , worin ich dich störte !
O wer in die Stille dieses Auges gesehen , wem diese süßen Lippen sich aufgeschlossen , wovon mag der noch sprechen ?
Friede der Schönheit ! göttlicher Friede ! wer einmal an dir das tobende Leben und den zweifelnden Geist besänftigt , wie kann dem anderes helfen ?
Ich kann nicht sprechen von ihr , aber es gibt ja Stunden , wo das Beste und Schönste , wie in Wolken , erscheint , und der Himmel der Vollendung vor der ahnenden Liebe sich öffnet , da , Bellarmin !
da denke ihres Wesens , da beuge die Knie mit mir , und denke meiner Seligkeit !
aber vergiss nicht , dass ich hatte , was Du ahnest , dass ich mit diesen Augen sah , was nur , wie in Wolken , Dir erscheint .
Dass die Menschen manchmal sagen möchten :
sie freuten sich !
O glaubt , ihr habt von Freude noch nichts geahnt !
Euch ist der Schatten ihres Schattens noch nicht erschienen !
O geht , und sprecht vom blauen Äther nicht , ihr Blinden !
Dass man werden kann , wie die Kinder , dass noch die goldene Zeit der Unschuld wiederkehrt , die Zeit des Friedens und der Freiheit , dass doch Eine Freude ist , Eine Ruhestätte auf Erden !
Ist der Mensch nicht altert , verwelkt , ist er nicht , wie ein abgefallen Blatt , das seinen Stamm nicht wieder findet und nun umhergescheucht wird von den Winden , bis es der Sand begräbt ?
Und dennoch kehrt sein Frühling wieder !
Weint nicht , wenn das Trefflichste verblüht ! bald wird es sich verjüngen !
Trauert nicht , wenn eures Herzens Melodie verstummt ! bald findet eine Hand sich wieder , es zu stimmen !
Wie war denn ich ? war ich nicht wie ein zerrissen Saitenspiel ?
Ein wenig tönt ich noch , aber es waren Todestöne .
Ich hatte mir ein düster Schwanenlied gesungen !
Einen Sterbekranz hätte ' ich gern mir gewunden , aber ich hatte nur Winterblumen .
Und wo war sie denn nun , die Totenstille , die Nacht und Öde meines Lebens ?
die ganze dürftige Sterblichkeit ?
Freilich ist das Leben arm und einsam .
Wir wohnen hier unten , wie der Diamant im Schacht .
Wir fragen umsonst , wie wir herabgekommen , um wieder den Weg hinauf zu finden .
Wir sind , wie Feuer , das im dürren Aste oder im Kiesel schläft ; und ringen und suchen in jedem Moment das Ende der engen Gefangenschaft .
Aber sie kommen , sie wägen Äonen des Kampfes auf , die Augenblicke der Befreiung , wo das Göttliche den Kerker sprengt , wo die Flamme vom Holze sich löst und sie gähnt emporwallt über der Asche , ha ! wo uns ist , als kehrte der entfesselte Geist , vergessen der Leiden , der Knechtsgestalt , im Triumphe zurück in die Hallen der Sonne .
Hyperion an Bellarmin .
Ich war einst glücklich , Bellarmin !
Bin ich es nicht noch ?
Wäre ich es nicht , wenn auch der heilige Moment , wo ich zum erstenmal sie sah , der letzte wäre gewesen .
Ich habe es Einmal gesehen , das Einzige , das meine Seele suchte , und die Vollendung , die wir über die Sterne hinauf entfernen , die wir hinausschieben bis ans Ende der Zeit , die habe ich gegenwärtig gefühlt .
Es war da , das Höchste , in diesem Kreise der Menschennatur und der Dinge war es da !
Ich frage nicht mehr , wo es sei ; es war in der Welt , es kann wiederkehren in ihr , es ist jetzt nur verborgener in ihr .
Ich frage nicht mehr , was es sei ; ich habe es gesehen , ich habe es kennen gelernt .
O ihr , die ihr das Höchste und Beste sucht , in der Tiefe des Wissens , im Getümmel des Handelns , im Dunkel der Vergangenheit , im Labyrinthe der Zukunft , in den Gräbern oder über den Sternen ! wisst ihr seinen Namen ? den Namen dessen , das Eins ist und Alles ?
Sein Name ist Schönheit .
Wusstet ihr , was ihr wolltet ?
Noch weiß ich es nicht , doch ahn ich es , der neuen Gottheit neues Reich , und eile ihm zu und ergreife die anderen und führe sie mit mir , wie der Strom die Ströme in den Ozean .
Und du , du hast mir den Weg gewiesen !
Mit dir begann ich .
Sie sind der Worte nicht wert , die Tage , da ich noch dich nicht kannte - O Diotima , Diotima , himmlisches Wesen Hyperion an Bellarmin .
Lasse uns vergessen , dass es eine Zeit gibt und zähle die Lebenstage nicht !
Was sind Jahrhunderte gegen den Augenblick , wo zwei Wesen so sich ahnen und nahen ?
Noch sehe ich den Abend , an dem Notara zum erstenmal zu ihr ins Haus mich brachte .
Sie wohnte nur einige hundert Schritte von uns am Fuße des Bergs .
Ihre Mutter war ein denkend zärtlich Wesen , ein schlichter fröhlicher Junge der Bruder , und beide gestanden herzlich in allem Tun und Lassen , dass Diotima die Königin des Hauses war .
Ach !
es war alles geheiligt , verschönert durch ihre Gegenwart .
Wohin ich sah , was ich berührte , ihr Fussteppich , ihr Polster , ihr Tischchen , alles war in geheimem Bunde mit ihr .
Und da sie zum erstenmal mit Namen mich rief , da sie selbst so nahe mir kam , dass ihr unschuldiger Odem mein lauschend Wesen berührte ! -
Wir sprachen sehr wenig zusammen .
Man schämt sich seiner Sprache .
Zum Tone möchte man werden und sich vereinen in Einen Himmelsgesang .
Wovon auch sollten wir sprechen ?
Wir sahen nur uns .
Von uns zu sprechen , scheuten wir uns .
Vom Leben der Erde sprachen wir endlich .
So feurig und kindlich ist ihr noch keine Hymne gesungen worden .
Es tat uns wohl , den Überfluß unseres Herzens der guten Mutter in den Schoß zu streuen .
Wir fühlten uns dadurch erleichtert , wie die Bäume , wenn ihnen der Sommerwind die fruchtbaren Äste schüttelt , und ihre süßen Äpfel in das Gras gießt .
Wir nannten die Erde eine der Blumen des Himmels , und den Himmel nannten wir den unendlichen Garten des Lebens .
Wie die Rosen sich mit goldenen Stäubchen erfreuen , sagten wir , so erfreue das heldenmütige Sonnenlicht mit seinen Strahlen die Erde ; sie sei ein herrlich lebend Wesen , sagten wir , gleich göttlich , wenn ihr zürnend Feuer oder mildes klares Wasser aus dem Herzen quelle , immer glücklich , wenn sie von Tautropfen sich nähre , oder von Gewitterwolken , die sie sich zum Genusse bereite mit Hilfe des Himmels , die immer treuer liebende Hälfte des Sonnengotts , ursprünglich vielleicht inniger mit ihm vereint , dann aber durch ein allwaltend Schicksal geschieden von ihm , damit sie ihn suche , sich nähere , sich entferne und unter Lust und Trauer zur höchsten Schönheit reife .
So sprachen wir .
Ich gebe Dir den Inhalt , den Geist davon .
Aber was ist er ohne das Leben ?
Es dämmerte , und wir mussten gehen .
Gute Nacht , ihr Engelsaugen ! dachte ich im Herzen , und erscheine du bald mir wieder , schöner göttlicher Geist , mit deiner Ruhe und Fülle !
Hyperion an Bellarmin .
Ein paar Tage drauf kamen sie herauf zu uns .
Wir gingen zusammen im Garten herum .
Diotima und ich gerieten voraus , vertieft , mir traten oft Tränen der Wonne ins Auge , über das Heilige , das so anspruchlos zur Seite mir ging .
Vorn am Rande des Berggipfels standen wir nun , und sahen hinaus , in den unendlichen Osten .
Diotima's Auge öffnete sich weit , und leise , wie eine Knospe sich aufschließt , schloss das liebe Gesichtchen vor den Lüften des Himmels sich auf , wurde lauter Sprache und Seele , und , als begänne sie den Flug in die Wolken , stand sanft empor gestreckt die ganze Gestalt , in leichter Majestät , und berührte kaum mit den Füßen die Erde . O unter den Armen hätte ich sie fassen mögen , wie der Adler seinen Ganymed , und hinfliegen mit ihr über das Meer und seine Inseln .
Nun trat sie weiter vor , und sah die schroffe Felsenwand hinab .
Sie hatte ihre Lust daran , die schreckende Tiefe zu messen , und sich I. Bd. G hinab zu verlieren in die Nacht der Wälder , die unten aus Felsenstücken und schäumenden Wetterbächen herauf die lichten Gipfel streckten .
Das Geländer , worauf sie sich stützte , war etwas niedrig .
So durfte ich es ein wenig halten , das Reizende , indes es so sich vorwärts beugte .
Ach ! heiße zitternde Wonne durchlief mein Wesen und Taumel und Toben war in allen Sinnen , und die Hände brannten mir , wie Kohlen , da ich sie berührte .
Und dann die Herzenslust , so traulich neben ihr zu stehen , und die zärtlich kindische Sorge , dass sie fallen möchte , und die Freude an der Begeisterung des herrlichen Mädchens !
Was ist alles , was in Jahrtausenden die Menschen taten und dachten , gegen Einen Augenblick der Liebe ?
Es ist aber auch das Gelungenste , Göttlichschönste in der Natur ! dahin führen alle Stufen auf der Schwelle des Lebens .
Daher kommen wir , dahin gehen wir .
Hyperion an Bellarmin .
Nur ihren Gesang sollte ich vergessen , nur diese Seelentöne sollten nimmer wiederkehren in meinen unaufhörlichen Träumen .
Man kennt den stolzhinschießenden Schwan nicht , wenn er schlummernd am Ufer sitzt .
Nur , wenn sie sang , erkannte man die liebende Schweigende , die so ungern sich zur Sprache verstand .
Da , da ging erst die himmlische Ungefällige in ihrer Majestät und Lieblichkeit hervor ; da weht es oft so bittend und so schmeichelnd , oft , wie ein Göttergebot , von den zarten blühenden Lippen .
Und wie das Herz sich regt in dieser göttlichen Stimme , wie alle Größe und Demut , alle Lust und alle Trauer des Lebens verschönert im Adel dieser Töne erschien !
Wie im Fluge die Schwalbe die Bienen hascht , ergriff sie immer uns alle .
Es kam nicht Lust und nicht Bewunderung , es kam der Friede des Himmels unter uns .
Tausendmal habe ich es ihr und mir gesagt : das Schönste ist auch das Heiligste .
Und so war alles an ihr .
Wie ihr Gesang , so auch ihr Leben .
Hyperion an Bellarmin .
Unter den Blumen war ihr Herz zu Hause , als wäre es eine von ihnen .
Sie nannte sie alle mit Namen , schuf ihnen aus Liebe neue , schönere , und wusste genau die fröhlichste Lebenszeit von jeder .
Wie eine Schwester , wenn aus jeder Ecke ein Geliebtes ihr entgegenkommt , und jedes gerne zuerst gegrüßt sein möchte , so war das stille Wesen mit Auge und Hand beschäftigt , selig zerstreut , wenn auf der Wiese wir gingen , oder im Walde .
Und das war so ganz nicht angenommen , angebildet , das war so mit ihr aufgewachsen .
Es ist doch ewig gewiss und zeigt sich überall ; je unschuldiger , schöner eine Seele , desto vertrauter mit den anderen glücklichen leben , die man seelenlos nennt .
Hyperion an Bellarmin .
Tausendmal habe ich in meiner Herzensfreude gelacht über die Menschen , die sich einbilden , ein erhabener Geist könne unmöglich wissen , wie man ein Gemüse bereitet .
Diotima konnte wohl zur rechten Zeit recht herzhaft von dem Feuerherde sprechen , und es ist gewiss nichts edler , als ein edles Mädchen , das die allwohlthätige Flamme besorgt , und , ähnlich der Natur , die herzerfreuende Speise bereitet .
Hyperion an Bellarmin .
Was ist alles künstliche Wissen in der Welt , was ist die ganze stolze Mündigkeit der menschlichen Gedanken gegen die ungesuchten Töne dieses Geistes , der nicht wusste , was er wusste , was er war ?
Wer will die Traube nicht lieber voll und frisch , so wie sie aus der Wurzel quoll , als die getrockneten gepflückten Beere , die der Kaufmann in die Kiste presst und in die Welt schickt ?
Was ist die Weisheit eines Buchs gegen die Weisheit eines Engels ?
Sie schien immer so wenig zu sagen , und sagte so viel .
Ich geleitete sie einst in später Dämmerung nach Hause ; wie Träume , beschlichen tauende Wölkchen die Wiese , wie lauschende Genien , sahen die seligen Sterne durch die Zweige .
Man hörte selten ein " wie schön ! " aus ihrem Munde , wenn schon das fromme Herz kein lispelnd Blatt , kein Rieseln einer Quelle unbehorcht ließ .
Diesmal sprach sie es denn doch mir aus - wie schön !
Es ist wohl uns zuliebe so ! sagte ich , ungefähr , wie Kinder etwas sagen , weder im Scherze noch im Ernste .
Ich kann mir denken , was Du sagst , erwiderte sie ; ich denke mir die Welt am liebsten , wie ein häuslich Leben , wo jedes , ohne gerade dran zu denken , sich ins andere schickt , und wo man sich einander zum Gefallen und zur Freude lebt , weil es eben so vom Herzen kommt .
Froher erhabener Glaube ! rief ich .
Sie schwieg eine Weile .
Auch wir sind also Kinder des Hauses , begann ich endlich wieder , " sind es und werden es sein " .
Werden ewig es sein , erwiderte sie .
Werden wir das ? fragte ich .
Ich vertraue , fuhr sie fort , hierinnen der Natur , so wie ich täglich ihr vertraue .
O ich hätte mögen Diotima sein , da sie dies sagte !
Aber du weißt nicht , was sie sagte , mein Bellarmin !
Du hast es nicht gesehen und nicht gehört .
Du hast Recht , rief ich ihr zu ; die ewige Schönheit , die Natur leidet keinen Ver- Lust in sich , so wie sie keinen Zusatz leidet .
Ihr Schmuck ist morgen anders , als er heute war ; aber unser Bestes , uns , uns kann sie nicht entbehren und Dich am wenigsten .
Wir glauben , dass wir ewig sind , denn unsere Seele fühlt die Schönheit der Natur .
Sie ist ein Stückwerk , ist die Göttliche , die Vollendete nicht , wenn jemals du in ihr vermisst wirst .
Sie verdient dein Herz nicht , wenn sie erröten muss vor Deinen Hoffnungen .
Hyperion an Bellarmin .
So bedürfnisslos , so göttlichgenügsam habe ich nichts gekannt .
Wie die Woge des Ozeans das Gestade seliger Inseln , so umflutete mein ruheloses Herz den Frieden des himmlischen Mädchens .
Ich hatte ihr nichts zu geben , als ein Gemüt voll wilder Widersprüche , voll blutender Erinnerungen , nichts hatte ich ihr zu geben , als meine grenzenlose Liebe mit ihren tausend Sorgen , ihren tausend tobenden Hoffnungen ; sie aber stand vor mir in wandelloser Schönheit , mühelos , in lächelnder Vollendung da , und alles Sehnen , alles Träumen der Sterblichkeit , ach ! alles , was in goldenen Morgen Stunden von höheren Regionen der Genius weissagt , es war alles in dieser Einen stillen Seele erfüllt .
Man sagt sonst , über den Sternen verhalle der Kampf , und künftig erst , verspricht man uns , wenn unsere Hefe gesunken sei , verwandle sich in edlen Freudenwein das gehrende Leben , die Herzensruhe der Seligen sucht man sonst auf dieser Erde nirgends mehr .
Ich weiß es anders .
Ich bin den nähern Weg gekommen .
Ich stand vor ihr , und hörte und sah den Frieden des Himmels , und mitten im seufzenden Chaos erschien mir Urania .
Wie oft habe ich meine Klagen vor diesem Bilde gestillt ! wie oft hat sich das übermütige Leben und der strebende Geist besänftigt , wenn ich , in selige Betrachtungen versunken , ihr ins Herz sah , wie man in die Quelle sieht , wenn sie still erbebt von den Berührungen des Himmels , der in Silbertropfen auf sie niederträufelt !
Sie war mein Lethe , diese Seele , mein heiliger Lethe , woraus ich die Vergessenheit des Daseins trank , dass ich vor ihr stand , wie ein Unsterblicher , und freudig mich schalt , und wie nach schweren Träumen lächeln musste über alle Ketten , die mich gedrückt .
O ich wäre ein glücklicher , ein trefflicher Mensch geworden mit ihr !
Mit ihr ! aber das ist mißlungen , und nun irre ich herum in dem , das vor und in mir ist , und drüber hinaus , und weiß nicht , was ich machen soll aus mir und anderen Dingen .
Meine Seele ist , wie ein Fisch aus ihrem Elemente auf den Ufersand geworfen , und windet sich und wirft sich umher , bis sie vertrocknet in der Hitze des Tags .
Ach ! gäbe es nur noch etwas in der Welt für mich zu tun ! gäbe es eine Arbeit , einen Krieg für mich , das sollte mich erquicken !
Knäblein , die man von der Mutterbrust gerissen und in die Wüste geworfen , hat einst , so sagt man , eine Wölfin gesäugt .
Mein Herz ist nicht so glücklich .
Hyperion an Bellarmin .
Ich kann nur hie und da ein Wörtchen von ihr sprechen .
Ich muss vergessen , was sie ganz ist , wenn ich von ihr sprechen soll .
Ich muss mich täuschen , als hätte sie vor alten Zeiten gelebt , als wisst ich durch Erzählung einiges von ihr , wenn ihr lebendig Bild mich nicht ergreifen soll , dass ich vergehe im Entzücken und im Schmerz , wenn ich den Tod der Freude über sie und den Tod der Trauer um sie nicht sterben soll .
Hyperion an Bellarmin .
Es ist umsonst ; ich kann_es mir nicht verbergen .
Wohin ich auch entfliehe mit meinen Gedanken , in die Himmel hinauf und in den Abgrund , zum Anfang und ans Ende der Zeiten , selbst wenn ich ihm , der meine letzte Zuflucht war , der sonst noch jede Sorge in mir verzehrte , der alle Lust und allen Schmerz des Lebens sonst mit der Feuerflamme , worin er sich offenbarte , in mir versengte , selbst wenn ich ihm mich in die Arme werfe , dem herrlichen geheimen Geiste der Welt , in seine Tiefe mich tauche , wie in den bodenlosen Ozean hinab , auch da , auch da finden die süßen Schrecken mich auf , die süßen verwirrenden tötenden Schrecken , dass Diotima's Grab mir nah ist .
Hörst du ? hörst du ?
Diotima's Grab !
Mein Herz war doch so stille geworden , und meine Liebe war begraben mit der Toten , die ich liebte .
Du weißt , mein Bellarmin ! ich schrieb Dir lange nicht von ihr , und da ich schrieb , so schrieb ich Dir gelassen , wie ich meine .
Was ist es denn nun ?
Ich gehe ans Ufer hinaus und sehe nach Kalaure , wo sie ruhet , hinüber , das ist_es .
O dass ja keiner den Kahn mir leihe , dass ja sich keiner erbarme und mir sein Ruder biete und mir hinüberhelfe zu ihr !
Dass ja das gute Meer nicht ruhig bleibe , damit ich nicht ein Holz mir zimmre und hinüberschwimme zu ihr .
Aber in die tobende See will ich mich werfen , und ihre Woge bitten , dass sie an Diotima's Gestade mich wirft ! -
Lieber Bruder !
ich tröste mein Herz mit allerlei Phantasien , ich reiche mir manchen Schlaftrank ; und es wäre wohl größer , sich zu befreien auf immer , als sich zu behelfen mit Palliativen ; aber wem geht es nicht so ?
Ich bin denn doch damit zufrieden .
Zufrieden ? ach das wäre gut !
da wäre ja geholfen , wo kein Gott nicht helfen kann .
Nun ! nun !
ich habe , was ich konnte , getan !
Ich fordre von dem Schicksal meine Seele .
Hyperion an Bellarmin .
War sie nicht mein , ihr Schwestern des Schicksals , war sie nicht mein ?
Die reinen Quellen foder ich auf zu Zeugen , und die unschuldigen Bäume , die uns belauschten , und das Tageslicht und den Äther ! war sie nicht mein ?
vereint mit mir in allen Tönen des Lebens ?
Wo ist das Wesen , das , wie meines , sie erkannte ? in welchem Spiegel sammelten sich , so wie in mir , die Strahlen dieses Lichts ? erschrak sie freudig nicht vor ihrer eigenen Herrlichkeit , da sie zuerst in meiner Freude sich gewahr wurde ?
Ach !
wo ist das Herz , das so , wie meines , überall ihr nah war , so , wie meines , sie erfüllte und von ihr erfüllt war , das so einzig da war , ihres zu umfangen , wie die Wimper für das Auge da ist .
Wir waren Eine Blume nur , und unsere Seelen lebten in einander , wie die Blume , wenn sie liebt , und ihre zarten Freuden im verschlossenen Kelche verbirgt .
Und doch , doch wurde sie , wie eine angemaßte Krone , von mir gerissen und in den Staub gelegt ?
Hyperion an Bellarmin .
Ehe es eines von uns beiden wusste , gehörten wir uns an .
Wenn ich so , mit allen Huldigungen des Herzens , selig überwunden , vor ihr stand , und schwieg , und alle mein Leben sich hingab in den Strahlen des Auges , das sie nur sah , nur sie umfasste , und sie dann wieder zärtlich zweifelnd mich betrachtete , und nicht wusste , wo ich war mit meinen Gedanken , wenn ich oft , begraben in Lust und Schönheit , bei einem reizenden Geschäfte sie belauschte , und um die leiseste Bewegung , wie die Biene um die schwanken Zweige , meine Seele schweift ' und flog , und wenn sie dann in friedlichen Gedanken gegen mich sich wandte , und , überrascht von meiner Freude , meine Freude sich verbergen musst , und bei der lieben Arbeit ihre Ruhe wieder sucht und fand - Wenn sie , wunderbar allwissend , jeden Wohlklang , jeden Misslaut in der Tiefe meines Wesens , im Momente , da er begann , noch ehe ich selbst ihn wahrnahm , mir enthüllte , wenn sie jeden Schatten eines Wölkchens auf der Stirn , jeden Schatten einer Wehmut , eines Stolzes auf der Lippe , jeden Funken mir im Auge sah , wenn sie die Ebbe und Flut des Herzens mir behorcht und sorgsam trübe Stunden ahnte , indes mein Geist zu unenthaltsam , zu verschwenderisch im üppigen Gespräche sich verzehrte , wenn das liebe Wesen , treuer , wie ein Spiegel , jeden Wechsel meiner Wange mir verriet , und oft in freundlichen Bekümmernissen über mein unstet Wesen mich ermahnt , und strafte , wie ein teures Kind - Ach !
da du einst , Unschuldige , an den Fingern die Treppen zähltest , von unserem Berge herab zu deinem Hause , da du deine Spaziergänge mir wiesest , die Plätze , wo du sonst gesessen , und mir erzähltest , wie die Zeit dir da vergangen , und mir am Ende sagtest , es sei dir jetzt , als wäre ich auch von jeher dagewesen - Gehörten wir da nicht längst uns an ?
Hyperion an Bellarmin .
Ich baue meinem Herzen ein Grab , damit es ruhen möge ; ich spinne mich ein , weil überall es Winter ist ; in seligen Erinnerungen hüll ich vor dem Sturme mich ein .
Wir saßen einst mit Notara - so hieß der Freund , bei dem ich lebte - und einigen anderen , die auch , wie wir , zu den Sonderlin gen in Kalaure gehörten , in Diotima's Garten , unter blühenden Mandelbäumen , und sprachen unter anderem über die Freundschaft .
Ich hatte wenig mitgesprochen , ich hütete mich seit einiger Zeit , viel Worte zu machen von Dingen , die das Herz zunächst angehen , meine Diotima hatte mich so einsilbig gemacht -
Da Harmodius und Aristogiton lebten , rief endlich einer , da war noch Freundschaft in der Welt .
Das freute mich zu sehr , als dass ich hätte schweigen mögen .
Man sollte Dir eine Krone flechten um dieses Wortes Willen ! rief ich ihm zu ; hast du denn wirklich eine Ahnung davon , hast du ein Gleichnis für die Freundschaft des Aristogiton und Harmodius ?
Verzeih mir !
Aber beim Äther ! man muss Aristogiton sein , um nachzufühlen , wie Aristogiton liebte , und die Blitze durfte wohl der Mann nicht fürchten , der geliebt sein wollte mit Harmodius Liebe , denn es täuscht mich alles , wenn der furchtbare Jüngling nicht mit Minos Strenge liebte .
Wenige sind in solcher Probe bestanden , und es ist nicht leichter , eines Halbgotts Freund zu sein , als an der Götter Tische , wie Tantalus , zu Sitz Zähne .
Aber es ist auch nichts herrlicheres auf Erden , als wenn ein stolzes Paar , wie diese , so sich untertan ist .
Das ist auch meine Hoffnung , meine Lust in einsamen Stunden , dass solche große Töne und größere einst wiederkehren müssen in der Symphonie des Weltlaufs .
Die Liebe gebar Jahrtausende voll lebendiger Menschen ; die Freundschaft wird sie wiedergebären .
Von Kinderharmonie sind einst die Völker ausgegangen , die Harmonie der Geister wird der Anfang einer neuen Weltgeschichte sein .
Von Pflanzenglück begannen die Menschen und wuchsen auf , und wuchsen , bis sie reiften ; von nun an gehrten sie unaufhörlich fort , von innen und außen , bis jetzt das Menschengeschlecht , unendlich aufgelöst , wie ein Chaos daliegt , dass alle , die noch fühlen und sehen , Schwindel ergreift ; aber die Schönheit flüchtet aus dem Leben der Menschen sich herauf in den Geist ; Ideal wird , was Natur war , und wenn von unten gleich der Baum verdorrt ist und verwittert , ein frischer Gipfel ist noch hervorgegangen aus ihm , und grünt im Sonnenglanze , wie einst der Stamm in den Tagen der Jugend ; Ideal ist , was Natur war .
Daran , an diesem Ideale , dieser verjüngten Gottheit , erkennen die Weni gen sich und Eins sind sie , denn es ist Eines in ihnen , und von diesen , diesen beginnt das zweite Lebensalter der Welt - ich habe genug gesagt , um klar zu machen , was ich denke .
Da hättest du Diotima sehen sollen , wie sie aufsprang und die beiden Hände mir reichte und rief :
ich habe es verstanden , Lieber , ganz verstanden , so viel es sagt .
Die Liebe gebar die Welt , die Freundschaft wird sie wieder gebären .
O dann , ihr künftigen , ihr neuen Dioskuren , dann weilt ein wenig , wenn ihr vorüberkommt , da , wo Hyperion schläft , weilt ahnend über des vergessenen Mannes Asche , und sprecht :
er wäre , wie unser einer , wäre er jetzt da .
Das habe ich gehört , mein Bellarmin !
das habe ich erfahren , und gehe nicht willig in den Tod .
Ja ! ja ! ich bin vorausbezahlt , ich habe gelebt .
Mehr Freude konnte ein Gott ertragen , aber ich nicht .
Hyperion an Bellarmin .
Fragst du , wie mir gewesen sei um diese Zeit ?
Wie einem , der alles verloren hat , um alles zu gewinnen .
I. Bd. H Oft kam ich freilich von Diotima's Bäumen , wie ein Siegestrunkner , oft musst ich eilends weg von ihr , um keinen meiner Gedanken zu verraten ; so tobte die Freude in mir , und der Stolz , der albegeisternde Glaube , von Diotima geliebt zu sein .
Dann suchte ich die höchsten Berge mir auf und ihre Lüfte , und wie ein Adler , dem der blutende Fittich geheilt ist , regte mein Geist sich im Freien , und dehnt , als wäre sie sein , über die sichtbare Welt sich aus ; wunderbar !
es war mir oft , als läuterten sich und schmälzten die Dinge der Erde , wie Gold , in meinem Feuer zusammen , und ein Göttliches würde aus ihnen und mir , so tobte in mir die Freude ; und wie ich die Kinder aufhob und an mein schlagendes Herz sie drückte , wie ich die Pflanzen grüßte und die Bäume !
Einen Zauber hätte ich mir wünschen mögen , die scheuen Hirsche und alle die wilden Vögel des Walds , wie ein häuslich Völkchen , um meine freigebigen Hände zu versammeln , so selig töricht liebte ich alles !
Aber nicht lange , so war das alles , wie ein Licht , in mir erloschen , und stumm und traurig , wie ein Schatte , saß ich da und suchte das entschwundene Leben .
Klagen mochte ich nicht und trösten mochte ich mich auch nicht .
Die Hoffnung warf ich weg , wie ein Lahmer , dem die Krücke verleidet ist ; des Weinens schämt ich mich ; ich schämte mich des Daseins überhaupt .
Aber endlich brach denn doch der Stolz in Tränen aus , und das Leiden , das ich gerne verleugnet hätte , wurde mir lieb , und ich legt es , wie ein Kind , mir an die Brust .
Nein , rief mein Herz , nein , meine Diotima !
es schmerzt nicht .
Bewahre du dir deinen Frieden und lasse mich meinen Gang gehen .
Lasse dich in deiner Ruhe nicht stören , holder Stern !
wenn unter dir es gehrt und trüb ist .
O lasse dir deine Rose nicht bleichen , selige Götterjugend !
Lasse in den Kümmernissen der Erde deine Schöne nicht altern .
Das ist ja meine Freude , süßes Leben ! dass du in dir den sorgenfreien Himmel trägst .
Du sollst nicht dürftig werden , nein , nein !
du sollst in dir die Armut der Liebe nicht sehen .
Und wenn ich dann wieder zu ihr hinabgieng - ich hätte das Lüftchen fragen mögen und dem Zuge der Wolken es ansehn , wie es mit mir sein werde in einer Stunde ! und wie es mich freute , wenn irgend ein freundlich Gesicht mir auf dem Wege begegnete , und nur nicht gar zu trocken sein " schönen Tag ! " mir zurief !
Wenn ein kleines Mädchen aus dem Walde kam und einen Erdbeerstrauss mir zum verkaufe reichte , mit einer Miene , als wollte sie ihn schenken , oder wenn ein Bauer , wo ich vorübergieng , auf seinem Kirschbaum saß und pflückte , und aus den Zweigen herab mir rief , ob ich nicht eine Handvoll kosten möchte ; das waren gute Zeichen für das abergläubische Herz !
Stand vollends gegen den Weg her , wo ich herabkam , von Diotima's Fenstern eines offen , wie konnte das so wohltun !
Sie hatte vielleicht nicht lange zuvor herausgesehn .
Und nun stand ich vor ihr , atemlos und wankend , und drückte die verschlungenen Arme gegen mein Herz , sein Zittern nicht zu fühlen , und , wie der Schwimmer aus reissenden Wassern hervor , rang und strebte mein Geist , nicht unterzugehen in der unendlichen Liebe .
Wovon sprechen wir doch geschwind ? konnte ich rufen , man hat oft seine Mühe , man kann den Stoff nicht finden , die Gedanken daran festzuhalten .
Reissen sie wieder aus in die Luft ? erwiderte meine Diotima .
Du musst ihnen Blei an die Flügel binden , oder ich will sie an einen Faden knüpfen , wie der Knabe den fliegenden Drachen , dass sie uns nicht entgehen .
Das liebe Mädchen suchte sich und mir durch einen Scherz zu helfen , aber es war wenig damit getan .
Ja , ja ! rief ich , wie Du willst , wie Du es für gut hältst - soll ich vorlesen ?
Deine Laute ist wohl noch gestimmt von gestern - vorzulesen habe ich auch gerade nichts - Du hast schon mehr , als einmal , sagte sie , versprochen , mir zu erzählen , wie Du gelebt hast , ehe wir uns kannten , möchtest du jetzt nicht ?
Das ist wahr , erwidert ich ; mein Herz warf sich gerne auf das , und ich erzählt ihr nun , wie Dir , von Adamas und meinen einsamen Tagen in Smyrna , von Alabanda und wie ich getrennt wurde von ihm , und von der unbegreiflichen Krankheit meines Wesens , ehe ich nach Kalaure herüberkam - nun weißt Du alles , sagte ich zu ihr gelassen , da ich zu Ende war , nun wirst Du weniger dich an mir stoßen ; nun wirst Du sagen , setzt ich lächelnd hinzu , spottet dieses Vulkans nicht , wenn er hinkt , denn ihn haben zweimal die Götter vom Himmel auf die Erde geworfen .
Stille , rief sie mit erstickter Stimme , und verbarg ihre Tränen ins Tuch , o stille , und scherze über dein Schicksal , über dein Herz nicht !
denn ich verstehe es und besser , als Du .
Lieber - lieber Hyperion ! Dir ist wohl schwer zu helfen .
Weißt Du denn , fuhr sie mit erhöhter Stimme fort , weist Du denn , woran du darbest , was Dir einzig fehlt , was Du , wie Alpheus seine Arethusia , suchst , um was Du trauertest in aller deiner Trauer ?
Es ist nicht erst seit Jahren hingeschieden , man kann so genau nicht sagen , wann es da war , wann es weggieng , aber es war , es ist , in Dir ist_es !
Es ist eine bessere Zeit , die suchst Du , eine schönere Welt .
Nur diese Welt umarmtest Du in deinen Freunden , Du warst mit ihnen diese Welt .
In Adamas war sie Dir aufgegangen ; sie war auch hingegangen mit ihm .
In Alabanda erschien Dir ihr Licht zum zweitenmal , aber brennender und heißer , und darum war es auch , wie Mitternacht , vor deiner Seele , da er für Dich dahin war .
Siehst Du nun auch , warum der kleinste Zweifel über Alabanda zur Verzweiflung werden musst ' in Dir ? warum Du ihn verstießest , weil er nur nicht gar ein Gott war ?
Du wolltest keine Menschen , glaube mir , Du wolltest eine Welt .
Den Verlust von allen goldenen Jahrhunderten , so wie Du sie , zusammengedrängt in Einen glücklichen Moment , empfandest , den Geist von allen Geistern besserer Zeit , die Kraft von allen Kräften der Heroen , die sollte Dir ein Einzelner , ein Mensch ersetzen ! -
Siehst Du nun , wie arm , wie reich Du bist ? warum Du so stolz sein musst und auch so niedergeschlagen ? warum so schrecklich Freude und Leid Dir wechselt ?
Darum , weil Du alles hast und nichts , weil das Phantom der goldenen Tage , die da kommen sollen , Dein gehört , und doch nicht da ist , weil Du ein Bürger bist in den Regionen der Gerechtigkeit und Schönheit , ein Gott bist unter Göttern in den schönen Träumen , die am Tage Dich beschleichen , und wenn Du aufwachst , auf neu griechischem Boden stehst .
Zweimal , sagtest Du ? o Du wirst in Einem Tage siebzigmal vom Himmel auf die Erde geworfen .
Soll ich Dir es sagen ?
Ich fürchte für Dich , Du hältst das Schicksal dieser Zeiten schwerlich aus .
Du wirst noch mancherlei versuchen , wirst - O Gott ! und Deine letzte Zufluchtsstätte wird ein Grab sein .
Nein , Diotima , rief ich , nein , beim Himmel , nein !
So lange noch Eine Melodie mir tönt , so scheu ich nicht die Totenstille der Wildnis unter den Sternen ; so lange die Sonne nur scheint und Diotima , so gibt es keine Nacht für mich .
Lasse allen Tugenden die Sterbeglocke läuten !
ich höre ja Dich , Dich , deines Herzens Lied , du Liebe ! und finde unsterblich Leben , indessen alles verlischt und welkt .
O Hyperion , rief sie , wie sprichst Du ?
" Ich spreche , wie ich muss .
Ich kann nicht , kann nicht länger alle die Seligkeit und Furcht und Sorge bergen -
Diotima !
- Ja Du weißt es , musst es wissen , hast längst es gesehen , dass ich untergehe , wenn Du nicht die Hand mir reichst . "
Sie war betroffen , verwirrt .
Und an mir , rief sie , an mir will sich Hyperion halten ? ja , ich wünsche es , jetzt zum erstenmal wünsche ich , mehr zu sein , denn nur ein sterblich Mädchen .
Aber ich bin Dir , was ich sein kann .
O so bist Du ja mir Alles , rief ich !
" Alles ? böser Heuchler ! und die Menschheit , die Du doch am Ende einzig liebst ? "
Die Menschheit ? sagte ich ; ich wollte , die Menschheit machte Diotima zum Loosungswort und mahlt in ihre Paniere dein Bild , und spräche : heute soll das Göttliche siegen !
Engel des Himmels ! das müsst ein Tag sein !
Gehe , rief sie , gehe , und zeige dem Himmel deine Verklärung ! mir darf sie nicht so nahe sein .
Nicht wahr , Du gehest , lieber Hyperion ?
Ich gehorchte .
Wer hätte da nicht gehorcht ?
Ich ging .
So war ich noch niemals von ihr gegangen .
O Bellarmin ! das war Freude , Stille des Lebens , Götterruhe , himmlische , wunderbare , unverkennbare Freude .
Worte sind hier umsonst , und wer nach einem Gleichnis von ihr fragt , der hat sie nie erfahren .
Das Einzige , was eine solche Freude auszudrücken vermochte , war Diotima's Gesang , wenn er , in goldener Mitte , zwischen Höhe und Tiefe schwebte .
O ihr Uferweiden des Lethe ! ihr abendrotlichen Pfade in Elysiums Wäldern ! ihr Lilien an den Bächen des Tals ! ihr Rosenkränze des Hügels !
Ich glaube an euch , in dieser freundlichen Stunde , und spreche zu meinem Herzen : dort findest du sie wieder , und alle Freude , die du verlorst .
Hyperion an Bellarmin .
Ich will Dir immer mehr von meiner Seligkeit erzählen .
Ich will die Brust an den Freuden der Vergangenheit versuchen , bis sie , wie Stahl , wird , ich will mich üben an ihnen , bis ich unüberwindlich bin .
Ha ! fallen sie doch , wie ein Schwertschlag , oft mir auf die Seele , aber ich spiele mit dem Schwerte , bis ich es gewohnt bin , ich halte die Hand ins Feuer , bis ich es ertrage , wie Wasser .
Ich will nicht zagen ; ja ! ich will stark sein !
ich will mir nichts verhehlen , will von allen Seligkeiten mir die seligste aus dem Grabe beschwören .
Es ist unglaublich , dass der Mensch sich vor dem Schönsten fürchten soll ; aber es ist so .
O bin ich doch hundertmal vor diesen Augenblicken , dieser tötenden Wonne meiner Erinnerungen geflohen und habe mein Auge hinweggewandt , wie ein Kind vor Blitzen ! und dennoch wächst im üppigen Garten der Welt nichts lieblicheres , wie meine Freuden , dennoch gedeiht im Himmel und auf Erden nichts edleres , wie meine Freuden .
Aber nur Dir , mein Bellarmin , nur einer reinen freien Seele , wie die Deine ist , erzähle ich es .
So freigebig , wie die Sonne mit ihren Strahlen , will ich nicht sein ; meine Perlen will ich vor die alberne Menge nicht werfen .
Ich kannte , seit dem letzten Seelengespräche , mit jedem Tage mich weniger .
Ich fühlte , es war ein heilig Geheimnis zwischen mir und Diotima .
Ich staunte , träumte .
Als wäre um Mitternacht ein seliger Geist mir erschienen und hätte mich erkoren , mit ihm umzugehen , so war es mir in der Seele .
O es ist ein seltsames Gemische von Seligkeit und Schwermut , wenn es so sich offenbart , dass wir auf immer heraus sind aus dem gewöhnlichen Dasein .
Es war mir seitdem nimmer gelungen , Diotima allein zu sehen .
Immer musst ein Dritter uns stören , trennen , und die Welt lag zwischen ihr und mir , wie eine unendliche Leere .
Sechs todesbange Tage gingen so vorüber , ohne dass ich etwas wusste von Diotima .
Es war , als lähmten die anderen , die um uns waren , mir die Sinne , als töteten sie mein ganzes äußeres Leben , damit auf keinem Wege die verschlossene Seele sich hinüber helfen möchte zu ihr .
Wollte ich mit dem Auge sie suchen , so wurde es Nacht vor mir , wollte ich mich mit einem Wörtchen an sie wenden , so erstickt es in der Kehle .
Ach ! mir wollte das heilige namenlose Verlangen oft die Brust zerreißen , und die mächtige Liebe zürnt oft , wie ein gefangener Titan , in mir .
So tief , so innigst unversöhnlich hatte mein Geist noch nie sich gegen die Ketten gesträubt , die das Schicksal ihm schmiedet , gegen das eiserne unerbittliche Gesetz , geschieden zu sein , nicht Eine Seele zu sein mit seiner liebenswürdigen Hälfte .
Die sternenhelle Nacht war nun mein Element geworden .
Dann , wann es stille war , wie in den Tiefen der Erde , wo Geheimnis voll das Gold wächst , dann hob das schönere Leben meiner Liebe sich an .
Da übte das Herz sein Recht , zu dichten , aus .
Da sagte es mir , wie Hyperions Geist im Vorelysium mit seiner holden Diotima gespielt , ehe er herabgekommen zur Erde , in göttlicher Kindheit bei dem Wohlgetöne des Quells , und unter Zweigen , wie wir die Zweige der Erde sehen , wenn sie verschönert aus dem güldenen Strome blinken .
Und , wie die Vergangenheit , öffnete sich die Pforte der Zukunft in mir .
Da flogen wir , Diotima und ich , da wanderten wir , wie Schwalben , von einem Frühling der Welt zum anderen , durch der Sonne weites Gebiet und drüber hinaus , zu den anderen Inseln des Himmels , an des Sirius goldene Küsten , in die Geistertale des Arkturs - O es ist doch wohl wünschenswert , so aus Einem Kelche mit der Geliebten die Wonne der Welt zu trinken !
Berauscht vom seligen Wiegenliede , das ich mir sang , schlief ich ein , mitten unter den herrlichen Phantomen .
Wie aber am Strahle des Morgenlichts das Leben der Erde sich wieder entzündete , sah ich empor und suchte die Träume der Nacht .
Sie waren , wie die schönen Sterne , verschwunden , und nur die Wonne der Wehmut zeugt in meiner Seele von ihnen .
Ich trauerte ; aber ich glaube , dass man unter den Seligen auch so trauert .
Sie war die Botin der Freude , diese Trauer , sie war die grauende Dämmerung , woran die unzähligen Rosen des Morgenrots sprossen . -
Der glühende Sommertag hatte jetzt alles in die dunklen Schatten gescheucht .
Auch um Diotima's Haus war alles still und leer , und die neidischen Vorhänge standen mir an allen Fenstern im Wege .
Ich lebte in Gedanken an sie .
Wo bist du , dachte ich , wo findet mein einsamer Geist dich , süßes Mädchen ?
Siehst du vor dich hin und sinnest ?
Hast du die Arbeit auf die Seite gelegt und stützest den Arm aufs Knie und auf das Händchen das Haupt und gibst den lieblichen Gedanken dich hin ?
Dass ja nichts meine Friedliche störe , wenn sie mit süßen Phantasien ihr Herz erfrischt , dass ja nichts diese Traube betaste und den erquickenden Tau von den zarten Beeren ihr streife !
So träumte ich .
Aber indes die Gedanken zwischen den Wänden des Hauses nach ihr späh ten , suchten die Füße sie anderswo , und ehe ich es gewahr wurde , ging ich unter den Bogengängen des heiligen Walds , hinter Diotima's Garten , wo ich sie zum erstenmal hatte gesehen .
Was war das ?
Ich war ja indessen so oft mit diesen Bäumen umgegangen , war vertrauter mit ihnen , ruhiger unter ihnen geworden ; jetzt ergriff mich eine Gewalt , als träte ich in Dianes Schatten , um zu sterben vor der gegenwärtigen Gottheit .
Indessen ging ich weiter .
Mit jedem Schritte wurde es wunderbarer in mir .
Ich hätte fliegen mögen , so trieb mein Herz mich vorwärts ; aber es war , als hätte ich Blei an den Sohlen .
Die Seele war vorausgeeilt , und hatte die irdischen Glieder verlassen .
Ich hörte nicht mehr und vor dem Auge dämmerten und schwankten alle Gestalten .
Der Geist war schon bei Diotima ; im Morgenlichte spielte der Gipfel des Baums , indes die unteren Zweige noch die kalte Dämmerung fühlten .
Ach ! mein Hyperion ! rief jetzt mir eine Stimme entgegen ; ich stürzt hinzu ; " meine Diotima ! o meine Diotima ! " weiter hatte ich kein Wort und keinen Odem , kein Bewußtsein .
Schwinde , schwinde , sterbliches Leben , dürftig Geschäft , wo der einsame Geist die Pfennige , die er gesammelt , hin und her betrachtet und zählt ! wir sind zur Freude der Gottheit alle berufen !
Es ist hier eine Lücke in meinem Dasein .
Ich starb , und wie ich erwachte , lag ich am Herzen des himmlischen Mädchens .
O Leben der Liebe ! wie warst du an ihr aufgegangen in voller holdseliger Blüte ! wie in leichten Schlummer gesungen von seligen Genien , lag das reizende Köpfchen mir auf der Schulter , lächelte süßen Frieden , und schlug sein ätherisch Auge nach mir auf in fröhlichem unerfahrenem Staunen , als blickt es eben jetzt zum erstenmal in die Welt .
Lange standen wir so in holder selbstvergessener Betrachtung , und keines wusste , wie ihm geschah , bis endlich der Freude zu viel in mir sich häufte und in Tränen und Lauten des Entzückens auch meine verlorene Sprache wieder begann , und meine stille Begeisterte vollends wieder ins Dasein weckte .
Endlich sahen wir uns auch wieder um .
O meine alten freundlichen Bäume ! rief Diotima , als hätte sie sie in langer Zeit nicht gesehen , und das Andenken an ihre vorigen ein samen Tage spielt ' um ihre Freuden , lieblich , wie die Schatten um den jungfräulichen Schnee , wenn er errötet und glüht im freudigen Abendglanze .
Engel des Himmels ! rief ich , wer kann Dich fassen ? wer kann sagen , er habe ganz Dich begriffen ?
Wunderst Du dich , erwiderte sie , dass ich so sehr Dir gut bin ?
Lieber ! stolzer Bescheidener !
Bin ich denn auch von denen , die nicht glauben können an Dich , habe ich denn nicht Dich ergründet , habe ich den Genius nicht in seinen Wolken erkannt ?
Verhülle Dich nur und siehe Dich selbst nicht ; ich will Dich hervorbeschwören , ich will - Aber er ist ja da , er ist hervorgegangen , wie ein Stern ; er hat die Hülse durchbrochen und steht , wie ein Frühling , da ; wie ein Kristallquell aus der düstern Grotte , ist er hervorgegangen ; das ist der finstere Hyperion nicht , das ist die wilde Trauer nicht mehr - o mein , mein herrlicher Junge !
Das alles war mir , wie ein Traum .
Konnte ich glauben an dies Wunder der Liebe ? konnte ich ? mich hätte die Freude getötet .
I. Bd. I Göttliche ! rief ich , sprichst Du mit mir ? kannst Du so dich verleugnen , selige Selbstgenügsame ! kannst Du so dich freuen an mir ?
O ich sehe es nun , ich weiß nun , was ich oft geahnt , der Mensch ist ein Gewand , das oft ein Gott sich umwirft , ein Kelch , in den der Himmel seinen Nektar gießt , um seinen Kindern vom Besten zu kosten zu geben . -
Ja , ja ! fiel sie schwärmerisch lächelnd mir ein , Dein Namensbruder , der herrliche Hyperion des Himmels ist in dir .
Lasse mich , rief ich , lasse mich Dein sein , lasse mich mein vergessen , lasse alles Leben in mir und allen Geist nur Dir zufliegen ; nur Dir , in seliger endeloser Betrachtung !
O Diotima !
so stand ich sonst auch vor dem dämmernden Götterbilde , das meine Liebe sich schuf , vor dem Idole meiner einsamen Träume ; ich nährt es traulich ; mit meinem Leben belebt ich es , mit den Hoffnungen meines Herzens erfrischt , erwärmt ich es , aber es gab mir nichts , als was ich gegeben , und wenn ich verarmt war , ließ es mich arm , und nun !
nun habe ich im Arme Dich , und fühle den Odem deiner Brust , und fühle dein Auge in meinem Auge , die schöne Gegenwart rinnt mir in alle Sinnen herein , und ich halte es aus , ich habe das Herrlichste so und bebe nicht mehr - ja ! ich bin wirklich nicht der ich sonst war , Diotima ! ich bin Deines gleichen geworden , und Göttliches spielt mit Göttlichem jetzt , wie Kinder unter sich spielen . -
Aber etwas stiller musst Du mir werden , sagte sie .
Du hast auch recht , du Liebenswürdige ! rief ich freudig , sonst erscheinen mir ja die Grazien nicht ; sonst sehe ich ja im Meere der Schönheit seine leisen lieblichen Bewegungen nicht .
O ich will es noch lernen , nichts an Dir zu übersehen .
Gib mir nur Zeit !
Schmeichler ! rief sie , aber für heute sind wir zu Ende , lieber Schmeichler ! die goldene Abendwolke hat mich gemahnt .
O traure nicht !
Erhalte Dir und mir die reine Freude !
Lasse sie nachtönen in Dir , bis Morgen , und töte sie nicht durch Mißmut ! - die Blumen des Herzens wollen freundliche Pflege .
Ihre Wurzel ist überall , aber sie selbst gedeihen in heiterer Witterung nur .
Lebe wohl , Hyperion !
Sie machte sich los .
Mein ganzes Wesen flammt in mir auf , wie sie so vor mir hinwegschwand in ihrer glühenden Schönheit .
O du ! -
rief ich und stürzt ihr nach , und gab meine Seele in ihre Hand in unendlichen Küssen .
Gott ! rief sie , wie wird das künftig werden !
Das traf mich .
Verzeih , Himmlische ! sagte ich ; ich gehe .
Gute Nacht , Diotima ! denke noch mein ein wenig !
Das will ich , rief sie , gute Nacht !
Und nun kein Wort mehr , Bellarmin !
Es wäre zuviel für mein geduldiges Herz .
Ich bin erschüttert , wie ich fühle .
Aber ich will hinausgehen unter die Pflanzen und Bäume , und unter sie hin mich legen und beten , dass die Natur zu solcher Ruhe mich bringe .
Hyperion an Bellarmin .
Unsere Seelen lebten nun immer freier und schöner zusammen , und alles in und um uns vereinigte sich zu goldenem Frieden .
Es schien , als wäre die alte Welt gestorben und eine neue begönne mit uns , so geistig und kräftig und liebend und leicht war alles geworden , und wir und alle Wesen schwebten , selig vereint , wie ein Chor von tausend unzertrennlichen Tönen , durch den unendlichen Äther .
Unsere Gespräche gleiteten weg , wie ein himmelblau Gewässer , woraus der Goldsand hin und wieder blinkt , und unsere Stille war , wie die Stille der Berggipfel , wo in herrlich einsamer Höhe , hoch über dem Raume der Gewit ter , nur die göttliche Luft noch in den Locken des kühnen Wanderers rauscht .
Und die wunderbare heilige Trauer , wann die Stunde der Trennung in unsere Begeisterung tönte , wenn ich oft rief : nun sind wir wieder sterblich , Diotima ! und sie mir sagte : Sterblichkeit ist Schein , ist , wie die Farben , die vor unserem Auge zittern , wenn es lange in die Sonne sieht !
Ach !
und alle die holdseligen Spiele der Liebe ! die Schmeichelreden , die Besorgnisse , die Empfindlichkeiten , die Strenge und Nachsicht .
Und die Allwissenheit , womit wir uns durchschauten , und der unendliche Glaube , womit wir uns verherrlichten !
Ja ! eine Sonne ist der Mensch , allsehend , allverklärend , wenn er liebt , und liebt er nicht , so ist er eine dunkle Wohnung , wo ein rauchend Lämpchen brennt .
Ich sollte schweigen , sollte vergessen und schweigen .
Aber die reizende Flamme versucht mich , bis ich mich ganz in sie stürze , und , wie die Fliege , vergehe .
Mitten in all dem seligen unverhaltenen Geben und Nehmen fühlte ich einmal , dass Diotima stiller wurde und immer stiller .
Ich fragte und flehte ; aber das schien nur mehr sie zu entfernen , endlich flehte sie , ich möchte nicht mehr fragen , möchte gehen , und wenn ich wiederkäme , von etwas anderem sprechen .
Das gab auch mir ein schmerzliches Verstummen , worein ich selbst mich nicht zu finden wusste .
Mir war , als hätte ein unbegreiflich plötzlich Schicksal unserer Liebe den Tod geschworen , und alles Leben war hin außer mir und allem .
Ich schämte mich freilich dessen ; ich wusste gewiss , das Ungefähr beherrsche Diotima's Herz nicht .
Aber wunderbar blieb sie mir immer , und mein verwöhnter untröstlicher Sinn wollte immer offenbare gegenwärtige Liebe ; verschlossene Schätze waren verlorene Schätze für ihn .
Ach !
ich hatte ' im Glücke die Hoffnung verlernt , ich war noch damals , wie die ungeduldigen Kinder , die um den Apfel am Baume weinen , als wäre er gar nicht da , wenn er ihnen den Mund nicht küsst .
Ich hatte keine Ruhe , ich flehte wieder , mit Ungestüm und Demut , zärtlich und zürnend , mit ihrer ganzen allmächtigen bescheidenen Beredsamkeit rüstete die Liebe mich aus und nun - o meine Diotima ! nun hatte ich es , das reizende Bekenntnis , nun habe ich und halte es , bis auch mich , mit allem , was an mir ist , in die alte Heimat , in den Schoß der Natur die Woge der Liebe zurückbringt .
Die Unschuldige !
noch kannte sie die mächtige Fülle ihres Herzens nicht , und lieblich erschrocken vor dem Reichtum in ihr , begrub sie ihn in die Tiefe der Brust - und wie sie nun bekannte , heilige Einfalt , wie sie mit Tränen bekannte , sie liebe zu sehr , und wie sie Abschied nahm von allem , was sie sonst am Herzen gewiegt , o wie sie rief : abtrünnig bin ich geworden von Mai und Sommer und Herbst , und achte des Tages und der Nacht nicht , wie sonst , gehöre dem Himmel und der Erde nicht mehr , gehöre nur Einem , Einem , aber die Blüte des Mai es und die Flamme des Sommers und die Reife des Herbsts , die Klarheit des Tags und der Ernst der Nacht , und Erde und Himmel ist mir in diesem Einen vereint !
so liebe ich ! -
und wie sie nun in voller Herzenslust mich betrachtete , wie sie , in kühner heiliger Freude , in ihre schönen Arme mich nahm und die Stirn mir küsste und den Mund , ha ! wie das göttliche Haupt , sterbend in Wonne , mir am offenen Halse herabsank , und die süßen Lippen an der schlagenden Brust mir ruhten und der liebliche Odem an die Seele mir ging - o Bellarmin ! die Sinne vergehen mir und der Geist entflieht .
Ich sehe , ich sehe , wie das enden muss .
Das Steuer ist in die Woge gefallen und das Schiff wird , wie an den Füßen ein Kind , ergriffen und an die Felsen geschleudert .
Hyperion an Bellarmin .
Es gibt große Stunden im Leben .
Wir schauen an ihnen hinauf , wie an den kolossalischen Gestalten der Zukunft und des Altertums , wir kämpfen einen herrlichen Kampf mit ihnen , und bestehen wir vor ihnen , so werden sie , wie Schwestern , und verlassen uns nicht .
Wir saßen einst zusammen auf unserem Berge , auf einem Steine der alten Stadt dieser Insel und sprachen davon , wie hier der Löwe Demosthenes sein Ende gefunden , wie er hier mit heiligem selbsterwähltem Tode aus den Makedonischen Ketten und Dolchen sich zur Freiheit geholfen - Der herrliche Geist ging scherzend aus der Welt , rief einer ; warum nicht ? sagte ich ; er hatte nichts mehr hier zu suchen ; Athen war Alexanders Dirne geworden , und die Welt , wie ein Hirsch , von dem großen Jäger zu Tode gehetzt .
O Athen ! rief Diotima ; ich habe manchmal getrauert , wenn ich dahinaussah , und aus der blauen Dämmerung mir das Phantom des Olympion aufstieg !
Wie weit ist es hinüber ? fragte ich .
Eine Tagreise vielleicht , erwiderte Diotima .
Eine Tagereise , rief ich , und ich war noch nicht drüben ?
Wir müssen gleich hinüber zusammen .
Recht so ! rief Diotima ; wir haben morgen heitere See , und alles steht jetzt noch in seiner Grüne und Reife .
Man braucht die ewige Sonne und das Leben der unsterblichen Erde zu solcher Wallfahrt .
Also morgen ! sagte ich , und unsere Freunde stimmten mit ein .
Wir fuhren früh , unter dem Gesange des Hahns , aus der Reede .
In frischer Klarheit glänzten wir und die Welt .
Goldene stille Jugend war in unseren Herzen .
Das Leben in uns war , wie das Leben einer neugeborenen Insel des Ozeans , worauf der erste Frühling beginnt .
Schon lange war unter Diotima's Einfluss mehr Gleichgewicht in meine Seele gekommen ; heute fühlte ich es dreifach rein , und die zerstreuten schwärmenden Kräfte waren alle in Eine goldene Mitte versammelt .
Wir sprachen unter einander von der Trefflichkeit des alten Athenervolks , woher sie komme , worin sie bestehe .
Einer sagte , das Klima hat es gemacht ; der andere : die Kunst und Philosophie ; der dritte : Religion und Staatsform .
Athenische Kunst und Religion , und Philosophie und Staatsform , sagte ich , sind Blüten und Früchte des Baums , nicht Boden und Wurzel .
Ihr nehmt die Wirkungen für die Ursache .
Wer aber mir sagt , das Klima habe dies alles gebildet , der denke , dass auch wir darin noch leben .
Ungestörter in jedem Betracht , von gewaltsamem Einfluss freier , als irgend ein Volk der Erde , erwuchs das Volk der Athener .
Kein Eroberer schwächt sie , kein Kriegsglück berauscht sie , kein fremder Götterdienst betäubt sie , keine eilfertige Weisheit treibt sie zu unzeitiger Reife .
Sich selber überlassen , wie der werdende Diamant , ist ihre Kindheit .
Man hört beinahe nichts von ihnen , bis in die Zeiten des Pisistratus und Hipparch .
Nur wenig Anteil nahmen sie am trojanischen Kriege , der , wie im Treibhaus , die meisten griechischen Völker zu früh erhitzt und belebte .
- Kein außerordentlich Schicksal erzeugt den Menschen .
groß und kolossalisch sind die Söhne einer solchen Mutter , aber schöne Wesen , oder , was dasselbe ist , Menschen werden sie nie , oder spät erst , wenn die Kontraste sich zu hart bekämpfen , um nicht endlich Frieden zu machen .
In üppiger Kraft eilt Lakedämon den Athenern voraus , und hätte sich eben deswegen auch früher zerstreut und aufgelöst , wäre Lycurg nicht gekommen , und hätte mit seiner Zucht die übermütige Natur zusammengehalten .
Von nun an war denn auch an dem Spartaner alles erbildet , alle Vortrefflichkeit errungen und erkauft durch Fleiß und selbstbewusstes Streben , und soviel man in gewissem Sinne von der Einfalt der Spartaner sprechen kann , so war doch , wie natürlich , eigentliche Kindereinfalt ganz nicht unter ihnen .
Die Lacedämonier durchbrachen zu frühe die Ordnung des Instinkts , sie schlugen zu früh aus der Art , und so musste denn auch die Zucht zu früh mit ihnen beginnen ; denn jede Zucht und Kunst beginnt zu früh , wo die Natur des Menschen noch nicht reif geworden ist .
Vollendete Natur muss in dem Menschenkinde leben , ehe es in die Schule geht , damit das Bild der Kindheit ihm die Rückkehr zeige aus der Schule zu vollendeter Natur .
Die Spartaner blieben ewig ein Fragment ; denn wer nicht einmal ein vollkommenes Kind war , der wird schwerlich ein vollkommener Mann .
- Freilich hat auch Himmel und Erde für die Athener , wie für alle Griechen , das ihre getan , hat ihnen nicht Armut und nicht Überfluss gereicht .
Die Strahlen des Himmels sind nicht , wie ein Feuerregen , auf sie gefallen .
Die Erde verzärtelte , berauschte sie nicht mit Liebkosungen und übergütigen Gaben , wie sonst wohl hie und da die thörige Mutter tut .
Hierzu kam die wundergroße Tat des Theseus , die freiwillige Beschränkung seiner eigenen königlichen Gewalt .
O ! solch ein Samenkorn in die Herzen des Volks geworfen , muss einen Ozean von goldenen Ähren erzeugen , und sichtbar wirkt und wuchert es spät noch unter den Athenern .
Also noch einmal ! dass die Athener so frei von gewaltsamem Einfluss aller Art , so recht bei mittelmässiger Kost aufwuchsen , das hat sie so vortrefflich gemacht , und dies nur konnte es !
Lasst von der Wiege an den Menschen ungestört ! treibt aus der engvereinten Knospe seines Wesens , treibt aus dem Hüttchen seiner Kindheit ihn nicht heraus ! tut nicht zu wenig , dass er euch nicht entbehre und so von ihm euch unterscheide , tut nicht zu viel , dass er eure oder seine Gewalt nicht fühle , und so von ihm euch unterscheide , kurz , lasst den Menschen spät erst wissen , dass es Menschen , dass es irgend etwas außer ihm gibt , denn so nur wird er Mensch .
Der Mensch ist aber ein Gott , so bald er Mensch ist .
Und ist er ein Gott , so ist er schön .
Sonderbar ! rief einer von den Freunden .
Du hast noch nie so tief aus meiner Seele gesprochen , rief Diotima .
Ich habe es von Dir , erwidert ich .
So war der Athener ein Mensch , fuhr ich fort , so musst er es werden .
Schön kam er aus den Händen der Natur , schön , an Leib und Seele , wie man zu sagen pflegt .
Das erste Kind der menschlichen , der göttlichen Schönheit ist die Kunst .
In ihr verjüngt und wiederholt der göttliche Mensch sich selbst .
Er will sich selber fühlen , darum stellt er seine Schönheit gegenüber sich .
So gab der Mensch sich seine Götter .
Denn im Anfang war der Mensch und seine Götter Eins , da , sich selber unbekannt , die ewige Schönheit war . -
Ich spreche Mysterien , aber sie sind . -
Das erste Kind der göttlichen Schönheit ist die Kunst .
So war es bei den Athenern .
Der Schönheit zweite Tochter ist Religion .
Religion ist Liebe der Schönheit .
Der Weise liebt sie selbst , die Unendliche , die Allumfassende ; das Volk liebt ihre Kinder , die Götter , die in mannigfaltigen Gestalten ihm erscheinen .
Auch so war_es bei den Athenern .
Und ohne solche Liebe der Schönheit , ohne solche Religion ist jeder Staat ein dürr Gerippe ohne Leben und Geist , und alles Denken und Tun ein Baum ohne Gipfel , eine Säule , wovon die Krone herabgeschlagen ist .
Dass aber wirklich dies der Fall war bei den Griechen und besonders den Athenern , dass ihre Kunst und ihre Religion die echte Kinder ewiger Schönheit - vollendeter Menschennatur - sind , und nur hervorgehen konnten aus vollendeter Menschennatur , das zeigt sich deutlich , wenn man nur die Gegenstände ihrer heiligen Kunst , und die Religion mit unbefangenem Auge sehen will , womit sie jene Gegenstände liebten und ehrten .
Mängel und Misstritte gibt es überall und so auch hier .
Aber das ist sicher , dass man in den Gegenständen ihrer Kunst doch meist den reifen Menschen findet .
Da ist nicht das Kleinliche , nicht das Ungeheure der Ägypter und Goten , da ist Menschensinn und Menschengestalt .
Sie schweifen weniger als andere , zu den Extremen des Übersinnlichen und des Sinnlichen aus .
In der schönen Mitte der Menschheit bleiben ihre Götter mehr , denn andere .
Und wie der Gegenstand , so auch die Liebe .
Nicht zu knechtisch und nicht gar zu sehr vertraulich !
- Aus der Geistesschönheit der Athener folgte denn auch der nötige Sinn für Freiheit .
Der Ägypter trägt ohne Schmerz die Despotie der Willkür , der Sohn des Nordens ohne Widerwillen die Gesezesdespotie , die Ungerechtigkeit in Rechtsform ; denn der Ägypter hat von Mutterleib an einen Huldigungs- und Vergötterungstrieb ; im Norden glaubt man an das reine freie Leben der Natur zu wenig , um nicht mit Aberglauben am gesetzlichen zu hängen .
Der Athener kann die Willkür nicht ertragen , weil seine göttliche Natur nicht will gestört sein , er kann Gesetzlichkeit nicht überall ertragen , weil er ihrer nicht überall bedarf .
Drako taugt für ihn nicht .
Er will zart behandelt sein , und tut auch recht daran .
Gut ! unterbrach mich einer , das begreife ich , aber , wie dies dichterische religiöse Volk nun auch ein philosophisch Volk sein soll , das sehe ich nicht .
Sie wären sogar , sagte ich , ohne Dichtung nie ein philosophisch Volk gewesen !
Was hat die Philosophie , erwidert er , was hat die kalte Erhabenheit dieser Wissenschaft mit Dichtung zu tun ?
Die Dichtung , sagte ich , meiner Sache gewiss , ist der Anfang und das Ende dieser Wissenschaft .
Wie Minerva aus Jupiters Haupt , entspringt sie aus der Dichtung eines unendlichen göttlichen Seins .
Und so läuft am Ende auch wieder in ihr das Unvereinbare in der geheimnisvollen Quelle der Dichtung zusammen .
Das ist ein paradoxer Mensch , rief Diotima , jedoch ich ahn ihn .
Aber ihr schweift mir aus .
Von Athen ist die Rede .
Der Mensch , begann ich wieder , der nicht wenigstens im Leben Einmal volle lautere Schönheit in sich fühlte , wenn in ihm die Kräfte seines Wesens , wie die Farben am Irisbogen , in einander spielten , der nie erfuhr , wie nur in Stunden der Begeisterung alles innigst übereinstimmt , der Mensch wird nicht einmal ein philosophischer Zweifler werden , sein Geist ist nicht einmal zum Niederreissen gemacht , geschweige zum Aufbaun .
Denn glaubt es mir , der Zweifler findet darum nur in allem , was gedacht wird , Widerspruch und Mangel , weil er die Harmonie der mangellosen Schönheit kennt , die nie gedacht wird .
Das trockene Brot , das menschliche Vernunft wohlmeinend ihm reicht , verschmähet er nur darum , weil er ingeheim am Göttertische schwelgt .
Schwärmer ! rief Diotima , darum warst auch Du ein Zweifler .
Aber die Athener !
Ich bin ganz nach an ihnen , sagte ich .
Das große Wort , das εν διαφερον εαυτω ( das Eine in sich selber unterschiedene ) des Heraklit , das konnte nur ein Grieche finden , denn es ist das Wesen der Schönheit , und ehe das gefunden war , gab_es keine Philosophie .
Nun konnte man bestimmen , das ganze war da .
Die Blume war gereift ; man konnte nun zergliedern .
Der Moment der Schönheit war nun kund geworden unter den Menschen , war da im Leben und Geiste , das Unendlicheinige war .
I. Bd. K Man konnte es aus einander setzen , zerteilen im Geiste , konnte das Geteilte neu zusammendenken , konnte so das Wesen des Höchsten und Besten mehr und mehr erkennen und das Erkannte zum Gesetze geben in des Geistes mannigfaltigen Gebieten .
Seht ihr nun , warum besonders die Athener auch ein philosophisch Volk sein mussten ?
Das konnte der Ägypter nicht .
Wer mit dem Himmel und der Erde nicht in gleicher Liebe ' und Gegenliebe lebt , wer nicht in diesem Sinne einig lebt mit dem Elemente , worin er sich regt , ist von Natur auch in sich selbst so einig nicht , und erfährt die ewige Schönheit wenigstens so leicht nicht wie ein Grieche .
Wie ein prächtiger Despot , wirft seine Bewohner der orientalische Himmelsstrich mit seiner Macht und seinem Glanze zu Boden , und , ehe der Mensch noch gehen gelernt hat , muss er knien , ehe er sprechen gelernt hat , muss er beten ; ehe sein Herz ein Gleichgewicht hat , muss es sich neigen , und ehe der Geist noch stark genug ist , Blumen und Früchte zu tragen , ziehet Schicksal und Natur mit brennender Hitze alle Kraft aus ihm .
Der Ägypter ist hingegeben , ehe er ein Ganzes ist , und darum weiß er nichts vom Ganzen , nichts von Schön heit , und das Höchste , was er nennt , ist eine verschleierte Macht , ein schauerhaft Rätsel ; die stumme finstere Isis ist sein Erstes und letztes , eine leere Unendlichkeit und da heraus ist nie Vernünftiges gekommen .
Auch aus dem erhabensten Nichts wird Nichts geboren .
Der Norden treibt hingegen seine Zöglinge zu früh in sich hinein , und wenn der Geist des feurigen Aegyptiers zu reiselustig in die Welt hinaus eilt , schickt im Norden sich der Geist zur Rückkehr in sich selbst an , ehe er nur reisefertig ist .
Man muss im Norden schon verständig sein , noch ehe ' ein reif Gefühl in einem ist , man misst sich Schuld von allem bei , noch ehe die Unbefangenheit ihr schönes Ende erreicht hat ; man muss vernünftig , muss zum selbstbewussten Geiste werden , ehe man Mensch , zum klugen Manne , ehe man Kind ist ; die Einigkeit des ganzen Menschen , die Schönheit lässt man nicht in ihm gedeihen und reifen , ehe er sich bildet und entwickelt .
Der bloße Verstand , die bloße Vernunft sind immer die Könige des Nordens .
Aber aus bloßem Verstand ist nie verständiges , aus bloßer Vernunft ist nie vernünftiges gekommen .
Verstand ist ohne Geistesschönheit , wie ein dienstbarer Geselle , der den Zaun aus grobem Holze zimmert , wie ihm vorgezeichnet ist , und die gezimmerten Pfähle an einander nagelt , für den Garten , den der Meister bauen will .
Des Verstandes ganzes Geschäft ist Notwerk .
Vor dem Unsinn , vor dem Unrecht schützt er uns , indem er ordnet ; aber sicher zu sein vor Unsinn und vor Unrecht ist doch nicht die höchste Stufe menschlicher Vortrefflichkeit .
Vernunft ist ohne Geistes- , ohne Herzensschönheit , wie ein Treiber , den der Herr des Hauses über die Knechte gesetzt hat ; der weiß , so wenig , als die Knechte , was aus alle der unendlichen Arbeit werden soll , und ruft nur : tummelt euch , und sieht es fast ungern , wenn es vor sich geht , denn am Ende hätte er ja nichts mehr zu treiben , und seine Rolle wäre gespielt .
Aus bloßem Verstande kommt keine Philosophie , denn Philosophie ist mehr , denn nur die beschränkte Erkenntnis des Vorhandenen .
Aus bloßer Vernunft kommt keine Philosophie , denn Philosophie ist mehr , denn blinde Forderung eines nie zu endigenden Fortschritts in Vereinigung und Unterscheidung eines möglichen Stoffs .
Leuchtet aber das göttliche εν διαφερον εαυτω , das Ideal der Schönheit der strebenden Vernunft , so fordert sie nicht blind , und weiß , warum , wozu sie fordert .
Scheint , wie der Maitag in des Künstlers Werkstatt , dem Verstande die Sonne des Schönen zu seinem Geschäfte , so schwärmt er zwar nicht hinaus und lässt sein Notwerk stehen , doch denkt er gerne des Festtags , wo er wandeln wird im verjüngenden Frühlingslichte .
So weit war ich , als wir landeten an der Küste von Attika .
Das alte Athen lag jetzt zu sehr uns im Sinne , als dass wir hätten viel in der Ordnung sprechen mögen , und ich wunderte mich jetzt selber über die Art meiner Äusserungen .
Wie bin ich doch , rief ich , auf die trocknen Berggipfel geraten , worauf ihr mich saht ?
Es ist immer so , erwiderte Diotima , wenn uns recht wohl ist .
Die üppige Kraft sucht eine Arbeit .
Die jungen Lämmer stoßen sich die Stirnen an einander , wenn sie von der Mutter Milch gesättigt sind .
Wir gingen jetzt am Lykabeltus hinauf , und blieben , trotz der Eile , zuweilen stehen , in Gedanken und wunderbaren Erwartungen .
Es ist schön , dass es dem Menschen so schwer wird , sich vom Tode dessen , was er liebt , zu überzeugen , und es ist wohl keiner noch zu seines Freundes Grabe gegangen , ohne die leise Hoffnung , da dem Freunde wirklich zu begegnen .
Mich ergriff das schöne Phantom des alten Athens , wie einer Mutter Gestalt , die aus dem Totenreich zurückkehrt .
O Parthenon ! rief ich , Stolz der Welt ! zu deinen Füßen liegt das Reich des Neptun , wie ein bezwungener Löwe , und wie Kinder , sind die anderen Tempel um dich versammelt , und die beredte Agora und der Hain des Akademus - Kannst du so dich in die alte Zeit versetzen , sagte Diotima .
Mahne mich nicht an die Zeit ! erwidert ich ; es war ein göttlich Leben und der Mensch war da der Mittelpunkt der Natur .
Der Frühling , als er um Athen her blühte , war er , wie eine bescheidene Blume an der Jungfrau Busen ; die Sonne ging Schamrot auf über den Herrlichkeiten der Erde .
Die Marmorfelsen des Hymettos und Pendele sprangen hervor aus ihrer schlummernden Wiege , wie Kinder aus der Mutter Schoß , und gewannen Form und Leben unter den zärtlichen Athener-Händen .
Honig reichte die Natur und die schönsten Veilchen und Myrten und Oliven .
Die Natur war Priesterin und der Mensch ihr Gott , und alles Leben in ihr und jede Gestalt und jeder Ton von ihr nur Ein begeistertes Echo des Herrlichen , dem sie gehörte .
Ihn feiert , ihm nur opferte sie .
Er war es auch wert , er mochte liebend in der heiligen Werkstatt sitzen und dem Götterbilde , das er gemacht , die Knie umfassen , oder auf dem Vorgebirge , auf Suniums grüner Spitze , unter den horchenden Schülern gelagert , sich die Zeit verkürzen mit hohen Gedanken , oder er mochte im Stadium laufen , oder vom Rednerstuhle , wie der Gewittergott , Regen und Sonnenschein und Blitze senden und goldene Wolken - O siehe !
rief jetzt Diotima mir plötzlich zu .
Ich sah , und hätte vergehen mögen vor dem allmächtigen Anblick .
Wie ein unermesslicher Schiffbruch , wenn die Orkane verstummt sind und die Schiffer entflohen , und der Leichnam der zerschmetterten Flotte unkenntlich auf der Sandbank liegt , so lag vor uns Athen , und die verwaisten Säulen standen vor uns , wie die nackten Stämme eines Walds , der am Abend noch grünte , und des Nachts darauf im Feuer aufging .
Hier , sagte Diotima , lernt man stille sein über sein eigen Schicksal , es sei gut oder böse .
Hier lernt man stille sein über Alles , fuhr ich fort .
Hätten die Schnitter , die dies Kornfeld gemäht , ihre Scheunen mit seinen Halmen bereichert , so wäre nichts verloren gegangen , und ich wollte mich begnügen , hier als Ährenleser zu stehen ; aber wer gewann denn ?
Ganz Europa , erwidert einer von den Freunden . O ja ! rief ich , sie haben die Säulen und Statuen weggeschleift und an einander verkauft , haben die edlen Gestalten nicht wenig geschätzt , der Seltenheit wegen , wie man Papageien und Affen schätzt .
Sage das nicht ! erwidert derselbe ; und mangelt' auch wirklich ihnen der Geist von alle dem Schönen , so wäre es , weil der nicht weggetragen werden konnte und nicht gekauft .
Ja wohl ! rief ich .
Dieser Geist war auch untergegangen noch ehe die Zerstörer über Attika kamen .
Erst , wenn die Häuser und Tempel ausgestorben , wagen sich die wilden Tiere in die Tore und Gassen .
Wer jenen Geist hat , sagte Diotima trö stend , dem steht Athen noch , wie ein blühender Fruchtbaum .
Der Künstler ergänzt den Torso sich leicht .
Wir gingen des anderen Tages früh aus , sahen die Ruinen des Parthenon , die Stelle des alten Bacchustheaters , den Theseustempel , die sechzehn Säulen , die noch übrig stehen vom göttlichen Olympion ; am meisten aber ergriff mich das alte Tor , wodurch man ehemals aus der alten Stadt zur neuen herauskam , wo gewiss einst tausend schöne Menschen an Einem Tage sich grüßten .
Jetzt kommt man weder in die alte noch in die neue Stadt durch dieses Tor , und stumm und öde steht es da , wie ein vertrockneter Brunnen , aus dessen Röhren einst mit freundlichem Geplätscher das klare frische Wasser sprang .
Ach ! sagte ich , indes wir so herumgienen , es ist wohl ein prächtig Spiel des Schicksals , dass es hier die Tempel niederstürzt und ihre zertrümmerten Steine den Kindern herumzuwerfen gibt , dass es die zerstümmelten Götter zu Bänken vor der Bauernhütte und die Grabmäler hier zur Ruhestätte des weidenden Stiers macht , und eine solche Verschwendung ist königlicher , als der Mutwille der Kleopatra , da sie die geschmolzenen Perlen trank aber es ist doch Schade um alle die Größe und Schönheit !
Guter Hyperion ! rief Diotima , es ist Zeit , dass Du weggehst ; Du bist blass und dein Auge ist müde , und Du suchst dir umsonst mit Einfällen zu helfen .
Komme hinaus ! ins Grüne ! unter die Farben des Lebens ! das wird Dir wohltun .
Wir gingen hinaus in die nahegelegenen Gärten .
Die anderen waren auf dem Wege mit zwei britischen Gelehrten , die unter den Altertümern in Athen ihre Ernte hielten , ins Gespräch geraten und nicht von der Stelle zu bringen .
Ich ließ sie gerne .
Mein ganzes Wesen richtete sich auf , da ich einmal wieder mit Diotima allein mich sah ; sie hatte einen herrlichen Kampf bestanden mit dem heiligen Chaos von Athen .
Wie das Saitenspiel der himmlischen Muse über den uneinigen Elementen , herrschten Diotima's stille Gedanken über den Trümmern .
Wie der Mond aus zartem Gewölk , hob sich ihr Geist aus schönem Leiden empor ; das himmlische Mädchen stand in seiner Wehmut da , wie die Blume , die in der Nacht am lieblichsten duftet .
Wir gingen weiter und weiter , und waren am Ende nicht umsonst gegangen .
O ihr Haine von Angele , wo der Ölbaum und die Zypresse , umeinander flüsternd , mit freundlichen Schatten sich kühlen , wo die goldene Frucht des Zitronenbaums aus dunklem Laube blinkt , wo die schwellende Traube mutwillig über den Zaun wächst , und die reife Pomeranze , wie ein lächelnder Findling , im Wege liegt !
ihr duftenden heimlichen Pfade ! ihr friedlichen Sitze , wo das Bild des Myrtenstrauchs aus der Quelle lächelt ! euch werde ich nimmer vergessen .
Diotima und ich gingen eine Weile unter den herrlichen Bäumen umher , bis eine große heitere Stelle sich uns darbot .
Hier setzten wir uns .
Es war eine selige Stille unter uns .
Mein Geist umschwebte die göttliche Gestalt des Mädchens , wie eine Blume der Schmetterling , und alle mein Wesen erleichterte , vereinte sich in der Freude der begeisternden Betrachtung .
Bist Du schon wieder getröstet , Leichtsinniger ? sagte Diotima .
Ja ! ja ! ich bin_es , erwidert ich .
Was ich verloren wähnte , habe ich , wonach ich schmachtete , als wäre es aus der Welt schwan den , das ist vor mir .
Nein , Diotima ! noch ist die Quelle der ewigen Schönheit nicht versiegt .
Ich habe Dir es schon einmal gesagt , ich brauche die Götter und die Menschen nicht mehr .
Ich weiß , der Himmel ist ausgestorben , entvölkert , und die Erde , die einst überfloss von schönem menschlichen Leben , ist fast , wie ein Ameisenhaufe , geworden .
Aber noch gibt es eine Stelle , wo der alte Himmel und die alte Erde mir lacht .
Denn alle Götter des Himmels und alle göttlichen Menschen der Erde vergesse ich in Dir .
Was kümmert mich der Schiffbruch der Welt , ich weiß von nichts , als meiner seligen Insel .
Es gibt eine Zeit der Liebe , sagte Diotima mit freundlichem Ernste , wie es eine Zeit gibt , in der glücklichen Wiege zu leben .
Aber das Leben selber treibt uns heraus .
Hyperion ! -
hier ergriff sie meine Hand mit Feuer , und ihre Stimme erhob mit Größe sich - Hyperion !
mich deucht , Du bist zu höheren Dingen geboren .
Verkenne Dich nicht ! der Mangel am Stoffe hielt Dich zurück .
Es ging nicht schnell genug .
Das schlug Dich nieder .
Wie die jungen Fechter , fielst Du zu rasch aus , ehe noch dein Ziel gewiss und deine Faust gewandt war , und weil Du , wie natürlich , mehr getroffen wurdest , als Du trafst , so wurdest du scheu und zweifeltest an Dir und allem ; denn Du bist so empfindlich , als Du heftig bist .
Aber dadurch ist nichts verloren .
Wäre dein Gemüt und deine Tätigkeit so frühe reif geworden , so wäre dein Geist nicht , was er ist ; Du wärst der denkende Mensch nicht , wärst Du nicht der leidende , der gehrende Mensch gewesen .
Glaube mir , Du hättest nie das Gleichgewicht der schönen Menschheit so rein erkannt , hättest Du es nicht so sehr verloren gehabt .
Dein Herz hat endlich Frieden gefunden .
Ich will es glauben .
Ich verstehe es .
Aber denkst du wirklich , dass Du nun am Ende seist ?
Willst Du dich verschließen in den Himmel deiner Liebe , und die Welt , die Deiner bedürfte , verdorren und erkalten lassen unter Dir ?
Du musst , wie der Lichtstrahl , herab , wie der frischende Regen , musst Du nieder ins Land der Sterblichkeit , Du musst erleuchten , wie Apoll , erschüttern , beleben , wie Jupiter , sonst bist Du deines Himmels nicht wert .
Ich bitte Dich , gehe nach Athen hinein , noch Einmal , und siehe die Menschen auch an , die dort herumgehen unter den Trümmern , die rohen Albaner und die anderen guten kindischen Griechen , die mit einem lustigen Tanze und einem heiligen Märchen sich trösten über die schmähliche Gewalt , die über ihnen lastet - kannst Du sagen , ich schäme mich dieses Stoffs ?
Ich meine , er wäre doch noch bildsam .
Kannst Du dein Herz abwenden von den Bedürftigen ?
Sie sind nicht schlimm , sie haben Dir nichts zu leidgetan !
Was kann ich für sie tun , rief ich .
Gib ihnen , was Du in Dir hast , erwiderte Diotima , gib - Kein Wort , kein Wort mehr , große Seele ! rief ich , Du beugst mich sonst , es ist ja sonst , als hättest Du mit Gewalt mich dazu gebracht - Sie werden nicht glücklicher sein , aber edler , nein !
sie werden auch glücklicher sein .
Sie müssen heraus , sie müssen hervorgehen , wie die jungen Berge aus der Meersflut , wenn ihr unterirdisches Feuer sie treibt .
Zwar stehe ich allein und trete ruhmlos unter sie .
Doch Einer , der ein Mensch ist , kann er nicht mehr , denn Hunderte , die nur Teile sind des Menschen ?
Heilige Natur ! du bist dieselbe in und außer mir .
Es muss so schwer nicht sein , was außer mir ist , zu vereinen mit dem Göttlichen in mir .
Gelingt der Biene doch ihr kleines Reich , warum sollte denn ich nicht pflanzen können und baun , was Not ist ?
Was ? der arabische Kaufmann säte seinen Koran aus , und es wuchs ein Volk von Schülern , wie ein unendlicher Wald , ihm auf , und der Acker sollte nicht auch gedeihen , wo die alte Wahrheit wiederkehrt in neu lebendiger Jugend ?
Es werde von Grund aus anders !
Aus der Wurzel der Menschheit sprosse die neue Welt !
Eine neue Gottheit walte über ihnen , eine neue Zukunft kläre vor ihnen sich auf .
In der Werkstatt , in den Häusern , in den Versammlungen , in den Tempeln , überall werde es anders !
Aber ich muss noch ausgehen , zu lernen .
Ich bin ein Künstler , aber ich bin nicht geschickt .
Ich bilde im Geiste , aber ich weiß noch die Hand nicht zu führen - Du gehest nach Italien , sagte Diotima , nach Deutschland , Frankreich - wie viel Jahre brauchst Du ? drei - vier - ich denke drei sind genug ; Du bist ja keiner von den Langsamen , und suchst das Größte und das Schönste nur - " Und dann ? "
Du wirst Erzieher unseres Volks , Du wirst ein großer Mensch sein , hoffe ich .
Und wenn ich dann Dich so umfasse , da werde ich träumen , als wäre ich ein Teil des herrlichen Manns , da werde ich frohlocken , als hättest Du mir die Hälfte deiner Unsterblichkeit , wie Pollux dem Kastor , geschenkt , o !
ich werde ' ein stolzes Mädchen werden , Hyperion !
Ich schwieg eine Weile .
Ich war voll unaussprechlicher Freude .
Gibt es denn Zufriedenheit zwischen dem Entschluss und der Tat , begann ich endlich wieder , gibt es eine Ruhe vor dem Siege ?
Es ist die Ruhe des Helden , sagte Diotima , es gibt Entschlüsse , die , wie Götterworte , Gebot und Erfüllung zugleich sind , und so ist der Deine .
- Wir gingen zurück , wie nach der ersten Umarmung .
Es war uns alles fremd und neu geworden .
Ich stand nun über den Trümmern von Athen , wie der Ackersmann auf dem Brachfeld .
Liege nur ruhig , dachte ich , da wir wieder zu Schiffe gingen , liege nur ruhig , schlummerndes Land !
Bald grünt das junge Leben aus dir , und wächst den Segnungen des Himmels entgegen .
Bald regnen die Wolken nimmer umsonst , bald findet die Sonne die alten Zöglinge wieder .
Du fragst nach Menschen , Natur ?
Du klagst , wie ein Saitenspiel , worauf des Zufalls Bruder , der Wind , nur spielt , weil der Künstler , der es ordnete , gestorben ist ?
Sie werden kommen , deine Menschen , Natur !
Ein verjüngtes Volk wird dich auch wieder verjüngen , und du wirst werden , wie seine Braut und der alte Bund der Geister wird sich erneuen mit dir .
Es wird nur Eine Schönheit sein ; und Menschheit und Natur wird sich vereinen in Eine allumfassende Gottheit .
- Rechtsinhaber*in
- Bildungsroman Projekt
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Korpus. Hyperion: Band 1. Hyperion: Band 1. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0k0.0