Es ist ein bekanntes Sprichwort : daß auch Bücher , größere wie kleinere , ihre Schicksale haben .
So waren es nur unvermutete Hindernisse , Störungen und Zufälle , welche veranlaßten , daß gegenwärtige Novelle nicht schon vor vielen Jahren den Lesern mitgeteilt wurde .
Der Plan zu dieser Erzählung ist geradezu einer meiner frühesten Entwürfe , denn er entstand schon im Frühjahr 1795 .
Der Wunsch , klare und bestimmte Ausschnitte unseres echten deutschen Lebens , seiner Verhältnisse und Aussichten wahrhaft zu zeichnen , regte sich lebhaft in mir .
Cervantes' Novellen hatten mich schon damals begeistert .
Manche andere Entwürfe wurden ausgeführt , und drängten diese Novelle , welche meine früheste war , und den Anlaß zu den späteren gab , zurück .
Erst im Jahre 1811 begann ich die Ausarbeitung , die jetzt sich mehr ausdehnte und bunter ausfiel , als es im ersten Entwurfe lag .
Rasch schritt ich vor , und damals , wenn das Werk geendigt worden , war mancher Gedanke über Zünfte , Bürgerlichkeit und dergleichen mehr an der Tagesordnung ; vieles gewissermaßen neu und noch unbesprochen .
Die Ruhe aber fand sich nicht , um die Aufgabe zu vollenden , doch wurde schon im Jahre 1819 das , was geschrieben war , der Presse übergeben , und ich hoffte , mit dem Sommer meinem befreundeten Verleger das ganze Werk dessen Druck er sogleich begann , übersenden zu können .
Diese Erfüllung ist aber jetzt erst eingetreten , und so bietet sich nun die Erfindung , so früh begonnen , so oft verzögert und so spät vollendet , dem Wohlwollen des Lesers .
Ein ähnliches Schicksal traf " den Aufruhr in den Cevennen " .
Er wäre jetzt statt dieses Werkes erschienen , wenn mich nicht diese Laune aus meiner Jugend zu lebhaft angeregt hätte , sie fortzusetzen und zu beschließen .
Da zu jenem unterbrochenen Werke längst alles vorbereitet ist , so darf ich hoffen , auch dies dem Publikum nächstens übergeben zu können .
Wenn die jüngere ungestüme Welt mich jetzt so oft aufruft und schilt , ich soll lernen , erfahren , mitgehen , verstehen und fassen , und ich werfe einmal Blicke in diese Produkte meiner neuesten und frischesten Zeitgenossen , so kann ich mich des Lächelns nicht erwehren , weil so viele großen Entdeckungen und Wahrheiten schon längst in meinen Schriften , zum Teil den frühesten , stehen .
Ich darf mir wohl das Zeugnis geben , daß ich immerdar forsche und mehr lerne , je älter ich werde ; aber - wie Goethe auch schon einmal das veraltete Sprichwort auf sich anwendet - man soll oft erfahren und über das erstaunen , als über wichtige Entdeckung , was man schon längst an den Schuhsohlen abgelaufen hat . -
Oberflächliche Allseitigkeit war mir immer verhaßt .
Nur in seinem wahren Beruf kann der Mensch stark sein , irgendwo muß er ganz zu Hause sein und fest stehen ; ich aber glaube nicht , daß ich mir willkürlich meine Kreise zu enge gezogen habe .
Es ist wohl nicht unbillig , von Rezensierenden , die mich tiefsinnig tadeln wollen , zu erwarten , daß sie meine Schriften gelesen haben .
Da ich die Form der Novelle auch dazu geeignet halte , manches in konventioneller oder echter Sitte und Moral Hergebrachte überschreiten zu dürfen ( wodurch sie auch vom Roman und dem Drama sich bestimmt unterscheidet ) , so mache ich in dieser Beziehung nur auf jene Andeutung aufmerksam , welche die Vorrede zum elften Bande meiner gesammelten Schriften beschließt .
Dresden , im April-Monat. L. Tieck Erster Abschnitt Erster Abschnitt Leonhard , der junge Tischlermeister , lehnte sich aus dem Fenster , schaute in den alten Nussbaum hinauf und übersah dann seinen Hof .
Der Dunst von den Brettern , welche zum Trockenen aufgestapelt waren , das Zwitschern der Schwalben , die auf und ab , von und zu ihren Nestern flogen , ein ferner Gesang aus einem Dachstübchen der nächsten Straße herüber , der rote Schimmer der untergehenden Sonne , der im Wipfel des Baumes sich bewegte , dessen Geräusch mit dem Abendliede einzustimmen schien : alles bewegte des jungen Mannes Herz auf eine seltsame Weise , und er fühlte sich beklemmt , als die Schatten sich überall verbreiteten , so daß er im Nachsinnen seine junge Frau nicht bemerkte , die neben ihn getreten war , und ihn jetzt mit einem sanften Schlage aus seiner Träumerei erweckte .
" Wo warst du mit deinen Gedanken ? " fragte sie ihn freundlich .
Er küßte sie herzlich und sagte : " Ich weiß es selbst nicht , liebe Friederike , ich dachte wohl eigentlich nichts , und jetzt erst , da du mich zur Besinnung gebracht hast , ist es mir möglich , von meinen Empfindungen etwas zu wissen .
Du erinnerst dich , mit welcher Sehnsucht wir im vorigen Winter das Frühjahr erwarteten , mit ihm die neue Einrichtung , den Ankauf der Hölzer , den Aufhaue der Schuppen , die Erweiterung meines Gewerbes , und alles ist nun da , besser , reicher , wohlhabender , wie ich es nur wünschen konnte , und indem ich nun jetzt so über meinen Besitzstand hinblickte , in der Ferne die Gesellen arbeiten hörte , und mir aus allen diesen Brettern gleichsam schon alle die Mobilien entgegentraten , die daraus gefertigt werden können , und mir war , als hörte ich das Geld klingen , das mir dafür gezahlt würde , um wieder Bretter einzukaufen , und so immer fort - wurde mir so bänglich zu Sinne , daß ich aus Wehmut auf das Zwitschern der Schwalben hörte , und fast weinen mußte , als das Abendlied der alten Wollspinnerin von drüben herübertönte .
So ist es ; aber was es ist , kann ich selbst nicht sagen . "
" Nichts ist es " , sagte Friederike lachend , " als daß du ein wunderlicher Kauz bist und bleibst .
Aber darum lieb ich dich nur um so mehr , daß du nicht bist wie alle Menschen .
In der Kindheit konnte mich wohl auch solche Furcht anwandeln , mitten unter meinen Befreundeten eine unaussprechliche Bangigkeit .
So hatte mein Oheim sein Haus fertig gebaut , und das Hintergebäude war beinahe auch schon vollendet .
Wir Kinder hatten vor dem Oheim den allergrößten Respekt , die Bauanstalt kam uns sehr ehrwürdig vor , alles , was wir sahen , sprach davon , wie von etwas höchst Wichtigem , und alle die Maurer , Tischler , Zimmerleute und Anstreicher schienen mir mit ihrem Klappern , Tünchen und Hämmern das Erhabenste , was man in dieser Welt erleben könne .
Einen Feierabend spielten wir zwischen den Spänen im Nebengebäude , wir entdeckten da tausend kindische Schätze , und indem ich durch eine Tür krieche , die mit Gerüsten verbaut war , um aus einem anderen Zimmer Klötzchen , Stücke Blech und Hobelspäne in meiner Schürze zu sammeln , überfiel mich in der dämmernden Einsamkeit , unter den stummen Geräten und Gestellen die sonderbarste Angst , eine Furcht vor etwas Unbekanntem , und dabei ein fast lächerliches Gefühl , als wenn der reiche Oheim und sein Bau , und alle seine Arbeiten und Anstalten etwas durchaus Albernes , Läppisches und Unnützes seien , so daß ich mich mit schreiendem Gesang zu meinen Gespielen zurückarbeitete , und mir den ganzen Abend , auch bei den Lichtern , war , als könne ich die vorige Welt nicht wiederfinden .
Eine alte Magd , der ich beim Schlafengehen meine Empfindungen mitteilen wollte , meinte , ich würde wohl den Baugeist gesehen oder gehört haben .
Der Abend ist mir nachher noch oft eingefallen , und freilich muß ich manchmal lachen , wenn ich den übertriebenen Ernst so vieler Menschen sehe und ihre ängstliche Geschäftigkeit , und daß alles doch wieder vergeht , und wenn man über dies dunkle Wesen ängstlich werden möchte , so nenne ich es immer mit meiner alten Magd den Baugeist , und bin beruhigt .
Es ist doch immer so lustig und schön , wenn die Menschen brav arbeiten . "
" Laß uns sehen , was Franz macht " , antwortete Leonhard , und sie gingen beide in ein anderes Zimmer , wo der Knabe neben seinem Lehrer saß und eifrig die Landkarte betrachtete .
Deutschland war aufgeschlagen , und der alte Magister suchte ihm die Einteilung der Kreise , den Lauf der Flüsse und den Zusammenhäng der Gebirge deutlich zu machen .
" Recht in der Mitte Germaniae " , sagte er eben , " liegt allhier das alte Noricum , oder Nürnberg , welches darum billigerweise die Hauptstadt des deutschen Reichskörpers sein sollte . "
Leonhard beugte sich über den Knaben und sah mit in die Karte .
" Ein herrliches Land ist Franken " , fing er an ; " und vor allen das Bambergische und die Ufer des Mains . "
- " Sind wohl dorten gewesen ? " fragte der Magister .
- " Lange Zeit " , antwortete der Meister , " und wunderbar war alles dort nebeneinander , so verschieden und doch so schön vereinigt .
Nürnberg in der Mitte , als der Sitz der Kunst und des Gewerbfleißes , eine alte ehrwürdige Stadt mit ihren Denkmälern , das lustige Anspach ; das schöne Bayreuth mit dem nahen finsteren Fichtelgebirge , das sandige Erlangen , und nicht fern davon die herrlichen Täler von Streitberg und Muggendorf mit ihren Ruinen und Naturwundern ; seitwärts das warme , helle , liebliche Bamberg , mit der unendlich schönen Aussicht von seinem zerstörten Schlosse , mit seinem ehrwürdigen Dom ; dann die schönen Wälder bei Ebrach , und bald dahinter das Weinland Würzburg , und die schönen Wildnisse des Spessart ; nicht fern das reizende Bischofsheim , hinten Mergentheim , Heilbronn , und die Schlösser an der Jagst , der Tauber und dem Neckar , die Pfalz hinunter . "
" Wo wir aber schon die Grenze Franconiae überschritten haben ! " sagte der Magister .
- " Gewiß " , antwortete Leonhard , " nur rissen mich die Jugenderinnerungen hin . "
Er seufzte , und verfolgte auf der Landkarte den Lauf der Ströme .
" Herr Leonhard " , fuhr der Magister fort , " könnten selber den Sohn in Geographia unterrichten , da Sie alles , oder das meiste gesehen haben , es würde ihm zweifelsohne deutlicher werden , da die eigene Anschauung sich leichter mitteilt ; freilich müßte ich wohl , wenn er erwachsener ist , wieder in das Mittel treten , um ihm die ältere Länder-Einteilung und was Austrasia und Neustria gewesen , historisch zu erklären . "
Man wollte sich zum Abendessen in das größere Zimmer begeben , als der Altgeselle des Gewerkes mit seinem Spruch hereintrat und ankündigte , daß zwei Fremde eingewandert wären , die Leonhard , nachdem er auf die herkömmliche Weise geantwortet hatte , annahm , weil sich sein Gewerbe mit jeder Woche vergrößerte .
Die Fremden sollten am folgenden Tage einziehen und der Meister , seine Frau und der Magister nebst Franz gingen in die andere Stube , die schon erleuchtet war , und wo vier Gesellen und drei Lehrburschen ihrer warteten .
Leonhard setzte sich , zu seiner Linken der Magister und neben diesen die Frau , welcher der Knabe folgte , an einen runden Tisch ; neben dem Knaben standen die Bursche , und rechts vom Meister saßen die Gesellen in der Ordnung , in der sie früher oder später in sein Haus gekommen waren .
Ein kurzes Tischgebet wurde gesprochen , und die Mahlzeit unter fröhlichen Reden vollendet .
Die Gesellen erzählten von dem einen Fremden , welchen sie schon kannten , und mit dem der älteste in Augsburg gearbeitet hatte ; man rühmte ihn als geschickt , tadelte aber sein unordentliches Wesen und seine Liebe zum Trunk , wodurch er zu nichts kommen könne , und unerachtet seines guten Verdienstets immer nur schlecht in Kleidern einhergehe .
Leonhard erzählte manche unglückliche Beispiele ähnlicher Art , und beklagte , daß durch Leichtsinn und schlechte Gewohnheit sich nur zu oft die geschicktesten und sonst fleißigsten Menschen ein trauriges Alter zubereiteten .
Der Magister sprach nur selten , und wenn es geschah , meist in lateinischen Sprüchen , wobei er jedesmal den jüngsten der Gesellen scharf ansah , weil dieser ihn zuweilen lächelnd von der Seite betrachtete , und der Alte Spott in seinen Blicken zu lesen glaubte .
Auch war es zu entschuldigen , wenn die Gestalt des Magisters komisch auffiel , und besonders jüngern Leuten Veranlassung zum Lachen gab .
Sein altes Gesicht war feierlich und voll Runzeln , und verriet mehr Jahre , als er wirklich verlebt hatte ; er trug noch ( was schon anfing selten zu werden ) eine Perücke , die aber niemals gepudert war , oft ungekämmt und zerzaust schien und fast nie gerade saß , zwei Schleifen eines engen Halstuches hingen ihm über der Brust , die Weste prangte mit schwarzen Knöpfen von Gagat , am langschößigen Rock aber trug er Schleifen nach Art der Wiedertäufer , und zinnerne ziemlich große Schnallen glänzten von seinen Füßen .
In allen seinen Gebärden suchte er den Gelehrten darzustellen , und um nicht in den Anstand und die Sprache der Handwerker zu verfallen , die ihm wohl gemein dünken mochten , wurde er hochfahrend und steif , nicht selten linkisch und verlegen , und stieß Gläser und Teller um , obgleich er sich immer beobachtete .
Er war in Wittenberg auf der Schule gewesen , und hatte dort studiert und promoviert , hatte nie Glück gehabt , weil es ihm an jedem Talent fehlte , sich in die Welt und seine Umgebung zu schicken , und war nun hierher , in Leonhards Geburtsstadt geraten , wo er Kindern und jungen Leuten in Sprachen und den Anfängen der Wissenschaft Unterricht gab , sich aber immer höchst armselig behelfen mußte , weil er zu jenen gutmütigen Wesen gehörte , welche alles , ohne zu rechnen , wegschenken , und wenn sie einmal etwas zurückgelegt haben , sich bestehlen lassen , sich aber auch darüber nicht verwundern oder Vorkehrungen dagegen treffen , weil sie die Meinung hegen :
es müsse so und könne nicht anders sein , er wenigstens hätte lieber selber gebettelt , als einen Dieb beim Gericht belangt , wenn er ihn auch kannte oder erriet .
Nächst der Leidenschaft des Trunkes war es die des Spieles , über welche die Tischgesellschaft sprach , und welche Leonhard fast noch gefährlicher schilderte , weil sie schneller zur Armut führt und den Charakter der Menschen untergräbt , so daß nicht selten derjenige , der als ein ehrlicher Mann begann , als Betrüger und Dieb endigen muß .
" Es ist eine sonderbare Frage " , fuhr Leonhard fort , " Ob der Mensch immer stark genug ist , den Leidenschaften widerstehen zu können , oder ob nicht vielleicht mancher doch früher oder später erliegen muß und seinem Schicksale nicht entgehen kann , er mag mit noch so vieler Kunst und Festigkeit nach dieser oder jener Seite ausbeugen . "
" Est problema periculosissimum , " sagte der Magister , " denn axioma est , quod voluntas nostra libera sit .
" Martin , der jüngste Gesell , lächelte wieder .
" Das heißt " , fuhr der Magister mit erhöhter Stimme fort , " damit Er es verstehe , mein guter Juvenis Martin , es ist ein Grundsatz , daß unser Wille durchaus frei ist . "
" Mir fällt diese Frage nur ein " , sagte Leonhard , " weil ich mich eines sonderbaren Falles erinnere , den ich selber erlebt habe .
Als ich noch in der Lehre stand , kannte ich schon einen alten Gesellen , der hier arbeitete .
Er war katholischer Religion und sehr fromm , auch war er eitel darauf , daß man ihn in der Jugend zum Geistlichen bestimmt hatte .
Bei aller Frömmigkeit aber war er nicht stark genug , dem Getränk Widerstand zu leisten , so daß man ihn gewöhnlich Sonntags berauscht sah .
Zwar trank er nicht viel , aber da er sehr lebhaft und von hitziger Einbildung war , stiegen ihm wenige Gläser gleich so in den Kopf , daß er fast nichts von sich wußte , und was das Schlimmste war , so befiel ihn alsdann eine so große Begier zu prahlen und aufzuschneiden , daß er seinen wöchentlichen Verdienst mit vollen Händen ausstreute mochte das Geld nehmen , wer wollte .
Daher fanden sich immer einige liederliche Brüder , die , wenn er in dieser Stimmung war mit ihm Karte oder Würfel spielten und ihn rein ausplünderten , fiel es ihm zuweilen ein , zu zanken , weil er doch Unrecht merken mochte , so trug er zum Überfluß des Unglücks noch Schläge davon .
Am anderen Tage war derselbe Mensch dann der demütigste , bescheidenste und leutseligste ; ja er hätte vor Scham vergehen mögen , daß er sich so hatte betragen können , und fing doch den nächsten Sonntag wieder an , dieselbe Rolle zu spielen .
Diese Art aber , zwischen den beiden Äußersten hin und her zu schwanken , hatte ihm alle Kraft und Festigkeit genommen , so daß er auch niemals den Entschluß fassen konnte , in irgendeiner Stadt das Meisterrecht nachzusuchen , sondern sich lieber , so alt er auch schon wurde , als Gesell durch alle Länder umtrieb .
Nach vielen Jahren , als mich der Zufall auf meiner Wanderschaft nach Triest verschlagen hatte , traf ich diesen alten Menschen wieder .
Aber wie war ich erstaunt , da ich ihn ganz verwandelt fand .
Er trank nie einen Tropfen starken Getränkes , mochte er müde , noch so durstig oder erschöpft sein ; und auf mein Befragen erzählte er mir , daß er vor zwei Jahren sich im Trunke so weit vergessen , daß er einen Geistlichen , der ihn zu ermahnen gesucht , mißhandelt habe , worüber er im Nüchternwerden so erschrocken sei , daß er von diesem Augenblick an das Gelübde getan habe , nie , auch bei der dringendsten Veranlassung , und selbst auf Festen und Hochzeiten etwas anderes als Wasser zu genießen .
Dieses Gelübde hielt er auch so strenge , daß ich die Kraft seines Willens bewundern mußte . "
" Ecce " , rief der Magister , " das leuchtendste Exemplum , daß der Wille des Menschen allerdings frei sei und alles vermöge . "
" Wenn er nur in der Tat durch diese Sinnesänderung gewonnen hätte " , fuhr Leonhard ruhig fort .
" Der Pater hatte dem reuigen Sünder , ich weiß nicht welches Erbauungsbuch , gegeben , das zum Unglück eins von denen war , die man die mystischen nennt , in welchen dem Menschen außer der Vernunft und dem Glauben noch ein neuer Sinn aufgeschlossen werden soll , durch welchen er Gott und dessen Wesen erkennen mag , und durch die Anstrengung der Liebe und eines geheimnisvollen Willens fähig werden , das unbegreifliche Wesen in sich selbst vertraulich und fortdauernd aufzunehmen .
Diese Vorstellungsart , so wenig er auch die meisten Bücher dieser Gattung begreifen mochte , hatte sich des schon gläubigen Menschen so bemeistert , daß er in Muße- und Arbeitsstunden las , und Lutheraner und Katholiken zu seiner Meinung bekehren wollte ; alles Geld , was er erarbeiten konnte , wandte er dazu an , mehr und mehr Bücher dieser Art zu kaufen ; er las in den Nächten , er predigte in der Einsamkeit des Feldes , er glaubte sich zum Apostel berufen , so daß es schien , sein Lebenslauf sollte nicht eben und gerade ausgehen , sondern durch Leidenschaft und Phantasie verwickelt und gestört werden .
War er in früheren Zeiten ausschweifend und töricht , so mußte man ihn jetzt , wenn man es auch noch so gut mit ihm meinte , geradezu einen Narren heißen . "
" Schwärmer oder Mystiker wäre richtiger gewesen " , warf der Magister ein , " an dergleichen Irrlehrern hat die reine christliche Kirche von jeher viel zu leiden gehabt . "
" Jetzt war sein Seelenrausch ununterbrochen " , erzählte der junge Meister weiter .
" Ich gedachte durch das Krain und Kärnten , durch Tirol hinauf nach Augsburg zu gehen , mehr um die herrlichen Gebirge zu sehen , als der Arbeit wegen , denn ich hatte Geld zur Reise zurückgelegt .
Der Alte bot sich zu meinem Begleiter an .
Es war im Spätsommer , das Wetter das vortrefflichste , die Gegenden , durch die wir zogen , die wunderbarsten und zauberreichsten , die ich noch gesehen hatte ; aber der Arme war nicht mehr fähig , die Schönheit der Schöpfung zu genießen ; er sah in den erhabenen Berg- und Felsenmassen nur das Werk der bösen Geister , einen Trotz gegen den Himmel ; er redete sie manchmal in seinem Eifer an , und schalt sie wilde Riesen und Empörer gegen Gott .
Den Verdruß hatte ich auf dem ganzen Wege , und mich gereute oft , daß ich mit ihm gegangen war .
Dazu kam , daß er unter der Last seiner Bücher keuchen und schwitzen mußte , und doch konnte er nicht unterlassen , in jedem Städtchen sich nach anderen Werken dieser Art umzusehen , und zu kaufen , wenn er etwas fand , das ihm erständig war .
So übel ich auch auf seine Besessenheit zu sprechen war , so trug ich ihm doch den größten Teil seines Gepäckes , und bedung mir nur aus , daß er mir in den Ruhestunden nicht vorlesen durfte , worüber er wehmütig die Achseln zuckte .
Wir kamen bei Butzen heraus .
Nie werde ich dies herrliche Tal vergessen und den wundervollen Weg nach Brixen .
Es ging schon gegen die Weinlese , allenthalben konnten wir uns mit Trauben erquicken .
Es war eine Vollmondnacht , und wir hatten beschlossen , von Brixen auszuwandern , die kühle helle Nacht hindurch , und am anderen Mittag irgendwo stille zu liegen , weil die Hitze in den Bergen dort auch um jene Jahreszeit in den Mittagsstunden drückend war .
War mein Gefährte am Tage begeistert , so schien der Mondschein noch stärker auf ihn zu wirken : seine Schilderungen waren so grausenhaft , daß ich mich selbst , wenn der Mond hinter eine Wolke trat , zuweilen eines kleinen Schauders nicht erwehren konnte .
In der Hölle besonders war er wie zu Hause , und genau beschrieb er die vielen Heerscharen ; auch ihre verschiedenen Physiognomien und Gebärden , die von dort täglich und nächtlich auszögen , um seine arme Seele zu bestricken , bald durch Zweifel , bald durch Hochmut , ein anderes Mal durch falsche Gesichte , oder auch durch ängstigende Herzensleere , bis dann im anhaltenden Gebet der Brunnen des Lebens wieder springe und von innen heraus alle seine Kräfte tränke und erfrische .
So mochte es Mitternacht geworden sein , als wir zwischen Brixen und Sterzingen einen Hügel hinanstiegen ; die Gegend war ganz einsam , kein Dorf in der Nähe , rechts ab vom Wege schienen in ziemlicher Entfernung einige Hütten zu liegen , doch mochten es auch Steine sein , denn nichts war im rätselhaften Schimmer des Mondlichtes genau zu unterscheiden .
Sowie wir höher stiegen , hörten wir ein seltsames Rascheln oder Rauschen , und es war nicht anders , als wenn jemand eine große Tonne mit Wasser schüttelt , um sie auszuspülen .
Dies war es denn auch zu meinem größten Befremden :
denn als wir oben waren , sahen wir mitten auf der Landstraße eine ziemlich beleibte , aber kleine menschliche Figur , die mit der größten Behendigkeit ein großes Fass hin und her bewegte .
Mein Gefährte drängte sich dicht an mich ; mir war , gestehe ich , etwas unheimlich : diese sonderbare Beschäftigung hier im einsamen Gebirge , in der stillen Mitternacht , keine menschliche Wohnung in der Nähe .
Um dem nächtlichen Arbeiter vorbeizukommen , mußten wir im Wege etwas ausbeugen , und mit einer etwas ängstlichen Stimme sprachen wir beide den Gruß , der in Tirol gebräuchlich ist :
» Gelobt sei Jesus Christi ! « worauf das Nachtmännlein , ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen , mit einer schnarrenden , näselnden , fast kindisch quäkenden Stimme antwortete : » in Ewigkeit ! «
Wir gingen stumm weiter , schneller , sahen uns nach einigen hundert Schritten bei einer Felsenecke um - und indem wieder eine Wolke dem Monde vorüberzog , war alles verschwunden .
» Hast du ihn gesehen ? « fragte mein Gefährte mit zitternder Angst - » Den ? «
- Ich wagte nicht ihm zu antworten , er nannte den Arbeiter immer nur ihn , und schien sich viel dabei zu denken ; auch ich weiß noch jetzt mir das Abenteuer nicht zu deuten , so natürlich es vielleicht zusammenhängen mag . "
" Im besten Falle " , sagte der Magister , " ist es immer exzentrisch , auf hohem Gebirge in stiller Nacht sich mit Fässern zu tun zu machen , die Nacht macht alles zum Schreck . "
" So war es auch mit meinem Freunde " , fuhr der Erzählende fort , " der nur noch eines letzten Anstoßes bedurfte , um völlig in die Irre zu geraten .
Wir kamen nach Sterzingen .
Zum Essen kam der Alte nicht , und als wir ihn suchten , fanden wir ihn endlich in einem abgelegenen Winkel im eifrigsten Gebet .
Er sagte mir , er hätte danken müssen , daß der Himmel ihm seinen Verstand habe erhalten wollen .
Ich suchte ihn zu erheitern und drehte die Sache zum Scherz , aber da er böse wurde , brach ich ab .
Wir blieben diese Nacht in der Stadt , weil ich mit dem Unglücklichen nicht wieder eine nächtliche Wanderung unternehmen mochte ; in der Nacht schlief er sehr unruhig , ich hörte ihn oft ächzen und beten ; schauderhaft war es , daß er wohl hundertmal die Worte : » in Ewigkeit ! « wiederholte , und zwar genau den seltsamen , nicht kindischen und nicht männlichen , nicht kreischenden und auch nicht heiseren Ton der nächtlichen Erscheinung zu treffen suchte .
Bald darauf erreichten wir Innsbruck , wo wir Arbeit annahmen .
Nach acht Tagen gehe ich mit meinem Gefährten des Sonntags in die Kapuzinerkirche .
Hier ist das schöne Grabmal des Kaisers Maximilian , hier ruht die berühmte Philippine Welserin ; hier stehen die lebensgroßen erzenen Bildnisse von merkwürdigen Menschen der Vorzeit , und ich war in Betrachtung dieser Denkmäler vertieft , als ich plötzlich unter den Worten des Predigers einen lauten Aufschrei höre ; alles läuft zusammen , man bestrebt sich , jemand aus der Kirche zu tragen , ich trete hinzu : er ist es , der Unglückliche , der in Krämpfen heult .
Draußen erzählt er , daß die Kirche voller bösen Geister sei , daß der Fußboden sich unter Flammen aufgetan , daß die gräßlichsten Gebilde zu ihm emporgestiegen .
Im Wahnsinn quält er sich noch acht Tage , nachdem er unzähligemal das : in Ewigkeit ! mit jenem widerlichen Tone wiederholt hatte .
Er liegt dort begraben . "
Nach einem kurzen Stillschweigen wünschten die Arbeiter gute Nacht und entfernten sich , indem der vorschnelle Martin schon in der Tür zu seinen Begleitern auf sprichwörtliche Art sagte : " Unser junger Meister hat in seinem kleinen Finger mehr Verstand , als im ganzen alten Magister steckt . "
Dieser überhörte es aber Leonhard nahm sich vor , am folgenden Morgen dem jungen Menschen einen Verweis zu geben .
Der Knabe wurde zu Bett gebracht , und der Magister nahm ebenfalls seinen Hut ; doch Leonhard wandte sich zu ihm und bat :
" Erzeigen Sie uns die Ehre , werter Herr Magister , noch ein Gläschen Wein mit uns zu trinken . "
Indem trat auch ein anderer Freund des Hauses , ein Tischlermeister , ein kleines rundes Männchen , herein , der sich den Schweiß abtrocknete und ausrief : " Immer noch brav heiß , als wenn es schon mitten im Sommer wäre !
Guten Abend ! " fuhr er fort ; " ja wenn man zu euch kommt , Leute , so sind alle Stuben wie die Putzstuben , und je mehr ich zu Hause aufräume , je wilder sieht die Wirtschaft aus !
ich habe nicht Glück und Segen in den Händen ; hier ist einem immer zumute , als wenn man bei vornehmen Leuten wäre . "
- Man setzte sich nun um einen kleinen Tisch , und die Hausfrau schenkte von dem guten Frankenweine ein , den alle stark und wohlschmeckend fanden .
Der Magister legte seine feierliche Miene ab und fing an heiterer zu werden , wozu vorzüglich die Gespräche und Erzählungen des Meisters Krummschuh beitrugen , über den er sich ohne allen Rückhalt erhaben fühlte .
Es wurde an die Tür geklopft , und ein Bedienter trat herein , der dem Leonhard ein zusammengelegtes Blatt übergab .
Er hatte kaum die Aufschrift angesehen , als er rot vor Freude wurde und sich sehr heiter mit den Worten zum Diener wandte :
" Es wird mir eine große Ehre sein , ich bin morgen den ganzen Tag zu Hause . "
Der Diener entfernte sich und Leonhard sagte : " Der Baron ist wieder in der Stadt und von seiner Reise zurückgekommen , er wird mich morgen besuchen , wenn ich nicht schon früh zu ihm gehe . "
- " Ich hatte es dir nur zu melden vergessen " , sagte die junge Frau , " er war schon heute nachmittag hier und suchte dich . "
- " Wie kannt du das nur vergessen ? " rief Leonhard aus .
- " Es ist ja noch Zeit genug , daß du es erfährst " , erwiderte sie etwas unwillig , " er hat Projekte mit dir , er will dich auf eine Reise mitnehmen , du sollst ihm ein Schloß einrichten helfen und was dergleichen mehr ist , was mir gar nicht sonderlich hat gefallen wollen ; er ist überhaupt fatal mit seinem herablassenden vertrauten Wesen , und hindert dich nur ; ich kann es gar nicht leiden , daß er mich immer liebe kleine Frau nennt . "
- " Du bist unbillig " , antwortete der Mann , " er will gegen uns nicht den Vornehmen spielen , ich kenne ihn seit lange , wir waren Schulkameraden . "
- " Ich bin aber nie sein Schulkamerad gewesen " , erwiderte sie etwas spitzig ; " und wie klein bin ich denn ? doch groß genug , daß er mit mir etwas mehr Umstände machen könnte ; ich kann es nicht leiden , wenn die Vornehmen gar zu bürgerlich tun wollen ; ich fürchte nur , du lässt dich beschwatzen , weil ich deine Lust am Reisen kenne . "
" Ja , das muß wahr sein " , rief Krummschuh aus , " in meinem Leben habe ich noch keinen Menschen gesehen , der so versessen auf das Wandern ist .
Er konnte es nie satt werden , und ich werde zeitlebens an das Jahr gedenken , in dem ich mich mit ihm herumgetrieben habe .
Wenn andere Menschen müde und matt in die Herberge kommen , so richten sie sich ein , sehen nach der Küche bestellen sich ein Essen , setzen oder legen sich nieder ; nicht so er .
Gleich fragt er nach den Merkwürdigkeiten der Stadt und der Gegend , meistens kennt er sie auch schon , oft besser als die Leute selbst , und da ist nun entweder ein alter Turm , den er besehen und auf die Spitze mit Lebensgefahr hinaufklettern muß , oder Mauerwerk von einem Schlosse oder Kloster ist eine halbe Meile davon , dahin wird nun gewandert , ohne fast nur einen Trunk Bier getan zu haben .
Und was hat er nachher von dem allen ?
Ich begreife es jetzt selbst nicht , wie er mich damals durch seinen Umgang so hat behexen können , daß ich alle die Torheiten mitmachte . "
Alle lachten , und der Erzähler fuhr fort :
" Jetzt ist es mir selber lächerlich , aber damals war ich oft verdrießlich genug .
Weißt du noch , Gevatter , wie wir miteinander das Fichtelgebirge durchstrichen ?
In der Ebene war er noch erträglich und ziemlich vernünftig , aber sowie er nur in Berge geriet , war er wie wahnwitzig , und ich glaube auch , daß es eine Krankheit in ihm gewesen ist , die jetzt wohl ausgetobt hat .
Da mußte immer noch ein Berg erstiegen werden , und dann noch ein höherer und wieder ein anderer , und das hatte dann niemals ein Ende !
Dabei konnte er unsereinen so schön persuadieren , daß man immer nachkletterte ; er konnte Wunder was versprechen , goldene Berge und Luftschlösser , es blieben aber immer nur neue Felsenberge .
Ich hatte von frühester Kindheit die Anlage , einen Bauch zu kriegen , wie es denn auch jetzt geschieht ; seit ich denken kann , ist mir beim Bücken das Blut ins Gesicht gestiegen , und ich kann nichts tun , ohne in starken Schweiß zu geraten .
Aus dieser Komplexion ergibt sich nun von selbst , daß ich kein sonderlicher Fußgänger bin , was er bei seiner schlanken Statur niemals begreifen wollte , sondern meinen Widerwillen nur für Faulheit erklärte .
Da liegt in Franken ein finsteres Nest , Wunsiedel genannt , unter dem Fichtelgebirge ; eine halbe Meile oder Meile davon sind im Buschwerk die wunderlichsten tollsten Felsenmassen über- , unter- und durcheinander geworfen , wie man es nur im Traum sich vorstellen kann , da mußt ich nun hin , und springen , kriechen , klettern und stöhnen , um das Wunderwerk in Augenschein zu nehmen .
Der höchste und verwirrteste Punkt dieser Gegend , wo man verrückt werden möchte , heißt die Luchsburg .
Von hier sieht man aus der schwärzesten Tannen-Einsamkeit rund umher in die Zerstörung hinaus , von allen Seiten nur Wälder und wilde Steinklumpen unter sich , Waldrauschen und wildes Vogelschreien , alles zum Entsetzen .
Da war er nun glücklich und wie betrunken vor Freude .
Wir mußten aber weiter , wir sollten auf den Gipfel des Gebirges gelangen , den sie dort den Ochsenkopf nennen .
Er wußte meine Ambition so in Tätigkeit zu setzen , daß ich richtig mitging ; den Abend vorher hatte ich geschworen , es nicht zu tun .
Es liegt ein tiefer langer Morast unten am Gebirge , über welchen Stangen gelegt sind , um nur festen Fuß fassen zu können , da hinüber mußten wir uns quälen .
Dann ging es in den dicksten Wald , neben großen Steinwänden , Eichen und Tannen vorbei ; er hatte sich den Weg genau beschreiben lassen , und glaubte nicht fehlen zu können .
Aber es geriet uns dennoch anders , denn nachdem wir einige Stunden bergauf gewandert waren , hatten wir jede Spur eines Weges verloren .
Nach vielem Hin- und Hertappen gerieten wir auf eine alte Straße , die aber seit lange schon mußte verlassen gelegen haben , nämlich auf eine Art von Knütteldamm über morastigen Boden .
Hier war es Kunst zu wandern .
Oft brach der Baum , indem man auftrat , oder tauchte unter , und man mußte behende auf den zweiten steigen , wo es oft noch schlimmer ging ; an vielen Stellen fehlten die Bäume ganz , und wir mußten zum Springen unsere Zuflucht nehmen , wobei es doch nicht zu vermeiden war , daß wir nicht einmal ums andere tief in den Sumpf hineinfielen .
Ich fing an zu heulen und zu weinen ; der böse Mensch aber war so weit voraus , daß er es gar nicht einmal hören konnte .
Was half_es ?
ich mußte ihm nach .
Wie dieser vermaledeite Weg zu Ende war , hatte wir zwar festen Boden unter uns , aber wir waren darum um nichts gebessert .
Die ehemalige Straße mochte mit Bäumen und Gebüschen verwachsen sein , und so mußten wir uns bequemen , eine Art von Treppenstiege hinanzukommen , welche die Wasser in den Felsen gerissen hatten .
Dieser Weg dauerte wieder einige Stunden , zog sich steiler und immer steiler hinan , und oft waren die Felsblöcke so hoch , daß mein Verführer sich mir Unterstemmen mußte , um mich nur hinauszuwinden .
Die Geier in den himmlischen Lüften müssen über unsere Wanderung verwundert gewesen sein .
Schon fing es an Abend zu werden , und wir hatten bei unseren Strapazen seit dem frühesten Morgen nichts genossen .
Aber was stand uns bevor ?
Unsere Felsentreppe endigte endlich auf einem kleinen runden Wiesenfleck , den von allen Seiten hohe , dichte Bäume und hinter diesen die steilsten Felsenwände umschlossen .
Kein Ausgang war zu entdecken , wir waren hier wie in einer verzauberten Gegend eingefangen , indem die Sonne unterging .
Er verlor nicht den Mut , sondern schnitt sich mit seinem großen Messer einen Ausgang durch den Wald , und kletterte wie eine Gemse auf eine Klippe hinaus .
Jeder Fußtritt , jedes leise gesprochene Wort , jedes Aufstoßen mit dem Stock schallte in dieser Einsamkeit furchtbarlich wieder .
Ich fing in der Verzweiflung an , das kurze , nicht saftige Gras zu kosten .
Mit dem schlechtesten Troste kam unser Freund zurück ; es zeigten sich , nach seiner Aussage , von dort nichts , als rundum die schwindligsten Abgründe : » die Sonne ist untergegangen « , fuhr er fort , » zurück können wir auch nicht , und fänden wahrscheinlich unseren unrichtigen Weg so wenig , wie den richtigen ; hier ist es trocken , die Nacht wird nicht eben kalt werden , der Himmel ist heiter , was bleibt uns übrig , als hier auf dieser Stelle unser Quartier aufzuschlagen ? kommt ja doch , wie man sagt , guter Rat über Nacht . «
Wir mußten aus der Not eine Tugend machen , und ich wäre wohl zum Einschlafen müde genug gewesen , wenn mich die Qual des Hungers nur zur Ruhe hätte kommen lassen .
Als es finster wurde , fing der unglückliche Mensch an , mir , wie er sagte , zum Zeitvertreib die fürchterlichsten Gespenstergeschichten zu erzählen , und dazu heulte der Wind , oder was es sonst war , in den Klüften unter uns so entsetzlich , über uns war oft in der Luft ein Geschwirre und Krächzen , die Bäume schüttelten sich oft so plötzlich , und in der Dunkelheit sahen die Felsenzacken mit so gräßlichen Schnauzen und Bärten zu uns herüber , daß ich den Verstand zu verlieren glaubte ; doch war meine Müdigkeit stärker als alles andere , und ich erwachte wirklich erst , nachdem die Sonne schon aufgegangen war .
Der Abenteurer hatte auch , wie er mir sagte , gut geschlafen , und wir befanden uns insoweit wohl , außer daß wir vor Hunger und Mattigkeit kaum die Beine bewegen konnten .
Er war auch , wie ich merkte , abgekühlt , denn er war von der sogenannten Natur nicht so begeistert wie gewöhnlich , wir trafen über den schwindligen Felsenspitzen einen kleinen grünen Vorsprung , der sich längs dem Abgrunde hinzog ; von hier gerieten wir nun in eine fast ebene Waldstrecke , und nach Verlauf von drei Stunden , in denen wir ununterbrochen gekeucht und gestöhnt hatten , fanden wir endlich zu unserer größten Freude wieder einen Waldweg , der uns auch wirklich bald zu einer einsamen kleinen Hütte führte .
Die Frau eines Bergmannes , die hier wohnte , war verwundert , uns von dort kommen zu sehen ; sie erquickte uns mit Brot und Butter , das wir im Freien genossen .
» Das rechte Steigen « , sagte sie , » fängt erst von hier bis zum Ochsenkopf hinauf an . «
Ich machte mich seufzend auf den Marsch , sah aber bald , daß die gute Frau nicht mit bei unserer bisherigen Wanderschaft gewesen war , denn ob es gleich beschwerlich ausfiel , so war alles doch nur Kinderei gegen das , was wir überstanden hatten .
Ich legte mich oben nieder , wieder auszuruhen , und weiß nicht , was man von so hohen Orten sieht , als eine tüchtige Strecke Luft und ein weitläufiges Nichts , in dem hie und da einzelne Stifte Von Kirchtürmen , oder ein Fleckchen , was eine entfernte Stadt ist , hervorschimmert .
Wir kletterten dann nach Bischofsgrün hinunter , und ich war froh , wieder unter Menschen und in die Ebene zu geraten . "
" Und du kannst es wirklich für nichts halten " , fiel Leonhard ein , " von oben den ganzen Zusammenhäng eines großen Gebirges zu überschauen ?
Wie auf einer Insel unter sich die blauen Wogen der Berge und Hügel zu sehen , alle im Glanze der Luft auf das lieblichste aufgelöst und zerschmolzen ?
Es gibt nur den zwiefachen Anblick der Unendlichkeit , entweder die Aussicht über das Meer hinüber , oder vom höchsten Punkt eines Gebirges .
Mir war freilich der Fichtelberg noch nicht hoch genug . "
" Redensarten ! Redensarten ! " sagte der kleine Freund , " die verschiedenen Wahrzeichen in den Städten sind mir immer lieber gewesen , um die du dich fast nie bekümmert hast . "
Der Magister fing hierauf an :
" Dieselben müssen aber schon lange verheiratet sein , da Ihr Sohn schon ziemlich erwachsen ist , und doch erscheinen Sie mir noch so jung , wenn ich vollends die Jahre der Reisen hinzurechne . "
" Das ist ja nur ein angenommenes Kind " , rief der kleine Freund aus , " mit den Kindern will es unserem Leonhard nicht so , wie mit anderen Dingen gelingen . "
" So !
So ! " antwortete der Magister , " ist aber sehr schön , daß sich Dieselben ganz als Eltern gerieren , höchst erbaulich und wahrhaft christlich , an den Kleinen so viel zu wenden , der auch ein gutes Ingenium verspüren läßt . "
" Der kleine Franz " , sagte die Frau " ist das Vermächtnis einer Nachbarin , die arm starb und nicht wußte , wo sie die Waise unterbringen sollte ; auf dem Todbette habe ich ihr versprochen , mich seiner anzunehmen .
Ich bin erst seit anderthalb Jahren verheiratet .
Nicht wahr , Leonhard , jetzt werden es achtzehn Monate sein ? "
" Du bist eine genaue Rechnerin " , sagte der Mann , " mit dem gestrigen Tage war dieser Zeitraum verflossen . "
Der Magister trank mit nachdenklicher Miene ein Glas Wein aus ; dann sagte er :
" Da kommt mir ein Gedanke , der zweifelsohne ein richtiger ist .
Es werden jetzt acht Monate sein , daß ich sehr schwer krank danieder lag ; in meiner Armut war keine Hilfe , aber ich erhielt täglich gesunde Brühe , stärkenden Wein und Geflügel , auch Arznei , die ich nötig hatte , und kein Mensch wollte sich melden , mir die Wohltat erzeigt zu haben ; aber gestehen Dieselben nur , daß Sie es gewesen sind . "
" Lieber Herr Magister " , sagte die Frau , " Sie sind ja unser Freund ; mein Mann wünschte Sie wieder gesund zu sehen ; sind wir das nicht alle unserem Nächsten schuldig ? "
" Ei !
Ei ! " fuhr der Magister gerührt fort , " nun auf Deren Wohlsein ! " indem er anstieß und ein neues Glas ausleerte ; " das hätte ich mir damals nicht träumen lassen !
Hab ich nicht der krummen gnädigen Frau drüben auf der anderen Gasse so viele Danksagungen deshalb abgestattet , die sie auch alle angenommen hat ; denn ich meinte durchaus eine so edle Unterstützung müsse aus vornehmen Händen erfolgen , und ich hätte mir doch damals schon sagen können , daß Sie , Frau Leonhard , ein Engel von Frau sind . "
Leonhard , der die Verlegenheit und Rührung des Magisters sah , wollte gern dem Gespräch eine andere Wendung geben ; er fing an zu erzählen , wie ihn sein Vater in früher Jugend eigentlich zum Studieren bestimmt habe , und wie er selber lange geglaubt , diesen Trieb in sich zu spüren .
" Nur zweierlei verdarb mir die Lust daran " fuhr er fort , " unser oberster Lehrer auf der Schule , der es nie müde werden konnte , uns lateinische Aufsätze schreiben zu lassen , weil er selber ein guter Lateiner war .
Nun hatte ich zwar Sinn für die Sprachen und las die Autoren gern , aber es war mir unmöglich , in einer fremden Sprache Gedanken aufzufinden , und diese in die gehörigen Worte und Wendungen zu kleiden , auch merkte ich bald , daß diejenigen meiner Mitschüler , die sich in diesen Übungen auszeichneten , nur mit bekannten Phrasen spielten , die sie sich aus den Autoren gesammelt hatten , und Rede und Zusammenhäng sich diesen Erinnerungen mehr oder weniger fügen mußten . "
" Richtig ! " rief der Magister , " das ist der Weg , den wir Gelehrten alle im Anfange haben gehen müssen ; man muß wohl in jeglicher fremden Sprache so beginnen , wenn man sich des Ausdrucks bemeistern will . "
" Dazu aber " , antwortete Leonhard , " habe ich mich nie entschließen können , denn es schien mir fast wie Lüge .
Die zweite Störung meines Studiums war die Betrachtung , daß ich auf diesem Wege meiner Leidenschaft zu reisen vielleicht nie Genüge tun könne , und doch war mir der Gedanke , wenigstens nicht mein Vaterland in seinen verschiedenen Richtungen kennen zu lernen , unerträglich .
Dazu kam noch , daß ich an allem Mechanischen , an eigentlicher Arbeit und Zusammensetzung ein unendliches Vergnügen fand .
Wie erstaunte daher mein Vater , als ich ihm einmal plötzlich ein kunstreiches Kästchen mit vielen Schubfächern und sauber gearbeiteten Abteilungen , das ich heimlich in vielen Abendstunden verfertigt , und das jedem Tischler Ehre gemacht hätte , überreichte , und ihm dabei fest erklärte : daß ich gesonnen sei , seine Hantierung fortzusetzen .
Nun fühlte ich mich im Abmessen , Zirkeln , Sägen , Einfugen und Ausrechnen aller Teile in meinem Elemente , wobei aber das Lateinische und Ton dapameibomenon und die vielen Verse , die mir waren geläufig worden , nicht vergessen werden durften ; und so danke ich es meinen Schulstudien , daß ich noch jetzt den Homer auf meine Art im Original lesen kann . "
" Vielleicht lesen Sie auch " , fragte der Magister lebhaft , " die Mutter aller Sprachen , die hebräische ? "
" Angefangen habe ich es wohl " , versetzte der junge Meister , " bin aber nie über die ersten Anfangsgründe hinübergekommen . "
" Schadet nichts " , rief der eifernde Gelehrte , " ich bin und bleibe darum doch ein Monstrum horrendum , ein widerwärtiger , erbärmlicher Mensch ! " indem er sich heftig vor die Stirn schlug ; " ja ja , du hochmütiger , unwissender , eitler , törichter Block du ! gib nur der Wahrheit die Ehre , und gestehe laut , von welcher grege du bist , Abgeschmacktester ! "
" Was fehlt Ihnen , Magistechen ? " sagte teilnehmend der kleine Freund , " sind Sie krank ? "
" Ja , an der Seele " , fuhr jener erhitzt fort , " am Herzen , an allen Eingeweiden .
Könnt ihr_es mir glauben , meine verehrten Freunde , daß ich es erst höchlich übelnahm , als mir ein Bekannter den Antrag tat , hier im Hause Unterricht zu geben ? -
Wie ? sagte ich zu mir selbst , bei einem Tischler , bei einem Professionisten ?
Ich wollte es ausschlagen ; da ich mich aber dermalen , wie jederzeit , in kläglichen Umständen befand , so nahm ich die Stunden an , setzte mir aber vor , mit gebührlichem gelehrtem Hochmut einzutreten , und Sie , Herr Leonhard , immer nur per Er zu traktieren : Sie , hochgeehrtesten , meinen teuersten Wohltäter , Sie , denen Ton dapameibomenon , und nephelegereta Zeus , und Integer vitae , und Bereschid bare nichts Fremdes ist ?
Sie ?
Können Sie mir diese Niederträchtigkeit vergeben , o Sie englische schöne Madam . "
Man suchte den eifernden alten Mann zu beruhigen , er hörte aber auf nichts , sondern stand auf und riß plötzlich die Perücke vom Kopf : " Ja , auch extra muros gibt es Menschen " , rief er aus , indem er den Haarschmuck zu Boden warf , und mit den Füßen darauf trat , " auch hinter dem Berge wohnen Leute , nicht die Perücke allein macht den würdigen Mann ; sieh , mit Füßen trete ich dich " ( und er tanzte dabei lebhaft auf der zerzausten herum ) , " daß du mich zum Hochmut verleitet , daß du mein Gemüt verdorben hast , daß ich alle Menschen , die nicht solches alte , verschrumpfte , eingepuderte , eingeschmierte Wesen auf dem Sitz ihrer unsterblichen Seele trugen , für eine geringere Kaste hielt , und das sidera feriam sublime vertice nur verstehen konnte von denen , die Perücken aufhaben ?
Nicht wahr , Menschenkinder , ich bin ein ordinärer alter Esel ? "
Er fing von neuem an zu wüten , aber der Kleine und Leonhard faßten ihn unter den Armen ; der fremde Meister setzte ihm seinen mißhandelten Schmuck wieder auf und sagte : " Nehmt Vernunft an , Phantast , es liegt nicht an der Perücke . "
" Ja ! " rief der Magister , " nichts ist gleichgültig , was der Mensch trägt von außen ; es ist wie ein Zauber , wie eine Schleife , ein Hut , ein Degen , ein Orden und Perücke auf ihn wirken :
sie machen ihn gut oder schlecht ; in Stiefeln denkt man anders als in Schuhen , in Seide anders als in Tuch ; das menschliche Herz ist wie eine Motte , der man immer ansehen kann , aus welchem Gespinste sie ausgekrochen ist . "
Er fing an zu weinen , gab Leonhard und der Frau die Hand , und sagte schluchzend :
" Sie vergeben mir , meine großmütigen Freunde , das weiß ich ; aber ich bitte Sie demütig in dieser Stunde , in der ich mich freilich sehr vergessen habe , mir den Gedanken , der sich mir schon zudrängen will , zu entfernen , daß Sie mich nur aus Barmherzigkeit und ohne alles Bedürfnis zum Lehrer des Knaben angenommen haben .
Nicht wahr , es ist nicht so ?
Ich müßte vor Scham und vor Trauer über mich selber vergehen . "
Beide versicherten ihn das Gegenteil , und wie sie sich gefreut hätten , daß ein gelehrter Mann die Mühe habe über sich nehmen wollen , ihr Pflegekind zu unterrichten ; wodurch er sich endlich beruhigte , und von den beiden Männern nach seiner ziemlich entfernten Wohnung begleiten ließ .
Am Morgen ging Leonhard mit dem festen Entschluss zu seinem Freunde , dem jungen Baron , ihm seine Begleitung auf der Reise und die Arbeit für ihn abzuschlagen ; denn er hatte es in dieser Nacht seiner Frau nach einem zärtlichen Streite versprechen müssen , sich nicht aus der Stadt zu entfernen .
Er fand den jungen Elsheim , der heftig in seinem Zimmer auf und nieder ging , und in sich hineinlachte .
Sie begrüßten sich herzlich , und der Tischlermeister mußte sich zu einem Glase alten Weines niedersetzen " Ich bin sehr vergnügt " , sagte der Baron , " denn nachdem ich dreiviertel Jahr sehr ernsthaft und gesetzt habe leben müssen , habe ich den unumstößlichen Entschluß gefaßt , zur Abwechslung wieder irgend etwas Lustiges oder Dummes zu treiben ; und dazu sollst du mir behilflich sein , denn die gesetzten Leute geben dergleichen Dingen erst Haltung und Geschick ; wer sich ohne sie in solche Geschichten einlassen will , wird auf dem halben Wege zur Vernunft zurückkehren müssen . "
" Lieber Baron " , sagte Leonhard freundlich , " ich bin gekommen , Ihnen zu sagen , daß Sie auf mich weder im Guten noch im Bösen rechnen sollen ; ich werde zu alt - ich kann jetzt überhaupt nicht abkommen . "
" Aha ! " sagte jener ( indem er sich vor ihm mit beiden Armen auf den Tisch stemmte und ihm dann die braunen Locken von der Stirn strich ) , " du bist heute auf deinem feierlichen Ton , du hast alle unsere ehemaligen Bedingungen vergessen , oder willst nicht daran denken ; aber ich weiß , daß du es bereuest , wenn du mir diesmal nicht folgst . "
" Ich kann nicht " , sagte Leonhard schmerzlich , " meine Wirtschaft vergrößert sich , meine Frau ist nicht ganz wohl , meinen Leuten darf ich nicht trauen , und noch dazu habe ich wichtige Bestellungen bekommen , wo mein Auge allenthalben selbst zugegen sein muß . "
" Und das Wichtigste nennst du gar nicht einmal " , sagte Elsheim , " daß nämlich alles dies geradezu gelogen ist .
Noch neulich schriebst du mir , deine Einrichtung sei so gut , der älteste Gesell so brav , daß es dir nie auf einige Wochen ankommen könne ; deine Frau , wie ich gesehen habe , ist so gesund , wie sie nur sein kann , aber der Ehemann , mein Schatz , hat sich dir so eingelernt , daß du auch ohne Souffleur deine Rolle ohne Anstoß hersagst ; nur fehlt noch die richtige Mimik , um den Zuschauer zu überzeugen .
So lebe denn wohl , mein Freund , da deine Frau ein so strenges Regiment führt ; ich muß also ohne dich reisen , ich muß einen anderen gescheiten oder geschickten Mann aufsuchen , ich muß vielleicht die Bestellung , den Bau , die Torheit , die Lust aufgeben , und bloß den Bauern auf dem Gute guten Tag und Lebewohl sagen . "
" Welche Freude können Sie nur in jener nördlichen traurigen Gegend finden " , sagte Leonhard , " daß Sie sie so oft besuchen ?
Und welche Lust können Sie sich jetzt dort versprechen ? "
" Narr " , sagte sein Freund , " dahin reise ich diesmal nicht , ich übernehme jenes andere Gut , auf welchem meine Mutter bis jetzt gelebt hat - das an der fränkischen Grenze .
Nur freilich mag dies , ernsthaft gesprochen , dir zu weit entlegen sein . "
" Dahin ? nach der fränkischen Grenze zu ? " fragte Leonhard lächelnd und überrascht .
Dann wurde er auf einmal nachdenkend und fuhr nach einer Pause fort : " Nun , so teilen Sie mir wenigstens mit , wozu Sie dort meinen Beistand hätten brauchen können . "
" Tausenderlei hatte ich mir vorgenommen " , sagte der Freund verdrießlich , " was nun alles zu Wasser wird :
ich wollte dort von dir ein Theater in einem mächtig großen Rittersaale einrichten lassen ; du solltest mitspielen ; gute Freunde , herrliche und langweilige Menschen sind schon gebeten und kommen hin , Weiber und Mädchen , ich hatte Lust , mich einmal so recht zu verlieben , vielleicht gar zu heiraten ; meine ganze Jugend wollte ich mit dir wiederholen , und alles , was wir auf der Schule träumten und wünschten , einmal zu erleben suchen ; meine alte Lust wollte ich büßen und den Götz von Berlichingen , den ich schon bearbeitet habe , einmal wirklich darstellen helfen . "
" Götz ! Berlichingen ! " rief Leonhard aus , indem er hastig seinen Freund umarmte ; " ja , ich reise mit , alles kann liegenbleiben , es geht recht gut ohne mich , und die Frau muß sich darin finden . "
" Recht so ! " sagte Elsheim , " aber wie wird dir nun so plötzlich diese Einsicht ? "
" Kommt nicht alles von Neigung und Erinnerung zusammen " , rief Leonhard aus , " um einen übrigens vernünftigen Entschluß umzustoßen ?
Die Freundschaft zu dir , die Erinnerung unserer Jugend und ihrer mannigfaltigen Träume , die Nähe meines geliebten Frankenlandes und dann - der Zauber des Gelüstes , einmal ein Talent zu prüfen , dem ich einmal in einer törichten Periode mein Leben widmen wollte ; vorzüglich aber noch der Name jenes Lieblingswerkes meiner Kindheit und Jugend , alle die Lebensmelodien , die in diesem herrlich grünenden Baume wehen und singen ! "
" Trinke , mein Freund " , sagte der Baron ; " so gefällst du mir , und so solltest du immer sein !
Laß uns einmal wieder in unser sechzehntes Jahr zurückgehen und einige heitere Wochen ganz so genießen , wie wir damals in unserem Vermögen hatten , und wie man es leider mit jedem Jahre immer mehr verlernt .
Nun erzähle einmal wieder , wie du sonst so oft tatest . "
Leonhard , dem jetzt von neuem die frühesten Erinnerungen lebendig wurden , folgte dieser Aufforderung , und fuhr also fort : " Die Kunst lesen zu lernen , von der Begier , zu erfahren was in den Büchern stehe , unterstützt , wurde mir so leicht , daß ich schon in der frühesten Jugend ein fertiger Leser war .
An Büchern fehlte es mir anfangs nicht , denn ich las alles , doch merkte ich halb den Unterschied zwischen denen , von welchen ich etwas verstand , und jenen , die mir durchaus fremde Wildnis blieben .
Mein Vater hielt nur wenige Bücher , aber die er besaß , waren ihm desto lieber ; unter diesen befand sich auch der Nachdruck des damals kürzlich erschienenen Götz von Berlichingen .
Ich las ihn , und noch nie hatte ich ein Buch so verstanden ; noch keines hatte mich mit solchem Zauber umsponnen , in keinem waren mir selbst die Stellen , die ich nicht begriff , und von denen ich mir oft die wunderlichsten Vorstellungen machte , so lieb und teuer und in ihrer Dunkelheit so magisch .
Ich erwuchs mit dem Gedichte , ja meine Phantasie und mein Wesen wuchsen hinein .
Jedes Wort wußte ich auswendig , in Gedanken ließ ich alle Figuren , in allen Verhältnissen , in allen Trachten , mit allen Mienen und Gefühlen , mir vorübergehen , auch die häßlichsten und grausendsten hatten meine Liebe ; mit Kartenblättern , mit unscheinbaren Stückchen Papier spielte ich das Stück , wer weiß wie oft , durch , und blieb immer gerührt und erbaut .
Die Überschriften der Szenen , selbst die kleine Vignette vorn , gehörten mir zur Poesie , und erregten mir die lieblichsten Empfindungen .
Welche Tränen vergoß ich um den biederen Götz , den edlen weichen Weisslingen , vorzüglich über den herrlichen Georg .
So waren Jahre vergangen , und dieses Werk war mir so notwendig , wie die Luft , die ich atmete , wie mein Leben selbst , es war mir daher nie eingefallen , nach dem Autor zu fragen , obgleich er auf dem vielgelesenen Titel genannt war ; ja mich dünkte , dieses Buch müsse so ewig sein , wie die Natur und Erde selbst ; und mein Erstaunen , meine Wehmut , mein unnennbares Gefühl läßt sich nicht beschreiben , als ich nun den erwachsenen Jahren schon näher erfuhr , daß es wirklich von einem Verfasser herrühre , der noch lebe und auch andere Sachen geschrieben habe .
In welchem Dämmerlichte erschienen mir Clavigo , Claudine , Erwin , Stella : gleichsam wie von kranker Natur gegen jene Fülle herrlicher Gesundheit , und ich dachte mir ihren Verfasser lange Zeit als melancholisch und im Sterben .
Auch das geliebte Frankenland wurde mir zuerst durch dieses Gedicht teuer , und im schönsten Sonnenglanze schwebten die Meingegenden , Jaxthausen und Bamberg vor meinen Augen . "
" Wir sind also einig ? " fragte der Baron .
Leonhard gab ihm die Hand , und sagte : " Ja ! "
- " So reisen wir also morgen früh . "
- " Schon morgen ? "
- " Es kann nicht anders sein , ich muß an einem gewissen Tage dort eintreffen , um das Gut zu übernehmen , alle Gerichtspersonen sind schon eingeladen . "
- " So sei es denn " sagte der Tischler , und entfernte sich mit schwerem Herzen , weil er noch nicht einsah , auf welche Weise er seinen veränderten Entschluß seiner Gattin vortragen solle .
Er traf sie geschäftig in ihrer Wirtschaft , er half ihr eintragen und einrichten , und war mit der größten Freundlichkeit um sie bemüht .
Sie ließ ihn bald dieses , bald jenes holen , und er konnte den Augenblick nicht finden , ihr sein Vorhaben anzubringen .
Endlich nahm sie ihm ein Stück Silber aus der Hand , stellte es in den Schrank , stemmte die beiden Hände auf Leonhards Schultern , und sah ihm freundlich lachend ins Gesicht .
" Was ist dir ? " fragte er .
" Mir nicht " , antwortete sie , " aber was ist dir ?
Warum bist du denn so freundlich und zutätige , und mengst dich in Dinge , die dich gar nichts angehen ?
Also ist es denn beschlossen , du machst dich wieder auf und davon ? "
- " Woher weißt du es denn ? " fuhr er fort zu fragen .
- " Sowie du in die Haustüre tratest , wußte ich es schon .
Gingst du auf deine Stube und maultest etwa ein wenig mit mir , worauf ich mich schon gefaßt gemacht hatte und was ich billig fand , so wußte ich , daß du bliebst , und daß du mir dein Hierbleiben hoch anrechnen wolltest .
Wie ich aber sah , wie sacht du hereintratest , wie leise du die Haustür wieder anlehntest , daß sich kaum die Klingel hören ließ , wie freundlich , beinahe demütig , du mich grüßtest :
da erkannte ich auch dein böses Gewissen .
Je nun , ich forder auch vielleicht zu viel , daß du deine Leidenschaft so ganz bezwingen sollst , reise denn in Gottes Namen , und komme wenigstens , so bald als möglich , wieder . "
Dem jungen Gatten war durch diese Rede das Herz erleichtert , er umarmte die freundliche Frau auf das innigste und küßte sie zärtlich .
" Mache nur " , sagte sie , " dem Altgesellen deine Abwesenheit recht dringend , damit du nicht die Autorität bei den Leuten verlierest , vielleicht kannst du auch unterwegs einige vorteilhafte Holzankäufe schließen , und deine Arbeit dort wird dir doch wohl so viel einbringen , als du hier versäumst .
Ist es dir nicht überhaupt wunderlich , wenn du daran denkst , daß du ein Familienvater bist , vor dem eine eigensinnige Frau , ein Pflegesohn , vier Gesellen und fünf Lehrbursche Respekt haben sollen ? "
Das Essen war aufgetragen und man wollte sich zu Tische setzen .
Indem trat ein fremder alter Mann mit schlichtem bräunlichen und greisen Haar herein , in schwarzem Oberrock schwarzen Strümpfen und zugebundenen Schuhen .
Leonhard ging ihm entgegen , um zu fragen , was zu seinem Befehl sei , als er zu seinem Erstaunen den Magister erkannte .
Die übrigen waren nicht weniger verwundert .
Er verbeugte sich anständig und grüßte alle , dann gab er dem Meister die Hand und sagte : " Ich will fortan ein Mensch anstatt eines Magisters sein , und mir die citationes aus denen autoribus classicis , wo möglich , ganz abgewöhnen .
Die Sünde der Hoffart ist mit Gottes Hilfe und durch Ihr Beispiel von mir gewichen . "
Man setzte sich , und der junge Martin erlaubte sich heute keine lachenden Blicke und Mienen ; alle , selbst Leonhard und seine Gattin , schienen zu ihrem alten Freunde in ein neues Verhältnis gesetzt ; er sprach dreister und weniger verwickelt und man verwunderte sich über seine verständige Gesprächigkeit .
Früher als sonst erhob man sich vom Tische , weil Leonhard noch mancherlei Einrichtungen zu besorgen hatte ; er nahm seinen ältesten Arbeiter beiseite , und unterrichtete ihn , wie er es in seiner Abwesenheit mit den Bestellungen und noch zu fertigenden Arbeiten zu halten habe ; er bezahlte einige Rechnungen und ging dann zu seinem kleinen Freunde , dem Tischlermeister , der nach seiner Wirtschaft sehen und unvorhergesehene Fälle schlichten sollte .
Mit diesem kam er am Abend zurück , und der Magister war wieder von der Gesellschaft .
" Wir wollen heute noch einmal recht vergnügt sein " , fing Leonhard an , " denn es ist möglich , daß einige Wochen vergehen , ehe ich wiederkomme . "
- " Werde mich aber hüten müssen " , sagte der Magister , " wie gestern im Enthusiasmus , so viel von dem starken Weine zu trinken .
Fürchte , schöne Frau Leonhard , daß ich in Ihrer Achtung ein merkliches verloren , denn , ob ich es gleich gut meinte , so habe ich mich doch narrenhaft bezeigt . "
Die Frau versicherte das Gegenteil , und daß ein Mann , wie er , nur immer Achtung einflößen müsse .
- " Rührung , Erhebung der Seele und Wein , meine Freunde " , fuhr der Magister fort , " können sich nicht zusammen vertragen , jedes davon ist schon geeignet , den Menschen zu berauschen ; und so billig , ja liebevoll wir gegen den Rausch der erhobenen Seele und des Mitleids oder Enthusiasmi sind , so hart urteilen wir vom Zorn- oder Weinrausch , und meinen , daß der Mensch darin zum Tiere hinabsteige ; doch sind je zuweilen die Zustände so konfundiert , daß , wenn das kalte Bewußtsein einmal in die Hinterhand geraten , man beim Blindekuh nicht wissen könnte , ob man beim Zutappen Vieh oder Engel aus unsereinem herausgreifen würde . "
Krummschuh sagte hierauf :
" Ein Vieh , Herr Magister , wird der Mensch nur , wenn er sich täglich um seinen Verstand säuft , sonst aber tut man Unrecht , viel aus einem Rausch zu machen , was auch unsere Vorfahren wohl einsahen ; wer gar nichts von Wein versteht und noch niemals berauscht gewesen ist , ist kein deutscher Mann ; wer in seinem Leben noch nie ein Narr gewesen ist , ist gewiß auch noch nicht gescheit . "
" Desipere in loco " , sagte der Magister , " doch nein , fort mit dieser Torheit , da sie nicht an ihrer Stelle ist , ich wollte sagen : zu passenden Zeiten der Torheit nachgeben , ist eines Weisen nicht unwürdig . "
Der Baron trat unvermutet in die Gesellschaft , alle erhoben sich , der Magister verbeugte sich tief ; doch Elsheim sagte :
" Ich muß recht sehr bitten , sich nicht stören zu lassen . "
Er setzte sich ohne Umstände mit an den runden Tisch zwischen Krummschuh und Friederiken , an die er sich sehr freundlich wandte :
" Sie werden mir böse sein , schöne liebenswürdige Frau , daß ich Ihnen Ihren Mann auf einige Wochen entführe . "
- " Gewiß nicht " , erwiderte sie ebenso zuvorkommend , " denn wenn ich es weiß , daß es meinem Leonhard Vergnügen macht , wie könnt ich anders als Zufriedenheit darüber empfinden . "
" Ihr Wohlsein ! " indem er anstieß und trank ; " gewiß ich preise meinen Freund glücklich , eine so heitere , sanfte und liebenswürdige Gefährtin gefunden zu haben ! "
" Herr Baron " , sagte sie , " machen Sie in unserem kleinen Zirkel Ihr Talent zu schmeicheln nicht geltend , und glauben Sie meinem offenen Geständnis , daß ich mich täglich bestrebe , meines Leonhard werter zu werden , denn er ist besser , verständiger und liebenswürdiger als ich " .
" Nicht also " , fiel der Magister ein , " man soll sich selbst nicht rühmen , aber ebensowenig erniedrigen , und Sie müssen keine Unwahrheit sagen , schönste Madam ; der Halbblinde fühlt , daß Sie schön sind , der Gefühllose begreift , daß Sie liebenswürdig sind , und die beiden Eheleute sind gut , redlich und dem Herrn wohlgefällig . "
Beide Eheleute waren rot geworden .
" Sie haben recht , Herr Magister " , sagte der Baron , " und dieser jugendliche Eifer macht Ihnen Ehre ; es ist , als wenn Sie für die Dame Ihres Herzens den Handschuh hinwerfen wollten . "
Bei diesen Worten wurde der Magister bis in die Schläfen rot , er hustete , er wollte antworten und verwirrte sich ; " ich habe niemals " , sagte er endlich , " niemals eine Herzensdame gehabt .
Mit jener Geschichte in Jessen hatte es eine andere Bewandtnis . "
" Ei ! ei ! " sagte Krummschuh , " so muß man nicht sprechen , das ist dieselbe Sache , wie mit dem Rausch , einmal muß jeder Mann einen Schatz gehabt haben , einmal wenigstens muß jeder redliche Mensch verliebt gewesen sein , sonst kommt er bei grauen Haaren in die Schlingen des bösen Geistes .
Ja , Frau Leonhard , Ihr lieber guter Mann könnte , glaube ich , darüber mitsprechen , der ist damals wohl in allerhand Versuchungen gewesen , denn Weiber und Mädchen waren ihm immer gewogen . "
" Stille von solchen Geschichten " , sagte der Baron : " das heißt ja nur unsere liebe Wirtin ohne Not eifersüchtig machen .
Sie scheinen das menschliche Herz wenig zu kennen , Meister . "
" Darüber kann ich nicht eifersüchtig sein " , sagte Friederike , " Leonhard hat mich früh gekannt , ebenso ich ihn , er hat mich frei gewählt und anderen vorgezogen , auch möchte ich keinen Mann haben , den mir nicht hie und da eine beneidete , und der nicht sonst schon einmal anderen hübschen Mädchen gefallen hätte . "
" Nun dann sind Sie ja gerade an den Rechten gekommen " , rief der kleine Dicke , " denn ich sage Ihnen , er hat Nachstellungen gehabt , daß man eine Geschichte davon machen könnte , und wenn er nicht so halsstarrig gewesen wäre , wer weiß , wer weiß - " Leonhard schien verlegen , und Elsheim unterbrach den Schwatzenden , indem er sich an den Magister wandte .
" Sie sagten vorher , werter Herr Magister , die Geschichte mit Jessen habe eine ganz andere Beschaffenheit .
Was ist das für eine Geschichte ?
Sie haben also wirklich niemals geliebt ? "
" Nein , mein hochverehrter Herr Baron " , antwortete der Magister , " das kann ich wohl vor jedem Gericht mit einem teuren Eide erhärten , denn immer war mir aes triplex circa pectus , und ein sonderbares Geschick hat mich stets vor diesen Leiden und Verwirrungen bewahrt ; obgleich man aus einem Verhältnisse , das sich in meinen Studierjahren in Jessen angesponnen hatte , mir ein Liebesaventüre hat andichten wollen . "
" Und wollten Sie uns nicht vielleicht gefälligst diese Erzählung mitteilen ? " fragte der junge Edelmann , indem er die Hand des alten Mannes nahm .
" Wenn es nur Ihnen und meinen werten Freunden nicht beschwerlich fällt " , äußerte der Magister .
Da alle , vorzüglich Friederike das Gegenteil versicherten , so fuhr er hierauf mit folgenden Worten fort :
" Um etwas Verständliches über jenes Gerücht beibringen zu können , muß mir etwas früher auszuholen erlaubt sein .
Mein Vater seliger war Prediger auf einem kleinen Dörfchen ; er brachte mich früh auf die Stadtschule , und mein Ehrgeiz und ziemlich gutes Ingenium trieben mich schnell die Klassen hinauf .
O meine Werten , ich kann es Ihnen nicht aussprechen , welche Verehrung , ja welche Anbetung ich vor dem Stande eines Gelehrten immer in meinem Herzen trug ; ein Buch zu schreiben , den Ornat eines Predigers zu tragen , schien mir groß , vor allem aber den Titel eines Magistri zu erringen , fast den menschlichen Kräften unerschwinglich , und die höchste Stufe der Seligkeit hienieden .
Nicht wahr , Sie lächeln ? so wie ich zum Lächeln gezwungen werde , da ich nun schon seit lange derselbe Mann bin , und doch nur weniges von jener geträumten Größe in diesem Besitze gefunden habe .
Wie gesagt , die Schule wäre mir ein Paradies gewesen , denn das Lateinische und Griechische entzückte mich , Hebräisch war meine Wonne , wenn nicht einiges mich gestört hätte .
Wir hatten viele Stunden in Mathesi , worauf gehalten wurde , und wir alle sollten darin Fortschritte machen , aber ich nehme die Götter zu Zeugen ! - lag es an mir , oder am Lehrer , oder an der Wissenschaft selbst , ich habe nie auch nur das Allergeringste davon beim besten Willen begreifen können .
Diese Demonstrationes , die axiomata , die Drei- und Vierecke und Circula haben mir in vielen Stunden das Gehirn schwindlig gemacht , und ich habe mich nie einer Verachtung gegen diese anmaßliche scientia erwehren können .
Noch schlimmer aber war , daß ein Neologe , der viel auf alle Arten von Schwärmereien hielt , den Rektor , einen weichherzigen , nachgiebigen Mann , überredet hatte , einen Zeichenmeister anzunehmen .
Dachte ich nicht , der Schlag müsse mich treffen , als das erstemal der Gaukler seine Bude in unserem ehrwürdigen Auditorio aufschlug ?
Ich zitterte vor Unwillen und rief : » Wahrlich , nun fehlt nur noch , um uns völlig abscheulich zu machen , ein Tanzmeister ! «
Und in der Tat woraus man sehen kann , wie stark die Imagination wirkt , träumte mir selbige Nacht , der Rektor habe einen Tanzmeister angenommen , und wir müßten vor dem Katheder , den Bachstelzen nicht unähnlich , herumhüpfen .
Ich erwachte zum Glück bald , und fühlte Zittern und einen kalten Schweiß .
Also der Kram wurde ausgelegt , und denken Sie , Werte , mir , als einem schon meritierten Primaner , wurde die Wahl gelassen , ob ich ein Häuslein mit einem Bäumchen , oder eine Blume , oder gar einen Pferdekopf , oder dumme krumme Striche , die man menschliche Nase und Mund nannte , nachreißen und mit Rotsteinbleifeder abfärben wollte .
Ich äußerte fest und bestimmt , daß ich allen Arten von Elaborationen mich nimmermehr entziehen wolle doch , daß ich mit dem Rötelwesen und jenen Hahnenfüßen oder Bauerwohnungen , Pferdeschnauzen und Blumengeckereien niemals mich oder mein Papier beschmutzen werde .
» Himmel ! « sagt ich , » wir den Musen Eigene , zur Lehre des göttlichen Worts , oder zu Gallen und Carpzove bestimmte Tironen , sollen wie die Stuben-Anstreicher , oder jene Unseligen , die die kleinen Tassenköpfchen anfärben , uns in solchen Pinseleien vertiefen ! «
Damit zerriß ich einen daliegenden Hammel , der nach der Meinung des Phantasten ein unschätzbares Werk eines abgestorbenen Gaukelmannes sein sollte , und da der Kunstzeichner selbst ein Enthusiast für seine Klexerei war , so warf er mir , nicht ohne Empfindung meinerseits , ein großes Reißbrett an den Kopf , nannte mich Ignoranten und Barbaren , und wollte mich endlich gar mit Gewalt aus meiner eigenen Klasse entfernen .
Zwei Freunde , die sich gleichfalls der Theologie widmen wollten , standen mir redlich bei , die übrige Jugend aber , ihrer Würde uneingedenk , nicht achtend , daß wir für sie nur kämpften , konnte es über sich gewinnen , uns laut und schallenderweise auszulachen .
Der Rektor kam dazu , und ich hatte vielen Verdruß .
Doch überwand ich alles und bezog die Universität Wittenberg , von einem kleinen Stipendio unterstützt .
Mein Vater war nicht Magister , und nach dieser Würde war mein Dichten in der Nacht wie bei Tage , um mich und ihn damit zu ehren .
Steil war der Weg , aber die Möglichkeit , zur Höhe hinaufzugelangen , wurde mir doch mit jedem Tage einleuchtender und wahrscheinlicher .
Vier Stunden westlich von Wittenberg liegt ein kleines offenes Örtchen , Jessen genannt , mir immer , wenn davon die Rede gewesen war , wegen des biblischen Tones ein erwünschter Name .
Dahin reiste ich mit einigen Freunden zu Fuß in den Herbstferien , denn der eine Begleiter war aus dem Orte , in welchem sein Vater eine Stelle bekleidete .
Wir wurden von dem alten Mann gut aufgenommen , der sich mit mir in ein Gespräch über die Klassiker einließ , und vortreffliche Kenntnisse besaß .
Er achtete meine Meinung , doch erstaunte er , mich so unbewandert in deutscher Poesie anzutreffen , in der er Opitzii und einige andere Werke besaß , doch vermißte er mit Leidwesen den Gryphium , dessen Horribilicribrifax , wie er sagte , in seiner Jugend seine Seelenweide gewesen sei , und dem alle Aus- und Einländer , alte sowohl wie neue , durchaus nicht zu vergleichen wären .
Hier sah ich nun auch in demselben Zimmer , meine Verehrtesten , jenes Frauenbild , die Tochter des Hauses , deren hellleuchtende Augen oft auf meinem Angesichte ruhten .
Ob ich gleichsam hübsch gewesen , kann ich nicht melden , doch war ich jung und weiß und rot , war anständig in allen Gebärden , hielt Hände und Füße ruhig , und schaute viel vor mir nieder .
Wo sie , die Hedwig , stand , war mir immer , als wenn ein rötliches Licht , fast wie Morgenrot , in der Stube brannte , und was bemerkenswert ist , ich konnte wissen , ob sie im Zimmer zugegen sei oder nicht ; ich mochte die Augen auch ganz woanders haben und etwa mit dem Alten sprechen , ich fühlte es gleich , wann sie wegging , und wann sie wiederkam , es war , als wenn in mir Finsternis und Helligkeit wechselten ; und wenn sie weg war , sprach ich verwirrt und hatte Bangigkeit auf der Brust , so daß ich nicht genau wußte , ob ich eben zornig oder betrübt war . "
" Das war ja die klare helle Verliebtheit , Herr Magister " , sagte Krummschuh .
" Nicht also " , erwiderte der Gelehrte , " es war eine Art von Sympathie , denn ihr ist es gleicherweise so ergangen , wie sie mir nachher gestanden hat .
Wir wechselten Reden , die anderen rauchten mit dem Vater ; da ich nun immer dieses Kraut der Wilden verabscheut habe , so ging ich vor die Tür mich umschauen und sie stand schon im Sonnenschein draußen .
Ob ich sie zu ihrer Freundin , der Försterin , begleiten wolle ? erging an mich die Frage .
Ich konnte mir nichts Besseres wünschen , und wir gingen den schmalen Steige ganz nahe aneinander .
Gesprochen wurde wenig , denn ich fürchtete , Dinge zu sagen , die ihr nicht gefallen möchten ; sie aber sah mich je zuweilen lächelnd von der Seite an worüber ich nur in Angst geriet , weil ich fürchtete , an den Haaren , oder der Halskrause bemerkte sie irgend etwas Ungeziemliches .
Abseits unter einigen Bäumen lag das Häuschen des Oberförsters , wir traten in die dämmernde Stube ein , und niemand war zugegen .
» Meine Freundin muß ausgegangen sein « , sagte sie , und wir stellten uns beide vor den Spiegel , der an der Mittelwand hing .
» Sind wir nicht von einer Größe ? « sprach sie weiter indem sie sich an mir Maß .
Da war das Antlitz mir nun ganz nahe vor dem meinigen , und mir fiel ein , was ich wohl gehört , auch in Autoren gelesen , daß ein Kuß von besonderer Lieblichkeit sei .
Ich konnte mir aber das Herz nicht fassen , so standen und gingen wir beide stumm nebeneinander .
Noch einmal stellte sie sich vor mich und sagte : » Sie sind doch etwas größer « ; stand auf den Zehn , und faßte mit beiden Händen meinen Kopf in der Gegend der Ohren , und indem sich mir die Stube rundum drehte , gab sie mir einen rechten lieben zärtlichen Kuß .
Wie ich hinauskam , weil ich nicht , es war fast dunkel geworden und wir gingen zurück ; ich hörte und sah nicht , und die Menschen in ihren Gesprächen und Gestikulationen kamen mir alle so wild und unbängig vor , und ich sehnte mich nach der Ruhe .
Doch schlief ich in der Nacht nur halb ; der Spiegel , die Bäume , die weißen Hände und Arme und der Kuß waren immer vor mir und in mir .
Am Morgen war eine neue Welt um mich her .
Auf nichts konnte ich mit Verstand Rede und Antwort geben , meine Augen suchten die ihrigen , und schlugen sich doch nieder , wenn sie sich begegneten .
Am Nachmittage ging ein Teil der Gesellschaft in einen nahen kleinen Weinberg , der der Familie zugehörte .
Die Tochter , ein Bruder und ich saßen oben in dem kleinen Gartenhäuschen , sahen umher auf die sandige Gegend und das Städtlein unter uns , und tranken von dem selbstgezogenen säuerlichen Wein und dem besser schmeckenden Most .
Bald verließ uns auch der Bruder .
Da konnten wir uns nun recht ungestört unser Herz ausschütten , wenn wir nur erst die Rede hätten finden mögen , welches aber geraume Zeit nicht geschah , und noch dazu mußte sie den ersten Anfang machen .
Wir erfuhren in diesem Gespräch , daß wir einander heiraten wollten , sowie ich Magister geworden und eine Stelle als Pfarrer oder Lehrer an einer Schule erhalten hätte .
Vergnügt kehrte ich nach einigen Tagen nach Wittenberg zurück ; ich war von neuem Eifer zu meinen Studien durchdrungen , auch erhielt ich etliche kleine Schreiben von der Person , die ich jetzt im stillen für meine Braut ansah , obgleich noch nichts davon laut werden durfte .
So ging der Winter ganz erfreulich hin .
Um Pfingsten ging ich wieder hinaus , zu Fuß und allein ; für meinen künftigen alten Schwiegervater hatte ich den Gryphius und seinen Horribilicribrifax in meiner Tasche .
O wie schön war das Wetter !
Mein Weg führte mich an den schönen Buchen und Eichen beim Luthersbrunn hinüber .
Ich sprach mir vor die Ode Horatii : Integer vitae , welche mit Lalagen schließt , dulce loquentem , dulce ridentem .
Dieses verstand ich nun erst , wie manches andere in meinen autoribus .
Das war damals in der Tat ein Frühling , welcher sich sehen lassen durfte , diesen auserwählten Mai konnte man nicht schimpfen ; denn es war nicht anders , als wenn jedem rauhen Winde das Maul zugehalten wurde , und nur die artigsten Spielgesellen der Sommerkönigin unter Läubern und Blumen wie wohlgezogene Kindlein herumgaukelten .
Auf halbem Wege gelangt man durch das Dorf Elster , welches an der Elbe liegt .
Schön dünkte mir der Strom und die Schiffmühlen darauf , der weite Blick , die Frische des Wassers und dessen Geräusch .
Nachher kommt man durch ein kleines stilles Dörflein , welches ich immer nur meine Sabbatsdörflein nannte , weil die Straße hinter den kleinen Häusern fortläuft , so daß man niemand gewahr wird , und von beiden Seiten Fruchtbäume die Hütten beschatten .
Nachher kurz vor Jessen wandelt man durch ein Gehölz , wo ein Bach von einer Anhöhe herunterrieselt , und dann sieht man das zerstreute Städtlein vor sich , in welchem die Wohnungen einzeln liegen , und die weißen sandigen Weinhügel mit den kleinen roten Häuschen und den vielen Nebenstöcken umher .
Ich trat in die Tür , verehrte Freunde , grüßte und wurde freundlich begrüßt , und überlieferte dem Alten mein Geschenk .
Ich konnte mit meiner Braut nicht sprechen , denn gleich mußt ich dem künftigen Schwiegervater sein Lieblingsstück vorlesen , daß er wie mit einer heiligen Heiterkeit erwartete , über welches ich aber nicht lachen konnte , sei es nun , daß ich niemals in meinem Leben sehr für das Lachen gestimmt gewesen , oder weil andere Gedanken mir meinen Kopf beunruhigten .
Aber denkwürdig ist es vielleicht , daß ich kaum dreimal in meinem Leben begriffen habe , daß es etwas Belachenswertes geben könne ; sehe ich von den Menschen die Gebärden des Lachens veranstalten , so möchte ich immer fragen :
Kur ?
Ebenbild Gottes , warum grinsest du also mit aufgesperrtem Hals und faltigem Gesicht dein Aushängeschild der Unsterblichkeit ?
Lächeln ist gar lieblich an Kindern und Mägdlein , aber Lachen , und dabei knaustern und prusten und schnarren , absit !
Nicht wahr , meine Edelsten ? "
" Sie haben vollkommen recht " , sagte der Baron , mit verhaltenem Lachen ; " aber was urteilen Sie vom Weinen ? "
" Da es mehr " , erwiderte der Magister , " mit dem Schnupfen und dem inwendigen Kitzeln der Nase zusammenhängt , so ist es verzeihlicher , doch auf jeden Fall unmännliche Schwäche .
Auch bricht bei den meisten Menschen die lamentatio ebenfalls in gar widerlichen Gebärden aus , so daß es mir fast immer hat unanständig bedünken wollen .
Dennoch ist freilich mehr Not als Lust , mehr Jammer als Freude auf dieser Welt , und es regen sich wenn der vernünftige Blick in das mannigfaltige verschlungene Elend der Welt geworfen wird besonders wenn man selbst im Unglücke laboriert , so gar sonderbar-wehmütige Zuckungen in allen Eingeweiden , daß ich gestehe , ich inklinierte oft und leicht zu Tränenergießungen , die auch wohl stattgefunden haben würden , wenn die Scham sie nicht zurückgehalten hätte . "
" Sie sind ein allzu strenger Mann , Magister " , sagte Krummschuh , " aber wie wurde es weiter mit Ihrer Liebesgeschichte ? "
" Ich erinnere noch einmal " , sagte der Alte , " daß es keine solche gewesen , wie man sehr bald aus dem Verlauf der Historie ersehen wird .
Ich sprach nachher meine Lalage , ich erzählte ihr von meiner Aussicht , bald Magister zu werden , und sie teilte meine Freunde darüber ; es war die Rede davon , daß ich im Orte selbst die Predigerstelle annehmen könnte , die gewiß bald erlediget würde .
Auch der Vater und die Mutter redeten über diese Aussicht , und mir schien , als wenn alle , ohne es Wort haben zu wollen , um mein Vorhaben wüßten .
Diese Zeit war in der Tat die Freudenzeit meines Lebens , ich hörte mich schon mit dem Titel » Magister ! « begrüßen , ich sah mich auf der Kanzel , und meine Frau und Schwiegereltern unter meinen andächtigen Zuhörern ; ich betrachtete Stadt und Feld als meine Heimat , und unter herzlichen Küssen und Umarmungen , deren ich mich jetzt nicht mehr zu schämen brauchte , ging ich fort und kam glücklich und wohlbehalten , freudiger Seele und gesunden Körpers , wie der zum Sitze der Musen zurück , um mich zur Disputation vorzubereiten und der hohen Würde fähig zu machen .
In vierzehn Tagen sollte diese große Feierlichkeit vollzogen werden , und ich ging im Herbste wiederum hinaus , um meine Teure aus dem Stamme Jesse noch einmal zu sehen .
Ich hatte mich in der letzten Woche recht angestrengt und war gar nicht aus meinem Zimmer gekommen , um so mehr freute ich mich auf meinen Gang in das Feld hinaus .
Aber ich kann es nicht beschreiben , werte Herren , wie mir wurde , als ich aus der Stadt kam .
Schon die hohen grünen Wälle sahen mich so finster an , draußen wurde es noch schlimmer , die Bäume , die Wiesen , alles war voll Schauer und Angst .
Was ist mit mir geworden ? dachte ich :
denn wie bei gräßlichen Geistergeschichten richtete sich mir das Haar empor ; war mir doch , als sei alles tot in mir und außer mir .
Der Fluß , die Schiffmühlen rauschten Totengesang und Schrecken der Vergänglichkeit , die kalten Winde sprangen recht mit Lust im Sonnenschein umher , als wenn sie rufen wollten :
» Alles , alles ist eitel ! «
Das Sabbatdörfchen war wie ein stilles Totengewölbe .
O entsetzlich !
ich nahm mit Schrecken wahr , daß mir heute sogar die Aussicht auf meine Magisterwürde keine Freude gewähren könne .
Wie komme ich zu dieser Melancholie ? rief ich aus ; ohne Zweifel hat mir mein übermäßiges Studieren eine Hypochondriam zugezogen , die mich sehr krank machen könnte .
Da freute ich mich , bei meiner Lalage gegen diesen gelehrten Krankheitsanstoß Trost und Schutz zu suchen , und bald von ihren Küssen , in denen Venus das Fünfteil ihrer Wonne gelegt , mich heilen zu lassen .
So die Tristitia bezwingend trat ich in die Stadt ein und fand niemand zu Hause , indem die Magd mir sagte : alles sei im Weinberg .
Ich schritt dahin , und meine Herzensbangigkeit kam wieder .
Aus dem Lusthäuschen herunter hörte ich schon von fern ein Kichern und Lachen , wie ich es unanständig nenne , und als ich oben war und die Tür öffnete , war sie es auch wirklich , die eben wieder mit verzerrtem Angesicht lachte , und neben ihr saß in einem blanken Reithabit , mit hohen Stiefeln und großen Sporen , auch Gold auf den Schultern , ein lustiger Bruder , wie ich sie wohl manchmal aus Halle oder Jena wahrgenommen hatte .
Ich setzte mich schweigend , grüßte mit leisem Wort , und da mich der junge Nimrod-ähnliche Mensch lange ansah und fragte , wer ich sei ?
so sagte sie kaltsinnig und fremd : » Der Herr ist ein Bekannter meines Bruders , der ihn einmal zu uns gebracht hat .
Sie befinden sich doch noch wohl ? « wandte sie die Frage an mich .
Mir war aber , als wenn ich etliche gordische Knoten im Inneren des Halses hätte , die sich mit keinen Worten wollten auflösen lassen .
» Wenn wir also « , fuhr das junge Genie fort , » unsere Komödie , die Nebenbuhler , noch spielen , liebste Hedwig , wie wir abgeredet haben , so kann der junge Herr hier wohl der Junker Ackerland sein ? «
- Ich Junker Ackerland !
ich als Histrio ? als Mimus ?
Zu meinem Widerwillen gegen den Stiefelmann gesellte sich nun noch die tiefste Verachtung , da ich hörte , daß er sich also entwürdige , in der Larva aufzutreten .
Die unbereuende Sünderin bestrebte sich , mich niemals anzusehen , und tat überhaupt , als wenn ich ein fremder Elefant , oder umziehendes Tier wäre .
Sie schenkte mir ein und spritzte unversehens einige Tropfen auf die hirschledernen Beine des Gewaltigen .
Er lachte , und goß ihr den Rest seines Glases auf das Kleid , indem er sie handfest anpackte und wie ein Satyr lachte .
» Nun habe ich es wettgemacht ! « rief er aus , und sie lachte ebenfalls , als wenn sie auf ewig ihr ehemaliges edles Antlitz unter das neue tierische unterschieben und verbergen wollte .
Die Eltern kamen nun und begrüßten mich kalt und gleichgültig .
Betäubt wie ich war , ging ich mit in die Stadt zurück und setzte mich in ihrer Gesellschaft zu Tische .
Die beiden Lacher saßen nebeneinander .
Da hörte ich denn , daß er in kurzem , weil er reich sei und beschützt , eine Stelle in einem anderen Städtchen erhalten würde ; man trank auf seine und der Braut Gesundheit .
Ich glaubte , dunkles Blut hinunterzutrinken .
Der seelsorgende Greis war wirklich seitdem gestorben , aber ich dachte jetzt nicht daran , um diese Stelle nachzusuchen , die man mir mehrmals schon versprochen hatte .
Noch in der Nacht ging ich zurück .
Mich dünkt , ich habe hin und wieder auf dem Wege geweint .
O , werte Gesellschaft ! es war ein höchst betrübter Tag , an welchem ich die akademische Würde erlangte .
Ich disputierte , ich ließ mir die Haare scheren , und setzte zum erstenmal eine Perücke auf mein Haupt .
Aber die Lust daran war dahin .
Ich ging zu meinem Vater und wollte mich ihm adjungieren lassen , aber ich erhielt seine Stelle nach seinem Tode nicht , weil man mir sagte , daß ich gegen den Patron immer sehr grob gewesen sei , obgleich ich mich äußerst bestrebt hatte , mich mit der submissesten Ergebenheit zu betragen .
Überhaupt war es traurig , daß sich in der Zeit , als ich nun den für mich höchsten Gipfel erstiegen hatte , die Welt schon in die Verwandlung zu begeben anfing , die sie seitdem immer mehr und mehr entstellt hat .
Ich hatte schon früher bemerkt , daß manche Magister ohne Perücke gingen , daß die Neologie und Heterodoxie die alte wahre Lehre und die gründlichen Studien zu verdrängen anfingen ; ich glaubte , was Rechtschaffenes gelernt zu haben , aber wohin ich kam , hieß es , ich sei mit allen meinen Kenntnissen um fünfzig Jahre zurück ; nirgend konnte man mich brauchen , nirgend fand sich eine Stelle für mich , allenthalben Achselzucken oder höhnische Reden über meine Pedanterie , wie man es nannte , und so fand ich mich endlich darein , nur hier und da der christlichen Jugend noch auf gutgemeinte und gottgefällige Weise nützlich zu sein , und so bin ich auch , nach mancherlei Wanderungen , endlich in diese liebe Stadt und zu meinen verehrtesten Freunden allhier gelangt .
Lange nachher kam ich einmal durch die Stadt , nach welcher sich meine Ungetreue hin verheiratet hatte .
Ich ging vor ihrem Hause vorbei , und sie schaute aus dem Fenster .
Lieber Gott , ich war älter seitdem , aber sie war häßlich geworden .
Ich weiß nicht , ob sie mich wiedererkannt hat ; da war doch nichts von dem Mutwillen , Lust und Scherzhaftigkeit geblieben .
Sie sah mich an und mochte sich in ihrem Sinn verwundern , warum ich also fleißig dort gehe und sie beschaue ; es war , als wenn die Not , der Jammer der Welt , der schon seit uralten Zeiten die Menschen bedrängt , als wenn alle Trübsal , von der ich gelesen , mich aus ihren Blicken betrachtete ; ich bin kein abergläubischer Mann , aber ich floh , denn mir dünkte , mir sei ein Gespenst erschienen .
Sie lebte unzufrieden mit ihrem Mann , der sich dem Trunk ergeben hatte , und sie hatten keine Kinder .
Dieses ist jene Geschichte , Verehrte , die ich mich nicht habe ermäßigen können mit Ihrer Erlaubnis vorzutragen , damit Sie sehen , daß , obwohl ich gleichsam fast versprochen war , und ein Recht hatte , über dieses gebrochene Wort zu trauern , ich dennoch nie verliebt gewesen , und jener Leidenschaft glücklich entronnen bin , von der so viele Menschen so viel zu erzählen wissen . "
Alle waren gerührt , die junge Frau tief bewegt , und es entstand eine Pause im Gespräch .
Endlich nahm der Baron sein Glas und rief : " Alles , was wir geliebt haben , lieben und lieben werden ! "
Der Magister und Leonhard stießen heftig an , Friederike zögernd , vielleicht wegen des letzten Zusatzes , und Krummschuh lachte laut , indem er sagte :
" Zeit wäre es , daß es bei mir einträfe , denn bis jetzt habe ich darüber keine Erfahrungen machen können . "
Es war schon spät , und man trennte sich , indem alle mehr nachdenkend geworden waren , als sie erwartet hatten .
Zweiter Abschnitt Zweiter Abschnitt Ein heller Sommerglanz war an dem Morgen verbreitet , an welchem Elsheim und Leonhard , die Stadt verlassend , über das grünende Gefilde fuhren .
Beide waren eine Zeitlang stumm , wie es gewöhnlich beim Anfang einer Reise zu sein pflegt ; nach einiger Zeit sagte der Baron :
" Dein alter Magister , mein Freund , hat mich gestern innig gerührt , und ich habe viel an ihn denken müssen ; es scheint mir in ihm ein schönes Gemüt zugrunde gegangen zu ein , wie in so manchen Menschen , wenn sie ihren Beruf verfehlen ; ich fing damit an , über ihn zu lachen , und endigte , ihn zu lieben und innerlich zu beweinen .
Wie bist du an ihn gekommen ? "
" Ich hörte von ihm reden " , antwortete Leonhard , " und suchte ihn auf , wo ich ihn in einer Gesellschaft von Bürgern traf , die sich über ihn lustig machten .
Von meinem wackeren Vater habe ich das Mitleid geerbt , das er vorzüglich mit verarmten Gelehrten und Künstlern hatte , und deshalb zog ich ihn in mein Haus , so daß er nun sorgenfreier und anständiger leben kann . "
" Fühlst du denn auch wohl " , fuhr der Baron fort , " welchen köstlichen Schatz du an deiner Frau besitzest ?
Wahrlich , gestern habe ich sie näher kennen und wahrhaft lieben und verehren gelernt .
Ein Weib , das ihren Widerwillen und Verdruß , den sie doch über deine Reise notwendig empfindet , nicht nur zähmen kann , sondern diese Freundlichkeit , Sanftmut und Liebe so ungezwungen darstellt , ist eine der größten Seltenheiten .
Denn selbst die liebenswürdigsten dieses Geschlechts können unangenehm werden , wenn sie über verletzte und unerkannte Liebe schmollen sie scheinen oft der Meinung zu sein , daß sie ihr Herz , in lauter Verdrießlichkeit und epigrammatischen Grimm gekleidet , dann nicht genug zur Schau tragen können . "
" Mir ist es sonderbar mit ihr ergangen " , erwiderte Leonhard .
" Ich stand auf der Grenze zwischen Knaben und Jüngling , als ich sie kennenlernte .
Der erwachende Sinn für Schönheit und Reiz ist in diesen Jahren gewöhnlich ungebildet , aber von desto größerer Schärfe , und so erschien mir ihr Angesicht , ihre Farbe , ihre einfache Kleidung , die blauen oder roten seidenen Bänder , die ihren Gürtel umflatterten , alles wie vom hellsten Glanze verklärt .
Sie schien mich bald auszuzeichnen , und da sie Vermögen besaß , sah mein Vater dies Verhältnis nicht ungern ; ihr Oheim begünstigte mich ebenfalls .
Von diesem Augenblick an vermied ich sie , aus übergroßer kindischer Delikatesse , mit einem gewissen störrigen Eigensinn gemischt , denn es verdroß mich , daß die Alten unsere frohe Heiterkeit und jene reizende jugendliche Neigung , die kaum an morgen denken will , schon für unser bürgerliches Fortkommen berechnen und nützen wollten .
Oft war ich recht sehnsüchtig verliebt , oft mit ihr entzweit , die über mich lachte , oft versöhnten wir uns .
In der Entfernung war mein Herz in manchen Stunden wie krank aus Liebe , dann konnte ich sie wieder auf Wochen vergessen ; ein andermal überredete ich mich , daß wir niemals füreinander gepaßt hätten .
Als ich zurückkam , fand ich sie mit freudiger Überraschung noch unverheiratet ; unser früheres Verhältnis knüpfte sich wieder an , als wenn es nie wäre zerrissen gewesen , und so wurden wir verbunden und glücklich , ohne daß wir eigentlich eine Leidenschaft füreinander gefühlt hatten . "
" Vielleicht " , sagte der Freund , " sind diese Ehen auf die Dauer die glücklichsten , weil beide Teilnehmer keine unmöglichen Erwartungen mitbringen ; und darum möchte ich fast den Entschluß fassen , gar nicht zu heiraten , denn die Sehnsucht , die Anbetung , die Leidenschaft der Liebe ist es doch nur , das fühle ich innig , was ich am heißesten wünschen und was mich allein glücklich machen könnte . "
Beide Freunde sahen sich stumm an , und es entstand wieder eine Pause im Gespräch .
Ihr Blick haftete auf den Wäldern und schön geschwungenen Hügeln , die sie umgaben , sie folgten dem Flusse , der abwechsend durch die Lücken des Waldes mit seinen Krümmungen erglänzte .
Das heitere Lied der Lerche und der Gesang der Nachtigall aus der Ferne stimmten das Gemüt zu sanfter Fröhlichkeit .
Nach einiger Zeit sagte Elsheim :
" Ich habe mich immer verwundert , mein Freund , daß du dir bei deinen offenen Sinnen und vielfältigen Kenntnissen , bei deiner Lust an allem Gebildeten nicht lieber den Stand eines Künstlers erwählt hast , da es dir doch gewiß nicht hätte fehlen können , dich auszuzeichnen .
Ist denn dein Beruf nicht vielleicht auch ein verfehlter ? "
" Gewiß nicht " , antwortete Leonhard , " und ich bin schon früh mit mir über diese Punkte aufrichtig umgegangen .
Daß ich nicht zum Gelehrten paßte , sah ich früh ein , weil Sachen mich mehr als Gedanken , Worte und Formen interessierten .
Zum Künstler fehlt mir ganz jener Enthusiasmus , jener strebende , fliegende Geist , der alles neben sich vernachlässigen und vergessen kann und darf , der in fremden Welten , aber nicht in der hiesigen einheimisch ist ; mein Gemüt im Gegenteil ist beschränkt und wahrhaft bürgerlich , mein Eifer für Arbeit , Nützlichkeit , meine Lust an Dingen , die brauchbar sind und fest stehen : alles dies überzeugte mich früh , daß ich zum Handwerker bestimmt sei , und zwar zu der Beschäftigung , welche ich erwählt habe .
Doch gibt es jetzt Augenblicke , in welchen ich mit meinem Stande , ja fast mit dem ganzen Leben unzufrieden bin . "
" Das sieht deiner Heiterkeit und Gesundheit wenig ähnlich " , sagte der Freund , " du mußt dich hierüber deutlicher erklären . "
" Noch in meiner Kindheit " , antwortete jener , " in früheren Zeiten aber weit mehr , stand der Tischler zwischen dem Künstler und Handwerker , und dies bestimmte mich hauptsächlich , mich diesem Berufe zu widmen .
Schon früh dachte ich darüber nach wie edel im Menschen der Trieb sei , alles , was sein Bedürfnis fordert , neben dem Notwendigen noch mit einer gewissen Zugabe von Schönheit zu umhängen , so daß der Reichere und Gebildetere keinen Hausrat haben mochte , der nicht durch hinzugefügten Zierat in etwas Höheres verwandelt war .
Dieser Schönheits- und Kunsttrieb ist es , den wir allenthalben mit Rührung und Liebe wahrnehmen , der die Welt zu jenem angenehmen Rätsel macht , welches so viele nicht zu begreifen scheinen .
Denn wenn die höhere Kunst frei wie im reinsten Äther schweben darf , sich selber genug , und nur durch Schönheit und Entzückung in die edelsten und geheimsten Kräfte des Menschen eingreift , und dadurch mittelbar in das , was die Welt lenken und erheben soll so gibt es gleichsam von dieser eine verstoßene , geringgeachtete Schwester , die sich unmittelbar der Not , der Trauer des Lebens annimmt , und uns mit stiller Heiterkeit über alles trösten will , was uns betrübt oder beschwert .
Diese immer mehr verschwindende Lust ist es , die unseren Vorfahren so unentbehrlich war , die sich in ihren ländlichen Festen oft als Kinderei und Torheit äußerte , über welche unsere neuere Vernunft lächelt , und sie auch gänzlich abzustellen sucht ; dieser Trieb ist es , der in vielen Gegenden den Pflug mit Bildwerk ausschnitzt , in Franken das Stirnjoch der Rinder mit bunten Farben bemalt , der den Schäfer antreibt , seinen hölzernen Becher und Stock mit Laubwerk zu verzieren , der zu gewissen Zeiten des Jahrs die Stuben mit Maien- oder Tannenreisern schmückt ; dieser unschuldige liebenswürdige Trieb ist es , der mir immer so recht rein menschlich im Gegensatz des Philosophen , des Herrschers , des Reichen , oder jener affektierten Kunstmenschen erschien , die ihren nachgemachten Enthusiasmus nur von Hörensagen haben , und diesen Bildungstrieb nie anerkennen und verstehen wollen , der sich doch als Erdboden , Wasser und Luft der eigentlichen Kunst unterlegen muß , damit ihr Keimen und Wachstum möglich sei . "
" Du wendest diesen Gedanken " , sagte Elsheim , " der mir nicht fremd ist , auf eine neue Art . "
" So schien es mir " , fuhr Leonhard fort , " daß alles Leere verkleidet , alles , was das bloße Bedürfnis ausdrückt , verwandelt , und die bloße Notwendigkeit daran so verschwiegen werden müsse , als sei sie bloß des Zierates wegen da .
Aus den Beobachtungen im Leben setzte ich mir auch früh eine Art von Theorie zusammen , die diese Vorliebe erklären und rechtfertigen sollte .
Die gerade Linie , weil sie immer den kürzesten Weg geht , weil sie so scharf und bestimmt ist , schien mir das Bedürfnis , die erste prosaische Grundbasis des Lebens auszudrücken ; die krumme , die als Zirkel , Ellipse , im Bogenausschnitt und in unendlichen Schwingungen sich bewegen kann , war mir die Unerschöpflichkeit des Spieles , der Zier , der sanften Liebe , die sich um den strengen , mürrischen und melancholischen Gatten in allen erdenklichen Umarmungen windet und ihn tröstend und liebkosend umschließt . "
" Fahre fort , mein Freund " , sagte Elsheim , " ich bin begierig , wie du endigen wirst . "
" Die Baukunst " , sagte Leonhard , " deren eigentliches Wesen in diesen geraden Linien und Ecken zu bestehen scheint , gefällt sich doch auch in kühngeschwungenen Bogen und gewölbten Kuppeln : so das Coliseum und Pantheon , sowie die ungeheure Peterskirche .
Aber die herrliche altdeutsche Baukunst in den Wunderwerken zu Straßburg , Köln und Wien hat am liebevollsten und innigsten diesem Triebe gehuldigt , und das innere Wesen dieser Gebäude ist Lieblichkeit , so daß es nur neueren Zeiten möglich war , hier Schauer , trübe Melancholie und Lebensüberdruß aufzufinden . "
" Ja wohl " , sagte der Freund , " wir können den neuesten Bemühungen edler Deutschen nicht dankbar genug sein , die uns diesen lange mißverstandenen lieblichen Traum wieder auf die rechte Art zu deuten suchen .
Dergleichen bereichert den Menschen wahrhaft , und so kann auch manche versunken geglaubte Atlantis unseres Gemüts wiederentdeckt werden .
Nur scheinst du mir den Tischler aus den Augen zu verlieren . "
" Doch nicht so ganz " , erwiderte Leonhard , " denn alles trifft hier ebenso zu , nur in kleineren Verhältnissen .
Haben wir nicht selbst die Chorstühle in der alten Kirche unserer Geburtsstadt bewundern müssen , die noch von katholischer Zeit her dort stehen ?
Wie fest , wie bequem , wie schön geschwungen , mit welcher Fülle von Laub , Früchten und Figuren verziert !
Wie manches wunderwürdige Treppengeländer habe ich in alten Reichsstädten , auf Rathäusern und bei Vornehmen gesehen : und wie manche Arbeit dieser Art , auch kunstreiche Balustraden in Stein habe ich aus Laune oder augenblicklicher Bequemlichkeit , weil sich die Stangen zu einer armseligen Illumination nicht gleich fügen konnten , wegbrechen und vernichten sehen , ohne daß es nur irgend jemand bedauerte , sondern alle die neue gerade Linie viel schöner und anständiger fanden , so daß ich über diesen Hussitensinn und die bilderstürmende Roheit unserer Tage Tränen hätte vergießen mögen . "
" Dieser jakobinische Zerstörungssinn " , sagte der Edelmann , " hat sich freilich unserer Zeit übermäßig bemächtigt , und hängt genau mit einer gewissen Aufklärung und unbedingten Verfechtung des Bürgerstandes zusammen .
Wir reißen Monumente der Ehre unseres Vaterlandes ein , und bauen mit selbstgefälligem Lächeln Kartenhäussergen an die Stelle .
Der Schwank von jenem Affen , der an des Malers Buffalmacco Stelle auf seine Weise malte , wenn jener sich entfernt hatte , und mit seinem Werke sehr zufrieden schien , ist die Kunstgeschichte unserer Tage . "
" Diese Verwandtschaft zur Kunst " , fuhr Leonhard fort , " ohne doch Kunst sein zu wollen , war es , was mich zu meinem Handwerke zog ; ich legte mich daher mit unermüdlichem Eifer auf das Zeichnen , und glaube darin auch nicht ungeschickt geblieben zu sein .
Immer schwebten mir edle und wohlgefällige Figuren von Tischen und Sesseln vor , und ich suchte im Sinn unserer Vorfahren entweder mit Blumen und Laubgewinden , oder mit leichten Figuren , die an die Arabeske grenzten , die harte gerade Linie und das Vierkantige zu verkleiden .
Es ergötzte mich unendlich die Kunst der Lackierer zu lernen , und weiß , himmelblau , rötlich und alle Farben recht rein und dauernd hervorzubringen ; noch mehr erfreute mich die Vergoldung , wodurch Frohsinn und Heiterkeit wie von selbst in unser Leben hineinlacht .
Die Politur der Hölzer war mir ebenso wichtig , jede Baumart wurde mir eine liebe Bekanntschaft , die ich wie einen Freund mit seinen Eigenheiten und Vorzügen behandelte , die schöne Pappel , die sich wie in Silber oder weißen Atlas verwandeln läßt , der rötliche Pflaumen- oder dunkle Nussbaum , das gediegene , reizhaderige Eichenholz , die weiche Else ; die Geschicklichkeit , den Maser bunt und sonderbar anzubringen , oder mit dem fremden Ebenholz fein und zierlich einzufassen und zu umlegen : alle diese Dinge wandte ich in meiner Phantasie hin und her , und mit inniger Freude erinnere ich mich älterer Mobilien , deren ich auch noch einige in fremden Ländern gesehen habe , die das Leben des Menschen wirklich mit Lust und Zier umstellten , ihn durch Gold und Farben erheiterten , und in schön geschwungenen Zirkellinien Stuhl , Sessel , Tisch und Schrank , auch ohne Hinsicht des Gebrauchs , zu angenehmen Gegenständen der Betrachtung machten . "
" Ich merke schon , mein Freund " , sagte Elsheim , " daß du in deiner Hantierung nur ungern mit dem Zeitalter fortgeschritten bist ; aber ich glaube doch nicht , daß du alle jene Schnörkel und krummen Linien , die man sonst auf die geschmackloseste Weise an Tischen oder anderen Gegenständen angebracht , wirst rechtfertigen wollen ? "
" Gewiß nicht " , sagte Leonhard , " denn aus dem richtigen Gefühl war durch Übertreibung in einer gewissen Zeit etwas Unsinniges gemacht worden .
Besonders hatten die Franzosen ein Muschel- und Schnörkelwesen aus lauter willkürlich geworfenen Bogen- und Zirkelschnitten gemacht , in welchen weder gerade Linie noch Brauchbarkeit sichtbar blieben .
Diese Dinge gehören in die Reihe jener Buchdruckerstöcke , die um eine gewisse Zeit Mode waren , über die man , wenn man sie genau betrachten wollte , verrückt werden möchte , wie uns denn alles ganz Willkürliche , Unzusammenhängende , Unzweckmäßige diese Empfindung erregt ; es ist das , was wir das Abgeschmackte nennen müssen , weil es geradezu dem Geschmack entgegensteht und ihn auf immer unmöglich macht , der Nicht- oder Ungeschmack sich aber noch immer erziehen und bilden läßt .
Dieser letzte aber ist es , der uns von England aus in unseren Bedürfnissen des Lebens immer mehr und mehr überschleicht , eine Art von Puritanismus , die geradezu alle Zier , alles , was nicht strenge Notdurft ist , als Ketzerei ansieht .
Es tut mir weh , diese reinkantigen , schroffen , wie aus Erz und Eisen gegossenen Formen arbeiten zu müssen , die um so mehr gefallen , je gerader und strenger die Linien sind , so daß wahrscheinlich kunstreichere Nachkommen einmal diese vollendete Barbarei einer Zeit mit Verwunderung betrachten werden , die so viel und zu viel über Kunst gesprochen hat .
Dazu das traurigmontane und dunkle Mahagoniholz , das nur im nächsten Blick Goldäderchen oder Schimmer entdeckt , dessen Wirkung im allgemeinen aber immer trübselig ist .
Nun vergleiche man mit unbefangenen Sinnen ein Zimmer von heutzutage mit einem jetzt altfränkisch genannten .
Im ersten die kahlen Kalkwände mit einer Malerei , die freilich oft Prätention genug macht , ein paar große Spiegel mit finsteren Rahmen , ohne Figur und Zier , ebenso Tische und Stühle , alles hart , herbe und kunstlos .
Dagegen versetze man sich in ein geschmücktes Zimmer , wie es vordem gebräuchlich war , die Wände mit rotem Damast , oder gelber und blauer Seide bekleidet , von goldenen Leisten eingefaßt , der heiterste und behaglichste Anblick , alle Sessel und Schränke von hellem Glanz und kunstreicher Arbeit , mit vergoldeten schön geschnitzten Figuren ; wo man Schlösser oder Erzarbeit wahrnimmt , ist alles auch in Gestalt , Laub , Blume aufgelöst ; wohin das Auge sich nur wendet , lächelt die Kunst entgegen .
Die höchst unbequemen Ruhebetten , die ich fertigen muß , und die immer unfertig aussehen , noch mehr die Sekretäre , wie man sie nennt , oder Schreibe-Büreaus , nötigen mir mit ihrem Mangel an Verhältnis , und kleinen Spiegeln und Säulen , oder abgeschmackten Grotten inwendig , oft ein Lächeln ab , und in dieser Hinsicht ist mein Schicksal dem des Magisters nicht unähnlich , daß ich mit meinem Geschmack auch um fünfzig oder siebzig Jahre zu spät komme . "
" Man fängt ja jetzt wieder an " , sagte Elsheim , " das Gold bei bronzierten Sachen anzubringen . "
" Ja " , antwortete Leonhard , " wieder auf verkehrte Weise , denn Holz soll nun wieder Erz und Bronze nachahmen ; und diese Greifenfüße , Sphinxen und dergleichen plump gearbeitete Figuren , die einen großen Stil haben sollen , sehen eben erst recht barbarisch aus .
Die ganze Kunst unserer Tage hat sich in die Töpferarbeit Wedgwoods geflüchtet , in der man wirklich angenehme und leichte Formen erfunden und den Alten nachgeahmt hat .
Von dem traurigen Porzellan mit seiner Affektation , kostbaren Vergoldung und Malerei , Landschaften und Correggios , und wer weiß was alles , so teuer , daß oft auf einem Ecktisch oder in einem Schrank der Wert von Tausenden enthalten ist , für die man erfreuliche Kunstwerke haben könnte , mag ich gar nicht sprechen .
Hier drängt man Malerei und Kunst einer geringfügigen Materie auf , in der alles kleinlich erscheinen muß , und entfernt vom Metall , dem Silber und Golde alle Anmut , stellt die nackten Formen des Bedürfnisses hin , wo Zier und Schmuck so bedeutend werden kann , um recht darzutun , wie verkehrt wir in allen Dingen geworden sind . "
" Du hast mir jetzt vielerlei erzählt , mein Freund " , sagte der Baron , " aber wie verbindest du denn in deinem eigenen Leben so manchen phantastischen Hang , wie z.B. den , der dich einmal fast überwältigte , Schauspieler zu werden , mit diesem soliden Streben , mit deiner Bürgerlichkeit , mit deiner Gründlichkeit und Ruhe ? "
Nach einigem Nachdenken antwortete der junge Meister :
" Ich glaube , daß alle , oder doch die meisten Menschen aus Widersprüchen zusammengesetzt sind ; diese nun auf gelinde , gewissermaßen kunstreiche Art zu lösen , ist die Aufgabe des Lebens .
Gewaltsame Leidenschaften , erschreckendes Unglück , tolle Ausschweifung , sind wohl sehr oft Mangel an Geschick und Kunstsinn zu nennen .
Ist es nicht wieder in anderer Gestalt die gebildete Vereinigung der geraden und krummen Linie , der notwendige Zierat , der dem nackten Leben zur schmückenden Umkleidung gegeben wird ?
Was sich zu widersprechen scheint , vereinigt sich gelinde und schön , gerade das , was überflüssig und unvernünftig aussieht , ist es , was dem Wahren , Festen und Richtigen Gehalt und Schönheit gibt .
Vielleicht sind wir , gegen unsere Vorfahren gehalten , hierin ebenso zurück , wie im Hausrat , wenngleich mancher unter uns mit jenen Buchdruckerstöcken oder Schnörkelfiguren zu vergleichen ist , welche die geschweifte Linie gleichsam toll gemacht hat .
Die Ausschweifung an sich selbst soll nicht dasein dürfen . "
" Lieber Freund " , sagte Elsheim , " du scheinst mir da einen ebenso sonderbaren als wahren Gedanken ausgesprochen zu haben , der mir vieles in ein verständliches Licht rückt , was sich mir oft als Rätsel hat aufdrängen wollen . "- Es war ein heißer Tag geworden , und beide Reisenden sehnten sich nach Erquickung .
" Haben wir noch weit zur Station ? " fragte Elsheim den Fuhrmann , " und treffen wir dort ein gutes Wirtshaus ? "
Der junge Mensch wandte vom Bock sein freundliches Gesicht in den Wagen hinein und sagte : " Dort hinter dem Walde kommt das Städtchen schon hervor , und der Gasthof ist der beste von der Welt ; die Wirtin besonders ist ein wahrer Engel , durch sie wird der Mann reich , denn alle Fuhrleute kehren seitdem in der goldenen Traube ein , so daß das Haus weit im Lande berühmt ist . "
Schon befanden sie sich unter einem hohen Lindengange , der in das Städtchen führte , das heiter aussah und ziemlich volkreich war .
Sie hielten vor einem großen Hause , und da beide Freunde es liebten , auf einige Stunden unter den übrigen Gästen verschiedener Stände zuzubringen , so begaben sie sich unten in das große Wirtszimmer .
Eine schon bejahrte Frau schoß ihnen in übertriebener Hast mit schreiender Stimme entgegen :
" Wollen Sie sich_es bequem machen , meine Herren ? " und da sie sah , daß die Fremden wie scheu zurückfuhren , sagte sie milder und gesetzt :
" Wenn Sie kein eigenes Zimmer befehlen , Ihr Gnaden , so sein Sie nur so gut , hier hereinzuspazieren . "
Beide Freunde verwunderten sich stillschweigend , daß diese Figur dieselbe Wirtin sein sollte , die ihr Fuhrmann ihnen als Engel bezeichnet hatte .
Sie fanden in dem großen Saale verschiedenartige Menschen .
In der Nähe der Küche saß der korpulente und phlegmatische Wirt und verzehrte sein Mittagsessen , ohne sich um seine Gäste zu bekümmern ; nicht weit von ihm waren zwei Männer , die Geistliche zu sein schienen , in den Zeitungen und politischen Gesprächen darüber vertieft , diese hatten nur Wein vor sich stehen ; an einem großen Tisch fiel eine bunte Gesellschaft in die Augen , einige Weiber und Mädchen , mit Bändern und Seide auf unpassende Art geschmückt , und einige Männer dazwischen , in abgetragenen Kleidern , alle sehr lärmend und heftig begehrend , welche , wie man nachher erfuhr , eine Gesellschaft von reisenden Schauspielern waren ; ganz einsam in eine Ecke gekrümmt , saß ein Jude , der still sein kleines Frühstück verzehrte , und auf alle Gegenwärtige ein wachsames Auge hatte ; die übrigen im Zimmer waren jüngere und ältere Fuhrleute und Kärrner .
Elsheim bestellte ein Mittagsessen und Wein , und mit der größten Schnelligkeit ließ die Wirtin das weißeste Tischzeug auf einen kleinen Tisch legen , den sie so zu stellen wußte , daß niemand im Saal den beiden Reisenden beschwerlich fallen konnte ; von einer reinlichen Magd wurde sauberes Fayencegeschirr und blanke Gläser , nebst Silberzeug hingelegt , und bald erschien die Suppe .
Die Wirtin wurde zu den Schauspielern gerufen , wo sich ein lauter Streit über den Anteil erhoben hatte , den die Mitglieder an der Rechnung haben wollten , oder zu haben leugneten ; ihre durchdringende Stimme , Überredung und einiger Scherz wußte bald die Ruhe wiederherzustellen .
Ein stiller Blick des Juden lud sie ein , sie ging in seine Ecke , stellte sich nahe zu ihm und rechnete heimlich mit ihm .
Er schien zufrieden , und zog ohne Widerrede ein ledernes Beutelchen , bezahlte sie , sie dankte ihm freundlich , und geleitete ihn , so wenig er auch verzehrt hatte , bis zur Tür hinaus , offenbar in der guten Absicht , ihn vor den Späßen oder Angriffen der rohen Fuhrmannsbursche sicherzustellen .
Unseren beiden Freunden entging diese Behendigkeit und Vielseitigkeit nicht , und sie teilten sich heimlich ihre Bemerkungen über die Menschenkenntnis der Frau , sowie über die Ordnung des Hauses mit .
Indem saß sie wieder bei einem alten verdrußlichen Fuhrmann , dem sie zärtlich die runzligen Wangen streichelte , und unter Erzählungen von der Vortrefflichkeit seiner verstorbenen Frau die Rechnung mit ihm ins reine brachte .
Dann kam sie zu einem jungen Burschen , der , weil er vielleicht im Hause noch fremd war und die Weise der Frau nicht kennen mochte , sich , indem sie ihn ebenfalls freundlich anfaßte , Freiheiten nehmen wollte , aber auch mit der größten Schnelligkeit eine nicht unsanfte Ohrfeige empfing , worüber alle Anwesenden , hauptsächlich des Barons junger Fuhrmann , ein lautes Gelächter aufschlugen .
Dieselbe Frau , indem sie jetzt von einem anderen Kärrner , der an der Reihe zu sein schien , herbeigewinkt wurde , änderte jetzt ihre stille Weise mit diesem Zänker und fing ein solches Geschrei an , daß man meinte , es müsse zu Gewalttätigkeiten kommen ; so laut die Stimme des Mannes war , so übertönte sie ihn doch ; so grob und anzüglich seine Ausdrücke lauteten , so hatte sie doch noch gröbere und beißendere in Bereitschaft , so daß er endlich beschämt und grimmig bezahlte , was sie verlangte .
Mit der ruhigsten Art setzte sie sich nun zu den Geistlichen nieder , und nahm , da sie ihr bekannt schienen , alsbald an ihrem Gespräche Teil und bedauerte , daß es manchmal im gemeinschaftlichen Zimmer dergleichen Störungen geben müsse .
Die Suppe war verzehrt , und mit einer anständigen Verbeugung nahm sie unseren Fremden die Teller weg und trug sie in die Küche , um ihnen eine andere Speise zu senden .
" Ein Kapitalweib ! " sagte der grimmige Fuhrmann zu einem anderen , indem sie hinausgingen , " sie macht doch auch die Rechnung nie um einen Groschen höher , um sich abhandeln zu lassen , ob sie gleich meine Art wohl kennt , wie es alle die anderen dummen Weiber in den übrigen Gasthöfen machen . "
Die Frau kam zurück und fragte , wie den Herrn der Wein vorkäme , und freute sich , da sie ihn loben hörte .
Bei aller dieser Tätigkeit , dem vielfachen Getümmel und Geschrei saß der Wirt indes fast unbeweglich in seinem ledernen Stuhl , ohne die Augen von seiner Schüssel oder seinem Glase aufzuheben .
" Deutschland " , sagte Elsheim , " ist vielleicht das einzige Land , wo in mancherlei Gewerben die Frau so oft den müßigen Mann ernähren muß . "
Sie wollten dieses Gespräch eben fortsetzen , als sie durch eine sonderbare Erscheinung unterbrochen wurden , die ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog .
Stolpernd und schreiend trat eine große Figur herein , ein ziemlich starker Mann , in grünem Rock und Weste , beide mit schmalen Tressen besetzt , mit großen Stiefeln angetan ; er trug einen Zopf und zwei Locken im frisierten Haar , von welchem man nicht unterscheiden konnte , ob es vom Puder oder von Natur weiß sei ; sein Gesicht war rot und aufgelaufen , das Haupt bedeckte ein kleiner dreieckiger Hut .
Mit lautem Freudengeschrei bewillkommte ihn sogleich die Wirtin :
" Ei ! bester Herr Wassermann , sind Sie schon zurück ? "
- " Ja , Alte " , schrie der Fremde , und gab ihr einen starken Schlag auf den Rücken : " ei " - indem er sich gegen die Schauspieler wandte - " da treffe ich ja das lustige Gesindel auch wieder !
Geld , liebes Volk , wir sind neulich vergnügt gewesen ? "
Alle antworteten dem fröhlichen Herrn nur , wie sie ihn nannten , mit einem lauten Gelächter , er aber riß die Türe schon wieder auf und schrie hinaus :
" Nur hier herein ! hier herein ! meine Freunde ! " worauf eine Bande Bergmusikanten in das Zimmer brach .
" Nicht wahr , meine Herren " , wandte er sich an die Gesellschaft , " wir lassen eins aufmachen ? und wenn Sie es auch nicht mögen , so bin ich wohl Manns genug , allein zu bezahlen !
Komme , Dicke " ( indem er die Wirtin unter den Arm faßte ) ; " und nun einen Walzer !
aber lustig ! "
Sogleich bewegte sich bei betäubender Musik der Wirrwarr aus allen Ecken und drehte sich durch den Umfang des Saales ; der fröhliche Herr tanzte mit der Wirtin vor , die Komödianten flogen sich in die Arme , einige Mädchen , die übrigblieben , winkten die jüngsten der Fuhrleute herbei , und unter Schreien , Stampfen , Händeklatschen und Gelächter wälzte sich der Tumult immer wilder und wilder ; doch wußte es die Wirtin so geschickt zu machen , daß keiner ihrer Gäste , am wenigsten unsere Reisenden die sie als die Vornehmsten behandelte , gestört wurden ; aber das Springen und die Schnelligkeit des Walzers wurde so heftig , daß sie bald das Tuch vom Kopf verlor , und jetzt mit aufgelöstem Haar einem wilden Gespenste in toller Bewegung glich .
Indem sich der Alte einmal umdrehte , rannte sie , die durch das Schiebefenster in der Küche eine Unordnung bemerkt hatte , in diese hinein , stieß und schalt die Mägde am Feuer zurecht , kam zurück , setzte ihren Kopfputz wieder auf , und bald hatten die Wut und der lärmende Tanz ihr Ende erreicht .
Sie setzte sich wieder zu den Geistlichen nieder , um in aller Ehrbarkeit weiter am Gespräch teilzunehmen , und der Fremde nahm seinen kleinen Hut ab , um sich den Schweiß abzutrocknen .
" Es macht warm , meine Herren " , sagte er keuchend , indem er sich zu Elsheim und Leonhard wandte , " aber so unvermutet und plötzlich macht es auch das größte Vergnügen .
Wenige Menschen , dem Himmel sei es geklagt , wissen das Lebens zu genießen und die Freude gleichsam im Fluge zu haschen ; wohin ich gekommen bin , bin ich noch immer an Geist und Munterkeit der Jüngste gewesen ; denn unsere jetzige Jugend ist , wo man nur hinsieht , trübsinnig und schwerfällig , und ich muß , wie ein alter Anakreon , die Bursche beschämen . "
Es wurde dem Baron sehr schwer , nicht laut aufzulachen , aber dennoch bezwang er sich und sagte : " Gewiß , wären alle Menschen von Ihrer Fröhlichkeit , so würde das Leben noch einmal so leicht und anmutig sein . "
" Wer zweifelt daran ? " erwiderte jener , und setzte sich , ohne zu fragen , nahe zu den beiden Freunden nieder , so daß Leonhard , dem der Mensch verhaßt war , etwas von der Seite rückte .
" Inkommodieren Sie sich nicht " , rief der Tänzer , " ich sitze schon gut hier , ich habe Platz genug . "
Es ergötzte den Baron , seinen Freund in dieser verdrußlichen Stimmung zu sehen , er wandte sich daher zum Fremden und sagte : " Sind Sie aber zu allen Zeiten so vergnügten Humors ? "
- " Fast immer " , erwiderte jener mit Selbstzufriedenheit , " nichts ist mir widerwärtiger als Kopfhängen und Kalmäuserei , oder das duckmäuserische Pietisten- und Herrnhuterwesen ; in meinem Hause muß alles alert sein , ich schreie vom frühen Morgen , was ich aus der Kehle bringen mag , und da ich selten zu Hause ganz meine Lust büßen kann , so besuche ich Freunde , die ebenso heiter sind , als ich , und regelmäßig treffen wir des Abends im Wirtshause zusammen .
Herr , ich versichere Sie , unser Brüllen , Singen und Schreien hört man oft über das ganze Städtchen weg , und jedes Kind weiß davon zu erzählen , was ich für ein lustiger Mann bin . "
" Wie glücklich sind Sie " , sagte der Edelmann , " ein solcher Humor ist ein unschätzbares Kleinod , und ich wollte nur , Sie könnten meinem jungen Freunde etwas von Ihrem Lebensmute mitteilen , der , wie Sie wohl bemerken werden , an der Melancholie leidet . "
Wassermann packte gewaltsam des jungen Tischlers Hand , schüttelte sie kräftig und sagte : " Ach ! was da !
was da ! wer wollte melancholisch sein , solange einem Essen und Trinken schmeckt und man nur halbwegs gesund ist . "
Leonhard wurde immer mehr verstimmt , aber der Baron fuhr fort : " Ja , Herr Wassermann ( denn so heißen Sie , wie ich gehört habe ) , es gibt aber doch Leiden , die , ungeachtet aller Lebensphilosophie , in der Sie sehr stark zu sein scheinen , das Herz zu sehr angreifen , zum Beispiel , die Leiden einer unglücklichen Liebe , an welchen mein Freund eben ohne Hoffnung darniederliegt . "
" Das ist ja eben zum Totlachen " , sagte die widerwärtige Figur ; " die Liebe ist auch eine neuerfundene Modekrankheit .
Daß man die Weibsen gerne hat , ist wohl sehr natürlich , und wo ich nur hinkomme , bin ich in alt und jung , in schön und häßlich verliebt .
- Ihr wißt auch davon zu sagen , lustiges Gesindel ! " schrie er zu dem weiblichen Teil der Schauspielergesellschaft hinüber .
- " Aber , meine Herren , sich grämen , seufzen , krank werden , ist eines Mannes unwürdig , und davon weiß ein anakreontischer Liebhaber nichts .
Ich bin Bräutigam gewesen , ich war verheiratet , aber ich blieb einen Tag wie alle Tage .
Ja , meine Herren , ich bin jetzt wieder mit einem recht schönen Mädchen , das zwar nicht so ganz jung mehr ist , versprochen , aber ich wäre wohl ein Narr , wenn mir nicht unterwegs auch andere gefielen ; nein , nichts gereut einen in späteren Jahren so sehr , als ein Kuß , den man nicht appliziert hat , wenn sich die Gelegenheit dazu anbot . "
Mit diesen Worten sprang er auf , küßte erst die Wirtin und dann die übrigen Frauenzimmer nach der Reihe , ohne die Mägde zu übergehen , die das Zimmer aufzuräumen hereingetreten waren , dann lief er hinaus , um nach seinem Reitpferde zu sehen .
" Ein gottloser Mensch " , nahm die Wirtin das Wort , " er kommt jetzt mit einer ansehnlichen Erbschaft zurück , die ihm ein Vetter auf seinem Sterbebette vermacht hat .
Dadurch ist sein eigenes Vermögen um so größer ; und je wohlhabender er wird je toller wird er auch . "
" Wer ist denn der Unhold ? " fragte Leonhard heftig , " wo hat er denn seine Scharfrichterei ? und welches weibliche Wesen kann denn so ganz ohne Empfindung sein , sich mit einem Tollhäusler zu verbinden ? "
" Ei , bewahre , Ihr Gnaden ! " sagte die Wirtin scheu , indem sie sich etwas zurücksetzte : " behüte Gott , daß Herr Wassermann das hören sollte !
Er ist ein reicher Mann aus dem Würzburgischen , wo er viele Weinberge hat ; sein Meister Handel ist auch mit Wein , darum bereist er oft diese Gegend .
Und warum sollte denn auch ein Frauenzimmer , wenn sie nur irgend solide denkt , einen ehrlichen wohlhabenden Mann nicht heiraten können ?
Sie soll arm sein , er hat keine Kinder , und so kommt sie gleich in einen guten Hausstand .
Ei ! ei ! freilich sind das wohl so von den melancholischen Reden , wie der gnädige Herr hier vorhin zu sagen beliebten . "
Indem kam Wassermann lärmend wieder hereingetreten , er stellte sich vor Leonhard hin , rückte den Hut ein wenig und sagte : " Herr Patron ! sollten Sie vielleicht einmal in das Würzburgische Städtchen kommen " ( indem er den Namen nannte ) , " so bitte ich es mir aus , daß Sie bei mir einsprechen , und der Teufel soll mich holen , wenn ich Sie nicht von aller Liebe und Melancholie kuriere . "
- Da Elsheim sah , daß der verstimmte Leonhard im Begriff sei , loszubrechen , hielt er es für Zeit , den Spaß zu endigen , indem er dem Schreier die Hand gab und sagte : " Ich hoffe , mein lebensfroher Herr Wassermann , daß wir uns in diesem Leben nicht zum letzten Male gesehen haben . "
Er berichtigte schnell die Rechnung , und stieg mit Leonhard wieder in den Wagen , da der junge Fuhrmann sie schon eine Weile erwartet hatte .
" Ich kenne dich nicht wieder " , fing der Baron an , als sie die Stadt hinter sich hatten , " diese kränkliche Verwundbarkeit habe ich noch niemals an dir bemerkt .
Wie hat dich ein solcher Narr nur verletzen können ? "
" Mein Freund " , antwortete Leonhard , " diese heftige Verstimmung mag seltsam und unnatürlich scheinen , aber dieses Wesen hat mich von neuem darin bestätigt , das zu glauben und dem zu folgen , was man sonst Sympathie und Antipathie genannt hat .
Sowie dieser Mensch nur zur Tür hereintrat , fühlte ich einen gewissen Haß in meinem Busen sich regen , den ich nicht bemeistern konnte .
Zuletzt überwältigte mich der Gedanke , wie vielleicht ein armes , hülfloses Mädchen , von Eltern und Verwandten bestürmt , um sich nur vor den nächsten Blutsfreunden ( ja wohl , die nach ihrem Blute lüstern sind ) Ruhe zu schaffen , sich einem solchen Wüterich aufopfert , um eine lange qualvolle Lebenszeit hindurch zu bereuen , daß sie in einer Viertelstunde schwach genug war , ihre Einwilligung zu geben . "
" Die Braut " , sagte Elsheim , " soll aber über die erste Jugend hinüber sein , so daß dies nicht zu besorgen steht . "
" Immer schwebt mir doch " , fuhr Leonhard fort , " das gräßliche Bild solcher Ehe vor Augen , was von den meisten Menschen auf Erden so genannt wird .
Jenes fürchterliche Verhältnis ohne Liebe und Achtung , und aus welchem auch die letzte Spur von Heiligkeit verschwunden ist , gegen welches mir jenes der Orientalen mit ihren Sklavinnen als ehrwürdig und unschuldig erscheint .
Ist es schon traurig genug , daß Liebe und gegenseitige Leidenschaft nicht immer zum Glücke führen , so ist es gegenüber wahrhaft fürchterlich , daß Staat und Religion ein gegenseitiges Ermorden sanktionieren können . "
" Wenn ich dir auch recht gebe , wie ich muß " , sagte Elsheim , " so wirst du mir , trotz deines Eifers , nicht angeben können , wie es denn sein müßte , um besser zu werden , wenn wir nicht geradezu die treffliche goldene Zeit , oder das belobte tausendjährige Reich herbeirufen wollen .
Gewinnt dir denn aber dieser neue liebe Anakreon und seine Lebensphilosophie kein Lachen ab ? "
" Ich vermag es nicht " , sagte der junge Meister völlig verstimmt , " denn ich fürchte , daß das , was uns hier als Karikatur erschienen ist , nur das wahre Bild eines großen Teils der Welt sei .
Mir war es , als würde dieser Abgesandte ihrer Trübsal , Nichtigkeit und Niedrigkeit umhergeschickt , um recht zu verkündigen , wie verderbt und armselig sie sei , und statt zu lachen , wären mir in diesem gräßlichen Getümmel und den springenden Larven und Gespenstern die Tränen fast aus den Augen gebrochen . "
" O so bist du ja unheilbar " , sagte der Baron nicht ohne Lachen , " ich sehe , daß du Anlage zur Hypochondrie hast ; immer hat es solche mißverstandene Phrasen in lebendiger Figur gegeben , und die Erde wäre ohne diese grellen Toren viel ärmer und dunkler .
Ich hoffe also , du nimmst seine freundliche Einladung an , ihn zu besuchen , damit er dich von deiner Melancholie heile . "
Er wandte sich zu seinem jungen Kutscher und sagte : " Ihr habt recht gehabt , mit der Wirtin im Hause , sie ist eins der liebenswürdigsten Weiber , die ich noch gesehen habe . "
" Sagt ich es nicht vorher " , rief der junge Mensch erfreut aus :
" Ihr Gnaden glauben nicht , was das für eine große Kunst ist , mit so vielen Menschen tagtäglich umzugehen und es allen recht zu machen .
Alle Kärrner und Fuhrleute aus dem Reich kennen sie auch , und machen lieber eine Meile mehr , um nur in diesem Hause auszuspannen , und diese Art Leute , die täglich und immer mit vielen Pferden kommen und selber viel verzehren , sind für einen Gasthof die einträglichsten .
Wenige Menschen wissen auch mit ihnen recht umzugehen , der eine will lachen , der andere schwatzen , der dritte klagt gerne , noch ein anderer ist nur froh im Zank und wenn man ihm grob begegnet , und mit allen trifft sie es genau , verabsäumt keinen und zieht keinen vor , ist allenthalben wie durch ein Wunderwerk , schießt zugleich durch Küche , Keller und Boden umher wie ein Drache ; mit einem Wort , sie ist ein Engel von Frau , und ohne sie würde der gute dicke Melchior verhungern müssen . "
Die Freunde saßen eine Zeitlang stumm nebeneinander , denn Leonhard war verstimmt , und Elsheim wußte nicht recht , wie er den Faden der Unterhaltung anknüpfen , oder welchen Gegenstand er berühren solle , um die Mißlaune seines Gefährten nicht zu vermehren .
Endlich sagte er :
" Du hast dich nun , mein lieber Jugendfreund , und hoffentlich auch Freund meines Alters , meinen Bitten und meiner Liebe gefügt , daß du mich nie anders als mit dem vertraulichen Du anredest ; ich hoffe , daß du es auch nie , und in keiner Gesellschaft unterlassest , und du würdest mich empfindlich kränken , wenn du es je wieder aus der Acht ließest . "
" Du willst es " , sagte Leonhard , " und es sei also .
Aber die Deinigen , deine Gäste , so wie alle Fremden dort , werden diese , nach den hergebrachten Meinungen der Welt , ein solches Verhältnis nicht unbegreiflich finden ? "
" Sie sind von mir das Ungewohnte gewohnt " , antwortete Elsheim : " auch siehst du , daß ich keinen Bedienten mit mir genommen habe , damit wir unterwegs um so freier sein können , und so hindert dich und mich auch nichts , dich dort bei mir als Baron Professor , Architekten , reisenden Maler , oder was du sonst willst , vorzustellen . "
Leonhard schwieg erst ein Weilchen still , um seine ganze Empfindlichkeit zu sammeln , dann brach er los : " Früher hättest du es mir sagen sollen , daß du dich in deinem erlauchten Zirkel schämst , mich als deinen Freund und den aufzuführen , der ich wirklich bin , so wäre ich dir nicht vergeblich bis hierher gefolgt , und wir beide hätten nicht nötig gehabt , eine Rolle zu übernehmen , die unserer unwürdig ist .
Es ist aber doch noch gut , daß du mir die Entdeckung zeitig genug gemacht hast , um umkehren zu können , und künftig werde ich den Warnungen und Vorstellungen meiner verständigen Friederike eine bessere Folge leisten . "
" Sprich und zürne dich nur aus " , sagte Elsheim : " denn endlich ist zur rechten oder unrechten Zeit gesagt , was ich gestern dir zu sagen verabsäumte ; das ist doch , beim Licht besehn , mein ganzes Verbrechen ; in deiner frohen Laune damals hättest du den Scherz als Scherz betrachtet , und nur gefühlt , wie sehr ich dich liebe , um dich da draußen unter narrenhaften Menschen recht wahr und ungestört zu besitzen ; du würdest eingesehen haben , daß man das Komödienspielen nicht besser einleiten kann , als wenn man gleich in einer Rolle auftritt ; dann wäre es dir wohl etwas nähergerückt , daß es keine so ungeheure Forderung sei , dem Freunde dies kleine Opfer zu bringen , der , wenn es die Gelegenheit fordert , sich mit dem größten nicht wird saumselig finden lassen ; und mit einem Wort , mein Geliebter , du wärst in deiner Ansicht jugendlich gewesen , und es hätte dir nicht so widerwärtig gedünkt , mit den Weisen weise , und mit den Törichten töricht zu sein . "
Leonhard konnte sich nicht enthalten , seinem Freunde die Hand zu geben , doch fügte er hinzu : " Alles zugegeben und vorausgesetzt , daß ich mich deiner Laune füge , wer steht mir denn dafür , daß diese Maskerade sich nicht mit meiner Erniedrigung endigen wird ? Dir ist es bequem , wenn ich mich füge , aber wie soll ich mit meinen besseren Gefühlen die Rechnung abschließen ? "
" Liebster Freund " , sagte der Baron , " laß uns aufrichtig zu Werke gehen .
Ist es dir auf deinen Reisen , oder auch sonst nie begegnet , daß man dich in deiner guten Kleidung , mit deinem feinen Anstand in irgendeiner öffentlichen Gesellschaft für etwas genommen hat , was man so im Leben etwas Höheres nennt , und hat dir dieses Gefühl noch kein einzigesmal wohlgetan , hast du die Täuschung auch kein einzigesmal stillschweigend oder mit freigebigerem Bezahlen und herrschendem Ton befördert ?
Hast du sie jedesmal vorsätzlich zerstört ?
Ich kann von mir dergleichen nicht rühmen , auch weiß ich nicht einmal , ob es etwas Besseres sei , was wir täglich ausüben , daß wir unter Unbekannten für vortrefflicher und weiser gelten wollen , als wir unserem Bewußtsein nach sind .
Wir kommen an , ich gebe dich für gar nichts aus , ich nenne dich meinen Freund , der mir in den Einrichtungen des Hauses und des Theaters helfen will :
das alles ist die strengste Wahrheit ; ich gebe dir keinen fremden Namen und keine Würde , die dir nicht zukommt , nur führe ich dich der Schwachen wegen nicht geradezu als Tischlermeister auf , weil ich hoffe , du bist wirklich immer noch mehr , mein Leonhard , als Schreiner durch diese ganz unschuldige List , wenn wir es noch so nennen wollen , gehst du mit allen frei und wie mit deinesgleichen um , da es eine unbillige Forderung wäre , daß jene Fremden sich aus allen ihren anerzogenen , angewöhnten und mit ihnen verwachsenen Vorurteilen heraussetzen sollten , um dich als Mensch sich selbst gleichzustellen .
Durch diese einzige stumme Nachgiebigkeit vergibst du dir gar nichts , und schenkst mir unendlich viel , indem durch diese Kleinigkeit mir das Leben mit dir dort möglich wird , was mich einzig zu dieser Reise bestimmt hat .
Und käme es zum Äußersten , würde ich dich verlassen , nicht deine Liebe höher als alle kindische Rücksichten schätzen ?
Bei der kleinsten Veranlassung , die dich nur beschämen könnte , trete ich für dich auf , und nehme alle Verantwortung über mich . "
" Wenn alles dies " , sagte Leonhard , " auch nur Sophistereien sind , auf die sich noch vieles erwidern ließe , so mag diesmal die Freundschaft für dich alles überwiegen und übertönen .
Es mag als Maskerade gelten , die einen unschuldigen Endzweck hat ; du wirst auf jeden Fall mir das Zeugnis geben müssen , daß ich mich dir und deinen Masken nicht aufgedrängt habe . "
" Wunderlicher Geist " , sagte der Baron , " der du noch so jung bist , und einer solchen Kleinigkeit wegen schon so viele Skrupel haben kannst !
Und wie lange wird es denn währen , so sehe ich dich ein großes Magazin von Möbeln einrichten , Meister unter dir arbeiten , denen du nur Zeichnungen und Bestellungen gibst , und Kommissionsrat , oder wie sonst , heißen ; deinem Vermögen nach , und da es der Ton des Tages so mit sich bringt , könntest du das auch gleich tun . "
" Das geschieht niemals " , rief Leonhard lebhaft aus , " dann erst würde ich es auf immer bereuen , mich meinem Berufe gewidmet zu haben , wenn ich ein solches totes und tötendes Fabrikleben führen sollte , wenn mir die Freude am Material , die ich mit meinen tätigen Gehilfen Teile , die Lust , das bestimmte Wesen nach und nach immer reiner und ausgebildeter hervortreten zu sehen , das Gefühl , daß ich als Vater und Lehrer für meine Mitarbeiter Sorge und ihnen weiterhelfe , die Bewegung des Lebens , wenn mir alles das unter den Händen absterben sollte , um so oder so zu heißen , Meister zu drücken , und von ihrer Geschicklichkeit und ihrem Schweiße zu prassen , mich der Tätigkeit zu schämen , und durch die Auslage des Geldes mir ein Recht zu erwerben wähnte , daß ich andere despotisieren und quälen dürfe , und so weit ich reichen kann , Leben , Heiterkeit und Wohlstand zerstören . "
" Du siehst es von der finstersten Seite " , sagte der Baron , " es hat doch immer mehr den Anschein , daß die Zünfte und alle Einrichtungen , die damit zusammenhängen , eingehen werden . "
" Leider " , fuhr Leonhard fort , " es gewinnt aber auch immer mehr den Anschein , daß der wahre Bürgerstand , der Kern und das Mark aller Staaten , verschwinden muß .
Ich will der Willkür nicht einmal gedenken , daß plötzlich Privilegien aufgehoben werden , die der Bürger , der allgemeinen Sicherheit vertrauend , hat bezahlen müssen , und für welche Auslagen , die bedeutend genug sind , ihm vom Staate keine Entschädigung wird ; ich will darauf kein Gewicht legen , daß nur dieser Gewähr vertrauend , der Mann seine Jugend und wohl auch ein Kapital eingelegt hat , um geschirmt von vernünftigen und billigen Einschränkungen ein Mitglied dieses geschlossenen Standes zu werden ; sondern ich frage nur , ob man denn wirklich bei denen Gewerben , bei denen die fabrikmäßige Einrichtung schon lange hat stattfinden können , oder in jenen Ländern , wo es Fabrikstädte gibt , das Glück finde , das uns reizen könne , alles umzustoßen , um auch dergleichen bei uns zu haben ?
Stadt vieler wohlhabenden Menschen einige reiche Leute und einen Haufen armen , verkümmerten und luderlichen Gesindels , immer in der peinigendsten Abhängigkeit von seinem Brotherrn und dessen quälenden und mageren Vorschüssen , ohne Lebenslust , ohne Fähigkeit , Tugend und Liebe , kränkliche Kinder zu erziehen , bei einem ganz mechanischen und seelenlosen Geschäfte verdummend , und dadurch angetrieben Genuß , den der Mensch einmal nicht entbehren kann und will , bei schlechten , berauschenden Getränken zu suchen , früh absterbend , ohne gelebt zu haben , verzweifelnd und sich selbst verachtend zu allen niedrigen Streichen aufgelegt , und nicht fähig , Glück und Unglück zu erleben oder zu ertragen .
So habe ich viele Hunderte , schlimmer als Sklaven , in berühmten Fabriken verschmachten sehen , und über die zunehmende Kultur wie anwachsende Barbarei die Schultern gezuckt , daß wir es in unseren Tabellen für Gewinn halten , Menschen , die höchsten Staatskräfte aufzuopfern , um die Ware wohlfeiler zu liefern . "
Als der Baron lächelnd und ungläubig den Kopf schüttelte , fuhr Leonhard , ohne seinen Eifer dämpfen zu lassen , in seiner heftigen Rede so fort : " Ich verlange nicht , daß alles , ohne Ausnahme , auf die alte Weise geschehen soll , auch sind ja Fabriken und die gepriesene Verteilung der Arbeit schon eine alte Erfindung ; gewisse unbedeutende Dinge , wie Nadeln , Nägel und dergleichen , können nicht schnell und wohlfeil genug geliefert werden ; bei vielen scheinbaren Kunstzusammensetzungen hat sich früh dies Handwerk und die Kunst in eine Fabrikanstalt umgesetzt ; und ob selbst dabei der Nutzen so groß ist , daß jetzt jedermann eine schlechte , unbrauchbare Uhr in der Tasche tragen kann , lasse ich dahingestellt sein , da die wahrhaft guten Werke in London und Paris auch jetzt teurer verkauft werden , als nur immer in den ersten Zeiten der Erfindung .
Aber weh muß es mir tun , daß der deutsche Handwerker , der sich so schön mehr oder minder dem Künstler anschloß , der mit den Seinigen und den einheimischen und fremden Gehilfen wahrhaft patriarchalisch lebte , jetzt untergehen und die ehrwürdige Zunft neuen Modeeinrichtungen weichen soll .
Mit diesem seelenvollen Leben war eine ganz andere bürgerliche Ehre verknüpft , als herablassende Vornehme oder Geschäftsleute uns jetzt zuwerfen , oder der jüngere Handwerker durch Umtreiben auf Kaffeehäusern und leichtfertiges Tavernengeschwätz im halbmodischen Frack sich erringen kann .
Und wenn ich nur die philosophische Seite des neuen Systems begreifen könnte .
Ohne den Namen finde ich alles in der Welt so umschlossen , und mit Recht .
Der Staat läßt mich nicht auf gutes Glück , und ob ich es vielleicht treffe und Beifall finde , in seine Geschäfte pfuschen , weil seine Diener auf Schulen und Universitäten , oder als subalterne Arbeiter ihre Lehrjahre überstehen müssen , sie werden geprüft , und rücken nur langsam und nach vielfacher Überlegung in die offenen höheren Stellen ein .
Derselbe Fall ist es mit den Geistlichen , sowenig man sie auch von Seiten des Staats wichtig nimmt .
Ebenso mit den Schulen und Universitäten , und ich darf nicht abenteuernd herumziehen , und die Bude meines Unterrichts und meiner Vorlesungen aufschlagen wollen .
Alle diese Stände legen dem Staate ein Kapital von Zeit , Studien , Arbeit und Lehrjahren ein , und rechnen darauf , in späteren Jahren geschützt zu werden .
Ebenso ist es beim Kaufmann , ja wenn ich mich zur Grundlage des Staats , zum Bauernstande , wende , finde ich dieselbe Beschlossenheit , denn das Grundeigentum ist doch in gewisse bestimmte Güter geteilt , deren Anzahl ebensowenig , wie sonst die der Handwerker in Städten , überschritten wird , und der Sohn oder der Fremde muß sich erst vom Knechte zum Bauern hinaufdienen .
Die wahren Mißbräuche des Zunftwesens , die sich durch die Länge der Zeit eingeschlichen hatten und nicht zu leugnen sind , konnten abgeschafft werden , ohne die ehrwürdige Stiftung selbst , der wir Künste , Wohlstand und Freiheit zum Teil zu verdanken haben , zu Boden zu reißen .
In melancholischen Stimmungen möchte ich aber manchmal glauben , daß wir alle gern einer allgemeinen Knechtschaft entgegengehen , und daß man uns vorpredigt , nur Geld zu erwerben zu suchen , um in Luxus , Ausschweifung und Sklavenhochmut Ketten wie Freiheit verlachen zu können . "
" Nun , nun " , sagte Elsheim , " du fällst ja in den wahren Prophetenton : soll man dich einen Obskuranten oder Revolutionsmann nennen ? "
" Weder so noch so " , sagte Leonhard , " denn die Menschen , die man wirklich mit Vernunft so nennen kann , sind mir beiderseitig gleich verhaßt .
Aber ich kann es mir doch nicht ableugnen , daß wir so ziemlich in der Anarchie schon befangen sind , wenn die Menschheit und die Staaten doch aus Ständen vereinigt sein sollen .
Die Geistlichen waren schon seit lange , erst einer stillen , dann einer öffentlichen Proskription ausgesetzt , die Freude über ihre Besiegung , dieses Staates im Staate ( wie man alles nannte , was nicht unmittelbar dem Einen und unbedingt unterworfen war ) , sprach sich allgemein aus ; doch wurde ebenso der Einfluß und die Selbständigkeit des Adels gebrochen , dem Bürgerstand und seiner Beschlossenheit erklärte man aus philosophischen Prinzipien öffentlich den Krieg , und den Bauern , die man eigentlich schützen will , fällt man wenigstens mit einer engherzigen , ebenso albernen als unpassenden Erziehung , und mit einem unnützen Tabellenwesen zur Last . "
" Ja , die Tabellen ! " rief der Baron aus , " sie gehören recht zu den Surrogaten und dem Geiste der Zeit , den die Gesetzgeber sich auch nur in Tabellen strömend vorstellen können . "
" Seit diese Mode des Bewußtseins " , fuhr Leonhard nicht ohne Bitterkeit fort , " die Staateneinrichter wie ein Schnupfen befallen hat , der eigentlich umgekehrt ein dumpfes Unbewußtsein hervorbringt , geschieht ordentlich mit Gewissen und frommer Lust die Zertrümmerung der edelsten Überlieferungen , über die ein abergläubisches Schaf , wie ich , das eine Wasserscheu vor diesem Strome der Zeit hat , weinen möchte .
Doch , du hast recht , es ziemt mir besser , meinen Sinn von diesen großen Weltfortschritten abzulenken , und wenn du noch einige Geduld übrig hast , so möchte ich wohl noch einmal zu meinen Zünften zurückkehren . "
" Sprich dich nur aus " , sagte der Edelmann , " der Wagen geht auch ganz sanft im Sande , wir sitzen hier auf unserem eigenen Grund und Boden , und dürfen denken , was wir wollen . "
" Muß ich nicht wieder " , sprach der Meister , " auf meine frühere Ansicht kommen , an die ich mich so gewöhnt habe , daß sie mir bei allen Dingen vorschwebt ?
Die gerade und die krumme Linie ist es , deren Umspielung oder innige Durchdringung alle Formen hervorbringt .
Ist es nicht sonderbar , daß die neueren Gesetzgeber schon seit lange den Menschen als ein Vernunftwesen betrachten , und um so mehr , je mehr er im niedrigeren Stande lebt ; der ohne Leidenschaften ist , oder die man ihm aberziehen und ihn zu allen vernünftigen Tugenden , des Fleißes , des Gelderwerbes , der unermüdlichen Arbeitsamkeit , hinaufbilden soll wo sie etwa fehlen möchten ?
Die Gesetzgeber behalten sich und ihresgleichen stillschweigend vielen Zeitvertreib und Zeitverderb vor , wovon sie das Anständigste unter die Rubrik » Bildung « schieben , die der Gemeinere freilich entraten kann .
Die Weisheit der alten Welt aber sah ein , daß Leidenschaften , Torheiten , Spiel , Scherz , Lust und Genuß die Elemente sind , die kämpfend und sich verbindend in der Menschheit ringen , und daß die Vernunft nur das Gleichgewicht sein kann , welches dieses unsichtbare Feuer , Luft , Wasser und Erde schwebend trägt , damit eins nicht das andere vernichte ; daß Begeisterung zum Guten und Bösen die Sturmwinde sind , die zertrümmern und die Atmosphäre reinigen , und die hülflose Vernunft an sich selber noch nie etwas in Wirkung und Wirklichkeit hat setzen können .
Ihr Bestreben war daher nicht , der Menschheit die Menschheit abzugewöhnen , sondern sie waren Kinder mit den Kindern , und Toren mit den Toren , und fühlten wohl , welcher heilige Ernst in dieser Kindlichkeit aus der Tiefe heraufspiele , weil es edler und frommer ist , jeden Trieb in uns auszubilden , als ihn zu vernichten , und daß jenes neumodige Entwöhnen , in der keiner seine Lust sättigen und büßen soll , nur zum moralischen Tode und zur kalten Verzweiflung führt .
Ihnen waren daher alte überkommene Spiele , Lieder , Scherz und Trunk , selbst Ausgelassenheit ehrwürdig , und wenn die neuere Welt dergleichen auch nicht so unmittelbar , wie die alte , zum Gottesdienst rechnete , so nahm sie doch alles dieser Art in ihren Schutz .
Volksfeste , Aufzüge , Prozessionen , Musik und Tanz öffentlich bei feierlichen Gelegenheiten , die Verwandlung des gemeinen Lebens in ein poetisches Schauspiel : alle diese innigsten Bedürfnisse suchte sie zu befriedigen , ließ das Bestehende und Überlieferte , verbesserte , fügte hinzu , erhöhte den glänzenden Schein , und edle Greise , Väter des Volks , Geistliche und Fürsten hielten es nicht unter ihrer Würde , ganz mit vollem Herzen in den Jubel einzustimmen , und die gute Vernunft daheim unter alten Reflexionen kramen zu lassen .
Denn nicht will der Mensch bloß Mensch sein ( sooft dies auch vor einigen Jahren von Aufklärern ist gepredigt worden ) , er will auch nicht bloß nützlich und erwerbend und Bürger sein , sondern zuzeiten etwas anders außer sich vorstellen .
Dieser Trieb , uns außer uns zu versetzen , ist einer der gewaltigsten und unbezwinglichsten , weil er wohl gerade die tiefste Eigentümlichkeit in uns entbindet .
So waren im Kreise des Staats tausend kleinere Kreise die sich in- und durcheinander bewegten , selbständig spielten und doch dem größeren dienten ; an jeden Menschen kam seine Stunde und sein Tag , und öfter im Jahr oder im Monat , wo er , dazu autorisiert , etwas Fremdes vor stellen durfte , und dem Adel , der Geistlichkeit schlossen sich hier schön die Zünfte an , die vielfach in Scherz und Ernst Aufzüge , Spiele , Repräsentationen aller Art , allegorisch oder komisch gaben , oder auch nur zur Verherrlichung ihres Handwerks und des Bürgerstandes auftraten .
Der Meister konnte Vorsteher seiner Innung und Brüderschaft werden , der Gesell Vortänzer und Vorfechter , Sprecher und Schauspieler , ja bis zum lernenden Burschen hinunter gab es Gelegenheit , daß dieser sich wieder unter seinesgleichen geltend machen durfte .
Neu gestärkt , gesunder und lebensfroher kehrte der Mensch dann zu seinem gewöhnlichen Beruf zurück , ja getröstet über diesen und mit der nahen Aussicht , das Jungbrunnen-Bad bald wieder gebrauchen zu können .
Bleibt der Stoiker ganz fest auf seinem Standpunkte der Vernunft stehen , oder sagt zur Freude :
du bist toll ! so kann er doch den Gedanken wenigstens nicht als Lüge abweisen , daß dieses Dehnen , Recken und Gähnen der Schläfrigkeit ( wofür er dies Torenspiel ausgeben würde ) die Lungen stärkt und hebt , und das vollkommene Erwachen wie die Munterkeit befördert . "
" Ein medizinischer Statistiker könnte dir auch in deiner Schilderung recht geben " , fügte Elsheim hinzu , " wenn er sagte : alle jene unnützen Zeitvertreibe , ja reelle Narrheiten seien vielleicht notwendig , um aus der Menschheit eine Menge Laster- und Dummheits- An lagen abzuführen , damit Weisheit und Tugend Raum gewinnen .
Ich gebe dir ohne alle Bedingung recht , und füge nur noch hinzu , daß wir in neueren Zeiten kaum noch einen Menschen finden , der repräsentieren kann ; selbst die Diplomaten , die es verstehen , werden immer seltener , vom Höchsten bis zum Geringsten trägt jeder eine Art von Scham mit sich herum , daß er noch etwas anders , als ein Mensch sein soll , daher das linkische , verlegene , stotternde Benehmen unserer Großen ; die militärische Haltung in der Uniform und im Dienst ist die einzige , die geblieben ist , und in die sich alle übrige Repräsentation zurückgezogen hat . "
" Dein Mediziner , den du eben erwähntest " , fing Leonhard wieder an , " hat nach meiner Meinung ebenfalls recht , nur möchte ich die Sache etwas anders ausdrücken .
Ich glaube in der Tat , daß die Maße der übertriebenen und krankhaften Eitelkeit unserer Tage , die Sucht , eine lügenhafte Rolle vor der Welt und vor sich zu spielen , dieses Heucheln von süßlicher Bildung , unechter Frömmigkeit , affektierter Liebe zur Natur und dergleichen mehr , nur möglich geworden ist , seitdem es dem Menschen untersagt ist , eine Rolle von Staats wegen zu spielen , seitdem er so ganz auf die Haushaltung in seinen vier Pfählen , und auf sein Herz in seinem sogenannten Inneren angewiesen ist , denn ich fühle es , daß der Trieb , sich zu entfliehen , sich selbst fremd zu werden , und als ein anderes Wesen wieder anzutreffen , mächtig in uns ist . "
" Es ist sonderbar " , antwortete der Baron , " daß ein Gespräch , das empfindlich anfängt , gewöhnlich auch so fortgeführt und geendigt wird , wie man den ganzen Tag hindurch auch in der Wärme den Wind spürt , wenn es am Morgen gestürmt hat .
Übrigens hat uns unsere lehrreiche Unterhaltung gehindert , die Schönheit der Gegend zu genießen , und dort liegt wahrlich schon der Hafen , die Stadt mit ihrem Gasthofe vor uns . "
So war es auch ; sie stiegen aus , bestellten Zimmer und ein Abendessen .
Schon auf der letzten Viertelmeile war ihnen ein schmächtiger Mensch aufgefallen , der neben dem Wagen hertrippelte , und der jetzt fast mit ihnen zugleich in das Wirtshaus eintrat .
Er forderte Wein , und fing mit den beiden Reisenden , die unten noch die Einrichtung ihres Zimmers abwarten wollten ein Gespräch an .
" Also Sie haben die armseligen Wracks der elenden gescheiterten Truppe angetroffen ? " fuhr er fort , als er gehört , daß der Baron im letzten Städtchen einige Schauspieler gesehen hatte ; " nicht wahr , mein Herr , es sind unwürdige Subjekte , die den Wert ihrer Kunst nicht einsehen , und des Enthusiasmus nicht fähig sind ?
Als das letztemal der benachbarte König die Gnade hatte , mit mir zu sprechen " ( deklamierte er laut , indem er sich vornehm und breit niedersetzte und den dienstfertigen Wirt kalt ansah , der ihn mit noch größeren Augen anstarrte ) , " fragte er mich , wie es denn komme , daß wir noch immer kein solches Schauspiel besäßen , wie es eine so edle , poetische und kräftige Nation doch ohne Zweifel verdiene ?
» Geruhen Ew. Majestät zu bemerken « , erwiderte ich ( denn da ich ihn öfter sehe , so kann ich ziemlich dreist und ohne Umstände mit ihm sprechen ) " - der Wirt warf schnell die baumwollene Mütze in einen Winkel , die er bisher zwischen der Achsel eingeklemmt hielt - " daß es nicht an der Nation , an den Dichtern oder an irgend etwas anderem liegt , sondern lediglich an den verächtlichen Menschen , wie es die meisten sind , die sich diesem hohen Berufe widmen .
Diese Armseligen , die ihre Kunst nur wie eine jämmerliche Zunft , wie ein seelenloses Handwerk treiben wollen und können , diese sind es , die den freien Adel dieser edlen Ausübung immer noch hindern . "
" Sie lieben die Kunst sehr , wie es scheint " , sagte der Baron .
- " Ich bete sie an " , rief der Fremde , " sie ist das Leben selbst , und alles übrige ist nur Schein , Flachheit , trüber Nebel .
Darum eben habe ich mich mit jenem elenden Direktor entzweit , der außerdem , daß er fast nie richtig bezahlte , mir auch meine Rollen schmälerte , und dieselben Darstellungen von Stümpern verhunzen ließ , in denen ich den allgemeinsten Beifall einzuernten gewohnt war . -
Herr Wirt , der Wein ist aber sauer ! "
" So ? " sagte dieser , der durch die Stube ging , ohne sich umzusehen , und seine Mütze schon wieder hoch auf dem Kopfe trug .
" Ja " , fuhr der Künstler fort , " ich zeige ihm nun schon seit geraumer Zeit , daß ich auch ohne ihn leben kann , und , meine gnädige Herren , ich bitte um die Vergünstigung und die Ehre , daß ich denselben eine kleine Probe meiner Kunst und meines wahren Talents zeigen darf ; ich würde untröstlich sein , wenn so ausgezeichnete Männer , von diesen Kenntnissen und der hohen Bildung , diese meine dargebotene Huldigung verweigern würden , da es doch bekannt ist , wie sehr dieselben die Künste lieben , und selbst von den Musen begünstigt sind . "
Ohne eine Antwort abzuwarten , schob er eiligst einige Tische und Stühle beiseite , rannte in des Wirts Schlafkammer , brachte ohne Umstände etwas in seinen Armen Verdecktes heraus , welches er auf den Tisch stellte und mit einem weißen Kleide verhüllte .
Mit untergeschlagenen Armen folgte ihm die Wirtin in höchster Verwunderung , um zu sehen , was aus diesen sonderbaren Anstalten sich ergeben solle .
Er setzte eilig sich gegenüber den beiden Reisenden , wie dem Wirt und dessen Frau , Stühle hin räusperte sich , machte eine Verbeugung und fing an :
" Hochverehrte ! ich werde jetzt die Kunstdarstellung wagen , das berühmte Stück unseres Dichters , » Menschenhaß und Reue « , mit geringen Änderungen und den notwendigsten Abkürzungen ganz allein darzustellen , und ich bin überzeugt , daß die Wirkung dieselbe ergreifende , tieferschütternde sein wird , wie sie nur immer das versammelte Personale der vorzüglichsten Bühne hervorbringen kann . "
Er fing hierauf an zu gestikulieren , und die hauptsächlichsten Rollen mit großem Eifer herzusagen , indem er alles , soviel es sich tun ließ , in Monologe verwandelte .
Wo dies unmöglich war , ließ er die Stimme grell wechseln , und sprang behende von einer zur anderen Seite ; als aber Eulalia auftreten sollte , riß er schnell die Verhüllung weg , und es zeigte sich der Haubenkopf der Wirtin mit schwarzen Augen und dunkelroten Wangen , mit einer Mütze der Eigentümerin geschmückt .
An diese Repräsentantin wandte er als Bittermann und Major seine Reden , und antwortete in ihrem Namen , und sooft sie abgehen sollte , warf er das Gewand wieder über .
So näherte er sich der pathetischen Erkennung , und die rührende letzte Versöhnung schloß damit , daß er wirklich weinend und schluchzend den Haubenkopf in die Arme nahm , laut rief :
" Ich vergebe dir ! " und ihn dann wieder an seine Stelle in das Schlafzimmer trug .
Den beiden Reisenden hatte der Scherz schon zu lange gewährt ; der Wirt schüttelte bei jeder Szene den Kopf , und war immer nur über diese Anstalten und die Unermüdlichkeit des Künstlers verwundert ; die Wirtin aber war heftig bewegt und weinte laut .
Der erhitzte Deklamator kam zurück , und da er die Rührung der Frau sah , nahm er ihre Hand und küßte sie zärtlich .
" Dies ist der schönste Lohn des Künstlers " , sagte er , selber gerührt .
" Ja " , schluchzte die korpulente Frau , " es ist wirklich gar zu trübselig , daß ein Mann , der so reputierlich einhergeht , sich so sauer sein bißchen Brot verdienen muß . "
" Darüber " , fragte der Schauspieler empfindlich , " haben Sie geweint ? "
" Worüber denn sonst ? " antwortete sie : " sehen Sie nur selbst , wie heiß Sie geworden sind . "
Der Künstler wandte sich unwillig von ihr , und sagte zu Leonhard gewandt :
" Auf diese Art kann ich die berühmtesten Meisterwerke der deutschen Bühne darstellen , ohne alle andere Beihilfe , besonders bequem lassen sich die Räuber so spielen , vorzüglich nach der ersten Ausgabe , in welcher die Brüder nicht zusammenkommen ; auch Macbeth und die Braut von Messina ; die Iphigenia macht etwas mehr Schwierigkeit . "
" Es ist ein erfreulicher Anblick " , sagte der Baron , " wie unser deutsches Theater sich immer mehr in seine wahren und ursprüglichen Bestandteile auflöst ; ehemals hatte wir nur Melo- und Monodramen , aber jetzt sehen wir so häufig ein epigrammatisches Stück von zwei oder dritthalb Personen mit leichtem Witz über Eitelkeit , Eifersucht , Schwachheit der Männer und Weiber ( der Fall Adams , kann man wetten , kommt in jedem vor ) , und es läßt sich danach an , daß wir auch derlei schönbeschränkte epigrammatische eng zusammengezogene Tragödien erhalten werden , wozu wenigstens schon ein löblicher Anfang gemacht ist , in welchem ein Messer , ein Nagel , oder eine Uhr eine große Rolle spielen müssen .
Noch erfreulicher aber ist es daß selbst große Meister oft auf dem Theater oder in Musiksälen die sogenannten Deklamatorin geben und was sonst nur Schüler zur Übung in Schulen taten , eine Fabel oder ein erzählendes Gedicht hersagen oder ablesen .
Wird Musik dazwischen gemacht , etwa gar eine Symphonie , so ist der Genuß einzig , und das sonderbar Widersprechende des scheinbar Läppischen ist es gerade , was in unschuldigen und kindlichen Menschen eine ganz vorzügliche Ergötzung und Rührung hervorbringt . "
" Sie sprechen ganz wie ein Kenner , mein gnädiger Herr " , sagte der Kunstmann , und empfing von Leonhard , vorzüglich aber vom Baron weit mehr , als er für seine Bemühung erwartet hatte .
Nach einer zu tiefen Verbeugung sagte er :
" Wahrlich , meine gnädigen Herren , Sie übertreffen noch meinen großmütigen Patron und Mäzen , der im Reiche sich und der Heiterkeit lebt , den lebensfrohen Liebling der Musen und der Scherze , den liebenswürdigen Wassermann . "
Er empfahl sich , um zu essen und sich niederzulegen ; die beiden Freunde begaben sich auch auf ihr Zimmer , und der Baron sagte : " Wir dürfen stolz sein , mit diesem , wie ich sehe , berühmten Sokrates in eine Klasse gestellt zu werden , in welchen sich eben der benachbarte König am Schluß des Stückes verwandelt hat . "
- " Der Mensch hat mich völlig verstimmt " , sagte Leonhard .
- " Vielleicht " , fragte der Baron , " weil er nicht zünftig ist ?
Weil sich dir so herrlich die freie ungebundene Kunst in ihm dargestellt hat ?
Ich bin vergnügt , denn ich gestehe dir , ich habe die Eulalia fast noch nie so würdig dargestellt gesehen , als seine Gehilfin sie uns zeigte ; diese Milde und Ruhe im vollen großen Auge , dieser gehaltene Ernst , diese stille Würde , selbst bei einigen sehr anzüglichen Redensarten , die sie anhören mußte ; und es ist nur zu bedauern , daß dieses großzügige fast antike Spiel in keinem der Theater-Almanache psychologisch und künstlerisch wird gepriesen und entwickelt werden ; aber ich kann nur soviel sagen , mir ist dadurch über diesen Charakter ein neues Verständnis aufgegangen , und ihr unbegreiflicher Fall , ihre Reue und Besserung , sowie die Versöhnung erscheinen mir jetzt recht sehr begreiflich . "
Man scherzte beim Abendessen und Wein ; dann trennten sich die Freunde , und jeder begab sich in sein Zimmer und zur Ruhe .
Die Freunde hatten von der letzten Stadt aus Post genommen , um schneller zu reisen , und befanden sich am dritten Tage schon in Bergen und anmutigen Wäldern , mit frisch grünen Tale und rinnenden Quellen aus bemoostem Gestein .
Sie waren erfreut über die wechselnden Aussichten , sie unterhielten sich von der Lieblichkeit der Natur , und der Baron erzählte vieles von seinen Reisen .
Diese Geschichten erweckten auch in Leonhards Seele die frohsten Erinnerungen , und so entschwanden ihnen die Stunden , die Meilen ; Dörfer und Städte , Berge und Wälder glitten ihnen vorüber , wie im lieblichen Traum .
Von einem der höchsten Punkte des Gebirges , den sie am vierten oder fünften Tage ihrer Reise erreichten , entdeckten sie ganz in der Ferne die fränkischen Berge .
" Dort liegt mein geliebtes Land " , rief Leonhard aus , " das ich eine lange Zeit wie mein Vaterland geliebt habe , wo ich einst zu wohnen träumte , und das mir mit einem unerklärlichen Zauber an die Seele geheftet ist , obgleich ich seitdem wunderbarere , reichere und schönere Gegenden gesehen habe . "
" Es ist " , sagte Elsheim , " mit der Liebe zur Natur und zu Gegenden , wie mit jeder Liebe , sie hat etwas Unerklärliches ; dergleichen kann und soll auch nie begriffen werden , denn im Geheimnis liegt ein höheres Verständnis .
Auch gibt es gewiß zur Natur Sympathien und Antipathien , und mir stehen die schönen Gegenden geradeso individuell vor meiner Seele , wie verschiedene liebe Menschen und befreundete Wesen . "
" Das ist eine sehr richtige Beschreibung " , sagte Leonhard , " und jede schöne Gegend , der wir uns mit Rührung erinnern , zieht uns mit einer ganz eigentümlichen Sehnsucht an , die bei mir so stark werden kann , daß ich in der Einsamkeit über Landkarten , Bildern oder Beschreibungen in gewissen bewegten Stunden Tränen vergieße .
Es ist , als zieht mich dieses Tal , jener Berg , ein altes Schloß , die Höhe mit der wundervollen Aussicht , wie mit Gewalt zu sich , und ich bin gerührt , wenn ich mir denke , daß ich diese Freunde wohl nie wiedersehe . "
" Mit Kunstwerken " , sagte Elsheim , " geht es uns ebenso ; wie oft stehe ich mit meinem Geiste auf meinen Lieblingsstellen in den Galerien , sehe ich diese dann einmal wieder , so empfängt mich auch dort eine gewisse Heiligkeit , ein alter Gruß , wie das vertrauliche Reichen der Hand von einem Geiste .
O mein Freund , was könnte der Mensch außer sich und in sich für ein edles , gediegenes , verklärtes Leben führen , wenn er nicht so viel der Zerstreuung , dem Leichtsinn , dem Zeitverderb und leerem Müßiggange opferte ! "
" Lieber " , sagte der junge Meister , und faßte des Freundes Hand , " wie teuer wirst du mir mit solchen Worten !
Warum bist du denn selbst oft auf gewisse Weise leichtsinnig , daß du mir gleichsam den edleren Geist in dir zu verhöhnen scheinst ? "
Elsheim errötete leicht und sagte : " Bester , du kennst die Geschichte mit der Katze , die in eine schöne Prinzessin verwandelt wurde , sich aber in ihrer erhabensten Umgebung vergaß , wenn sie eine Maus laufen sah .
So geht es leider mir , nach den schönsten Stunden , ja während denselben ; und lieber springe ich denn doch den Mäusen nach , als daß ich mein ehemaliges Katzenwesen in mir durch Heuchelei überkleidete .
Diese ist überhaupt das Laster , welches ich am meisten hasse , vielleicht übertreibe ich zuweilen meine geringere Natur in Gegenwart von Heuchlern , um ihnen nur nicht gleich zu werden .
Und wie jede Frucht ihre Reife nur zur rechten Zeit erlangt , so auch im Menschen ; meine Stunde hat noch nicht geschlagen , die rechte Mittagssonne hat mich noch nicht getroffen , soll es sein , so wird sie mich schon auch zu rechter Zeit finden . "
" Wir sollen aber immer ernsthaft wollen " , sagte Leonhard : " dasein , in uns , gesammelt , damit uns diese Sonne treffen und durchwürzen könne . "
" Liebster , Bester " , rief Elsheim halb scherzend , halb im Eifer : " nur verlange ums Himmels Willen nicht von mir diese steifen , rechtwinkligen und ausgezimmerten Zurüstungen zur Bildung , mit denen sich so viele unserer gutmeinenden Landsleute abquälen , und munter wie die Eichhörnchen in dem Sparrwesen auf und nieder klettern .
Oder sie holen , wie die Kanarienvögel , an der Kette selbst ihren Glasbecher mit Wasser und Hanfsamen abgerichtet herauf , oder picken wechselnd religiöse Stimmung und Geschichtsansicht heraus , und saufen dazu ein Schlückchen Poesie und Mystik , und recken den Hals in die Höhe , um es hindarzubringen , wetzen dann scharrend den Schnabel am Draht , um in Scharfsinn und Kritik nicht zurückzubleiben , und knuspern an Festtagen mit besonderem Bewußtsein am Zucker der Liebe .
Das Schauspiel ist aber nur für den , der es ansieht , auf einige Minuten spaßhaft , nicht für den gelangweilten Vogel selbst .
Nein , Lieber , dieser Schnupfen der Zeit , der nichts tut , als sich im wohlriechenden Tuch der Bildung mit Zierlichkeit schneuzen und selbst das Unsichtbarste , Fernste und Glücklichste , das dem Sterblichen nur in blitzenden Momenten der Entzückung wie eine sondre Gabe der Göttin gegönnt ist , als Nektar , den sie im Obermut herunterschütten , und wovon man wohl einmal , indem man fast dumm in den blauen Frühlingshimmel schaut , ein Mäulchen aufschnappt , diese Dumpfheit , wie gesagt , daß sie auch diese Lebensmomente im Eisenkäfig ihres Bewußtseins auffangen und festhalten wollen , dieses mißverstandene Wesen wolle mir nicht ankurieren , wenn ich dich nicht für einen Wunderdoktor halten soll . "
" Wer spricht davon " , sagte Leonhard lachend , " nur- "
" Ich verstehe dich " , rief der andere aus , " und freilich- bei alledem - indes -
denn wenn - und so weiter , mein Freund , die wahren Minister-Vertröstungen der Altklugheit , wenn sie nichts geben mag und sich abzuschlagen scheut , um nicht an Ansehen einzubüßen .
Bist du imstande , ein Butterbrot zu essen , und in jedem Augenblicke zu wissen , jetzt schmeck ich die Butter , jetzt wieder das Brot , so will ich dir vollkommen recht geben .
Und nun gar Braten hinaufgelegt !
Bester , wie kompliziert , verwickelt , geheimnisvoll ist dann das Wesen , und keiner Auseinandersetzung fähig .
Käue ! schluck ! rufe ich nur , und es wird dir bekommen ; beim Grübeln möchte es gar in die unrechte Kehle fallen , und ein erschreckliches moralisches Husten veranlassen . "
- Sie lachten , und damit war das Gespräch geendigt .
Nach einer Pause fing Elsheim wieder an :
" Du siehst also , daß ich in Hoffnung stehe , bald Früchte zu tragen , oder ein solider Mann zu werden , welches eben deshalb sehr wahrscheinlich ist , weil ich bisher meinem Leichtsinn etwas zu viel nachgegeben habe ; aber wie ist es denn mit dir , mein Bester , der du schon seit so vielen Jahren in dem Wagen des Ernstes und gründlicher Bürgerlichkeit ziehst ?
Wirst Du denn nicht vielleicht zur Abwechslung einmal ausspannen , und ohne Zügel und Zaum nackt ins Feld laufen , um vorn und hinten auszuschlagen ?
Es ist dieselbe Wahrscheinlichkeit wie bei mir , da dies Umändern die natürlichste Sache von der Welt ist .
Überhaupt , du Gründlicher , hast du noch nie in deinem Leben einen recht eigentlich dummen Streiche gemacht ? "
" Was wollen wir so nennen ? " fragte Leonhard .
" Die Definition ist schwierig " , sagte der Baron , " jeder Stand , jedes Alter , jeder Mensch denkt sich etwas anders dabei .
Der Vornehme , wenn jemand eine Mesalliance schließt , der Bürgerliche , wenn einer sich ohne großes Vermögen adeln läßt , der Geistliche , wenn ein Kandidat früher Vater als Pfarrer und Ehemann wird , und der Bauer , wenn ein Sohn ungezwungen unter die Soldaten geht .
Den einzelnen Menschen charakterisiert es sehr , was er damit bezeichnen will , er sucht gegenüber die verständigen Streiche auszuführen , wie der Wucherer , der jemand ohne Zinsen Geld leihen einen ausgemacht dummen Streiche nennt .
Gehen wir also lieber zu den tollen Streichen über , zu den recht bizarren , wunderlichen , auffallenden , und frage dein Gewissen ; denn das Wort » dumm « ist wirklich ein dummes Wort , und man wird dumm , wenn man sich etwas dabei denken will . "
" Ich kann mich nichts entsinnen " , sagte Leonhard , " sosehr ich auch suche ; der Gedanke kommt mir wirklich heute zum ersten Male , daß man in eine solche Gefahr geraten könne ; wie sehr ich alles , auch das Seltsamteste , an Fremden begreiflich und verzeihlich fand , so wäre mir alles der Art an mir unbegreiflich und unverzeihlich vorgekommen . "
" So bist du hierin wieder viel besser als ich , denn ich habe lange an mir mit diesem tollen Egoismus kämpfen müssen , daß ich vieles Auffallende und Unregelmäßige an Fremden unverzeihlich fand , und mir selbst die widersinnigsten Dinge in Gedanken für erlaubt und sogar edel hielt , weil ich mir so viel besser als die anderen vorkam .
So wollte ich einmal für einen Bekannten einem schlechten Mann seine Frau entführen ; ein andermal wollte ich mich sogar mit der Tochter eines stolzen adligen Hauses verheiraten , um mich gleich wieder scheiden zu lassen und sie einem verliebten Freunde abtreten zu können ; aber es kam nicht zur Ausführung der Tollheiten , die jedoch die größten Plane sind , zu denen ich mich verstiegen habe . "
" Ich kann von mir nichts anführen " , sprach Leonhard , " als daß ich in meiner Jugend , ohne bestimmtes Talent dazu , einmal Schauspieler werden wollte . "
" Das ist mehr eine Kinderei gewesen " , sagte der Baron .
" So sitzen also , " fuhr er mit ernster Stimme und bedenklicher Miene fort , in diesem kleinen Wagen zwei der vernünftigsten Männer des deutschen Reichs , welche , ungeachtet sie noch jung sind , doch dem ehrbaren Wandel tugendhafter Altvordern nachgeahmt und nachgeschritten ; nur hält man es für möglich , daß gerade jetzt das Schicksal mit einem Blicke herunterschaut , welchem Kenner eine gewisse Ironie zuschreiben wollen , und daraus schließen möchten , aber vielleicht voreilig , daß sie jetzt auf der Wallfahrt nach Mekka begriffen sind , die jeder gute Muselman wenigstens einmal getan haben muß , um sich auch mit der grünen Binde schmücken zu dürfen , und wie andere von wunderbaren Dingen erzählen zu können .
Ja , wenn uns nun gar jener Tollheits-Geist erschiene , um uns mit dem verfluchten Versprechen anzuschnauzen :
" Bei Philippi wirst du mich wiedersehen ! " möchten wir ihm so kaltblütig wie Brutus antworten :
" Nun , so werde ich dich wiedersehen ! "
" Wahrlich , Freund " , rief Leonhard , " dein ängstlich gesuchter Scherz könnte mich ängstlich machen , daß uns so was bevorstehen möchte , wenn ich nicht an meinen guten Dämon glaubte . "
" Wie , wenn derselbe nun " , fuhr Elsheim fort , " nur auf ein Stündchen etwa zu den Äthiopen , den frommsten der Menschen , wanderte , um sich auch einmal einen guten Tag zu machen ?
Doch , ernsthaft gesprochen , findest du es denn nicht auch , der alles Alte verteidiget , von unseren Vorfahren gut und recht getan , daß sie beizeiten zugriffen , um nicht das erste Feuer verrauchen zu lassen , und in früher Jugend ihre tollen , oder dummen , oder Narrenstreiche abzumachen ?
Wozu auch , vernünftig gesprochen , das Zaudern , das Hin- und Hertreten , das unnütze Händereiben und zweifelnde Umschauen ?
Da gilt es kein Bartwischen ; opfre dein schwaches Selbst , so ruft die Pflicht , dem hohen Beruf , laß fahren die falsche Scham , zu früh weise sein zu wollen , stirb wie Codrus für dein Vaterland , und komme , bist du in den Strom gesprungen , der dich mit seinen Wirbeln einzieht , besser , richtiger und verständiger jenseits wieder zum Vorschein !
Das heißt doch noch Haushaltung und Sparsamkeit , statt daß wir jetzt die Sache auf den Kopf stellen . "
" Wenn es sein müßte " , sagte Leonhard , " so laß unser Bestreben sein , uns auch darin mit Anstand zu fügen ; ich glaube aber für mich an keine Gefahr , doch scheint mir unter deiner Warnung davor eine Lust danach verborgen zu liegen . "
" Nein , mein Lieber " , rief der scherzende Freund , " ich käme ebensogern wie jedes Mädchen mit Ehren unter die Haube , um dann mit Seelenruhe unter den Pantoffel zu kommen ; aber in der gestrigen Nacht schien mir eine so seltsame Konstellation am Himmel , daß ich wenigstens auf alles gefaßt bin .
Doch schau umher , wie wunderbar diese Bäume und Felsen unser Geschwätz anhören , wie lächelnd die fernen Berge herüberschauen , und wie heilig der Glanz der Landschaft uns dräut , daß wir dem Tempel nicht mit würdigeren Gedanken huldigen .
O verzeiht uns , meine Freunde , ihr habt freilich den Terenz nicht gelesen , und könnt daher auch nicht sprechen :
Homo sum , humani nil a me alienum esse puto , eine Stelle , die mancher Affe oder Hund seitdem sehr mißbraucht und abgenutzt hat . "
" Wie kommst du nur zu dieser seltsamen ausgelassenen Laune ? " fragte Leonhard .
" Vielleicht " , rief der Freund , " weil wir uns schon mehr und mehr den Weinländern nähern , und weil durch dieses Schütteln und Rütteln auf den Steinen dieses holprigen Weges mir so manche Erinnerung , manche Empfindung losgemacht wird , die ich ganz vergessen hatte , weil sie schon so fest eingewachsen war , und die nun wieder in mein Gedächtnis und meinen Wörtervorrat hineinfällt .
Außerdem habe ich heute morgen des guten Weines etwas viel genossen , der jetzt erst nachwirkt .
Doch auch dieser Moment geht vorüber , in dem mir wohl war , und ich sehe schon immer deutlicher und wie im Zusammenhänge eines Gemäldes die herrliche Landschaft vor mir .
Du mußt damals so ziemlich diesen nämlichen Weg gemacht haben , als du das erstemal Franken besuchtest ; in jener Zeit , nachdem du so kürzlich erst über die Schwelle des Jünglings geschritten warst , hätte ich wohl mit dir sein mögen , da du vorher noch gar keine Gebirge kanntest , um deine Entzückungen mit dir zu teilen . "
" Die erste Reise " , erwiderte Leonhard , " hat viele Ähnlichkeit mit der ersten Liebe , und um im Bilde zu bleiben , so geschah in den gesegneten Fluren Frankens das Geständnis zwischen mir und der Natur .
Man reiset auch nachher wieder , man ist wieder entzückt , man sieht und lernt , und kann wahrhaft glücklich sein , aber jener erste Jugendzauber ist doch auf immer entflogen .
Ich hatte manches über Deutschland und seine schönen Gegenden vorher gelesen , vorzüglich hatte ich mich mit den alten Bergschlössern und ihren Schicksalen bekannt gemacht , aber am gewaltigsten trieb mich , wie du es weißt , der Götz von Berlichingen , um sein Bamberg , ja töricht genug , Weisslingen Schloß und Götzens Heimat aufzusuchen .
Bei Eisenach auf der Wartburg erschien mir zuerst die hohe Jungfrauengestalt der vaterländischen Naturschönheit .
Dieser Blick in die grüne Taleinsamkeit , in die Unendlichkeit der Eichen- und Buchenwälder , diese schöngeschwungenen hohen Hügel , vom tiefen Fenstersitz oben im alten Zimmer rief mir alle Erinnerungen und Rührungen zurück ; ich horchte auf die Legende von der Elisabeth , und besuchte ihren Brunnen unten am Berge , auch Luthers Zimmer , was mich aber nicht so erfreute , weil er mir in keinem poetischen Lichte erscheinen konnte , dort , in der Umgebung der alten Ritterwelt .
Zwar war ich ein eifriger Lutheraner , und mein Vater , der es noch mehr war , hatte für den Doktor die ungemessenste Hochachtung , aber eine desto größere Geringschätzung gegen den Teufel , so daß er seinem Patron den nachgiebigen Glauben an diesen nie vergeben konnte , und gern die oft erzählte Geschichte mit dem Tintenfasse ganz aus dessen Leben gestrichen hätte .
Daher sah ich den schwarzen Fleck an der Wand auch ohne alle Andacht .
Aber in Rausch der Entzückung versetzte mich die Höhe des Thüringer Waldes mit seinen herrlichen Tannen , die von oben wie unübersehbar sich immer weiter und höher auf dem herrlichen Bergrücken ausbreiten .
So kam ich durch Hildburghausen und Coburg , und näherte mich nun dem vielgeliebten Bamberg .
Herz und Brust wurden mir erweitert , als ich die langersehnte Grenze betrat .
Die Gläubigen , die zum heiligen Grabe wallfahrten , müssen eine ähnliche Empfindung haben , wenn sie sich dem geweihten Boden nähern .
Es war kurz vor dem Fronleichnamsfeste , als ich in die katholische Stadt eintrat , die unter ihrem geistlichen Fürsten einen ganz anderen Charakter , wie die sie umgebende Welt hatte .
Mein gutmeinender Vater hatte mich vor meiner Reise ermahnt , ja nicht bei Gelegenheit der Feste in katholischen Städten zu lachen , weil ihm dies , als einem reinverständigen Mann , der seinen Anteil an der damals entstehenden Aufklärung schon frühe genommen hatte , nicht unnatürlich vorkam .
Es war aber gut , daß er nicht zu gegen sein konnte , denn gewiß hätte er über meine Rührung und Erhebung bei den Prozessionen , der Musik , den Posaunen und den singenden Chören , bei diesen auf den Straßen geschmückten Altären , bei der betenden Volksmenge , welches alles mich bis zu Tränen begeisterte , seinen Zorn gegen diesen Götzendienst , wie er dergleichen nannte , und noch mehr gegen mich ausgelassen .
Ich nahm Arbeit in dieser Stadt , und blieb lange dort , denn die Menschen , die Gegend , die alte Ruine , der Dom , die Spaziergänge umher , alles gefiel mir so sehr , umgab mich mit solcher eigenen Rührung und Anmut , daß ich manchmal wünschte , mein Leben dort zu beschließen . "
" Wie dir Bamberg " , sagte Elsheim , " so ist mir Heidelberg eine der liebsten Erinnerungen meiner Reisen .
Es gibt Gegenden , bei denen uns ist , als hätten sie schon seit Jahren mit rechter sehnsüchtiger Liebe auf uns gewartet , oder als sei seit lange unser Geist schon dort einheimisch gewesen , so bekannt , so lieb ist uns alles ; dieser schöne Ort mit seiner herrlichen Ruine , Baden-Baden und die Neckartäler , vorzüglich die Gegend um Hornberg sind nächst den Rheinufern das Lieblichste , was ich in Deutschland kenne , denn auch das warme Klima gehört dazu , um eine Gegend wahrhaft schön zu machen . "
" Ja wohl die Neckartäler " , sagte Leonhard , " denen ich meines geliebten Götz wegen nachreiste , wohl sind sie so poetisch wechselnd , so schön geschwungen , so lieblich von dem herrlichen Strome durchfrischt , daß man dort so recht von süßen Empfindungen und Erinnerungen eingewiegt und eingesungen wird .
Erinnerst du dich gleich hinter Heidelberg der schönen Täler bei Neckarelz mit ihren kleinen Wasserfällen und rinnenden Bächen ; des sonderbaren Dilsberg ; am Neckar hinunter kommt man dann nach Hirschhorn , einem sehr alten Schlosse , und Eheheim , dann nach Hornberg , wo der alte treuherzige Götz eigentlich lebte , und in dessen Ruine , die noch leidlich erhalten ist , ich mich einige Tage aufhielt man hätte damals mit wenigem Geld das alte Haus gegen Wind und Wetter bedecken können .
Hier herum sind herrliche Wälder , auf der einen Seite nach dem Flusse die Weinberge ; von da ging ich nach Heilbronn , wo ich den Saal des Rathauses anders fand , als ich mir ihn vorgestellt hatte ; ich sah und las dort einige Briefe des Ritters , die er dem Rat mit seiner linken Hand geschrieben hat , und die freilich anders lauten , als unser Dichter ihn mit diesen Herren sprechen läßt .
Von hier ging ich über Mergentheim , und suchte an den zerrissenen kiesigen Ufern der Jagst das unten beschränkt liegende Jagsthausen auf , wohin Goethe die vorzüglichsten Szenen seines Gedichtes verlegt hat , obgleich der Ritter nur in seiner frühen Jugend dort lebte .
Hier sah ich seine eiserne Hand , die in einem neuen Hause seine Nachkommen aufbewahren .
Das Kloster Schönthal hat eine frische grüne Einsamkeit um sich her , und im Kreuzgange steht auf dem Grabe des Ritters sein ungeschickt ausgehauenes Bildnis , nach welchem , wenn es irgend treu ist , sein Gesicht ein ziemlich unbedeutendes muß gewesen sein . "
" So sonderbar oder rührend , schaurig oder sehnsüchtig " , sagte der Baron , " uns die Eindrücke der Landschaften auch bleiben mögen , und so individuell , wie du vorher sagtest , wie wirkliche Menschen , so sind die Gegenden doch wohl mit dem schönsten Glanz umgossen , sehen am meisten mit winkenden Blicken nach uns zurück , wo ein kleines Abenteuer , eine Szene der Zärtlichkeit , eine anmutige Bekanntschaft , oder ein freundlicher Kuß uns begegnet sind .
Hast du diese Bemerkung nicht auch gemacht ? "
Leonhard wurde rot und wollte antworten ; aber sein Freund fuhr fort :
" Gewiß , mein Freund , denn alsdann ist es , als stiege die Seele der Landschaft sichtbar zu uns empor , und ich kann mir vorstellen , daß wenn ich einmal wahrhaft liebte , mir jeder Strauch , jeder Baum , jedes Gräschen eine heilige Stelle , ein ewiger Frühling , ein Orient und Land der Wunder und der Religion werden würde .
Fast , du Zurückhaltender , muß ich glauben , daß in oder bei Bamberg , wenn auch nichts Leidenschaftliches , doch etwas recht Zärtliches vorgefallen ist . Erzähle ; es ist eine so schöne , heitere Beichtstunde , und es kann sein , daß mir nachher auch etwas beifällt . "
Leonhard sagte nach einigem Zaudern :
" Warum sollte ich es dir verschweigen , da diese Erinnerung meiner Jugend mir so wohltut , ohne mich zu beschämen ?
Schon am Tage der Fronleichnams-Prozession fiel mir eine junge weibliche Gestalt auf , von einer Schönheit , wie man sie wohl zuweilen auf alten Gemälden zu sehen pflegt .
Sie war groß und stark , aber doch schlank gewachsen , ihr Gesicht oval , ihr Haar Dunkelbond , von einem rötlichen Goldschimmer durchzogen , die Augen groß und dunkelblau , und die Farbe von der durchsichtigsten Zartheit .
Sie war unter dem betenden und singenden Volke , und ging neben einem bejahrten Mann und einer ältlichen Frau , die Handwerker oder Landleute , und ihre Eltern zu sein schienen .
Ihre Andacht und Rührung hatte etwas so Mildes , das so lieblich gegen die meisten Gesichter umher auffiel , daß ich mit dem Zuge ging , und meine Augen sie unfreiwillig immer wieder aufsuchten .
Einigemal schien mich ihr heller Blick zu treffen .
Ich folgte ihr in den großen Dom .
Hier ergriff mich die Musik noch gewaltiger , die Messe und der Pomp der Priester dünkten mir etwas sehr Ehrwürdiges ; ich stand in ihrer Nähe .
Wundersam ergriffen wurde ich hier von ihren Augen , und meine Gedanken wurden Gebet und Liebe ; die Gemeine kniete nieder , sie sank in einer himmlischen Stellung demütig hin , und ein streifender Blick glitt an mir vorüber , der mich ebenfalls niederzog .
Ich war erschüttere .
Plötzlich reichte sie mir einen Rosenkranz , indem sie unten das Kreuz küßte , weil sie meine Hände leer sah , und ich beschämt und unwissend verstand nur ihre freundliche Meinung , aber nicht , den Zeremonien auf die gehörige Art zu folgen .
Als der Gottesdienst zu Ende war , ging ich mit dem Strom des Volks aus der Kirche , aber in dem Wellenschlag des Gedränges verlor ich sie aus den Augen , und als ich auf die Straße trat , war sie nirgend mehr zu sehen .
Es war mir , als wenn mir plötzlich alles fehlte , ich suchte sie in allen Gassen , vor den Toren , in den Kirchen , wo ich nur Leute wahrnahm oder vermuten konnte , aber sie war mir entschwunden . "
" Und der Rosenkranz des frommen Kindes ? " sagte Elsheim .
" Blieb natürlich in meinen Händen " , antwortete Leonhard ; " ich konnte ihn nicht ohne Rührung betrachten , und ließ ihn niemals von mir kommen . "
- Er öffnete ein kleines geheimes Fach seiner Brieftasche , und überreichte ihn seinem Freunde .
" Dieser nämliche " , sagte er lächelnd , " ist es , mein Friedrich . "
" Dieser " , sagte Elsheim , " und den trägst du noch jetzt nach zwölf oder dreizehn Jahren bei dir ?
Du bist zum Sammler geboren .
Sonderbar !
Aber die Geschichte ist doch damit noch nicht zu Ende ? "
" Freilich nicht " , fuhr Leonhard fort , " denn sonst hätte ich doch den Paternoster schwerlich so sorgfältig aufgehoben .
Es waren wohl sechs Wochen verflossen , als ich an einem Sonntage durch die einsame Gegend streifte .
In der Nähe des kleinen Flusses , von schönen Hügeln umgeben , liegt ein Dörfchen , aus dem ich gegen Abend Tanzmusik herschallen hörte .
Ich folgte dem Ton und fand eine frohe Gesellschaft von Landleuten , und die Jugend um die Linde im Tanz sich schwingend .
Schon wollte ich mich vom Getöse wieder entfernen , als ein Gezänk mich aufmerksam machte ; ein halbtrunkener junger Mensch stritt nämlich mit einem anderen um die Tänzerin , auf welche jeder Ansprüche machte ; der Gegner war schwächer und blöder , und der Trunkene schien stark und von den Anwesenden gefürchtet ; mit einer heftigen Gewaltsamkeit stieß er den zweiten Tänzer zurück und fuhr auf das Mädchen schreiend los , die ihm auswich .
Jetzt erst erkannte ich sie wieder , sie war es selbst , die ich so lange vergeblich gesucht hatte .
Fast ohne zu wissen , was ich tat , sprang ich in den Kreis , und riß den Störenden zurück , der nicht wenig verwundert sich zur Wehre setzte .
Wir rangen miteinander , und er bot im Zorne alle seine Kräfte auf , aber da ich gewandter war , gelang es mir endlich , ihn niederzuwerfen , worauf denn der Friede so geschlossen wurde , daß er die Gesellschaft verlassen mußte .
» Wir sind Euch « , sagte der alte Vater des Mädchens , » großen Dank schuldig , junger Mann , daß Ihr Euch als ein Unbekannter meiner Tochter so wacker angenommen habt , und der Raufer wird nun gedemütigt sein , daß er doch endlich seinen Stärkeren gefunden hat , da er uns mit seiner Unverschämtheit jedes Fest und jeden Tanz verstört . «- Ich war ermüdet und man reichte mir Getränk , das Kunigunde , so hieß die Tochter , mir selber freundlich einschenkte .
Nachher wurde ich mit in den Tanz gezogen , und die übrigen Bursche schienen mir ohne Neid das schöne Mädchen zur Gefährtin zu überlassen , weil ich mich durch die Besiegung jenes Zänkers bei allen in Achtung gesetzt hatte .
Ich schwatzte nachher in der Dämmerung und Finsternis mit den Alten , das junge Volk fing ein Pfänderspiel an ; Kunigunde wußte es so zu machen , daß , wie ich auch die übrigen Mädchen herzte , ich doch niemals einen Kuß von ihr erhielt .
Ich war empfindlich und sie lachte mich aus .
Die Nacht trennte uns , und sie begleitete mich auf den Weg .
» Kennt Ihr mich noch wieder ? « fragte sie .
Ich erwiderte , daß ich sie nicht vergessen hätte , und nur froh sei , daß ich ihr nicht ganz fremd erschiene .
Sie hatte meine Empfindlichkeit bemerkt und sagte : » Lieber Freund , was kann man nur in der Gesellschaft , bei dem dummen Herumküssen an einem Kusse haben , besonders von jemanden , dem man etwas gut ist ?
Liegt Euch daran , so gebt mir jetzt , da wir allein sind , einen recht lieben Kuß , und ich will so Abschied von Euch nehmen . «
Ich drückte zitternd meine Lippen auf den vollen roten Mund , und verließ sie mit schwerem Herzen , indem ich nachdenkend durch die Finsternis langsam zur Stadt zurückging .
Jetzt schwebte mir immer die tanzende Gestalt vor den Augen , denn noch nie hatte ich so lebendige , zierliche Bewegungen gesehen , eine solche Freude , die sich oft bis zum Mutwilligen erhob , und plötzlich dann wieder zum stillen Ernst und sanfter Milde zurücksank .
Ich besuchte das Dörfchen wieder , und wurde bald mit den Eltern , welches gute Leute waren , vertraut .
Die Tochter behandelte mich wie einen Bruder oder längstgekannten Freund .
» Daß du nicht zu unserer Religion gehörtest « , sagte sie zu mir an einem Nachmittage , » hättest du mir nicht zu sagen brauchen , denn ich bemerkte es schon in der Kirche ; deine Andacht war zu neu und still , ich sah , daß du alles Unrecht machtest und nichts von der Messe verstandest , und weil um dich her Leute standen , die sich für gar zu fromm hielten und an deiner Unwissenheit Anstoß nahmen , reichte ich dir den Rosenkranz , um dich mit ihnen mehr zu befreunden .
Behalte ihn zu meinem Angedenken .
Hier schildern uns viele « , fuhr sie fort , » die Fremden aus den anderen Ländern , die sie Ketzer einen einen , als erschreckliche Menschen ; ich habe nie daran glauben können , und seit ich dein stilles , frommes Gesicht kenne , noch weniger .
Meine Eltern aber , so gut sie dir sind , werden traurig , sooft sie daran denken , daß du kein Katholik bist , und also verlorengehen mußt .
Wie können die Menschen nur so viel Liebe und Haß zugleich in ihrem Herzen haben ? «
Es schien bald , daß wir beide einander unentbehrlich wurden , und auch die Eltern gewöhnten sich an meine Gegenwart .
Ich achtete ihre Gebete und Sitten und störte sie durch keine fremde Äußerung , sonst vermieden wir alle das Gespräch über Religion .
Mein Zustand war sonderbar dunkel und heftig ; ich konnte oft den Augenblick nicht erwarten , bis ich wieder bei ihr in der Stube , neben dem Spinnrade , oder in der Laube saß , oder sie in den Garten begleitete , und die kleinen Geschäfte des Früchtesammelns , Blumenanbindens und dergleichen mit ihr teilte .
Oft genügte mir doch diese stille Gegenwart nicht , und ich forderte Kuß und Umarmung ; ihre Schönheit , ihr großer Blick aus den hellen Augen , ihr Händedruck beängstigten mich , ja ich konnte wohl zuweilen meine Entfernung beschleunigen , sosehr ich auch nachher beklagte , nicht in ihrer Nähe zu sein .
Ich fühlte , daß sie mich liebte , aber von diesem sonderbaren Zauberbann , von dieser Angst und Verwirrung war sie gänzlich befreit ; ihr war so recht herzlich wohl , wenn ich bei ihr war , ihr herrliches Gemüt und ihre schöne Ruhe forderten nichts weiter .
Es tat ihr wohl , mit mir über alles sprechen zu können , und mancherlei Kenntnisse und Gedanken zu sammeln , die sie in ihrer Umgebung vermißte , dabei empfand sie so ihre reine Hingebung in mein Wesen , daß sie nichts vermißte .
Sie sagte mir oft , wie glücklich sie sei , seit sie mich kennengelernt habe , wie sie sich jetzt ihres Herzens und ihres Verstandes bewußt werde , und selbst ihre Religion ihr in höherem Glanz erscheine .
So verging der Sommer mir in schönem Glück und freundlichen Stunden ; doch war es uns aufbehalten , auch Schmerz und Unlust kennenzulernen .
Jener wilde Mensch , der bis dahin die Rolle eines Unbesiegbaren gespielt hatte , der sich alles erlaubte und dem nur selten jemand widersprach , konnte mir mein Glück oder meine größere Stärke nicht vergeben .
Er hatte geschworen , Rache an mir zu nehmen , und Kunigunde warnte mich oft vor ihm .
Der unbändige Mensch trank viel und war im Rausche furchtbar , weil er dann jede Rücksicht vergaß , um nur seiner Wut genugzutun .
In dieser Stimmung hatte er sich mit einem Knittel bewaffnet , um mir im Eichenwalde auf dem Fußsteige aufzulauern , an einem Tage , an dem er wußte , daß ich hinauskommen wollte .
Kunigunde war mir entgegengeeilt , damit ich ihm auf einem anderen Wege entgehen könne , der Wilde aber hatte sie gesehen , und ihren Vorsatz geahndet .
Welche Szene bot sich mir dar , als ich auf dem wohlbekannten Pfad aus dem Walde trat , um den Fluß hinunterzugehn !
Sie rang mit dem Wahnsinnigen , der ein tierisches Gebrüll ausstieß und sie in seinen starken Armen hielt ; sie hatte das Tuch verloren , und der blendende , von mir so heilig geachtete Busen glänzte jugendlich in dem ungewohnten Licht der Bösewicht suchte sie nach dem Flusse zu schleppen , ihre Haare flogen aufgelöst , ihre Kleider waren zerrissen , sie stemmte sich besonnen seiner Übermacht entgegen , hätte aber wahrscheinlich seinen Kräften erliegen müssen .
Ich stürze auf ihn los , befreie sie , und er , in grimmiger Freude , den Gegenstand seines Hasses vor sich zu sehen , fällt mich wie ein Rasender an .
Ich suchte seinen Schlägen auszuweichen , und endlich gelang es mir , ihn zu unterlaufen und ihn fest in meine Arme zu pressen .
Er bis , er brüllte , er wandte alles an , sich loszumachen , oder mich zu verletzen .
Aber ich warf ihn nieder , und er war so ermattet und zerschlagen worden , weil ich mich im Zorne über seine Mißhandlungen völlig vergessen hatte , daß ihn zwei vorüberfahrende Fischer in ihren Kahn aufnahmen und nach seinem Hause zu bringen versprachen .
Alles dies war so schnell geschehen , daß ich mich kaum hatte besinnen können .
Jetzt fand ich sie auf der Anhöhe auf dem Rasen im Schatten der Bäume sitzend , wie sie bemüht war , Tuch und Kleider wieder in Ordnung zu bringen .
Ich hatte noch nicht gewußt , wie schön sie sei , und als ich jetzt zu ihren Füßen kniete , und der erste Sonnenstrahl an diesem trüben Tage durch die Wolken brach , Wald , Berg und Fluß vergoldete , am herrlichsten aber auf ihrem himmlischen Gesicht erglänzte , da dünkte ich mir im Paradiese zu sein .
Sie sank mir mit Tränen in die Arme , und indem wir uns eng umschlossen hielten und ich alles andere vergaß , wandte sie ihr lockiges Haupt ein wenig von meinem Gesichte weg und sagte : » Ja , ich bin dein !
es gibt keine Macht auf Erden , die unsere Herzen trennen könnte , ich kann dir nun nicht widerstreben , tue mit mir , mein Liebster , was dir recht dünkt und dein Gewissen dir erlaubt ; ich kann zu nichts mehr nein sagen .
Nur bedenke , daß ich dir nie nach deinem Lande folgen kann ; das wäre der Tod meiner Eltern , mich in der irrgläubigen Fremde zu wissen .
Du kannst und willst nicht hierbleiben , wie ich von dir weiß , am wenigsten aber die Gemeinschaft meiner Kirche suchen .
Wir sind also für die Einrichtungen der Welt getrennt , aber in Liebe bin ich dein , was dich glücklich macht , vollbringe oder lasse , mein Herz soll nur die Stimme des deinigen widerhallen . «
Es gibt Augenblicke im Leben , die seltensten , wo alles verschwindet , was wir noch eben wünschten und begehrten , ja wo sich alles in uns umwandelt , und in unseren Sinn , wie ich es ausdrücken möchte , eine Geistererscheinung steigt , die so unser Gemüt und Herz anfüllt und überfüllt , daß wir fühlen , als wolle es vor Seligkeit brechen ; weh ist uns vor Freude , und doch ist es nichts , was wir nennen könnten , was uns beseligt , es ist kein Besitz , kein Errungenes , nur die seligste Ruhe im Aufruhr und der Vernichtung aller unserer Kräfte .
Dies erlebte ich jetzt .
Ich wandte mein Auge in ihres , und traf in einen Blick , der in einer überirdischen Wonne glänzte .
Ich mußte weinen , und konnte erst nach einiger Zeit in diese Worte ausbrechen :
» Geliebteste ! mit diesen Worten hast du mir mehr als alles geschenkt ; denn auch das Höchste , die innigste Gunst ist ja auch nur ein Zeichen der Ergebung , der Vereinigung ; ich will dich und mich nach diesem heiligen Augenblicke nicht den Verwirrungen der Welt übergeben und vielleicht ein dunkles Schicksal aufregen , daß wir einst beide diese himmlische Minute hassen müßten . «
Ich begleitete sie nach Hause , nahm Abschied , trug ihr die herzlichsten Grüße an ihre Eltern auf , und verließ die Stadt , ohne sie wiederzusehn . "- Elsheim sah den Freund mit einem langen Blicke an , nach welchem sich eine leichte Röte auf seinem Gesicht zeigte .
" Ich bewundere dich " , sagte er endlich : " ich wäre dessen nicht fähig gewesen . "
" Schätze mich nicht " , sagte jener , " um eine Tugend , die ich nicht besaß ; wäre es ein Opfer gewesen , das ich hätte bringen sollen , so wäre ich vielleicht erlegen , aber ich hatte nichts zu bekämpfen , sondern das Gefühl , daß sie mir so ganz und unbedingt gehöre , daß sie , möchte ich sagen , mit Seele und Körper in meinem Herzen sei , erlosch alle Wünsche .
Ich kann dir nicht aussprechen , wie seltsam und wunderlich mir nach diesem Augenblick Welt und Menschen , Liebe und Sehnsucht , Leib und Geist vorkamen .
Es war , als sei ich auf eine Minute vom Leben erwacht , und als wirke in dem neuen Traum die Erinnerung der Wahrheit noch eine Zeitlang fort . "
" Ich verstehe dich nicht ganz " , sagte Friedrich , " manches muß man wohl erlebt haben , um es zu begreifen .
Es gibt aber Menschen , die das , was mich in deiner Erzählung rührt , nur lächerlich finden würden . "
" Mögen sie doch " , seufzte Leonhard , " die Erde hält sie eben zu gewaltsam fest , ich bin ihnen immer aus dem Wege gegangen . "
" Aufrichtig , Freund " , fing Elsheim wieder an , " hat dich selbst niemals dieser verlorene Augenblick gereut ? "
" Bin ich was anders als ein Mensch ? " antwortete jener ; " wenn aber die Disputiersucht unserer Leidenschaften manchmal die Oberhand über mein Herz gewann , so habe ich mich nachher um so mehr verachtet . "
Das Gespräch wurde hier geendigt , denn der Fuhrmann , der anfangs ebenso rasch als vorsichtig gefahren war , hatte sich , da er die Reisenden in so tiefsinniger Unterhaltung sah , dem Schlummer ergeben , und so fuhr er jetzt mit einem Ruck an einen Prellstein , daß der Wagen heftig erschüttert wurde und die Achse zerbrach .
Man stieg ab , der Postillion schüttelte den Kopf , besah den Wagen von allen Seiten , noch mehr den Stein mit zornigen Augen , fluchte , und tat nicht anders , als wenn Weg , Pferde , Wagen und die Reisenden , oder ein unbegreifliches Verhängnis , auf keinen Fall aber er selbst , an diesem Ereignis schuld wären .
" Ich lasse ihn gewähren " , sagte Elsheim beiseite zu unserem Freunde , " ich mag ihn in dieser Fuhrmannsreligion nicht unterbrechen .
Nennen doch die meisten Menschen auch das Schicksal , was sie mit einiger Achtsamkeit vermeiden konnten , und den unnützen Zorn , den ich gewöhnlich bei dergleichen Gelegenheiten wahrnehme , habe ich nie begreifen können .
Wir hätten ihn nicht sollen einschlafen lassen . "
Der Fuhrmann band und flickte , so gut es sich tun ließ , und Elsheim ermunterte ihn freundlich , und half , um nur den Wagen wieder von der Stelle zu bringen .
" Am meisten verdrießt es mich " , sagte er endlich , " daß wir wenigstens heute in dem Städtchen hier liegenbleiben müssen , das mir immer unausstehlich gewesen ist .
Es leben hier verschiedene Adlige und reiche Bürgerliche , die in der Einsamkeit der Provinz den langweiligsten und unerträglichsten kleinen Hof mit einer lächerlichen Etikette haben einrichten wollen .
Sie selbst sind die Langeweile gewohnt und sie gibt ihnen eine gewisse Haltung , aber ein Fremder , der unter sie gerät , ist verloren , weil weder Talent , noch Witz , noch Geselligkeit oder wirklich feines Betragen hier Eingang findet . "
Die Stadt war nicht mehr weit , alle drei gingen zu Fuß und der Wagen wurde hineingeschleift , den der Fuhrmann unter lautem Schimpfen in den Torweg des Gasthofes zog und gleich fortging , um Stellmacher und Schmied aufzusuchen .
Gleich am Tor war den Freunden ein großer Zettel aufgefallen , welcher ein Konzert auf heute ankündigte .
In der großen und eleganten Wirtsstube fanden sie die Tochter des Hauses , ein Mädchen von achtzehn oder neunzehn Jahren , die beim Klavier saß und eben zu spielen aufhörte ; nach der ersten Begrüßung gab sie Leonhard sogleich die Einladung zum Konzert , welches sie als höchst merkwürdig rühmte .
" Wir freuen uns alle hier in der Stadt " , beschloß sie ihre Rede , " auf den heutigen genußreichen Abend , besonders diejenigen , die etwas von der Musik verstehen . "
Mit den letzten Worten machte sie ihr Notenbuch ernsthaft zu .
" Sie haben freilich hier wenig Gelegenheit Musik zu hören " , sagte Elsheim .
Dergleichen Virtuosen , wie heute auftreten , freilich nicht antwortete das Mädchen ; " aber sonst sind wir nicht so ganz barbarisch , als Sie vielleicht glauben , denn seit einigen Jahren herrscht ein besserer Geist hier , so daß wir uns alle bestreben , mit der Zeit fortzugehen .
Es ist im adligen Zirkel ein concert spirituell eingerichtet , und wir haben dasselbe getan ; wöchentlich kommen wir einmal zusammen und musizieren oder deklamieren , ein andermal lesen wir gute Schauspiele , indem jeder eine einzelne Rolle rezitiert , oder üben uns in kleinen Aufsätzen , die wir uns mitteilen . "
Der Vater kam hinzu , und freute sich , daß seine Tochter die Fremden so anständig unterhalte .
Als beide wieder hinausgegangen waren , rief Elsheim aus :
" Ich wette , daß wir heute das elendeste Abendessen genießen müssen , wenn wir es uns nicht vielleicht beim Klavier und Mozart versüßen lassen .
Wie es mich immer ärgert , daß die Menschen nach und nach alle ihren Beruf verlassen und sich dessen schämen .
Sahst du wohl , wie unentschlossen sie war , den Mägden und dem Hausknecht zu befehlen ?
Zu gut zur Wirtin und zu schlecht zur Dame liegt sie unaufhörlich auf Prokrustes' Bett , und wird in dieser Minute schmerzhaft verlängert und in der nächsten noch qualvoller verkürzt .
Es gibt nichts so Schreckliches und was dem Menschen so alle Haltung raubt , als dies verletzbare Leben der Eitelkeit .
Wie freue ich mich jedesmal , wenn ich noch irgendwo die Reste der Bürgerlichkeit finde .
Zufrieden mit seinem Stande , stolz auf seine Arbeit und feststehend auf seiner Stelle im Leben hat ein solcher Mensch Ehrfurcht vor dem Höheren , das er nicht kennt , sei es vornehme Welt , Religion oder Gelehrsamkeit , beneidet keinen , sondern weiß , daß er auch seine notwendige Stelle füllt , und am Abend ein verständiges Gespräch , eine heitere Erzählung beim Glase Wein , ja Schwänke und anstößige Späße und plumper Scherz , von denen die Ergötzungsbücher unserer Vorfahren so viel und zu viel enthalten , sind mir ehrwürdig gegen dieses Aufwimmern falscher Bildung , und ich kann mich wohl zu jenen setzen , wenn ich dieser verbleichten Lüge , die sich nicht einmal mehr der Unwahrheit bewußt ist , auch Meilen entfliehen möchte . "
" Nun bist du menschenfeindlich und kränklich verstimmt , wie du mir neulich vorwarfst " , sagte Leonhard .
" Ich weiß nicht " , sagte jener , " ob es das ist , oder ob ich oder die Welt so sehr irren .
Aber so wie es in alten Zeiten , und selbst nahe bis an unsere jetzigen hinan , die Aufgabe aller Gesetzgeber und Religionen war , die Menschen zu milderen und zu zähmen , ihnen Sanftmut , Ruhe und Ergebung annehmlich zu machen , da alles nur gegeneinander tobte und sich bis und schlug , so möchte jetzt ein Lykurg nötig sein , um sie nur wieder zum Leben zu zwingen , sie gegeneinander zu empören , ihre Leidenschaften aufzureizen und sie bei Verbannungs- und Todesstrafe für Lustigkeit empfänglich zu machen .
Wo hört man jetzt noch , wie ehemals , Leute auf den Tisch schlagen und ineinander hineinjubeln und schreien ?
Wenn sich zwei Bauerbursche einmal bei der Kirmes prügeln , so möchten sie sechs Meilen rundum den Moses vom Sinai herunterrufen , um das ungeheure Wesen unter fünfzig neuen Gesetztafeln zu begraben .
Denn auch bei dem Bauer , der unmittelbar an der Natur wohnt und Leid und Lust aus der ersten Hand empfangen soll , möchten sie die große Kur einführen , und ihm die vornehm sittige Langeweile anbilden , die keine Hand mehr rührt , ohne auf den Effekt zu denken , den es auswärts macht .
Wenn unsere Bauernweiber erst an Nervenschwäche leiden , dann steht wohl jenes gepriesene goldene Alter echter Humanität an der Ecke lauernd , auf welches wartend die Herren nun schon lange aus dem Fenster geguckt haben . "
Die Tochter kam jetzt herein , mit Blumen auf dem Kopfe und übertriebenem Putze , um in das Konzert zu gehen ; sie verneigte sich sehr zierlich und wandelte am Arm eines jungen Menschen , der beständig auf seine seidenen Strümpfe und Schnallen hinuntersah , um zu beobachten , ob alles noch in gehöriger Ordnung sei .
" Wirst du nicht auch hingehen ? " fragte Elsheim .
" Nein , mein Freund " , antwortete Leonhard , " obgleich ich eigentlich noch nicht weiß , wie ich meine Zeit zubringen werde ; denn mir sind die meisten musikalischen Unterhaltungen dieser Art so abscheulich , daß ich ihnen jede Langeweile vorziehe .
Sie haben eine Kraft , mir den Kopf zu verwirren und mich auf lange für Geschäfte und Gedanken unfähig zu machen ; aber wahrlich nicht dadurch , daß sie mich zu sehr über dieses Leben erheben . "
- " Kindereien ! " unterbrach ihn der Baron ; " und vorzüglich heute paßt deine Furcht nicht , da du Gelegenheit haben wirst , einen der vorzüglichsten Klavierspieler , einen wahrhaften Virtuosen zu hören , sowie die Stimme eines ausgezeichneten Sängers .
Wir mögen in manchen Dingen den Alten nachstehen , aber die Wunder der Instrumentalmusik gehören ausdrücklich unserem Zeitalter an .
Man soll sich nicht eigensinnig gegen das Edle und Wundervolle verschließen , weil es , wie so vieles , vom Haufen mißbraucht wird und der Eitelkeit dient . "
Er zog den Freund mit sich .
Die Versammlung war in einem geräumigen Saal , aus welchem man sogleich in den Garten kommen konnte .
Da es hoher Sommer war , hatte man zwar die Lichter aufgesteckt , sie brannten aber noch nicht .
Die Gesellschaft war schon ziemlich zahlreich ; vorn prangten die edleren Damen der Stadt , unter diesen ein untersetzter Mann mit einem Stern , den alle mit großer Devotion Exzellenz nannten ; hinter diesem saß der Bürgermeister , die Hände über den Bauch gefaltet und auf jede Bewegung des Mannes vor ihm aufmerksam , der ehemals in Diensten eines benachbarten Staates gestanden und sich hierher zurückgezogen hatte , um als der Vornehmste verehrt zu werden .
Elsheim beobachtete mit Leonhard die Eintretenden .
Unter den Damen fehlte es nicht an reizenden , auch mußte man gestehen , daß die meisten die neueren Moden kannten ; aber zugleich war eine gewisse Übertreibung bei allen sichtbar und eine steife Ängstlichkeit , denn jede trat mit dem Bewußtsein herein , sie sei auf die rechte Art geschmückt , jede sitzende musterte sogleich kritisch die wandelnde und verbeugende , und diese betrachtete nach dem Gruß sich selbst , um Vergleichungen mit den schon anwesenden anzustellen , so daß es fast scheinen konnte , die feinen und reichen Kleider führten mehr ihre Besitzer herum , als daß sie von diesen getragen würden .
In dieser Kunstausstellung war die Tochter des Wirtes , die abseits an einem Fenster saß , denn freilich nur ein kleines Blumenstück aus der niederländischen Schule , das in der Nähe der großen Altarblätter kaum bemerkt wurde .
Noch unscheinbarer verschwand ihr Begleiter , der sich abwechselnd an andere junge Leute machte , laut sprach und sich zum Lachen zwang und dann mit steifer Leichtigkeit zu seiner Dame zurückkehrte .
Ein Elegant näherte sich beschützend ihrem Fenster , und sie blühte sichtbar auf , wechselte aber um so auffallender mit verlegener Blässe , als dieser auf einen befremdenden Blick vornehmer Damen , die hereinrauschten , sich etwas zu schnell gehorchend von ihr entfernte .
" O des Elends ! " flüsterte Elsheim , " unsere gute Adelaide , Selma , oder welchen idealischen Namen sie führen mag , möchte vor Neid , Mißbehagen und Eitelkeit vergehen !
Sei wechselt im Herzen mit einer übertriebenen Ehrfurcht vor diesen geputzten Herrschaften und einer erzwungenen Verachtung aller höheren Stände ; sie schämt sich ihres Daseins , und im Ringen dieser Verzweiflung wird die Musenkunst umsonst der matten Seele aufhelfen wollen .
Wie , wenn sie nun daheim , wie ihre guten Voreltern , behaglich bei der Insel Felsenburg säße , oder beim lustigen Besuch von Verwandten und Bürgermädchen , jene alten Lieder singend , oder sich in wohlgemutem Tanze umschwenkend , mit Dirnen flüsternd und dem Liebsten winkend : wie höher würden ihre Lebenspulse schlagen ! " -
Er verließ die Mitte des Saales und setzte sich vertraulich schwatzend zu der Verlassenen , was einige der Damen als ein Wunder bestaunten und dann verhöhnten , die ihm wegen seines Kreuzes schon unter den vordersten Sesseln einen Platz zugedacht hatten .
Leonhard stand im Haufen neben zwei Männern , die schon seine und die Aufmerksamkeit vieler in der Gesellschaft auf sich gezogen hatten .
Sie fielen auf , da sie in gelblichen Überröcken und bestaubten Stiefeln nicht nur die Fremden , sondern selbst Kosmopoliten etwas zu gleichgültig darstellten , die den Putz der übrigen Gesellschaft , sowie die ängstlich feinen Sitten nicht beachteten , oder vielmehr geringschätzten ; denn , anstatt sich im Hintergrunde bescheiden und still zu verhalten , waren sie gleich vorgedrungen und hatten das große Wort geführt , indem sie nach den Virtuosen , der Stunde des Anfangs und dergleichen die vornehmsten Nachbaren rechts und links ohne Unterschied gefragt hatten .
Der Minister hatte sich bei dem Geräusch erhoben , sie mit kurzem Blick gemustert und sich ernst wieder niedergesetzt , und der Bürgermeister , von diesem stillen Mißfallen belehrt , hatte durch einen Bekannten den anstößigen Fremden eine gedruckte Ankündigung des Konzerts übersandt , um dem zu lauten Schwatzen und Fragen nur ein Ende zu machen .
Jetzt aber nahmen diese den Zettel und lasen ihn nicht nur laut ab , sondern kritisierten auch unter Lachen und Spott jedes Wort .
" Ist es nicht zu arg " , fing der eine an , der , weil er blond war , ein etwas sanfteres Ansehn hatte , " daß in Deutschland Menschen , die sich für Virtuosen ausgeben , nicht eine Zeile richtig in ihrer Muttersprache schreiben können ? "
- " Weil sie " , erwiderte der Braune , dem dicke schwarze Haare tief in seine dunklen Augen hingen , " in Faulheit nichts lernen und genug zu tun glauben , wenn sie die Finger behende rühren können . "
- " Und solches Volk " , fing der andere wieder an , " will einen solchen Zirkel gebildeter und feiner Menschen , wie ich hier versammelt sehe , nicht nur unterhalten , sondern ihren Geist erheben und alle zu den höchsten Genüssen der Entzückung und Andacht stimmen , da sie selbst , wie der gemeine Mann zu sagen pflegt , weder lesen , noch beten können . "
Bei diesem lauten Gespräche waren die Damen enger zusammengerückt , um sich so viel als möglich von der verdächtigen Nähe zu entfernen , der untersetzte Minister hätte gern alles ignoriert , wenn man nicht zu laut gesprochen hätte , er flüsterte daher seiner Umgebung von rohen und gemeinen Menschen zu , und der noch dickere Bürgermeister erhob sich , um den Fremden einen drohenden Blick zu senden .
" Sehen Sie nur , mein Freund " , fing der Schwarzköpfige wieder an , " wie unruhig die verehrungswürdige Gesellschaft schon wird ; alles sieht umher , kein Mensch kann begreifen , wo die Kerle nur bleiben , die gewiß wo in einem Weinhause sitzen ; und doch steht hier : der Anfang präzise um sechs Uhr , aber die dummen Teufel glauben gewiß , präzise heißt auf deutsch eine Stunde nachher .
Und doch sollten sie ja eilen , die armen Schlucker , um so viel als möglich Wachslichter zu sparen . "
Der andere sagte hierauf mit verhaltenem Zorn :
" Wir müssen hier alle wie die Narren warten , als wenn wir nicht mehr zu tun hätten ; mich gereut schon mein gutes Geld , das ich den Windbeuteln draußen habe erlegen müssen . "
" Wer mag nur der Krüppel sein " , sagte der Schwarzäugige , " der so genau unsere Taler besah , als wenn wir falsche Münzer wären .
Wohl gar das gute Schaf von Komponisten selbst , der dem Gelde die Stimme probiert , ob es den gehörigen Diskant singt . "
" Meine Herren , die ich nicht zu titulieren weiß , da ich nicht die Ehre ihrer Bekanntschaft habe " , fing hierauf der Bürgermeister , der sich nicht länger halten konnte , fast stotternd vor Ärger an , " der brave Mann , der Ihnen die Billetts gegeben hat , ist unser Kassierer vom Rathause , der sich aus reiner Liebe zur Kunst , und um die beste Ordnung zu erhalten , diesem Geschäfte unterzogen hat .
Man muß ihm dafür danken , und er ist nichts weniger , als ein Krüppel .
Ich habe die Ehre , hier Bürgermeister zu sein , und ich sowohl , wie der ganze Magistrat können einen solchen Ausdruck übel empfinden . "
" Wir wollen ihm nicht weiter zu nahe treten " , sagte der Schwarze , " aber über die Schlingel von Musikanten dürfen wir uns doch ärgern , die für ihr Geld , das sie uns ablocken , die Stunde nicht besser in acht nehmen .
Wir haben mehr zu tun , als hier zu warten . "
Lange hatten die Damen schon gezischelt , um die ungezogenen Fremden war ein leerer Raum entstanden , und mit einer Protektionsmiene gegen seine Umgebung , da der Bürgermeister das Eis schon gebrochen hatte , erhob sich nun der Mann mit dem Sterne und sagte : " Es scheint Ihnen zu entgehen , meine Herren , vielleicht weil Sie bisher nur wenige Gesellschaft frequentiert haben , in welcher man sich etwas genieren muß , daß Sie diese Damen und uns alle mit beleidigen , indem Sie so ohne Rücksicht auf die beiden Künstler schelten , die heute unsere Stadt beglücken wollen .
Der Ruhm dieser Männer ist über jede Lästerung erhaben , und da Sie weder warten wollen , noch auch Kenner und Freunde der Musik zu sein scheinen , so war Ihre Bemühung in diesen Saal ein kleiner Irrtum . "
" Es sind halte doch nur Musikanten " , rief der Blonde unwillig aus , " und wenn ich nicht die Ehre hätte , mein Herr Baron oder Graf , dadurch mit Ihnen in Gespräch und Bekanntschaft zu geraten , so würde ich glauben , daß alles , was Sie sagen , diese nachlässigen Menschen zu entschuldigen , unpassend sei . "
" Ja wohl " , rief sein Gefährte mit mehr Ungestüm , " für unser Geld sind wir hier !
die ganze Gesellschaft hier in Ehren , und ich mache jedem mein Kompliment , aber die Musikanten , denn wir sind doch hier alle gleich , erkläre ich für wahre Taugenichtse . "
" Und der Herr Graf von hat uns hier nichts zu befehlen , und wir können es sehr übelnehmen , daß er uns zu verstehen gibt , wir wären hier nicht an unserer Stelle , ja uns gleichsam die Türe weiset " , fuhr sein Begleiter fort .
" Es ist unter mir " , sagte der angesehene Mann unwillig , und setzte sich sehr heftig nieder , " mit Menschen zu sprechen , die nur der schlechten Gesellschaft gewohnt sind . "
" Gesellschaft ist Gesellschaft " , riefen die Fremden , " vollends wenn man bezahlt , und dies Betragen schickt sich nicht . "
So fuhren sie fort laut zu schelten auf die Umgebung , auf die Art , mit ihnen zu sprechen , vorzüglich aber über die Verzögerung des Konzertes , aus welchem nichts würde , und das sie gern genossen hätten , da sie doch vielleicht die einzigen wahren Kenner in dem kleinen unbedeutenden Orte wären , so daß man umher murmelte , schalt , sie drängte , von Ungezogenheit und Pöbel sprach , indessen sie sich mit Gewalt Platz zu machen suchten und bald mit Zorn , bald mit Lachen antworteten , bis sich endlich der Bürgermeister , der indessen mit seinem Gönner heimlich gesprochen hatte , in aller Würde erhob und laut sagte :
" Meine Herren , Sie mögen Kenntnisse besitzen , oder nicht , so muß ich jetzt das deutlich wiederholen , was Sr. Exzellenz aus übertriebener Gute und Humanität Ihnen nur zu verstehen gegeben hat , sich nämlich aus diesem Zirkel zu entfernen , der offenbar nicht mit Ihrer Art und Weise sympathisieren kann . "
" Herr Bürgermeister , denn der sind Sie , wie ich höre " , sagte der blondhaarige Fremde , " Sie wollen also zwei Leute , die Sie nicht kennen , zwei musikalischen Vagabunden aufopfern , denn derentwegen ist ja nur unser Streit ; ich sehe aber gar nicht ein , wie Sie das Recht haben , uns mit solchen recht empfindlichen Reden von hier zu entfernen . "
" Ohne Umstände " , rief ein alter Hauptmann , der sich dienstfertig herbeigemacht hatte , um auch als ein Vorsteher der Stadt seine Rolle zu spielen , " Sie machen sich davon , oder man wird Ihnen etwas anderes zeigen ! "
Im Eifer faßte er den Schwarzkopf derb an , der , ohne auf seine Würde zu achten , ihn so kräftig zurückstieß , daß der Offizier gegen ein paar junge Herren flog , und der Puder seiner Frisur den halben Saal anfüllte !
- " Wache ! " rief der Hauptmann .
" Man ist seines Lebens nicht sicher " , schrien die Damen .
" Das ist ein Skandal ! " ächzte der Bürgermeister .
Bei dem Getümmel war der Kassierer herbeigekommen , und diesem wurde von dem besternten Manne , dem alles Platz machte , die Weisung gegeben , Wache herbeizuschaffen , die die Friedensstörer und Arrestanten , denn das verdienten sie zu sein , abführen könnte .
" Wenn es denn Ernst ist " , sagte der Fremde mit den blonden Haaren , " so müssen wir uns wohl dareinfinden , aber es ist doch hart , daß wir unser gutes Geld darüber einbüßen sollen . "
" Hier , mein Herr " , sagte der kleine Kassierer , " empfangen Sie Ihre zwei Taler zurück , denn die berühmten großen Virtuosen werden lieber die Gesellschaft nach Ohren , als nach Talern zählen . "
" In die Wache ? " fragte der Schwarzgelockte .
- " So ist Ihr Schicksal " , antwortete der Hauptmann .
- " Woraus besteht diese ? "
- " Für jetzt aus Invaliden , aber künftigen Winter bekommen wir wieder wirkliches Militär . "
- " Gut " , rief jener , " so höre ich auf der Wachstube vielleicht alte edle Volkslieder , oder biedere Liebesgesänge und kann dem musikalischen Charivari hier mit gutem Gewissen den Rücken wenden .
Wir weichen der Gewalt .
Aber , wie ist man doch in diesem kleinen traurigen Städtchen noch zurück !
Wie ist man doch in den Winkeln der Provinz so gar nicht mit dem Geiste der Zeit fortgeschritten !
Wir arretiert , zu Invaliden geschickt , weil wir aus Enthusiasmus die Künstler verwünschen , die uns den Genuß ihrer Kunst so lange vorenthalten !
Diese beklagenswürdige Barbarei verdient , daß Sie alle hier nie einen guten Sänger oder Komponisten hören , daß Sie heute umsonst und vergeblich auf jene Tausendkünstler warten , die uns diesen Verdruß zuziehen , daß Sie immer in der barbarischen Dunkelheit und dem skythischen Nebel verharren , denn Orpheus selbst würde hier alle seine Harmonien vergeblich anwenden . "
- Das letzte sagten sie schon draußen , teils fortgedrängt und abgeführt und teils freiwillig den Saal verlassend .
" Meine Damen und Herren " , sagte hierauf der Mann mit dem Sterne in großer Bewegung , " ich nehme Sie alle zu Zeugen , daß es keineswegs Barbarei oder Mangel an Humanität ist , was uns zu diesem Betragen gegen diese fremden Gesellen gezwungen hat , auch ist der Vorwurf dieser Ruhestörer gewiß ebenso ungegründet , daß wir zurückgeblieben und mit der Zeit nicht fortgeschritten wären .
Geschähe in allen Teilen des deutschen Reiches für Kunst und Bildung so viel , wie in diesen friedlichen Gegenden , so würden wir bald noch schönere Früchte gewahr werden ; dies unbestochene Zeugnis war ich dieser Stadt und Ihnen schuldig . "
Alle verneigten sich , am tiefsten der Bürgermeister .
Die gewöhnliche ruhige Verfassung einer Gesellschaft , die Musik erwartet hatte , hatte sich völlig aufgelöst , denn dieser Vorfall war zu außerordentlich , um nicht allen Zuhörern eine ungewöhnliche Stimmung zu geben ; selbst die akkompagnierenden Musiker , ja sogar die Lichterputzer hatten sich unter die Gesellschaft des Saales gemischt , um zu hören , oder zu erzählen , Meinungen zu vernehmen , oder Vermutungen mitzuteilen .
So meinten einige , die unruhigen Fremden wären Bauern und Holzhändler von dem nicht zu entfernten großen Strome , die auch einmal ein geistiges Vergnügen an sich hätten versuchen wollen und daran gescheitert wären ; einige wollten Matrosen in ihnen erkennen , und andere waren noch unbilliger und hatten in ihnen Mitglieder einer Räuberbande entdeckt , die damals im südlichen Deutschland viel von sich sprechen machte .
Nur nach und nach beruhigte sich das tobende Meer , und man hatte im Eifer der Verhandlung nicht bemerkt , daß es darüber in der Tat schon spät geworden sei daß es schon dämmerte , und daß der Fluch der Fremden in Erfüllung zu gehen drohe .
Die Ruhe und das feinere Gespräch hatte sich indessen wieder hergestellt , als man wegen der Dunkelheit gezwungen war , die Lichter anzuzünden , und nun fiel es der Gesellschaft , vorzüglich den Damen , auf , wie lange sie schon vergeblich gewartet hatten .
Einige der Herren , die spazierengegangen waren , kamen auch aus dem Garten zurück und wunderten sich , daß die Sache noch immer nicht vorgeschritten war ; am ungeduldigsten aber waren die begleitenden Musiker , welche laut murrten und wegzugehen drohten .
In dieser Verfassung zog der Bürgermeister Nachrichten ein , und es ergab sich , daß keiner im Saale wußte , wo die Virtuosen abgestiegen waren , daß keiner sie noch gesehen , denn sie hatten nur schriftlich um die Erlaubnis nachgesucht ; und da sehr viele schon längst ihre Augen auf den unbefangenen heiteren Elsheim geworfen hatten , der , obgleich ein Edelmann , das Ärgernis gegeben , sich zur Tochter des Gastwirtes zu setzen und sie zu unterhalten , noch mehr aber dadurch , daß er bei dem lauten Streite gelacht und gewissermaßen die Partei der Fremden genommen hatte , sich auch jetzt unverhohlen freute , daß man so spaßhaft und trocken wieder auseinandergehen müsse : so fand der Einfall eines witzigen Kopfes sogleich den größten Beifall , daß dieser fremde junge Herr vielleicht die Bitte um Erlaubnis geschrieben , dann die Ankündigungen habe drucken lassen und dann selbst angekommen sei , um die Verwirrung und den Verdruß der Kunstfreunde schadenfroh zu genießen .
Diese Meinung lief bald durch den ganzen Saal ; alles erhob sich , um verachtende oder zornige Blicke auf den Unschuldigen zu werfen ; es schien , als wolle man einen Sprecher wählen , der die Vorwürfe der beleidigten Versammlung in einer lauten Rede vortragen solle , und Leonhard fing an , um seinen Freund , dessen heftige Reizbarkeit er kannte , besorgt zu werden , als man einen Invaliden sich eifrig durch den Saal drängen sah , der den Hauptmann aufsuchte , um ihm etwas in das Ohr zu raunen .
Der Hauptmann sah mit einer sehr wichtigen Miene empor , schüttelte den Kopf , winkte dem Bürgermeister und begab sich mit feierlichem Anstande zu diesem .
Nachdem beide eine Weile leise miteinander gesprochen , nahm mit einem tiefen Seufzer der Amtsbürde und mit hoher Röte der Bürgermeister Hut und Stock und sagte : " Ew. Exzellenz und meine Damen und Herren verzeihen , wenn ich mich auf einige Zeit entferne ; die beiden Arrestanten lassen mich dringend und eilig auf die Hauptwache zitieren , indem sie mir sehr wichtige und notwendige Dinge in großer Eile zu eröffnen hätten .
Vielleicht ist dies für unsere Stadt ein hochwichtiger Tag , denn mir ahndet , daß Entdeckungen unterwegs sind , die wohl zum Glück des ganzen Landes gereichen mögen . "
Ein Beifallsmurmeln begleitete den Patrioten , die größte Neugier und Spannung hatte sich der ganzen Gesellschaft bemächtigt es schien nun , vorzüglich den Damen , ausgemacht , die Gefangenen könnten nur Mörder und Straßenräuber sein und gewiß die Anführer der Bande , denen das Gewissen plötzlich erwacht sei , um die außerordentlichsten Entdeckungen zu ma chen .
Die Scharfsinnigsten hielten zugleich ein wachsames Auge auf Leonhard und Elsheim , damit diese sich nicht unvermerkt entfernen könnten , und man sprach laut von Verkleidungen und vielfältigen Masken , unter denen sich so oft die größten Bösewichter unkenntlich in die beste Gesellschaft zu schleichen suchten .
Diejenigen , die in der Literatur der Räuberromane bewandert waren , führten davon merkwürdige Beispiele an , und einige von den Mädchen rückten näher aneinander , sahen scheu nach der Tür , oder auf Leonhard und Elsheim , in der bangen Erwartung , daß plötzlich ein grauses Wunder unter dem Signal von Pistolenschüssen sich entwickeln , oder die Befreiung der Gefangenen unter Aufruhr und Brand erfolgen werde .
Die Tochter des Bürgermeisters weinte unverhohlen Tränen , weil sie ihren Vater schon verloren gab , als dieser zur Befriedigung ihrer und aller keuchend zurückkam und mit verdrußlichem Kopfschütteln alle stummen und lauten Frager , die sich an ihn drängten , zurückwies , bis er wieder zu seinem Sitze gelangt war .
" Exzellenz " , stotterte er , " es war ungegründet , aber die Musik wird vor sich gehen . "
Und zugleich traten zum allgemeinen Staunen durch die Tür gegenüber zwischen Notenpulte und Musiker mit etwas veränderter Kleidung die beiden arretierten Fremden herein , näherten sich anständig der vorderen Reihe der Zuhörer und wollten eine Entschuldigung stammeln , doch ließen sie die Ausrufungen der Verwunderung , das Aufstehen , das Fragen und Sprechen der Zuhörer untereinander nicht zu Worte kommen , und Elsheim , der jetzt wieder unter den vorderen stand , sich an der Verlegenheit der Gesellschaft und der Schadenfreude der Virtuosen ergötzend , fing laut an zu applaudieren , und alle , die beim Erscheinen von Künstlern dieses Geräusch zu erregen schon gewohnt waren , folgten ihm nach , so daß ein lautes Beifallklatschen wie ein durchbrechender Strom alle anderen Töne in sich aufnahm und verschlang , indessen nur der Graf mit hoher Röte vor sich niedersah und beschämt und mißbilligend das Haupt schüttelte .
Da dies die bemerkten , die ihm am nächsten waren , so hörten sie auf , und so verlor sich das Applaudieren wieder decrescendo , welches Elsheim einsam endigen mußte , indem sich jeder zugleich besann , wie unpassend man hier den Beifall Leuten erteilte , die jedermann nicht auf die feinste Art zum besten gehabt hatten .
Eine der schönsten Symphonien erhob sich jetzt mit ihrem Flügelschlage und nahm alle Empfindungen mit sich ; dann spielte der blonde Virtuose ein Klavierkonzert mit einer Fertigkeit und einem Ausdruck , wie man es dort noch nicht gehört hatte , der Sänger , eine Baßstimme , sang unvergleichlich , und man wechselte noch mit einigen Musikstücken , die allgemeinen Beifall verdienten und das Publikum in der Tat entzückten , doch schämte man sich , seinen Beifall zu bezeigen , und hörte alles stillschweigend an .
Es war spät geworden , ehe die musikalische Unterhaltung beendigt war ; der kleine Kassierer , der das empfindlichste Gemüt haben mochte , war schon lange vor dem Schlusse nach Hause gegangen , nachdem er durch einen Violinisten den Reisenden die Einnahme übersandt hatte .
Diese bezahlten sehr freigebig die begleitenden Instrumente ; die Gesellschaft ging , selbst nicht wissend , ob ihre Zufriedenheit , oder ihr Mißvergnügen überwiege , auseinander , und Elsheim bat die Fremden , mit ihm in seinem Gasthofe zu essen , die seine Einladung auch mit heiterer Gleichgültigkeit annahmen .
Der Wirt hatte von seiner Tochter schon das Abenteuer vernommen , und er ging den Fremden mit einem Gefühl , aus Bewunderung und einem gewissen Entsetzen gemischt , entgegen , daß sie es gewagt hatten , die Häupter der Stadt , die ihm die der Welt waren , zu nähren , und sie doch zugleich die berühmten großen Virtuosen waren , die zu solchem Wagestück den kecken Mut in sich hatten finden können .
Die Tafel wurde bereitet , und die gebildete Tochter , sowie der Wirt selbst mußten auf Elsheims Ersuchen Platz daran nehmen , bei welcher der gute Wein das vorzüglichste Gericht ausmachte , weil die Speisen in der Tat schlecht zubereitet waren .
Als der Wein heiter und vertraulich gemacht hatte , erzählte der Komponist , wie sie dem Bürgermeister entdeckt hätten , daß man sie , wenn das Konzert noch zustande kommen solle , frei machen müsse , und wie dieser ihnen nur Glauben beigemessen habe , als sie Briefe vorgewiesen , die an sie gerichtet gewesen .
" Wie kamen Sie nur auf diesen sonderbaren Einfall ? " fragte Elsheim .
" Man hört ja " , erwiderte der Komponist , " von Künstlern erzählen , die aus enthusiastischer Zerstreuung während des Spieles vom Instrument aufgesprungen sind , um aus der Ferne die Wirkung ihrer eigenen Musik zu erfahren , und so kamen wir neulich auf den Gedanken , dies hier in dem kleinen Städtchen auf eine ähnliche Art versuchen zu wollen , ob wir uns gleich den Ausgang des Abenteuers nicht so gedacht hatten . "
" Mich wundert " , sagte Leonhard , " daß Sie nicht verlegen waren ; ich hätte um alles nicht Ihre Rolle durchführen mögen . "
" Sie sind auch wahrscheinlich kein Schauspieler " , antwortete der dunkelhaarige Bassist ; " mir wurde erst etwas beklommen , als das unmäßige Applaudieren entstand , und gewiß , man hätte uns nicht mehr beschämen und bestrafen können , als wenn dieser laute Beifall sich wiederholt bei jedem Musikstücke hätte hören lassen . "
" Sie müssen freilich " , fiel der Wirt ein , " in Ihrem Stande mehr abgehärtet sein , als andere Menschen , denn es kommen wohl oft Fälle vor , in denen Sie Ihre ganze Fassung nötig haben . "
Der Sänger sah hierauf den vorlauten Wirt mit einem Blicke an , wie ihn ein siegesstolzer Student etwa einem sogenannten Philister zuwirft , wenn dieser über Händel oder Duell-Angelegenheiten sein Wort abgeben will .
Ohne den Wirt zu berücksichtigen , richtete der Schauspieler seine Worte wieder an den Edelmann , indem er so fortfuhr :
" Es ist wahr , wer es in unserem Stande nicht lernt , Fassung zu gewinnen , unvermuteten Störungen , oder Kabalen und Grobheiten mit einer gewissen festen Unverschämtheit entgegenzutreten , der wird diese Tugenden niemals erringen .
Mir und meinem Freunde hier ist aber das Talent angeboren , mit dergleichen Fährlichkeiten zu spielen , sie aufzusuchen und im wildesten Sturm und Drang den Kopf niemals zu verlieren . "
Elsheim erwiderte :
" Ich kann mich wohl , wenn ich es näher überlege , in Ihre Stimmung hineindenken .
Geht es einem beim Reiten , wenn man ein wildes Pferd versucht , doch auf ähnliche Art .
Indem man alle Kunst mit Bewußtsein anwendet , gerät man doch zugleich in einen Taumel und so wilde Unbesonnenheit , daß man sich der Gefahr erfreut , und vielleicht das wilde trotzige Roß nur durch diese Vereinigung von Tollheit und Vernunft gebändigt wird .
Noch öfter tritt dieser lüsterne Zustand beim Fahren ein , wenn wir etwa vier kräftige Hengste regieren sollen .
Es erwacht ein Heldensinn in diesem Taumel , und der Mensch ist nahe daran , die Gefahr herauszufordern .
Vielleicht daß , wem von diesem verlockenden Reize gar nichts beiwohnt ein solcher nie etwas Großes tun kann , er müßte denn , wie Fabius der Zauderer , durch seine unerschütterliche Kälte Verderben und Gefahr von sich und den Seinigen abwenden .
Wie heroisch braucht Egmont dies als Gleichnis , um seinen Lebenslauf zu bezeichnen :
» Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht , gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unseres Schicksals leichtem Wagen durch , und uns bleibt nichts , als mutig gefaßt die Zügel festzuhalten und bald rechts , bald links , vom Steine hier , vom Sturze da die Räder wegzulenken .
Wohin es geht , wer weiß es ?
Erinnert man sich doch kaum , woher er kam . « "
- " Geehrter Herr " , sagte der Klavierspieler , " alles Talent ist nur auf diesem Wege möglich .
Noch keiner hat das Wunder , was mit diesem Worte ausgesprochen ist , erklären , oder nur begreifen können .
Das ist ja das Rätsel , wie sich in uns der Zustand , den wir unser Bewußtsein nennen , so innigst mit seinem anscheinenden Widerspruch , dem Nichtbewußtsein , vermählen kann , und aus dieser Vereinigung erst unser höchstes , seelenvollstes Leben hervorgehen muß .
Ich habe mehr als einmal einer Anzahl trefflicher Sänger akkompagnieren müssen , plötzlich , unvorbereitet , nach einer Partitur einer Oper , die mir noch niemals vorgekommen war , und mein Auge und Sinn fand sich so schnell und sicher in dieser schwierigen Aufgabe zurecht , daß alles gelang , und dieses tollkühne Improvisieren zu den genußreichsten Stunden meines Lebens gehört . "
" Wie oft " , fiel der Sänger ein , " habe ich etwas ähnlich Halsbrechendes unternommen , die schwierigsten , mir fremden Sachen vom Blatte zu singen .
Es ist eine Energie in uns , eine Allgegenwart des Geistes , eine Gabe der Prophezeiung , die nur alsdann hervortritt .
Und sonderbar ! wenn diese Zustände des Seelenrausches vorüber sind , bemerken wir , daß auch alles Zeitmaß in uns aufgehört hat , denn wir wüßten nicht zu sagen , wie viele Stunden uns in dieser Anstrengung verschwunden sind , weil sie uns nur wie Augenblicke erschienen . "
" Ebenso ist es aber auch " , fiel Leonhard bescheiden ein , " wenn wir ein Kunstwerk genießen und wahrhaft verstehen .
Die knechtische Abhängigkeit von der Zeit verschwindet alsdann jedesmal . "
Die beiden übermütigen Künstler hatten sich bis jetzt nur wenig um den jungen Meister gekümmert , sie sahen ihn jetzt mit großen Augen an und suchten an seinen Blicken zu erforschen ob er ebenfalls zu ihrer Zunft gehöre , oder vielleicht Maler , oder Dichter sei .
Doch Leonhard schlug seine Augen nieder und schien es zu bereuen , daß er an diesem verwegenen Gespräche teilgenommen hatte , sein Freund aber nahm das Wort auf und bemerkte :
" Wenn es also wahr sein mag , daß dieser unbeschreibbare Doppelzustand zu unseren allerbesten Lebensäußerungen gehört , sei es , um zu genießen , oder hervorzubringen , so dürfte die Frage sehr wichtig sein , wie weit man nun , um jener höheren Kraft Raum zu geben , Bewußtsein und Nüchternheit einengen , und wieviel Herrschaft jene bacchische Begeisterung ausüben dürfe . "
" Dafür oder dagegen " , rief der Sänger heftig aus , " kann und darf es keine Gesetze geben .
Soll das Gebet aus jener Nüchternheit hervorgehen , die ja eben durch den Gott vernichtet werden soll ?
Glauben Sie mir , alle großen Genien der Menschheit , seien es Helden , Dichter oder Künstler , haben ihre Schöpfungen nur , von diesem Taumel erst angerührt und dann beherrscht , hervorbringen können .
Welche unbändigen Höllengeister waren es denn , mit lichten Engeln geschart , die unser Mozart vor seinen Siegeswagen spannte , um , ein zweiter Dionysos , seinen Triumphzug nach dem fernen , gottgeweihten Indien , dem Land der Fabel und der Poesie , zu feiern , von tanzenden Nymphen , gaukelnden Amoretten , lächerlichen Faunen , rasenden Mänaden und selig liebenden , ewig trunkenen Lieblingen der Aphrodite und des Eros begleitet ?
So stürmt sein Don Juan , sein siegprangendes Meisterwerk , dahin .
In dieser heiligen Raserei haben alle Genien gedichtet und erschaffen .
Ja erschaffen , wie der Herr , aus dem Nichts .
Dies ist das Unbewußte , der Schlaf , der Tod in uns , wie es die blöden Menschenkinder nennen .
Hier ist das Zeughaus der Phantasie , die geheimnisvolle Werkstätte des unsterblichen Geistes .
Wer hier das pflegt und nährt , was späterhin als Gedanke , Ton , Bild und Gedicht in die Schöpfung heraustreten soll - wer kann diese Ammen nennen , oder bezeichnen ?
Was ist dieses Nichts , dieses unbekannte Unerkannte , dieses Namenlose , aus dem aller Glanz und alle Kraft sich entwickelt ?
O ihr Törichten , die ihr euer Leben damit zubringt , immer Unterschiede zu entdecken und diesen mit nüchterner Weisheit einen Taufnamen zu geben !
Stürzt euch , ihr von den Musen Begabten von der Gottheit Begeisterten , ohne zu forschen und zu zweifeln , in den Strom des bewegten Lebens ; opfert , wie es das Geheimnis fordert , eure Vernunft und Nüchternheit , die Ordnung und Sitte jenen unterirdischen Geistern und Dämonen , die , wenn ihr dieses Entschlusses nicht fähig seid , euch sonst die Schönheit selbst entreißen , mit eurem Herzblut , wie Vampiren , die Begeisterung wegzechen , so daß ihr nach kurzem Taumel zu Qualm des Ekels und der altklugen Langeweile erwacht .
Der Weinrausch ist ein Symbol dieses göttlich begeisterten Lebens , in der Wollust spricht mit Entzücken und Wahnsinn jener Tod uns an , der das echte Leben ist , hohnlachend und in süßester Wehmut wird hier jenes Bewußtsein begraben , das die meisten Menschen für das Leben halten .
Wer sich also als echter Künstler dem Taumel weiht , der darf nicht rechts , nicht links , nicht rückwärts schauen , nur vor ihm liegt die Bahn , und Glück , Gefahr und Leben und Tod sind eins . "
Auf einen stillen , bedeutsamen Wink des Wirtes hatte die junge Tochter das Zimmer schon verlassen , weil es dem Vater wohl unziemlich dünken mochte , daß ein weibliches Wesen diese wunderlichen Lebensregeln mit anhören sollte .
Leonhard sagte nach einer kleinen Pause : " Aber , meine Herren , Sebastian Bach , Gluck , Palestrina- - "
" Still ! " entgegnete der Sänger , " ich weiß , wo Sie hinauswollen .
Ausnahmen gibt es , und - wer weiß - man soll den alten Bach , unseren Vater und Meister , nicht lästern , - aber jener stürmische Geist ging ihm wohl ab , der unsere neue Kunstwelt treibt .
Und Palestrina - wir wissen so wenig von ihm - aber erzählte er nicht , daß er die eine seiner berühmtesten Kompositionen Note für Note vollständig von einer Schar von Engeln vernommen und die überirdische selige Musik nur als mechanischer Kopist niedergeschrieben habe ? -
In der Musik strömt ein Geist , der , stärker als in allen anderen Künsten , ihren Bekenner der Besonnenheit enthebt .
Der Sänger , mehr fast noch der Virtuos eines Instrumentes , der Kapellmeister , wie der Komponist , alle leben dem Augenblick , ohne an morgen zu denken .
Der Genuß der Kunst , so gut wie des Weins und der Liebe , reißt sie über Zeit , Sorge und Ordnung hinweg , denn in keiner anderen Kunst ist das unmittelbare Gelingen , das Improvisieren so notwendig .
Maler , Dichter und Bildhauer mögen sich bedenken ; wenn der Musiker es wollte , so wäre der auflodernde Augenblick schon entflogen .
Der Grübler nun gar müßte auf lächerliche Weise zuschanden werden .
Darum , meine ich , muß man in der sogenannten Moral auch beim Musiker einen ganz anderen Maßstab anlegen , wenn der Sittenprediger nicht gegen ihn ungerecht , ja grausam werden soll .
Mozart steht höher , als seine Sittenrichter . "
Der musikalische Freund bekräftigte alles , und so , nachdem man noch manche paradoxe Sätze ausgesprochen , die den munteren Elsheim sehr ergötzten , begaben sich alle auf ihr Lager , als der Morgen schon graute .
In der heiteren Landschaft fühlte sich Leonhard wieder frei und wurde fröhlich .
Elsheim hatte die Verstimmung wohl bemerkt , die seinen Freund am Abend quälte , und sagte jetzt , nachdem sie lange stumm nebeneinander gesessen hatten :
" Warum , Freund , bist du oft so schwerfällig und widerstrebst der Laune , die mich mit sich nimmt ?
Man kann nicht immer weise sein , und dein Gemüt ist selbst oft zur Fröhlichkeit gestimmt , ja , ich habe selbst gesehen , wie Albernheiten und Kindereien dich ergötzen können . "
" Schilt mich nur " , antwortete Leonhard , " denn freilich ist es wohl eine Anlage zur Pedanterie , die mich in manchen Stunden so mißmutig und mürrisch macht .
Der ganze gestrige Tag war mir nicht recht .
Daß der Wagen zerbrach , machte mich erst ganz verdrießlich .
Nun gar das verwünschte Konzert .
Ich begriff deine ausgelassene Heiterkeit nicht .
Das ganze Wesen , Zuhörer , Vornehme , Bürgermeister , Männer , Frauen und Mädchen , alles war melancholisch .
Diese Ungezogenheit der Musiker war wunderlich genug , aber auch dieser Vorfall konnte mich nicht ergötzen .
Wir haben uns mit den anderen nähren lassen , weil wir eben nichts Besseres zu tun hatten .
Und das mag wohl oft , auch im Leben der besseren Menschen , eintreten , daß solche Lückenbüßer und Ausgeburten der Langeweile für Ergötzung gelten müssen .
Es sind die Butterküchlein aus Wasser der Schildbürger .
Und nun gar das Hymnen-Gespräch am Abend bei den schlechten Speisen .
Die haben mir erst Magen und Geist verdorben . "
" Ei , du Allerweltskrittler ! " rief Elsheim überlaut und erhob sich vor Erstaunen etwas vom Sitze , um seinem Freunde in die Augen sehen zu können , " - das ist mir denn doch neu , daß diese erquicklichen gedachten und phantasierten Gespräche dir auch zuwider sein können !
Mir haben sie so sehr gefallen , daß ich die beiden landstreichenden Musiker dringend auf mein Schloß eingeladen habe , und ich hoffe , daß sie recht bald dort als mir sehr liebe Gäste erscheinen werden . "
" In dein Wesen " , sagte Leonhard etwas empfindlich , " mag diese übertriebene Genialität nicht so zerstörend hineinreißen , wie in meine Brust .
Erinnerst du dich denn nicht , daß mir dergleichen von früher Jugend zuwider war , und ich es immer zu bekämpfen suchte ? "
" O ja " , sagte Elsheim , " und oft mit einer anderen Genialität sogar , die manchen Nüchternen wohl auch erschrecken durfte .
Weiß ich doch , daß der eine unserer Lehrer dich oft mit seltsamer Scheu , als wärest du ein Gottloser , betrachtete . "
" Lassen wir das " , unterbrach ihn Leonhard ; " es ist gar zu betrübt , daß sich so oft selbst die allernächsten Freunde in den wichtigsten Angelegenheiten nicht verstehen . "
" Besonders " , sagte der Edelmann , " wenn der eine oder der andere von einer Stimmung regiert wird und dieser zu viel nachgibt .
Stimmungen können niemals über Gedanken und Ansichten ein richtiges Urteil fällen . "
" Diese Stimmungen aber " , widersprach der Freund eifernd , " wenn sie nicht Grillen und eigensinnige Launen sind , entspringen ja nur aus dem wahren Charakter und der Tiefe des Gemüts ; sie sind es ja , die der Mensch nicht vernichten kann und soll , denn sie sind der Boden , in welchem Überzeugung , Tat und Leben aufwachsen . "
" Nun meinetwegen " , sagte der Baron , " so sprich denn aus , was dich quält oder stört ; denn freilich , zu viel sollen wir auch nicht an uns selber mäkeln , oder uns das peinvoll abgewöhnen , was mit unserem innersten Selbst verwachsen ist , und wodurch wir erst Individuen werden . "
" Liebster Friedrich " , sagte der junge Meister jetzt ganz weich , " alles , was uns reizt , belehrt , fördert und begeistert , ist immer nur unter Bedingungen und bis zu einer gewissen Grenze hin wahr ; überschreite ich beide , so wird das Beste nur Torheit und die höchste Weisheit Wahnsinn .
Deshalb ist die Konsequenzmacherei zu fürchten , der logische Zwang , der uns so oft veranlaßt alle Lücken zu überspringen , oder nicht zu erkennen , die zwischen den Wahrheiten liegen , oder die geistige , unsichtbare Scheidelinie zu überschreiten , auf welcher unser Geist in den eigentlichen tiefsinnigen Untersuchungen wandeln muß , wenn er nicht immer wieder aus dem Wahren und Unsichtbaren in die rohe Materie , oder die abergläubige Schwärmerei stürzen soll . "
" Ich glaube dich zu verstehen " , sagte Elsheim .
" So versteht sich aber jener Musiker nicht " , fuhr der Freund fort , " der uns gestern seine bacchantische Begeisterung vortrug .
Er schwärmte ganz von jenem Grunde der Wahrheit ab , auf welchem seine Wahrnehmung zuerst wandelte , und geriet in das Reich der Träume und der Willkür .
Geht nicht Ordnung , Ruhe Selbstbeobachtung und nüchterner Zweifel mit jenen taumelnden Rossen , so gibt es auch keine Kraft , diese zu lenken und auf dem richtigen Wege zu erhalten .
Gewiß hat auch unser Liebling Mozart diese Kräfte nicht verleugnet .
Denn das ist eben der Hauptirrtum , daß diese Bacchanten nicht sehen , oder nicht sehen wollen , daß in der Mäßigkeit , Ruhe , in dem stillen Haushalt unserer einsamen Seele , in den Schranken der Ordnung und Notwendigkeit , kurz in der scheinbaren Prosa , die man so oft voreilig der Poesie entgegenstellt , ebenfalls im gesänftigten Raum jene Himmelsblumen emporwachsen , und Begeisterung und Tatkraft auch aus diesen stillen Winkeln hervorschreiten mögen .
Wie die alten Himmelsstürmer oder jene Erschaffenen bestellt gewesen sein mögen , die vor aller Geschichte auf unserer Erde hausten , wissen wir nicht ; seitdem aber der uns bekannte und verständliche Mensch Regent ist , müssen wir einsehen , daß in diesem die doppelte Natur des Riesen und des sanft Gehorchenden , des Herrschers und des gern und freudig Unterwürfigen erst die Natur in ihm ausbildet , durch welche er ein Recht hat , nach Blumen , Lorbeeren , Palmen und Sternen zu greifen .
Der Rausch ist auch oft nüchterner , als wir uns gestehen mögen .
Palestrina , der beseligte , sollte jemals haben rasen können ?
Und unser Sebastian Bach ; wie beschränkt , wie bürgerlich , wie so ganz Ordnung , biedere Alltäglichkeit im Leben , wie klein , ruhig und unbemerkt in der Gesellschaft und unter den Schwätzern , und wie groß eben dadurch in seiner Wissenschaft und Kunst ! "
Elsheim nahm die Hand seines Gefährten und drückte sie recht herzlich , dann aber überließ er sich einem so lauten und ausgelassenen Lachen , daß der bescheidene Fuhrmann sich einigemal umsah , um zu entdecken , was wohl dieses schallende Gelächter habe veranlassen können .
Leonhard war sehr über diesen unerwarteten Ausbruch von Lustigkeit befremdet und erwartete mit einiger Spannung die Erklärung dieser Explosion .
Endlich , nachdem er sich beruhigt hatte , sagte der Freund :
" Siehe , das ist nun auch meine Eigentümlichkeit und Stimmung , die du mir nicht zu sehr kritisieren darfst .
Deine Vorliebe für das Zunftwesen , dein Handwerksgeist geht in allen deinen Gedanken mit auf .
Und du magst doch recht haben .
Auch in der Kunst , in der geistigsten Beschäftigung , muß wohl neben Begeisterung und Anschauen nun auch das Handwerk mit seiner bürgerlichen Ordnung eintreten , um durch Regel und Beschränktheit dem Geist erst seine wahre Freiheit im Schaffen zu erringen .
Du hast recht : ohne Widersprüche , die sich aufzuheben scheinen , und ohne Vermittlung dieser Widersprüche ist nicht Mensch , Kunst , Wissenschaft , Geist .
Darum zeigt sich auch eine überraschend ähnliche Ohnmacht in den Gebilden des ganz phantastischen Schwärmers und des philisterhaft Nüchternen , der bloß mit Anstrengung Regel und Bewußtsein ein Kunstwerk hervorbringen will . "
Die Hitze war so drückend geworden , daß sie es vorzogen , in einem kleinen Dorfe , das abseits von der großen Straße lag , haltzumachen , als sich mit ermüdeten Pferden noch nach dem großen Gasthofe der kleinen Stadt hinzuquälen .
Der Stall war für die Pferde groß genug , und sie setzen sich unter der schattigen Linde in eine Art von Vorsaal , der durch den Baum vor dem Hause gebildet wurde .
Während die Mahlzeit zubereitet wurde , erquickten sie sich am Duft der Blätter und Blüten , und Elsheim sagte :
" Sieh einmal , mein Freund , wie gescheit unsere Vorfahren in einer Sache waren , die viele des jetzigen Geschlechtes nur lächerlich finden .
Dadurch , daß man diese schöne alte Linde oben so stark und regelmäßig beschneidet , entsteht hier unten dieser kühl dämmernde , dunkelnd grüne poetische Saal .
Dieser gibt eine so liebliche duftende Kühle , wie sie kein Zimmer mit Vorhängen und Kunstanstalten hervorbringen kann ; auch keine Gartenlaube ist so wohnlich und vertraulich .
Man sieht von hier in das Haus und auf die Straße und ist von beiden ganz ungestört .
Oben , damit die Stuben nicht verfinstert und selbst feucht werden durch die Nähe des Baums , sind alle Zweige weggeschnitten , soweit die Zimmer reichen .
Nun hat man in den höheren Zimmern mit dem ersten Frühlinge eine grüne duftende Decke unter sich , ohne von den Ästen gestört zu werden , und die Stuben sind hell und frei .
Der schöne Baum ist freilich verdorben ; dafür hat dieser Bauer aber auch einen grünen Sommersaal , wie kein Fürst mit allem seinem Prunke ihn aufweisen kann . "
Leonhard erwiderte :
" Auch in Städten habe ich oft diese Art , die Linden zu behandeln , wahrgenommen .
Dort ist diese Erfindung , womöglich , noch zauberischer , als hier auf dem Lande , weil dieser unten entstehende Saal und die gerade Linie der grünen Wand oben , auf welche man aus den Fenstern niedersieht , im erfreulichen Kontrast mit den Häusern , sowie dem gewöhnlichen bürgerlichen Verkehr auf der Straße stehen .
Unsere Vorfahren liebten es überhaupt , Bäume aller Art in ihren Städten zu pflegen , und sie zieren oft eine häßliche Gasse und geben ihr ein wahrhaft trostreiches Ansehen ; die Neueren fangen an diese Anstalt als etwas Abgeschmacktes zu verlästern .
Es hat etwas Wunderbares , wie der Baum sich erziehen und verziehen läßt , vor allen Buche und Linde .
Das Gedicht des Wandsbecker Boten gegen diesen Schneiderscherz , wie er es nennt , ist recht getreu und biederherzig , aber es wird mir die Schönheit dieses Sommersaales , oder gar den Zauberreiz eines echten großartigen französischen Gartens niemals aus der Seele singen können . "
Ein großer Mann von mittleren Jahren war schon einigemal durch die Haustür aus- und eingegangen .
Er trug ein großes Buch unter dem Arm , welches eine Bibel zu sein schien .
Er setzte sich an einen anderen Tisch und fing an zu lesen , verschloß aber den Band gleich wieder und ging durch die Haustür in den Garten .
Jetzt kam er wieder herein , sah sich scheu um und legte sein Buch auf den Tisch der Reisenden , indem er mit heiserer Stimme fragte :
" Meine Herren , lesen Sie auch wohl die Bibel ? "
" O ja " , sagte Leonhard .
" Und welches Buch " , fragte er weiter , " ist Ihnen in diesem großen heiligen Werke das allerliebste ? "
" Das läßt sich wohl nicht so schnell entscheiden " , erwiderte Elsheim ; " bald wird unsere Seele von diesem , bald von jenem mehr gereizt , und es hat mir immer wohlgefallen , wenn manche Geistliche es nur als ein einziges , innig zusammenhängendes Buch haben ansehen wollen . "
Der Bauer schüttelte so heftig mit dem Kopf , daß ihm die blonden Haare in das Gesicht fielen .
Er nahm den messingenen Kamm und strich sie wieder nach hinten hinüber , indem sich plötzlich in seinem finsteren Gesicht ein helles , aber ironisches Lächeln auftat .
" Da sind Sie noch nicht weit gekommen " , sagte er dann .
" Die verhüllte Wahrheit sucht sich vorsätzlich in manchen der Bücher zu verbergen ; die versteht man nur und findet das Korn der Weisheit heraus , wenn man das rechte Buch aufgefunden hat und Tag und Nacht in diesem studiert .
Für jeden Menschen , in welchem nämlich das Licht aufgeht , ist es aber ein apartes , denn unsere Sinnesarten sind sehr verschieden ; Gott steht allenthalben , einer darf ihn aber nur schräg , der andere von der Seite , und manche nur ganz von weitem ansehen .
Wechseln sie nun ihre Stellung und kommen sie in eine unrichtige , so können sie gar nichts von ihm verstehen .
Denn unser Herr ist ein wunderliches Wesen , er ist liebreich und sanft in seiner Allmacht und Hoheit , aber er macht sich nicht gemein .
Wir reden ihn alle mit du an , und das verlangt er sogar , aber mit Grobheit und so von ungefähr angesprochen , läßt er sich nicht antreffen , sondern immer verleugnen . "
Ein hoher Greis trat jetzt zu ihnen , eine von jenen mächtigen Gestalten , die sich , in welchem Stande sie auch sein mögen , eine unwillkürliche Achtung erzwingen .
" Sohn Daniel " , sagte er mit tönender Stimme , " du fällst ja den fremden Herren zur Last . "
" Gewiß nicht ! " rief Elsheim , aber der Sohn entfernte sich schnell mit jenem scheuen Blick im zugedrückten Auge , der den Reisenden gleich anfangs aufgefallen war .
" Verzeihen Sie " , sagte der alte Vater , ich kann es nicht immer verhindern " daß mein unglücklicher Sohn fremden Leuten beschwerlich fällt .
Er meint es gut , und es ist kein Arg in ihm , aber wer ihn nicht kennt , trägt wohl Scheu , oder fürchtet sich vor ihm . "
Da Elsheim neugierig geworden war , lud er den alten Bauer ein , sich zu ihnen zu setzen , und dieser willfahrte ohne Verlegenheit , als ein Mann , dem Menschen und Welt nicht unbekannt waren .
Er erzählte von sich , seinen Schicksalen und seiner Familie .
Er hatte , sonderbar verschlagen , einen Feldzug in fernen Weltteilen mitgemacht , hatte bei seiner Rückkehr unvermutet einige wohlhabende Verwandte beerbt und war nun durch Tätigkeit , und daß er seine Grundstücke zu verbessern verstand , zu einem gewissen Reichtum gelangt .
" Ich bin " , fuhr er fort , da er sah , daß sich seine Zuhörer für seine Rede interessierten , " wohl ein glücklicher Mann zu nennen , wenn ich so um mich her die meisten meiner Nebenmenschen betrachte .
Wir leben hier in einer angenehmen Gegend , ich erzeuge selbst meinen Wein und was ich sonst noch brauche , mein Garten liefert mir den Bedarf für meinen Haushalt , und ich baue , so alt ich geworden bin , noch selbst mit Freuden meinen Acker und halte meine große Wirtschaft in Ordnung .
Drüben wohnt mein ältester Sohn , der schon seit lange Schulze dort ist , und durch den ich schon seit lange Großvater und nun seit kurzem auch Urgroßvater bin .
Mein Martin und Friedrich werden nächstens heiraten , meine Tochter ist auch versorgt in einem anderen Dorfe , und so kann ich mich als den Stammvater eines zahlreichen , gesunden und lebensfrohen Geschlechtes ansehen . "
" Und dieser Sohn , der eben von uns ging ? " fragte Elsheim .
" Ja , meine Herren " , fing der Alte wieder an , " in diesem Sohne könnte ich mich auch unglücklich nennen , denn in jeder großen Haushaltung muß etwas sein , das mit dem übrigen nicht aufgeht .
Der Mensch muß eben auch immer etwas zu klagen haben .
Als Kind war mein Daniel so klug , wie es niemals einer meiner anderen Söhne gewesen ist .
Er lernte fast von selbst lesen , er sprach sehr früh und zwar ganz vernünftig .
Er war gern allein , und lautes Geschwätz , wie es denn doch oft Bauersleuten vorfällt war ihm zuwider .
Weil das Kind nun gern tätig war , so half er , so klein er war , allenthalben .
Es machte ihm große Freude , den Hirten zu begleiten , wenn dieser meine Schafe austrieb .
Wenn er am Abend nach Hause kam , hielt er manchmal recht nachdenkliche Reden über alles das , was er da draußen im Freien beobachtet hatte .
Bald erzählte er von den Wolken , von wunderlichen Tönen im Walde , auch wohl von der Geschicklichkeit und Klugheit des Schäferhundes , den er ganz wie einen verständigen Menschen schilderte .
Da das Kind so was Apartes hatte , so ließen die Mutter und ich ihn gern gewähren , und seine Geschwister hörten nicht viel auf ihn hin , weil sie ihn nicht verstanden .
Als die Zeit seiner Einsegnung herankam , ließ er sich oft mit unserem Priester und Schulmeister in Disputationen ein , weil er die Bibelstellen anders wollte erklärt haben . -
So was können die geistlichen Herren immer nicht leiden , ob es uns gleich , den Lutherischen , wie wir es hier noch alle sind , aufgegeben ist , in der Schrift zu forschen .
Das Forschen aber , und soweit haben die Priesterleute recht , ist ein mißliches Ding , und ich habe darum von je an alles unserem lieben Gott anheimgestellt und bin ruhig dabei geblieben .
Es traf sich , daß unser Schafhirt plötzlich erkrankte , und Daniel bot sich nun eifrig an , seinen Dienst zu versehen , bis sich ein anderer tüchtiger Knecht wieder gefunden habe .
Und nun konnte er im einsamen Felde so recht ungestört seinen Grübeleien nachhangen und brauchte keinen Menschen Rede und Antwort zu geben .
So ging der Sommer hin .
Im Herbst kam er eines Abends ganz zerstört und verwirrt nach Hause , er trieb die Schafe nicht ein , er lief in den Garten und sprach laut mit sich selbst , in der Nacht legte er sich nicht zu Bette , sondern rannte wieder nach dem Walde hinaus , und als der Morgen da war , kümmerte er sich gar nicht um seine kleine Herde und war gar nicht einmal da , als wir alle zum Frühstück zusammenkamen .
Als das Haus leer war , und ich schon ausgehen wollte , um ihn zu suchen , kam er ohne Hut und mit fliegenden Haaren von seiner Wanderung zurück .
Sowie ich ihn nur ins Auge faßte , sah ich auch schon , daß er ein verwirrter Mensch war .
Er stotterte und war ganz außer sich , und als er endlich die Rede wiedergewann , erzählte er mir , daß er im Felde bei den Schafen Bekanntschaft mit Engeln gemacht hätte , die so gütig gewesen wären , sich zu ihm herabzulassen .
Diese hätten ihm die Schrift und die schwersten Stellen in derselben ganz zur Genüge erklärt , und er wisse nun mehr , als alle Schriftgelehrten im Lande .
Von nun an war der liebe Junge ein verlorener Mensch , und der Doktor , den wir aus der Stadt hatten kommen lassen , sagte auch , ihm sei nicht zu helfen , denn er habe auf zeitlebens den Verstand verloren und würde ihn auch bis zum Tode nicht wiederfinden .
Nun lag er Tag und Nacht über dem Bibelbuche , er schlief wenig , und in den Nächten las er laut und predigte mit heftiger Stimme , so daß er oft am folgenden Tage ganz heiser war .
Weil er Daniel heißt so studierte er auf seine Art den Propheten Daniel am meisten und bezog dabei alles auf sich .
Er sagte oft , dieser Prophet sei der größte , und Ezechiel , vorzüglich aber die Offenbarung Johannis seien nur mißverstandene Übertreibungen , das wahre Wort und Geheimnis sei im Daniel ausgesprochen .
Dieser sei auch wichtiger , als das ganze Neue Testament , und wer diesen Propheten recht innehabe , könne die späteren Bücher und die Lehre Christi entbehren .
Bei diesen Meinungen wollte er auch nicht mehr unsere Kirche drüben im großen Dorfe besuchen , und wenn er ja einmal mit uns ging , so saß er während der Predigt murrend da und schüttelte zu allem , was der Priester sagte , den Kopf , so daß er oft großen Anstoß gab .
Da er hie und da welche aus der Gemeine hatte bekehren wollen und sich gegen diese nicht undeutlich merken lassen , er sei selber der Heiland und der wahre Erlöser in unserer neuesten Zeit , so verklagte der Pfarrer den Unglücklichen beim Konsistorium in der Stadt .
Die Sache machte viel Aufsehen , und etliche eifernde Geistliche wollten ihn mit Gewalt zum Widerruf , Pranger und Zuchthaus verdammt wissen .
Der menschenfreundliche Arzt nahm sich aber der Sache an .
Der Mann ging selbst zum Minister , und die Billigeren von der Geistlichkeit sahen nun auch wohl ein , wo es meinem armen Daniel fehle .
So sprachen sie ihn denn los als einen Blödsinnigen , der über seine Reden nicht zur Verantwortung gezogen werden könne , und gaben ihm nur auf , sich alles Predigens und Bekehrens zu enthalten .
Das nahm mein Daniel anfangs sehr übel und noch mehr , als er erfuhr , daß sie ihn seit seinem Prozeß hier und in der Umgegend nur den Dummen nannten .
Doch forschte er so lange im Daniel und in den Briefen der Apostel , bis er sich überzeugte , ein solcher Ausgang wäre ihm schon vor allen Zeiten prophezeit worden .
So treibt er nun sein unschuldiges Wesen , und ich kann ruhig wegen meines Todes sein , denn die Brüder lieben , ja ehren ihn so sehr , daß sie gern einmal seinen Unterhalt und seine Verpflegung übernehmen werden . "
Elsheim und Leonhard hörten dem Alten mit Vergnügen zu , und der Baron sagte : " Es ist nicht ohne Grund , daß uns eine Art von sonderbarer Achtung in der Nähe solcher Wesen beschleicht ; wir fühlen die gestörte Harmonie und vermuten dabei , daß irgendeine Geisteskraft , wenigstens für Augenblicke , um so höher gesteigert werde . "
" Das kann wohl sein " , sagte der Alte , " denn wirklich spricht der Kranke so in seinen Abwesenheiten manchmal recht nachdenkliche Sachen .
Wenn er am Abend an seinem Tisch sitzt und liest , und wir sprechen dies und das vom Ackerbau , von Einrichtung und Verbesserung der und jener Sache , oder von Familienangelegenheiten ; wir alle glauben , er hört gar nicht hin , und mit einemmal wirft er dann ein paar Worte nur so hinein , und alle Schwierigkeiten sind gelöst , über die wir uns den Kopf zerbrechen . "
" Hat er nie Lust bekommen , sich zu verheiraten ? " fragte Elsheim .
" Niemals " , erwiderte der alte Bauer , " er hält im Gegenteil alle Weiber und Mädchen für viel geringere Wesen , als die Männer und läßt sich auch nur ungern in Gespräche mit ihnen ein .
So ist er denn nun für unsere Feldarbeit und den Haushalt ein verlorener Mensch , das Wohl und Weh der Familie kümmert ihn nicht , er scheint auch alles vergessen zu haben , was er in der Jugend gelernt hat .
Nur eine sehr merkwürdige Gabe hat sich seitdem an ihm gezeigt .
Wir hatten vor vielen Jahren nur wenige Bienen ; jetzt bauen wir außerordentlich viel Honig und verkaufen ihn und das Wachs vorteilhaft .
Diesen ungewissen Teil der Landwirtschaft verwaltet er nun ganz allein :
er hat sich der Sache bemächtigt und sie in Flor gebracht , ohne gegen uns nur ein einziges Wort darüber zu verlieren .
Und wunderbar ist er für diese Verrichtung begabt .
Noch niemals hat ihn eine Biene gestochen , und doch zieht er weder Handschuhe an , noch trägt er die Kappe vor dem Gesicht .
Die kleinen klugen Tierchen haben Vertrauen und Liebe zu ihm , und er kann alles mit ihnen anfangen , was er nur will .
Er kann in den Körben hantieren nach Herzenslust , sie lassen ihn gewähren ; beim Ausnehmen des Honigs , bei allem , was er tut , stören sie ihn nie .
Fast wunderbar ist es , wie sie ihm folgen , wenn sie schwärmen .
Er kann sogleich jeden Schwarm , der sich verflogen hat , wiederfinden , und sie kehren mit ihm wie gehorsame Kinder zurück , wohin er sie haben will .
Das wissen auch alle unsere Nachbaren und die Bienenwirte auf den anderen Dörfern .
Sie kommen sehr oft und sprechen seine Hilfe an , und er schafft ihnen immer die Wegläufer wieder .
In diesem Tun ist er auch unermüdlich und großmütig dabei , denn er nimmt von den Fremden nie was für seine Arbeit , wenn er auch Tage und Nächte darauf verwendet , die verschwärmten Bienen zu finden und einzufangen , unseren Honig verkaufen wir , und er fordert nie etwas davon , wenn wir es ihm nicht freiwillig geben . "
Als der Greis sich wieder entfernt hatte , und den Freunden ein einfaches , kräftiges Mal aufgetragen war , sagte Elsheim nach einer Weile :
" Ist dieser Bauer nun in seiner Umgebung und Bestimmung nicht so glücklich , als der Mensch es nur sein kann ?
Es gibt viel Unglück auf Erden - wer zweifelt daran ? -
aber die Hälfte davon zimmern sich doch die Menschen selbst mit großer Mühe zusammen . "
" Gewiß " , sagte Leonhard , " durch ihre stachelnden Leidenschaften ; aber doch sind uns diese wieder vom Schicksal verliehen , wir können und dürfen ohne sie nicht sein : und so dreht man sich doch wieder im Zirkel , denn von diesen Unglückstiftern rührt doch auch das Große und Edle her . "
" Maßhalten ! " rief Elsheim , " freilich , das ist die oberflächliche Weisheit und Tugend , die so schwer zu finden ist . "
Als die größte Mittagshitze vorüber war , kam der alte Bauer wieder und sagte :
" Wollen die Herren vielleicht den Kaffee , oder noch ein Glas Wein jetzt auf der anderen Seite des Hauses nach dem Garten zu trinken ? "
Die Sonne war in der Tat näher gerückt und hatte die zauberhafte Dämmerung etwas gelichtet .
Sie gingen durch das große Haus , und der Wirt sagte , als sie im Garten standen :
" Die Einrichtung mit meiner Linde hat Ihnen dort wohl gefallen , daß ich Ihnen noch diesen zweiten alten Lindenbaum zeigen will .
Hier auf dieser Seite ist es nachmittags am kühlsten und anmutigsten .
Ich habe den Baum so künstlich verschnitten , daß er oben eine große dichte Blätterlaube macht .
Nun gehen wir hier eine ziemlich hohe Treppe hinauf und sitzen oben im Schatten und sehen über den Garten weg in die weite Landschaft hinaus . "
Oben war eine große Tenne , von glatten Brettern gefugt ; der Baum schützte gegen Regen , Luft und Wind , und der Blick nach den fernen Gebirgen , Wäldern und dem nahen Flusse war reizend .
Der Alte freute sich , daß die Gäste überrascht und von der bequemen Anstalt , sowie von der Landschaft , entzückt waren .
" Ja , ja " , sagte der Alte lächelnd , " wir gemeinen Leute haben denn auch unsere Einfälle und sozusagen besonderen Prachtanstalten .
Sie glauben nicht , meine Herren , wie gern ich von hier aus die Sonne untergehen sehe ; sooft ich mich abmüßigen kann , sitze ich alsdann hier gegen Abend in meinem hölzernen alten Lehnstuhl .
Nun ist es rührend , wenn nach und nach die Abendröte verschwindet , und ein Sterngebilde nach dem anderen aus dem dunklen Himmel heraustritt .
Da fällt mir vielerlei ein , Rührendes und Erfreuliches .
Absonderlich ist es , wenn es nun immer stiller wird , und sie drin im Hause die Lichter anzünden .
Zwischen den grünen Weinranken nehmen diese sich nun von hier und die helle Stube hinter dem Laub und die Schatten von meinen Kindern , die auf und abgehen , recht wunderbar aus .
Ich habe manchmal gewünscht , ich könnte das mir alles so abmalen . "
Es gibt eine stille Passivität , die , ohne zu beobachten und ohne sich des Eindrucks bewußt zu werden , in manchen Stunden die Natur wohl am würdigsten genießt .
Der Weihe dieses Quietismus ergaben sich die Freunde , als der redselige Alte sie wieder verlassen hatte .
Endlich besann sich Elsheim zuerst wieder und sagte : " Was hindert mich denn , diese bäuerliche Erfindung auf meinem Gute nachzuahmen ?
Mögen die Enthusiasten der englischen Gartenkunst die Nase rümpfen , soviel sie immer wollen , ich werde es ganz gewiß tun .
Hier sitzen wir wie Vögel in einem größeren Nest ; und ein Liebster mit seiner Braut , Mann und Frau , eine einträchtige Familie , für diese und poetisch gestimmte Menschen ist das ja ein himmlischer Platz .
Und für zwei junge Freunde , wie wir hier vorstellen , ja wahrhaftig auch .
Mir ist hier zumute , als wenn wir die Figuren aus einem dichterischen Märchen wären .
Ich erinnere mich dunkel , einmal gelesen zu haben , daß eine trauernde Schöne den Leichnam ihres jungen Geliebten auf einer Linde hegt und betrauert :
da muß sich der Dichter doch wohl einen solchen Luftsaal gedacht haben . "
" Welch Entzücken " , sagte Leonhard , " würde wohl mancher ausrufen , um eine solche Alltäglichkeit !
Denn diese Anstalten , mein poetischer Freund , sind wirklich bei Bauern und Bürgern nicht so selten , als du zu glauben scheinst .
Ihr vornehmen gebildeten Leute beachtet nur so was selten , und in den Reisebeschreibungen steht es nicht verzeichnet . "
In der besten Laune fuhren sie bei eintretender Kühlung jetzt weiter .
Der alte Bauer nahm einen so herzlichen Abschied von ihnen , als wenn er sie schon seit Jahren gekannt hätte , und die jungen Leute konnten sich auch bei dem Gedanken , diese Stelle vielleicht nie wiederzusehen , einer gewissen Rührung nicht erwehren .
" Nun " , fing Leonhard an , " müssen wir doch wohl nach meiner Rechnung bald auf deinem Gute anlangen . "
" Noch heute abend " , sagte der Freiherr , " laufen wir in den Hafen ein , wenn wir nicht noch vorher Schiffbruch leiden . "
" Der Himmel verhüte böse Vorbedeutungen " , sagte Leonhard lachend ; " aber freilich , wer kann wissen , was uns bevorsteht , und besonders mir , da ich in ein fremdes Haus und unter lauter Unbekannte trete ?
Ich bin so gar nicht daran gewöhnt , mit fremden Menschen zu verkehren , daß es mir sehr schwer ankommen wird , meine Verlegenheit zu überwinden . "
" Sobald du dir vertraust " - antwortete Elsheim - , " sobald weißt du zu leben ; damit spricht eigentlich dieser gewandte Geist das ganze Geheimnis aus . -
Die Menschen fürchtet nur , wer sie nicht kennt , und wer sie meidet , wird sie bald verkennen . -
Dies lehrt uns auch unser Dichter bei einer anderen Gelegenheit , und es wäre unbegreiflich , wie die Menschen diese so naheliegenden Überzeugungen so oft nicht finden , wenn wir nicht wüßten , daß das Allernächste gerade das ist , was so oft nicht erkannt wird . "
" Wen finde ich nun dort ? " forschte Leonhard weiter .
" Zuerst meine Mutter , " antwortete Elsheim , " eine stille , behagliche Frau , die dich in nichts genieren und hindern wird .
Dann aber einen lieben Jugendfreund , der nur etwas älter ist , als ich , den Baron Mannlich .
Sein kleines Gut liegt nur eine Stunde von dem meinigen , und er war kurz zuvor , ehe ich die Universität besuchte , mein täglicher Gesellschafter , ja in einem gewissen Sinne mein Lehrer .
Mir ist es immer sehr merkwürdig gewesen , von Bekannten , sowie von berühmten Männern verschiedener Nationen diejenigen ihrer Freunde kennenzulernen , mit denen sie sich in der Jugend verbrüderten .
Jeder Jugendfreund , auch wenn er jenen Bekannten völlig unähnlich erscheint , ist doch wie ein Glied von ihnen anzusehen , und keiner ist noch gewesen , der sich von dem Einfluß dieser Umgebungen hätte lossagen können .
Die Erinnerung an das Wesen dieser Freunde , an ihre Gesinnungen und Meinungen wirkt noch spät fort , und sie bleiben ein Maßstab , um vieles Ungekannte , Seltsame , oder Lehrreiche zu erproben .
Darum ist auch wohl schlechte Gesellschaft in der Jugend so gefährlich , weil es auch dem starken Charakter kaum möglich ist , alle Eindrücke , die sich in solcher Umgebung bilden , wieder auszutilgen . "
" Auf mich " , unterbrach ihn Leonhard , " kann diese Beschreibung nicht passen .
Denn , nachdem ich die Schule und die Lehrjahre überstanden hatte , trieb mich mein Beruf und die Neigung in die Fremde und auf Reisen .
So knüpfte ich allenthalben nur wandelbare Bekanntschaften und Freundschaften an , und nur wenige junge Gesellen meines Standes sind mir so lieb geworden , daß ich mich noch jetzt ihrer gern erinnern sollte . "
" Ist es mir denn nicht auf ähnliche Art ergangen ? " sagte Elsheim ; " auf der Universität fand ich nur selten einen Jüngling zu welchem ich Zutrauen fassen konnte , und als ich bald darauf meine Reisen antrat , erging sich mein flüchtiges Leben wie aus einem Schauspielsaal in den anderen .
Ich bin nachher nie wieder mit jemand so vertraut geworden , wie ich es mit dir auf der Schule war .
Darum suchte ich dich auch gleich wieder auf , als ich von meinen Reisen zurückkam , um mich wahrhaft an deiner Jugend zu erwärmen , da mein Herz in den vielen vornehmen Zirkeln wie erfroren war .
Deshalb müssen wir auch immer in wahrer Freundschaft vereinigt bleiben . "
" Mir kann oft bange werden " , erwiderte Leonhard , " wenn ich in meiner kurzen Erfahrung so oft gesehen habe , wie engverbundene Menschen sich trennen , selbst hassen , zuweilen um Kleinigkeiten , oder weil sie Klatschereien zu leichtgläubig ihr Ohr liehen . "
" Da kommen wir auf den Punkt " , fiel der Baron lebhaft ein , " daß es nur so wenige selbständige Menschen gibt .
Zu diesen schwachen wollen wir aber nicht gehören .
- Dieser Baron Mannlich , von dem ich dir sagte , ist eine schöne , schlanke Gestalt ; sein Blick ist frei , sein Betragen edel ; er hat in einem gewissen Zeitraum den allergrößten Einfluß auf mein Wesen und meine Bildung gehabt .
Wenn ich oft verwirrt mich umtrieb , so zeigte er sich immer klar und fest .
In meinen Ansichten über Literatur und Kunst hat er mir vorzüglich fortgeholfen und mich in meiner Liebe zur Poesie gekräftigt .
Denn oft ist ein Fingerzeig eines stärkeren Geistes hinreichend , um uns auf lange Zeit in der richtigen Bahn fortzuhelfen . "
" Wohl dem " , sagte Leonhard etwas kleinlaut , " dem das Schicksal solche Freunde zuführt ; es kann nichts Kläglicheres geben , als in seiner Umgebung immer der Klügste zu sein , und leider war das unter meinen Zunftgenossen nur zu oft mit mir der Fall .
Man lernt auch wohl einmal vom Geringsten , aber das Schulgeld ist dann zu teuer .
Der Verlust an Zeit und Stimmung in schlechter und mittelmäßiger Gesellschaft ist ein Kapital , welches die meisten Menschen viel zu gering anschlagen . "
" Auf meinen Mannlich " , fing Elsheim wieder an , " habe ich bei unserem Komödienspiel am allermeisten gerechnet .
Er besitzt ein herrliches Talent zur Darstellung , und seine Stimme ist die schönste , die ich jemals gehört habe ; darum ist er auch der beste Vorleser , den man finden kann , und die kleine Eitelkeit ist ihm zu verzeihen , daß er nicht leicht , wenn er zugegen ist , jemand anders in der Gesellschaft etwas laut vortragen , oder deklamieren läßt .
Von den übrigen Menschen , die du wirst kennenlernen , will ich dir jetzt noch keine Beschreibung machen , du wirst sie selber zu würdigen wissen .
Zwei schöne Mädchen finden wir , die Fräulein Charlotte Fleming und Albertine Fernow : die letzte wirklich , wie ihr Name , etwas albern .
Sie sind uns weitläufig verwandt und wohnen im Sommer mit einer alten Tante oft bei meiner Mutter .
Diese Albertine , so wünscht meine Familie , habe ich schon im vorigen Jahre heiraten sollen , und man ist mir böse , daß ich so bestimmt ausgewichen bin .
O über die Ehen und über die Sucht so vieler guten Menschen , sie zu stiften !
Wer einem anderen zu einer mißlichen Spekulation riete , und jener scheiterte daran und würde bankrott , der würde es bereuen und sich Vorwürfe machen ; darum hüten sich die Klügeren , hierin zu überreden ; aber zu dem noch größeren Wagestück , die Menschen in die Ehe hineinzuschwatzen , sind so viele , besonders ältere Frauen , unermüdlich . "
Als es Abend geworden war , rief Elsheim plötzlich :
" Nun , siehst du , Kind , da liegt das Nest vor uns , in dem ich geboren bin und die ersten Kinderspiele trieb ! "
Leonhard sah ein großes Gebäude vor sich , das mit großen Linden umgeben war , aus welchen die einzelnen Teile hervorschienen .
Waldbekränzte Hügel zeigten sich in der Nähe ; die Häuser der Bauern waren geräumig , und Reinlichkeit schien Wohlstand zu verkünden .
Man hielt an ; Bediente öffneten den Wagen , und ein kleiner alter Mann mit entblößtem weißgepudertem Kopf folgte ihnen ; er war in grauem Rock , schwarzseidenen Unterkleidern und weißen seidenen Strümpfen ; die zierlichen Manschetten hoben die Feinheit der kleinen Händchen noch auffallender hervor .
Er verbeugte sich tief , als der Baron ausgestiegen war , und Leonhard , der nach dem Freunde den Wagen schnell verließ , erwiderte die Begrüßung mit einer ebenso tiefen Verneigung .
" Ja " , sagte Elsheim , " das ist mein guter Joseph , ein altes , liebes Inventarienstück unseres Hauses , der Kammerdiener meiner Mutter . "
- Leonhard folgte mit einiger Beschämung , weil er den netten geputzten Alten für einen Baron oder Grafen gehalten hatte .
Dritter Abschnitt Dritter Abschnitt Leonhard saß am anderen Morgen angekleidet am Fenster und schaute über den Garten hinaus in das grüne Feld und zu den benachbarten Hügeln hinauf .
Er war früh erwacht und fühlte sich wohl und erheitert , den erquickenden Duft des Morgens einzuatmen .
Es freute ihn , einmal so ganz auf dem Lande einige Wochen zubringen zu können , und indem er nach dem nahen Franken hinüberblickte , erwachten alle seine jugendlichen Erinnerungen mit frischer Kraft , und alle Jahre , welche dazwischen lagen , entschwanden seinem Gedächtnis .
Er ging dann in dem geräumigen hohen Zimmer gedankenvoll auf und ab , als der alte Joseph , zwar im Oberrock , aber doch nett frisiert und mit der frischesten Wäsche hereintrat , um ihn zu fragen , ob er das Frühstück auf sein Zimmer befehle , aber ob er es in Gesellschaft der gnädigen Frau und des jungen Barons einzunehmen gedenke .
Leonhard entschied sich für das letzte , und Joseph empfahl sich mit einer tiefen Verbeugung , indem er sagte , daß man den Herrn Professor also unten in einer Viertelstunde erwarten werde .
Leonhard war wieder , so wie gestern abend beim ersten Eintritt in das Haus , rot geworden .
Sein junger Freund störte die beschämenden Betrachtungen , denen er sich eben hingeben wollte , indem er ihn umarmte und sich teilnehmend und herzlich nach seiner Nachtruhe und seinem Befinden erkundigte .
" Meine teure Mutter " , sagte er dann , " darf dich auf keine Weise genieren ; sie ist die beste Frau von der Welt , gönnt jedem alles Gute und liebt ihren Nächsten ohne Ausnahme von ganzem Herzen .
In ihrer Achtung , Hochachtung , Verehrung und Ehrfurcht macht sie jedoch natürlich verschiedene Abteilungen aber nur , wenn es die Not und Etikette erfordert .
Ich kann dich versichern , Geliebter , daß du gestern beim Abendessen schon ihr ganzes Herz gewonnen hast .
Und es ist wahr , ich habe mich selbst darüber gewundert , wie du mit deiner stillen Bescheidenheit diese ungesuchte Aufmerksamkeit , mit deiner natürlichen Weise diesen feinen Ton verbinden konntest .
Wir bilden uns so oft törichterweise ein , so etwas werde nur in unseren , oft so langweiligen Zirkeln errungen . "
" Ich hoffe " , erwiderte Leonhard , " daß mich bald diese ängstigende Verlegenheit verlassen wird , und ich mich in allen diesen Torheiten freier bewegen lerne . "
" Laß nur erst " , sagte Elsheim , " den Schwarm , die Gesellschaft , die Weiber kommen , so wirst du es so gewohnt , daß die Einsamkeit dir nachher vielleicht drückend wird . "
Sie gingen hinab und fanden die Mutter , welche sie freundlich , aber mit einer gewissen Feierlichkeit begrüßte .
Indem rief der Baron : " Ei , wer kommt da herangesprengt ?
Was ist das für ein dicker Mann ? "
" Kennst du denn deinen intimen Freund nicht mehr ? " erwiderte die Mutter ; " er hat sich zwar in den fünf Jahren , daß du ihn nicht sahst , etwas verändert , aber er ist doch nicht unkenntlich geworden . "
" Ist es möglich ? " rief der erstaunte Sohn aus , " ja , ja , er ist es !
Aber wie ist der Mann stark geworden !
Er ist ganz verwandelt und nur mit Mühe wiederzuerkennen . "
Der Baron war schnell vom Pferde gestiegen , und sowie der große wohlbeleibte Mannlich in die Türe trat , flog Elsheim in seine Umarmung und rief : " Oh , mein Adolph ! sehen wir uns endlich nach so manchem Jahre wieder ? "
Der Baron Mannlich , als der ältere , erwiderte die Begrüßung mit Herzlichkeit , aber gelassener , und beide Freunde betrachteten sich stumm ; dann fragten und sprachen sie allerlei Unbedeutendes durcheinander , wie es bei dergleichen Szenen des Wiedersehens wohl zu geschehen pflegt .
Es wollte in ziemlich langer Zeit kein eigentliches Gespräch in den Gang kommen .
Mannlich redete dann die Mutter an , und begrüßte auch den Fremden mit Teilnahe , welcher auch ihm als Architekt und Professor Leonhard vorgestellt wurde .
Leonhard begab sich so bald als möglich nach dem großen Rittersaal , um ihn genau auszumessen und seinen Plan zu entwerfen , wie er am besten zu einem Theater eingerichtet werden möchte .
Seine ehemalige Leidenschaft für das Theater kam ihm Jetzt sehr zustatten , da er so manche Bühne gemustert , ausgemessen und sich alle Erfordernisse derselben genau eingeprägt hatte .
Als er aus dem Fenster sehend die beiden Freunde im Garten erblickte , ging er hinab zu ihnen , und sie wandelten in den belaubten Gängen unter heiteren Gesprächen lange auf und ab .
Der Mittag war gekommen , und man setzte sich in behaglicher Stimmung an die Tafel .
Man war noch beim Nachtisch , als Besuch in mehreren Wagen ankam .
Ein Mann von mittleren Jahren half einer alten und zwei jungen Damen aus einem offenen Wagen , und begab sich , nachdem er mit Anstand seinen Dienst verrichtet hatte , zu dem zweiten Wagen , um auch dort zu helfen .
Vom zweiten Fuhrwerk hüpfte ein ganz junges , übermütiges Mädchen lachend herab , indem sie die Hand des Helfenden zurückstieß ; ihr folgte ein Kammermädchen , und nach diesem ein ältlicher schlanker Herr , der sehr vorsichtig prüfend auf den Tritt und von dort zur Erde sich begab , indem er die angebotene Hilfe des Hülfreichen so sehr in Anspruch nahm , daß er sich von diesem fast mehr heben und tragen ließ , als daß er mit eigener Anstrengung auf den Boden gelangt wäre .
" Da hätten wir ja fast unsere ganze Komödie beisammen ! " rief Baron Mannlich , der ihnen entgegengeeilt war .
Nachdem die Begrüßungen im Saale mit förmlicher Freundlichkeit , oder kürzeren Redensarten , nach der Eigenheit der Charaktere , vorüber waren , und alle Platz genommen hatten , begann der wohlbeleibte Mannlich mit einiger Feierlichkeit :
" Vereinigt sind nun die Hauptstützen oder die Träger unseres beabsichtigten Schauspiels , des Lieblingsstückes meines Freundes Elsheim , mit welchem er sich schon seit vielen Jahren beschäftigt hat .
Er hat es für uns eingerichtet , und ich werde noch einige Verbesserungen für die bequemere Aufführung vorschlagen ; aber zugleich erbitte ich mir die Erlaubnis , es den Teilnehmern nachher in seiner originalen Gestaltung vortragen zu dürfen .
Denn es ist natürlich , daß in unserer Umgestaltung und Abkürzung manche Motive , Andeutungen , Charakterzüge und dergleichen mangeln , die der Darsteller sich einprägen muß , um nicht vielleicht völlig in die Irre zu geraten .
Wir haben nicht gewagt , aus eigener Erfindung dem großen Dichter etwas zuzusetzen , und es ist daher um so nötiger , sich mit dem Original recht vertraut zu machen , um nicht vielleicht aus Unwissenheit der Absicht des Poeten geradezu entgegenzuarbeiten . "
Er sah mit seinen großen blauen Augen im Kreise umher ; der ältliche umständliche Herr nickte ihm sehr lebhaft Beifall zu , die Damen schlugen die Augen nieder , und jener Hilfreiche , der Mann von mittleren Jahren , ein Herr Emmerich , fragte mit kurzem und bestimmtem Ton : " Und wie besetzen Sie das Stück , da Sie doch der Direktor der Anstalt zu sein scheinen ? "
" Wir haben manche Rolle " , erwiderte Mannlich , " wie Olearius , Liebetraut , den Abt von Fulda , ausgestrichen . "
" O ewig schade ! " rief das kleine mutwillige Mädchen , " so fehlt ja gerade gleich das Beste im ganzen Stück . "
" Es läßt sich nicht alles , was wir etwa wünschen , vereinigen " , erwiderte Mannlich sehr gesetzt :
" Wunder genug , daß wir die Sache nur auf unsere Art zustande gebracht haben , es gehörte der ganze Enthusiasmus unseres Freundes dazu , die ungeheure Unternehmung möglich zu machen .
In jeder großen Bestrebung , die sich vom Alltäglichen losreißt , muß man gleich bei der Ausführung derselben auf einen gewissen Abfall rechnen , auf Späne , die , indem sie das Brett formen , dieses auch dünner und schwächer machen . "
" Sie meinen gewiß " , sagte der alte dürre Herr , " die Hobelspäne , und somit ist Ihre Beobachtung eine sehr richtige . "
" So ist es , mein Herr Graf von Bitterfeld " , antwortete Mannlich mit einer fast geringschätzenden Miene .
" Wenn uns alle Bildung feiner macht " , sagte in seiner trockenen Weise jener Hülftätige , " Professor Emmrich , so müssen wir freilich gehobelt werden , aber , was zu wünschen ist , von geschickter Hand , damit nicht unsere Stärke selbst mit in die Späne geht .
Die Ausbildung so vieler besteht darin , daß sie ganz aus der Menschheit hinausgebildet werden , wie dort das kleine , zu fein gedrechselte Wandschränkchen , an das man nur drücken dürfte , um es völlig zu vernichten . "
Leonhard sah mit prüfendem Auge nach dem Möbel , und da er ihm ziemlich nahe saß , konnte er es nicht unterlassen , aufzustehen , um es ganz in der Nähe zu untersuchen , indes Mannlich etwas hochfahrend antwortete : " Der Herr Professor Emmrich kann es doch nie unterlassen , witzig zu sein .
Brechen wir aber diese Tischler-Gleichnisse ab , in die wir geraten sind , ich weiß nicht wie . "
Bei dem Worte Tischler eilte Leonhard , indem er sein Erröten fühlte , zu seinem Sitze zurück .
Mannlich , der seine Schlußworte mit einem belobenden Lächeln begleitete , indem er sich zum Professor wendete , fuhr nun so fort : " Man hat mir die Ehre erzeigt anzunehmen , daß mein schwaches Talent für die Darstellung des Götz , des Hauptcharakters , nicht ganz ungeeignet sei .
Mein Jugendfreund , Baron Elsheim , wird nach unserem Übereinkommen die schwierige Rolle des Weisslingen übernehmen , ich bin überzeugt , sein schönes Talent , sein edles Sprachorgan , sein Gefühl werden diese Darstellung zu etwas Außerordentlichem erhöhen . "
" Rühme mich nicht vor der Zeit , mein Freund " , rief Elsheim aus , " du möchtest sonst die Rechnung machen ohne den Wirt . "
" Weil ich dich kenne , spreche ich so " , erwiderte Mannlich .
" Die höchst schwierige , aber auch reizende Rolle der Adelheid haben wir in unserem Rat für das liebenswürdige Fräulein Charlotte Fleming bestimmt . "
Charlotte erhob das edle blasse Antlitz und sah den Sprechenden mit ihrem feurigen dunklen Auge fragend an ; Leonhard hatte sie bis jetzt kaum bemerkt , aber in diesem Moment erschien sie ihm großartig und schön , und er verwunderte sich darüber , wie man diese Schweigsame nicht mehr beachte .
Er vernahm nicht genau , was sie bescheiden einwendete , noch wie sie der Schauspieldirektor beschwichtigte , weil er den Bewegungen ihrer Mienen , den Gebärden ihrer Hände folgte und den einfarbigen , aber angenehmen Ton ihrer Stimme als Klang an sich selbst so eindringlich fand , daß er den Inhalt der Rede überhörte .
Er wurde aus dieser Zerstreuung durch die lebhafte Rede Albertinens , des zweiten Fräuleins , geweckt , die mit Scherz und Ernst gegen ihre Rolle der Maria protestieren wollte ; der Ton ihrer Stimme war hell und silberrein , die Zunge schnell , ohne doch die Worte zu übereilen ; so bestimmt sie sich ausdrückte , so fühlte man in der Weichheit des Akzents doch , daß sie sich überreden lassen würde und nicht ungern ; es herrschte , mit einem Wort , jene Anmut in ihrem eifernden Protest , die den kleinen Verstellungen und unschädlichen Unwahrheiten der edleren Geselligkeit einen so großen Reiz verleihen .
" Und nun " - fing die kleine , mutwillige Dorothea an - " die größte Schauspielerin , mich , übersehen Sie so ganz , kunstreicher Baron ?
Ich hatte mir auf die Adelheid Rechnung gemacht und dachte das ausbündige Laster so recht glänzend darzustellen , daß alle Welt die Tugend nicht mehr achten sollte - aber Sie - "
" Gedulden Sie sich , Fräulein von Selten " , sagte Mannlich , " für diesmal können Sie nur mit einer Zigeunerin abgefertigt werden , wenn Sie nicht vielleicht die höchst schwierige Aufgabe des Franz übernehmen möchten . "
" Nein ! " rief die Kleine aus , " den verdrehten Enthusiasten , der von Anfang zu Ende außer sich ist , will ich auf keinen Fall den hat ja auch schon der Bruder Alibertinen , der Kadett ; folglich bleibt mir die Zigeunerin , wenn man mir nicht vielleicht ihr Gegenteil , die höchst ehrbare Elisabeth , anvertrauen will . "
" Aber wo bekommen wir diese edle , hochherzige Elisabeth her ? " fragte jetzt lebhaft Albertine .
Da erhob sich Mannlich und ging mit edlem Anstand zur alten Dame , die mit den beiden Fräulein gekommen war und sagte :
" Aus dieser Not , Fräulein , rettet uns Ihre liebenswürdige , vortreffliche Tante . "
" Wie ? ich ? " rief die Tante mit dem höchsten Erstaunen aus .
" Sie selbst , Verehrungswürdige , und keine andere " , antwortete Mannlich .
" Ich weiß auch , Sie werden sich dem nicht entziehen ; ich kenne Ihr Talent und ebenso Ihre Gutmütigkeit , die es nicht über sich gewinnen kann , anderen eine Freude zu verderben . "
" Lieber Baron " , sagte die alte Dame in einiger Verwirrung , " vor zehn oder zwölf Jahren hätte ich Ihren Vorschlag vielleicht nicht so ganz unannehmlich gefunden , denn Sie wissen wohl noch , daß ich mich damals verleiten ließ , mit einigen Befreundeten allerhand Stücke , die damals in der Mode waren , aufführen zu helfen ; aber seitdem bin ich aus der Übung , ich habe den Mut , oder Übermut , der dazu gehört , völlig verloren .
Und hätten Sie mir wenigstens von Ihrer sonderbaren Zumutung etwas geschrieben , damit ich mich hätte vorbereiten können . "
" So wären Sie uns gewiß gar nicht gekommen , Vortrefflichste " , erwiderte Mannlich , " und daher bediente ich mich dieser kleinen Kriegslist und dieses Überfalles , um Sie für uns zu gewinnen .
Ich habe in früheren Zeiten Ihr Talent kennengelernt , Sie werden Ihr Gedächtnis nicht ganz verloren haben , und wenn Sie erwägen , daß ohne Ihre gütige Beihilfe alle unsere Anstalten zusammenbrechen müssen , so werden Sie sich uns gewiß nicht entziehen . "
Da die beiden Nichten auch schmeichelnd und liebkosend ihre Bitten vortrugen , so ergab sich endlich die freundliche Tante darein , die Rolle der Elisabeth zu übernehmen .
" Und was " , fragte der Professor Emmrich , " haben Sie mir bestimmt ? "
" Sie sind Sickingen , Professor " , erwiderte Mannlich , " und wenn Sie Ihrem edlen Gesicht einen etwas freundlicheren Ausdruck geben , so wird der brave Rittersmann sich in Ihrer Darstellung uns sehr lebhaft vergegenwärtigen . "
" Ich will das mögliche tun " , antwortete der Professor , " aber nun fehlt noch Selbitz , Lese und eine große Anzahl von Nebenpersonen . "
" Es ist nicht zu vermeiden " , antwortete Mannlich , " daß mancher von unserer ungeübten Gesellschaft in diesem so reichen Lebensschauspiel wird zwei , vielleicht sogar drei Rollen übernehmen , wie es ja auch wohl früher mit diesem Stücke auf unseren großen , gut eingerichteten Theatern geschah .
Unser Professor Lorenz hier zum Beispiel - "
" Wen meinst du ? " fragte Elsheim .
" Deinen jungen Freund , den du unserem Zirkel zugeführt hast , den Architekten . "
" Ah !
Du meinst meinen Freund Leonhard . "
" Nun also " , fuhr Mannlich fort , " dieser junge treffliche Mann eignet sich ganz zum Lese ; auch bin ich überzeugt , daß er den Bruder Martin vortrefflich geben wird .
So spielte ja auch der große Schröder vor jetzt ungefähr dreißig Jahren , als er das Stück in Hamburg auf die Bühne brachte , diese beiden Personen und den Abt von Fulda obenein . "
" Sehen Sie " , rief Dorothea , " daß Schröder die hübschen Geschichten und Späße mit Liebetraut , Olearius und dem Abte nicht ausgelassen hat .
Der verstand die Sache .
Wir kriegen gewiß nach Herrn von Elsheims Abkürzungen nur das Erbärmliche der Geschichte , und das Lustige geht uns verloren . "
" Geben Sie sich zufrieden , Fräulein " , sagte Elsheim , " wir können die Szene noch einschieben , wenn Sie uns den dicken Abt darstellen wollen . "
Fräulein Dorothea lachte und meinte , wenn es sein müsse wolle sie sich doch lieber in den anständigen Bischof von Bamberg hineinstudieren .
" Nein " , sagte Mannlich ganz ernsthaft , " das ist der Teil , der unserem würdigen Freunde da , dem Grafen Bitterfeld , zugefallen ist , und der ihn auch gewiß würdig repräsentieren wird . "
" Ein Priester ! " rief der Graf aus , " so ein abergläubischer Pfaffe ?
Es ist eigentlich gegen meine Grundsätze ; indessen da er doch ein Bischof ist und , soviel ich mich erinnere , nicht vielen katholischen Fanatismus auskramt , so will ich mich für diesmal zu diesem Opfer bequemen .
Nur , bitte ich , soll es mir zu keinem Präjudiz gereichen , als wenn ich etwa , wie so manche guten Köpfe unserer Tage , zum Katholizismus hinüberneigte . "
" Sie können ja noch den Anführer der Reichsarmee übernehmen , oder den Kaiser Maximilian , um jenen Verstoß gegen die Rechtgläubigkeit wiedergutzumachen ! " sagte Elsheim .
" Va !
es gilt ! " rief der Graf , " ich bitte mir aber lieber den milden , menschenfreundlichen Kaiser aus , der meinem Gemüte mehr zusagt . "
" Es paßt zum Stück " , sagte Mannlich sehr vergnügt , " und Sie können gewiß auch noch eine Gerichtsperson von Heilbronn übernehmen , denn solche Talente , wie die Ihrigen , müssen wir recht gewaltig in Requisition setzen . "
" Nun fehlt aber immer noch der bedeutende Selbitz " , warf Emmrich ein .
" Still , Professor ! " erwiderte Mannlich mit schlauer Miene , " es ist für alles gesorgt .
Wir haben im nächsten Dorf einen Schulmeister , der früher Korporal war , und dem im Kriege das linke Bein weggeschossen wurde .
Dieser , wenn er sich seiner ehemaligen Husarenlaune nur etwas erinnert , wird uns den rauhen Kerl ganz herrlich hinstellen , wozu noch der Vorteil und Verzug kommt , daß er ein echtes wahrhaftiges hölzernes Bein mit sich führt .
- Den Zigeunerhauptmann , lieber Elsheim , wird dein alter treuherziger nußbrauner Förster vorstellen , und zum Gesindel , den Reichstruppen , Knechten und so weiter müssen wir dann freilich noch die Klügsten der Dienerschaft aussuchen , denn so ein Privattheater macht mehr noch , als die Revolution , alle Stände und Menschen gleich . "
Man lachte , und die Frau des Hauses , die Mutter des Barons Elsheim , entfernte sich jetzt , weil sie der Vorlesung des Stückes nicht beiwohnen wollte .
Da es ihr ganz unbekannt war , zog sie es vor , sich durch die Darstellung überraschen zu lassen und der Neugier und Spannung freien Raum zu geben .
Die Vorlesung währte länger , als drei Stunden .
Der Rezitierende hatte viele Not , Wasser , Zitronen und Zucker einzurichten , um in den Pausen seine ermüdete Stimme neu zu beleben .
Als er geendigt hatte , nahm der Graf Bitterfeld den jungen Elsheim beiseite und sagte : " Es ist ein außerordentlicher Mann mit den wunderbarsten Gaben !
Es ist kaum möglich , mehr Talente in sich zu vereinigen .
Hat er uns nicht das ganze große ungeheure Stück so in einem Anlauf vorgelesen , daß man erst recht fühlt , wie das Ganze ein einziger Guß , ein mannigfaltiges vielstimmiges Konzert in schönster Harmonie ist ?
Wie groß allein die körperliche Anstrengung , und was muß nun erst in seiner Seele alles vorgehen !
Solche Männer , wie unser Baron , sollte der Staat benutzen .
Aber daran denkt niemand . "
Elsheim gab dem redseligen Manne vollkommen recht , und nach einem so bewegten Abend begaben sich alle zur Ruhe .
Doch konnte Leonhard lange nicht einschlafen , so lebhaft bewegten sich vor seiner Seele die mannigfaltigen Bilder und Erinnerungen von dem , was er am Tage gesehen und erlebt hatte .
Und wie es zu geschehen pflegt , daß von verschiedenartigen zerstreuenden Eindrücken , von allerlei Vorfällen und Reden , die wir nicht vergessen können , überwältigt , wir uns selbst verlieren , so geschah es Leonhard , daß er sich , sein Gemüt und Wesen , und seine längst eingewohnten Überzeugungen nicht wiederfinden konnte .
So nahe war er in seinem bisherigen Lebenslauf den höheren Ständen noch niemals gekommen , so frei und ungezwungen hatten die Menschen dieser Art ihre Gesinnungen noch niemals vor ihm entfaltet .
Sollte er seine Gefühle Lügner schelten , oder sollte er seine Beobachtung sich selber ableugnen !
Die wunderlichsten Traumgestalten erlösten ihn endlich von diesen quälenden Betrachtungen .
Als man sich am folgenden Tage an die Tafel begeben wollte , sagte der Baron Mannlich zu Elsheim :
" Freund , welchen Schatz hast du an diesem Architekten Leonhard in dein Haus geführt !
Mir ist noch niemand vorgekommen , der einen so auf das halbe Wort verstände .
Das Theater gerät durch seine Einsicht ganz vortrefflich , und wir werden acht Tage früher fertig werden , als ich es dachte , denn er scheut sich nicht , selber mit Hand anzulegen , wenn deine dörflichen Tischler sich oft sehr ungeschickt benehmen .
Der Mann hat gewiß Italien mit großem Nutzen besucht .
Aber warum vermeidet er , Französisch zu reden , obgleich sein Akzent nicht der schlechteste ist ?
Ich würde bei seinen Talenten und Kenntnissen in meinem Benehmen und Sprechen nicht so schüchtern und bescheiden sein . "
Elsheim war bei Tische sehr vergnügt und neckte sich mit der munteren Dorothea , neben welcher er seinen Platz genommen hatte .
Leonhard saß neben Fräulein Charlotte und war erstaunt und ergriffen , sooft sie sich in die Gespräche mischte und laut eine Meinung äußerte .
Denn meistenteils saß sie schweigsam und in sich gesammelt und schien kaum das zu beachten , was in ihrer Nähe vorging , oder gesprochen wurde .
Wenn sie aber in die Rede einfiel , oder einen Gedanken mitteilte , so schien dem verwunderten Leonhard alles so originell und von der gewöhnlichen Art und Weise abweichend , daß er es nicht begriff , wie diese Art zu denken nicht weit mehr Aufsehen erregte und als etwas Merkwürdiges von allen beachtet wurde .
Man sprach natürlich viel vom Theater , von den Einrichtungen desselben , den Proben und von der Wirkung , welche man von allen den Anstrengungen zu erwarten berechtigt sei .
Es wurde manches Glas auf das glückliche Gelingen des Abenteuers geleert , und Elsheim , der schon heiter gestimmt war , fing an ausgelassen zu werden .
" Ihr Freund " , sagte Charlotte zu Leonhard , " ist heute in einem Humor , der ihm fremd sein muß , weil er sich so sehr von ihm hinreißen läßt und in seinen Scherzen übertreibt . "
" Ich versichere Sie , mein Fräulein " , antwortete Leonhard , " daß ich ihn schon sehr oft in dieser Manier gesehen habe , selbst in ganz nüchternem Mute .
Diese poetische Trunkenheit bemeistert sich seiner in vielen Stunden , so daß er leicht von Altklugen , oder Moralisierenden mißverstanden wird . "
" So sollte er immerdar so sein " , erwiderte Charlotte , " denn dies Wesen kleidet ihn viel besser , als jene Altklugheit , mit der er sonst auf andere Sterbliche herniedersieht . "
" Ist das Ihr Ernst , Fräulein ? halten Sie ihn für hochmütig ? "
" Für zu weise wenigstens .
Ich habe gestern beobachtet , daß er auf einige allerliebste Torheiten gar nicht einging , ja sie nicht zu bemerken schien .
Und wie behandelt er meine Muhme Albertine !
Er läßt es zu sehr heraus , daß er sie für ein Gänschen hält , und daß er in diesen Irrtum hat fallen können , beweist eben , wie wenig Menschenkenntnis er besitzt . "
Leonhard erinnerte sich der Geständnisse seines Freundes , und da ihm deutlich war , weshalb diesem Albertine unangenehm erschien , konnte er auch im Augenblick diesen Tadel und Vorwurf nicht beantworten oder widerlegen ; Charlotte sah ihn von der Seite an und lächelte etwas boshaft .
" Ich wette " , sagte sie dann , " ich weiß , was Sie jetzt denken . "
" Daß Sie eine Zauberin sind " , antwortete Leonhard , " braucht mir nicht erst daraus klarzuwerden .
Doch erzählen Sie mir meine Gedanken , weil ich so vielleicht erfahre , wie ich denken sollte . "
" Sie denken im stillen " , flüsterte Charlotte , " die Frauenzimmer halten gut zusammen und stehen sich redlich bei ; wenn beide ihren Verstand so gegenseitig vertreten , so bilden sie eine Assekuranz , die doch am Ende , wenn Mißwachs zu oft eintritt , bankrott machen muß . "
" Sie sind sehr unbillig " , antwortete Leonhard , " und Sie halten mich auch weder für so boshaft , noch so einfältig , daß Sie im Ernst so törichte Gedanken in mir argwöhnen könnten . "
" Denken Sie nichts Schlimmeres von mir " , erwiderte sie etwas scharf , " so werde ich mit Ihnen sehr zufrieden sein .
O die Männer ! die Männer !
Liegt nicht in jedem Blick eine Satire auf unser Geschlecht , und in jeder Schmeichelei eine Verachtung unserer Schwäche ? "
" Woher in dieser Jugend diese feindselige Gesinnung ? " fragte Leonhard ; " und woher bei so viel Schönheit solcher Mangel an Selbstvertrauen ? " fügte er etwas schüchtern hinzu .
Sie wandte schnell das Haupt , und er blickte ihr in die dunklen Augen .
" Ihr Ansehen " , sagte sie dann , " ist recht ernstlich ; wenn Ihr Blick auch , wie bei den meisten , Unwahrheit wäre , so hätten Sie es in der Verstellung weit gebracht . "
Leonhard wußte nicht recht , was er aus dieser Rede machen sollte .
Es war ihm fast angenehm , daß man sich jetzt vom Tische erhob , obgleich ihn seine Nachbarin anzog , und ihr Wesen ihm wunderbar und rätselhaft erschien .
Elsheim war so ausgelassen , daß er alle seine Gäste , die älteren und jungen Damen , keine ausgenommen , umarmte und küßte .
Seine Mutter , die ihm warnende Vorstellungen machen wollte , drückte er mit so starker Herzlichkeit an sich , daß sie sich lachend und klagend von seinem Ungestüm befreite .
Die Tante und die jungen Nichten , sowie Dorothea , gingen auf ihr Zimmer ; Mannlich schloß sich ein , um seine Rolle zu studieren ; die übrigen Herren fuhren spazieren , und Leonhard eilte mit seinem Freunde Elsheim in den Garten , um sich mit ihm in einer kühlen , einsamen Laube in Gesprächen zu ergötzen .
" Nun ? " fragte Elsheim nach einer Pause , in welcher er den jungen Meister etwas schelmisch angeblickt hatte , "- wie gefällt es dir denn bei uns ?
Du siehst oft so nachdenklich aus . "
" Gestehe ich es dir nur " , erwiderte Leonhard , " ich bin verwirrt , zerstreut , ich kann mich gar nicht so fassen , bin nicht so sicher und ruhig , wie es mir zu Hause so natürlich war .
Ich mache Erfahrungen , auf die ich nicht vorbereitet sein konnte , ich werde irre an meinen nächsten Überzeugungen , ich schwanke so hin und her , daß ich fürchte , ich möchte dir und mir Unrecht tun , wenn ich in diesem Zustande etwas sagen , oder behaupten wollte . "
" Schon jetzt bist du so konfus ? " rief Elsheim , " ich dachte , das alles sollte erst viel später kommen .
Aber um so besser ; deine Ruhe und Sicherheit können also auch früher wieder eintreten .
Aber was kann denn deinen Sinn so erschüttern ? "
" Ich kann es dir jetzt noch nicht sagen , lieber Freund , um dich nicht zu erzürnen .
Vielleicht findet sich bald eine Stunde zu meinen Bekenntnissen .
Ich habe wohl schon erlebt , daß aus einfachen Mißverständnissen und Irrtümern sich Entzweiung , selbst Feindschaft entwickelte .
Sprechen wir von anderen Dingen . "
- Alles dies sagte Leonhard fast wie verstimmt und furchtsam .
" Und ich lasse dich nicht " , rief Elsheim laut lachend , " diese Stunde ist zu schön , wir sind hier auf lange ungestört .
Und wenn ich fast errate , was dir im Herzen steckt , oder wo dich der Schuh drückt - wie kannst du denn so lange auf dem Anstand bleiben und nur zielen und zielen , ohne loszudrücken ? "
" So sei es denn gewagt ! " sagte Leonhard mit einem komischen Seufzer .
" Du sprachst mir unterwegs fast begeistert von einem Freund , der auf deine Bildung eingewirkt , der dir in Sachen des Geschmacks zur Richtschnur gedient , der dir beinahe als Ideal erschien , dessen Stimme du rühmtest , seinen Vortrag bewundertest , der- " Eslheim sprang auf und umarmte den Redenden heftig , indem er wieder laut lachte .
" Über diesen , liebster , allerliebster Junge und verehrungswürdigster Freund , geniere dich gar nicht !
Rezensiere ihn , brich über ihn den Stab !
Er soll dir völlig preisgegeben sein , denn wie du über ihn scherzest , oder ihn ernsthaft verurteilst , das kann mich nicht im mindesten beleidigen . "
Er hatte sich wieder an seinen Platz gesetzt , und Leonhard sagte etwas empfindlich : " Der Wein hat dich heute so stürmisch und ausgelassen gemacht , daß mir bange wird .
So schonungslos du diesen alten Freund jetzt aufopferst , so kannst du mich auch vielleicht in einer ähnlichen Laune irgendeinmal wegwerfen . "
" Sei gescheit " , rief Elsheim , " sei nicht kindisch , verständiger Aufgeklärter .
Das ist ein ganz anderer Fall .
Ich werfe ja diesen trefflichen Mannlich nicht so unbedingt weg ; ich kann aber mit einem wahren Freunde , wie du es mir bist , wohl frei über einen jugendlichen Irrtum sprechen und dreist bekennen , daß damals ein Star auf den Augen meiner Seele gelegen haben muß , eine blendende Kraft , ich habe den Brille gehabt , wie es unsere guten Vorfahren nannten .
Das begegnet ja wohl in der heftigen Jugend , daß man sich irrt ; man sieht dies und jenes am sogenannten Freunde , das uns stört , man hält es aber für gottlos , es in Rechnung zu stellen , ja es selbst zu bemerken .
So taumelt man hin in einer sonderbaren Selbsttäuschung , bis man denn später erwacht . "
" Gewiß " , sagte Leonhard , " soll man aber seine Freunde nicht kritisieren ; hat man aber auf Treue und Glauben jemand in Zeiten , in denen man noch nicht beobachten kann , als Freund angenommen , so ist es auch nichts Unerlaubtes , wenn man in reiferen Jahren Vertrauen und Liebe beschränkt , oder zurückzieht . "
" Sehr gesetzt gesprochen " , antwortete Elsheim , " und so will ich dir denn gern gestehen , daß ich in meinem Leben noch nicht so getäuscht worden bin , als in dem Augenblick , in welchem ich diesen meinen Mannlich wiedersah .
Ich möchte sagen , daß er seit lange schon seine Natur und sein Wesen ausgezogen und irgendwohin , wie alte unbrauchbare Kleider , verkauft hat ; so hat er sich nun eine Maske angeschafft , die sein Wesen vorstellen soll , eine treuherzige Biederkeit , die tapfer und gutmütig aussehen muß , eine Herablassung , wie wenn er alles am besten wisse und den anderen nicht immerdar beschämen wollte .
Man fühlt es ihm an , daß er nur mit Leuten umgeht , unter denen er stets der Klügste ist , oder es sich wenigstens zu sein dünkt .
Nichts verdirbt den Mann so sehr und erniedrigt ihn nach und nach zum alltäglichsten Philister .
Da hören wir nur lauter Phrasen , umständlich ausgesprochen , Dinge , die sich von selbst verstehen , oder die als ausgemachte Wahrheiten mit kalter Unumstößlichkeit gesagt werden , aber erst tausendfache Erörterungen verlangen , ehe sie uns für wahr oder verständlich gelten können .
Enfin , er ist ziemlich unausstehlich . "
Leonhard mußte lachen .
" Wie mundet dir denn sein Vorlesen ? " fragte er dann .
" Du hast vollkommen recht " , fiel Elsheim schnell ein , " wenn du diese Art vorzutragen völlig unausstehlich nennst .
Diese hohle , gemachte Stimme , die in trockener Affektation das Edle und Natürliche aus drücken will .
Er schenkt uns keine , auch der kürzesten Silben , er dehnt sie vielmehr auf fühlbare Weise .
Unser sogenanntes stummes E wird zwar dadurch nicht beredt , aber wenigstens vorschreiend und langweilig .
So entsteht , indem freilich nichts verlorengeht oder dunkel bleibt , eine so entsetzliche Deutlichkeit des Vortrags , daß von leisen oder geistigen Übergängen , von einem feinen , zarten Schwinden und Abfallen der Silben in Wehmut und Schmerz nicht mehr die Rede sein kann .
So hat ja auch seine Vorlesung gegen vier Stunden gedauert . "
" Und wie wird erst sein Spiel ausfallen " , sagte Leonhard , " wenn seine Gebärden ebenso umständlich sind , wie seine Aussprache !
Dann muß diese hohle Feierlichkeit einen merkwürdigen Effekt machen .
Und so dürfte denn unser Lieblingsgedicht zu einer Parodie herabgewürdigt werden . "
" Man muß ihn nun schon gewähren lassen " , antwortete Elsheim ; " es geht ja oft so im Leben , daß enthusiastische Plane zum Lächerlichen ausschlagen . "
" Nur " , fing Leonhard nach einer Pause wieder an , " hättest du an mir nicht einen kleinen Verrat begehen sollen , und mich ihm gewissermaßen opfern , da du selbst ihn ganz anders ansiehst , als vor einigen Jahren . "
" Was kannst du meinen ? lieber Leonhard . "
" Er weiß ja , daß ich ein Tischler bin , und von wem kann er es erfahren haben , als von dir ? "- " Er weiß es , sagst du - "
" Nun ja , denn er sprach gestern höhnisch von Tischlergleichnissen und dergleichen . "
" O mein Freund " , rief Elsheim aus , " deute nur nicht gleich jede Zufälligkeit so , wie einer , der kein gutes Gewissen hat .
Ich schwöre dir , er läßt sich dergleichen von dir nicht träumen ; er bewundert dich im Gegenteil als einen außerordentlichen Architekten und gelehrten Professor .
Er hat dich höchlich gelobt , und erstaunt nur darüber , daß du selbst mit dem Hobel so gut umzugehen weißt .
Die eigentliche Handarbeit solltest du daher auch lieber unterlassen . "
" Du kannst es dir nicht denken " , erwiderte Leonhard , " wie es einem tüchtigen Arbeiter in die Hände fährt , wenn er diese Meister vom Dorfe und diese Gesellen aus den kleinen Städten so ganz ungeschickt hantieren sieht .
Man kann nicht lassen zuzugreifen , und dem linkischen Volk einige Griffe zu zeigen .
Die Glieder sind bei vielen Menschen ebenso dumm , wie der Kopf . -
Gibt es denn aber , mein Freund , viele solcher vornehmen Leute , wie dieser Graf Bitterfeld einer zu sein scheint ? "
" Guter Leonhard " , erwiderte der Baron , " dieser Mann ist eigentlich der wahre einfache Typus unserer Klasse , und was drüber oder drunter ist , ist nur als Abweichung zu betrachten .
Von allem etwas wissen und von nichts etwas Gründliches , Gründlichkeit und Tiefsinn , wo sie sich zeigen , zu verlachen und in demselben Augenblick eine ernste Miene , ja eine andächtige der Verehrung ziehen zu können , wenn man merkt , daß ein Höherer , oder Fürst diese Eigenschaften an diesem und jenem hochschätzt .
Spricht er dann in seiner Familie , oder zu den Vertrautesten über den Fürsten , so ist die Achtung , welche er jenen Kenntnissen zollt , nur als Krankheit anzusehen ; darüber sind denn auch alle Genossen einig , und zwar mit der festesten und kältesten Sicherheit .
Alles ist ihm nur Erscheinung , vorübergehend aus Mode , außer dem Begriff des Adels , der Etikette an den Höfen , der Uniformen und des Ranges , den jeder bei Tafel , oder in den Assembleen einzunehmen hat .
Alle Mesalliance bei Heiraten , vertrauter Umgang mit Bürgerlichen , Studium einer Wissenschaft , Absonderung und Meiden der großen Gesellschaft , alles dies erscheint ihm ebenso als Schwärmerei und Fanatismus , wie die Sekte der Wiedertäufer oder Adamiten . "
" Und doch läßt er sich herab , Komödie zu spielen ? " warf Leonhard ein .
" Wenn du erfährst " , antwortete Elsheim , " daß einer der berühmten Kaunitze , ein Kobenzl ein enthusiastischer Komödiant war , der sich mehr als einmal durch diese Leidenschaft lächerlich machte ; wenn du dich erinnerst , daß die unglückliche Königin von Frankreich und der Comte d' Artois auch gern Komödie spielten , den Herzog von Orléans und den Duc Conti nicht einmal gerechnet , so wird deine Verwunderung aufhören .
Es ist seitdem als die Schwäche und Herablassung großer Charaktere anzusehen .
Darum wird er auch auf dem Theater mit dem geringsten Spielenden freundlich und fast vertraut umgehen , denn Bühnenverhältnisse lösen noch mehr als Badebekanntschaften die Fesseln der Etikette . "
Leonhard fuhr fort : " Wenn sich mir deine Beschreibung des Baron Mannlich nicht bestätigte , so bin ich noch mehr an jener in Ansehung des Fräuleins Albertine irre geworden . "
" Wieso ? "
" Sie ist ja so liebenswürdig , innig und kindlich freundlich , daß deine Schilderung gar nicht auf sie paßt .
Und ihre Stimme , ohne ihre anderen Vorzüge !
Ich habe noch nicht leicht einen Ton gehört , der so unmittelbar zum Herzen spricht .
Man braucht nicht einmal auf den Inhalt ihrer Rede hinzuhorchen , so erweckt der Silberklang dieses schönen Organs auch ohne weiteres poetische Vorstellungen in unserem Gemüt , eine anmutige Rührung , eine schöne Erhebung unseres Geistes . "
" Still ! mein Freund " , rief Elsheim , " du bist ganz nahe daran , dich in dieses Gesichtchen und die klaren blauen Augen zu verlieben , wenn es nicht schon geschehen ist . -
Nun , was werde ich über Charlotte hören ? "
" Verliebt ! " rief Leonhard , " sieh Freund , dies ist eins von den Worten , die in der Welt am allermeisten mißbraucht werden .
Ich werde einer solchen Gefahr nicht unterliegen .
- Nun , Charlotte ?
diese ist eins von den Wesen , so scheint es mir nach kurzer Bekanntschaft und Beobachtung , über welche es unendlich schwer vielleicht unmöglich ist , ein wahres Urteil zu fällen .
Sie ist ein tiefes , poetisches Gemüt , schweigsam , weil ihr der gewöhnliche hergebrachte Ausdruck nicht genügt , weil der gemeine Gegenstand der meisten Reden und Gespräche ihr wohl zu gering sein mag .
Sie scheint ganz Leidenschaft und Enthusiasmus .
In ihrer Nähe und von ihren Worten berührt , ist mir gewesen , wie in der schönsten , ganz poetischen Einsamkeit .
Wald und Fluß sprechen dann auch , aber in gereizter und erhobener Stimmung so innigst , daß jeder der rätselhaften Laute ebensosehr zum Schmerz als zur Wonne wird . "
" Du bist in einer fatalen hyperpoetischen Stimmung " , antwortete Elsheim .
" Auf solchen Wegen wirst du die Menschen niemals kennenlernen .
Ich sage dir , deine vergeistigte Albertine ist ein albernes Gänschen , und diese deine wundersame Charlotte eine recht eigentliche Kokette , nur auf ihre eigentümliche , etwas seltsame Art. Dich haben gewiß in früher Jugend auch jene Sterne , Sonnen und Blumen erfreut , die man aus dunkelroter , oder rubinfarbener , himmelblauer und glänzend grüner Folie und dünnen Blechen schneidet .
Diese Zieraten waren einmal sehr Mode .
Wie matt sieht gegen diese funkelnden Stücke jede Malerei aus !
Selbst die Natur kann in Laub und Blumen nicht mit diesen Prachtstücken wetteifern .
Aber nur ein kindischer Sinn wird davon geblendet , der Maler kann diese Effekte weder hervorbringen , noch will er es .
Die heilige Zartheit der Natur zieht sich vor jedem Wettstreit mit diesen Dekorationen zurück .
Zu diesen zauberischen Prunkflittern , diesen dunkelglänzenden Folieblumen gehört eben Charlotte . "
" Du nennst sie Kokette " , sagte Leonhard ; " ist sie es , so muß man sie hassen . "
" Warum das ? " fragte der Freund ; " nur nicht Natur , Gesinnung , Gemüt und Wahrheit in ihr sehen wollen , oder die Begeisterung und Freude von ihr erwarten , die uns ein Kunstwerk zuführt . "
" Du bist deiner Sache auch vielleicht zu gewiß " , erwiderte Leonhard etwas empfindlich ; " vielleicht wäre die Verbindung mit Alibertinen - du sagtest mir , daß deine Verwandten sie wünschten - dein Glück . "
" Wie bist du nur ? " rief Elsheim aus , " ich kenne dich heute nicht wieder ; du solltest doch deine Freude , die du an diesen törichten Mädchen hast , nicht mir anzwingen wollen .
Suche jeder sein Glück auf seinem eigenen Wege . "
Leonhard wollte eben antworten , als sie durch einen Bedienten unterbrochen wurden , der , weil er den jungen Baron schon allenthalben gesucht hatte , keuchend in die Laube trat .
" Was gibt_es ? " fragte dieser .
" Ach ! gnädiger Herr " , sagte der Diener , " hier ist der alte Förster Rudolf , der im Hause und im ganzen Garten herumläuft , heulend und schluchzend , und der Sie mit aller Gewalt sprechen will . "
Elsheim ging dem alten Jäger entgegen , und dieser lief schon mit den Zeichen des größten Schmerzes auf ihn zu , die Hände ringend und dann wieder mit seinem Tuch die Augen trocknend .
" Alter , um Gottes Willen ! " rief der junge Edelmann aus , " was ist Euch für ein Unglück begegnet ?
Faßt Euch , alter Mann ! "
Mit den Worten ergriff er die Hand des Alten und suchte ihn zu beruhigen , erschrocken , wie er selber war .
" Oh , gnädiger Herr " , klagte der Alte , " daß mir noch in meinen allerletzten Tagen dergleichen begegnen muß !
Ich dachte , nun bald mit Ehren in die Grube zu fahren , und soll noch solchen Schimpf vor meinem seligen Ende erleben ! "
" Aber was ist Euch zugestoßen . "
" Man sagt ja " , rief der Förster , " daß Sie es durchaus wollen , junger Herr .
Der Heinrich ist zu mir gelaufen gekommen , ich soll einen Komödianten abgeben , und wenn es noch Kaiser , König , oder eine Art Herzog wäre , den ich aufführen soll !
Nein , geradezu einen Spitzbuben , einen Mordbrenner !
Und auch das würde ich mir noch gefallen lassen , wenn der Mensch noch ein ehrlicher , ordinärer Spitzbube wäre .
Aber einen Zigeuner soll ich agieren !
Ich werde vor allen meinen Jägerburschen zu Schimpf und Schanden , denn es sind noch nicht zehn Jahre her , als sie drüben , jenseits , über der Grenze einen solchen verruchten Zigeuner aufknüpfen taten , wie er es auch verdiente .
Damals ist die ganze Landschaft von hier , und ich selber mit , hinübergelaufen , um den Skandal anzusehen .
Und nun soll ich einen solchen giftigen heidnischen Hund vor meiner Herrschaft und allen Dienern und den Fremden vorstellen .
Das überleb ich nicht . "
Elsheim nahm den alten Mann , der ganz außer sich schien , beiseite und ging in der Lindenallee lange mit ihm auf und ab , um ihn durch gütliches Zureden zu beschwichtigen .
Leonhard beobachtete aus der Ferne ihr lebhaftes Gespräch , und als sich die Freunde am Abend wieder trafen , sagte der Baron :
" Nun fängt das Leiden der Komödie auch schon an , daß die Menschen nicht mit ihren Rollen zufrieden sind . "
Es vergingen nun mehrere Tage unter mancherlei Zerstreuungen und verschiedenen Arbeiten .
Das Theater war unter Anleitung Leonhards und des Barons Mannlich schon bedeutend vorgeschritten ; man hatte die Leseprobe gehalten , zu unendlicher Ergötzlichkeit der kleinen mutwilligen Dorothea .
Denn bei Abschrift und Austeilung der Rollen hatte es sich erst erwiesen , daß man eine der hauptsächlichsten bis dahin völlig vergessen hatte , den munteren , herrlichen , treuen Georg nämlich .
Nun bat man dringend und freundlich , daß Dorothea diesen , statt ihrer Zigeunerin , übernehmen möge , und sie ließ es sich endlich gefallen , in der Tracht eines Knaben aufzutreten .
Beim Lesen ihrer Rolle wendete sie manche Stellen höchst mutwillig so , daß es wie Verspottung der zerstreuten und vergeßlichen Direktoren klang .
" Da flog das Meislein auf ein Haus und lacht den dummen Buben aus " , klang , von ihrem Gelächter akzentuiert und durch ihre Blicke kommentiert , für den Baron Mannlich fast etwas zu anzüglich .
Indessen ließ sich seine ehrenfeste Haltung von dem kleinen Schadenfroh , wenn auch einige mitlachten , nicht aus der gesetzten künstlerischen Fassung bringen .
Leonhard hatte auch schon einen Brief von seiner Frau durch seinen Freund erhalten , nachdem er ihr sogleich nach seiner Ankunft auf dem Gute geschrieben hatte .
In seinem Hause stand alles gut , und so war er jeder Sorge enthoben .
Ein Teil der Gesellschaft hatte sich bei dem schönen Wetter auf die Reise begeben , um einige theatralische Vorstellungen in einer namhaften Stadt , wo sich derzeit eine gute Schauspielertruppe befand , anzusehen .
Der Ort war zwar eine ganze Tagereise entfernt , indessen bestand diese Sommergesellschaft , die sich auf dem Landhause versammelt hatte , aus Menschen , die mit der Zeit etwas großmütig umgehen konnten , weil sie , Leonhard abgerechnet , alle ohne Beruf und Beschäftigung waren .
Elsheim vorzüglich betrieb diese Reise , da er sich von der Langeweile und Anstrengung erholen wollte , die ihm die gerichtliche Übergabe des Gutes verursacht hatte , wobei die Förmlichkeiten , die Gerichtspersonen , das Zeremoniell und alles , was zu dergleichen Akten gehört , ihn wirklich sehr verstimmten und ihm in diesen Tagen für sein Theater und die poetischen Ergötzlichkeiten keine Zeit übrigließen .
Als die jungen Leute nach vier Tagen etwas ermüdet zurückkamen , so wendeten sie sich wieder zu ihren theatralischen Belustigungen .
Es war jetzt auffallend , wie oft man Leonhard mit Charlotte im eifrigen Gespräche sah , und wie die Schweigsame eilig in Fragen und Antworten war .
Elsheim beobachtete sie lächelnd aus der Ferne und wendete sich zuweilen an Dorothea , um mit dieser über das Bündnis zu scherzen , welches jene beiden auf dieser Reise geschlossen zu haben schienen .
Dorothea selbst aber war unterwegs der schwermütigen Albertine viel nähergekommen , und es bildete sich schnell eine vertraute Freundschaft unter den beiden jungen Mädchen , von denen jedermann bisher geurteilt hatte , da ihre Art und Weise so völlig verschieden war daß sie sich niemals einander nähern würden .
Unter den Männern verbanden sich , sowie Elsheim den Baron Mannlich mehr vernachlässigte , dieser und Graf Bitterfeld mit jedem Tage inniger .
Der Graf bewunderte die ausgebreiteten Kenntnisse seines neuen Freundes , so wie er immerdar von seiner Biederkeit gerührt wurde .
Mannlich war gegen diese Anerkennung sehr dankbar , und übersah mit Freundlichkeit die Unwissenheit seines Genossen , dessen edles Herz und Menschenkenntnis er um so höher stellte .
Am einsamsten schien sich der Professor Emmrich in diesem bunten Zirkel zu befinden .
Er studierte viel in seiner Gartenwohnung , die ihm Elsheim , weil er des Freundes Launen kannte gern eingeräumt hatte .
In diesem abgelegenen Pavillon sah die Dienerschaft noch oft Licht , wenn im Schlosse schon längst alles zur Ruhe gegangen war .
Emmrich hatte es sich schon früh angewöhnt , in der Nacht fast mehr als am Tage zu leben ; er bedurfte nur wenigen Schlafs und weniger Nahrung und hielt in seiner bizarren Laune das meiste von dem , was andere Menschen Naturbedürfnisse nannten , nur für Angewöhnung und Nachgiebigkeit gegen Schwächen .
So konnte er lange fasten , viele Meilen dabei zu Fuß gehen , ohne sich ermattet zu fühlen , und er gestand , daß er fast niemals Hunger oder Durst empfinde und sich ebenso ohne Anreiz , nur mit willkürlichem Vorsatz an die Tafel begebe , wie er sich zum Schlafe endlich niederlege , ohne sich jemals überwacht zu fühlen .
Diese seltsame Lebensweise war auch die Ursache , daß sich viele Menschen vor ihm fürchteten , welche unheimliche Furcht sein klarer Verstand und unbestechliches Urteil noch vermehrten .
Denn viele Menschen mögen mit sich selbst und ihren sogenannten Freunden nur in einer gewissen Dämmerung leben , wo nichts bestimmt gesehen und unterschieden , wo nichts scharf ausgesprochen wird .
Um so schlimmer , wenn diese einmal aus ihrem Schlaf erwachen .
Darum erregt es dem Menschenkenner kein Erstaunen , wenn so oft Freundschaften , die innig schienen , sich um eine Kleinigkeit lösen und zuweilen sogar in bitteren Haß verwandeln .
Am meisten war Emmrich mit der verständigen Tante in Gesellschaft , und es war sichtlich , daß auch er Alibertinen , welche von der Tante vorzüglich geliebt wurde , den übrigen jungen Frauenzimmern vorzog .
" Du wirst krank werden , Albertine " , sagte Dorothea , indem sie die Freundin liebkoste .
Die beiden Mädchen hatten sich von der Abendgesellschaft zurückgezogen und saßen , in traulicher Dämmerung plaudernd und erzählend , einsam im Zimmer der Tante .
" Wie ich dich kennenlernte " , fuhr Dorothea fort , " warst du so heiter , sahst so klar aus den Augen , sprachst so richtige Vernunft , daß es eine Freude war , dich zu hören und zu sehen .
Und auch noch jüngst , als wir hierher reisten - wie heiter und selbst fröhlich warst du - und jetzt verfällt dein Gemüt von Tage zu Tage mehr .
Unsere Herzen sind sich auf der Reise so schön begegnet ; so gestehe mir nun auch , was dich so traurig machen kann . "
" Ich weiß es selbst nicht " , erwiderte Albertine , indem sie weinend die Freundin umarmte .
" Es ist ja so schwer , das , was uns oft ängstigt , in Worte zu fassen .
Du bist immer heiter und unbesorgt , dich ängstigt das Leben noch nicht , und darum hüte dich , daß du nicht auch einmal in diese Stimmung gerätst .
Sieh , mein Herz , das Leben selbst ist es , was mich so wehmütig stimmt , denn ich wüßte mich für meine eigene Person über nichts zu beklagen .
Wie schnell ist der Frühling vergangen , wie bald wird der Sommer vorüber sein !
Wie hinfällig ist alles , wie vorübergehend und in den Händen verwelkend , worüber wir uns freuen möchten !
Alles verschwindet , ehe wir es genossen haben , und jeder folgende Tag straft uns Lügen , daß wir uns gestern auf ihn freuen konnten . "
" Das kann ich dir alles nicht glauben " , erwiderte Dorothea ; " ich habe zwar noch nicht so gar viele Erfahrung , aber ich denke denn doch , alle diese Weichmütigkeiten kommen uns erst , wenn irgend was Wirkliches , ein wahres Leid unser Herz belästigt . Dich drückt etwas , du geliebtes Wesen , und du willst es mir entweder nicht bekennen , oder weißt es noch selber nicht recht , wie denn das auch wohl zuweilen der Fall sein mag . "
" Nein , Geliebte " , erwiderte das trauernde Mädchen , " mir ist wohl , mir selbst tritt nichts feindlich entgegen ; es ist eine allgemeine Trauer , die sich meiner bemeistert hat , eine Wehmut , möchte ich doch sagen , über alles Geschaffene .
Du bist jetzt meine Freundin ; weiß ich , wie lange du es sein kannst und wirst ?
ob du mir nicht einmal , vielleicht bald , feindlich gesinnt bist ?
Wie wandelbar , wie schwach ist das menschliche Gemüt !
Ich habe ja dergleichen auch schon in meinem jungen Leben erfahren . "
Jetzt wurde auch die muntere Dorothea betrübt und sagte : " Nein , so weit muß deine Schwermut nicht gehen , daß du deinen Freunden Unrecht tust , du versündigst dich damit .
Man muß dich schwer verletzt haben , daß es dir möglich ist , so unbillig zu sein . "
" Nein ! nein ! " rief Albertine heftig , " du irrst dich , mein Herz , und so laß uns denn lieber von anderen Dingen sprechen .
Wie hast du dich auf dieser Reise unterhalten ? "
" Angenehm genug " , erwiderte die Kleine ; " denn erstlich haben wir einander näher kennengelernt , dann habe ich viel Neues gesehen , eine Oper , die mir fremd war , und ein neues Lustspiel , das Museum , die vielen Gemälde , die große Wachtparade , und was dann noch außerdem an der zahlreichen table d'hote im eleganten Gasthofe vorfiel . "
" Ja , ja , viel Neues ! " sagte Albertine seufzend , " wären die Sachen nur auch löblich , wahrhaft aufregend gewesen .
Diese armselige Oper und diese neue Sorte von Theaterstücken - wie kann man nur Interesse an ihnen nehmen ? "
" Doch , wenn man jung ist .
Sind wir denn nicht überhaupt dazu da , immerdar etwas zu lernen ? "
So sprach Dorothea , und Albertine sah sie forschend an und fuhr dann fort :
" Sieh , mein Kind , ich verstehe die Menschen gar nicht mehr .
Nicht wahr , mein Vetter , der junge Elsheim , wird von allen Leuten für einen sehr angenehmen Menschen gehalten ?
Man nennt ihn geistreich , wohlgebildet , fein , witzig , wohlwollend , selbst gelehrt , und wer weiß was nicht sonst noch alles !
Und doch sind wenige Männer , vielleicht gibt es keinen einzigen der mir in jeder Minute , ja fast in jedem Augenblick , wenn ich in seiner Gesellschaft bin , einen so lebhaften Unwillen , ja einen tief empfindlichen Schmerz erregt .
Wie ist es dir denn in seiner Gegenwart ? "
" Mir ? " fragte Dorothea ; " wahrlich , mir ist es noch gar nicht einmal eingefallen , mir diese Frage zu stellen .
Er gefällt mir übrigens ganz wohl und kommt mir vor , wie die meisten Männer . "
" O du unschuldiges Kind ! " rief Albertine aus - " du siehst also nicht , wie in diesem jungen , hübschen , hochfahrenden Mann die ganze Verkehrtheit unseres Zeitalters so recht sichtlich dargestellt ist ?
Wie ist er mit sich selbst zufrieden , wie belehrt und hofmeistert er oft andere über Dinge , die diese doch viel besser wissen .
Er ist freundlich gegen alle ohne Ausnahme , aber in diesem Wohlwollen ist so viel bewußte und absichtliche Herablassung , daß es den Unschuldigen , dem er sich auf diese Weise nähern will , weit mehr verletzen , als erfreuen muß .
Und sein Lachen , sein höhnisches Lachen - meist über Dinge , die ihm nur deswegen komisch vorkommen , weil er sie nicht versteht .
Ist nicht ein recht hochadliger Hochmut in seiner Art , wie er mit seinem bürgerlichen Freunde Leonhard umgeht , der ihn doch , sogar in Gesellschaft , du nennen darf ? "
" Kind " , sagte Dorothea , " du tust dem Vetter Unrecht .
Er ist ein ganz gutmütiger und , wenn ich es recht überlege , ein allerliebster Mensch .
So gefällig , so nachgiebig , der beste Wirt ; gegen seine Mutter , die er doch so sehr übersieht , so ganz kindlich , so daß er es sie nie merken und empfinden läßt , wenn sie manchmal in seiner Gegenwart so ganz einfältig spricht .
Er muß dich einmal eigen beleidigt haben , oder ein Fremder hat dich gegen ihn aufgebracht , sonst ist mir alles dies unerklärlich . "
" Sind doch andere Männer " , fuhr Albertine fort , " ganz anders beschaffen .
Betrachte nur diesen bescheidenen , wahrhaft verständigen Leonhard .
Möchte ich diesen doch das Muster eines gebildeten Mannes nennen , so ruhig und fest steht er auf sich selbst und bedarf keiner Bestätigung von außen oder von anderen .
Er hat auch gar nicht das männlich Männliche , was mir schon als Kind so anstößig und ärgerlich war . "
" Ich verstehe dich wieder gar nicht " , sagte Dorothea .
" Das ist ja mein Leid " , fuhr Albertine fort , " daß ich so ganz anders empfinde , und nichts davon - , noch dazutun kann .
Ist es dir denn nicht schon einmal im Leben recht empfindlich zuwider gewesen , wenn Männer beisammen sind und etwa im Preisen einer Pastete , oder eines delikaten Weines sich ergehen ?
Hast du denn noch niemals bemerkt , daß dann dieser und jener auf eine recht widerliche Art den Mund verzerrt , schielt und lächelt und mit den Augen blinzelt ?
Mag das Gespräch vorher gewesen sein , welches es wolle , von Religion , Natur oder Kunst , wobei sie sich oft recht erhaben vorkommen : - nun wird dieser Ton angeschlagen - und das Tier , das gleichsam künstlich untergeschoben , an den Ketten der Förmlichkeit und Heuchelei festgebunden lag , springt nun plötzlich hervor .
Viele finden dergleichen an solchen Männern liebenswürdig , und ich schwöre dir , mir ist schon oft ein Grausen darüber angekommen .
Und wenn ich mir dann denke : dieser , der bei Erinnerung an einen sinnlichen Genuß so widerwärtig grinsen kann , so garstig lachen - dieser soll sich irgendeinmal einbilden , er könne lieben , oder werde es einem armen getäuschten weiblichen Wesen vorlügen - oder gar ich selbst könnte seiner Falschheit unterliegen - so muß ich schaudern . - -
Siehst du , Dorothea , nun bist du selbst nachdenklich geworden . "
Es war wirklich so .
Die Kleine hatte den Kopf in die Hand gestützt und machte eine Miene , wie sie Albertine noch niemals an ihr bemerkt hatte .
" Du hast wohl nicht Unrecht " , sagte sie nach einer Pause recht schwermütig , " es kann oft im besten Menschen etwas sein , was eigentlich , wenn man es genau nimmt , recht unmenschlich ist .
Ich habe nur niemals darauf achtgegeben , oder , wenn ich es einmal bemerkte , und es mir widerlich auffiel , habe ich es nicht so wichtig genommen . "
" Und nun gar " , fuhr Albertine mit unterdrückter Stimme fort , " wenn sie von Mädchen und Frauen sprechen , und man , ohne es zu wollen , ihre Erzählung zufällig anhört , wie sich wo unversehens eine Schulter , oder ein Busen enthüllt , oder gar ein Knie entblößt hat : - plötzlich dann jene Satyr-Larven , jenes Faunen-Gelächter , an dem sich die Brüderschaft erkennt und ohne Worte sich zuruft :
Lassen wir die Maske fallen , zwingen wir uns nicht , da wir uns doch alle gegenseitig als Tiere und Vieh längst kennen ! "
Die Mädchen sanken sich weinend in die Arme .
" Ja , ich bin krank " , sagte Albertine dann , " am Leben krank , und der Tod ist vielleicht meine Heilung .
Wie oft träumte ich in meinem kindischen Sinn , daß der echte Mann zugleich das Wesen einer Jungfrau haben müsse . "
" Manche von uns " , erwiderte Dorothea kleinlaut , " sind aber auch nicht viel besser .
Und viele Bücher in Prosa , wie in Versen suchen ja auch alles das , worüber wir hier klagen , lächerlich zu machen .
Ach ja , man muß sich eben , um leben zu können , in alles finden . "
" Ich will aber nicht ! " rief Albertine mit der größten Lebhaftigkeit , "- hörst Du ? ich will es nicht !
Und sieh , der Elsheim , den du vorher so verteidigen und loben wolltest , ist in allen diesen Punkten einer der Schlimmsten .
Nicht wahr , ich werde den meisten rasend vorkommen , wenn ich verlange , daß Mann und Frau , Vater und Mutter auch in der Ehe noch unschuldig bleiben sollen , daß den Geliebten nach dem höchsten Genuß ein Händedruck seines Mädchens noch so beglücken soll , wie beim ersten scheuen Begrüßen ? "
" Ach , Liebe , Liebe " , sagte Dorothea und schmiegte sich an die Freundin , " du sprichst da etwas Göttliches aus , worüber wir vielleicht alle unsere schönen Träume haben .
Wörtlich sagt dasselbe auch Novalis , was du eben aussprachst . "
" Novalis ? "
" Dieses herrliche Buch will ich dir geben , du mußt es lesen , es ist erst ganz kürzlich herausgekommen " , antwortete Dorothea .
" Ach Kind " , fuhr Albertine fort , " du wirst mich für ganz töricht halten .
Erzähle wenigstens keinem Menschen , auch der Tante nicht , von dem , was ich dir eben anvertraut habe .
Ist mir Elsheim gleich zuwider , so kann ich ihn doch nicht hassen .
Oh , seine Blicke sind oft fürchterlich !
In der Gemäldegalerie dort in der Stadt und noch mehr unter den Antiken und Abgüssen wußte ich mich , von seiner Gegenwart geängstigt , gar nicht zu lassen .
Die Unschuld selbst , das Heilige und die Größe der Kunst wird anstößig und zum Frechen , wenn er erst diese nackten Bilder und dann dich mit jenem kritischen forschenden Auge mustert .
Ich hätte mich so gern dort unter den Götterbildern recht ergangen und mein Gemüt in dieser Schönheit erhoben , aber diese Säle wurden mir durch seine schuldvollen Blicke ein Aufenthalt der Sünde .
O welche Verschiedenheit unter den Männern !
Dieser Leonhard mit seinen redlichen , unschuldigen Augen könnte selbst dem Zweideutigen Reinheit geben .
Er war in diesen beklemmenden Stunden mein einziger Trost .
Mit ihm könnt ich allenthalben sein , ohne mich gestört zu fühlen .
In seinem Wesen herrscht das vor , was ich das Weibliche , das Jungfräuliche nennen möchte .
Wie glücklich muß die Gattin und die Geliebte sein , die er sich auserwählt !
Ich bilde mir ein , daß es nur wenige Männer gibt , wie diesen . "
" O mein Kind !
mein armes Kind ! " rief jetzt Dorothea aus , " dachte ich es doch , daß dein Leidwesen aus einer ganz anderen Gegend herstammen müsse .
Wie soll das endigen ?
Was soll daraus werden ? "
" Nun ? " fragte jene erstaunt , " und was ist es denn , das mir fehlt ? "
" Du hast dich " , war die Antwort , " in diesen fremden Menschen , in diesen Leonhard sterblich verliebt .
Oh , du Unglückselige !
mich dünkt , ich habe gehört , er sei schon verheiratet . "
Die beiden Mädchen waren jetzt aufgestanden .
" Verliebt ? " sagte Albertine nachdenkend - " und in Leonhard ?
Nein , liebste Freundin , das kann ich doch unmöglich glauben . "
" Alle Merkmale sind da " , sagte Dorothea seufzend , " es ist so klar , daß du es nur nicht mehr leugnen solltest . "
Es war ganz finster geworden , und ein Bedienter , welcher sie schon allenthalben gesucht hatte , rief sie zur Gesellschaft ab , die sich im Komödiensaal versammelt hatte , um die eben fertig gewordene Walddekoration zu betrachten , die dort aufgestellt war .
Sie gingen hinüber und fanden die Freunde und Bekannten , die bei angezündeten Lampen das neue Kunstwerk beurteilten und sich daran freuten .
Am lautesten sprach der Maler selbst , ein kleiner dicker Mann , der in einem nahe gelegenen Städtchen ansässig war .
Er setzte die Richtigkeit , die Perspektive und die Schönheit aller einzelnen Teile weitläufig auseinander , und der Professor Emmrich schien ihm mit der größten Aufmerksamkeit zuzuhören .
Die Wand , sowie die Kulissen waren ziemlich grell gefärbt , und es war augenscheinlich nur guter Wille der Anschauenden , wenn sie dem Lobredner in keiner seiner Behauptungen widersprachen .
Als sich der Künstler entfernt hatte , sagte Emmrich :
" Es ist für mich fast rührend , einen schwachen Handwerker dieser Art zu sehen , wenn er in seiner Mittelmäßigkeit meint , ein Meisterwerk verfertigt zu haben .
Wer könnte so grausam sein , den von seiner Kunst Entzückten auch mit dem gegründetsten Tadel zu Boden zu schlagen ?
Lassen wir ihm das Glück seiner Einbildung , denn für das , was uns sein Machwerk nutzen oder bedeuten kann , ist es immer gut genug .
Grün ist der Wald wenigstens , das kann niemand leugnen , und das können manche wirkliche Wälder in der Mark und auch anderswo nicht zu allen Zeiten von sich rühmen . "
" Als wenn er es besser machen könnte ! " sagte Graf Bitterfeld zu Elsheim und Leonhard , die etwas entfernt standen .
" Der gute Mann " , fuhr der Graf fort , " will in allen Dingen den Kenner spielen , und das ist recht bequem und leicht , wenn einer , wie der Professor , kein eigenes bestimmtes Fach hat , in welchem er sich auszeichnen könnte . "
Als der Graf sich entfernt hatte , sagte Elsheim zu Leonhard :
" Mit diesem Emmrich mußt du nähere Bekanntschaft machen .
Er ist ein tüchtiger Mann , ein Original , wie sie immer seltener bei uns werden , selbständig bis zum Eigensinn , dabei aber billig und freundlich .
Er ist hart und tadelt oft scharf diejenigen als Schwächlinge , die sich beim Frost zu sehr beklagen , und verachtet geradezu alle , die in der Hitze verschmachten wollen .
Und doch ist kein Mensch auf Erden in einem Punkt so schwach , ja lächerlich empfindlich , als er selbst .
Dieser Punkt betrifft den Zug .
Er kann heftig bis zur Grobheit werden , ja selbst tyrannisch , wenn irgendwer durch übereilte Öffnung eines Fensters oder einer Tür plötzlich Zugwind erregt .
Er behauptet , dieser sei eigentlich das gefährlichste Gift in der Welt , und Tausende von Menschen stürben an diesem Arsenik ; doch sei für einen solchen offenbaren Giftmischer in den Gesetzen keine Strafe festgestellt , was eine Barbarei der Zeit beweise und eine gefühllose Unachtsamkeit der meisten Menschen , die doch sonst für Leben und Gesundheit so übermäßig ängstlich besorgt wären .
Die Ärzte schilt er , was diesen Punkt betrifft , Ignoranten , und er ist fest überzeugt , daß alle diejenigen , die sich dem Zuge aussetzen und auch in scheinbarer Gesundheit keinen Nachteil spüren , es in Zukunft durch Schmerz und Krankheit abbüßen müssen . -
Doch sieh , nun geht die Tür auf ; jemand hat das Fenster geöffnet ; ich bin überzeugt , er fühlt nichts davon , aber aus Vorurteil , aus Vorsatz wird er dennoch totenblaß .
Laß uns näher treten ; er spricht nicht mehr leise mit der Tante , sondern hat sich erhoben und mit zorniger Gebärde Fenster und Tür wieder verschlossen . "
" Ist Ihnen wieder besser , lieber Herr Emmrich ? " fragte die Tante mit dem freundlichsten Ton .
" Gewiß , meine gnädige Frau " , antwortete der Professor ; " dergleichen geht schnell vorüber , wenn man nur sogleich die Ursache aus dem Wege räumen kann . "
" Sie werden sich aber der Luft zu sehr entwöhnen " , sagte der Graf , der ebenfalls hinzugetreten war .
" Luft und Zug " , antwortete Emmrich , " sind zwei ganz verschiedene Dinge .
Und dann auch diese Luft !
Was nennen wir denn so ?
Wir haben ja keine Instrumente , die fein und geistig genug wären , um die Qualitäten , die Eigenheiten , die sublimierten Essenzen dieses höchst wunderbaren Elements zu wägen , zu messen , oder gar zu prüfen und zu analysieren .
Unser armer Körper ist nur da , um durch Leid , Schmerz und Krankheit von den unsichtbaren Eigenschaften dieser Luft Zeugnis zu geben .
Man mutet niemand zu , so simpel hin ein Getränk gut zu finden , das in bösen Gegenden erzeugt , oder in den Kneipen als Wein ausgeschenkt und gebraut wird .
Ist der Wein nicht ein edles Gewächs ?
Stärkt er nicht Leib und Seele ?
Erheitert er nicht das Gemüt ?
Gewiß !
Aber das ist nicht Wein , was rot , weiß und gelb , bitter , süß und sauer oft dem unkundigen Gaumen geboten wird , um Kolik , Ekel und verdorbenen Magen hervorzubringen .
Hat man nun wohl , wenn man im Jammer liegt , die Gottheit des Bacchus in sich ?
Den Lethe möchte man aussaufen , um diesen Acheron nur wieder aus dem Leibe zu spülen und zu vergessen .
Ein heiterer Frühlingsmorgen - wie balsamisch !
Wie wird unser Wesen gekräftigt und geläutert !
Man schwelgt in den kühlenden lieblichen Wogen und fühlt , daß auch unsere Lunge ein Organ ist , um geistig sinnliche Wollust zu empfinden .
Aber das Zeug , was sich so oft im November , Februar , oder nach vielen nassen Tagen und in der Nähe von Sümpfen draußen im Freien herumtreibt , - ist das Unwesen denn wohl noch Luft zu nennen ?
Mag der Doktor es vor den Geistern der Blumen und der Dichter verantworten , der seine Opfer in die Höllen-Atmosphäre hinausschickt , um sich in ihr Gesundheit zu erwandeln , oft in einem Hexenwetter , wo der Cerberus sich in sein Hundehaus verkriecht und weder dem Befehl des Pluto gehorcht , noch dem Locken der Proserpina nachgibt , so weit , daß er nur die Schnauze aus der Höhle steckte .
Und hat denn die Luft nicht gewiß auch Krankheiten , wie Wein und Wasser ? und Gesundheitskrisen und Umsetzungen ?
Und dennoch - wer draußen wandelt oder reitet , ist doch noch in einem Krieg gegen das Unwetter begriffen ; ein Element kämpft dann gegen das andere , und in diesem zornigen Anstrengen kann sich die menschliche Gesundheit noch etwas wahren ; aber wenn die Menschen im Spätherbst , oder in schnöder Märzluft oft draußen sitzen , um so recht phlegmatisch das zerstörende Gift einzuschlürfen , so stehen oder sitzen sie noch unter den Tieren , die der Instinkt beschützt , den diese Luftschnapper in sich ertötet haben . "
Die Tante sagte lachend :
" Ich sehe , Sie tragen in Ihrem Busen einen erhabenen Zorn gegen das , was so viele zu ihrer Erholung und Erquickung tun .
Es scheint , Sie haben die Luft so recht nach ihren verschiedenen Qualitäten ausgekostet , und viele derselben verabscheuen gelernt . "
" Die Luft " , fuhr Emmrich fort , " ist Leben und Tod , Schaffen und Vernichten ; aus ihr strömt alles Gedeihen herab , und sie zieht wieder alle Lebenskraft an sich ; sie ist abwechselnd das Edelste und Schlechteste , Heil und Unheil und in sich selbst ein Rätsel .
- Wir verlassen ein Landhaus .
Türen , Fenster , Läden , alles wird dicht , fast hermetisch verschlossen ; kein Sonnenstrahl , kein Luftzug fällt in den verfinsterten Saal ; - treten wir nun nach Jahren in dieses Gemach , so befällt eine beklemmende Angst unsere Brust , ein schwermütiger Lebensüberdruß bedrückt uns ; wir fühlen , wir atmen eine tote Luft ein , ein verwestes Element .
Und woher kommt nun der fußhohe Staub , der auf dem Boden und auf allen Tischen so widerwärtig liegt ?
Wie hat dieser sich erzeugt ? -
In jedem Gemach , welches lange verschlossen war , empfinden wir in geringerem Grade etwas Ähnliches .
Man weicht vor pestilenzialischen Gerüchen mit Abscheu zurück , aber weil das Ungesunde der Luft weder Auge noch Nase so deutlich empfindet , vertrauen wir uns ihr oft mit tadelnswürdigem Leichtsinn . "
" Sie könnten uns ganz ängstlich machen " , sagte die Tante wieder ; " unmöglich kann man so genau auf sich achtgeben . "
" Und soll es auch wohl nicht immerdar " , fuhr der Professor fort ; " wer aber so fein , oder so krankhaft organisiert ist , daß er diese Unterschiede dunkler , oder deutlicher fühlt , dem soll man diese Krankheit nicht abstreiten , oder ihn gar davon bekehren wollen .
Und nun noch der feine , giftige , arsenikalische Zugwind !
Von dem gewöhnlichen , der den meisten Sinnen fühlbar ist , will ich jetzt gar nicht einmal sprechen .
Aber , wer hat es nicht einmal , in der Krankheit wenigstens , erlebt , daß aus einer dicken , festen Mauer eine Luftzug strömt , fühlbar , unverkennbar ?
Man hat es zuvor an dieser Stelle nie gespürt , auch scheine es dort unmöglich .
Es muß Strömungen der Atmosphäre geben , die auf unbegreifliche Weise auch durch feste Mauern dringen , oder die Luft reflektiert zuweilen auf ähnliche Art , wie Licht und Sonnenstrahlen ; der Stoß und Widerstoß erzeugt sich plötzlich aus Ursachen , die wir nicht entdecken können .
Man hat mich oft verspotten wollen , indem meine Freunde mich fragten , ob ich keinen Zug verspüre , indem ein Schrank , oder eine Schieblade geöffnet wird ?
Ich scheue mich gar nicht , zu behaupten , daß ich allerdings etwas Ähnliches empfinde ; es ist die abgestorbene Luftmasse , die sich mit der Zimmerluft plötzlich mischt , wenn der Schrank leer ist ; und wenn es ein Behältnis der Wäsche ist , so quellt aus der feinsten und reinsten eine widerwärtig erkältende Strömung , der ähnlich ( freilich nur im geringen Grade ) , die uns so trostlos befällt , wenn wir einem Trockenplatze vorübergehen . "
Der Graf sagte : " Darin ist aber etwas Wahres , sosehr unser Herr Professor auch übertreibt ; darum muß man auch , wie ich es halte , immer Wohlgerüche zwischen die Wäsche legen und sie selbst im Sommer vor dem Ankleiden wärmen und durchräuchern . "
Nun fingen die Damen , die jüngern , wie die älteren , an , sich lebhaft in das Gespräch zu mischen ; plötzlich aber sprang Albertine eilig auf und rannte mit einem Freudengeschrei einem hübschen , aber noch sehr jungen Manne in die Arme .
Dieser war ihr Bruder , der Kadett , der von der entfernten großen Stadt gekommen war , um an den ländlichen Festen und Theaterspielen teilzunehmen .
Es war natürlich , daß die Freunde das Gedicht vom Berlichingen sehr zusammengezogen , verschiedene Szenen verlegt und vereinigt und alles so eingerichtet hatten , daß es mit nicht gar vielen Dekorationen und einer bescheidenen Anzahl von Mitspielern dargestellt werden konnte .
Es ist übrigens nicht unbekannt daß bei Liebhaberkomödien die Proben eigentlich das ergötzlichste sind .
Alle erstaunten , mit welcher Wahrheit und innigen Rührung Albertine die Maria spielte und sprach , in der Sterbeszene Weisslingen war sie und Elsheim so tief erschüttert , daß beide mit lautem Schluchzen den Auftritt endigten , und das Fräulein sich nachher unwohl fühlte .
Am meisten war der alte Schulmeister , der invalide Husar , welcher mit großer Freude den Selbitz auswendig gelernt hatte , beseligt , daß er mit hohen Herrschaften durch diese Kunstübung in ein so vertrautes Verhältnis trat .
Es war ein Glück , daß dieser Raubgesell keine Szene mit dem edlen Bischof von Bamberg hatte , denn Graf Bitterfeld , der Vertreter des geistlichen Herrn , nahm es dem jungen Baron doch sehr übel , daß er diesen Invaliden aus einem fremden Dorfe herübergeholt hatte , um in Goethes Dichtung mitzuwirken .
Daß des Barons Förster und andere Dienstleute in kleinen unbedeutenden Rollen auftraten , verzieh er und fand es zulässig , weil er auch dafür entschuldigende Beispiele in der Theatergeschichte hoher Aristokratie fand , aber ein unheimischer Diener war ihm unerträglich .
Dazu kam , daß dieser Selbitz sich sehr breit machte und sich mehr hervordrängte , als es seine Rolle eigentlich zuließ , so daß selbst Mannlich , als Götz , etwas empfindlich wurde , und nun , um jenen zu strafen und zurückzustellen , in den Szenen mit ihm noch gedehnter , langsamer und akzentuierter sprach , woraus aber der lahme Selbitz den Vorteil zog , daß man sein Spiel besser und natürlicher fand , als das der Hauptperson .
Mannlich war aber auch glücklich , da er in jeder Probe seine tapfere Gesinnung und seine Biederkeit so recht breit , und sicher , nicht gestört zu werden , auseinanderwickeln konnte .
Indem er nun den Platz der Szene ganz allein einzunehmen strebte , kam es , daß er auf die mit ihm Sprechenden kaum hinhörte und in die Weise , wie er diese anblickte , eine unendliche Verachtung legte .
Dies geschah aber nicht vorsätzlich , sondern unbewußt und in aller Unschuld ; denn nicht allein seinen Gegner Weisslingen , sondern Frau und Schwägerin , sowie Georg , behandelte er ebenso , bloß von dem Gefühl geleitet , welches er über sich selbst und seinen hohen Wert empfand .
Elsheim sah dies alles mit einer gewissen Schadenfreude an und vergaß darüber ganz , daß er bedeutende Kosten , Zeit und Anstrengung darauf verwandt hatte , das herrliche Werk seines hochverehrten Dichters zu parodieren , und in ein komisches Licht zu stellen .
Leonhard war in jedem Augenblick hinter der Szene mit Einrichtungen , Verbesserungen und Ratgeben so beschäftigt , dabei von seinen eigenen Rollen so hingerissen , daß er von diesen Nebensachen , wie von wichtigeren Vorfällen wenig bemerkte .
Er spielte wirklich den Bruder Martin und in den späteren Akten den Lese .
Wenn ihn etwas zerstreute , so war es die Aufmerksamkeit , welche er , selbst wider seinen Willen , Charlotte widmen mußte .
In jeder Bewegung , in der Art zu sprechen , in der Manier , mit welcher sie oft aus der Rezitation ihrer Rolle in die gewöhnliche Sprache , um etwas zu fragen oder anzuordnen , überging , fand er neue Reize .
Er begriff es jetzt nicht mehr , warum sie nicht jene Lebhaftigkeit und vornehme , ja höchst edle Schalkheit , mit welcher sie die Adelheid so meisterhaft vortrug , auch in ihrem wirklichen Leben annehme , denn ihm schien , als wäre ihr diese Sprechweise und ihre Gebärde viel natürlicher , als jene schweigsame Ruhe und fast tonlose Kälte der Rede .
Indem nun alle sich mehr oder minder mit ihren Rollen abmühten , verschwand ihnen in diesen Tagen ihr eigenes wirkliches Leben fast gänzlich , und jeder ertappte sich darauf , daß er auch in den Freistunden seine angelernte Rolle fortspielte .
Diese Selbsttäuschung erreichte beim Grafen Bitterfeld einen so hohen Grad , daß er sich es jetzt erst lebhaft zu Herzen nahm , daß man im letzten Friedensschluß die Bistümer Bamberg und Würzburg säkularisiert habe .
Er faßte so lebhaft Partei für die geistlichen Fürsten , daß er sich mit dem Baron Mannlich , den er verehrte , fast ernsthaft verfeindete , weil dieser , seiner Rolle als Götz getreu , den Despotismus , die Heuchelei und den Geiz der Kirchenfürsten heftig schalt und mit den grellsten Farben ausmalte , und selbst nicht hinhörte , als Emmrich , um ihn zu beruhigen , erinnern wollte , daß dieser Tadel die letzten milden und großmütigen Bischöfe nicht treffen könne .
Der Schulmeister Selbitz , als Mitglied der Kirche , sowie der Ritterschafe , war dreist genug , in diesem Streit auch seine Meinung abzugeben , auf die der hochgestellte Bischof aber gar nicht achtete , und die Götz mit den lautesten Worten und Redensarten als ganz ungehörig abwies .
Als Husar war Selbitz ganz der freibeutereschen Gesinnung des lahmen Kämpen beigetreten , konnte sich aber als Schulmeister , ob gleich er Protestant war , eines gewissen Respekts vor der Würde eines Bischofs nicht erwehren .
So war denn also seine Meinung schwankend und ungewiß und wurde deshalb auch bald aus dem Felde geschlagen .
Alle mußten über das Talent des blutjungen Kadetten erstaunen .
Er spielte seinen Franz mit einer solchen wahren Leidenschaftlichkeit , daß er in jeder Szene von allen Anwesenden große Lobsprüche einerntete .
Charlotte lächelte über diese lebhaften Liebeserklärungen , und Albertine wurde um ihren Bruder besorgt .
Die kleine Dorothea erregte in ihrer Rolle des Georg Freude und Gelächter , weil sie alles neckisch und doch tief empfunden zu sagen wußte , so sehr , daß sich alle um so mehr , ohne es sich zu gestehen , über den ganz hölzernen , hochfahrenden Götz ärgerten .
Der einzige Unglückliche war der alte Förster mit seinem Zigeunerhauptmann .
Denn soviel ihm auch Elsheim zugeredet hatte , sosehr er ihm den Scherz aus dem richtigen Gesichtspunkte vorzustellen versuchte , so gelang es ihm doch nicht , die Schwermut des Alten zu bekämpfen .
An einem Nachmittage , als Leonhard sich in den Garten begeben hatte , um die Kühlung aufzusuchen , traf er Charlotte in jener abgelegenen Laube , in welcher er neulich sich lange mit dem jungen Baron unterhalten hatte .
Sie war ganz allein und schien völlig in Lesung eines Buchs vertieft , doch bemerkte sie ihn und erwiderte seinen Gruß mit freundlicher Höflichkeit .
Auf ihre Einladung nahm er Platz an ihrer Seite , und indem er sie betrachtete , schien ihm das blasse schöne Angesicht in der Dämmerung der grünen Blätter noch schöner und erhabener .
Ihr Auge war schwermütig , und indem sie das Buch aus der Hand legte , sagte sie mit ihrem silberklingenden vollen Ton : " Es ist wundersam , wie man sich immer wieder mit Vorsatz und Kunst diese tiefen Schmerzen bereitet .
Ich weiß es nun stets voraus , wie tief mich dieser Werther bis in den Grund meiner Seele erschüttert , und dennoch muß ich immer wieder , selbst wenn ich nur etwa in dem Buche blättern will , die ganze so furchtbar schöne Dichtung durchlesen . "
" Es ist ein Buch an sich selbst " , sagte Leonhard , " man vergißt völlig , daß es von einem Autor herrührt .
Ich kann niemals ohne den Schauer einer Andacht diese geweihten Blätter aufschlagen .
Will man von Natur , Liebe , Leidenschaft , Lebenslust und Todessehnsucht , von der erhabenen Verzweiflung an sich und allem Geschaffenen , von Kinderweisheit und dem Wahnsinn des gebrochenen Herzens etwas Ewiges vernehmen , so sind hier die Orakelsprüche , die jedem verständlich tönen , der nur Herz und Gemüt zum Tempel mitbringt . "
Sie sah ihn durchdringend an .
" Sie sprechen " , sagte sie dann , " als wenn Sie alles dies erlebt hätten . "
" Mit diesem Dichter " , erwiderte Leonhard , " erlebt man alles , was er uns sagt und singt .
Es ist kein vergängliches Wort , kein gefärbter Schatten , der vorüberfährt , sondern die Wahrheit selbst , das Leben der Herzens .
Wer diesen Dichter nur lesen will wie etwa anmutige Lieblingsautoren , wer nicht ganz in ihm sich verliert und mit allen Gesinnungen in ihm aufgeht , wer dies nicht kann , der tut besser , ihn aus der Hand zu legen . "
" O Sie Prophet ! " sagte Charlotte , "- warum ist es mir nicht so gut geworden , Sie viel früher kennenzulernen ? "
- Sie gab ihm die Hand und drückte sie ihm so herzlich , daß es ihm durch alle Sinne zuckte .
Es kam Gesellschaft , mit der sich jetzt beide schweigend vereinigten .
Am Vorabend der Aufführung waren die meisten Mitglieder der Gesellschaft im Gartensaal versammelt .
Auch die Mutter Elsheims war zugegen , und man ging noch einmal die Liste der Gäste durch , welche man zu der Feierlichkeit gebeten hatte .
Denn Elsheim hatte seinen Willen nicht durchsetzen können , daß nur vor der Mutter und den Bauern des Gutes gespielt werden sollte .
Einige Künstler äußerten , daß es sich nur lohne , vor Freunden und Kennern sich so , wie sie täten , anzustrengen , und die alte Baronesse wollte durch ihre Einladung einige vornehme Damen sich verbinden , die sich seit einiger Zeit , da sie ihnen lange nicht geschrieben , für vernachlässigt halten konnten .
Alles war mehr oder minder in Spannung , und viele träumten schon von den Siegen , die sie am folgenden Abend erringen würden .
Ein Bedienter übergab der alten Dame einen Brief , bei dessen Anblick diese ausrief :
" Was ist denn das ?
Was soll ich denn damit ?
Er ist nicht an mich und auch nicht an meinen Sohn .
» An den Meister Leonhard - abzugeben auf dem Schlosse bei - « Meister !
Was heißt denn das ? "
" Meister ? " wiederholte die Tante , Mannlich und am lautesten der Graf Bitterfeld .
Indem trat Elsheim mit seinem jungen Freunde herein .
Er hörte den Ausruf , sah den Brief und bemerkte , wie Leonhard rot geworden war , auf den sich aller Augen sogleich prüfend richteten .
Er ging schnell zu seiner Mutter , nahm den Brief ihr aus der Hand und sagte : " Ach ! ich wette , Leonhard , das kommt von deiner großen Beschützerin , der italienischen Gräfin Manfredoni .
Du erlaubst mir doch , das Schreiben zu erbrechen ? - Richtig , sie mahnt dich ziemlich dringend an die versprochenen Baurisse zu ihrem Sommerpalais ; höre nur , mein saumseliger Freund , wie dringend sie es macht . "
Er las : " Mio caro Maestro , Ich habe Ihm schon , ehrenwerter Professor und auch großer Maestro in Architettura , vorigen Jahreszeit sehr ersucht und angeflehentlich erbeten , mich zu helfen von wegen meiner Bau- Enthousiasme für mein schön Gartenhaus .
Aber Ihr , sehr angebeteter Maestro , scheint Dolce far niente zu sehr zu exerziere auf Unkost meiner Gartenanlagenhit .
Caro amico , bedenk Du doch , daß ich sehr alt Weib bin , eine Donna von die sechsundsechzig , und habe nicht mehr viel Zeit zu verpasse und Maul aufzusperren , denn die Dringlichkeit will , wenn nicht vorher in mein Erbgräbnis spazier soll , daß Er , Maestro , Meister oder Professor , schnell mache und auch geschwind und cito citissime , weil ich in die andere Welt dort nichts von Ihm kann baue lasse ; denn warum ? ist nichts dort von Zimmerleut und Mauermann anzutreffen , als die armselig Totengräber .
Hat Er also , Carissimo , christlich commiseratione und amore zu mich oder amico mir verbleiben will , so tu Euer Hochgeboren Professor und Meister sich über eine alte Person erbarmen .
Eure Riß haben mir , die Er mir dargestellt , sehr wohlgefallen ; tu mir nun , liebster Mann , die complaisance , mit Ausführung nachzukommen .
Wenn aber kleine Landstreicher wird , ein vagabundo , so kann freilich Architettura in mein Garte nicht gedeihe .
Will Ihm nur sagen , Meister daß meine türkische Generation von die bunte hübsche Ente , die Er so gerne füttern tat , abgestorben und verschieden sind , konnte Klima hier und Kultus nicht vertrage ; das nun , mit mein Alter zugleich , und auch Schmerze in die Hüfte , so da genannt und tituliert wird Sciatica , hat mich denn auch an mein selig Ende erinnert .
Die ich übrigens verharre con l'estimazione , wie sich dem , Meister auf deutsch , auf mein besser Sprache Maestro gebührt , l' amica sua Contessa Carolina Elisabetha Manfredoni .
Post Skript .
Bitte mir gute Bleistift von Seiner Reise mitzubringen , hier brechen alle ab , wenn sie schreiben sollen .
Sonst lebt hier noch alles und ist , bis auf mich , ziemlich gesund . "
Die Zuhörer erfreuten sich dieses verwirrten Briefes , und Leonhard war beschämt , denn er wußte wohl , daß sein Freund diesen halbdeutschen Galimathias nur improvisiert hatte , um ihn aus der Verlegenheit zu ziehen .
Mannlich erging sich in weitläufigen Beweisen , wie sich eine verwöhnte italienische Dame auch in solchem kleinen Briefe nicht verleugnen könne , und wie die Fremden doch niemals , wenn sie auch noch so lange in unserem Vaterlande wohnten , zu Deutschen würden .
Indem nun dieses Kapitel erörtert wurde , zog sich Leonhard mit seinem Briefe nachdenklich auf sein Zimmer zurück und las dort unter mancherlei widersprechenden Empfindungen den wirklichen Brief seiner Frau .
Lieber Leonhard !
Ich sehe , daß es Dir gut geht , und wünsche , daß dies so bleiben möge .
Mir bleibt es noch ungewohnt , Dich nicht hier in unseren Stuben zu sehen .
Alles ist mir so öde , und unser kleiner Franz kommt sich auch so verwaiset vor .
Der Meister Krummschuh kommt öfter zu uns und gibt mir und Deinem ältesten Gesellen , dem Hannoveraner , guten Rat .
Ich kann dem kleinen dicken Mann unmöglich böse sein ( denn er meint es so gut mit uns ) , wenn er immerfort auf dich stichelt , und sagt , Du würdest noch ganz zum Edelmann werden in Deiner hochadligen Gesellschaft ; denn Du hättest Dich schon als wandernder Handwerksgeselle mit Deinesgleichen nicht viel eingelassen ; Du wärest immer zu stolz und hochmütig gewesen , und dergleichen mehr .
Er hat , so gut er ist , doch immer einen kleinen Neid auf Dich , daß Du Dich ansehnlicher ausnimmst und in jeder Gesellschaft Deine Person so ziemlich vorzustellen weißt .
Denn das muß wahr sein , guter lieber Wilhelm , daß ich Dich noch fast nie mit den Vornehmen so verlegen gesehen habe und so linkisch oder großtuerisch , wie so manche Bürgersleute , die dann auch oft so kuriose Redensarten gebrauchen , daß die Ausgelernten heimlich , oder auch öffentlich darüber lachen .
Der Hannoveraner hat einen großen künstlichen Schrank für den Herrn von Heimbüttel übernehmen müssen , der die Arbeit eilig eilig haben will .
Krummschuh tat sich damit groß , daß er Rat geben mußte ; er schmunzelte viel , wurde aber dunkelrot , wie er das an sich hat , bis in seinen fetten Nacken hinein , wo ihm dann , wie Du weißt , die Ader so dick aufschwillt .
Er war nämlich so verlegen und wußte eigentlich nicht links , nicht rechts , so daß es ihm unser Hannoveraner Gottfried immer wieder anders auseinandersetzen mußte , der das Ding gleich weghatte , während der Kleine es doch nicht wollte merken lassen , wie er es nicht recht begriffe .
Das ist mit Euch Handwerksleuten doch etwas recht Besonderes , daß der eine so viel Einsicht und Verständnis hat , und ihm das Geraten sozusagen in die Hände läuft , und andere sich placken und quälen und es doch immer nicht recht zustande bringen .
Doch das ist wohl in allen Ständen , mit Gelehrten und Beamten und selbst Generalen und Fürsten ebenso .
Das ist die große , große Ungleichheit im Reiche der Geister , und dann wollen die Menschen doch oft noch die völligste Gleichheit unter den Menschen .
Aber darin versteht der kleine Krummschuh keinen Spaß ; er will allen Adel abgeschafft haben und auch die Fürsten und Minister ; jeder soll sich selber regieren , meint er , und keiner sich um den anderen kümmern ; und wenn er dann recht in Eifer gerät , so schilt und zankt er auch auf Dich , besonders weil Du mit einem Edelmann so mir nichts dir nichts fortgereist bist .
Das wäre mir alles nicht so ganz wichtig , aber mit unserem alten Magister geht es viel ernsthafter her .
Der wunderliche greise Mann tritt ganz über die Stränge .
Ich fürchte , er bleibt uns ganz aus , so gewaltig hat er sich verändert , und der kleine Franz sagt auch , er könne gar nichts mehr von ihm lernen , weil er immer so konfuse spreche ; und einmal hat er so wunderlich hantiert und sich ohne Not ereifert , daß das Kind ihm weinend fortgelaufen ist und mir seine Not geklagt hat .
Der alte Mann hat , wie ich in die Stube ging , was hergefaselt , was ich nicht habe begreifen können .
Er hat mir auch einen Brief geschrieben , ziemlich umständlich , aus dem ich mich auch nicht habe finden können .
Das ist entweder recht dummes Zeug , oder recht tiefsinnig , vielleicht beides .
So tut es mir also recht weh und bang , Liebster , daß Du nicht hier bist und mir das alles recht auseinandersetzen kannst .
Denn ohne Dich bin ich doch in vielen Sachen gar zu einfältig , und so ärgert es mich jetzt eben auch , daß ich mit der Briefschreiberei nicht so recht fortkann ; mir dünkt , mit der Zunge und mit dem Sprechen geht es um vieles besser .
So ist auch der König , der benachbarte , hier durchgekommen ; dem sind sie hier nicht grün und gewogen , aber sie hatten ihm doch etliche Ehrenpforten und Latten und Leinwand aufgebaut und alles dann recht hübsch überpinselt .
Wie sie denn mit Pinseln jetzt alles machen .
Am Abend hatten sie auch Lampen hineingehängt , von allen Farben .
Jetzt ist alles wieder abgerissen .
Sie sagen jetzt , Stadt und Bürgermeister hätten zuviel getan , indessen hat unser Fürst doch gewiß um diese Herrlichkeiten gewußt und sie gebilligt .
Neulich hätte fast ein großes Unglück entstehen können .
Unsere große Cyberkatze saß ganz ruhig vor unserer Tür in der Sonne .
Da kommt der junge Herr von Wermut vorbei mit seinen zwei großen grimmigen Jagdhunden .
Und , wie die jungen Barons oft sind , hetzt der junge Mensch seine Hunde auf die arme friedfertige Katze , die an so was nicht gewöhnt ist .
Anfangs will sie sich dann wehren und macht die Anstalten , wie die Katzen tun , aber die Hunde ließen sich nicht abhalten .
Franz lag im Fenster und weinte und schrie .
Ich will hinausrennen , aber sowie ich die Stubentür aufmache , rennt unsere Katze , ohne sich umzusehen , denn sie konnte nur in die Stube treten , mir in der Angst vorbei und in unseren Hof hinein , von dem die Tür gerade offen stand .
Ich denke , sie wird sich auf den alten Nussbaum hinaufretten , wie das die Katzen pflegen .
Aber in ihren Nöten vergißt sie alles Vernünftige und springt zu unserem Phylax , unserem großen Kettenhund , in sein Hundehaus hinein .
Nun dachte ich doch wirklich , die arme Kreatur wäre aus dem Regen in die Traufe gekommen , denn Du weiße es ja , daß sie den Phylax , und er sie nicht leiden konnte .
Aber , wie ein galanter Ritter , von denen man liest , stellt sich der dickköpfige ramassierte Hund vor sein Hundehaus hin und treibt so grimmigen Spektakel , daß er die beiden großen Bestien wegbeißt und fortbellt .
Schon wie sie weg waren , räsonnierte das Tier in seiner Sprache noch lange über diesen unverschämten Bruch des Burgfriedens .
Der junge Herr wollte mir mit seiner höflichen Galanterie einige Entschuldigungen sagen , ich aber antwortete ihm ganz schnippisch und empfindlich , der Hund wäre diesmal galanter als er gewesen , denn dieser hätte , wie ein Ritter , die Katze , als Dame , die er eigentlich nicht leiden könne , verteidigt .
Er lachte und ging ab .
Nun ist das nur das Wunderbare , daß seitdem der Hund und die Katze die allerbesten Freunde sind .
Sie besucht ihn oft , sie darf mit ihm speisen , und wenn er von der Kette los ist , sieht man sie manchmal beide im Sonnenschein im Hofe liegen , und wie sie ihren Kopf an den seinigen lehnt und ihn so vertraulich mit den zugekniffenen Augen ansieht .
Auch spinnt sie in seiner Nähe , worüber , wie Franz versichert , sich der Phylax gewaltig soll verwundert haben , als er das zum erstenmal gehört hat .
Seitdem hat auch Franz mit dem Phylax , vor dem er sich sonst immer fürchtete , einen zärtlichen Freundschaftsbund geschlossen , und so sieht man jetzt die drei lieben ungleichen Kreaturen oft auf dem Hofe spielen .
So wäre das denn alles Wichtige und Unwichtige , was ich Dir erzählen könnte ; am meisten liegt mir der Magister auf dem Herzen .
Ich schicke diesmal den Brief gerade an Dich , und nicht , wie wir ausgemacht hatten , durch Einschluß an Deinen Baron ; denn , aufrichtig gesagt , ich traue dem jungen Herrn nicht so recht .
Vielleicht liest er heimlich mein Geschreibe , um darüber zu lachen oder er liefert es nicht gehörig ab , weil ich Dich vielleicht antreibe , recht bald bald zurückzukommen , und das tu ich denn auch hiermit , denn mir wird oft so bänglich , daß Du nicht da bist .
Ich gehe oft aus einer Stube in die andere , als wenn ich was suchte , und wenn ich mich dann besinne , ist es bloß , daß Du mir fehlst .
Ja , wo der Hausherr nicht ist , da ist das ganze Haus verödet .
Ach , Liebster , es ist ja auch gut und hübsch hier .
Aber freilich , treibe dort nur Dein Geschäft zu Ende , freue Dich an der Reise und mit Deinem Freunde , nur denke auch hübsch oft an mich und bleibe mir gut dort unter allen den wildfremden Menschen , die es doch niemals so gut mit Dir meinen können , wie sie sich auch anstellen mögen , als ich , Deine getreue Friederike .
Dieses Blatt versetzte den jungen Meister unmittelbar in die rührende Beschränktheit seines bürgerlichen Verhältnisses .
Er sah sein Hinterstübchen vor sich , den Hofraum , die aufgeschichteten Bretter , den duftenden alten Nussbaum , in dessen Blättern die Abendröte spielte , er vernahm das Geräusch seiner arbeitenden Gesellen und den rührenden , herzlichen und heiteren Ton seiner Friederike .
Er mußte sich fragen , wie er denn in diese Umgebung gekommen sei , und was er hier wolle .
Plötzlich mit allen seinen Gefühlen aus dem Taumel herausgerissen , der ihn bis jetzt umkreiset hatte , erinnerte er sich mancher wunderbaren Erzählung , wie ein Mensch verzaubert und gebannt sein könne , daß er sich , trotz seines besseren Willens , den ihn fesselnden Kreisen nicht zu entziehen vermöge .
So gemahnte er sich . -
Er ging unwillig , unbestimmt im Zimmer auf und ab , setzte sich an das Fenster , öffnete dies , schaute über den Garten hinweg in das Feld hinaus und suchte eigentlich nach Gedanken , um diesen verwirrenden Empfindungen zu entgehen .
So traf ihn Elsheim , der ihn aufsuchte und besorgt forschte , ob jener Brief auch keine betrübenden Nachrichten enthalte .
" Nein , Liebster " , sagte Leonhard , " aber wie sehr ich mich beschämt fühlte , als du mit deiner Geistesgegenwart jenen italienischen Brief improvisiertest , damit ich nur nicht als Tischlermeister in eurer Mitte stände , kann ich dir nicht ausdrücken .
Sehe ich nun Säge , Hobel , die Gerätschaften dort im Saale an , so ist jeder Ruck des Instruments , jeder Aufschrei desselben für mich wie ein höhnender Vorwurf . "
" Du hast meiner Freundschaft dich und deine Zeit aufgeopfert " , sagte Elsheim , ihn begütigend .
" Du hattest selbst Lust an dieser Reise , deine Maskerade ist jetzt nicht mehr aufzuheben , und du kannst mir nur danken , daß ich dich nicht für einen Reichsgrafen ausgegeben .
Als solchen würden dich die alten Mütterchen und Bitterfeld so in Untersuchung und ins Gebet nehmen , daß deine Unwissenheit in Genealogie und Stammbäumen bald an das Tageslicht käme , in der Architektur kannst du es aber hier gewiß mit allen aufnehmen . "
" Und morgen also ? "
" Ja morgen , Freund Leonhard , läuft nun das große gewaltige Kriegsschiff vom Stapel .
Ich habe mit meiner Mutter noch viele Kämpfe gehabt .
Da hat sie die Schwester meines Vaters einladen müssen , die zwölf Meilen von ihrem Kloster herkommt , wo sie protestantische Äbtissin ist .
Diese Dame hat eine Zeitlang in Paris gelebt , sie hat in der Jugend am Hofe eines Fürsten Racines Andromaque französisch deklamiert und gespielt , zum Erstaunen , wie man erzählt , aller Menschen .
Wird also in ihrer Familie Komödie gespielt , so würde sie , wie meine Mutter sagt , es für die allergrößte Beleidigung halten , wenn man sie als Kennerin und ausgemachte Künstlerin nicht dazu beriefe .
Sie bringt nun gar noch eine Fürstin mit , eine alte Dame , die wenigstens den Titel Durchlaucht verlangt .
Diese furchtbare Fee geniert selbst meine Mutter .
Ein Minister-Resident des benachbarten Hofes hat sich auch melden lassen , so daß wir , da das Haus schon besetzt ist , fast in Verlegenheit kommen , wo wir alle diese vornehmen Gäste einquartieren sollen .
Ich hatte es mir anfangs so schön ausgedacht , daß wir alle diese Späße so ganz unter uns treiben sollten , von allen Kritikern fern und unbeachtet , und nun drängen sich Auge und Nase aus den Zeiten Louis quatorze in unseren Saal . "
" Und dabei die Darstellung selbst " , erwiderte Leonhard , " wie weit sind wir doch von unserer Absicht weg verschlagen !
Wenn Goethe während der Aufführung in den Saal träte müßten wir uns nicht schämen ?
Ist es doch , als habe man aus Bosheit sein Werk in das Komische übersetzen wollen . "
" Ich gebe es zu " , erwiderte Elsheim verdrießlich , " daß es durch meine Schuld geschehen ist ; gehen wir aber auch nicht zu weit .
Die Hauptperson abgerechnet , macht sich das übrige sehr gut ; manches sogar über meine Erwartung . "
Aber eben die Hauptperson , meinte Leonhard , um die sich doch das ganze Gedicht drehe , wenn diese so völlig von aller Natur und allem Menschlichen abweiche , so müsse ja , möchten die anderen tun , was sie wollten , die Darstellung zur Farce herabsinken .
" Lassen wir der Galeere ihren Lauf " , erwiderte Elsheim ; " mag sie sehen , wie sie mit Wind und Wellen zurechtkommt . "
Indem fuhren mehrere Equipagen vor ; es waren die vornehmen Gäste , und Elsheim eilte hinunter , um sie zu empfangen und zu bewillkommnen .
Im Gartensaal war nun große Verwirrung und viel Durcheinanderlaufen von Herrschaften und Domestiken .
Emmrich , Leonhard und die jungen Mädchen hatten sich entfernt , um die Unruhe nicht zu vermehren und um ihre Rollen für den morgenden Abend noch einmal genau durchzugehen .
Als man unten im Saal etwas beruhigt und zum Sitzen gekommen war , sagte die Äbtissin zur Wirtin des Hauses : " Ja , ma chère soeur , so sehen wir uns doch noch einmal wieder , und zwar führen uns die Musen selbst zusammen .
Aber , Liebe , wie ich auch in der Littérature dramatique bewandert zu sein glaube , von diesem Götz eines gewissen Herrn von Berlichingen habe ich noch niemals etwas vernommen . "
" Er ist mir auch ganz unbekannt " , antwortete die Mutter , " und ich habe mich auch jetzt nicht weiter um die Sache bekümmert , weil mir alles neu bleiben soll , und ich mich gern überraschen lasse . "
" Da es keine Tragedie ist " , sagte die Äbtissin , " so hast du nicht ganz Unrecht , ma soeur .
" " Die Berlichingen " , fing der Reichsgraf an , " sind eigentlich , soviel ich weiß , ein fränkisches Geschlecht .
Es sind aber auch Berlichingen im österreichischen Dienst .
Vielleicht rührt also das Gedicht von einem jungen Wiener Poeten her . "
" Sie haben recht , Graf " , fiel die Äbtissin bei ; " ein anderer österreichischer Kavalier , der zwar jetzt nicht mehr jung sein kann , gab uns ja damals den Postzug oder die noblen Passionen .
Der große Friedrich von Preußen erklärt diese Produktion für das beste deutsche Theaterstück .
Dieses Urteil machte dazumal dem Kavalier , dem Herrn von Ayrenhof , sehr viele Ehre . "
" Gnädige Tante " , antwortete Elsheim , " das Stück selbst heißt :
Götz von Berlichingen , und Goethe ist der Verfasser desselben . "
" Dank , mon neveu " , erwiderte sie ; " nun orientieren Sie mich einigermaßen .
Ah ciel !
wenn mich mein Gedächtnis nicht ganz täuscht , so wird dieser Monsieur Goethe auch in derselben Schrift des höchstseligen Königs erwähnt .
O ma soeur , da wirst du ein monstre zu sehen bekommen , ein ganz geschmackwidriges Ungeheuer .
Da sind alle Einheiten verletzt , und keine Kunst und keine Schönheit zu hoffen .
O mon neveu ! daß die Jugend so gern von der Regel abweicht , denn Sie haben ja das Ding eingerichtet . "
" Wenn ich nur überrascht werde " , sagte die Mutter , " so frage ich nach den sogenannten Regeln nicht so gar viel . "
" Und verwechseln Sie nicht , Gnädigste " , fiel der Reichsgraf ein , " diesen mir unbekannten Dichter Gotha mit jenem Engländer Shakespeare , gegen den , wie ich mich etwas dunkel erinnere , der Zorn des Monarchen sich vorzüglich wendete . "
" Kann sein " , antwortete die Dame , " denn ich bin seit lange der critique und den belles lettres etwas fremd geworden . "
An diesem Abend speisten die Fremden , die spät angekommen waren , mit dem älteren Teil der Gesellschaft und begaben sich früh zur Ruhe ; die künstlerischen Personen legten sich mit einiger Besorgnis nieder , wie das unternommene Wagestück morgen gelingen und ausfallen werde ; nur Baron Mannlich war völlig sicher und sorglos , weil er seinem Talent unbedingt vertraute .
Aurora führte nun auch diesen wichtigen Tag herauf , und wenn man die Künstler beobachtete , so war es nicht zu verkennen , daß die meisten in einer großen Aufregung sich befanden .
Sie aßen an der Mittagstafel nur wenig und verfügten sich eilig in ihre Zimmer , die Umkleidung zu bewerkstelligen .
Schon in den letzten Tagen war mit Schneidern und Näherinnen vielfach verhandelt worden ; jetzt wurden noch die letzten Verbesserungen vorgenommen .
Endlich wurden auch nach und nach die Lampen angezündet , und man hörte schon hinter dem Vorhange das Wogen und Rauschen der Eintretenden , und wie verschwimmende Laute das mannigfaltige Gespräch .
In reichen seidenen Armsesseln saßen vorn die Baronesse Elsheim und die Äbtissin , sowie die Fürstin und der Reichsgraf ; auf gewöhnlichen Stühlen einige geladene Gäste aus der Nachbarschaft ; etwas von den Herrschaften entfernt die Dienerschaft des Schlosses und Landleute , Untertanen des Barons , denen Elsheim diese Freude gönnen wollte .
Von den Gerichtspersonen , die vor einiger Zeit bei der Übergabe des Gutes an Elsheim waren beteiligt gewesen , hatten sich einige auch die Erlaubnis ausgebeten , an diesem Abend sich wieder einfinden zu dürfen .
So war der große Saal ziemlich angefüllt , und so ruhig sich auch , aus Respekt vor den Herrschaften , die Landleute hielten , so vernahm man doch in halblauten Gesprächen , wie sie alle , die wohl noch nie ein Schauspiel gesehen hatten , auf das Heben des Vorhanges und die Entwicklung der Darstellung neugierig und gespannt waren .
Mannlich , als Regisseur , stand schon mit seiner Klingel in der Hand bereit .
Das Theater war leer , und Leonhard hatte eben mit Lachen die kleine Dorothea betrachten müssen , die sich in dem zu großen Küraß des Hans komisch , aber allerliebst ausnahm .
Die erste Szene in der Schenke blieb weg , und das Stück sollte sogleich mit dem Monologe des Götz beginnen .
Die Szene war daher Wald , und vorn als Seiteneinsatz das Wirtshaus .
Aus dem offenen Fenster desselben , in der Kulisse stehend , lehnte jetzt Leonhard , als Mönch gekleidet .
Er erschrak fast , da jetzt von gegenüber Charlotte , als Adelheid , hereintrat , im weißen Atlaskleide ; im vollen braunen Haar einen leichten Kranz von Myrten und weißen Rosen ; Hals , Schultern und ein Teil des schön gewölbten Busens frei .
Leonhard hatte nie geglaubt , daß weibliche Schönheit so groß und glänzend , so bezaubernd einhertreten könne .
Wie schalt er jetzt auf sich , daß er sonst oftmals auf geschminkte Weiber im moralischen Zorne gescholten hatte Denn nur mittels der Schminke konnten beim Schein der Lichter diese dunklen Augen so überirdisch glänzen , nur gegen aufgetragenes Rot Stirn und Augenbraunen von den Wangen durch reinen Glanz so abstechen .
Um so mehr leuchteten dadurch Busen und Schultern .
Während er noch diese Betrachtungen anstellte , trat sie zu ihm , stellte sich an das Fenster und sagte , indem sie ihm das Buch reichte : " Ach , lieber Leonhard , ich bin so ängstlich , überhören Sie mir schnell noch einmal die ersten Reden meiner Rolle , ob ich auch sicher bin . "
Er nahm das Buch , und sie stand , nur durch die leinene Wand von ihm getrennt , dicht neben ihm sie sah mit in das Buch , das er ihr hinhielt , und so kam von selbst die Hand , welche die Blätter hielt , auf den schönen festen Busen zu liegen .
Sie sagte die Worte her , und er half ein .
" Nun die Stelle " , rief sie , " wo ich immer am unsichersten bin . "
Sie zeigte mit den Fingern , etwas mehr umgewendet , in die Schrift , und so drückte sie seine zitternde Hand fester auf den Busen .
Er konnte die Stelle , die sie suchte , nicht finden , sie sah vom Buche auf und ihn lächelnd an , doch , indem sie den Mund öffnete , um zu sprechen , erscholl die Klingel des Regisseurs , und sie schlüpfte hinter die Szene .
Nach einer kurzen Musik hob sich der Vorhang .
Leonhard verließ träumend und seltsam bewegt seinen Standpunkt , um hinter dem Walde wegzugehen , damit er als Mönch von der anderen Seite hereinkommen könne .
Er hörte nichts von dem zu laut gesprochenen Monolog des Götz ; er sah den kleinen liebenswürdigen Georg nicht , bei dessen Erscheinen der ganze Saal von lautem Gelächter erscholl ; er dachte einzig an die unbillige Rüge seines Freundes , der Charlotte mit jenen grell funkelnden Kunstblumen verglichen hatte , die aus der Folie geschlagen werden .
Er mußte sich sagen , daß Gold , Diamant und Edelstein , Blume und alles , was im Lichte schimmert und glänzt vor dem hellen Leuchten eines schönen weiblichen Körpers erblindet .
Diese Betrachtungen waren ihm jetzt die natürlichsten , sie rissen seine Seele ganz in diese Anschauung und Fühlung hinein , und es kostete ihm einen harten und beschwerlichen Kampf , um auf sein Stichwort zu achten , welches nun bald ertönte , und das den ganz Zerstreuten auf die Bühne und vor die Blicke aller Zuschauenden hinrief .
Es war ihm schwer sich zu sammeln , und seine ersten Worte zitterten ; doch fand er die Fassung wieder und sprach die Szene nun , um nicht in jenes undeutliche Lallen wieder zu geraten , zu stark .
Als er an die Rede kam : " Und eure Weiber ?
- Ihr habt doch eins ! -
Und doch war das Weib die Krone der Schöpfung ! " sprach er mit einem unbilligen Enthusiasmus .
Er war froh , als er seine Szene geendigt hatte und sich nun in das angewiesene Zimmer begeben konnte , um sich zum Lese neu anzukleiden und anders zu schminken .
Elsheim als Weisslingen erschien sehr liebenswürdig .
Sein weicher Ton , seine schlanke Gestalt und sein edles Antlitz imponierten den Zuschauern und rührten sie zugleich .
Bei seinem Auftreten verschwand Mannlich als Götz völlig in ein Nichts .
Dessen rohe Art , mit der er die Sprache behandelte , sein ungeschicktes Benehmen und die stets zu weit ausgreifende Gebärde fielen nun erst recht als unziemlich ins Auge .
Die Tante als Elisabeth und Albertine als Marie waren zu loben ; ein hübsches Kindchen hatten die Frauen zum Carl gut abgerichtet , und so ging der erste Akt zum Wohlgefallen der meisten Zuschauer zu Ende .
Weisslingen hatte schon während des Spieles ein lautes störendes Schluchzen , welches zwischen den Kulissen hervortönte , und das er zu kennen glaubte , zu seinem Verdrusse vernommen .
Sowie also der Vorhang fiel , ging er zu dem alten Förster , von dem diese Klagelaute herrührten , und der händeringend und stark weinend hinter dem Theater herumirrte .
Der Alte gewährte in seinem Zigeunerkostüme und in seiner Verzweiflung einen fratzenhaften Anblick .
Da er sich gar nicht zufriedenstellen wollte , und Elsheim einsah , wie die Sache sich im letzten Augenblick nicht einrichten ließe , er auch eine lächerliche Störung befürchtete , so gab er den Alten frei , der auch sogleich mit heulenden Jubel davonrannte .
Weisslingen nahm sich vor , nach seinem Tode selbst noch die kleine Rolle des Zigeunerhauptmanns auszuführen .
Doch eine weit schlimmere Störung kam von einer ganz anderen Seite , denn das Schicksal hatte beschlossen , daß diese Sorgen Elsheims für heute anderen Platz machen sollten .
Beim Umkleiden sagte Leonhard zu sich selbst :
Wie ist mir denn ?
Ich komme mir wie ein Knabe vor .
Ist dies das erste Mädchen , welches mir jemals seine Gunst zu erkennen gab ?
Es ist ja auch möglich , daß alles nur Zufall war und ohne Absicht geschah .
Doch war ihr Blick von einer Freundlichkeit , mit der ihr Auge mich noch niemals angeschaut hat .
Auch irre ich wohl nicht , wenn ich Schalkheit in diesem lächelnden Auge zu lesen glaubte .
Er eilte , um so wenig als möglich die Szenen zu versäumen , in welchen Adelheid auftrat .
Sie kam ihm bewundernswürdig vor , und immer tiefer wuchs dieses zauberhafte Wesen in sein Herz hinein .
Es schien fast , als wenn Elsheim ungern seine Szenen mit Alibertinen spielte , und als nun der überaus treuherzige , etwas rohe Selbitz auftrat , vernahm man im ganzen Saal eine Bewegung und das Summen eines ungeteilten Beifalls .
Die Dienerschaft und die Landleute glaubten einen aus ihrer Mitte zu vernehmen , und dieser Charakter war ihnen um so lieber , weil sie den Darsteller , den Schulmeister , persönlich kannten und oft in der Schenke , oder in ihren Häusern ganz vertraut mit ihm umgingen .
Die höchsten Herrschaften aber , die den Schauspieler nicht kannten , kamen darin überein , daß er der beste von allen sei und wahrscheinlich als ein vollendeter Künstler , von irgendeiner großen Bühne vom jungen Elsheim für dieses Spiel sei verschrieben worden .
" Warum " , sagte die Fürstin , " hat man diesem Manne nicht die Hauptrolle übertragen ? "
- Der Reichsgraf flüsterte der Fürstin und Äbtissin zu :
" Aber bemerken Durchlaucht die unendliche Kunst des Mannes , mit welcher er seine Maske angeordnet hat .
Wie hat er nur diesen unvergleichlichen Stelzfuß zustande gebracht ?
Sollte man nicht schwören , das Bein sei ihm unterhalb des Knies wirklich abgenommen worden ?
Und wie er mit dem scheinbaren oder wirklichen Holze stampfen kann , wenn er in Zorn gerät !
Ich vermute fast , dieser Selbitz ist der berühmte Iffland selbst , der nach Aussage von Kennern so einzig die Kunst sich zu maskieren versteht . "
" Wäre das Stück nur nicht " , erwiderte die Erlauchte , " so ganz vom gemeinsten Charakter !
Das Dekorum und der Anstand sind doch nicht im allermindesten beobachtet .
Wo hat der Autor diese Menschen nur aufzufinden gemeint , denn sie handeln und sprechen in einer Weise , die ganz an das Unmögliche grenzt . "
" Wir Deutschen " , bemerkte der Reichsgraf , " sind noch zu sehr in Bildung und Kritik zurück .
Und vollends jetzt !
Man hat , wie ich höre , die französischen Muster , die uns noch zur Richtschnur dienen konnten , völlig verlassen und will nun mit Sitten des gemeinen Mannes , mit Sprichwörtern und Provinzialismen , mit der ärmsten Bürgerlichkeit und der Roheit der ungebildeten Stände ein deutsches Wesen etablieren , das nun ebenso national werden soll , wie Racine und Corneille bei den Franzosen .
So hat mich wenigstens ein gelehrter Freund versichern wollen .
Und dies Ding , was wir hier vor uns sehen , ist offenbar jenem Shakespeare nachgeahmt , der auch Welt und Menschen nicht kannte , und in der Roheit seine Originalität suchte und fand . "
" Sehr wahr " , erwiderte die Äbtissin , " und man sieht wohl , daß mein guter Neveu auch aus dieser seltsamen Schule herkommt .
Aber er sieht hübsch aus in seinem Kostüme , nicht wahr , ma soeur ?
" " Ich verstehe den Zusammenhäng von der ganzen Sache nicht recht " , erwiderte die Mutter , " es ist weder eine Konspiration , noch eine Liebesgeschichte ; man erfährt immer wieder etwas Neues und muß darüber das vorige vergessen .
Am meisten gefällt mir Albertinchen ; ich wollte , die weiche Personage wäre die Hauptperson , denn sie hat mich schon ein paarmal recht herzlich gerührt .
Mein Sohn , das fürchte ich immer mehr , wird sich schlecht gegen sie betragen , und sich in die Stadtdame vergaffen . "
" Die Adelheid , oder wie sie heißt " , fing die Erlauchte wieder an , " müßte sich aber ganz anders betragen , denn sie ist bei weitem nicht vornehm genug . "
" Ja wohl " , sagte die Äbtissin .
" Ah ! das verstand die Clairon , die ich noch in meiner allerfrühsten Jugend gesehen habe , ganz anders .
Sie ist , diese junge Charlotte hier , viel zu liebenswürdig für ihre Rolle . "
So war der zweite Akt vorübergegangen , und , als der Vorhang wieder fiel , lobten sich die Spielenden untereinander , und Adelheids Benehmen und ihr Ton wurden von allen bewundert .
" Aber daß wir nur nicht unsere liebe herrliche Dorothea darüber vergessen " , rief Elsheim aus ; " was sind wir nicht diesem allerliebsten Fräulein für ihre Gefälligkeit schuldig !
Ohne ihre Bereitwilligkeit war das Stück unmöglich ; und welch ein schönes Talent hat sie entwickelt !
Ich halte diesen Georg für eine der wichtigsten Personen im Stück und für eine der schönsten Charakterzeichnungen , die uns der große Dichter nur jemals gegeben hat . "
" Nun aber " , sagte Mannlich , " entwickelt sich erst im dritten Akt am meisten der heroische Charakter des Götz .
Auch Georg tritt dreister auf , und der alte Selbitz hat die herrliche Szene , wo er verwundet unten am Turm liegt , in dessen Luke der Knecht hinaufsteigt .
Da müssen wir uns recht angreifen .
Wie schade , daß ich nicht zu Pferde kommen kann , wie es im Original vorgeschrieben ist . "
" Ha ! was Pferde " , schrie der Schulmeister , indem er seine Krücke schwang ; " die können wir entbehren .
Ich und der Baron Mannlich , wir wollen beide schon selbst so bestialisch wettern und rumoren , daß man keine andere Kreatur vermissen soll ! "
Mannlich sah den Alten , der zu sehr begeistert war , von der Seite an und wußte nicht , was er ihm antworten sollte .
Er eilte von der Bühne , um nachzusehen , ob alle Verwandlungen und Umkleidungen vorbereitet seien , damit man so bald als möglich den dritten Akt beginnen könne .
In diesem Akt hatte Elsheim am meisten zusammenziehen müssen , weil die Szenen im Original zu schnell wechseln und eine ganz wörtliche Aufführung unmöglich machen ; doch hatte er mit großer Sorgfalt jeden charakteristischen Zug , jede schöne Rede beibehalten , nur waren die Reichstruppen und Götzens Leute mehr in ihren Szenen beisammen , und Elsheim hoffte , daß in dieser Zusammenziehung seine kleine Bühne so ziemlich schicklich das Gedicht darstellen würde .
Da man in der Anordnung den Wechsel der Szenen mehr andeutete , als ihn wirklich ausführte , und ein vorgeschobener oder weggezogener Busch eine andere Landschaft vorstellte , so konnte man rasch vorschreiten und vereinigen , ohne daß der ursprünglichen Form des Gedichts zu sehr Gewalt angetan wurde .
Selbst Mannlich , hingerissen von der Bewegung , spielte und sprach schneller , als in den vorigen Akten .
Der Auftritt , in welchem Selbitz verwundet herbeigeführt wird , wurde mit Präzision gegeben und fand vielen Beifall ; über die Reichstruppen wurde gelacht , und Götz hatte den vollständigsten Sieg davongetragen .
Leonhard hatte sich wieder gesammelt , und gab seinen Lese mit der einfachen Biederkeit , die ihm selbst so natürlich war , so daß er gegen Mannlich , der immer mit vollem Munde predigte , lebhaft kontrastierte .
Früher schon hatten Adelheid und der Kadett als Franz ihre Szene vortrefflich gespielt , und Sickingen , der Professor , war in allen Auftritten so gehalten und ruhig , wie es sein Charakter erforderte .
Georg erschien allen als unverbesserlich und darum noch mehr zu loben , weil man ganz vergaß , daß ein junges Mädchen diesen heroisch munteren Knaben spielte .
Nun aber waren die bis dahin glücklichen Kämpfer in ihrer Burg eingeschlossen .
Mannliches Brust hob sich stärker , als gewöhnlich , und man sah es ihm an , daß er einen großen Moment , einen auffallenden Effekt präparierte .
Er hatte schon von Sickingen und seiner Schwester Abschied genommen , und nun vernahm er von außen die Trompete und die Aufforderung , sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben .
Mannlich hatte durch seine tapfere und mutige Haltung jetzt die Meinung aller gewonnen ; selbst die hohen Herrschaften auf ihren Sesseln schwatzten nicht mehr und hatten sich einer gewissen Täuschung ergeben , als jetzt der Ritter dem Trompeter jene ungezogene Antwort gibt , die er freilich in seiner Lebensgeschichte aufgeschrieben , und die auch Goethe in den ersten Auflagen des Gedichtes beibehalten , nachher aber weggestrichen und bloß angedeutet hat .
Mannlich aber , um dem echten Original und der Wahrhaftigkeit der Geschichte nichts zu vergeben , sprach mit der lautesten Stimme und in noch langsamerem Tempo , als sonst , noch gehaltener und jedes Wort und jede Silbe akzentuierend , die ganze Ungezogenheit schreiend aus .
Es ist nicht leicht zu beschreiben , welche Wirkung diese deklamierte Stelle im ganzen großen , mit Menschen überfüllten Saale hervorbrachte .
Es ist keine Übertreibung , wenn man behauptet , daß noch niemals ein dargestelltes Theaterstück so ungeheuer drastisch gewirkt habe .
Die Bauern ergaben sich dem unmäßigsten Gelächter , die Dienstleute erschraken ; denn alle waren überzeugt , die Stelle sei vom Baron extemporiert , es sei irgend etwas auf dem Theater vorgefallen , und er richte sie im Zorn und in der Wut an jemand anders , als an den Trompeter .
Die Gerichtsleute schmunzelten und bedeckten in der Verlegenheit ihre Gesichter mit dem Taschentuch .
Wahrhaft furchtbar aber traf der Schlag in das Parterre noble .
Die Erlauchte schrie laut auf und lag in Ohnmacht ; die Äbtissin bekam ihre Krämpfe und rief nach ihrem Kammermädchen und um Hilfe ; die Mutter , selbst einer Ohnmacht nahe , bemühte sich um die Freundinnen und rettete in lautes Weinen und Schluchzen ihre Besinnung ; der Reichsgraf rief scheltend nach Bedienten , und Weisslingen , der , selbst erschreckt , aus den Kulissen diesen ungeheuren Aufruhr sah , der sich unten im ganzen Saal erhob , denn alles war aufgestanden und lief durcheinander , sprang schnell über das Orchester hinweg vom Theater herunter zu seiner Mutter und der hilfsbedürftigen Gruppe , um welche sich alles drängte .
Dort war Schreien , Weinen , Krampf , Ohnmacht und Schelten , und Elsheim wußte nicht , was er zuerst tun , wie er am besten raten sollte .
Mannlich hatte sich erstaunt und mit offenem Munde vorn an das Proszenium gestellt , denn auch auf dem Theater war ein Stillstand des Entsetzens eingetreten , als Weisslingen von unten zur Bühne hinaufrief , daß man den Vorhang niederlassen solle .
Dies geschah , und so war im allgemeinen Tumult , ohne Epilog oder Entschuldigung , das historische Schauspiel vom Götz von Berlichingen für diesen Abend zu Ende und beschlossen .
Bediente , Kammermädchen , Läufer , der Haushofmeister , alles hatte sich herbeigemacht , um die alten Damen zu führen , zu heben und aus dem Saal zu tragen .
Man begab sich nach einem anderen Zimmer ; Sofas und Lehnstühle wurden für die Kranken und Leidenden herbeigeschoben und geordnet , sowie die Hausapotheke in Anspruch genommen .
Als die Damen sich etwas erholt hatten , ergossen sich alle , unter Vortritt und Vorspruch des Reichsgrafen , in unerschöpfliche Vorwürfe gegen Elsheim , der in sein Haus einen Mann eingeführt und als seinen Freund dargestellt habe , welcher , uneingedenk seines Standes und was er der Gesellschaft schuldig sei , sich so ungeheure Sottisen erlaube .
" Jawohl , jawohl " , unterbrach sie die Mutter weinend , "- ach , wer hätte so was in dem Manne gesucht !
Ja wohl war das eine Überraschung , die mir zubereitet wurde .
Um den Schlag zu kriegen ! "
" Er ist zu sehr unter mir " , rief der Reichsgraf , " sonst würde ich diesen Herrn von Mannlich auf Ritterweise darüber zur Rechenschaft ziehen , daß er frech und roh es gewagt hat , uns , der Durchlaucht , der Frau Äbtissin und mir , so was in Gegenwart von Bauern und Domestiken laut zuzurufen . "
" Wie ? " sagte Elsheim erstaunt , " Sie meinen gar , wenn ich Sie nicht mißverstehe - "
" Ja , ja ! " rief die Erlauchte , die sich jetzt etwas erholt hatte , " das leidet gar keinen Zweifel .
Er sah schon immer in den vorigen Szenen so giftig nach uns hin .
Er war darüber erbost , daß wir uns einige Zweifel erlaubten . "
" Wohl ! " fuhr der Reichsgraf zornig fort , " er mochte merken , daß wir dem echten großen Schauspieler , dem Selbitz , den Vorzug gaben ; wir sprachen laut , er hat es wahrscheinlich oben gehört ; und nun stellt er sich vorn an die Lampen , sieht uns starr und höhnisch grinsend an und schreit uns - uns diese niederträchtige Grobheit , ärger , als es ein Sackträger , schlimmer , als es ein Stallknecht tun könnte , entgegen , winkt und dreht dabei mit den Händen und Augen noch so wunderlich - "
" Ja , recht absonderlich " , rief jetzt die Äbtissin .
" Ich hätte , wenn ich es nicht erlebte , dergleichen niemals für möglich gehalten . "
" Was hat sich der Mann nur dabei gedacht " , sagte die Mutter , " den wir immer so freundlich aufgenommen haben ? "
" Verehrte " , sagte jetzt Elsheim etwas ungeduldig , " fern sei es von mir , die Ungezogenheit des Barons auch nur irgend entschuldigen zu wollen ; die Roheit ist zu auffallend ; aber ich schwöre Ihnen bei meiner Ehre , Ihr unbegreiflicher Argwohn wenigstens ist ganz ungegründet .
Diese anstößigen gemeinen Worte sind in der Tat im Stück , sie sind so gedruckt , nur hat sie später der Verfasser selbst als unziemlich wieder weggestrichen .
Höchst tadelnswert ist Mannlich , daß er die alte abgesetzte Leseart so willkürlich wieder aufgenommen hat .
In den Proben ließ er sich nichts davon merken , daß er sie sprechen und wie sprechen würde . "
" Und wie ! " wiederholte der Reichsgraf , " uns so starr dabei ansehen , so mit den Händen gegen uns fechten und wie ein Zahnbrecher schreien ! "
" Also " , sagte die Äbtissin , " in dieser deutschen Tragedie findet sich wirklich diese ganz unzüchtige und obszöne Tirade ?
Und ein solches Stück , Neveu , suchen Sie aus und studieren es ein ?
Das also ist die neue deutsche Bildung und der jetzige Geschmack ? "
" Es war Ihre Pflicht , Herr Baron " , sagte die Erlauchte mit starkem Ton , " uns davon in Kenntnis zu setzen , daß es eine Parade sei , die Sie uns zum besten geben wollten ; hätten wir dieses erfahren , so hätten wir uns gewiß nicht hierherbemüht ! "
" Parade ? " nahm die Äbtissin das Wort auf ; " ungezogene und skandalöse Paraden wurden wohl früherhin auch in den Palästen der Herzoge von Orléans und Conti gespielt , aber , auf meine Ehre , niemals hörte man doch so pöbelhafte Grobheiten , die ohne Witz und Bedeutung bloß niederträchtig sind . "
" Ich kann den Baron jetzt nicht und noch lange nicht wiedersehen " , sagte die Mutter ; " bedeute ihm nur dies , das bitte ich mir aus von dir , mein Sohn .
Er hat mich und uns alle zu gröblich beleidigt . "
" Und wir verlassen das Haus morgen mit dem frühesten " , sagte die Erlauchte .
" Eine Art von Glück , daß das edle deutsche Schauspiel so endigen mußte , denn wer weiß , was uns nach diesem echantillon noch alles bevorstand . "
Unerachtet der dringenden Bitten der Mutter wollten die Damen nicht länger verweilen , weil man sie zu tief und schonungslos verletzt habe , und der Reichsgraf , der durchaus ihren Zorn billigte und teilte , gab ihnen in allen ihren Beschwerden und Äußerungen recht .
Auch die Mutter war so aufgebracht , daß sie sehr leicht dem Ersuchen der Äbtissin nachgab , sie alle nach der Residenz zu begleiten , wo sie wenigstens acht Tage hindurch in Konzerten , Opern , Schauspielen und Assembleen , wie in einem Gesundbrunnen , dieses ungeheure Erlebnis von sich abwaschen und die Verwundung des Herzens heilen wollten .
Auf dem Theater , zu welchem Elsheim jetzt zurückkehrte , herrschte noch größere Verwirrung .
Alle Mitspielenden hatten den Baron Mannlich bestürmt , gefragt , getadelt und gescholten , wie er sich so sehr habe vergessen können , auf so skandalöse Weise das Schauspiel zu beschließen , als wenn das letzte Epigramm gleichsam die moralische Nutzanwendung des ganzen Gedichtes hätte vorstellen sollen .
Er wehrte sich , so gut er konnte , doch ließ man ihn nur wenig zu Worte , und da einige der Nebenpersonen , am meisten aber der husarische Schulmeister , mit etwas empfindlichen Vorstellungen in ihn drangen , der Graf Bitterfeld aber beinahe beleidigend wurde , so fürchtete Emmrich schon , daß er den Ausdruck des klassischen Dichters , oder wenigstens einen ähnlichen in seiner eigenen Angelegenheit wiederholen möchte .
Elsheim kam gerade zur rechten Zeit , um die streitenden Parteien , wenn auch nicht zu versöhnen , so doch einander näherzubringen .
Er beruhigte also den zu ungestümen Schulmeister , lobte und beschwichtigte den eifernden Kadetten , der außer sich war , daß er seine schöne Rolle nicht hatte zu Ende spielen können , in welcher ihm noch Umarmung und herzlicher Kuß der vergötterten Adelheid bevorstanden , die er nicht so obenhin und nur andeutend zu spielen gedachte , wie es ihm in den Proben war vorgeschrieben worden .
Die Damen , wie empfindlich sie auch natürlich waren , äußerten sich billiger , und so gelang es Elsheim und dem Professor Emmrich , die Sache nach und nach mehr in das Komische zu lenken .
" Wie durfte ich glauben " , rief Mannlich , nachdem es etwas ruhiger geworden war , " daß eine Tirade , freilich aus dem gemeinen Leben , aber doch aus der wirklichen Geschichte des treuherzigen Götz genommen , von unserem größten Dichter geweiht und geheiligt , ein solches Ärgernis erregen könnte .
Ist die Ungezogenheit , oder Roheit , wenn wir es so nennen wollen , nicht ganz deutsch und bei uns national ?
Der Franzose drückt sich anders aus , ebenso der Engländer und Spanier , und diese besitzen , soviel ich weiß , diesen oder einen ähnlichen Ausdruck des geringschätzenden Zornes gar nicht .
Der Deutsche also zum Deutschen , der Rittersmann , der kein Hofmann sein will und darf , dieser sollte in einer altertümlichen Zeit , wo allerdings Roheit und Grobheit auch manchmal in besserer Gesellschaft herrschten , sich dieses Sprichwortes nicht bedienen dürfen ? "
" Aber Satan von einem Menschen ! " rief Elsheim ungeduldig , " vor Damen , die am Hofe gelebt , die in Racines Tragödien gespielt haben !
Und die Stelle war ja doch gestrichen , du hast sie nie in der Probe gesagt . "
" Ich wollte eben überraschen ! " rief ihm Mannlich entgegen ; " ich wollte diese nichtssagenden Striche der neueren Editionen zur alten , richtigen Lesart zurückführen .
Diese Schattierung , diese Eigentümlichkeit ist nach meiner Überzeugung dem originellen Dichterwerke unentbehrlich . "
Alle lachten , und Emmrich sagte :
" Man hat mir erzählt , doch kann ich die Wahrheit der Anekdote nicht verbürgen , daß , als der großherzige Fürst von Weimar mit seinem Freunde Goethe auf einer Reise sich in Frankfurt aufhielt , sie in Sachsenhausen , wohin sie spaziert waren , von einem groben Sachsenhäuser , der sich mit den Nachbarn zankte , diesen nationalen Ausdruck , wie ihn der Baron nennt , vernahm . "
Der Herzog sagte hierauf ganz ernsthaft zu Goethe :
" Es muß dir doch wohltun , zu erleben , wie deine Dichtungen mit dem Volke verwachsen und in ihm Wurzel schlagen .
Hast du gehört , wie dieser ganz gemeine Mann soeben eine Stelle aus deinen Werken zitiert hat ? "
Die übrigen lachten , doch Mannlich blieb verdrießlich und wurde es noch mehr , als er hörte , daß die Dame des Hauses sich für jetzt seine Besuche verbeten habe .
Er ritt zornig fort und schwor , sich und seine Zeit niemals wieder für Freunde und für die Kunst aufzuopfern .
Zweiter Teil Vierter Abschnitt Vierter Abschnitt Schon am frühen Morgen war alles im Schlosse lebendig .
Die Herrschaften wollten eine starke Tagesreise machen , und deshalb brachen sie so zeitig auf .
Noch beim Abschiede sagte die Mutter zu Elsheim :
" Es kann sein , mein Sohn , daß ich zwei Wochen ausbleibe , um einmal wieder nach langer Zeit mit meiner Schwägerin zu leben und mich mit ihr zu verständigen .
Auch bin ich es ihr und der Fürstin schuldig , deutlich zu zeigen , daß ich mit dieser deiner Extravaganz nicht einverstanden war .
Wie die jetzige junge Welt denken mag , ist mir freilich unbekannt geblieben , aber wir müssen dir wenigstens so viel zeigen , daß man mit uns , der älteren Generation , welche bessere Zeiten gewohnt war , nicht so umgehen darf . "
Elsheim kehrte verdrießlich und verstimmt auf sein Zimmer zurück .
So war das Fest geendigt .
Die Erhebung des Gemütes , die Erneuung seiner Jugend , alles , worauf er sich seit Jahren gefreut , hatte nun eine solche Wendung genommen , die ihn demütigte und ihm alle Laune raubte .
Er zürnte auf sich , daß er der Mutter darin nachgegeben hatte , diese übervornehmen und versteinerten Gäste einzuladen ; nicht minder aber auf jenen älteren Jugendgenossen , der ihnen allen aus barockem Eigensinn und pedantischer Roheit die Freude verdorben hatte .
Dieser hatte sich erzürnt auf sein Gut begeben , indem er , der alle verletzt und beleidigt hatte , den Gekränkten spielte .
Die Mutter , die in ihrer Verwandten und den hohen Gästen tief verletzt war , verließ in ihrem vorgerückten Alter ihre behagliche Wohnung , um jenen Hochfahrenden eine Art von Genugtuung zu geben . -
Elsheim schloß sich ein und wollte wenigstens vor dem Mittagstische niemand sehen und sprechen .
Der alte Joseph brachte dem jungen Tischler das Frühstück auf sein Zimmer , was nur selten geschehen war , aber jedesmal als ein Zeichen diente , daß der Baron auf irgendeine Weise abgehalten sei und allein sein wolle , oder schon im Freien umherwandle .
Joseph war schon frisiert und im Frack , und die Spitzenmanschetten fielen länger über die dürren Hände hinunter , als an anderen Tagen .
" Bei der frühen Abreise " , sagte er feierlich , " mußte ich mich schon beizeiten schmücken , weil ich mit eigenen Händen den Damen , sowie dem Herrn Reichsgrafen in ihre Wagen half . "
" Ach ! bester Herr Professor " , sagte er nach einiger Zeit , " ich habe diese Nacht nicht viel schlafen können , denn ich habe viel weinen müssen .
Glauben Sie mir nur , diese Begebenheit wird im ganzen Lande eine ungeheure Sensation machen .
Die Herrschaften lassen es sich nicht ausreden , daß die abscheuliche Tirade allein auf sie gemünzt gewesen sei , und nun scheint es ihnen eine ausgemachte Sache , daß der Herr Baron Mannlich ein giftiger , eingefleischter Jakobiner sei , der durch dieses Motto oder diesen Unsitten-Spruch den ganzen Adel habe beschimpfen und erniedrigen wollen .
Die skandalöse Anekdote kommt nun an den Höfen herum und wird sehr verschiedentlich ausgelegt werden .
Zwar sind in unseren Jahren die Jakobiner völlig abgeschafft , und man will sagen , sie seien völlig eingegangen ; aber um so schlimmer , wenn man nun auf die Vermutung kommt , daß sie in unserer Familie ganz von neuem wieder aufschießen .
Nein , dergleichen hätte unser junger lieber Herr vermeiden sollen .
Ach , der alte selige Herr Vater !
Wenn er hätte voraussehen können , daß dergleichen hier in seinem alten ehrwürdigen Schlosse sich zutragen sollte !
Sehen Sie , lieber Herr Professor , das war so recht ein Mann nach dem Herzen Gottes .
In seinen letzten Jahren wollten sie ihm nachsagen , er neige zu den Herrnhutern hin ; es war aber wohl nur , weil er über alles in der Welt Ruhe Anstand und Ordnung liebte .
Still mußte es hergehen ; alles Geräusch war ihm fatal , außer es mußte denn unentbehrlich notwendig sein .
Kein rauhes Wort wurde im ganzen Hause gehört , noch weniger Schimpfen und Fluchen ; das Gemeine , Triviale und Pöbelhafte war ihm in der innersten Seele verhaßt .
So kam es denn , daß sich alle Dienstleute mehr oder minder nach ihm bildeten und figurierten , wie das wohl in allen Häusern geschieht , wo die Dienenden nicht oft gewechselt werden .
Ich schwöre Ihnen beim Himmel , seit fünfzig bis sechzig Jahren ist selbst im Stalle oder bei unseren Viehhirten jene liberale Sentenz nicht gehört worden , die der Herr Baron im Rittersaal , in Gegenwart der vornehmsten Damen , sich zu erlauben beliebten .
Ich habe es oftmals bedenket und nachher auch bedacht und bin endlich überzeugt worden daß wir höchst traurigen Zeiten und Begebenheiten entgegengehen .
Aber , was hilft_es ?
Der Himmel lenkt am Ende doch alles selbst mit eigener Hand . "
Der Alte , gleich allen Dienern des Hauses , hatte großes Vertrauen : zu Leonhard , und deshalb hatte er sich auch während seiner langen Rede zu ihm gesetzt , was Leonhard sich schon vorlängst als ein Zeichen des Wohlwollens vom Alten erbeten hatte .
" Ja " , fuhr er jetzt fort , " können Sie durch Ihren Einfluß unseren jungen Baron dahin stimmen , daß dergleichen nicht wieder geschieht , daß er von solchem neumodigen Treiben abläßt , so werden Sie sich einen Gotteslohn um ihn und uns alle verdienen .
Er ist gut , aber er hat zu wenig vom seligen Herrn .
Zwar wurden vor vielen vielen Jahren auch hier im Schloß einige kleine Proverbs gespielt , Hausherr und Gemahlin spielten auch selbst mit ; das war aber alles so fein und manierlich , daß es eine Lust war mit anzusehen , ja daß es beinahe zu einer Erbauung gereichen konnte .
Ich habe es vielfach durchdenket und auch durchdacht , daß es ein großes Unglück für die Weltgeschichte ist , daß es in den damaligen Zuständen und Verfassungen nicht hat bleiben können ; das war alles sicher und begründet ; Sitten , Feste , Religion , Adel , Bürger , Handwerker , alles , was man nur nennen kann , hing , wie in einer gutgeordneten Bildergalerie , jedes in seinem schönen festen Rahmen ; zu jeder Gesinnung gab es im Katalog gleich Nummer und Erklärung .
Aber jetzt ist die ganze Galerie durcheinandergeworfen , die Rahmen sind abgerissen , viele Bilder stehen auf dem Kopf , die besten sind umgekehrt an die Wand gelehnt , daß kein Mensch sie finden kann , und der Dummkopf und rohe ungebildete Mensch läßt sich nun von den Meisterwerken nicht mehr imponieren , er weiß sie nicht zu achten , weil die glänzenden Rahmen fehlen , und alles wie Kraut und Rüben durcheinanderliegt . "
Leonhard ergötzte sich an diesem Geschwätz , und , um den Alten noch näher kennenzulernen , sagte er jetzt " Lieber Herr Haushofmeister , schon neulich wollte ich Sie darum befragen , aber wir wurden gestört - was machen Sie für einen Unterschied , wenn Sie sagen :
» Ich habe es gedenket und gedacht ? « "
" Haben Sie das bemerkt ? " sagte der Alte schmunzelnd und mit dem Ausdruck der liebenswürdigsten Freundlichkeit .
" Werter Herr Professor , ich bin kein Gelehrter , Schriftsteller oder Sprachforscher , aber ich habe denn doch auch , wie der beste , meine eigenen Grillen und mir auf meinem Wege so manches herausgegrübelt .
Wir gehen mit unserer lieben deutschen Sprache barbarisch um , machen nirgend Unterschiede , oder unterdrücken sie gar da , wo sie sich schon finden .
Bedenken , Erdenken , Denken und bedenklich hängt genau zusammen ; die Sache ist noch nicht fertig , und darum sage ich :
Ich bedenket , es ist bedenket .
Aber wenn es nun fertig ist und unwiderruflich , dann heißt es :
Es ist bedacht .
Merken Sie wohl ?
Fertig ist es , und ein Dach darüber gegen Sturm und Regen , nun kann es nicht wieder verdorben werden .
Ein Gedachtes , Bedachtes kann niemals wieder etwas Bedenkliches werden .
So ist es auch mit unseren Reimen .
Sie würden uns niemals wohlgefallen , die ganze Dichterei hätte sich niemals auf diesen Widerton und den angenehmen Gleichlaut begründen können , wenn nicht ein geheimer Zusammenhäng in Klang und Gedanke wäre , so wie in Ranken , Schwanken , Danken , Wanken , Gedanken , Erkranken , Sanken , Banken . "
Leonhard lächelte und sagte :
" Auch Gestank und Gedanke reimt . "
" Richtig " , fuhr der Alte fort , ohne sich irremachen zu lassen : " es läßt sich auch oft mit Gedanken so lange hantieren und Wirrwarr , bis das an sich Richtige endlich zum Widerwärtigen ausschlägt .
Das erleben wir ja alle Tage . "
Leonhard war über den kleinen alten Mann in Verwunderung , dem er so viel Eigenheit und seltsame Philosophie nicht zugetraut hatte .
Der Kammerdiener erriet seine Gedanken und sagte sehr freundlich , indem er in sein runzelvolles Gesicht noch mehr Falten hineinzog : " Ja , mein junger Herr Professor , wir haben so unser eigenes Wesen und mancherlei Vorstellungen .
Man kann das Denken nicht immer unterlassen , wenn man auch sonst kein Wohlgefallen daran hat .
Man ist oft allein , man ist krank , und Krankheit ist der allerbeste Schulmeister und auch so geduldig und so unermüdlich .
Von jungen Leuten habe ich wohl manchmal gehört , wenn sie so die eigentliche Schulphilosophie studierten :
Ja , unser Meister , sein Werk , sein System klärt uns doch über alles auf , über das ganze Leben , und es kann nichts vorkommen , was uns nach diesem herrlichen System nicht durchaus verständlich wäre . - Wissen Sie , wie mir das vorgekommen ist ? -
Sehen Sie einmal die hübsche Fußdecke an , hier die vielen Vierecke , Rosetten , Bogen , Punkte ; wenn man so nachdenklich sitzt , so kann man sich alle diese Figuren bald in größere , bald in kleinere Verbindungen und Verhältnisse setzen .
Nun mache ich ein Dreieck , jetzt ein Viereck , ein Achteck , einen Kreis , oder was ich will .
Auch kreuzweise , rechts , links , oben , unten kann meine Phantasie eine regelmäßige Gestaltung herausschneiden , und immer paßt alles , und immer wieder wird etwas anderes daraus .
Man kommt damit niemals zu Ende , wenn man sich Zeit dazu nehmen will .
So kann man sich denn auch einbilden , alle möglichen Verhältnisse und Gestaltungen der Welt sind hier mit ihrem ganzen Verständnis niedergelegt und eingewirkt worden .
Es ist , wenn man krankhaft gestimmt ist , kein unebenes Spielwerk .
Man kann auch über dem Einmaleins ebenso schwärmen und alle Rätsel und alle Auflösungen derselben in diesen Zahlenverhältnissen sehen .
Ja , aber dann wieder die echte Philosophie ! wie ich sie mir in meiner Unwissenheit vorstelle , so daß ich kein nachbetender Schüler werde , oder die Gestalten lege , die von selbst im Teppich in tausendfachen Verhältnissen sein müssen , wenn ihm geregelte Figuren eingewebt sind ; - sondern wahrhaft denken lernen - das Dunkel in mir hell , die aufdämmernden Lichter zu Gedanken machen , aus dem Denken und Bedenken zum Ge- und Bedachten kommen : - das muß freilich ganz etwas anderes sein ! "
" Sie sind ein lieber , kluger Mann " , sagte Leonhard , " und geschickt .
Ich habe Sie neulich belauscht , als Sie dort in Ihrem Zimmer so lustig und wohlgemut die Geige spielten .
Auch das Talent hat mich überrascht , denn ich hatte früher noch nie etwas davon vermerkt . "
" So ? " sagte der Alte lachend ; " ich treibe es auch nur für mich selber , zu meiner eigenen Vergnüglichkeit .
Zuhörer habe ich noch niemals gewünscht .
Ja , Freundchen , diese liebe schöne Violine von Amati , und ein Buch , aus dem Spanischen in das Französische schon vor vielen Jahren übersetzt , machen meine Freude aus .
Sie kennen die Geschichte wohl , sie heißt Don Quizhotte , und mag im Spanischen wohl noch lieblicher sein .
Ach , Mann ! in dem herrlichen Buche finde ich für mich alles mögliche erklärt und abgehandelt ; aller Aufschluß des Lebens liegt vor mir da , hell und klar und auf die lieblichste Weise in Schmerz und Ernst verkörpert und natürlich .
Ich fange mit Lachen und Freude an , wenn ich in dem Buch lese , und bin , wenn ich ein Weilchen innehalte , in die geistigen fernen Regionen , in Moral und Weltgeschichte versetzt und sehe und verstehe alles vollkommen , und mir ist in der Freude so wohl , so selig , möchte ich sagen , daß ich diesem Manne , dem Herrn Cervantes , die hellsten Lichtblicke meines Lebens zu verdanken habe . "
" Sie verstehen zu lesen , Freund " , sagte Leonhard freudig überrascht , " ich kenne und liebe Ihren Autor , und wenn ich ihn wieder lese , und vielleicht mit mehr Applikation , so werde ich dabei an Sie denken und Ihnen danken . "
" Sehen Sie " , rief der Alte , " Denken , Danken ist mehr ein Gleichlaut und kein Reim und hängt doch auch zusammen . -
Ach , Herr Leonhard , was sind wir arme , gedrückte , schwache Menschen doch für Wesen !
Und wie hat uns Gottes Güte so wunderbarlich erschaffen !
Wenn ich so meine Geliebte , wie ich sie immer nur nenne , meine Geige in den Arm nehme , und das liebe Ding lacht und weint und plaudert so anmutig unter meinem Bogenstrich - so bin ich im Himmel und weiß nicht mehr , ob ich die Violine spiele oder ob sie mich spielt .
Es jauchzen und winseln im schäkernden Lächeln Gefühle und Worte aus mir heraus , die ich auf keine andere Weise sprechen , Gedanken , die ich nur so finden kann , und die doch ohne alle Vernunft höher als die Gedanken stehen .
Glauben Sie mir , das ist die seltsamste Freude , was Unaussprechliches , sich so selbst zu finden , sich selbst so in Tönen und in Begeisterung , die von sich doch nichts wissen , kennenzulernen . "
" Bester Herr Joseph " , rief Leonhard , " Sie glauben nicht , wie sehr Sie aus meinem Herzen sprechen .
Ich kann Sie versichern , unsere Geister sind sich nahe verwandt .
Ich verstehe Sie ganz . "
" Kann wohl sein " , sagte Joseph , und gab dem jüngeren Freunde die Hand .
" Fühlen Sie einmal " , fuhr er fort , " die erhöhte starke Hornhaut an diesen meinen Fingerkuppen ; das kommt von meinem stetigen Violinspielen .
Hart wie Horn die fein gehobenen Nervenpünktchen , in welchen die anderen Menschen ihr leisestes Anfühlen zu haben glauben ; und mit diesen Verhärtungen fühle ich auf den Saiten um ein Atom das Höhere und Niedere , ohne zu irren .
Hier hinein vibriert der Klang und wird von hier und mit dem toten Bogen zu dem seelenvollen Ausdruck erhoben , zu der Weiche und Innigkeit , wie kein menschliches Organ es vermag .
Ist es eigentlich nicht wunderbar ? "
" Aber von welchem Meister " , fragte Leonhard , " waren nur die ganz wunderbaren Passagen , die ich Sie neulich mit der ungeheuersten Anstrengung spielen hörte ?
Eben vorgestern , als ich Sie belauschte , und Sie mir nachher verdrießlich schienen ? "
Joseph schwieg still , wandte sich ab und ging im Zimmer auf und nieder .
Er schien verlegen , und Leonhard bemerkte , daß sein Antlitz röter war , als gewöhnlich .
Dann stellte er sich vor Leonhard hin , sah diesen bedenklich an , und sagte : " Sosehr ich Ihnen auch vertraue , kann ich Ihnen doch , was diese musikalische Phantasie betrifft , keine Antwort geben . "
" Aber ich bitte " , sagte Leonhard , " die Sache wird mir um so wichtiger , da Sie zögern und wie in Verlegenheit erscheinen .
Ich bin überzeugt , ich werde Sie verstehen , so wie mir alles , was Sie mir jetzt gesagt haben , nicht fremd und unverständlich ist . "
" Mag es sein ! " rief der Alte nach einer Pause mit dem Ausdruck einer komischen Resignation ; " was geht es mich am Ende an , wie Sie von mir denken mögen ?
Wir sind alle Toren und gebrechliche Menschen , stellen wir uns auch , wie wir wollen .
Ich gestehe , daß ich oft im Mondschein , oder am Frühlingsabend auf meiner Geige phantasiere .
Die Melodien kommen mir dann von selbst , und ich habe mich auch wohl darüber betroffen , daß ich Tränen vergießen mußte .
Vom Abt Vogler erzählt man , daß er sich zuweilen sein Fortepiano auf eine Bildergalerie hat nachtragen lassen , um in seinen Tönen den Ausdruck und die Bedeutung von schönen Gemälden wiederzugeben .
Ich kann mir das wohl denken , obgleich man unter diesen Umständen und bei so vielen Vorbereitungen seiner Stimmung nicht gewiß sein kann .
Ich möchte wenigstens vor Menschen und Zuhörern dergleichen nicht versuchen . -
Das sind aber Phantasien der innerlichen Wollust und des Wohlgefallens .
Doch ist der Mensch oft wie gepeinigt , er weiß nicht wovon ; es quält ihn etwas , er weiß nicht was .
Als wenn hier in diesem Teppich unter den geregelten Figuren krumme , schiefe , willkürliche unterliefen , die mit diesen Sternen , Kreuzen , Rosen und Vierecken in gar keinem Zusammenhäng ständen , und man peinigte sich vergeblich und immer wieder umsonst , auch diese tollen , ausschweifenden Linien und Fratzen in jene wohltuende und besänftigende Tabelle mit aufgehen zu machen .
Es gibt so Stunden in unserem Leben , die dies Gleichnis nur etwas erklärt . "
" Gewiß ! " sagte Leonhard , " und der geordnete Geist leidet vielleicht am stärksten von diesen Verstimmungen , wenn auch nur selten . "
" Meinen Sie ? " fuhr Joseph fort .
Also denn Tollheit mit Tollheit erklärt und vertrieben , Beelzebub durch Satan .
Warum sind wir denn auch so gebaut !
Was freilich , noch weiter getrieben auch jeder Verbrecher für sich anführen könnte , wovor uns Gott bewahren möge .
Hier muß nun freilich der christliche Glaube Hand anlegen , und eine starke .
Es regieren oft die kleinen Teufelchen in uns , aberwitzige , unheimliche , und die lassen sich durch Narretei beschwören und vertreiben .
Auf meinem Zimmer habe ich einen sehr hübschen Tisch , die Platte ist ganz von Masern .
Noch ein Geschenk vom Großvater des jungen Herrn , also uralt .
Sehen Sie , in solchem Maser laufen nun lauter tolle Linien ohne alle Vernunft und Ordnung kreuz und quer durcheinander .
Die Tugend und der Wert einer solchen Maserplatte besteht eben darin , daß kein Verstand in der Kuriosität , sondern Willkür und Aberwitz herrschen .
Doch warum beschreiben ?
Was werden Sie denn ein solch gemasertes Wesen nicht kennen ?
" Gewiß kenne ich es " , erwiderte Leonhard , " ich sehe den Tisch leibhaftig vor mir . "
Der Alte sah ihn von der Seite an und lächelte ; dann sprach er in seinem Eifer : " Also denn , wenn die Besessenheit mich ergreift und gar nicht wieder losläßt , so stelle ich mich dann mit meiner Geige vor diesen Masertisch , begeistere mich und spiele in tausend Variationen und rasenden Passagen alle die vermaledeiten krummen und zackigen Linien ab , als wenn es Noten wären .
Immer fällt mir was Neues ein , und ich rassele und wüte so heftig , arbeite mich so ab , daß ich oft wie im Schweißbade bin .
So kleide ich mich um , setze mich in den Sofa , lache recht von Herzen über mich und die Welt , fühle mich so recht behaglich und in meinem Inneren wieder wie zu Hause und habe dann auf lange Ruhe .
Sehen Sie , Bester , das war es , was Sie neulich mit angehört haben .
Es war gewiß recht sonderbares Zeug . "
Leonhard war zuletzt sehr nachdenklich geworden und sagte endlich :
" Ihre Erzählung und dieses Heilmittel erinnert mich an so vieles , was ich in mir selbst so oft habe bekämpfen müssen .
Wohl dem , der in seiner geliebten Violine einen solchen Ableiter findet . "
" Jeder vielleicht auf seine eigene Weise " , antwortete Joseph .
" Es ließe sich viel darüber sagen .
Wenn ich so von den alten Mänaden und den bacchantischen Festen der Griechen gelesen habe , so dachte ich oft , diese und ähnliche Anstalten haben auch die tollen Geister in uns bändigen und austreiben sollen .
Christliche fromme Männer haben es vielleicht durch ihre Geißelungen , Fasten und Kasteiungen versuchen wollen .
Mancher tobt sich auf der Jagd aus , und in der Jugend fühlen wir es ganz deutlich , wie Springen , Laufen , Ringen und Balgen unserem Leben völlig unentbehrlich sind .
Wer in meine Masern verfällt , oder sich gar freiwillig hineinversenkt , ohne sich mit der Violine wieder herauszuspielen , der wird wohl eben ein Schwärmer und Fanatiker , wovor uns denn alle der Himmel behüten wolle . "
- Mit diesen Worten empfahl sich der Alte , und Leonhard blieb noch lange auf seinem Zimmer , um alle die Gedanken näher zu erwägen und zu bewältigen , die ihm jenes sonderbare Gespräch auf unerwartete Weise erweckt und zurückgelassen hatte .
Als man sich bei Tische versammelt hatte , sagte Emmrich :
Sollte es nicht Zeit sein , diese allgemeine Verstimmung , müßte es selbst durch ein gewaltsames Mittel geschehen , wieder in die rechte Bahn zu lenken ?
Ich bin der Meinung , da wir jetzt unter uns sind , und niemand unser Vorhaben übel deuten wird , daß wir unseren Götz noch einmal aufführen und ihn dann , wie es sich gebührt , zu Ende spielen .
Wozu haben wir die Mühe gehabt und uns in so manchen Proben gequält ?
Wir sind es uns selbst schuldig , das unternommene Werk nicht so als ein schmähliches Fragment liegenzulassen .
Es ist nicht billig , daß wir alle büßen , was nur einer der Teilnehmenden gesündigt hat .
" Ich wäre einverstanden " , sagte Elsheim , " wenn Mannlich im Zorn nicht sein Ehrenwort darauf verpfändet hätte , den Götz nie wieder zu spielen .
Es ist vergebene Mühe , ihn überreden zu wollen . "
" Es muß ohne ihn möglich sein " , erwiderte Emmrich , " er bleibe fürs erste ein Märtyrer seines Wortes und alter Lesearten .
Meine Rolle des Sickingen kann leicht ein anderer übernehmen , und ich habe längst , wieviel mehr seit unseren Proben , die Rolle des Götz genau in meinem Gedächtnis .
Nur rate ich , wenn wir es noch unternehmen , daß wir dazutun , bevor die Baronesse zurückkommt , die es übel empfinden dürfte , wenn sie sähe , daß wir den gescheiterten Wrack wieder zum Segeln bringen wollten . "
Alle waren über den Vorschlag erfreut , am meisten der junge Kadett , der in Verzweiflung darüber gewesen war , daß er seine interessante Rolle des leidenschaftlichen Franz nicht hatte zu Ende führen können .
Auch Charlotte , sowenig sie es wollte merken lassen , war sehr zufrieden , die Adelheid zu Ende zu spielen ; Albertine war willig ; selbst die Tante ließ sich bewegen , sich noch einmal in der häuslichen Tugend der Elisabeth zu zeigen , und Dorothea lachte laut auf , daß sie noch einmal als Georg mit ihren kecken Reden auftreten sollte .
Der Graf Bitterfeld war leicht umgestimmt , und der Schulmeister triumphierte , als er am Abend vernahm , daß sein Selbitz noch einmal zu Ehren kommen sollte .
Ein junger Verwalter eines benachbarten Gutes , ein verständiger Mann , war leicht in den Charakter des Sickingen eingelernt , und die Bauern , der Schulze und die Dienerschaft sahen mit Spannung und Neugier der wiederholten Aufführung des nationalen Schauspiels entgegen .
Elsheim mußte sich aber wirklich gefallen lassen , noch außer dem Weisslingen den Zigeunerhauptmann zu übernehmen , weil der Förster taub gegen alle Bitten und Vorstellungen blieb .
Schon nach einigen Tagen war das große Werk zur allgemeinen Zufriedenheit vollendet worden .
Alle gestanden laut , daß durch die bessere Darstellung des Götz das Gedicht in der Wiederholung ein ganz anderes geworden war , als es sich im ersten Versuch gezeigt hatte .
War vorher Götz ruhmredig erschienen , prahlend und rechthaberisch , hatte er durch eine fürchterliche Deutlichkeit der Aussprache den biederherzigen Mann langweilig und anmaßend hingestellt , so waren jetzt alle von der Liebenswürdigkeit des Ritters ergriffen , durch seinen Edelmut gerührt und von seinem tragischen Schicksal und Lebensende tief erschüttert .
In Weisslingen Sterbeszene war Maria so hingerissen , und in Rührung aufgelöst , daß sie kaum die wenigen übrigen Szenen noch spielen konnte , und als der Vorhang zum letztenmal fiel , begab sie sich sogleich zur Ruhe , ohne an der Abendtafel zu erscheinen .
An dieser erschien der junge Kadett , der nach der Anstrengung den Wein nicht geschont hatte , ganz ausgelassen , besonders da er von der älteren Schwester Albertine nicht beobachtet und gezügelt werden konnte .
In seinem Rausch verhehlte er es nicht , wie sehr er Charlotte verehre , und da seine Ausdrücke immer poetischer , sowie seine Erklärungen immer deutlicher wurden , so wurde Leonhard zu seiner Beschämung und seinem Schrecken inne , daß er eine stechende Eifersucht empfinde .
Es war ihm daher sehr erwünscht , als Elsheim auf eine milde Art den jungen Menschen zurechtwies , und Adelheid , Charlotte , von seinem Ungestüm erlöste , die sich um diese erwachende Leidenschaft nicht zu kümmern schien , indem sie alle hyperpoetischen Reden des Kadetten nur mit heiterem Lachen beantwortete .
Am anderen Morgen war Elsheim sehr durch den unvermuteten Besuch Mannliches überrascht .
" Ja , ja " , sagte dieser zum erstaunten Freunde , " ihr wollt mich nicht und denkt , ich habe mich selbst , wer weiß auf wie lange , verbannt ; aber so ist es nicht gemeint :
ich war böse , bin aber jetzt wieder gut , ja ich war selbst gestern inkognito im Parterre und habe euer Spiel mit angesehen .
Ich hätte fast Lust , einen dramaturgischen Aufsatz über diese eure Aufführung zu schreiben .
Lieber Himmel , wie wenig ist doch eigentlich dem Dichter sein Recht widerfahren !
Der Götz war ohne Kraft und Nachdruck , kein Wort konnte mich in die alte Zeit versetzen , alles wurde so schnell und natürlich gesprochen , wie es heutzutage auch geschehen kann ; gerührt war er ein paarmal , wo er sich gerade als Held zeigen sollte .
Dein Spiel als Weisslingen war im ganzen vortrefflich , doch nicht ohne bedeutende Fehler ; in der Sterbeszene drücktest du zu wenig die Wirkungen des Giftes aus , was doch gewiß Krümmungen , Auffahren und Konvulsionen erregen muß .
Von Alibertinen weiß ich nichts zu sagen , denn sie spielte so , als wenn es gar keine Rolle wäre ; sie sprach , wie sie immer spricht , und deshalb hat mich auch die Tante nicht befriedigt , die bei weitem nicht erhaben genug war .
Unerträglich war dein Freund , der Professor Leonhard ; als Mönch so weinerlich und gelassen , und als Lese so plump , gar kein vornehmer , poetischer Ton .
Die kleine Dorothea war allerliebst , neckisch und komisch , dabei nicht ohne Natur , wie sie denn überhaupt ein Naturkind ist .
Über alles Lob erhaben war Charlotte .
In ihr sah man doch einmal eine Dame , und wie verführerisch , wie reizend !
Ich habe es wohl bemerkt , daß sie dich mehr als einmal in Verlegenheit setzte , denn sie ist wirklich gar zu liebenswürdig .
Der Graf Bitterfeld zeigte sich als ein denkender Schauspieler , er wird nichts , was er unternimmt , ganz verderben - aber der Schulmeister ! und der Kadett !
Es ist doch nichts unerträglicher , als wenn Menschen , die gar keine Anlage haben , sich in einem Talent zeigen wollen , was ihnen so ganz und völlig versagt .
Diese Szenen waren unleidlich .
Dann störte es auch die Illusion zu sehr , daß du zuletzt noch als Zigeuner wiederkamst .
Du hattest dich zwar wundervoll entstellt und verkleidet , es half dir aber nichts , denn ich kannte dich doch wieder . "
Viele von der Gesellschaft waren auf Spaziergängen zerstreut ; die freundliche Dorothea war bei Alibertinen , die sich unwohl fühlte und welche von der Kleinen liebkosend gepflegt und getröstet wurde .
" Liebchen " , sagte sie jetzt eben , " laß nur die Tante nichts von diesen deinen Empfindungen merken , denn so gut sie ist , so würde es dir doch Verdruß machen und nicht ohne Beschämung abgehen können . "
" Du irrst dich " , sagte Albertine eifrig , " du irrst dich völlig .
Mir ist überhaupt nicht wohl , und das Spiel gestern hat mich übermäßig angegriffen .
Das Gedicht selbst ist ja von einer Kraft und so herzzerreißender Wehmut , daß diese Worte schneidend durch Mark und Gebein gehen .
Ich begreife die anderen nicht , die nachher noch heiter , ja lustig sein können .
Unseren Elsheim verstehe ich gar nicht , denn ich hatte ihm diesen Leichtsinn nicht zugetraut .
Selbst in den Zwischenszenen konnte er mit Charlotte lachen und scherzen .
Sie freilich , die niemals fühlt , die mit dem ganzen Leben und mit allen Empfindungen nur ein Spielwerk treibt , sie hat ihre Freude daran , nur alle zu ärgern und zu kränken .
Ihre Gefallsucht ist so unersättlich , daß sie jeden Mann durch ihre Künste in ihr Netz zieht ; selbst den Knaben , meinen Bruder , verschmäht sie nicht .
Hast du es nicht bemerkt , wie sie sogar den Stelzfuß , den alten Schulmeister , freundlich anlacht ? "
" Sei nicht bitter , Kindchen " , erwiderte Dorothea freundlich ; " du weißt ja , wie über diese wunderlichen Launen selbst die Tante niemals etwas vermocht hat .
Es ist doch eine poetische und fast wieder unschuldige Koketterie , wenn diese Charlotte allen Männern ohne Ausnahme gefallen will , und wenn es ihr Spaß macht , jeden , indem sie seine Schwächen kennt und benutze , auf eine Zeitlang zu ihren Füßen zu sehen .
So war sie immer , und sie wird sich jetzt nicht ändern .
Du bist ihr böse , weil sie auch schon unseren Leonhard verblendet hat .
Es ist nur zu sichtlich , wie schmachtend er an ihren schönen Augen hängt . "
" Auch Leonhard , meinst du ? " erwiderte Albertine , " das hatte ich bis jetzt noch nicht bemerkt ; mir schien es , die habe es in diesen Tagen allein auf unseren Elsheim angelegt .
Mag sie doch , was kümmert es mich !
Und mögen alle Männer dieser gleißenden Herzlosen folgen und sie vergöttern , ist es doch einmal das Schicksal der Besseren , immerdar verkannt zu werden . "
- Sie weinte von neuem , trocknete dann in heftiger Eile die Augen und warf sich an Dorothees Busen .
Auch die stets heitere Dorothea weinte jetzt .
" O daß dich diese Leidenschaft hat ergreifen müssen , du armes Kind " , sagte sie dann , " gerade zu diesem fremden Manne , der uns allen unbekannt ist !
Es richtet dich zugrunde , denn er scheint dir weniger als den anderen zugetan ; er ist wahrscheinlich längst vermählt , hat Kinder und wohnt weit von hier , ist ein Bürgerlicher , schwerlich reich , sowenig als wir .
Was kommt da alles zusammen , um dich zu quälen , um dein Leben durch und durch zu vergiften !
Und immer noch willst du mir diese Liebe ableugnen , du zwingst dich zur Verstellung , und dennoch muß ich fürchten , daß schon mancher andere deine Leidenschaft bemerkt und erkannt hat , denn du kannst deinen Gram , besonders in seiner Nähe , zu wenig bemeistern . "
" Du machst , daß ich wider Willen lächeln muß " , antwortete Albertine ; " dein Mißtrauen und deine Teilnahme irren , durchaus irren sie ; mein Herz ist frei , und mein Gemüt wird von ganz anderem Kummer gedrückt .
Aber dieser Leonhard !
Es wäre doch schade um ihn , wenn er sich auch von den Augen Charlottes bestricken ließe .
Dieses treue , redliche braune Auge , aus welchem ein edles weiches Gemüt so zuversichtlich schaut , daß der bessere Mensch ihm vertrauen und ihn lieben muß .
Ja , lieben , aber nicht , wie du es irrig meinst .
Hast du wohl recht auf sein Spiel geachtet ?
Wie edel er alles vortrug und doch so einfach , ganz dem Charakter angemessen .
Vielleicht hätte er den Weisslingen besser als der Vetter dargestellt , und doch sprach der Leichtsinnige auch manches Wort so , daß es aus dem Herzen zu kommen schien .
Wie hat er mich gerührt mit diesen weichen , einschmeichelnden Tönen !
Ich fragte mich dann : Ist es möglich , daß man so sprechen kann , ohne wirklich zu empfinden ?
Das ist das Sonderbare und Fürchterliche , daß es der Lüge möglich ist , so ganz den Schein der Wahrheit anzunehmen . "
" Närrisches Mädchen " , sagte Dorothea lachend , " es war ja auch nur eine Komödie , welche er spielte . "
Hier wurden sie unterbrochen , denn die Tante trat in ihr Zimmer .
- Leonhard hatte sich in den nahe gelegenen schönen Buchenwald begeben und kam jetzt durch den Garten von seinem langen Spaziergange zurück .
Sowie er durch die Pforte in die Lindenallee trat , stand Charlotte im ganzen Reiz ihrer Schönheit vor ihm , lächelnd ihm entgegentretend , als wenn sie ihn erwartet hätte .
" Sie werden uns ungetreu " , sagte sie dann , " wenn uns die Komödie nicht vereinigte , so würden Sie immer in Feld und Wald umstreifen . "
" Konnte ich glauben " , erwiderte er , " daß man mich vermissen möchte ? und daß gerade Sie mir diesen freundlichen Vorwurf machen würden ? "
" Artige Worte " , erwiderte sie lachend , " der ewige Text , um den sich die Unterhaltung der Gesellschaften dreht ; die Auslegung ganz willkürlich , so oder so , und meist ohne Ernst und Wahrheit ; Gespräch , um zu sprechen , so wie oft Noten zu Dichtern entstehen , bloß um Noten zu machen .
- Aber wie waren Sie mit der gestrigen Darstellung zufrieden ? "
" Von Ihnen will ich nicht sprechen " , antwortete Leonhard , " denn Sie würden mich doch nur als einen Schmeichler abweisen und wenn man entzückt ist , ist man nicht gerade in der Stimmung , um ein Urteil zu fällen .
Aber haben Sie nicht auch die Darstellung Emmrichs bewundert ?
Er war unter uns Männern doch eigentlich allein nur der Meister .
Dieses Verwirklichen aller Empfindung so ohne Anstrengung ! jede Szene so gegeben , als könnte es eben nicht anderes sein !
so daß jeder Zuschauer der Meinung sein mußte , er selbst würde es gerade eben auch so und nicht anders gemacht haben . "
" Ein Spiel " , sagte Charlotte , " so wie Sie es beschreiben , ist gewiß der Triumph der Schauspielkunst .
Wohl versteht es unser Emmrich ganz anders , als der Baron Mannlich .
Indessen wollte ich doch , man hätte ein anderes Stück gewählt . "
" Das wünschen gerade Sie ? " sagte Leonhard mit einigem Erstaunen , " wo möchten Sie einen Charakter antreffen , in welchem Sie so allen Zauber der Lieblichkeit , des Reizes , der Verführung und des feinen Anstands entwickeln könnten ? "
" Sie geraten doch in jene Schmeichelei " , bemerkte sie , " der Sie ausweichen wollten .
Das Stück aber hat auf keine Weise meinen Beifall .
Der Götz geht zu schmählich unter , und man begreift nicht , weshalb ; die innere Notwendigkeit tritt nicht deutlich genug hervor . "
" Wie ? " sagte Leonhard , " fühlen wir diese nicht in jedem Wort ?
Sehen wir sie nicht in jeder Szene ?
Die bessere Zeit geht unter , und mit ihr der brave Götz , ihr Repräsentant ; sie wird verdrängt oder erdrückt von einer anderen , die uns als die der List und Verstellung , der Unwahrheit und Treulosigkeit gemahnt ; ihre Repräsentanten , Adelheid und Weisslingen , gehen aber ebenfalls in dem Sturm der Begebenheiten zugrunde , den sie erregt haben , den sie aber nicht bewältigen können . "
" Und dann " , sagte Charlotte , " tritt ein anderes Zeitalter auf , das für uns jetzt Lebende auch schon ein längst veraltetes ist ; dieses verspielt sich wieder an einem einbrechenden , welches als das schwächere und schlechtere erscheint ; und so geht es immer fort , und das ist die Täuschung der Geschichte , die , so vorgetragen , vielleicht kein wahres Wort enthält . "
Leonhard wurde nachdenklich und sagte dann :
" Die Zeitalter wechseln wohl in Güte und Schlechtigkeit ; bald tritt diese , bald jene Vortrefflichkeit mehr und deutlicher hervor , und die Aufgabe ist , an diesen Zeichen die Zeit zu erkennen . "
" Gut " , sagte sie , " mögen das die Gelehrten und Denker tun ; unsereins versteht nur das , was ewig wiederkehrt , nie wandelt , weil es selbst der Wandel ist . "
" Und das wäre ? "
- " Ei nun , jene Schwäche der menschlichen Natur , die auch den rührenden und interessanten Teil unseres Schauspiels bildet ; dieser Weisslingen , der so meisterhaft geschildert ist , in welchem sich die menschliche Natur selbst und das eigentliche Wesen der Männer so unvergleichlich präsentiert . "
" Sie meinen also - "
" Jawohl " , fiel sie schnell ein , " der Weisslingen ist der Mann selbst , das heißt , der wirkliche , der interessante , von dem es sich zu sprechen lohnt .
Denn was wäre die Welt , wenn alle Männer so bieder , treu , unerschütterlich wären , wie dieser alte Freibeuter , der Berlichingen ?
Und was würde in aller Welt das Stück selbst für eine triste Physiognomie haben , wenn Weisslingen und Adelheid nicht Leben und Frische hineinbrächten ?
Und so war es gewiß immer und zu allen Zeiten .
Und Götz selbst ! fällt er nicht fast ohne Ursache von seiner Treue ab , um der Anführer der rebellischen Bauern zu werden ?
Dies Gelüst war seine neue Geliebte , die ihn zur Treulosigkeit verführte , und er muß , wie Weisslingen , nur seinen eigenen Fehler büßen .
Alle Hochachtung vor Tugend und Wahrheit !
aber herrschten sie allein in der Welt , so gäbe es wenigstens keine Poesie . "
Leonhard mußte über diese Ketzerei lachen und wußte doch im Augenblick dieser seltsamen Behauptung nichts entgegenzusetzen .
" Können Sie mir Unrecht geben ? " fuhr sie nach einiger Zeit fort ; " in der römischen Geschichte stehen Antonius und seine Kleopatra ebenso glänzend und unglücklich da , und wo sich mein Auge hinwendet , schon von der Iliade an bis zu unserem Wieland und Clavigo und der Stella , ist immer die weiche , liebe , interessante Verführbarkeit des Mannes der Gegenstand der schönsten Gemälde und anziehendsten Verwicklungen .
Jene festen , unerschütterlichen , dem Reiz und der Schönheit unzugänglichen sind eben keine echten Männer , sondern nur Larven und widerwärtige , wenigstens gleichgültige Gespenster . "
Leonhard war während dieser Rede nach und nach ernsthaft geworden .
" Nicht wahr " , fuhr sie fort , " wer gar nicht , gar nicht wanken könnte , den dürfte man doch eigentlich auch nicht treu nennen ?
Seine Natur ohne weiteres wäre einmal so eingerichtet , und Schönheit und Reiz und mit ihnen Versuchung fänden keinen Eingang bei einem solchen .
Liebe - so sprechen die Menschen - und was ist sie denn ?
Ist sie denn nicht auch Talent ?
Und wenn das , erfordert sie nicht Übung , Erfahrung ?
Und wenn sie ein Lebendiges ist , eine Wirklichkeit , kein totes Wort , muß sie sich nicht in jedem Wesen anders gestalten ?
Die Leute schelten jetzt auf die Stella , aber das ist es , was Goethe so deutlich empfunden und dargestellt hat .
Kann Ferdinand die ältere Gattin so lieben , ja auch früher so geliebt haben , wie jene wunderbare Stella , die ihn mit ihren tiefen Empfindungen an sich gerissen hat ?
Und dieses Gedicht der Treulosigkeit nannte unser Goethe damals beim Erscheinen : ein Schauspiel für Liebende .
Und mit Recht ; denn nur derjenige , der die Liebe empfunden und erlebt hat , kann es wissen , wie das Herz wohl so gestimmt sein kann , daß es die neue , höhere Liebe nur fühlt und rein in ihr lebt , wenn eine andere , auch echte Zärtlichkeit ihr fast schwesterlich Gesellschaft leistet .
Ich spreche von Männern , denn bei Frauen äußert sich das geheimnisvolle Leben dieser Gefühle gewiß auf verschiedene Weise . "
Sie traten jetzt wieder in jene abgelegene kühle Laube , deren grüner duftender Schatten sie zum Sitzen einlud .
" Darin " , fuhr sie fort , als sich beide gesetzt hatten , " ist auch Goethe so groß und einzig , daß bei ihm jedes Verhältnis der Liebe so etwas Eigenes und Individuelles hat , wie bei keinem anderen Dichter , und diese Verhältnisse , die er schildert , sind wieder unter sich so abgesondert und eigen gehalten , daß man jegliches selbst mitzuerleben glaubt .
Der Frühling ist freilich immer und allenthalben schön , er ist stets Frühling , aber er blüht mir doch anders am Genfer_See als in der Mark entgegen , und so muß Liebe , obgleich sie innere Bezauberung bleibt , doch in jedem anderen Wesen mit eigener Süßigkeit und Frische in ganz verschiedenen Traumgestalten sich aussingen und dichten .
Und das , lieber Leonhard , sollte nicht zur sogenannten Untreue verlocken ? sollte diese nicht selbst zu einem höchst poetischen Gewerbe machen ? "
Sie sah ihn fragend mit den schönen dunklen Augen an .
Er reichte ihr die Hand und sagte nur ganz kurz :
" Ich muß Ihnen recht geben . "
Sie drückte seine Hand mit inniger Zärtlichkeit und sagte seufzend : " O du !
Du Lieber ! "
- Sie neigten sich zueinander , und ein heftiger langer Kuß brannte auf ihren vollen Lippen , den sie erwiderte .
Dann sahen sie sich an , Hand in Hand , ohne zu sprechen ; bloß ganz leise sagte Leonhard : " Lottchen !
Du ! Süße ! "
Als sie nach einer Weile aufsahen , stand Elsheim vor ihnen , welcher sagte : " Ich suche Sie allenthalben , denn es ist Tischzeit . "
- " So ? schon ? " sagte sie ganz gleichgültig und stand auf , Elsheims angebotenen Arm anzunehmen .
Leonhard war hastig und in großer Verlegenheit aufgesprungen .
Er wußte nicht , wie lange der Freund schon zugegen gewesen , ob er den Kuß bemerkt habe , was er denken möchte .
Alle diese Vorstellungen ängstigten ihn , und er folgte den beiden fast träumend .
Es war ihm lieb , als sie Alibertinen und Dorothea im Garten trafen .
Indem sie über eine Brücke gingen , nahm Albertine , die jetzt sehr heiter und freundlich schien , Leonhards Arm , um sich auf ihn zu stützen .
Sie sah ihn dabei so hell und fast zärtlich an , daß er sich einbildete , sie drücke im Gehen seinen Arm , und er konnte sich nicht erwehren , durch einen Gegendruck diese Freundlichkeit zu erwidern .
Dorothea , welche voranlief , stand plötzlich still und sah sich bedeutsam nach ihnen beiden um .
Es war auffallend , daß Albertine in diesem Augenblick errötete , und Leonhard mußte in seinem Gemüt die auffallende Schönheit seiner Begleiterin , sowie ihr holdseliges Wesen erwägen .
In sich selbst sah er wie in eine dunkle Tiefe hinein , und die Frage drängte sich ihm lästig auf :
Was will ich denn ?
Bin ich von jener gefangen und soll hier auch an dieser Schönheit stranden ?
Welcher Unterschied zwischen den beiden reizenden Wesen !
Wie zwei verschiedene Welten !
Ja wohl ist unser Herz unersättlich , und es fordert Kraft und Tugend , diesem Durst zu widerstehen ; doch matt ist unser Gefühl , indem wir unsere Stärke üben .
Und was erfolgt , wenn dies nicht geschieht ?
Bitteres Erwachen aus süßen Träumen !
Sie traten jetzt in den Saal , und auch Elsheim schien zerstreut , fast übellaunig , bis Wein und Speise und mannigfaltige laute Gespräche alle in den Strom der geselligen Heiterkeit hineinzogen .
Elsheim saß neben Charlotte und sprach sehr eifrig mit ihr ; Leonhard hatte neben Alibertinen Platz gefunden , und diese blieb während der Mahlzeit heiter .
Auch den Dienstleuten hatte Elsheim an diesem Tage ein kleines Fest gegeben .
Die Schulzen waren zugegen , sowie alle diejenigen , die als Knappen , Knechte , oder Zigeuner ausgeholfen hatten , und selbst der Förster , der den Zigeunerhauptmann nicht hatte spielen wollen , ließ sich jetzt seinen Anteil am Schmause nicht nehmen .
Obenan aber prangte der Schulmeister , durch seine gelungene und vielgepriesene Darstellung des lahmen Selbitz verherrlicht .
Er war so beglückt und von dem Beifall , den er allgemein erlangt hatte , so berauscht , daß er an der ziemlich langen Tafel fast niemand zu Worte kommen ließ , und wenigstens die anderen alle mit seiner tönenden Stimme überschrie .
" Habt ihr es wohl gesehen und bemerkt " , sagte er jetzt mit kräftigem Ton , " wie meine Rolle , dieser Selbitz , eigentlich , wenn man die Vernunft zu Hilfe nimmt , die Hauptperson im ganzen Stück ist ?
Ohne ihn kann der Götz nichts machen , gar nichts ; gleich muß zu dem Lahmen geschickt werden , der auch zehnmal klüger ist , als der Herr Berlichingen selbst .
Er traut gleich dem Weisslingen nicht ; er weiß , daß an dem höfischen Gesellen kein gutes Haar ist .
Und wäre ihm nur der Götz immer gefolgt , so würde alles besser gegangen sein .
Er schlägt und siegt und ist sich und seiner Sache immerdar treu und unerschütterlich .
Nun wird er aber im vollen Siege verwundet , er wird vom Schlachtfelde getragen :
da zeigt er sich noch einmal in seiner ganzen Pracht , denn gewiß ist dieser Auftritt der schönste im ganzen Stück .
Er kann aber nicht mehr mitfechten , er muß nach Hause , um sich kurieren zu lassen , und nun ist es eigentlich auch mit dem Herrn Götz zu Ende , denn von nun an geht alles mit ihm abwärts , er muß sich gefangen geben , und selbst der hochmütige Sickingen kann ihm im wesentlichen nichts nutzen .
Auch nachher nicht , und noch viel weniger der armselige Zigeunerhauptmann , der auch so große Worte in den Mund nimmt und Blut und Leben für ihn lassen will .
Was können nun Lese , Maria , selbst Weisslingen für ihn tun ?
So gut wie nichts ; der arme Mensch muß zugrunde gehen , weil er seinen tüchtigen Selbitz nicht mehr hat , der wahrscheinlich an seinen Wunden gestorben ist , weil er gar nichts mehr von sich sehen und hören läßt .
Seht , Kinder , so liegt eine sehr schöne Moral in dieser Sache , daß so oft unansehnliche Männer , die nur in einem kleinen Wirkungskreise leben , doch die allerwichtigsten im ganzen Staate sind , wie denn das auch der Kaiser Maximilian wohl eingesehen hat , der diesen Selbitz gar zu gern zu seinem Feldherrn gemacht hätte .
Es hätten eigentlich alle Schulkinder dies Meisterwerk mit ansehen müssen , hätte es nicht an Platz gemangelt .
Ja , Freunde , wenn der verständige Selbitz noch gelebt hätte , so würde sich unser etwas bornierter Götz niemals mit dem dummen Bauernvolk eingelassen haben . "
Hier erhob sich plötzlich der Schulze in großartigem Zorn .
" Schimpft nicht " , Schulmeister , rief er aus , " wenn Euch nicht dies Weinglas an den Kopf fliegen soll .
Weil Ihr den lahmbeinigen Reitersmann gespielt habt , als Komödiant , dürft Ihr darum unsersgleichen nicht verachten und niederträchtig machen . "
" Ich schimpfe nicht , Mann " , schrie der Schulmeister dagegen ; " die Leute dort , versteht , sind ja keine verständigen Bauersmänner , sondern im Gegenteil nur Rebellen und Mordbrenner . "
" Sie mögen auch nicht Unrecht gehabt haben " , rief der Schulze laut , aber doch etwas besänftigt ; " wir hören ja auch im Stück , daß ihre Herrschaften ihnen das Fell über die Ohren gezogen haben und das ist , mein Seele , keine angenehme Empfindung . "
" Ihr sprecht in der Art ganz vernünftig " , sagte der Schulmeister , denn Ihr seid einer der verständigsten Männer , die mir vorgekommen sind .
Aber die Bauersleute gingen gleich über die Grenze aller Billigkeit , folgten den schlechtesten Ratschlägen und wurden Mörder und Kannibalen , schlachteten Schuldige und Unschuldige und verbrannten und beschädigten , wie Ihr es ja gesehen habt , den Bauernstand selber .
Und das ist denn auch wieder moralisch und erbaulich , wenn man sieht , wie ein solcher Aufstand immer wieder gegen sich selber wüten muß .
Und darum hätte sich Götz , der doch einen ehrlichen Mann vorstellen will , nicht mit ihnen einlassen sollen .
Aber es bekommt ihm auch schlecht , wie ihr alle gesehen habt .
Seinen Feinden , die ihn stürzen und die dem so ziemlich rechtlichen Manne gegenüber ganz niederträchtig sind , geht es aber noch elender , und das ist nun eben die große und eindringliche Moral von dieser Sache , die sich jeder wohl zu Herzen nehmen soll .
Wie überhaupt das ganze Komödienstück eine der moralischsten Arbeiten ist , die nur in der ganzen Welt zu finden sein mögen .
Alle die Schlechten gehen unter und auch diejenigen , die sich haben verleiten lassen , und nur die ganz Schuldlosen bleiben übrig , wie die Elisabeth , Maria und Lese .
" Aber der Georg muß doch auch daran glauben " , sagte der alte Förster , " und der hat doch kein Wasser getrübt und war seinem Herrn so treu und ergeben , und Euer Selbitz , mit dem Ihr so hoch hinauswollt , hat doch auch so viel abgekriegt , daß er wohl gar verendet hat , oder sich nicht wiedersehen lassen kann , weil er zu miserabel ist .
Denn wenn der Stelzfuß wieder gesund und stark wäre und ließe sich doch nicht wiedersehen , weil die Sachen etwa jetzt zu mißlich ständen , so wäre der Schreihals , mein Seele , gegen seinen alten Kumpan , den Götz , nur wie ein Lumpenhund ! "
" Forstmann ! " rief der Schulmeister , " so quer müßt Ihr um des Himmel Willen die Sachen nicht nehmen , das ist ja ein ganz falscher Gesichtspunkt .
Der Dichter muß es am besten wissen , warum er den tüchtigen Stelzbein nicht wieder auftreten läßt .
Daß wir ihn nicht wiedersehen , daß wir gar nichts weiter von ihm hören , als ganz zuletzt ein einziges Wort , scheint mir eben der größte Fehler des Stücks zu sein .
Er konnte , wie bei Weisslingen Bund , den Götz vom Bauernkriege abraten ; er konnte zum alten Kaiser reiten und dem die ganze Kabale aufdecken ; er mußte den versunkenen Karren wieder aus dem Schlamme ziehen und selber dem übermütigen Sickingen helfen .
So ist es aber oft die Dichter legen einen Charakter gut und richtig an , sie wissen aber nicht den gehörigen Vorteil aus ihm zu ziehen , und so müssen sie ihn denn am Ende gar nolens volens ganz fallenlassen . "
" Das ist immer ein schlechter Nolenz-Volenz " , bemerkte der Schulz .
" Hat Euch aber der Baron als Götz nicht viel besser gefallen , als gestern der Professor ? "
" Ohne Frage ! " rief der Schulmeister , und alle Genossen am Tische bekräftigten diesen Ausspruch .
" Wie dieser fremde Professor kann eigentlich jeder Mensch spielen , denn es war , um es geradeheraus zu sagen , gar nicht gespielt .
So schlicht weg alles , so schlank hin , gar nicht einmal wie auswendig gelernt - was ist denn darin für Kunst ?
Unser Baron nahm den Mund so hübsch voll , ließ sich so recht Zeit zu allem , stampfte so gravitätisch umher , glotzte seine Mitsprechenden so künstlicher Weise an , und plötzlich , ohne daß es ein Mensch vermuten konnte , schrie er so laut und zerarbeitete sich so fürchterlich , daß man wirklich erschrak .
Nein , so leicht wird dem Manne das keiner wieder nachmachen .
Ich habe in alten Büchern oft von den ungeheuren Effekten gelesen , die die Trauerspiele bei den Griechen auf die Zuschauer machten , so daß schwangere Weiber zu früh in die Wochen kamen , daß andere Krämpfe kriegten , und dergleichen mehr , was ich immer nicht glauben konnte , bis ich nun erlebte , daß durch den Baron Mannlich hier bei uns ganz dasselbe hervorgebracht ist . "
" Effekte ! " rief der Schulze , " was sind das für Dinger ? "
" Man kann es auch Wirkungen nennen " , belehrte der Schulmeister , " aber Effekt ist der eigentliche Ausdruck , der in der Kunst angewendet werden muß , wenn man sich verständlich machen will .
Es ist nämlich der Eindruck , welchen die Zuschauer an sich verspüren , ob sie sich wohl , ob sie sich übel befinden , wie stark sie erschrecken , weinen , oder lachen , gespannt sind und sich verwundern ; alles dies , was in der Seele des Zuschauers und Hörers so durcheinander vorgeht , nennen wir Gelehrten die Effekte .
Nun also , Freunde , Kinder , Nachbaren , verständige Männer habt ihr es ja alle selbst gesehen und erlebt , wie auf ganz ähnliche Weise , wie im alten Athen , unser Baron Mannlich den ungeheuersten Effekt hervorbrachte .
Zwar ist keine von den Damen plötzlich in die Wochen gekommen , denn dazu waren sie zu alt , aber Krämpfe hat es doch gegeben , Krämpfe aller Art , und gefährliche Ohnmacht , so daß das Stück nicht einmal zu Ende gespielt werden konnte .
Es war auf jeden Fall ein großer , ein merkwürdiger , ein erhabener Moment . "
" Lari fari ! " rief der Schulze , welcher verdrießlich war , daß der Schulmeister so lange das Wort führte , " die Weibsen erschraken über die Grobheit , die dem Baron in der Bosheit aus dem Munde fuhr .
Effekte !
Wenn ich mit einem Male dem Kaiser und Reich so ganz unscheniert dasselbe sagen wollte ; wenn ich so zum Superintendenten spräche , oder dem Landrat das böte :
mein Seele , so würde ich auch Effekte machen und hervorbringen , und das kann auch ein jeder , solange er diese seine vaterländische grobe Muttersprache spricht .
Ich kriegte auch von dem lieben Effekt etwas ab , denn ich mußte laut lachen , wie sich der Baron so vergessen konnte . "
" Einfältiger Mensch ! " rief der Schulmeister , " das anstößige Wort war ja kein Einfall von ihm , es stand ja die Redensart ganz so in seiner Rolle , ich kann es Euch gedruckt im Buche zeigen .
Und würde denn nach dem ordinären Wort , das wir ja auch zuweilen in unseren Dörfern hören , diese ungeheure Wirkung , der erhabene , einzige Effekt sich gezeigt haben , wenn die Gemüter durch das großartige Spiel nicht schon längst darauf wären vorbereitet worden , diese Sentenz , wie sie nun einmal ist , so aufzunehmen , wie wir es alle gesehen haben ? -
Wie herrlich wäre es , wenn der Baron Elsheim sein Theater bestehen ließe , daß wir zum Unterricht und zur Besserung der Gemeine nur sechs oder siebenmal im Jahre so klassische patriotische Schauspiele aufführten !
wir würden bald den Nutzen davon gewahr werden . "
" Es war aber doch gut " , sagte der Schulze , " daß gestern der Professor die anstößige Rede wegließ . "
" Verdorben hat er den Text " sagte der Schulmeister eifernd .
"' Er aber , er kann sich hängen lassen ! ' Wie matt , nichtssagend !
Es wird immer schwer , wenn nicht unmöglich sein , einem großen Dichter eine seiner Tiraden zu rauben und eine andere an die Stelle zu setzen . "
Spät erhoben sich die Gesellschaften , sowohl diese bäuerliche als jene vornehmere , von der Tafel , denn man hatte sich an beiden so gut unterhalten , daß man den Verlauf der Stunden nicht bemerkte .
Die Gesellschaft war in Bewegung , und hin und wieder sprach man davon , daß vielleicht in kurzem ein zweites Stück würde aufgeführt werden .
Da das Theater einmal errichtet war , und man Dekorationen gemalt , sowie mancherlei Kleidung und andere Dinge zu dieser Ergötzlichkeit mit bedeutenden Kosten angeschafft hatte , so war es an sich nicht unwahrscheinlich , daß diejenigen , welche sich Talent zutrauten , auch wohl Lust haben könnten , den Scherz weiter fortzuführen .
Man war daher auf etwas ; Ähnliches vorbereitet , als der Professor Emmrich schon am folgenden Tage alle Bewohner des Schlosses in den Gesellschaftssaal beschied , um ihnen etwas vorzutragen .
Mannlich , der zu Pferde wieder von seinem Gute eingetroffen war , befand sich auch zugegen .
" Meine Damen und Herren " , - fing der Professor Emmrich mit einiger Feierlichkeit an , die seiner Laune sehr gut stand , ohne eigentlich in das Komische zu fallen - " das Leben ist kurz , der Sommer noch kürzer , wir sind beisammen , das Theater ist errichtet , wir sind meist jung , keiner veraltet und morose :
was hindert uns , den Spaß weiter fortzutreiben ?
Baron Mannlich und Elsheim waren gleichsam die Direktoren und Anstifter der vorigen Aufführung ; ich wage mit Zuversicht auf Ihrer aller Freundschaft die einfache Frage , ob Sie sich für die zweite Darstellung meiner Leitung , aber freilich unbedingt , anvertrauen wollen ? "
Die Redlichen und Frohherzigen gaben sogleich ihre Zustimmung , und , um nicht aufzufallen , mußte Baron Mannlich dasselbe tun , ob er sich gleich durch diese Einleitung , da er sich für den ersten Kenner hielt , verletzt fühlte .
" Sind wir darüber einig " , fuhr der Professor fort , " so wollen wir einmal einen anderen Versuch machen , der dem vorigen gewissermaßen ganz entgegengesetzt ist .
Denn , meine verehrten Freunde , wie groß Goethe auch als Dichter sei ( und wie sehr ich ihn verehre , brauche ich nicht zu wiederholen ) , so ist er doch keineswegs theatralisch .
Dieses erste und in einem gewissen Sinne größte und herrlichste Werk des Genius gab der Jüngling damals hin , ganz unbekümmert um seine Wirkung und noch viel weniger darüber , wie es auf unserem deutschen Theater zur wirklichen Erscheinung gebracht werden könnte .
Er , der die Bühne liebte , hat sie doch eigentlich nie Mals geachtet und noch weniger studiert .
Sein Götz , welcher im Widerspruch gegen alle Gesinnung seiner Zeit war , ein Krieg gegen moderne Altklugheit und das Verkennen einer großherzigen Vorzeit , hänselte gleichsam das bestehende Theater der Nation , auf welchem man mit puritanischer Ängstlichkeit und zugleich oft roher Ungeschicklichkeit Zeit und Raum nach den überkommenen französischen Regeln beobachten wollte .
Der frohe Übermut spielte mit den sogenannten Verwandlungen legte auch in diese Überschriften Poesie und zwang diese Zufälligkeit , in seinem heroischen Werke mitzuspielen und durch das Hin und Her Eile und Verwirrung auszudrücken .
Ein solches Werk , welches ganz aus Liebe hervorgegangen ist , ist durch sich selbst vollendet , denn diese echte Begeisterung irrt niemals und erschafft sich selbst ihre Regel .
In diesem Gedicht stehen wir also nicht vor dem Theater , wir sehen keine Dekoration ; sondern , indem wir lesen , sind wir selber mit im Gedicht , wir fühlen den Duft des Bergwaldes , wir kommen aus der Mühle im Tal , wir hören das Geklirr des wirklichen Fensters , welches Götz in kräftigem Unwillen zuwirft , und so gehört uns und unserem Empfinden eine jede dieser Überschriften von Schenke , Feld und Lager .
Sehen wir nun Kulissen und die Veränderungen unserer Bühne , so wird uns statt der Wahrheit eine hergebrachte künstliche und konventionelle Täuschung untergeschoben .
Dadurch allein schon erlahmt das Werk ; sein Organismus aber wird völlig zerstört , wenn wir Szenen auslassen , zwei oder drei in eine zusammenziehen und jener Bühne , an welche der Dichter bei der Komposition in keinem Augenblicke dachte , zu Gefallen leben , uns vor ihr neigen und demütigen und darüber das Gedicht in Grund und Boden verderben .
Denn nicht eine Zeile , nicht ein Wort , auch nicht jene Ungezogenheiten lassen sich diesem wunderbaren Werke abhandeln , ohne seinem innersten Leben zu nahe zu tun .
Sie müssen dies bei der Aufführung alle selbst , mehr oder minder , empfunden haben .
Theatralisch , nach unseren Begriffen , ist also dieses Kunstwerk gewiß nicht .
Soll ich sagen , daß dieser Vorwurf selbst zu groß , daß er ungerecht sei ?
Ungern !
denn weder das echte poetische Theater , noch unser konventionelles hat unser Dichter jemals finden können , auch nachher nicht , als er es suchte und sich darum bemühte .
Nehmen wir also diesen Götz , so wie er eben da ist , als ein kanonisches Werk , in dem keine Zeile geändert oder gekürzt werden darf .
Eine untergehende edle Zeit malt sich in diesem Gedicht , welche neueren Bestrebungen weichen muß .
Der Repräsentant der alten Freiheit ist großherzig , bieder und rüstig , aber wir sehen keine Tat von ihm , die ihn eigentlich zum Helden eines Schauspiels stempelt .
Zustände , Situationen , Verhältnisse , Weisheit in Scherz und Ernst vernehmen wir ; unser Gemüt ist bewegt , unsere Aufmerksamkeit rege , Bild drängt sich auf Bild ; aber kein Drama , keine Handlung eines Schauspiels bereitet sich vor und entwickelt sich .
Die große Begebenheit des Bauernkrieges erscheint nur als Episode ; die noch größere der Reformation wird kaum angedeutet .
Der Kaiser ist eine Nebenfigur des Hintergrundes - und so geschichtlich alles behandelt ist , so wird die Historie der Zeit doch gleichsam verschwiegen .
Und dennoch bleibt dieses Werk für uns Deutsche , wie für den Ausländer , ein einziges , mit welchem sich kein anderes messen kann , selbst nicht der Egmont desselben Autors .
Sonderbar , daß Goethe selbst sich die überflüssige Mühe gegeben hat , seinen Götz für die Bühne völlig umzuarbeiten ; ich war kürzlich in Weimar und sah diese Erscheinung , auf welche man , als auf eine Neuigkeit , gespannt war .
Jener zufälligen Bühne , für welche sein Werk nicht paßt , hat er nun die größten Schönheiten aufgeopfert , und doch ist das Gedicht ohne alle dramatische Wirkung , einige Szenen abgerechnet , in welchen er einen beinahe melodramatischen Effekt beabsichtigt hat .
Dazu wird der Tod der Adelheid benutzt ; eine Mummerei tritt ein , der Hauptmann der Reichstruppen ist Karikatur , Franz spricht epigrammatische Reime , und Carlchen , welches fast an unseren Kotzebue erinnert , will Weisslingen , den Gefangenen , recht rührend mit dem Vater versöhnen .
Selten habe ich , wie damals , mit so widrigen Empfindungen das Theater verlassen , und ich kann das durchaus Störende nicht beschreiben , wie meine Kritik mit meiner Liebe zu dem Manne , der meine unbegrenzte Verehrung hat , in Hader geriet .
Dort in dem Wohnsitz der Kunst durfte ich meine Empfindungen nicht laut werden lassen . "
" Ich habe mir diese Darstellung " , fiel Elsheim ein , " von Freunden des Dichters schildern lassen und muß sie nach diesen Berichten auch für eine merkwürdige Verirrung halten . "
" Unser Theater " , fuhr Emmrich fort , " hat diesem Dichter , und darin hatte er wohl recht , niemals genügt ; aber er , der so viel Zeit mit Einstudieren und Einrichten so mancher unbedeutenden Stücke zubringt oder verliert , hat doch niemals die Bühne selbst reformieren oder revolutionieren wollen , sondern er meint , mit Mäßigung , richtiger Deklamation , Deutlichkeit und dergleichen auch löblichen Dingen sei alles getan .
Prüfen wir alle dramatischen Werke Goethes , so werden wir finden , daß ihnen jene Wirkung mangelt , die auch der feinsinnigste Kunstkenner , der sich nicht durch den Stoff bestechen läßt , verlangen muß .
So stehen in dem herrlichen Egmont alle an sich trefflichen Szenen still ; die dramatische Strömung , die alles in Bewegung setzt , fehlt . "
" Früh " , sagte Elsheim , " hatte sich der Dichter daran gewöhnt jede Frage , kritische wie moralische , in Dialog zu denken und zu setzen .
Diese scheinbare Verwandlung eines jeden Gegenstandes in einen dramatischen hat wohl sein Auge irregeführt .
Denn nicht alles Interessante und Wichtige eignet sich zum Drama , sowenig wie jede Geschichte eine historische Malerei werden kann .
Daß man den Roman schon früh in die Bühnendarstellung hat ziehen wollen , scheint mir einer der größten Mißgriffe und hat die schlimmsten Verwirrungen herbeigeführt . "
" Also denn , meine verehrten Freunde , wollen wir auf meinen Rat diese Bahn verlassen und unter meiner Leitung eine neue versuchen und einschlagen .
Baron Elsheim und Mannlich haben ihr Gelüst an dem Lieblingswerk ihrer Jugend befriedigt , und ich werde jetzt die Gesellschaft in Anspruch nehmen , meiner Krankheit denselben Dienst zu leisten , um durch diese Bemühung vielleicht geheilt zu werden .
Seit lange habe ich nämlich darüber gedacht , wie man das Gedicht von Shakespeare : den » Drei-Königs-Abend « oder » Was ihr wollt « durch eine Aufführung ganz klarmachen und in das gehörige Licht stellen könne .
Ich setze voraus , Ihnen allen ist das Gedicht bekannt :
sollte ich mich aber irren , so bitte ich diejenigen , welchen es fremd ist , diesen Halbkreis zu verlassen und sich dort in die Gegend des Sofas zu begeben . "
" Wem wird dies Meisterstück fremd sein ! " rief Mannlich aus , aber er brach ab , indem er sah , daß sich Graf Bitterfeld still nach jenem Sofa verfügte .
" Und die Rollen ? " fragte Elsheim .
" Ich glaube , ja ich bin fast überzeugt , daß wir mit diesen Mitgliedern die poetische Komödie vortrefflich ausführen können .
Auch kann sich hier das Talent viel sicherer entfalten , und es wird sich zeigen , ob wir was mehr als Naturalisten sind , da wir den Götz doch mehr oder minder als Dilettanten gespielt haben . "
" Sehr wahr " , sagte Mannlich , und sah jeden im Kreise mit festem Auge an .
" Diese ganz dichterische Komödie " , fuhr Emmrich fort , " zwingt uns , wenn wir sie nicht ganz verderben wollen , aus uns herauszutreten , und doch fordert die Zartheit und der rasche Wechsel , indem der Dichter nirgend schwerfällig verweilt , daß der Darsteller ebenfalls rasch sein muß und gehalten , nirgend Karikatur und stillstehende Grimasse .
Die Aufgabe wird nun sein , daß das Wichtige auf die rechte Art hervortritt , und jede Person , wie es die Gelegenheit fordert , auch wieder in den Hintergrund tritt , um nicht den Sinn des Gedichtes zu stören oder selbst zu vernichten .
Diese notwendige Kunst , sich zur rechten Zeit zurückzuziehen und unbemerkt zu bleiben , fehlt oft den besten Schauspielern vom Metier , die sich nur zu leicht verwöhnen , das ganze Stück und alle Szenen immerdar beherrschen zu wollen .
Alle Töne klingen in diesem einzigen Werke an , Posse und Spaß werden nicht verschmäht , das Niedrige selbst berührt und angedeutet , aber ebenso das Poetische , die Sehnsucht , die Töne der Liebe , und dabei so viel dichterischer Eigensinn , Tollheit , Weisheit , feiner Scherz und tiefsinnige Gedanken in der Gaukelei , daß das Poem wie ein großer vielfarbiger Schmetterling durch reine blaue Luft flattert , der Sonne und den buntfarbigen Blumen seinen goldenen Glanz entgegenspiegelt , und wer ihn haschen will , um ihn näher zu betrachten , hüte sich nur , vom leichten Duft des zartesten Blütenstaubes etwas abzustreifen , weil der kleinste Verlust die wie in Luft hingehauchte Schönheit schon verdirbt . "
" Das ist es " , fiel Elsheim ein , " warum so wenige Leser , die sonst den großen Dichter zu verstehen glauben und ihn wenigstens bewundern , mit diesen seinen Lustspielen etwas anzufangen wissen . "
" Wie glücklich sind wir Deutsche " , begann Emmrich wieder , " daß unser Schlegel uns diese und andere Werke des Briten so durchaus meisterhaft übersetzt hat .
Man sagt nicht zuviel , wenn man behauptet , der Umwandler habe sich hierin als wahrer Dichter gezeigt . "
" Nun aber " , fiel Mannlich ein , " zur Hauptsache , und , wie Freund Elsheim schon fragte , wie steht es mit den Rollen ? "
" Über einige Nebenrollen bin ich noch ungewiß " , sagte Emmrich , " doch müssen Sie mir alle , wie Sie mir versprachen , in den Hauptsachen Folge leisten .
Das Gelingen oder Fehlschlagen habe ich dann auch allein zu verantworten .
Um mit den Damen anzufangen , so wird sich Fräulein Charlotte nicht weigern , die reizende kapriziöse Olivia mit allen ihren poetischen Launen darzustellen .
In ihrer tiefen Trauer , die sie willkürlich verlängert , und doch mit Teilnahme den Narren anhört , ja sogar mit einiger Schadenfreude , wenn er ihren sehr würdigen Haushofmeister verspottet , so wunderbar im scheinbaren Widerspruch mit sich selbst ; sie , die gegen den Fürsten fast unartig ist und sich dann sogleich in einen kleinen naseweisen jungen Menschen verliebt , der sie durchaus nicht mit Hochachtung behandelt .
Von ihrem gestorbenen Bruder ist nun nicht mehr die Rede , und sie ergibt sich ganz dieser Leidenschaft . "
Mit einer besorglichen Miene fragte jetzt Albertine :
" Und Viola ? "
" Freilich müssen Sie , schönes Fräulein , diese geben " , erwiderte mit kaltblütiger Ruhe Emmrich .
" Und sein Sie unbekümmert ; ihr Anzug soll so dezent und zugleich artig ausfallen , daß auch die Prüderie selbst nicht darüber soll murren können .
Und ist Ihnen nicht unser Fräulein Dorothea so lobenswert und ohne alle Ängstlichkeit oder Ziererei mit dem Beispiel als Knabe Georg vorangegangen ?
Der Übermut , den Viola so willkürlich annimmt und anfangs übertreibt , um nur nicht als Mädchen erkannt zu werden , wird Sie , trotz Ihrem Hange zur Schwermut , allerliebst kleiden .
Die herzlichen Töne des Gemütes werden dann süß in den Empfindungen der Liebe anklingen , und mit einem Wort , Sie werden so hübsch und reizend sein , daß sich alle Welt in Sie verliebt .
Und welch Glück , daß Ihr Brüderchen zu uns gekommen ist ; dieser angenehme junge Kadett , der sich schon im Franz so ausgezeichnet hat .
Er ist ohne Frage in Anstand und Gesicht seiner Schwester Albertine ähnlich .
Sind beide gleich gekleidet , so müssen sie wirklich zum Verwechseln sein .
Dieses Vorzugs kann sich nicht leicht ein Theater rühmen , und wir müssen diesen Glücksfall auch benutzen . "
" Nicht wahr ? " rief Dorothea , " mir fällt gewiß das kleine schnippische Kammermädchen zu ? "
" So ist es , sind Sie damit einverstanden ? "
" Herrlich will ich sie spielen " , rief die Übermütige , " vorzüglich , wenn sie den überklugen Malfolio zum besten hat . "
" Diesen " , sprach Emmrich weiter , " habe ich mir freilich selbst vorbehalten .
Den Herzog wird Baron Elsheim darstellen , und den lieben , treuen , edlen Antonio , dessen kleine Rolle so hinreißend und eigen interessant ist , wird Herr Leonhard gewiß schön mit seinem weichen und doch kräftig männlichen Tenor sprechen . "
" Alles gut " , sagte Mannlich , " aber ich begreife nicht , wozu Sie mich noch brauchen könnten , da alle Rollen schon besetzt sind . "
" Unentbehrlich sind Sie uns , teurer , verehrter Baron " , rief Emmrich lebhaft aus ; " Ihre unvergleichliche Laune , gepaart mit der edlen Sitte der Erziehung , Ihre tiefe Stimme , die Sie so wunderbar in Ihrer Gewalt haben , Ihr Scherz , der sich alles erlauben darf und doch niemals sich bis zum Unziemlichen oder gar Niedrigen vergißt , alles dies stempelt Sie dazu , uns den Oheim der Olivia , den bei allen Schwächen liebenswürdigen Tobias , darzustellen . "
" Wie ? den Schlemmer ? den Trunkenbold ? " rief Mannlich verwundert aus .
" Denselben aber auch " , sagte Emmrich , " der den hochmütigen Malfolio so geistreich neckt , der fähig ist , sich in das hübsche witzige Kammermädchen zu verlieben und sie sogar zu heiraten ; denselben endlich , der mit so vieler Laune den Bleichenwange foppt und , wiewohl er ein Trunkenbold ist , doch immer ein Mann von Stande bleibt . "
" Nun , es sei einmal versucht " , sagte Mannlich , der sich durch die Rede geschmeichelt fühlte , lächelnd : " der Seltenheit wegen , und weil ich auch schon früher mein Wort gab , Ihnen unbedingt zu gehorchen . -
Aber wem haben Sie diesen Christoph zugeteilt ? "
" Diesen Andreas Fieberwange oder Christoph Bleichenwange , wie ihn Schlegel umtauft , wird unser Graf Bitterfeld gewiß mit aller Grazie und Feinheit geben , welche diese sehr schwere Rolle erfordert . "
" Wie gesagt , ich kenne das Gedicht nicht " , bemerkte der Graf , indem er sich vom Sofa erhob , " ich vertraue Ihrer Einsicht aber unbedingt und werde mich für den Mann stellen .
Schaffen Sie mir nur bald die Rolle , weil ich nur langsam lerne . "
" In dem Verwalter " , fing Emmrich wieder an , " welcher sich neulich so schnell als Sickingen versuchen mußte , habe ich ein schönes Talent entdeckt , fast die lieblichste Tenorstimme nämlich , die mein Ohr jemals vernommen hat .
Dabei kann er , wie ich öfter bemerkt habe , unter seinesgleichen recht kalt und ruhig scherzen ; seine Späße gleiten so rund und mit solcher Glätte von seinen Lippen , daß ich ihm die Rolle bestimmt habe , die ich für die schwerste im Stück halte ; er soll nämlich den allerliebsten Narren spielen , und ich bin fast jetzt schon überzeugt , daß es ihm mit einiger Zurechtweisung vollkommen gelingen wird . "
" Ich muß mir auch Ihre gütige Unterweisung ausbitten " , sagte Mannlich , " denn soviel ich auch gespielt oder vorgelesen habe , so habe ich mich doch noch niemals im Komischen versucht . "
" Um so erwünschter muß es Ihnen sein " , sagte Emmrich , " sich selber auch in dieser noch fremden Gegend kennenzulernen und sich zu überzeugen , daß dem Hochbegabten nichts unerreichbar ist , wohin er sich auch versteigen mag . "
Man trennte sich , und Leonhard und Elsheim waren diejenigen , welche am meisten nachdenkend schienen :
ob über die neue Aufgabe , die sie zu lösen hatten , war nicht zu entscheiden .
In diesem Grübeln war es dem jungen Tischler lieb , daß ihn der Professor schon am Nachmittage auf den Rittersaal bestellte , wo , wie jener ihm vertraut hatte , an der dort aufgeschlagenen Bühne viele und wesentliche Veränderungen vorgenommen werden müßten .
Im Vorsaal begegneten sich nach dem Mittagsessen Leonhard und Elsheim .
Schweigend sahen sich die Freunde beide lange an , endlich sagte der Tischler :
" Ich weiß nicht , Teuerster , wie es ist , aber du scheinst mir seit einigen Tagen , wenigstens auf Stunden lang , so verstimmt , daß ich dir gegenüber meine Unbefangenheit verliere .
Oft überrascht mich das Gefühl , ich möchte dich gekränkt oder verletzt haben , und doch wüßte ich nicht zu sagen , wodurch .
Soviel ist aber gewiß , jene heitere Laune , die dich auf unserer Herreise begeisterte , ist verschwunden . "
" Und sagst du das " , antwortete Elsheim , " so möchte ich dasselbe von dir behaupten .
Oh , Liebster , man hat sich nicht immer so in der Gewalt , wie man es wohl möchte .
Unsere Stimmungen hängen nur zu oft von einem unsichtbaren , einem gar nicht zu bezeichnenden Umstande ab .
Aprilwetter ist manchmal in uns , dagegen ist nichts zu tun ; und man bleibt ein Kind , werde man auch noch so alt. Du weißt es , daß ich mich seit Jahren darauf freute , hier dies Gut zu übernehmen und mit ihm die Übersicht meines Vermögens zu bekommen , meine gute Mutter ganz zur Ruhe zu setzen und sie aller Sorgen zu entheben , einmal das Lieblingsgedicht meiner Jugend aufzuführen und selbst im Darstellen desselben mitzuhandeln ; - so ist nun alles auch geworden , wie ich wollte , und das Ende davon ist , ich habe meine Mutter tief beleidigt und ihre alten Freunde gekränkt ; sie hat sich entfernt und verzeiht mir jene Übereilung vielleicht niemals ganz nun geht auch die Komödie fort , der ich mich unmöglich entziehen kann , und ich bin dadurch gezwungen , mit dieser Albertine in ein näheres Verhältnis zu treten , welches mich mehr als alles peinigt - jetzt kann ich meinen früheren Leichtsinn nicht wiederfinden , der ehemals alles dies und noch ernstere Dinge wie Staub würde von sich geschüttelt haben . "
Leonhard entfernte sich und zwar mit dem Gefühl , als ob sein Freund nicht ganz aufrichtig gegen ihn gewesen wäre .
Er begab sich nach dem Rittersaal , wo der stets rüstige Emmrich schon seiner wartete .
Er war sehr verwundert , daß Emmrich ihm sogleich mit dem Vorschlag entgegentrat , das Theater umzustellen und es in die volle Länge des Saales zu legen , statt daß es jetzt die Hälfte des oblongen Raumes einnahm .
" Wir gewinnen damit " , sagte der Professor , " daß die Zuschauer alle uns viel näher sitzen , und daß wir ein viel breiteres Proszenium bekommen .
Die Tiefe der Bühne geht freilich dadurch verloren , aber die Tiefe ist es auch , die mich bei jedem anderen Theater ärgert und die dem guten Schauspieler das Spiel unendlich erschwert .
Goethe sagt einmal im Meister , es wäre zu wünschen , die Spielenden bewegten sich auf dem schmalen Streifen einer Leine .
Gewiß kommen sie dem Ziele bedeutend näher , wenn wir die unnütze Tiefe unserer Bühnen abschaffen .
Freilich kann dann nicht mehr von einem unglücklichen Krönungszug die Rede sein , der um das ganze tiefe Viereck der Bühne marschiert , um dann im Hintergrund in das zu niedrige Portal einer mächtigen Kathedrale hineinzukriechen .
Dergleichen Züge , wenn sie denn einmal sein sollen , müssen dann vorn aus der ersten oder zweiten Kulisse im Profil nach der gegenüberliegenden Öffnung sich begeben , und nur auf diese Weise kann es mit Verstand und kunstmäßig geschehen , wie wir ja auch , wenn wir die Wahl haben , jene Fenster mieten , denen ein wirklicher Aufzug oder eine Prozession auf diese Weise vorübergeht . "
Mit Hilfe der Arbeiter wurde die Erhöhung der Bühne sogleich nach ihren Teilen so aneinandergeschoben , daß sie den Raum einnahm , welchen Emmrich bestimmt hatte .
" Wir haben hierbei außerdem den Vorteil " , sagte der Professor , " daß wir die Tür in der Mitte , die aus dem Saal in die Kabinette dort führt , benutzen und hinter der Bühne die Ankleidezimmer einrichten können ; rechts und links sind ebenfalls Ausgänge , so daß das ganze Theater bequem zum Spiel kann gebraucht werden . "
- Hierauf gab er dem aufmerksamen Leonhard eine Zeichnung , nach welcher in der Mitte der Bühne , nur wenige Fuß von der letzten Linie des Proszeniums zwei Säulen aufgerichtet werden sollten , die oben , bei zehn Fuß Höhe , einen ziemlich breiten Altan tragen sollten .
Die Säulen standen auf drei breiten Stufen , die die Tiefe des Proszeniums noch mehr verengten .
" Sie sehen " , sagte Emmrich , " wie mein Streben dahin geht , die Spielenden ganz in den Vordergrund , in die Nähe der Zuschauer zu drängen .
Diese drei Stufen führen zu einer inneren kleinen Bühne hinauf , die zuweilen mit einem Vorhang verdeckt , zuweilen offen ist ; sie stellt nach Gelegenheit Feld , Höhle , oder Zimmer vor ; in unserem Stück ist sie erst die Stube , wo die Trunkenbolde lärmen , und nachher die Gartenlaube , in welcher die Neckenden den tollen Monolog des Malfolio behorchen .
Den oberen Altan brauchen wir in unserem Lustspiel nicht , wenn er gleich dem Shakespeare und seinen Zeitgenossen unentbehrlich war ; zu ihm führen rechts und links ziemlich breite Stufen hinauf .
Auf diesen saßen die Ratsversammlungen und Parlamente , und mit wenigen Figuren erschien die Bühne doch angefüllt , weil der Raum rechts und links beschränkt war , und man sich so die Bänke erweitert denken konnte .
Auf den Stufen vorn und an den Seiten fielen die Sterbenden hin und lagen natürlich viel malerischer , als auf unseren Theatern ; an die freien Säulen lehnten sich die Melancholischen , oder Nachdenkenden ; die Stufen rechts oder links schritt Macbeth hinauf , sowie Falstaff in den lustigen Weibern ; auf dem oberen Balkon standen die Bürger und parlamentierten mit dem Könige Johann und Philipp August ; hier unten , von den Stufen erhöht , saßen König und Königin im Hamlet ; hier war Macbeths Tafel , wo Banquo erschien .
Ohne weitläufige Belehrung ergibt sich der Vorteil dieser Bühneneinrichtung .
Rechts und links auf dem Proszenium konnten zwei sich deutlich absondernde Gruppen stehen ; stand die eine etwas zurück , so war die Fiktion sehr natürlich , daß jene gegenüber sie nicht mehr bemerkte ; mit zwei einzelnen Personen war die Sache noch natürlicher .
Eine dritte Gruppe stand oder saß hier höher , auf der inneren kleineren Bühne , die aber doch durch diese Einrichtung den Zuschauern ganz nahe stand .
Keine Person deckte die andere , alle waren frei und gleichsam in Rahmen eingefaßt , wodurch das Bildliche und Malerische noch deutlicher hervortrat .
War es nun nötig , wie etwa in historischen Stücken , so zeigten sich oben auf dem Altan handelnde und sprechende Figuren ; in Heinrich dem Achten waren die Treppen rechts und links vom Parlament besetzt , auf der Stufe in der Mitte saß Wolsey , und über ihm auf der inneren Bühne der König Heinrich .
So war in allen Umständen , mochte das Bild aus vielen oder wenigen Figuren bestehen , die Gruppierung immer ungefähr so , wie Raffael und die guten Maler ihre Gemälde ordnen .
Auf diese Weise war die Bühne für die wesentlichen Forderungen ungefähr in ähnlicher Art wie die des Sophokles beschaffen ; doch behaupte ich , man kann im Shakespeare und seinen Zeitgenossen nicht alles verstehen , manches bleibt unklar , wenn man nicht soviel Kenntnis von der Sache hat , um jene echte europäische oder wenigstens englische Bühne sich zu vergegenwärtigen .
Frankreich , Deutschland sogar , ebenso Spanien hatten anfangs auch eine ähnliche Einrichtung ; als die Franzosen scheinbar aufgeklärt ihre Dramen nach dem Muster der Alten , wie sie sich einbildeten , formten , errichteten sie die neuere Bühne , welche den Tragödien und Lustspielen , in welchen nur wenige Personen sprechen , in welchen sich niemals Gruppen zu stellen brauchen , wo keine Volksaufläufe , Belagerungen und dergleichen sich gestalten , auch vollkommen angemessen ist .
Wir Deutschen haben jetzt dieses konventionelle , eng begrenzte Schauspiel wieder aufgegeben ; nun paßt uns die angenommene Bühne nicht , diese alte englische oder europäische Form ist vergessen , und wir quälen uns daher höchst unkünstlerisch mit Dekorationen , bauen in den Zwischenakten Hügel und Festungen auf , Galerien und Terrassen , und fühlen , wie Text und Theater sich gegenseitig hindern , miteinander streiten , alles schwierig , zeitraubend , ungeschickt herauskommt , und der Regisseur sich erleichtert fühlt , wenn er einmal wieder ein Drama einrichtet , in welchem ohne Holzböcke und aufgelegte Bretter , ohne Balkons und Festungswälle gespielt werden kann .
Dieses ältere Theater aber , welches wir hier im kleinen nachahmen , spielt in jeder Szene selber mit , es darf sogar zu den Hauptpersonen gerechnet werden , es erleichtert auch jedem Auftretenden sein Spiel , es hilft ihm , es unterstützt ihn , er steht nicht verlassen in einem wüssten leeren Viereck , sondern kann sich geistig und körperlich allenthalben anlehnen und wie ein Gemälde in seinen Rahmen treten .
Wollen wir den Shakespeare nun wirklich aufführen , ohne ihn zu entstellen , so müssen wir damit anfangen , uns ein Theater einzurichten , das dem seinigen ähnlich ist . "
" So sind uns jene Dekorationen , die kürzlich gemalt sind , auch ganz überflüssig " , sagte Leonhard .
Emmrich antwortete :
" Wenn wir die Räume anständig bekleiden und verzieren , wenn die Vorhänge , die die innere Bühne verdecken , mit Schicklichkeit sich schließen und öffnen , wenn in diesem kleineren Theater die Hinterwand wieder aus Seide oder Tuch besteht , so sind sie uns freilich überflüssig .
Indessen können wir einzelne Stücke von Wald , Feld und Garten drinnen aufstellen , um manche Szenen noch bestimmter anzudeuten . "
" Ein sehr viel breiterer Vorhang , als jener , wird aber notwendig sein " , sagte Leonhard .
" Wir brauchen gar keinen , der vorn die ganze Bühne schlösse " , antwortete Emmrich , " wie Shakespeare auch keinen solchen auf seinem Theater hatte .
Sorgen wir nur , daß durch Verzierung die Bühne sich geschmackvoll und nicht allzu störend mit dem übrigen Saal verbindet .
Bei den Engländern war das ganze Gebäude eine Rotunde oder ein Viereck , und die Logenreihen standen in Verhältnis mit dem Balcon hier ; dieser war fast nur eine Fortsetzung derselben , so daß die Bühne in sich selbst ein schön geordnetes Ganzes war , und die Zuschauenden dadurch gleichsam zu den Mitspielenden gehörten , ganz ähnlich dem griechischen Theater .
Bei uns ist der grelle Abschnitt der Bühne vom Schauspielhause völlig unkünstlerisch und barbarisch ; schon vorher , besonders aber , wenn der Vorhang aufgezogen ist , sieht das Haus nicht anders aus , als wenn die eine Hälfte weggeworfen wäre .
Wir setzen gerade darin den Vorzug , daß Bühne und Zuschauer in gar keiner Verbindung sein sollen . "
Leonhard entfernte sich mit der Zeichnung , um danach eine genauere auszuarbeiten , damit gleich am folgenden Tage der Anfang gemacht werden könne , die Bühne nach dieser neuen Ansicht einzurichten .
Indem er fleißig arbeitete und rechnete , fielen ihm die Szenen in Romeo und Othello ein , in Heinrich dem Sechsten und der Sommernacht , die sich anständig , ja selbst möglich nur in dieser Bühneneinrichtung gestalteten .
Als er mit seiner Zeichnung schon ziemlich weit gediehen war , kam Emmrich hinzu , und beide arbeiteten nun gemeinschaftlich .
Der Professor sagte :
" Es gefällt mir an Ihnen , werter Herr Leonhard , daß Sie so leicht die fast angeborenen Vorurteile anderer Architekten haben ablegen können ; denn diesen schweben in der Regel , wenn von einem Theater die Rede ist , gleich alle die Kindereien und hergebrachten Torheiten vor , die ich für unnütz oder schädlich halte . "
" Wenn wir etwas Neues lernen " , sagte Leonhard , " müssen wir uns diesem gleich ganz hingeben können , damit nicht eine widernatürliche Vermischung zweier entgegengesetzten Dinge entstehe , die schlimmer als alles ist . "
" Sehr wahr " , sagte Emmrich , " und doch glauben oft kluge Menschen , durch eine solche Vermittlung , wie sie es nennen , allen Forderungen zu genügen . "
" Weil so wenige Menschen bedenken " , sagte Leonhard , " daß das Rechte und Tüchtige in sich vollständig sein und aus einem Stücke bestehen muß .
Mäkeln denn nicht so viele , auch geistreiche an Meisterwerken ?
Ist es denn nicht in der Regel das Einzelne , Unzusammenhängende , was die Menschen entzückt ?
Die meisten sind viel zu kraftlos , um den Glauben und die Demut zu finden , die unerläßlich sind , um ein echtes Kunstwerk zu verstehen . "
" Das gefällt mir " , erwiderte Emmrich , " daß Sie behaupten , aus Kraft gehe die echte Demut hervor .
Nichts ist so unbändig als die Schwäche und Geistesohnmacht .
Sie widerstrebt allem Großen und Vollendeten , besonders in der Kunst , sie will keine Autoritäten anerkennen , um sich sklavisch vor dem ersten besten Scharlatan zu erniedrigen , der die geringe Kunst des Taschenspielers besitzt , diesen hochfahrenden Mittelmäßigen zu imponieren . "
" Auch jene trockene Altklugheit " , fuhr Leonhard fort , " ist Schwäche .
Diese echten Philister meinen , in ihrem Inneren das höchste Ideal zu besitzen , und nun gehen sie sich gar nicht einmal mehr die Mühe , in ein Kunstwerk einzudringen , sondern sie bleiben recht mit Vorsatz außerhalb vor demselben stehen und schauen nun mit blödem Auge an der Poesie und dem Gemälde umher , um nur schnell die Mängel zu finden , die nach ihrer Aussage zum Ideal noch fehlen . "
" Wie Sie schon früher bemerkten " , sagte Emmrich , " so ist eben jedes echte Werk , das der wahren Kunst angehört , in sich selbst begrenzt und vollendet .
Aber von jenem ganz verwerflichen Eklektizismus eines Mengs , der die Vorzüge eines Raffael , Tizian und Correggio vereinigen wollte , können sich selbst in unseren Tagen manche hochbegabte Geister nicht losmachen , die für Stimmführer der besseren Zeit und Einsicht gelten wollen . "
Hier wurden sie unterbrochen , indem Elsheim hereintrat , welchem der Schulmeister folgte .
" Ich bringe hier einen Supplikanten " , sagte Elsheim lachend , " der sich durchaus nicht will abweisen lassen . "
" Ja wohl " , sagte der Schulmeister ; " ich habe nämlich gehört , daß wieder eine Komödie im Werk ist , und nun sagt mir der Herr Baron , daß Sie , Herr Professor , das Ding diesmal unumschränkt dirigieren , daß er nichts dabei zu befehlen habe , daß ich aber keine Rolle darin bekommen soll , da ich mich doch bei der vorigen Aufführung gewiß zu meinem Vorteil ausgezeichnet habe . "
" Lieber Mann " , sagte Emmrich , " Sie haben gewiß recht wacker agiert , aber unser Herr Baron wünschte doch deswegen hauptsächlich Ihren Beistand , weil Selbitz mit einem Stelzfuß auftreten muß ; dieser qualifizierte Sie gleichsam von Natur zu jener Rolle ; in dem Lustspiel aber , welches wir jetzt geben wollen , erscheint kein Mann mit dieser Verstümmelung . "
" Lassen Sie sich dienen " , erwiderte der Schulmeister mit der größten Lebhaftigkeit .
" Unser junger Herr Baron hat das Stück vom Götz recht sehr hübsch eingerichtet , abgekürzt und umgearbeitet , damit wir es auf dem Theater spielen konnten .
Das muß so höre ich und habe es auch gelesen , immerdar mit so widerhaarigen Dingen geschehen , die in unseren Zeiten , da wir viel feiner sind , erst eine anständige Frisur erhalten müssen .
Mit dem britannischen wunderlichen Poeten ist das aber am allernötigsten und geschieht auch immer von einsichtigen Leuten .
Ich habe mir nun das Buch geben lassen und das schnurrige Ding gelesen .
Es ist freilich nicht viel dran , es ist sehr leichte und lose Ware ; indessen da Sie , geehrter Herr Professor , einmal eine Vorliebe für die schnakische Komödie haben , so bin ich gekommen , Ihnen einen recht akzeptablen Vorschlag zu tun , der Ihnen auch Ehre bringen wird .
Als der Häscher oder Gerichtsfron nämlich den alten Antonio , den Seecapitain , seinem jungen Herzoge als Gefangenen vorstellt , sagt er unter anderen Worten auch ungefähr so :
» Das ist der Antonio , der den Phönix enterte , wo Euer junger Neffe ein Bein verlor . «
- Die Rede ist mir gleich aufgefallen .
Setzen wir statt dessen : wo Euer alter Ohm ein Bein verlor , und bringen Sie so , verehrter Herr Professor , mir und der Komödie zuliebe einen alten , tüchtigen , tapferen und welterfahrenen Mann in das Stück , der wieder , wie Selbitz , einen Stelzfuß haben kann und muß .
Begreifen Sie nur , Herr Professor , daß es überhaupt in dem Stück an einem verständigen Manne fehlt , denn die meisten sind wirkliche Narren .
Dieser Oheim kann also klüger sein , als alle , er kann gewissermaßen die Politik des Herzogs lenken ; er ist auch gegen das Heiratsprojekt mit der abenteuerlichen Olivia , er möchte überhaupt gern Ruhe und Ordnung an dem verwirrten Hofe herstellen , und nur die phantastischen Launen des jungen Fürsten arbeiten ihm immer entgegen .
Wie er seinen ehemaligen Feind , den biederherzigen Antonio , wiederfindet , ihm Gerechtigkeit widerfahren läßt , den alten Groll aufgibt und sich mit ihm versöhnt ; - welche herrliche , rührende Szene könnte das geben !
Wie edler fiele das Ganze aus , wenn sich die schwärmerische Viola gleich von Anfang diesem biederen Alten vertraute , und er , da er ein persönlicher Freund ihres Vaters gewesen ist , ihr mit Rat und Tat beistände , so die Entwicklung und den Schluß viel vernünftiger machte und ihm einen Teil des Abenteuerlichen nähme , welches so gehäuft ist , daß es den Gebildeten verletzen muß .
Werter Herr Professor , dichten Sie diese Szenen hinzu und schieben Sie sie ein , und Sie werden sehen , was das Ganze dadurch gewinnen wird .
Ich aber bleibe Ihnen ewig dankbar , denn Sie haben mir eine herrliche Rolle erschaffen . "
Emmrich konnte es nicht unterlassen , Leonhard schalkhaft lächelnd anzusehen , worauf er sich aber gleich mit der größten Ernsthaftigkeit zum Stelzfuß wandte , indem er sagte : " Lieber Mann , es ist mir nicht möglich , Ihnen in der Kürze deutlich zu machen , wie Ihr abenteuerlicher Vorschlag auf keine Weise anzunehmen ist , weil auf diese Weise das ganze Gedicht zerstört würde .
Sie scheinen es ganz vergessen zu haben , daß wir uns auch beim Götz dergleichen gewaltsame Zusätze nicht erlaubten , ja , wenn man so freibeuten wollte , könnte man auch recht bequem den Selbitz und Sickingen zu einer Person vereinigen .
Nein , mein Freund , bei diesem Stück können wir durchaus Ihre Unterstützung nicht brauchen . "
" Nun meinethalben ! " rief der Schulmeister erbost , " Sie mögen es also haben mit Ihrer Aufführung eines barbarischen Werks !
Das ist nun also mein Dank , daß ich mir vorher die Mühe gegeben und zweimal als Selbitz so allgemeinen Beifall eingeerntet habe ?
Auch die höchsten und allerhöchsten Herrschaften haben mein Spiel gelobt und sehr gelobt , ich habe es wohl wieder erfahren und bin dadurch außerordentlich auf gemuntert worden .
Ja , ja !
aber Neid , Mißgunst !
Wo sich einmal Talent bei einem armen , sonst unbemerkten Manne zeigt , da ist es gleich diesem und jenem nicht recht , da fürchtet gleich der und der , er leide Schaden dabei , er werde verdunkelt , man könne den armen , ungelehrten , bürgerlichen Kauz wohl gar ihm vorziehen ; der ist gut genug , das Vieh zu hüten und die ungezogene Dorfjugend zu prügeln .
Und daß nun mein Stelzfuß zum Vorwand dienen muß , mein abgenommenes Bein , das ich vor dem Feinde und im Dienst des Vaterlandes verloren habe , das ist allzu hart , das möchte den Stein in der Erde erbarmen , das ist - - "
Er war in ein heftiges Weinen geraten , und schluchzte jetzt so stark , daß er nicht weitersprechen konnte .
Emmrich war verstimmt , verdrießlich und dennoch beinahe über diese Torheit und Leidenschaft des alten Mannes etwas gerührt .
" Geben Sie sich zufrieden " , sagte er dann , und legte ihm die Hand auf die Schulter ; " wenn Sie mir eins versprechen und Ihr Wort halten können , so will ich Ihnen eine Rolle , wenn auch keine große , anvertrauen . "
Der Schulmeister trocknete schnell seine Augen , und seine trübselige Miene ging in ein heiteres Lachen über .
" Sie haben " , fuhr Emmrich fort , " Ihren Selbitz recht brav und mit Einsicht gespielt , nur drängte er sich zuviel vor , und Sie sprachen jedes Wort , auch das unbedeutendste , zu laut und gewichtig .
Wollen Sie also meiner Anweisung folgen und sich gehörig mäßigen , ganz natürlich und einfach sprechen , so sollen Sie den Fabio oder Fabian spielen , zwar keine große Rolle , aber einen von den wenigen verständigen Menschen im Stück , den der Dichter sich für die letzte Hälfte aufbewahrt hat .
Er kann von mittlerem Alter sein , und der Stelzfuß wird nicht sehr hindern . "
Der Schulmeister küßte im Rausche der Dankbarkeit und Freude die Hand des Professors , und eilte in Begeisterung fort , um sogleich seine Rolle abzuschreiben und sie auswendig zu lernen .
" Über die beiden so verschiedenen Narren ! " sagte Elsheim ; " der eine weinte neulich , weil er mitspielen sollte , und dieser heult , weil man ihm eine Rolle verweigert .
Aber schlimm , lieber Professor , haben Sie sich gebettet , denn nach Ihrer Anordnung kommt nun der Graf Bitterfeld in unmittelbare Berührung mit diesem Schulmeister und dem Verwalter . "
" Wie schwer ist es " , sagte Emmrich , " das Regiment zu führen , und wie verwickelt sind alle Regierungsverhältnisse ! "
Die neue Einrichtung des Theaters war , da man eilte und die Gehilfen fleißig waren , in wenigen Tagen beendigt .
Emmrich sagte zu Elsheim :
" Da nun , wie Sie mir mitteilten , Ihre Mutter bald zurück kommt , und gleich nachher ihr Geburtstag einfällt , so denke ich , feiern wir diesen mit der Aufführung unseres Stücks , und Sie erlauben mir wohl , einen kleinen Epilog hinzuzufügen , um der alten Dame einige Artigkeiten zu sagen .
Ich hoffe , sie soll sich dadurch mit unserem Theater wieder versöhnen . "
" Mir ist es auch schon eingefallen " , erwiderte Elsheim , " und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . "
Jetzt verfügte man sich in den Saal , wo die übrige Gesellschaft schon versammelt war , und der Professor las allen Mitspielenden das Lustspiel vor , weil er ihnen so am besten andeuten konnte , in welchem Sinne jede Rolle gefaßt , und in welcher Spiel- und Tonart sie gesprochen und dargestellt werden müsse .
Elsheim , der die Komödie genau kannte und liebte , fühlte sich doch überrascht , weil ihm jetzt zum erstenmal die harmonische Einheit , die hohe Vollendung dieses Kunstwerks deutlich wurde .
Als Emmrich geendigt hatte , sagte er : " mitteilen ?
So schön dieses Gedicht in sanften Reden von Liebe Sehnsucht und poetischen Träumen duftet , so weht doch durch den ganzen Blumenstrauß ein leiser Zephir ebenso anmutig in feiner Ironie , und er ist es eben , der , die Blütenkränze anregend , ihnen diesen süßen Atem entlockt .
Es scheint , in unserer Zeit wenigstens , den meisten Poesiefreunden zu schwer , zum Teil unmöglich , sich diese Lieblichkeit und Fülle im Vortrage dieses leichten und doch bedeutsamen Scherzes anzueignen .
Unsere Bildung hat etwas Prunkendes , Schwerfälliges , und die sich für leichtfertig oder für freigeistige Libertins geben , hantieren in ihrem traurigen Gewerbe ebenso steif und altklug , indem sie alles Ernste und Poetische mit grobem Hohn von sich abweisen .
Jene Zeiten , die wir in unserem Dünkel gern barbarisch schelten möchten , waren in dieser Hinsicht feiner gestimmt , denn sonst hätte dieses Stück , sowie die » Sommernacht « , der » Liebe Mühe « und » Wie es euch gefällt « , nicht zu Lieblingsstücken werden können .
Hat auch kein anderer Zeitgenosse , außer Shakespeare , diese himmelreine ätherische Höhe erstiegen , so grenzt doch manches Werk jener Tage an die seinigen , und wenn auch die Zuschauer diesen Lebenswein nicht mit vollem Bewußtsein einschlürften , um genau zu wissen , was sie tranken , so ist doch der Instinkt , das Gefühl und die reine Luft sehr hochzustellen , mit der sie diese Kunstwerke , vielleicht ohne alle Kritik , genossen " .
" Ein wahres Publikum " , sagte Elsheim , " sollte wohl immer so sein , wie Sie es da eben beschreiben , der echte Dichter könnte sich wenigstens kein besseres wünschen .
Sind noch einige wahre Kenner in diesem Parterre , die diese Gefühle erläutern , anstatt sie irrezuführen , so ist eigentlich eine wahre Kunstzeit repräsentiert . "
" Das Stück heißt " , fuhr Emmrich fort " ein Drei-Königs-Abend oder eigentlich bloß Twelf-night .
Ein alter Gebrauch hatte an diesem Abend eine Menge Späße , Scherze , Verkleidungen ländlicher , mitunter etwas roher und bäuerlicher Feste erlaubt aber für diese Stunden auch alle Hazard-Spiele , welche sonst streng verboten waren .
Selbst am Hofe huldigte man der alten Sitte und Freiheit .
An diesem Abend wurde also vielleicht auch dieses sonderbare Lustspiel , welches lauter Glücksfälle enthält , zuerst gespielt , es war also die Lust eines Drei-Königs-Abends , an welchem auch der Bohnenkönig durch Lotterie erwählt oder gefunden wurde ; eine solche heitere Torheit losgebundener Laune sollte es vorstellen , oder - setzt der Dichter mit heiterem Leichtsinn hinzu - Was ihr sonst wollt - nennt es , wie es euch gut dünkt .
- Sogleich im Anbeginn sehen wir einen phantastischen jungen Fürsten , der mit der Leidenschaft der Liebe spielt und gewaltsam das Herz einer jungen Schönheit , die außerdem eine reiche Erbin ist , zu gewinnen trachtet .
Sie will nichts von ihm wissen und trauert in der Einsamkeit um ihren Bruder .
Sie erheitert aber den Schmerz , mit welchem sie auch poetisch spielt , mit dem Kammermädchen und dem Geschwätz ihres Narren ; und in Sehnsucht nach wahrer Liebe , weil sie an die des Herzogs nicht glaubt , überläßt sie sich einem leidenschaftlichen Gefühl für einen schönen vermeinten Jüngling .
Diese Person , aus einem guten Hause stammend , aber ohne Vermögen , ist mit dem ebenso schönen Bruder leichthin auf Abenteuer ausgereist , und beide wollen Glück machen oder es suchen .
Es gelingt auch beiden über Erwartung ; sie fesselt den jungen Fürsten , in den sie sich verliebt hat , und er trägt , weil er durch die Ähnlichkeit mit seiner Schwester verwechselt wird , die reiche Erbin davon , deren große Güter doch vielleicht in der Liebe des Fürsten am meisten den Ausschlag gaben .
Ein reicher Freier , der auch um Olivin wirbt , wird von allen gefoppt , am meisten von einem launigen , tollen und Wein liebenden Oheim , der obenein Geld von ihm zieht , indem er seine Albernheit und komische Feigheit in Tätigkeit setzt .
Diesen erobert noch das kleine witzige Kammermädchen und wird durch diese Verbindung mit ihrer Gebieterin verwandt .
Die meisten gewinnen , fast ohne Bemühung , durch Leichtsinn und ohne tiefen Plan oder angestrengten Verstand ein großes , bedeutendes Los , und nur der hochmütige , grollende Malfolio , der seiner Überzeugung nach schon die Bohne gefunden hat und also unbedingt der oberste Herrscher und König des Festes ist , geht ganz leer aus und wird zum Gegenstand des allgemeinen Gespöttes .
Wie mancher Dichter , und wir haben dergleichen Werke von großen ausgezeichneten Talenten , würde nun mit scharfer Bitterkeit alle diese Absichten dem Zuschauer so recht nahe vors Auge gerückt haben , um in der Anklage menschlicher Schwächen und Torheiten einen herben unerfreulichen Witz zu entwickeln :
ein solches Lustspiel aber , wenn man auch den Verstand des Verfassers bewundert , kränkt und demütigt mehr , als daß es erheitern und erheben könnte .
Shakespeare läßt in seinem ätherischen Gewebe alles dies mehr ahnden , höchstens erraten .
Daher , wie gesagt , geschieht es denn auch , daß ein solches Gewirk , welches von Feenhand gewoben ist , seiner Feinheit wegen für unbedeutend gehalten wird . "
" So mag es wohl sein ! " rief jetzt der Schulmeister , der sich nicht länger zurückhalten konnte , "- und ich bitte ab .
Wenn man nur öfter dazu Gelegenheit hätte , daß einem solche Lichter aufgesteckt würden ! "
Alle sahen den aufgeregten Husaren mit einiger Verwunderung an ; er ließ sich aber nicht irremachen , sondern schmunzelte lächelnd wie in sich selbst hinein und rieb fröhlich die Hände .
" Am liebenswürdigsten " , fing Emmrich wieder an , " ist dieser poetische Leichtsinn , der im ganzen Stücke vorherrscht , in der herrlichen Viola gezeichnet .
Sie jammert um den Bruder , der nach ihrer Meinung ertrunken ist » Ach armer Bruder ! « -
und unmittelbar darauf , heiter und lebensmutig » Vielleicht entkam er doch ! «- Sie erkennt Olivins Leidenschaft zu ihr , indem sie beklagt , daß sie selbst den Herzog liebt , für den sie werben muß » Wie soll das werden ? « sagt sie - und gleich hernach » O Zeit , du selbst entwirre dies , nicht ich ! « -
Der redliche , alte , erfahrene Antonio hat eine solche poetische Freundschaft für den jungen Burschen Sebastian gefaßt , daß er ihm in die feindliche Stadt mit Gefahr seines Lebens folgt , und erscheint hierin leichtsinnig , gleich den übrigen .
Aber ein praktischer verständiger Mann sieht auf alles dies Getreibe mit Lebensweisheit und echter Ironie hinab , jeden benutzend , um zu erwerben und seinen Besitz zu vermehren , und dieser Gründliche , Erfahrene ist der Narr des Stocks , der freilich auch , weiß der Himmel aus welchem poetischen Gelüste , weggelaufen war und in Gefahr stand , seinen bequemen und einträglichen Dienst zu verlieren . "
Nachdem man sich getrennt hatte , nahm der eifrige Emmrich den Schulmeister mit auf sein Zimmer , um ihm die Rolle des Fabio einzustudieren .
Als ihm Elsheim nachher im Garten begegnete , und ihn , der nicht mehr jung war , mit seiner Unermüdlichkeit scherzend neckte , sagte der Professor :
" Lieber Freund , brauche ich es Ihnen denn auseinanderzusetzen , daß man nichts im Leben mit solchem Ernst und Eifer treiben müsse , als die sogenannten Spiele ?
Bei wahren Geschäften und Amtsverrichtungen , dem Richter und Geistlichen mag hie und da ein Nachlaß erlaubt sein , es kann selbst Wohltat werden , dies und jenes , was notwendig schien , fallenzulassen - aber was bleibt vom Spiel übrig , wenn wir es mit Leichtsinn und obenhin treiben und es dadurch zerstören ?
Hier muß die Regel beobachtet werden , auch das Kleinste darf man nicht nachlassen , und fragt man erst : Wozu fruchtet ?
Welchen Schaden bringt die Vernachlässigung ? so ist es viel besser , die ganze Sache gleich aufzugeben . -
Jetzt gehe ich , dem Grafen und dem Baron Mannlich ihre Rollen beizubringen . "
Elsheim begleitete ihn in den kleinen Saal , wo die beiden Herren schon seiner warteten .
Elsheim setzte sich nieder , indem er sagte : " Ich will keine Störung machen , lieben Freunde , sondern auch bei dieser Gelegenheit von unserem Professor etwas lernen . "
Mannlich und der Graf begannen ihre Rollen ; beide sprachen und gebärdeten sich , mit einigen Modifikationen , so wie sie es gewöhnlich im Leben taten , und Emmrich sagte :
" Sie haben , Baron Mannlich , ganz meine Meinung gefaßt .
Dieser Tobias ist ein wackerer Edelmann aus gutem Hause , er ist brav , mutig und kann den Kavalier nicht verleugnen .
Nur hat er sich aus Bequemlichkeit gehen und dabei etwas sinken lassen , er ist in schlechte Gesellschaft geraten und war in dieser immer der Klügste und Anständigste .
Im Hause seiner reichen Nichte hat er für nichts zu sorgen , und da er ohne Beschäftigung und ein alter Junggesell ist , so hat er sich dem Schlemmen , doch auf eine unschuldige Weise , ergeben .
In den Anfällen seiner Trunkenheit ist er , wie die meisten Berauschten , kurz angebunden und grob ; aber zur Besinnung gekommen liebt er Witz und Heiterkeit so sehr , daß er aus Dankbarkeit für die Unterhaltung , welche ihm Maria mit Malfolio verschafft hat , dies Kammermädchen heiratet .
Es wäre also Unrecht und ganz falsch , wollte man aus diesem Mann eine Karikatur machen , oder ihn in das niedrige Element hinabziehen .
Daß Sie , Baron , ihn nicht allzu würdig , oder gar tragisch nehmen werden , dafür bürgt mir Ihr gesunder Sinn . "
Graf Bitterfeld sagte :
" Nun , Professor , machen Sie mir das noch etwas deutlicher , was Sie mir neulich schon über meine Rolle auseinandergesetzt haben , die ich wahrlich bloß Ihnen und der Gesellschaft zuliebe übernommen habe . "
Emmrich sagte : " Verehrter Herr Graf , ist es nicht die schönste Humanität und die feinste Urbanität , wenn man nicht nur die Scherze einer liebenswürdigen Gesellschaft ausführen hilft , sondern selbst etwas von seinem eigenen Wesen preisgibt , um über sich selbst auf eine gelinde Art spotten zu lassen ?
Und so wünsche ich , daß Sie in dieser fein komischen Rolle nicht das Gebildete Ihres Standes , noch die Finesse Ihrer Persönlichkeit und die Gewandtheit Ihres geselligen Umgangs fallenlassen .
Denn die sind eben die unerträglichen Malfolios in der Gesellschaft , die immer über sich wachen , sich bei jedem Scherz beleidigt wähnen , die sich immer in Positur setzen , um ihre Würde zu behaupten .
Bleichenwange oder Fieberwange ist ein guter Mensch und auch von guter Familie , er kann schon über die dreißig sein ; sind die jungen Leute geschminkt und von lebhafter Farbe , ist Tobias vom vielen Trinken übermäßig rot , so deutet sein Name schon an , daß er ziemlich blaß , oder mit einem gelblichen Teint erscheint .
Er ist schlank und wohlgebaut , neigt aber etwas zur Magerkeit hin , denn er beneidet den Narren um seine Waden .
Dieser reiche , unabhängige Mann ist dadurch so liebenswürdig , daß er so unendlich bescheiden ist , was wohl die wenigsten in seiner Stellung sein würden .
Wie der alte Antonio den jungen Sebastian fast vergöttert , so hängt er beinahe mit derselben Leidenschaft an seinem Freund Tobias ; dieser ist sein Vorbild , beinahe sein Ideal , wie man sich jetzt ausdrücken würde ; er hat kein Arg daraus , daß dieser ihn foppt und plündert , er spricht ihm alles nach , er tut , was dieser wünscht , er will gern ebenso erscheinen , wie jener .
Dabei seine wahrhaft edle Liebe zur Musik , sein freier , künstlerischer Sinn , daß er am Narren die schöne Stimme und den Gesang zu schätzen weiß .
Es entdeckt sich freilich nachher , daß er kein Freund von Zweikämpfen ist und sich in den Waffen und im Kriege niemals auszeichnen wird , indessen ist er auch in dieser Furchtsamkeit so gutmütig und niemals unedel , so daß ihm der Zuschauer seine Liebe nicht versagen kann .
- Sie sehen also , Herr Graf , wie sehr ich recht habe , wenn ich wünsche , daß Sie diese feine Zeichnung nicht als Karikatur behandeln mögen ; nein , im Gegenteil , lassen Sie sich ganz ruhig gehen , spielen und sprechen Sie fast so , wie Sie es gewohnt sind und immerdar erscheinen : Ihr feiner Takt , Ihr eigener Witz wird Ihnen die Nuancen zeigen , Ihr Gefühl aber wird jene geistigen Modulationen Sie finden lehren , die sich einem gewöhnlichen Menschen niemals andeuten lassen , und die einem Geiste auseinanderzusetzen , wie der Ihrige , durchaus überflüssig ist . "
Als Elsheim mit dem Professor durch den Garten ging , sagte er :
" Verzeihen Sie , wenn ich Ihre Auseinandersetzung dieser Charaktere für Sophisterei halte . "
" So ? " sagte Emmrich ruhig ; " geben Sie nur acht , der Erfolg wird mich rechtfertigen . "
Leonhard war fast bekümmert , als der neue Theaterbau vollendet war .
Er war übermäßig fleißig gewesen , er hatte allenthalben selbst Hand angelegt , er hatte sich meistenteils bis zur Ermüdung angestrengt , und seine Freunde , wie die Handarbeiter , hatten ihm mit Erstaunen zugesehen , weil es ihnen ein ganz neues Schauspiel war , daß ein Professor der Architektur den Hobel , Bohrer und die Säge so wenig scheue .
War er dann gegen den Untergang der Sonne so durch und durch ermüdet , daß er den Augenblick des Schlafengehens mit Ungeduld erwartete , so war ihm unaussprechlich wohl , denn er konnte in dieser Ermüdung die Bilder und Gedanken auf Augenblicke vergessen , die ihn immerdar verfolgten .
Mit sich unzufrieden und dennoch von süßen Vorstellungen trunken , war er am Morgen in den Garten gegangen .
Die Frühsonne glänzte so lieblich durch die Linden , und sein Schritt trug ihn nach jener geheimnisvollen Laube , in welcher er schon zweimal an Charlottes Seite so selig gewesen war .
Er leugnete es sich ab , daß er diese verführerische Schönheit aufsuche , er mußte sich aber sein Gelüst bekennen , als er völlig verstimmt wieder aus der leeren Laube trat .
So ist der schwache Mensch , sagte er zu sich selber ; was suchst du hier , und was hättest du , wenn du sie fändest ?
Soll dich diese Torheit denn immerdar quälen und dir jede Stunde verbittern ?
Nein , ich bin ein Mann und bleibe meinen besseren Gefühlen getreu . -
Mit einem Ausruf der Freude betrat er den sonnenbeglänzten Gang , denn Fräulein Charlotte hüpfte ihm dort vom Schlosse her entgegen .
" So irrte ich mich doch nicht , Leonhard " , sagte sie mit ihrer Silberstimme , " wenn ich Sie im Garten wahrzunehmen glaubte .
Nicht wahr , dieser Tag ist ein schöner , ein auserlesener ?
Und diese Frühstunden sind so balsamisch , sie wirken so wohltätig auf alle unsere Gefühle , daß unsere Seele so wohlgemut aufblüht , wie die Rosenknospe . "
" Ich war in dieser Laube " , sagte Leonhard , " und wähnte , Sie hier zu finden ; da meine Hoffnung mich trog , wollte ich das Angedenken jener süßen Augenblicke feiern , die ich dort genoß . "
" Kommen Sie mit mir " , rief sie lebhaft aus , " ins Freie ; es gibt Zeiten und Stimmungen , in welchen uns auch der schönste Garten ängstigen kann . "
Sie ließen das eiserne Gattertor hinter sich zufallen , und standen jetzt im Felde .
" Wie herrlich die Ähren wogen ! " sagte sie ; " nicht lange mehr , so wird die Sichel in das Korn gehen , und der schönste Teil des Sommers ist dann vorüber .
Alles Liebliche ist so flüchtig , alles Schöne hält uns nicht stand , und wir besitzen nichts , als nur wie in einem süßen Traum gefesselt ; wenn wir erwachen , hat uns die nüchterne Wirklichkeit um alle unsere Schätze betrogen . "
" Gibt es kein Mittel " , antwortete Leonhard , " auch die Wirklichkeit zum Traum zu erhöhen ?
Können wir nicht so viele Blumen mit verständiger und sorglicher Hand in unser Leben hineinpflanzen , daß einige immerdar blühen ? "
" Nein ! nein ! " rief sie fast heftig aus , " in der Wahrheit , im eigentlichen wirklichen Leben gibt es kein Glück ; nur in der Täuschung glühen die Morgen- und Abendfarben , die die Nacht und der klare Tag vertreiben .
Wenn wir entzückt und berauscht taumeln , wie im heftigen Tanz , so halten wir Takt mit der begeisternden Musik und schwingen uns harmonisch in ihrem wilden Rhythmus ; wollten wir dasselbe mit nüchternem Bewußtsein tun , es würde uns ewig nicht gelingen . "
Sie bogen in einen Fußsteig , der durch das hohe Korn führte .
" Dort am Saum des Buchenwaldes " , sagte sie , " wohnt die Schwiegertochter des alten Försters ; ihr Mann ist im vorigen Jahr gestorben , und ich habe mich mit dem artigen jungen Weibchen befreundet .
Dort wollen wir ausruhen . "
Die einsame Hütte war reinlich und anmutig , die frische Kühle , die vom Walde hereinwehte , war erquickend .
Die junge Frau kam der reizenden Besucherin freundlich entgegen , und sie begrüßten sich als Bekannte .
Sie stellte auf den Tisch von Nußbaumholz zwei Gläser Milch zur Erfrischung und entschuldigte sich dann , daß sie nicht unbedeutender Geschäfte halber zu ihrem alten Vater hinüber müsse .
So saßen die beiden in der kühlen Dämmerung , und es schien , als könne keines von beiden das erste Wort finden , um ein Gespräch in den Gang zu bringen .
Leonhard blickte sinnend umher , und es schien ihm , als wenn das Eintreten in das kleine Haus , sowie die Entfernung der jungen Frau , etwas Abgeredetes sei , welches der Zufall nicht so herbeigeführt haben könne .
Warum ihn dieser Argwohn , oder diese Entdeckung , statt ihn fröhlich zu machen , schwermütig Stimme , begriff er selber nicht .
Charlotte stand auf und sah aus dem Fenster ; dann setzte sie sich wieder zu ihm und näher als zuvor , sah ihn mit ihrem süßen , verführerischen Lächeln an , und von den vollen roten Lippen sprang nur die einzige Silbe :
" Nun ? "
" Wie glücklich bin ich " , sagte er nach einer kleinen Pause " mich so an Ihrer Seite in dieser seligen Einsamkeit zu finden ! "
" So ? " sagte sie , indem sie ihm mit der flachen Hand vor die Stirn schlug ; " warum sind denn diese Augen so leuchtend und schön , warum ist denn diese Stirn so sinnend und gedankenreich , wenn Euer Wohlgeboren nichts Besseres zu sagen wissen - in einer Minute , auf welche ich mich schon seit lange gefreut habe ?
O du Böser , Abscheulicher !
Wie klang neulich das vertrauliche Du so süß von deinen Lippen ! "
Sie stand auf , umschlang ihn mit ihren Armen und küßte ihn lebhaft .
" Ist es dir so recht , Anmaßender ?
Dankst du es mir nun , daß ich dich so unendlich liebhabe ? daß ich dich anbeten muß ?
O nein , du bist nicht wie die anderen Männer . "
" O Lottchen ! " rief Leonhard begeistert aus , " wie habe ich dich hier finden müssen , dich , du einziges Wesen !
Die Sinne vergehen mir , und die Welt verschwindet , wenn ich dich so in meinen Armen halte . "
Die zärtlichsten Küsse unterbrachen und hemmten das Gespräch .
Sie duldete seine Liebkosungen und freute sich der entzückten Worte , die er im Taumel über ihre Schönheit aussprach .
" Ist das nicht ein Leben ? " rief sie endlich , " doch wohl besser , als euer einfältiges Komödiespielen !
So hin und her schlendern , so stammeln in Empfindungen , die auswendig gelernt sind , Worte die sich selber nicht verstehen !
Nicht wahr , ein Händedruck , ein Blick aus dem innersten Auge , und gar ein Kuß , ein herzinniger in welchem die ganze Seele aufblüht , das ist ganz etwas anderes ? "
" Geliebteste " , sagte Leonhard , " freilich ist alles vergänglich und muß es sein , aber ein solcher Moment wiegt Jahre auf . "
" O wie kann man , wie kann man ohne Liebe leben ? " erwiderte sie " sie ist das Licht und die Sonne unseres Daseins .
An jedem Morgen denke ich zuerst an dich , ich warte auf dein Auge ; treten wir in den Saal , so suche ich dich unter den anderen ; ich hasse den , der zwischen uns tritt und dich meinem Auge verdeckt .
Dann höre ich deine Stimme - und was ist mir Musik gegen diese Töne , aus denen deine ganze Seele spricht ?
Du erzählst , du streitest mit anderen , dein Blick trifft den meinigen , der dich schon lange gesucht hat ; du redest mich an - mein Herz zittert ; du lächelst - das fällt in meine Brust , wie der Frühlingsregen in die Blumen ; du gehst - alles ist Schatten .
Es wird Nacht .
Ich sehe dich vor mir , ich halte dich in meinen Armen , ich träume von dir .
Und nun der neue Morgen - und mit jedem Tage , mit jeder Stunde kommt man sich näher , man wird sich unentbehrlicher , Gemüt , Launen , Blicke , Akzente versteht man inniger - o mein Teurer , den Tod nachher , wenn das vorüber ist ; denn wozu noch leben ?
O Himmel , wie dürr , wie elend war mein Gemüt und Herz , ehe ich dich kennenlernte !
Mit dir , in dir bin ich erst geworden !
Kannst du mich denn lieben , du Treuer , Einziger ? "
" In diesem Kusse " , erwiderte er , " in dieser Umarmung mußt du es fühlen .
Wer bin ich , daß du dich meiner so angenommen hast - was kann ich dir sein , dir , die du so reich begabt bist ? "
" Schlage den hellen Blick nicht so nieder " , lispelte sie .
" Du warst mir fremd , und doch liebe ich dich ; du wirst uns wieder verlassen müssen , und ich werde nicht aufhören , dich zu lieben .
Ich weiß von dir nichts weiter , will nichts wissen , als daß du mein bist .
Du bist vielleicht in deiner Heimat versprochen , wohl gar vermählt - kann sein ; damals war dir mein Herz noch nicht zugewendet , du kanntest mich noch nicht .
Diese Stunden hier gehören uns und sollen uns heilig sein .
Du weißt ja auch nicht , ob mein Herz nicht schon früher einmal verloren war ; welch Recht hast du , danach zu forschen ?
Nur die Gegenwart ist unser . "
Es gibt Momente im Leben , in welchen ein Glück , selbst ein begehrtes , ängstigt und quält .
Das Herz ist dann in seinen Gefühlen zerrissen und zerspalten ; der Geist und Wille können sich nicht aneignen , was doch schon ihr Eigentum ist .
In dieser sonderbaren Stimmung war Leonhard jetzt , so Wunderbares erlebte er in diesen Stunden .
An diesem schönen Busen , von diesen reizenden Armen umschlossen , so herzlich geküßt und mit Sehnsucht der Liebe angeblickt , fühlte er sich von einzigem Glücke , von hoher Wonne so mächtig umrauscht , daß seine Geister , auf jeden Atemzug lauschend , gleichsam betäubt wurden .
Er wünschte , diese Momente der Seligkeit schon überlebt zu haben , um sich nur wieder besinnen zu können .
Es war , als wenn sie in seiner Seele läse , denn sie schmollte mit ihm und sagte aufgeregt :
" Aber nicht eifersüchtig , eifersüchtig laß mich nicht werden ; dies Gefühl ist das unerträglichste , welches der Mensch erleben kann .
Du blickst Alibertinen stets so freundlich , so lächelnd an ; du lauschest auf jedes ihrer Worte : Oh , Liebster , quäle mich damit nicht ; denn dieses Wesen , so nahe sie mir verwandt ist , so verhaßt ist sie mir in allem , was sie tut und treibt .
Sie hat es ganz verlernt , natürlich zu sein , sie denkt immer nur an sich und kann niemand lieben .
Diese Prüderie und Selbstsucht ist meinem Gefühl unerträglich .
Sei du aber auch nicht eifersüchtig , wenn ich einmal diesem oder jenem freundlich bin , wie ich es doch nicht vermeiden kann . "
Die hölzerne Uhr an der Wand hatte schon wiederholentlich geschlagen ; jetzt schien Charlotte bedenklich zu werden , sie wand sich aus den Armen Leonhards , stand schnell auf , drückte ihm noch einen eiligen Kuß auf den Mund und ging vor den Spiegel , um Hut und Locken zu ordnen .
" Die junge Frau wird mich draußen erwarten " , sagte sie dann , " sie begleitet mich zurück ; bleibe du aber noch hier , oder nimm einen anderen Weg nach dem Schlosse zurück , damit niemand auf den Argwohn fällt , als ob wir so lange beisammen gewesen wären . "
Sie nahmen Abschied , und Leonhard sah der schönen Gestalt nach , wie sie leichten Schrittes mit der jungen Frau dahinwandelte , beide in lebhaftem Gespräch .
Er verließ nun das Haus und eilte sogleich in den nahen Wald , sprang über den Graben , der an der Straße hinlief , und vertiefte sich weit hinein , wo die Bäume am dichtesten standen , wo kein Fußsteig hinführte , und wo er hoffen durfte , von keinem menschlichen Wesen aufgefunden und gestört zu werden .
Er warf sich nieder und verbarg sein Haupt in das Gras , ein Tränenstrom floß aus seinen Augen , und sein Herz klopfte so ungestüm , als wenn es ihm die Brust zersprengen wollte .
Wer bin ich ? dachte er in diesen aufgeregten Schmerzen ; was will ich ? -
Bin ich denn glücklich , oder in ein tiefes , tiefes Elend versunken ? -
Noch niemals , niemals hat mein gieriges , trunkenes Auge solche Schönheit gesehen .
- Seine Einbildung wiederholte ihm in Glut und Leben alles Reizende , alles Verführerische seiner Geliebten .
- Schon in meiner Jugend , dachte er dann weiter , dort und hie , in Städten und auf dem Lande , war mir manche Schöne freundlich , manche reiche Witwe kam mir fragend entgegen ; - ich entzog mich allen , ich verlor mein Herz nicht , und muß jetzt , nach Jahren , im reifen Alter , so knabenhaft untergehen ?
Sie ist mir Adelheid , und ich bin fast der betörte Franz .
- Liebe ich sie denn ?
Könnt ich denn wünschen , daß sie meine Gattin sein dürfte ? -
Nein , beim Himmel nicht !
Wenn ich an Friederiken denke - wie bin ich beschäme ! -
Wie erscheine mir Kunigunde wie ein großes mächtiges Heiligenbild , von einem alten Künstler auf Goldgrund gemalt ! -
Jetzt verstehe ich die alten wunderlichen Märchen , die ich wohl vormals habe erzählen hören , wie ein Mensch in den Venusberg gerät und dort für immer verloren ist , von bösen Geistern festgehalten , die ihn in der Gestalt blendender Reize und verlockender Lüste umgeben .
Die alte Fabel von den Sirenen hat einen tiefen Sinn . -
Ja , lieben , vergöttern muß man sie , man kann in Leidenschaft ihr Blut und Leben opfern , aber man kann ihr nicht vertrauen .
Und ist jene Ehrfurcht , die ich hier nicht fühlen kann , nicht vielleicht das , welches das goldene Gespinst zerreißt , in welchem uns diese echte lüsterne Liebe gefangenhält ? -
Wozu jene Achtung und Verehrung , die fast an Freundschaft für die Matrone grenzt ? -
Und wagst du es , Elender , Undankbarer , dies ausgelassene , üppige Mädchen , diese köstlichste Frucht der Natur , die zum Schwelgen einlädt , nicht zu achten , weil sie vielleicht niemals die Talente einer Hausfrau und ehrbaren Gattin entwickeln wird ?
So schön , so vornehm , so edel erzogen und mir so entgegenkommend ! -
Das , du Eitler , ist auch ein Teil des Zaubers , der dich bestrickt ! - - Wenn ich jetzt an meine Arbeit zu Hause dort denke , an unsere kühle Wohnstube , den alten Nussbaum , die Bretter , meinen Magister und unser alltägliches Treiben - wie unbehaglich , beklemmend , nüchtern und fast niedrig alles .
Und doch , selbst in diesem prosaisch niedergedrückten Gefühl - welche paradiesische Heimseligkeit !
So verschwammen Gegenwart und Vergangenheit , Freude , Lust und Schmerz in seinem Gemüt ; er suchte in seinem Inneren und konnte nirgend die geistige Kraft entdecken , alles dies mit einem kühnen Entschluß zu durchreißen und wieder der alte zu werden .
So war die Zeit vergangen , er wußte nicht wieviel .
Er stand auf und war so betäubt , daß er sich nicht erinnern konnte , nach welcher Gegend er gehen sollte , um wieder aus dem Walde zu finden .
Indem er sich durch Bäume und Gebüsche drängte , fiel er wieder in den Zulauf und das Getümmel seiner Gedanken und Vorstellungen .
Diese feine , geistige Sehnsucht , diese Fülle von Erscheinungen , sagte er wieder zu sich , dies Ahnden und die Entzückungen , alles dies , auf unser Irdisches geimpft und durch dessen Kraft so herrlich blühend - es muß sich also in jene Vernichtung stürzen , wie es die höchste Befriedigung sucht , und der Mensch muß mit dem Tiere am meisten in Verwandtschaft treten , wenn er sich am sichersten zum Engel berufen glaubt ? -
O vieldeutiges Rätsel unseres Lebens !
Wie steht die Sphinx mit lauernden , lüsternen Augen vor uns und droht , uns zu verschlingen , wenn wir uns keck an die Auflösung wagen .
Er konnte wirklich den Weg aus dem Walde nicht wiederfinden , und verstrickte sich immer mehr in den Gebüschen .
Ihm schien nach dem Stande der Sonne , als wenn Mittag längst vorüber sein müsse , und nachdem er noch länger , ohne Erfolg , durch die verwachsene Wildnis gestrebt hatte , fühlte er sich matt und erschöpft .
Als er sich ermüdet an den dicken Stamm einer alten Eiche lehnte , glaubte er in einiger Entfernung menschliche Stimmen zu vernehmen .
Er ging der Richtung nach und schrie laut ; man antwortete , und nach einigen Minuten schimmerten sich bewegende Gestalten aus dem Grün der Bäume hervor .
Nun drängte er sich durch und gelangte auf einen kleinen freien Waldplatz , wo er den Förster antraf , der seinen Gehilfen einige Bäume zum Fällen anwies .
Der Alte war sehr verwundert , den Gast seines Herrn dort und fast mit zerrissenen Kleidern zu finden ; denn Leonhard hatte , besonders zuletzt , auf die Hemmungen der Gesträuche und Dornen nicht geachtet , indem er sie durchbrechend seinen Weg verfolgte .
Der alte Förster ging jetzt mit ihm , indem er sagte : " Ei ei !
Herr Leonhard , Sie sind hier wenigstens anderthalb Stunden vom Schlosse entfernt .
Ich will Sie begleiten , damit Sie sich nicht wieder verirren , auch habe ich dem Herrn Baron einen notwendigen Rapport abzustatten . "
Sie gingen den Waldweg hinunter , und als sie in das Freie kamen , sah Leonhard , daß er im Wald die ganz falsche Richtung eingeschlagen und sich immer weiter vom Schlosse entfernt hatte .
" Sie sind " , fing der Alte nach manchem anderen Gespräche an , " ein recht tüchtiger Komödienspieler , und ich wundere mich nur darüber , wo Sie das alles , sowie auch unser junger Baron , gelernt haben können , denn auf den Schulen wird einem dergleichen doch wohl nicht beigebracht .
Von dem Herrn Professor Emmrich ist es nicht zu verwundern , denn der soll schon einmal Komödiant gewesen sein und ein Direktor dazu ; auch von den Weibsleuten nicht , denn denen ist dergleichen angeboren .
Ich tauge nicht dazu , weil ich vielleicht zu redlich und aufrichtig bin ; denn , um was recht Großes in dem Wesen zu leisten , muß man gewiß schon recht früh ein Tausendsasa gewesen sein . "
Auf dem Felde begegnete ihnen der junge Baron , der , von einem Diener begleitet , spazierengeritten war .
Er stieg ab und ließ den Reitknecht die Pferde nach Hause bringen , um mit dem Förster zu sprechen , der ihm Geschäftliches zu melden hatte .
Nachdem dies erledigt war , und der Förster sich dann entfernt hatte , nahm der Baron seinen ermüdeten Freund unter dem Arm , um ihn so nach dem Schlosse zu führen .
" Ei ! ei ! " sagte er im Gehen , " welche Abenteuer hast du denn zu bestehen , daß du sogar das Mittagessen versäumst ? und wie siehst du aus !
Matt , erschöpft , das Halstuch zerrissen , Kleid und Weste voll Moos und Dornen !
Wir ängstigten uns schon alle an der Tafel , die Weiber am meisten .
Alles forschte nach dir .
Bediente wurden ausgeschickt , um dich zu suchen .
Hat dich eine Fee entführt ?
Bist du unter Räubern gewesen ?
Hast du eine geraubte Prinzessin verteidigt und erlöst ?
Denn , bei Gott , du siehst so der Alltäglichkeit entrückt , so völlig abenteuert aus , daß dir durchaus etwas höchst Seltsames muß begegnet sein . "
Leonhard war ziemlich verlegen , und sein Lachen , mit welchem er diese Fragen beantwortete , hatte etwas Erzwungenes .
Er war noch immer zerstreut , sammelte sich aber und erzählte dem Freunde , daß er sich auf einem einfachen Spaziergange im Walde verirrt , dort ermüdet einige Zeit geschlafen habe , nachher ganz betäubt in eine falsche Richtung geraten und von Dornen und Gestrüpp so zerkratzt und zerrissen worden sei .
Sie standen jetzt vor dem Eingange am Dorf , der Seite gegenüber , wo der Garten lag ; man hatte von hier den Blick auf die Hauptfassade des Schlosses .
Der Baron sah seinen Freund mit scharf prüfendem fast mißtrauischem Blicke an , den Leonhard nicht zu ertragen vermochte .
" Setze dich hier in den Schatten dieser Linde " sagte Elsheim dann , " wir wollen es noch dämmernder werden lassen damit dich dort oben nicht alle Welt examiniert ; dann kleidest du dich um und holst an der Abendtafel wieder ein , was du am Mittag versäumt hast .
Auch bin ich selbst müde genug , um gern in diesem duftenden Schatten auszuruhen . "
Sie setzten sich und hatten jetzt , abseits von der Landstraße und ziemlich verborgen , die Aussicht auf diese , sowie auf das Schloß .
" Du wirst es mir nicht ausreden " , fing Elsheim wieder an , " daß dir heute nicht etwas Außerordentliches begegnet wäre , denn so ganz träumerisch und verstimmt habe ich dich noch niemals gesehen .
Du willst mich aber nicht zu deinem Vertrauten machen .
Und vielleicht wäre es doch gut , und möglich , daß es dir manchen Kampf ersparte . "
" Du quälst mich , Freund " , rief Leonhard aus , " und ganz ohne Not , denn mir ist wahrlich nichts widerfahren , das nur des Erwähnens würdig wäre . "
" Verschlossenheit , und gegen den Freund " , sagte Elsheim wieder , " ist himmelweit von Diskretion verschieden .
Ich habe viel in dieser Zeit über deine weise Theorie nachdenken müssen , die du mir so schön unterwegs entwickeltest , von der geraden und krummen Linie .
Die Sache verdient gewiß bedacht zu werden .
Suche nur die krumme Linie künstlich wieder zurechtzuführen , wenn auch freilich so mancher Schnörkel und willkürliche Ausbeugung und Schwankung sich nicht in Regel und Zahlenverhältnis auflösen läßt . "
Leonhard wollte verdrießlich werden , und in seiner sonderbaren Stimmung erschien es ihm fast , als wenn sein Freund Händel an ihm suche .
Er wollte antworten , aber seine Aufmerksamkeit , sowie die des Freundes , wurde auf das große und ansehnliche Gasthaus des Dorfes gelenkt , vor welchem jetzt ein eleganter Reisewagen hielt , aus welchem zwei Männer stiegen .
Sie sprachen mit dem Kutscher und dem Wirt der Schenke , schüttelten lachend ihre Kleider zurecht , und kamen dann Arm in Arm die breite Landstraße herauf , anscheinend um das Schloß in der Dämmerung , welche bereits einbrach , in Augenschein zu nehmen .
Als sie näher kamen , hörten die Freunde , wie einer von beiden mit überaus wohlklingender voller Stimme sagte :
" Ja wohl ist es besser , sich nach dem langen Fahren erst die Füße etwas zu vertreten , als gleich dort in der Schenke Platz zu nehmen , die freilich für eine Dorfherberge reputierlich genug aussieht . "
" Aber halte ! " rief der andere , indem sie jetzt der Bank unter der Linde ganz nahe gekommen waren , "- sieh , Freund , von hier nimmt sich das Schloß am besten aus .
Es kann nicht so ganz neu sein , denn es ist noch in einem guten Stil gebaut . "
" Ja wohl " , sagte der erste , " es ist so vollständig , solide und würdig .
Das Verhältnis der Fenster zu den Mauern grenzt noch nicht an unsere Treib- und Sommerhäuser . "
" Und der Giebel " , rief der zweite , " so stark und vorragend , die beiden viereckigen Türme an den beiden Seiten , die gewiß auch zu Treppen dienen , der große breite Eingang , in dem die Tür doch nicht zu hoch ist : alles sieht so sicher aus .
Das Tor für die Einfahrt der Equipagen ist gewiß auf der anderen Seite , im eigentlichen Hofe . "
» Und mit diesem « , fuhr der erste fort , " muß dann unmittelbar der Garten verbunden sein , wenn Verstand in der Sache sein soll . "
" Nein " , sagte jener , " sieh , noch verständiger ist der Eingang zum Garten gleich rechts vom Hause , wenn mein scharfes Auge mich nicht trügt .
Das Wichtigste aber , Kamerad , ist , daß das ganze Haus mit seinem Apparat so aussieht , als wenn dort hinter den Fenstern und Mauern etwas recht Wunderbares , Apartes und Närrisches vorgehen müßte ; nicht wahr , Freund ? "
" Du hast recht , Bruder " , sagte der erste lachend ; " wie habe ich das nur übersehen können ?
Es quellt ja aus allen Wänden und duftet in der ganzen Atmosphäre hier so , als wäre der Steinklumpen bloß deswegen so hübsch und reputierlich ausgeführt worden , damit Schnurren , poetische Schwänke , Albertäten , Konfusionen und Liebesgeschichten dort ausgesponnen würden .
Ja wohl flüstern die schönen Linden dort am Schloß nicht vergeblich den Fenstern zu .
Und wenn die verteufelten Nachtigallen erst so rechts und links schlagen , um alle ihre zackigen und kugligen Passagen abzuorgeln , so muß die Verrücktheit dort hinter den Mauern , wenn nur irgend junges Blut in den Stuben wohnt , nicht zum Aushalten , viel weniger zum Haushalten sein . "
Elsheim hatte die beiden Schwätzer schon erkannt und ging jetzt lachend auf sie zu .
" Sein Sie mir gegrüßt , meine Herren Musiker ; erinnern Sie sich mei einer noch aus jener kleinen Stadt , in welcher Sie sich aus Mutwillen arretieren ließen , statt ein Konzert zu geben ? "
" Ei , Baron ! " riefen die Fremden , und umarmten lachend den schnell Wiedererkannten .
" Dies Haus ist mein " , fuhr Elsheim fort , " und paßt es irgend zu Ihrem Geschäft und Ihrer Reiseabsicht , mir ein paar Tage zu schenken , so werden Sie mich sehr glücklich machen . "
" Wir sind so frei jetzt , wie die Fliege in der Luft " , sagte der Sänger , " wir kriechen also gern bei Ihnen unter . "
" So werde ich Ordre geben " , sagte Elsheim , " daß Ihre Koffer nebst Ihrem Wagen bei mir untergebracht werden ; nur ist mein Haus sehr überfüllt und es fragt sich daher , ob es Ihnen nicht zuwider sei , beide ein einziges großes Zimmer mit einem geräumigen Alkoven zu bewohnen ? "
" Nicht im mindesten " , antwortete der Klavierspieler , " denn das sind wir gewohnt .
Wenn zwei vertraute Freunde im fremden Hause beisammen sind , so ist das der Einsamkeit , die oft lästig werden kann , sehr vorzuziehen . "
Die beiden Fremden begleiteten Elsheim und Leonhard sogleich in das Schloß .
Dieser eilte auf sein Zimmer , kleidete sich schnell um , und kam dann zum Abendessen in den Saal zurück .
Hier waren die fremden Musiker schon wie einheimisch ; sie sprachen mit jedem , am meisten jedoch mit Emmrich , dem sie schon seit früheren Jahren bekannt waren .
Als man sich an der Tafel ordnete , gelang es Leonhard nicht , neben Charlotte seinen Platz zu finden ; sie vermied ihn beinahe auffallend , und es schien ihm , als wenn sie überhaupt kalt und fremd gegen ihn sei .
Er kam also in die Nähe Elsheims und Albertinens und sah es nicht ohne Eifersucht , wie freundlich Charlotte mit dem neu angekommenen Sänger sprach .
Dadurch verstimmt unterhielt er sich um so eifriger mit Alibertinen , die ihn gern anzuhören schien .
Elsheim war sehr vergnügt über die eingefangenen Virtuosen und sagte zu Emmrich :
" Erst jetzt fällt es mir bei , wie wenig ich bei meinen leidenschaftlichen Theaterversuchen meiner guten Mutter und ihres Enthusiasmus für die Musik gedachte .
Wie wird sie sich freuen , wenn sie wiederkommt , und wir ihr Konzerte geben , vielleicht gar Belmont und Constanze teilweise oder ganz aufführen können .
Dann erst wird sie mit unserem Theaterbau ganz zufrieden sein . "
Man machte schon allerhand Projekte , und Leonhard stand zwar gesättigt und gestärkt vom Tische auf ; dennoch fühlte er , daß er der Ruhe bedürfe , um im Schlaf , wo möglich , alles das zu vergessen , was er an diesem Tage erlebt hatte .
Fünfter Abschnitt Fünfter Abschnitt Die alte Baronesse war wieder eingetroffen und heiterer , als es der Sohn erwartet hatte .
Sie hatte in der Residenz fröhliche Tage verlebt , und ihre Begleiter und Verwandten mußten dort auch ihre Klagen über die eingebildete Beleidigung aufgeben , da sie auf Erkundigung von allen Seiten vernahmen , daß Goethe ein vornehmer Mann und großer Dichter sei .
Sie nahm es also mit Heiterkeit auf , als ihr Sohn ihr sagte , daß er auf morgen , zu ihrem Geburtstage , ein Lustspiel von Shakespeare aufführen würde .
Emmrich hatte das Kostüm so angeordnet , daß es geschmackvoll war , ohne irgend auf Gelehrsamkeit oder Genauigkeit Anspruch zu machen .
Er hatte sich schon früher ungefähr so geäußert :
" Der Dichter hat diesmal nicht , wie so oft , die Szene nach Italien gelegt .
Italien galt ihm und den Zeitgenossen auch nur für ein Land der Poesie und Abenteuer .
Die vielen kleinen sich ungleichen Staaten dort , die Welt von Novellen , die die Engländer sehr genau kannten , die vielen Reisen dahin hatten ihnen Florenz , Mailand , Venedig und Verona , sowie andere Städte und ihre Namen , sehr geläufig gemacht .
In diesem poetischen Scherz von Zufällen und Seltsamkeiten aber wollte der Dichter die Sache noch weiter ab in eine fast unbekannte Region verlegen .
Wollten wir nun die Bücher nachschlagen , oder aus älteren Gemälden die Trachten jener Illyrer uns versinnlichen , so könnte man in Gefahr geraten , daß unser verliebter , feingebildeter Fürst unserem Auge als ein Spaßmacher oder komischer Charakter erschiene , dessen Anzug uns zum Lachen stimmte .
Der dramatische Dichter , vorzüglich im Lustspiel , kann nur Kraft gewinnen und die Zuschauer täuschen und überzeugen , wenn er Anspielungen , Sitten und Gesinnungen aus seiner Zeit nimmt .
Dies haben die Engländer , vorzüglich Shakespeare , immer beobachtet .
Denn dem so ist , so könnte leicht die Poesie mit dem sogenannten Kostüm im Widerspruch stehen und in Krieg geraten .
Es ist also besser , eine allgemeine poetische Kleidung anzunehmen , die auf alle jene Zeiten und Stücke paßt , die sich in einem dichterischen Elemente bewegen . "
Man hatte also die hergebrachte ältere italienische Tracht angenommen Der Herzog ging in weißen Unterkleidern und in safrangelbem seidenem Mantel ; Malfolio schwarz , Tobias mit einem roten Mantel , und Andreas ledergelb .
Viola ohne Mantel , in einem kurzen , himmelblauen , unter den Knien zusammenschlagenden Überrock , Krause , sowie den Aufschlag an den Schultern weiß , einen roten Gütel eng um die Hüften , in welchem ein feiner Degen hing .
Ebenso trug sich ihr Bruder .
Olivia anfangs in Schleiern und in tiefer Trauer , gegen das Ende des Stücks in rosafarbenem Atlas .
Der festliche Tag war nun erschienen .
Für die Mutter des Gutsherrn war wieder ein eigener Sessel vorn , ziemlich nahe an die Bühne , hingestellt , welche etwa nur um drei Fuß erhöht war .
Die Dienstleute und Dorfbewohner waren wieder zugegen ; auch die Gerichtshalter und einige Justizpersonen , sowie verschiedene Beamte und Verwalter aus der Umgegend hatten sich eingefunden .
Die Baronesse war anfangs überrascht , daß der Saal anders eingerichtet , und das Theater in die Länge verlegt war .
Die Bühne selbst machte einen angenehmen und heiteren Eindruck , und kündigte ersichtlich an , daß sie zu einer Festlichkeit bestimmt sei .
Der obere Balcon oder Altan wurde von den freistehenden Säulen getragen , deren ionische Kapitäle zierlich vergoldet waren .
Unten war die kleinere Innenbühne mit rotseidenem Vorhang verdeckt .
Auch die Treppen waren mit farbigen Decken verkleidet , so daß die Bühne an sich selbst sein konnte , was man wollte .
Und wo spielt denn diese erste Szene im Original ?
Im Zimmer , Saal , Vorhof ?
Die Bühne , um sich nicht zu oft in poetischen Werken zu widersprechen , müßte eben fast immer nichts als die Bühne sein wollen , ohne daß ihr der Zuschauer die Rechenschaft abforderte , welchen zufälligen Raum sie eben darstelle .
So war es bei den früheren Engländern , eigentlich auch bei den Franzosen zu Corneilles und Molieres Zeiten .
Selbst im Holberg finden wir noch diese unbestimmte Allgemeinheit .
Als sich die Zuschauer geordnet hatten , und die Ruhe hergestellt worden , vernahm man einen Tusch von Trompeten und Pauken .
Er erscholl von dem oberen Altan , wo man viele Musiker in heiterer und bunter Tracht versammelt sah .
Eine allgemeine feierliche Stille folgte dem Trompetengeschmetter .
Alsbald trat aus der Gruppe der fremde Sänger festlich geschmückt hervor und sprach einen Prolog , den Elsheim gedichtet hatte , in welchem der Mutter Glück gewünscht wurde , daß dies Spiel sie erheitern möge , und wie sie es ebenfalls nehmen dürfe , für was sie wolle , wie der Titel sage , daß sie aber nicht verkennen solle , wie sehr nächst ihrem Sohne alle Verwandte , Freunde , Bekannte und Untertanen sie liebten und verehrten .
Nun trat im Schmuck seiner Rolle Elsheim vor , nebst der Tante , Charlotte , Albertine und Dorothea , und von der Musik begleitet sangen sie ein glückwünschendes Chor , bei dessen Schluß sie sich alle gegen die Baronesse verneigten .
Die alte Frau war von dieser Aufmerksamkeit ebenso gerührt als erfreut .
Hierauf zogen sich die Schauspieler zurück , und die Tante trat unten zur Tür des Saales herein , um ihren Sessel neben der Baronesse als Zuschauerin einzunehmen .
Sodann führten die Musiker oben auf dem Balcon unter der Direktion des fremden Virtuosen die Ouvertüre zu Belmont und Constanze vortrefflich aus .
Auch dies rührte die Mutter , daß der Sohn ihr Lieblingswerk zur Einleitung spielen ließ .
Als die Symphonie zu Ende war , trat unten Elsheim auf , von Pagen begleitet , denen einige Musiker folgten .
Auf verschiedenen Blase-Instrumenten trugen diese zart und lieblich die Introduktion zu der Arie des Belmont vor :
" Hier werde ich sie nun sehen . "
Diese Melodie phantasierte süß und sehnsüchtig eine geraume Zeit , wurde auf den Wunsch des Herzogs noch einmal wiederholt und dann plötzlich von seiner Ungeduld unterbrochen .
In den kurzen Pausen der Musik war es von sehr guter Wirkung , daß oben ein Waldhorn der unten gespielten Melodie wie ein Echo antwortete .
Als der Herzog mit seinem Gefolge abgegangen war , zog sich der rote Vorhang unten von der kleineren Bühne zurück , und man erblickte drinnen im beschränkten Rahmen ein Bild , das eine Aussicht auf Feld und See gab , klar und täuschend von Lampen erleuchtet , die seitwärts und unsichtbar in der Tiefe angebracht waren .
Aus dieser inneren Bühne trat nun Viola mit dem Kapitän des Schiffes die drei Stufen hinunter und sprach vom Lande , wo sie sich befanden ; die Art , wie sie nach dem jungen Fürsten fragte , von dem sie schon im voraus wußte , daß er noch unvermählt sei , ließ es mehr ken , daß sie irgendeinen Plan auf ihn und seine Geliebte habe .
Wie sie abgehen , zieht sich der Vorhang der kleineren Bühne wieder zu , und in irgendeinem Zimmer oder Saal treffen Tobias und die kleine Maria zusammen ; Andreas Fieberwange tritt zu ihnen , und die erste der komischen Szenen entwickelt sich .
Daß Dorothea dieses schnippische und witzige Mädchen gut spielen würde , hatten alle erwartet ; aber die Mitspieler auf der Bühne und am meisten Elsheim erstaunten , mit welcher Haltung und sicherem Humor Mannlich und Graf Bitterfeld ihre komischen Charaktere anlegten und auszuführen verhießen .
Wenn Andreas fragt :
Was ist pourquoi ? so bedeutet das nicht , daß er ganz unwissend sei , denn er spricht späterhin einige Worte französisch ganz richtig , sondern er will nur sagen :
Was meint ihr , weshalb sagt ihr jetzt noch pourquoi ?
Alles dies wurde so herzlich albern und mit so süßer , bescheidener Anmaßung gespielt und gesprochen , daß sich Eslheim gestehen mußte , daß er erst jetzt , so ausgeführt , diese Person und ihre Späße ganz verstehe .
Nun erschien Viola , höchst reizend , in ihrer männlichen Tracht .
Sie wird zur Olivia als Liebesunterhändler gesendet .
Dort im Hause tritt nun die kleine Maria auf , und neckt sich mit dem Narren des Hauses .
Nach der Anweisung Emmrichs war dieser in lange , dicht anschließende Pantalons von streifigem Zeuge gekleidet ; ebenso bunt war sein Wams , über welches er einen ganz kurzen dünnen Mantel trug von gelber Farbe .
Eine kleine , eng anschließende Kappe bedeckte seinen Kopf , doch ohne Schellen oder andere sonst gebräuchliche Abzeichen des privilegierten Lustigmachers .
Um die Schulter hing eine kleine Trommel , fast wie man sie den Kindern schenkt ; um den Hals trug er an einer Schnur eine kleine Flöte oder ein Flageolett , und indem er eintrat , rührte er die Trommel und spielte mit der anderen Hand eine Melodie auf seiner Pfeife .
Nun erschien nach einer kleinen Szene Malfolio mit Olivin .
Emmrich zeigte seine Kunst und Übung in der Darstellung dieses hochmütigen Murrkopfs und halb wahnsinnigen , von sich selbst berauschten Haushofmeisters .
Über die unbedeutenden Worte :
" Kammermädchen , das Fräulein ruft " , mit denen er abgeht , erhob sich ein lautes und allgemeines Gelächter , so komisch charakteristisch wußte er jedes , auch das Unscheinbare , vorzutragen .
Viola , als naseweiser , übermütiger Page , bezauberte alle , und es erschien natürlich , daß sich Olivia in diese frische Keckheit , die mit so leuchtender Grazie umgossen war , vergaffen durfte .
- Es machte sich gut , daß unmittelbar nach ihr Sebastian in ganz ähnlichen Kleidern auftrat , denn da keine Verwandlungen nötig waren , wurde das Stück in einem Zuge ohne Unterbrechung gespielt .
Der junge Kadett war der verkleideten Schwester in Gesicht , Wuchs , Betragen und Stimme so ähnlich , daß eine Verwechselung beider gar nicht unnatürlich erschien .
Man hatte wieder die innere Bühne geöffnet , und die frühere Aussicht auf Feld und Meer zeigte sich von neuem .
Die kleine Zwischenszene , in welcher dieser Vorhang sich wieder zuzog , diente dazu , Tische und Stühle während des Gespräches hinter diesen zu stellen , und auf diese Sessel setzten sich Tobias und Andreas sogleich , indem sie die drei Stufen hinaufstiegen , und waren nun mit dem Narren , der zu ihnen trat , wie in einem behaglichen Zimmer .
Diese Hauptszene der tobenden Verwirrung wurde mit außerdordentlichem Humor durchgeführt .
Das tolle Lied , welches der Narr singt , hatte der Virtuos für die schöne Stimme des Verwalters gesetzt , und es machte wieder einen guten Effekt , wenn in den Pausen zwei Waldhörner oben auf dem Balcon die Melodie wie ein Echo nachtönen ließen .
Als aber der schreiende Kanon von den drei Toren mit brüllenden Stimmen gesungen wurde , fiel von Zeit zu Zeit die vollständige Musik oben auf dem Balcon ein und vermehrte so den Lärm , wunderlich von der Trommel und Pfeife des Narren begleitet und erhöht .
Drauf Malfolio , feierlich die drei Stufen hinanschreitend und die Lärmer scheltend , die ihn aber verhöhnen .
Wieder wird ihm entgegengesungen , und die Tollheit steigert sich immer mehr , bis Malfolio wütend und gekränkt die aberwitzige Gesellschaft verläßt , über welche sein erhabener Zorn und seine falsche Majestät nichts vermögen .
Es war sehr lächerlich , mit welcher Feierlichkeit in unterdrückter Wut dieser Malfolio die drei Stufen hinabschritt und sich noch einmal nur mit halbem Blicke umsah , bis sein Profil , das in seinem steifen Ernst Verachtung ausdrücken sollte , vorn im Seiteneingang verschwand .
Dieser Szene tollen Übermuts und wilden Lärmens folgt die zart poetische zwischen dem Herzog und der verliebten Viola , die in zweideutigen Worten , die der Fürst nicht faßt , diesem ihre Liebe bekennt .
Die Vergänglichkeit der Schönheit wird in wenigen Worten beklagt , und wie Viola die schnell schwindende Rosenblüte der Jungfrauen bestätigt , schien sie bei den Worten :
So sind sie auch .
Ach ! muß ihr Los so sein , Zu sterben gerade im herrlichsten Gedeihen ! ihre Tränen nicht zurückhalten können .
Den mutwilligsten Kontrast bildet jetzt der Narr , der eben erst seinen Kumpanen verrückte Liedchen gesungen hat , indem er nun im Gegenteil mit schöner Stimme dem sehnsuchtkranken Herzoge ein rührendes Gedicht vorträgt .
Der Verwalter Lenz hatte sich selbst dieses Gedicht komponiert , der fremde Virtuos verwarf aber diese Arbeit und setzte eine neue einfache , aber ergreifende Melodie zu diesem einzig schönen Klaggesange .
Man hörte gleichsam den Sänger weinen ; der bedeutsame Rhythmus , der eigentlich schon für das feine Ohr und die gebildete Stimme die Melodie ausspricht , war im Wesentlichen beibehalten , und der tiefsinnige Amphimacer -- nn -- , in dem sich die ersten Verse bewegen , ließ den nahe liegenden Anapästen in :
" Laß mich frei " ergreifend wechseln , und gerade wirkte der Rhythmus dadurch so außerordentlich , daß weder Amphimacer , noch Anapäst zu steif und regelrecht im Takt festgehalten wurden , sondern die biegsame Stimme sich wie zwischen beiden in den süßesten Klagetönen schwärmend durchschmiegte .
Und dann der Übergang in Jamben und Spondeen :
" Mit Rosmarin " - " Treue hält es " war wie einer , der aus Tränen und Schluchzen sich zur Resignation oder erzwungenen Heiterkeit erheben will und in diesem Aufschwung nur noch tieferen Schmerz ausdrückt .
In der zweiten Strophe , die nach derselben Melodie gesungen wurde , ließ der verständige Lenz nach Anweisung des Komponisten die Stimme mehr wie etwas ermüdet sinken , und am Schluß zog er die Töne und Verse verhallend so ineinander , als wenn ihm keine Sprache und kein Wort in der Erschöpfung der Trauer noch übrig oder möglich wäre . -
Dieses schöne Gedicht , das Schlegel so meisterhaft und einfach übersetzt hat , sang Lenz ohne alle Begleitung , nur am Beginn und in den Pausen klang oben auf dem Balcon eine einsame Flöte nach , und ganz fern und unsichtbar ein gedämpftes Waldhorn .
Die Rührung war so stark , daß alle Zuschauer weinten , und es war wie notwendig , daß der Narr durch etwas Spaß diese starke Wirkung wieder störte und den Hörer zerstreute , auch um auf den schönen Schluß der Szene mit Viola und dem Fürsten wieder hinüberzuleiten .
Wie schön sprach Albertine die berühmte Stelle von der liebenden , im Gram aufgelösten Schwester !
Und als nun der Herzog fragt : " Starb deine Schwester denn an ihrer Liebe ? " -
war sie wie verwirrt und fast in eigener Rührung gefangen , ihr fällt der ertrunkene Bruder ein , und wieder beinahe weinend sagt sie nach einer kleinen Pause :
" Ich bin , was aus des Vaters Haus von Töchtern und auch von Brüdern blieb " - und geht , sich selbst gewaltsam aufraffend , mit scheinbarer Heiterkeit zu Olivin .
Elsheim , als er vom Theater zurücktrat , war erstaunt , den Professor Emmrich , der gleich wieder als Malfolio auftreten sollte , in der tiefsten Rührung und in Tränen zu finden .
" Noch nie " , sagte er , " habe ich die Kunst dieses Werkes , das Überirdische dieser Szene , die ganz in Poesie , Sehnsucht und Mutwillen getaucht ist , so empfunden wie heute .
Gelingt eine Darstellung eines so großen Kunstwerks nur irgend , so fördert sie Schönheiten deutlicher an das Licht , die außerdem auch dem Kenner von halbem Nebel verdeckt bleiben .
Ich kann mich kaum zu meiner Hauptszene sammeln . "
- Er mußte sich Gewalt antun , denn Maria war schon zu Andreas , Fabian und Tobias getreten ; der Brief wurde hingeworfen , und die Männer versteckten sich .
Schon beim Abgang des Herzogs war die innere kleine Bühne wieder geöffnet ; zu dieser stiegen die Lauscher empor .
Die letzte Hinterwand der kleineren Bühne war grün , wie Gesträuch und Baum ; hier standen sie von den freien Säulen verdeckt , und noch mehr von einzelnem Gebüsch und dünnen Bäumchen , die sie selbst fast unvermerkt hinter den Säulen hervorziehen konnten .
Durch diese Einrichtung war es nicht nur möglich , daß sie gesehen wurden , sooft ihr Stichwort es erforderte , sondern es tat auch eine sehr komische Wirkung , wenn die zornigen und lauernden Gesichter auf Augenblicke sich zeigten und dann wieder hinter dem Grün verschwanden , indessen etwas tiefer unten , aber ihnen nahe , Malfolio gestikulierte und keinen Argwohn hegte , daß man ihn in dieser Nähe beobachtete .
In dieser Szene mußte Emmrich seine Meisterschaft zeigen .
Den Übermut und die verrückte Eitelkeit des ältlichen Mannes , die bis an die Grenze des Unmöglichen gesteigert wird , wußte er so natürlich darzustellen , der zunehmende Aberwitz mit und nach dem Lesen des Briefes war so überzeugend , daß alle Zuschauer sich getäuscht dem behaglichsten Lachen überlassen konnten .
Jetzt trat die Leidenschaft der schönen Olivia mehr heraus Andreas selbst wird eifersüchtig und läßt sich von dem hänselnden Tobias bereden , dem jungen Cesario eine alberne Ausforderung zu senden .
So löst ein Scherz den anderen ab , wenn der vorige seinem Verblühen nahe ist , und das Lustspiel bleibt immer neu und frisch .
Nun kommt Malfolio als beglückter Liebender in seiner neuen Tracht .
Seine Vertraulichkeit , sein Abspringen von grimassierter Freundlichkeit und lachenden Liebesmienen zu grobem Ernst und Stolz , seine Anspielungen auf den Brief , sein Übermut nachher gegen Tobias lassen ihn jetzt als ganz wahnwitzig erscheinen .
Selbst Olivins Reden enttäuschen ihn nicht als ihr Gemahl , als künftiger Herrscher legt er alles , so unmöglich dies scheint , zu seinem Vorteil aus .
Die safrangelben Strümpfe zu der übrigens schwarzen Tracht vollenden das Bild .
Die Kniegürtel , kreuzweise gebunden , waren nicht so , wie wir es wohl auf dem Kupferstich in der Shakespearegalerie sehen können , wo der Törichte Bänder oberhalb des Knies so auf dem Schenkel trägt , wie sich wohl ehemals die Jockeys zeigten ; sondern ein Kniegürtel mit Gold auf blauem Grunde hing fast vorn über das Schienbein so steif und fest in Form eines wirklichen Kreuzes herab , daß durch diese Affektation die Erscheinung des Mannes noch abenteuerlicher wurde .
Mit seiner Einsperrung geht seine eigentliche Rolle , seine Tätigkeit zu Ende .
Nun erfolgt aber das ergötzliche Duell und die Gefangennehmung Antonios .
Im Kleide des Pfarrers nahm sich der Narr wieder sehr gut aus , vorzüglich weil Lenz die Gabe besaß , den vorgeblichen Geistlichen mit ganz veränderter Stimme zu sprechen und dann plötzlich in jenen Ton zurückzufallen , den er als Narr angenommen hatte .
Gegen das Ende des Stücks erschien nun Olivia in dem roten seidenen Prachtkleide ; alles entwickelte sich , auch der mißhandelte Malfolio trat noch einmal im Schmuck der gelben Strümpfe auf , und das Ganze schloß zur allgemeinen Zufriedenheit .
Als alle abgegangen waren , hielt der Narr eine Art von Epilog ; er sang nämlich jenes launige Lied , spielte auf der Trommel und pfiff dazu , indem er auch einige komische Tänzersprünge nach jeder Strophe anbrachte , nach der Anweisung , die ihm Emmrich gegeben , um ganz dem Dichter , seiner Art und Weise zu seiner Zeit zu genügen .
Elsheim , Olivia und Albertine hatten sich in ihren Theaterkleidern sogleich in das Parterre begeben , um der alten , sehr zufriedenen Baronesse ihre Glückwünsche zu ihrem Geburtstage darzubringen ; auch Mannlich war den Damen gefolgt , um sich mit der gnädigen Frau wieder auszusöhnen , die ihn auch sehr freundlich empfing .
Jetzt zogen sich auf dem Theater jene Vorhänge zurück , welche die Treppen bedeckten , und man sah alle Stufen mit Kindern besetzt , welche Genien vorstellen sollten .
Alle hatten Blumenkränze und bunte Girlanden in den Händen und so schwebten sie herab , stellten sich vorn auf die Bühne und bildeten mit den Blumen den Namenszug der Baronesse .
Die größeren standen auf den Stufen und trugen auf den Händen und Schultern die kleineren Kinder .
Jetzt sprangen diese von den Schultern herunter , die anderen verließen die Stufen , die innere kleine Bühne war plötzlich frei , und auf einem Altar prangte das wohlgetroffene Bildnis der Besitzerin des Schlosses .
Genien umhängten das Porträt mit grünen und farbigen Laub- und Blumen-Gewinden .
Ein glückwünschender Chor ließ sich bei einer sanften Musik vernehmen .
Indem alle noch mit gespannter Aufmerksamkeit auf dieses unerwartete Schauspiel hinblickten , öffnete sich der Vorhang des höheren Balkons , den man zugezogen hatte , und dort zeigte sich im glänzendsten Transparent der Name der Besitzerin , und Rosen , Sterne und Blumengeflechte , bewegten sich kreisend im buntesten und hellsten chinesischen Feuer um die Namenszüge .
Auch hier standen Genien , und diese verschiedenen Kindergruppen auf der oberen und unteren inneren Bühne , sowie die Gestalten auf den Stufen seitwärts bildeten einen anmutigen Anblick , da sie zierlich und mit Geschmack geordnet waren .
Eine sanfte Musik erklang , die verschiedenen Vorhänge wurden wieder zugezogen , und das ganze Schauspiel war beendigt und beschlossen .
Elsheim fühlte sich dem Professor Emmrich und den übrigen Freunden verpflichtet , daß sie , die Festlichkeit auf diese Weise ergänzend , ihn selbst mit diesem anmutigen Schauspiel überrascht hatten , denn Emmrich hatte die Kinder heimlich eingeübt und alles ohne des Barons Mitwissen veranstaltet .
Die Baronesse war so vergnügt und zufrieden , wie sie es seit Jahren nicht gewesen war , und wie der Mensch in der Regel in solcher Stimmung auch am liebenswürdigsten ist , so zeigte sich die alte Dame an diesem frohen Abend so einnehmend , wie der Sohn sie fast noch niemals gesehen hatte .
Da die Aufführung dieser Komödie , die so ganz außerhalb der Linie hergebrachter Forderungen und Gewöhnungen liegt , so außerordentlich gut gelungen war , so beschloß man , sich recht bald diesen Genuß zu erneuern .
Elsheim , der Emmrich im Garten antraf , sagte zu diesem :
" Ich kann noch von meinem Erstaunen darüber nicht zurückkommen , mit welcher Vortrefflichkeit Mannlich und der Graf ihre Rollen gespielt haben .
Ich bekenne , Sie hatten recht , Professor , ob ich gleich die Richtigkeit Ihrer Ansicht , der Anweisung , die Sie den beiden Herren gaben , nichtsdestoweniger mehr und mehr bezweifeln möchte . "
Emmrich lachte , dann sagte er :
" Ich wundere mich dennoch , Freund , daß Sie mich und meine Absicht nicht gleich verstanden haben .
Die beiden Männer waren nur dadurch gute Komödianten , daß sie einmal Gelegenheit hatten , sich selbst , ohne es zu wissen und zu wollen , ganz darzustellen .
Sie sind selbst so , wie sie jetzt gespielt haben , was sie aber niemals eingestehen werden ja selbst nicht einmal erfahren dürfen , wenn es ein andermal wieder gelingen soll .
Glauben Sie mir , könnte man mit den wirklichen Komödianten zuweilen ein ähnliches Experiment machen so würden wir uns zuzeiten vortrefflicher komischer Darstellungen zu erfreuen haben .
Wie mancher bewunderte tragische Held würde einen Zettel in der Sommernacht von Shakespeare meisterhaft geben , wenn man ihm insinuieren dürfte : Vortrefflichster ! erobern Sie durch Ihre Talente diesem so lange verkannten Manne seine Würde wieder .
Er ist ja ein großes , ja einziges Talent , wofür ihn seine Genossen , die Bürgersleute , auch anerkennen .
Die Probe , die er als Tyrann deklamiert , ist ja ein vortreffliches Gedicht und muß nun ebenso , etwa wie Sie schon sonst den Macbeth oder Otto von Wittelsbach gespielt haben , deklamiert und gespielt werden .
Der schadenfrohe Puck , ein bösartiger Kobold , heftet diesem Manne nachher einen Eselskopf an .
Soll dies etwas beweisen ?
Soll der schlechte Spaß , wodurch man von je die größten Männer verunglimpft hat , ein kritisches Urteil enthalten ?
Die zarte Titania beweist es ja , daß sie trotz dieser Entstellung seinen hohen Wert wohl zu schätzen weiß .
Nachher wird sein herrliches großes Spiel vom Fürsten und den Aristokraten verlacht und bitter getadelt .
Ist es nicht unbegreiflich , daß hier noch niemals ein feiner Sinn die wahre Meinung des großen Dichters geahndet oder gewittert hat ?
Diese Lysander und Demetrius , die Hochmütigen , die sich soeben im Walde noch wie Toren und Rasende betragen haben , diese haben wohl viel Ehre mitzusprechen ?
Daß solche Junker und Despoten den hohen Kunstwert eines Zettels nicht verstehen , ist eben sein größtes Lob .
Verschließen diese doch in der Regel gegen alles Herrliche Auge und Ohr .
- Zweifeln Sie dennoch , daß , wenn sich der Held so bearbeiten ließe , und er diese Überzeugung in sich aufnähme , er diesen Zettel nicht viel besser und ergötzlicher , als seinen Macbeth und Otto spielen würde ? "
Elsheim sagte : " Ja , ich gestehe , ich habe den Schalk in Ihnen nicht erkannt . "
" Einige Wahrheit " , fuhr der Professor fort , " ist aber auch außerdem in dieser Übertreibung .
Denn selbst gute komische Schauspieler in Deutschland , und wie viel mehr in England , verfehlen es darin , daß sie zuviel tun .
Sie meinen , sie müssen sich zu dem Toren , den sie abschildern sollen , allzu tief hinablassen .
Sie grimassieren , sie kleiden sich zu einem Scheusal um , sie verstellen ihre Stimme und grunzen und näseln nun etwas daher , indem sie jedes Wort hervorheben , den nächsten Spaß durch Augenwinken und Körperverdrehungen ankündigen , daß in ihrem Bilde kaum die Menschheit wiederzuerkennen ist .
Ich habe über keinen Schauspieler noch so , wie über unseren großen Schröder , lachen können , und wie ließ er auch durch die lächerlichste Figur sein edles Individuum durchschimmern und erreichte das Höchste , ebenso wie in seinem tragischen Spiel , immer mit wenigen Mitteln .
Freilich ist das Lachen viel verschiedener und mannigfaltiger , als das Weinen der Menschen .
Im Lachen verrät sich oft in der Gesellschaft der Gemeine und Rohe , der sich lange mit Glück maskieren konnte .
Ich bin schon oft melancholisch geworden wenn ein ganzes Schauspielhaus kein Ende des Gelächters finden konnte .
Es gibt viele Menschen , besonders in den höheren Ständen , die nur über den Menschen lachen können und mögen , den sie zugleich verachten .
Für solche hat Shakespeare weder geschrieben , noch Schröder gespielt .
Aber wie gern geben sich so viele Schauspieler mit Freuden hin , bis unter die tiefste Staffel des Menschlichen hinabzusteigen , um dieses für den Gebildeten trostlose Gelächter zu erregen . "
" Sehr wahr " , sagte Elsheim .
" Diese Empfindungsweise hängt noch mit einer anderen sonderbaren Eitelkeit unserer Tage zusammen , die ich fast an jedem Menschen , selbst gebildeten , wahrgenommen habe .
Man gibt diesem und jenem ausgezeichneten Talente gern zu , daß es komische Sachen , Charaktere und Lustspiele gut zu lesen und vorzutragen verstehe , aber nicht so in Ansehung des Ernsthaften , Schönen , Rührenden und Tragischen .
Selbst über Sie , Freund , habe ich oft dergleichen Urteile gehört .
Die meisten , wenn Sie eine Tragödie , oder die poetischen Szenen unseres Goethe oder Schiller lesen , meinen im stillen , unser Freund tut zu wenig , ist zu natürlich , bleibt allzusehr in dem Ton der Konversation und dergleichen mehr .
Je stümperhafter , heulender und singender ein solcher diese Gedichte vorträgt , um so schärfer tadelt er Sie . "
" Weil , wie unser Mannlich " , antwortete der Professor , " die Leute glauben , der sogenannte Ernst , und was sie Empfindung nennen , müsse den Mund voll nehmen und gleich damit anfangen , sich von der Natur und Wahrheit loszureißen . "
Man ging zur Gesellschaft , und es wurde beschlossen , noch an diesem Abend die heitere Vorstellung zu wiederholen .
Da die Baronesse mit dem Inhalt schon bekannt war , wurde sie von dieser zweiten Aufführung noch mehr , als von der ersten , ergötzt .
Es waren diesmal weniger Zuschauer zugegen , und auch dieser Umstand trug zur Heiterkeit der alten Dame bei , weil sie sich das erste Mal etwas befangen und bedrängt gefühlt hatte , auch damals in Angst stand , es möchte wieder irgendeine Ungezogenheit vorfallen , die der freigeistige Sohn etwa billigen möchte .
Da man nun weder Prolog noch Epilog hatte , so wurden zwei Ruhepunkte im Stücke angebracht , um beim Anfang und in den beiden Pausen einige Musikstücke aufzuführen , welche die Baronesse vorzüglich liebte .
Emmrich behauptete zwar , daß das Stück darunter leide , weil diese flüchtige , leichte Handlung auch dadurch hinreiße , daß der Zuschauer eben nicht zur Ruhe und Besinnung komme , doch gab er den Wünschen des jüngeren Freundes nach , der seiner Mutter gern ihre heitere Laune , in welcher sie das Kunstwerk liebgewonnen hatte , erhalten wollte .
Indem Antonio neben Olivin stand , um wieder zum letztenmal aufzutreten , sah er , wie sie ein Billet aus dem Busen zog , das sie ihm heimlich zustecken wollte .
Er griff danach , aber so in Hast und übertriebener Eile , daß er an Charlottes Hand stieß , und der Brief auf das Theater flog .
Elsheim , als Herzog , erstaunte über diesen Vorfall und sah den Brief an , und es schien fast , als sollte die Vorstellung jetzt einen Gegensatz zu dem Schreiben liefern , welches Malfolio in so seltsamer Begeisterung abliest ; doch ließ Elsheim das Blatt liegen , Antonio trat heraus , der Baron spielte zerstreut , Olivia erschien , und bevor sie noch sprach nahm sie den Brief vom Boden auf und sendete dem verwirrten Leonhard einen sprechenden , vieldeutigen Blick zu .
So ging das Stück zu Ende , Leonhard fühlte sich beschämt , Elsheim war zerstreut , und nur Charlotte behielt eine so ruhige Fassung , als wenn gar nichts vorgefallen wäre .
Doch war es ihr nicht möglich , jenen Brief der Behörde , an welche er gerichtet schien , abzuliefern denn Elsheim verfolgte sie mit so aufmerksamen Blicken , daß Charlotte sich auf ihr Zimmer zurückzog , nachdem Leonhard gleich nach dem Schluß der Aufführung seine Ruhestätte aufgesucht hatte .
Am folgenden Tage wurde verabredet , zum Ergötzen der Mutter ein großes Konzert zu veranstalten , in welchem , außer den beiden fremden Virtuosen , auch alle diejenigen , welche von der Gesellschaft musikalisch waren , sich sollten hören lassen .
Charlotte sang vortrefflich , Elsheim angenehm , und so gab man , mit Hilfe des Verwalters Lenz , fast die wichtigsten und meisten Partien aus Belmonte und Constanze .
So wenig die alte Baronesse mit der neueren Poesie fortgeschritten war , so daß sie fast unwissend erscheinen konnte , so sehr war sie in die Kompositionen des großen Mozart verliebt , weil sie diese gerade in ihrer frühen lugend , indem ihr Bewußtsein erwachte , hatte kennenlernen .
Bei vielen Menschen werden die Bildung , ja selbst der Charakter , und ihre Vorliebe und Vorurteile auf die ganze Lebenszeit durch solche Zufälligkeiten begründet .
Die junge Witwe des verstorbenen Unterförsters ließ sich an diesem Tage bei Elsheim melden .
Da sich die beiden Leute schon seit frühester Jugend gekannt hatten , so nahm sich die noch hübsche Frau manches bei dem jungen Gutsherrn heraus , was sie sonst wohl bei einem älteren Herrn nicht gewagt haben würde .
Ihr Anspruch war nichts geringeres , als daß sie nun auch einmal irgendeine Rolle auf dem freiherrlichen Theater zu spielen wünsche .
Elsheim war mit der Frau , die so dreist , fast verwegen , ihre seltsamen Wünsche vortrug , in einiger Verlegenheit .
Er suchte sie zu beschwichtigen und ihr das Ungehörige ihrer Forderung deutlich zu machen , aber alle seine Bemühungen waren umsonst , denn sie war von ihrem Talent so überzeugt , daß sie meinte , sie dürfe weder vor Charlotte , noch Alibertinen zurückweichen , deren Spiel sie gesehen hatte .
" Oh , mein junger lieber Herr " , sagte sie , " Sie scheinen es ganz vergessen zu haben , wie früh wir schon miteinander bekannt waren , und wie freundlich Sie mir damals begegneten , als ich noch nicht mit meinem Manne verheiratet war .
Nachher kamen Sie freilich in langer Zeit nicht zu uns , und haben mich und uns alle hier ganz aus der Acht gelassen .
In der Zeit , ehe ich mich verheiratete , bin ich ein Jahr in der nah gelegenen Stadt gewesen , bei einem sehr geschickten Fräulein , die auch eine Dichterin war .
Diese behandelte mich mehr wie eine Freundin , als wie eine Gesellschafterin , und da habe ich oft helfen Komödie spielen .
Was denken Sie ?
Ich habe die Agnes Bernauer , ich habe die Amalia in den Räubern mit Beifall dargestellt , auch die Orsina , und bei manchem großen Kapitalstück habe ich geholfen . "
Elsheim war nicht gestimmt , das Geschwätz länger anzuhören , und verabschiedete sie mit einem halben Versprechen , bei dem nächsten theatralischen Ereignis an sie und ihr Talent zu denken .
Und warum nicht ? sagte er nachher zu sich selber ; es wird die Verwirrung , in der wir uns befinden , nur um weniges erhöhen .
Wohin geraten wir alle ?
Kann ich es mir noch leugnen , daß ich von Eifersucht gepeinigt werde ? daß mich , gleich Blitzstrahlen , Momente des Unmuts , ja fast des Hasses , gegen meinen frühesten , meinen innigsten Freund , den redlichsten aller Menschen schmerzlich durchzucken ?
Freilich sollte er nicht so schwach sein !
Aber bin ich denn stärker ?
Und schwerlich , nein gewiß nicht , schätzt er sie , die uns entzweien könnte , so gering , als ich .
Glaubte ich doch meiner so sicher zu sein , als ich hierher kam , und nun spielt mir ein schadenfrohes Verhängnis so launenhaft mit , daß ich da in Leidenschaft entbrenne , wo ich - ja , ich muß es so nennen - wo ich verachte .
Man möchte an die alten Sagen von Liebestränken glauben !
Dieses leidenschaftliche Gefühl ist ein Zauber , der zerrissen werden muß .
Aber wie , auf daß er im Herzen und meinem Leben nicht so verderblich reiße , daß eine schmerzhafte Lücke bleibt ?
Ist es möglich , daß die Leidenschaft um so stärker zu flammen vermag , je weniger sie von Achtung und Ehrfurcht genährt wird ?
Indem er diesen sonderbaren Gefühlen weiter nachzuträumen sich gezwungen fühlte , trat Emmrich in sein Zimmer .
Diese Störung war ihm lieb und unangenehm zugleich , denn seine Vorstellungen ängstigten ihn , und doch fühlte er sich in der Gesellschaft des verständigen Mannes verlegen , weil es ihm unmöglich schien , jetzt seine Gedanken gehörig zu ordnen .
" Schon seit einiger Zeit " , begann Emmrich , " ist es mir Bedürfnis , ja es erscheint mir als Pflicht , mit Ihnen ernsthaft über einen Gegenstand zu sprechen , der mir schwer auf dem Herzen liegt . "
Elsheim war gespannt und überrascht , ja fast über diese Einleitung erschrocken .
Die Männer setzten sich , und der ältere fuhr so fort :
" Glauben Sie mir nur , geliebter Freund , ich habe mir selbst längst alles gesagt , was Sie mir erwidern , oder was mir gar ein feindlich Gesinnter bitter entgegnen könnte .
Ich sage mir selbst nämlich :
Was drängst du dich in diese Verhältnisse ?
Wer fordert dich dazu auf ?
Verletzest du nicht vielleicht alle Delikatesse , und ziehst dir den Unwillen eines jungen Mannes zu , den du hochachtest , und der dir bis jetzt immer Liebe bewiesen hat ?
Kann ein freigelassenes Wort , eine Enthüllung , die bis jetzt im Dunkel ruhte und nun an das Licht gerissen wird , nicht Unheil stiften ?
Wenn man aber , wie es mir geschieht , von seinem Gewissen getrieben wird , so müssen alle diese feineren und kleineren Rücksichten zu Boden fallen . "
Elsheim war durch diese Einleitung noch ängstlicher geworden , und da jetzt Emmrich seine Hand ergriff und sie zärtlich drückte , dann mit dem Ausdruck innigster Freundschaft den jungen Mann umarmte , so steigerte sich dessen Verlegenheit so sehr daß der Ausdruck derselben fast komisch wurde .
Emmrich schien eine Ahnung davon zu haben , denn er setzte sich plötzlich wieder nieder und suchte nach Worten .
" Es sei ! " sagte er nach einer kleinen Pause .
" Sie bemerken es also nicht , oder wollen es vorsätzlich nicht sehen , wie Sie eins der edelsten Wesen zugrunde richten , wie Sie die liebenswürdige Albertine umbringen ? "
Elsheim sprang von seinem Sitze auf , stand verwundert still und blickte starr den Redenden an , setzte sich dann wieder nieder , und sagte endlich mit dem Ausdruck der höchsten Verwunderung nichts weiter , als :
" Wie ? "
" So ist es " , fuhr Emmrich fort .
" Seit lange schon glaubte ich diese Leidenschaft in dem edlen Wesen zu bemerken , ich wollte aber früher meiner Kenntnis des menschlichen Herzens nicht trauen , bis mich nun unsere Aufführung des Shakespeareschen Dramas auf das vollkommenste überzeugt und alle meine Beobachtungen bestätigt hat . "
" Albertine ! " rief Elsheim aus ; " Sie sagen mir da etwas , das ich nimmermehr glauben kann .
Wie ? diese Kalte , Schweigsame , immer Zurückgezogene sollte eines Gefühls , und gar für mich , fähig sein ?
Wenn Sie mir dergleichen von Charlotte sagten , könnte ich es vielleicht eher glauben . "
" Von Charlotte " , erwiderte Emmrich kalt , " würde ich es nicht glauben , und wenn das Fräulein es mir selbst versicherte .
Wie wunderbar hat die Natur dieses schöne Wesen mit Gaben und Reizen ausgestattet , und bei diesen vielfachen Geschenken das Herz vergessen , ohne welches alle anderen Eigenschaften ihren eigentlichen Kern verlieren .
Ich bin überzeugt , diese gaukelnde Fee wird niemals lieben können ; sie sucht ihr Glück darin , alle Männer zu bezaubern und leichte Abenteuer anzuknüpfen und zu lösen .
Leidenschaft zu erregen ist ihr Spiel , sie will aber keine fühlen .
So hat sie sich zur reizendsten und gefährlichsten Kokette ausgebildet .
Sie hat in der Residenz schon wunderbare Abenteuer durchgespielt , und die verständige Tante bemerkt entweder alles nicht , oder sieht als eine kluge Frau durch die Finger , wo sie nichts ändern kann .
Vielleicht muß es solche Wesen geben , und Charlotte entwickelt sich nur so , indem sie einer inneren Notwendigkeit nachgibt ; aber zu bedauern ist es doch , daß diese schöne Erscheinung ohne Seele bleiben soll . -
Dagegen Albertine ! welcher Adel bei diesem Liebreiz !
Sie ist lauter Seele und Gemüt und in dieser reinsten Unschuld und wahrhaft göttlichen Unbefangenheit voll des tiefsten Gefühls für alles Schöne und Große .
Wem sich dieses Herz widmen kann , der sollte sich wohl so beseligt fühlen , daß er sich den Göttern des Olymps gleich dünkte . "
" Halten Sie inne " , rief Elsheim , " damit ich zu mir komme damit ich überlegen kann , wie das möglich sei , was Sie mir da sagen , oder Gründe und Worte finde , um Ihre irrige Meinung zu widerlegen .
- Albertine ! "
" Ich muß mich über Ihre Verwunderung verwundern " , antwortete Emmrich , " und zugleich das Schlimmste abbitten , was ich von Ihnen dachte , denn ich glaube , Sie wüßten um diese Neigung und verschmähten die Unglückliche absichtlich . "
" Abgesehen von allem übrigen " , fragte Elsheim , " was verlangen Sie von mir ? "
" Was Sie leicht gewähren können und müssen " , erwiderte der Professor , " daß Sie die Arme nicht verhöhnen , ihr nicht geflissentlich mit kalter Grausamkeit begegnen . "
" Ach ! " rief Elsheim aus , " mir ist das , was Sie mir da eröffnen , noch immer so neu , so überraschend , daß ich daran zu glauben nicht vermag . "
" Lassen Sie mich fortfahren , da ich mich Ihnen einmal anvertraut habe " , sagte Emmrich ; " daß ich mit Alibertinen niemals über diesen Gegenstand gesprochen habe , werden Sie mir ohne Versicherung glauben , da Sie mich kennen .
Daß sie mir Aufträge gegeben , oder mir zuerst sich mitgeteilt haben sollte , dem zu widersprechen ist vollends überflüssig .
Seit lange war mir die Melancholie und die abwechselnd erzwungene Heiterkeit des schönen Wesens aufgefallen .
Als ich sie im Götz beobachtete , wurde meine Vermutung zur Gewißheit .
Aber mit größtem Schmerz fand ich im Lustspiel meine Überzeugung bestätigt .
Ich habe schon sonst die Erfahrung gemacht , daß ein schöner Tenor nur dadurch in seinen geistigsten Tönen die Menschen bezauberte weil aus ihnen der Tod schon , die bald entwickelte Schwindsucht sang .
Oh , mein Freund , als Viola sprach die zarte Freundin so weiche , überirdische Töne , in so himmlische Lieblichkeit getaucht und wie im geistigen Äther hinklingend , daß die Laute mir durch das Herz schnitten , denn in jedem klang ein Lebensjahr mit hinaus .
So hatte ihr Auge den überirdischen Glanz eines verklärt Sterbenden .
Ja , Freund , sie geht zugrunde , ihr Herz bricht , und Sie werden sich nachher den Vorwurf machen müssen , daß Sie es verschuldet haben . "
Elsheim war nachdenkend geworden und sagte dann nach einer Pause :
" Und was verlangen Sie nun , daß ich tun soll ? "
" Nur weniges " , erwiderte Emmrich , " nur das , was Ihnen die Urbanität von selbst , ohne meinen Rat , vorschreibt .
Zeigen Sie der Armen nicht so geflissentlich Ihre Geringschätzung , Ihren Widerwillen .
Warum so plötzlich , oft im unschuldigsten Gespräch , dieser höhnische Witz ? diese bitteren Bemerkungen über die Schwächen der Weiber ?
Sie sind gegen alle Menschen , selbst gegen rohe , die es nicht verdienen , sanft und mild ; dies zarte Wesen aber ist nur da , damit Sie an ihr den Übermut des Mannes üben , und die giftigen Pfeile der Geringschätzung und Verachtung schärfen .
Sie sind ein Mann , aber wenn jemand , den Sie liebten , Sie auf diese Weise behandelte , Sie würden verzweifeln . "
Elsheim faßte die Hand des älteren Freundes und sagte bewegt :
" Ich danke Ihnen , daß Sie mich mit dieser Offenheit auf meine Ungezogenheit aufmerksam gemacht haben .
Ich bin vollkommen im Unrecht , und weiß nichts zu meiner Entschuldigung zu sagen , als daß ich mein widerwärtiges Betragen bereue .
Es ist nur zu wahr , daß wir oft mit aller unserer vornehmen Kultur und Bildung , mit der wir uns brüsten , roh , ja selbst gemein werden können .
Sie ist mein Gast , mir verwandt , und so ist mein Vergehen noch weniger zu verzeihen .
Ich werde mich jetzt bestreben , schonend und anständig ihr gegenüber zu erscheinen . "
" Ich wußte " , sagte Emmrich , " daß Sie meine offenherzige Freundschaft so aufnehmen würden .
Fügen Sie nun noch das ebenso Nötige hinzu , in Gegenwart der Kranken dieser Charlotte nicht so geflissentlich den Hof zu machen , diese mit Artigkeiten zu überschütten , so eifrig um ihre Gunst zu werben , als ob von dieser das Glück Ihres Lebens abhinge . "
" Freund ! " rief Elsheim bewegt aus , " man ist und bleibt ein Tor , und sollte jeden Morgen an seinen Schützgeist ein ganz besonderes Gebet richten , daß er uns vor recht ausdrücklichen Dummheiten , vor diesen wenigstens , behüten möge .
Schon seit anderthalb Jahren quält mich meine gute Mutter in ihren Briefen , daß ich heiraten soll , und zwar diese ihre Albertine , die sie für das Muster aller weiblichen Wesen hält .
So trieb mich ein schadenfroher Dämon in den Widerspruch hinein , und ich konnte in meiner Einfalt gegen diese frommen Wünsche nur widerspenstig sein , indem ich ungezogen wurde .
Ich wollte meine Mutter nur bescheiden , sozusagen auf erlaubte Weise , ärgern , Albertinchen diese Gedanken , die meine redselige Mutter ihr gewiß schon eingeflößt hat , aus dem Sinn bringen , und habe wie ein stümperhafter Komödiant , statt Schröders feinen Klingsberg , zu meiner Beschämung einen ungehobelten Landjunker dargestellt .
Auch dieses scheinbare Verliebtsein - oder wie nenne ich es ? -
in die Olivia , in diese allzu geniale Charlotte - war ja nur ursprünglich ein Spiel , um meine Mutter irrezuführen und die projektierte Heirat völlig scheitern zu machen .
Ich handelte nur so in den Tag hinein , weil ich nicht als Pedant einen feinen und durchdachten Plan entwerfen wollte , und darüber ist , wie Sie mir jetzt verkünden , die Arme zum Opfer geworden .
Sei es nun aber mein Vorurteil , oder Eigensinn , oder sei es eine wirkliche Antipathie unserer Naturen , meinem Gefühl ist diese Albertine und ihr Wesen und Treiben zuwider .
Darum war es mir auch peinlich , daß ich in unseren beiden Stücken so viel mit ihr verkehren mußte .
Von jetzt an aber werden Sie sehen , daß ich in der Vernunft und den Gesetzen der Lebensart Folge leiste ; durch mich soll mein Mühmchen nicht wieder gekränkt werden . "
Die Freunde trennten sich , und Elsheim irrte gedankenvoll im Garten umher .
Es ist uns nicht gegönnt , dachte er bei sich , so im Leichtsinn , in welchem wir uns so poetisch fühlen , dahinzutaumeln .
Dies Gelüst , wenn wir ihm nachgeben , wird vom Ernst des Lebens fast immer , und oft zu hart , gestraft .
Darum ist etwas so Berauschendes und Entzückendes in der ersten Jugendblüte .
Jene Reise-Momente , Stunden und Tage , wo ich unbekannt in einsamen Gegenden irrte und spielte , alle jene Scherze und vorübergehenden Figuren und Bekanntschaften , jene Neckereien , halbe Liebe und Tollheiten , könnt ihr denn niemals wiederkehren , und nur in der Erinnerung mich erfreuen ?
Damals fiel es niemand ein , mich wegen dieses Scherzes oder jener Ausgelassenheit zur Rechenschaft zu ziehen ; jetzt muß ich mich verantworten , mein Betragen entschuldigen , für die Folgen einstehen .
Freilich bin ich auch älter geworden , lebe nicht in der Fremde , in einem Städtchen oder Schloß , das ich jetzt betrete und übermorgen verlasse , sondern in meinem angestammten Eigentum , wo ich der ehrliche Gutsherr bin und für allen Schaden , der geschehen kann , einstehen muß .
Und die anbrüchigen Herzen sind leider nicht assekuriert , und was in meinem Besitztum verlorengeht , soll ich bezahlen .
" Tolle , tolle Welt ! " rief er aus und setzte sich in jene abgelegene Laube , um recht ungestört mit den Menschen , der Gesellschaft und ihren Einrichtungen schmollen zu können .
Da hüpfte die kleine Dorothea vorbei , und da Elsheim wußte , wie vertraut diese seit einiger Zeit mit Alibertinen war , so stand er auf , ging ihr entgegen und bat sie , auf einige Zeit bei ihm zu verweilen , weil er sie über etwas , das ihm sehr wichtig sei , befragen wolle .
" Mein liebes Mühmchen " , fing er an , " ich weiß , daß Sie stets , seit Jahren schon , für mich die freundlichsten Gesinnungen hegten .
Jetzt können Sie mich wahrhaft glücklich machen , wenn Sie einmal ganz aufrichtig gegen mich sind .
Aber freimütig , offenherzig , Liebe , müssen Sie gegen mich sein , und ich schwöre Ihnen , was Sie mir demnächst anvertrauen werden , soll in meiner Brust wie im Grabe verschlossen bleiben . "
Die kleine verständige Dorothea sah ihn mißtrausich mit ihren klaren blauen Augen an und sagte dann :
" Aber was verlangen Sie von mir , liebster Vetter ?
Sie machen mir bange .
Alles , was möglich ist , will ich Ihnen beantworten . "
" Möglich ? " sagte Elsheim freundlich und in seiner gewohnten Weise , " - ist denn nicht alles Mögliche möglich ?
Aber nicht bloß meinetwegen , um mich zu beruhigen , oder zu warnen , sollen Sie aufrichtig sein , sondern hauptsächlich zum Besten einer geliebten Freundin .
Und ich schwöre Ihnen , daß Sie deren Wohl nur dadurch fördern können , wenn Sie jetzt ganz ohne Rückhalt sprechen .
Sind Sie aber verschlossen und zweideutig , so schreiben Sie sich künftig selbst alles Unheil zu , was aus diesem Betragen nur irgend entstehen kann . "
Dorothea war bei diesen Beschwörungen ganz ernsthaft geworden und sagte jetzt , fast gerührt :
" Nun , so fragen Sie , und soweit es nur irgend mein Gewissen zuläßt , werde ich Ihnen wahrhaft antworten . "
" Englische Cousine ! " rief Elsheim und faßte ihre Hände ; " ich kenne ja Ihr Herz und Ihre treue Freundschaft .
Ich weiß für gewiß ( glauben Sie mir nur , ich habe die untrüglichsten Beweise und Nachrichten ) , daß Albertine am Abgrund steht , und jetzt nahe daran ist , durch eine unglückselige Leidenschaft vernichtet zu werden .
Was können wir tun , um diesem Elende vorzubeugen ? "
Dorothea senkte das Köpfchen , spielte mit den Fingern auf dem steinernen Tisch , sah lange vor sich nieder und blickte nach einer stummen Pause zu den Augen des Barons ratlos und fragend hinauf .
" Woher wissen Sie dergleichen ? " sagte sie dann mit schwankendem Ton .
" Mein Kind " , sagte Elsheim dringend , " treten Sie nicht zurück , stellen Sie sich nicht unwissend , sondern antworten Sie frei und frank , als wenn Sie neben Ihrem Beichtvater oder Ihrem Arzte säßen , denn nur dadurch kann das Unglück vermindert oder vielleicht kann ihm sogar ganz abgeholfen werden . "
" Ach , lieber Freund ! " sagte Dorothea tief seufzend , und eine Träne trat in das große klare Auge , "- die Sache ist leider wahr ich habe es zuerst bemerkt und sie gewarnt , aber ohne Erfolg .
Was können wir nun noch tun ?
Durch Entfernung , daß er vielleicht bald abreiset , daß er es nie erfährt , das alles ist vielleicht noch die einzige Hilfe , das Rettungsmittel , wenn auch ein unzuverlässiges . "
" So ? " sagte Elsheim erstaunt , "- ich dachte immer -
also er weiß es nicht ? "
" Gewiß nicht " , antwortete Dorothea mit herzlicher Vertraulichkeit , "- wer sollte es ihm gesagt haben ?
Und ein Glück , daß er es nicht selbst erraten hat , da sie in ihrer Natürlichkeit allzu_wenig die Kunst versteht , sich zu verstellen .
Nein , wenn er es auch nur ahndete , wäre sein Betragen unverzeihlich .
Aber er ist zu fein , zu gut , zu menschlich und edel , um dergleichen vorsätzlich zu tun , und daraus ersehe ich eben deutlich , daß er von den Seelenleiden der armen Albertine auch nicht die kleinste Vermutung hat .
Nein , er könnte nicht so geflissentlich den Liebhaber der Charlotte spielen , und dieser alle seine Aufmerksamkeit widmen . "
" Ja wohl " , sagte Elsheim mit einiger Verwirrung , " er ist immer noch zu gut , als daß er dergleichen aus schadenfroher Absicht tun könnte .
Der Sünder der - Sie , Liebste , kennen Sie ihn denn auch etwas näher ?
Hat er Ihnen nicht vielleicht schon den Hof ge macht ? "
" Nein " , sagte Dorothea ganz ernsthaft , " denn ob ich ihn gleich sehr liebenswürdig finde , so habe ich doch weder Gelegenheit gehabt , noch gesucht , ihn im Vertrauen zu sprechen . "
" Aber er ist gefährlich , nicht wahr ? " fuhr Elsheim fort .
" Das sehe ich an meiner armen Freundin " , erwiderte sie , " denn wenn sie etwas loben will , sei es männliche Schönheit , oder Liebenswürdigkeit , oder Treue , oder ein Wesen , dem man sein unbedingtes Zutrauen schenken könnte , dem die Herzen zufliegen müßten , kurz , wenn sie das Muster eines Mannes bezeichnen will : so nennt sie dieses seltene Wesen Leonhard . "
" Leonhard ? " fuhr Elsheim ganz mechanisch , aber doch überrascht heraus , indem er sich zwang , sein Erstaunen zu verbergen , und Dorothea war von ihrem Gegenstande zu erfüllt , um es zu vermerken , daß Elsheim ein boshaftes Lächeln nur mit Mühe unterdrückte .
" Leonhard ! " fuhr Elsheim nach einer Pause fort : " ja dieser junge gefährliche Mann , den ich in aller Unschuld hierher gebracht habe , verdreht allen unseren Weibsleuten den schwachen Kopf .
Hätte ich das Elend nur ahnden können , das er hier anrichten würde , so hätte ich ihn dort in seiner Stadt gelassen , diesen Verführer !
Denn sehen Sie , liebste Doris , das ist er im eigentlichen Sinne , so wacker er übrigens auch sein mag .
Wo er aber ein Mädchen oder eine Frau betrügen kann , wo er mit seiner Tugendmiene sie verderben mag , da ist er schlimmer , als Don Juan .
Ja , Liebste , an diesem Felsenherzen ist unsere Albertine völlig verloren , und sie mag noch dem Himmel danken , daß der Bösewicht sich nicht um sie beworben hat , denn da er so unwiderstehlich ist , wie ihr es alle selbst bekennt , so wäre sie völlig zugrunde gerichtet .
Solche gefährliche Menschen sollte man nicht im Lande dulden , oder sie schon im siebzehnten Jahre verheiraten , damit sie nur recht früh langweilige Ehemänner und unausstehliche Hausväter würden .
Aber was würde auch dieses extreme Mittel eben fruchten ?
Denn dieser gottlose Bösewicht ist schon seit Jahren , und zwar an eine sehr hübsche junge Frau verheiratet , aber dennoch macht er uns nun hier die ganze Provinz rebellisch .
Sagen Sie selbst , tugendhaftes Kindchen , müßten die Gesetzgeber nicht ganz neue , unerhörte Strafen für dergleichen neumodige Waldfrevler aussinnen ? "
Dorothea sah ihn groß an , denn auf dieses Geschwätz war sie nach jener feierlichen Einleitung nicht gefaßt .
" Sie wollten helfen , raten , dem Unglück vorbeugen " , sagte sie endlich , nachdem sie ihn lange betrachtet hatte , " und nun scheinen Sie doch nur rechte Schadenfreude zu empfinden , und die Sache macht Ihnen , so kommt es mir vor , mehr Spaß , als daß Sie sie sich zu Herzen nehmen sollten . "
" Ja so ! " rief Elsheim aus , " Sie haben ganz recht , geliebtes Mühmchen , ich falle immer wieder , so gerührt ich auch eigentlich bin , in meinen leichtsinnigen Ton .
Aber , ernsthaft gesprochen , ich glaube , daß die Zeit ganz nahe sein wird , in welcher der gefährliche Mensch wieder nach Hause reisen muß ; dann ist ja hoffentlich der Zauber gebrochen .
Dorchen , da Sie einmal in der aufrichtigen Stimmung sind - wie denkt denn Albertine von mir ? "
" Ganz so , wie Sie es verdienen " , versetzte Dorothea mit einem schnippischen Ton ; " wenn von Leonhard die Rede ist , werden Sie gewöhnlich auch genannt , aber nur des Kontrastes wegen .
Wie jener die höchste Liebenswürdigkeit des Mannes ausdrückt , so stellt sich in Ihnen alles dar , was am männlichen Geschlecht fatal und widerwärtig ist ; Sie sind das Ungewisse , Leichtsinnige was kein Vertrauen einflößen kann , der zweideutige jesuitische Mensch , der weder Liebe sucht noch verdient , der - kurz der , der Sie wirklich sind .
So erkennt Sie Albertine , und wenn Sie auch auf einen Augenblick hinterlistig mein Vertrauen erschlichen haben , so bereue ich doch diese Viertelstunde recht von Herzen ! "
Sie sprang auf und rannte davon .
Elsheim aber blieb auf der Gartenbank sitzen und lachte so herzlich und so laut , daß einige Freunde , die ihn suchten , sich nach der Laube wandten , so wie der Bediente , der sich im Garten nach ihm umgesehen hatte , hereintrat , um ihm Briefe zu überreichen .
Die beiden fremden Musiker , Mannlich und Leonhard , traten mit dem Diener zugleich in die geräumige Laube .
Elsheim legte die Briefe , nachdem er sie obenhin betrachtet hatte , vor sich auf den Steintisch und sagte dann mit lachender Miene :
" Meine Herren , ist unter Ihnen vielleicht ein Menschenkenner ? "
" Menschenkenner ? " sagte der brünette Bassist ; " mich dünkt , diese Sorte hat man seit einigen Jahren ganz abgeschafft .
Vormals spukten sie in allen Komödien und Romanen ; auch gab es wohl Menschen , die , wie die Viehhändler , auf das Gewerbe reisten , um die verfeinerten und besseren Menschenrassen anzutreffen ; allein seit man eingesehen hat , daß der grobschürige Hammel auf die Dauer doch der einträglichste ist , hat man die Finte und Finesse wieder aufgegeben . "
" Und man hat klug daran getan " , sagte Elsheim lachend , " denn niemals muß der gute Landwirt zu oft und zu fein scheren wollen .
Ist nun das Blöcken , das man beim Scheren vernimmt , lauter Selbstgeständnis ?
Bekenntnis und Anklage ? oder Lästerung auf den Scherenden ?
Nicht wahr , der Anatom , der die Menschen so schlechthin aufschneidet , dürfte sich eigentlich wohl für den gründlichsten Menschenkenner aus geben ?
Und dann das sogenannte Herz . "
" Ich meine " , sagte der Klavierspieler , " die Alten taten besser , alle Herzensempfindungen mehr in die Leber zu verlegen .
Sie ist eigentlich das gekräftigte Leben , wovon sie auch ihren Namen Leber hat , das männliche R statt des weiblichen N , das spornklirrende Schwertwesen statt des sangreichen minniglichen .
Herz ist zu sehr mit Erz , Harz und Erde verwachsen , um den Inbegriff der Liebesgeheimnisse andeuten zu können , wenn auch Schmerz und Scherz da wieder hineinlaufen . "
Mannlich sagte trocken und ernsthaft :
" Ich habe mich immer für einen Menschenkenner gehalten , auch für einen Mann , der das Herz , besonders das weibliche , erforscht hat .
Es gibt auch gewiß nichts Interessanteres , als sich mit diesem Studium zu beschäftigen .
Das weibliche Gemüt ist vielleicht reicher , als das männliche , aber dennoch leichter zu ergründen .
Hat man nur erst die Physiognomie des Geistes erfaßt , so findet man leicht die Art und Weise der Gemütsgaben , der Regungen , und was nur igend mit dem geheimnisvolleren Bau der Seele zusammenhängt .
So zum Beispiel unsere reizende Freundin , das Fräulein Charlotte .
Ich kann mir denken , daß sie manchem , der sich auch einen Beobachter nennt , für ein Rätsel gelten mag ; wer es aber weghat , daß ihr inneres Wesen eigentlich das einer Nonne ist , der versteht nun auch sogleich , was sich außerdem zu widersprechen scheint .
Darum nur ist es ihr möglich , die Adelheid und Olivia so schön und vollendet darzustellen , weil ihr inneres Wesen reine Religiosität ist , und sie daher dasjenige , was ihr am schärfsten , am widerwärtigsten entgegensteht , am sichersten auffassen und am überzeugendsten spielen und äußerlich hinstellen kann .
Diese feinen Seelen entfliehen gleichsam zuzeiten sich selbst und in das feindlichste Element hinein , um sich ihrer ganzen Kraft , Tugend und Reinheit von neuem bewußt zu werden .
Ach , meine Freunde , das führt uns eigentlich dahin , daß wir gegen manche Genien , besonders Musiker , toleranter sein sollten , die sich manchmal in ein scheinbar niedriges Element zurückziehen , mehr , um sich auszuruhen , als um zu genießen . "
" Richtig ! " sagte der Bassist laut lachend , " und das niedrigste , tiefste Element wird immer der Keller sein , in welchem in vielen Städten die Weinschenken und jene Italiener hausen , die uns Austern , Kaviar , Lachs und Seefische anbieten , um uns an diesen Naturgewächsen zu zerstreuen .
- Kennst du die dunklen Stufen - die uns so lockend rufen ? - Dahin - dahin - " so schloß mit einem Gesang der Übermütige .
" Nehmen Sie sich in acht " , meine Herren , sagte der Klavierspieler , " daß Sie nicht stolpern und fallen , indem Sie zu diesem dunklen , erfreulichen Element hinabsteigen .
Man muß schon wissen , wie beim Denken , wohin man gelangen will , um mit Sicherheit hinzukommen . "
Indem hatte Elsheim die drei großen Briefe geöffnet , sie mit dem Ausdruck des Unwillens und Erstaunens überlesen , und warf sie jetzt zornig hin , indem er ausrief :
" Das fehlte noch ! "
Leonhard fragte : " Darf man vielleicht wissen , lieber Freund was sie enthalten ? "
" Oh ! " rief Elsheim , " sie können laut gelesen werden , und wenn du es willst , trage diesen ersten gleich selber vor . "
Leonhard las : "- Übrigens verehrter Herr Baron - "
" Eine sonderbare Anrede " , sagte der Bassist .
" Dennoch will ich mich mäßigen " - las Leonhard - " Kurios ! " sagte der Komponist , " nach welcher Logik stellt dieser Briefsteller seine Gedanken ? -
Nun also ? "
" Dennoch will ich mich mäßigen , indem ich wohl einsehe , daß ich Unrecht habe .
Sollte das nicht der Fall sein , so müßte ich mich freilich außerordentlich schämen . "
" Ich verstehe weder Vordersatz noch Schlußfolge " , sagte Mannlich .
Leonhard las : " Zugegeben also , daß wir Nachbaren und auch Gevattern sind , wie es bei jedem Zweifel das Kirchenbuch ausweisen wird , so ist mein dienstliches Ersuchen , dergleichen geistliche und weltliche Verknüpfung nicht weiter in Frage zu stellen , sondern die Überzeugung von diesen wie größeren Sachen dem anheimzustellen , der alles nach seiner Weisheit nicht nur regiert , sondern auch reguliert . "
Leonhard hielt inne , um zu lachen .
" Das muß ein kurioser Menschenverstand sein " , bemerkte der Bassist .
" Vielleicht " , sagte der Musiker , " ein so tiefsinniger Philosoph aus der obersten Klasse , daß unsere Einfalt ihn nur nicht begreift . "
Leonhard las weiter : " Und so hätte ich denn zwar fein , aber doch deutlich den Punkt berührt , über welchen ich Klage zu führen Ursache habe . "
" Wieso ? " sagte Mannlich , " ich kapiere noch nichts von der ganzen Epistel . "
Leonhard las : " Denn wenn ich auch nur drei Söhne habe , so brauchen die gewiß die Bildung ebenso nötig , als wenn es dreiunddreißig wären , da die Zahlenprogression , sei sie geometrisch , oder auch nur perspektivisch , bei Seelenverbesserung unmöglich in Anschlag kommen kann . "
" Das ist eine unumstößliche Wahrheit " , sagte der Sänger , " und der Mann fängt jetzt an klar zu werden . "
Leonhard fuhr fort : " So also , praemissis praemittendis , bin ich sehr verwundert gewesen , daß Ew. Hochwohlgeboren , obgleich Dieselben um vieles jünger sind , uns dennoch nicht zusammen , oder einzeln , oder in pleno eingeladen haben , weil es freilich nicht geschehen ist .
Es trug sich nicht zu , und ich hoffe , die Erneuung einer neuen Verwirklichung wird um so bessere Früchte tragen , da ich jetzt in dieser Hinsicht nicht mehr der Unwissenheit beschuldigt werden kann , da es nämlich der Herr Baron alleweil und jetzund erfahren .
Christlich angesehen , wenn auch gar nicht nachbarlich :
wo sollen denn meine drei Jungen , die nun alle schon heiraten könnten , Bildung herkriegen hier auf dem Lande , wenn die höchsten Potenzen und die allernatürlichste Nähe ihnen in der ausdrücklichsten Möglichkeit , ja selbst Wirklichkeit nicht gereicht werden ?
Ist es zu verwundern , wenn sie dumm bleiben könnten ?
Und wer hätte nachher die Verantwortung dieser , wie so mancher anderen Dummheit auf sich , als mein Herr Baron ?
Nein , der Löwe kann wohl einmal eine Maus aus ihrem Netze beißen ; bitte darum , die hochmögende Nachbarschaft sich nicht zu Feinden zu machen , wie wir gewiß alle in obszöne und stupröse Gehässigkeit uns verwandeln müßten , trotz den Emanzipationen eines besseren Gewissens .
Spielen Sie also wieder ein Trauerstück , so darf ich hoffen , mit meiner Familie in dieses , wie in Ihr Wohlgefallen , abendlich oder nächtlich eintreten zu dürfen .
Sans rancune übrigens und sans adieu , das heißt , in Hoffnung und Erwartung , daß uns der Herr Gevatter zum nächsten Theater menschenfreundlich invitieren wird , beharre ich , ungeachtet meiner zu vernachlässigenden , aber alsdann schon vergeßlichen Obliegenheit Meines hochgeehrten Herrn Barons ergebenster Diener , Baron Bellmann und zugleich seine Söhne , nämlich alle drei . "
Man lachte über diesen kauderwelschen Brief , und Elsheim sagte :
" Was hätte dieser Mann nun nebst seinen drei Söhnen mit unserem Drei-Königs-Abend anfangen sollen ?
Und er wird wüten , wie er hier zu verstehen gibt , wenn er nicht nächstens eingeladen wird .
Und sollten wir selbst niemals wieder spielen , wird er doch seinen Zorn nicht aufgeben . "
" Ist es erlaubt " , sagte der Sänger , " den zweiten Brief vorzutragen , der vielleicht von demselben Inhalt und ähnlicher Weisheit ist ? "
Und schon hatte er das Blatt aufgeschlagen und las : " Hochverehrter , insonders tief bewunderter Herr Nachbar und Baron !
Wohl weiß ich es , und mein Schicksal hat mich insoweit gehörig unterrichtet , daß ich es nur verdiene , auf dem Boden zu kriechen vor jedem , den das Schicksal und eine gütige , aber doch etwas parteiische Vorsehung in Geistesgaben , Witz , Beredsamkeit und Bildung höher gestellt hat , als mich , die demütige Magd , die auch in dieser Züchtigung die Hand des Himmels erkennt und da nur anbetet , wo mancher andere grollen möchte .
Doch auch hierin zeichnet sich der Edle aus , wenn er sich göttlicher beträgt , als der gewöhnliche Mensch .
So war mein Vorsatz , demgemäß ich auch jetzt handeln wollte , und deshalb schwieg ich und duldete still , und noch mehr meine Töchter , die als stille Witwen und Matronen bei mir leben .
Alles erträgt der Mensch , der , wie ich , an Leiden und Zurücksetzung gewöhnt ist , nur nicht , wenn man sein liebendes , schwärmendes Herz mit Füßen tritt und vernichtet , und dieses haben Sie gegenwärtig getan , Herr Baron , weshalb sich der Wurm nun auch im Staube krümmt und gleichsam wimmert .
Nein , Hochgeehrter , wo die Musen singen , wo überirdische geistige Genüsse ausgespendet werden , da darf ich auch wohl hoffen , wie der gemeinste Mann beim Krönungsfeste in Frankfurt , von dem öffentlich aussprudelnden Wein und dem gebratenen Ochsen etwas zu erhalten .
So denkt auch meine dritte Tochter , die von ihrem Manne geschiedene und verwaiste .
Welchen Trost gewährt die edle Dichtkunst allen Frauen , die sich in dergleichen Drangsal und Mißhelligkeit befinden !
Sie verschließen uns aber , den Durstenden , diesen Quell ; doch hoffentlich eröffnen Sie denselben als ein Moses in der Wüste bei der nächsten Aufführung , daß ich mit den drei Töchtern den lechzenden Gaumen erquicken kann .
Unangesehen den großen Genuß , werden Sie uns auch zu der gerührtesten Dankbarkeit verpflichten ; denn es wäre zu traurig , wenn wir uns gegenseitig als Feinde betrachten sollten , die sich doch immer schaden können , mehr oder minder .
So erharrend , daß uns ein günstiges Los , und keine Niete fallen wird , verbleibe ich - u. s.w . - "
" Es ist zu toll " , sagte Mannlich , " daß sich diese Menschen in unseren gebildeten Zirkel drängen wollen und Kunstwerke genießen , da sie doch alles Kunstsinns gänzlich entbehren .
- Soll ich dir nun auch noch diesen dritten Brief vorlesen ? "
" Meinetwegen " , sagte Elsheim verdrießlich , " weiß ich doch schon , was er enthält . "
Mannlich las : " Donnerwetter , Herr Nachbar !
Ich habe Sie erst neulich auf die Sauenjagd so freundlich und pflichtschuldigst eingeladen , aber Sie sind nicht gekommen , weil Sie vielleicht an Sauen und mir und der Jagd kein Interesse haben .
Sie jagen lieber als Komödiant , und jeder , so sage ich , nach seinem Geschmack .
Aber das Dings mit den Zigeunern und dem lahmen Kerl , wovon mir der verrückte Schulmeister erzählt hat , hätte ich doch gar zu gern mit angesehen .
Und mein Freund , der Oberforstmeister Retzer , der diesen Sommer bei mir wohnt , ist ganz des Teufels darüber , daß man uns nicht gebeten hat .
Der alte Amtmann aus dem Fränkischen drüben , der auch jetzt bei mir hauset , hat auch die Ansicht , daß es Ihre Schuldigkeit als Nachbar und Freund gewesen wäre , uns einzuladen , denn es sieht doch meiner Seele geradeso aus , als wenn Sie uns alle recht mit Vorsatz hätten vor den Kopf stoßen wollen , was wir , wie sich von selbst versteht , nicht vertragen können und wollen , und Sie wissen wohl selbst , was sich Nachbaren schikanieren und einander dämpfen und Knüppel in den Weg legen können , wenn sie erst einmal auf dergleichen ausgehen ; denn Wurst wider Wurst , sagt der Deutsche , und Ohrfeige um Ohrfeige , Zahn um Zahn .
Also , nicht wahr , Männchen , bei der nächsten Komödianterei laden Sie uns ein , uns Männer , die wir doch wahrhaftig auch nicht hinter dem Zaun aufgewachsen sind , und einem jeden , wenn es Not tut , die Zähne weisen können .
Also eingeschlagen ! und damit guten Tag und guten Weg , und auf erneute getreue Nachbarschaft Ihr Wohlsein , das wir drei hier um den Tisch eben cordialiter trinken wollen , als Ihre wohlgesinnten Freunde , Freiherr von Dülmen , im Namen der übrigen . "
" Das klingt fast " , sagte der Musiker lachend , " wie eine Ausforderung . "
" Ja wohl " , sagte der Sänger , " und dabei erinnert mich der Ton des Briefes an die trefflichen Bücher unseres verehrten Cramer , nach welchem dieser kriegerische Freiherr wahrscheinlich seine Schreibart gebildet hat . "
" Ich weiß nicht , was ich anfangen soll " , sagte Elsheim ganz verstimmt ; " da drängen sich neue ganz widerwärtige Figuren auf und lassen sich nicht abweisen .
Unsere Diener und Bauern haben mich nicht gestört , aber diese würden mir jede Laune nehmen ; denn immer erfordert die Aufführung eines poestischen Scherzes Vertrauen , sonst erscheint man sich selbst in den bunten Jacken als gedungener und mißglückter Harlekin . "
" Ja wohl " , sagte Mannlich seufzend ; " erst zwang unserem heiteren Spiel die gute Baronesse fast verschimmelte , überbildete Menschen auf , die aus einer längst vergessenen Zeit noch herüberschielten wie Revenants ; nun drängen sich umgekehrt ganz Rohe und Ungebildete in unseren Zirkel .
Das muß notwendig ein allgemeines Mißbehagen hervorbringen . "
" Man sollte ihnen " , sagte der Sänger , " den Tasso von Goethe aufführen , und sie würden , glaube ich , hinfallen wie die Fliegen im Spätherbst ; ich wette , sie kämen niemals wieder , selbst wenn sie eingeladen würden . "
" Oder man improvisierte " , fuhr der Musiker fort , " ein fürchterliches tobendes Melodrama , wo alle Instrumente losgelassen würden , und man eigentlich im Charivari nichts vernähme .
Man könnte ja alle Mitspielenden , die aber nur Unsinn aus sich selbst sprächen , umkommen lassen .
Es würde erbaulich genug ausfallen . "
Der Diener trat wieder in die Laube und sagte : " Da ist ein wunderlicher Mann , der sich gar nicht will abweisen lassen ; er nennt sich Ehrenberg , und behauptet , er müsse den Herrn Baron durchaus sprechen .
Er wäre auch schon mit Ihnen bekannt , und Sie würden sich gewiß freuen , ihn wiederzusehen . "
" Ehrenberg ? " wiederholte Elsheim , " ich kann mich seiner nicht erinnern , indessen , da er so dringend ist , so bringe ihn nur zu mir . "
Nach einiger Zeit hüpfte ein schlanker , nicht gar großer Mann in mittleren Jahren , in schlechtem hellbraunem Rocke , dem Bedienten voran in die Laube hinein .
Elsheim und Leonhard erkannten ihn sogleich als jenen wandernden Schauspieler wieder , der ihnen im Gasthofe Menschenhaß und Reue ganz allein , ohne Beihilfe anderer Personen , aufgeführt hatte .
" Ich weiß , höchstverehrter Herr Baron " , rief der Angekommene , " daß Sie meine Huldigung , da Sie so höchst gebildet sind , nicht verwerfen werden .
Sie haben Besuch auf Ihrem Schlosse , und so wird meine Bemühung , die erhabenen Gäste zu unterhalten , vielleicht willkommen sein .
Ja , ich bin davon überzeugt , daß Sie mich nicht als ein überflüssiges Monstrum werden abweisen lassen . "
" Gewiß nicht " , sagte Elsheim erfreut ; " im Gegenteil , Sie überraschen mich auf eine angenehme Weise , und befreien mich aus einer großen Verlegenheit .
Es tut mir nur leid , daß ich Sie im Schlosse selbst nicht logieren kann , denn alle Zimmer sind besetzt ; Sie werden aber im Hause meines Pächters ein bequemes Unterkommen finden . "
Der Künstler verneigte sich dankbar und zufrieden , und der Baron gab dem Diener Anweisung , für den Wandernden zu sorgen , der sich auch sogleich mit dem Diener entfernte .
Elsheim sagte lachend :
" So erbarmt sich denn ein gütiges Schicksal meiner , und sendet freundlich diesen Tausendkünstler der jenen Kennern , die sich selbst eingeladen haben , etwas Genügendes vorspielen wird .
Er hat nämlich die große Gabe , ganze Theaterstücke allein vorzutragen , und so spielt er Franz und Karl Moor in den Räubern , und verwandelt künstlich genug die Tragödie in ein Monodram . "
" Soll es aber erlaubt sein " , sagte Leonhard bescheiden , " dies Werk unseres geliebten Dichters , wenn es auch sein frühestes ist so zu entstellen ? "
" Du weißt es " , unterbrach ihn Elsheim , " wie ich gerade , mein Leonhard , dieses kecke , verwegene , zum Teil freche Gedicht liebe , mehr als die meisten meiner Landsleute , die Schiller verehren .
Es ist ein übertrotziges Titanenwerk eines wahrhaft mächtigen Geistes , und ich finde nicht nur schon ganz den künftigen großen Dichter darin , sondern glaube sogar Vortrefflichkeiten und Schönheiten in ihm zu entdecken , Ankündigungen , die unser geliebter Landsmann nicht so erfüllt hat , wie wir es nach diesem ersten Aufschwung erwarten durften .
Ist denn aber das wunderbare Werk nicht schon populär genug geworden , und oft genug auf guten und schlechten Bühnen als Entstellung und wilde Torheit aufgeführt ?
Wir geben Ehrenberg Gelegenheit , sich in seiner ganzen Größe zu zeigen , und jene Besuchenden , die uns mit ihrem Zorne drohen , gehen ohne Zweifel begütigt und dankbar nach Hause .
Wir sehen zu , oder halten uns entfernt , und kümmern uns um das Unwesen nicht weiter . "
" Nicht also , Herr Baron " , sagte der Bassist in launiger Anregung ; " jene Liebhaber werden sich niemals mit einem einzigen Opfer zufriedenstellen , und wenn es in zehn verschiedenen blutdürstigen Personnagen aufträte .
Wenn Sie , Baron , auch jenen Kennern und Sau- und Jagdliebhabern sich nicht preisgeben wollen , so will ich wenigstens helfen , und ich zähle dabei auf den Beistand einiger Freunde .
Vor Jahren forderte mich ein bankrotter Schauspieldirektor , ein Jugendgenosse auf , ihn vom Untergange zu retten .
Er saß mitten in den Bergen , und was konnte ich ihm helfen , da seine Oper schon fortgelaufen war ?
Ich reiste aber doch zu ihm , denn er war wirklich ohne mich verloren .
Sein Personal reichte eben noch hin , die Räuber zu geben , ich , der ich niemals im Schauspiel aufgetreten war , lernte den Karl Moor auswendig , und , um das Ding neu aufzuputzen , legte ich für meine Stimme Gesänge ein , die ich selber dichtete und komponierte Lieder , die den Wert des Geldes priesen , den Raub halb komisch entschuldigten , die reichen Geizhälse schalten und dergleichen mehr .
Wir machten mit unserer Extravaganz Furier , wie man es nennt .
Der Zulauf war so ungeheuer aus der Stadt und der ganzen Umgegend , daß wir das Stück zwölfmal hintereinander bei überfülltem Hause und doppelten Preisen geben konnten .
Mein bankrotter Gesell war gerettet , hatte bedeutenden Überschuß und konnte , da ich für meinen Spaß nichts begehrte , seine Truppe wieder erneuern und verbessern .
Nun sei es fern von mir , meinem größeren Rivale seinen Karl Moor zu nehmen , aber den Spiegelberg will ich so recht con amore darstellen , und ihn , was eigentlich besser paßt , alle diese Lieder und Arietten singen lassen . "
" Recht so ! " sagte der Komponist ; " ich helfe bei der Einrichtung mit Instrumenten und Musik , daß das Gedicht :
» Ein freies Leben führen wir « , welches zum Studentenliede erhoben ist , recht infernalisch kann gebrüllt werden .
Waldhörner und Räubermusik müssen noch öfter vorkommen , als Karl Moor sie fordert , und eine große wirkliche Schlacht mit Schießen und Hauen muß den zweiten Akt beschließen .
Dazu können wir diese neue Einrichtung des Theaters , und seine Stufen , Treppen und Balkone vortrefflich benutzen .
Das soll ein Toben geben , daß den Leuten das Herz im Leibe lacht .
Da können wir einmal recht unsere Lust büßen .
Ich spiele mit Vergnügen den Roller , oder den Bastard Hermann , oder , wenn es sein muß , alle beide . "
" Vortrefflich ! " rief Elsheim , " und unseren Schulmeister machen wir glücklich , wenn wir ihm den biederen Schweizer geben . "
" Auch ich " , sagte Mannlich , " trage gern zum allgemeinen Almosen bei , denn ich habe schon sonst den alten Grafen mit Beifall gespielt , diese Rolle kann ich sogleich wieder übernehmen . "
Sie standen auf , doch Leonhard hielt sie noch zurück und sagte : " Wir haben die Hauptsache vergessen .
Keine von unseren Damen wird sich zur Amalie hergeben wollen . "
Elsheim lachte und antwortete :
" Schadet nicht , ich denke , diese Heldin werde ich schaffen können .
Ja , das Trauerspiel muß so aufgeführt werden , wie wir es beschlossen haben , ich lade morgen höflich alle diese Bittsteller ein , und in drei oder vier Tagen geben wir die Räuber , und wenn ich selbst die Amalie spielen sollte . "
Es war in des jungen Barons Weise , daß , nachdem er sich entschlossen hatte , sich und seinen Freunden , wo möglich , durch den wandernden Komödianten einen Scherz zu bereiten , er auch für ihn zu sorgen sich verpflichtet fühlte .
Schon auf der Reise war ihm das kleine Bündel aufgefallen , mit welchem sich der Eilende trug ; sein Gewand war noch dasselbe , nur etwas abgetragener ; er dachte also darauf , ihn ingeheim so auszustatten , daß er sich mit Anstand in der Gesellschaft zeigen könne .
Er lud ihn daher auf sein Zimmer , wo er ihm selbst zwei noch gute Kleider nebst Wäsche und Zubehör in einen Koffer gepackt hatte , und als er dem Künstler das Geschenk übergeben , ließ er es von dem Gärtnerburschen , als ob es eben angekommenes Gepäck des Reisenden wäre , in das Haus des Pachters tragen .
Dieses Geschenk war um so besser angebracht , da der Fremde ungefähr denselben Wuchs und die Größe des jungen Barons hatte .
Leonhard war seit einigen Tagen in einer mehr als unruhigen Stimmung .
Er fühlte , daß sein Freund irgend etwas gegen ihn habe , ja er ahndete selbst die Ursache ihres gegenseitigen Zwiespalts , und dennoch konnte er den Moment nicht finden , den Entschluß nicht fassen , offenherzig den Gegenstand zu besprechen .
Auffallend war es , daß Elsheim seinen unruhigen Freund gewissermaßen bewachte .
Dieser sah jenen oft ganz unvermutet neben sich , wenn er ihn weit entfernt glaubte .
Sein prüfendes Auge lauschte , und Leonhard war oft verlegen , ohne sich sagen zu können , warum .
Auch erschien in der Heiterkeit , dem Lachen und Gespräch des jungen Barons etwas Erzwungenes und Übertriebenes , so daß Leonhard vielfältig wünschte , die Stunde seiner Abreise möge schon herbeigekommen sein .
Es war ihm bisher unmöglich gewesen , sooft sich auch dazu die Gelegenheit zu bieten schien , mit Charlotte allein zu sprechen .
Sie hatte ihm zuweilen einen Wink gegeben , aber Elsheims lauernde Gewandtheit hatte jedes Verständnis , jedes vertraute Gespräch zu hindern gewußt .
Auch Charlotte machte ihn irre und ängstlich , denn sie behandelte ihn , da sie ihn nur in Gesellschaft sah , mit auffallender Kälte , aber noch sichtlicher entfernte sie sich von Elsheim .
Und so trieben sich die noch vor kurzem so heiter Gestimmten in Verwirrung und Ängstlichkeit um , jeder den anderen vermeidend und suchend , nach Frohsinn ringend , fast immer zerstreut , so daß das Gespräch oft plötzlich unterbrochen wurde , und die beiden Freunde gewannen durch diese Lästigkeit und den Druck der Gegen wart die Überzeugung , daß es notwendig sei , zu einer deutlichen Erklärung zu kommen .
Leonhard hatte im Theatersaal ein Buch liegenlassen und ging hin - es war noch früh am Morgen - es zu suchen .
Er fand es nachdem er eine Weile herumgekramt hatte , und , indem er sich an die Säule lehnte , stand plötzlich Charlotte vor ihm .
Er war bei diesem Anblick tief bewegt , ja fast erschrocken .
Es schien , als sei sie schnell die Treppe heraufgestiegen , denn ihr Atem war kurz , und eine wallende Röte hatte ihre Wangen überflogen .
" Sehen wir uns endlich einmal allein ? " flüsterte sie .
" Böser , wie habe ich dich erwartet , und du kamst immer nicht ! "
- " Kann ich ? " antwortete er schnell , " bin ich nicht fast wie ein Gefangener ? "
- " Ich habe dir geschrieben , Geliebter " , sagte sie und blickte ihn sehnsüchtig mit forschendem , erwartendem Auge an .
Plötzlich umschlang sie ihn und küßte ihn heftig .
Er , gerührt und überrascht , wollte die Arme um den schönen Nacken schlingen , als er sich gewaltsam , ja wie mit Entsetzen zurückgestoßen fühlte .
" Es ist Unrecht " , sagte sie dann kalt , " daß Sie mir neulich das Buch hier wegnahmen , ohne es mir vorher zu sagen ; ich habe es allenthalben im Hause und Garten vergeblich gesucht . "
Der erstaunte Leonhard wollte antworten , als er jetzt erst bemerkte , daß Elsheim hinter ihm stand .
- " Ei , Baron ! " sagte jetzt Charlotte , " wo kommen Sie denn her ?
Ich wollte eben zum Frühstück kommen und suchte nur hier mein Buch , das ich verloren hatte .
Wissen Sie , daß Sie mir heute morgen die vierhändige Sonate spielen wollten ? "
" Meine Mutter erwartet Sie schon " , sagte Elsheim freundlich , " nachher aber , mein Fräulein , bin ich sogleich zu Ihren Diensten . "
" Auf Wiedersehen also , meine Freunde " , sagte Charlotte mit einer höchst anmutigen Verbeugung , " und lassen Sie uns nicht zu lange beim Frühstück warten , denn die Mama hat gern , wenn sie so heiter ist , wie jetzt , alle ihre geliebten Häupter beisammen . "
Sie verschwand mit jener zierlichen Eile und dem trippelnden Hüpfen , welches ihr so wohl stand , wie sie es denn wohl wußte , daß sie in allen ihren Bewegungen reizend war .
Die Freunde standen sich jetzt allein gegenüber .
Sie sahen sich bedenklich an , beide verlegen , doch lachte endlich Elsheim laut auf .
- " Was ist dir ? " fragte Leonhard .
" Du weißt doch " , sagte der Baron , " wie unser gelehrter Professor uns neulich so hübsch die Vorzüge dieses seines altfränkischen Theaters auseinandersetzte .
Eine Bequemlichkeit hob er besonders heraus , daß nämlich eine dritte Person so ganz ungeniert zugegen sein könne , ohne daß zwei andere sie wahrnähmen , und wie dies durch diese Säulen , Stufen , Mittelbühne und dergleichen so ganz natürlich zugehe .
Der Mann ist doch in allen Dingen gerecht und zuverlässig .
Ist es denn aber wahr ? und wirklich eine wirkliche Wahrheit ? "
" Und was soll wahr sein ? "
" Daß du als Papageno angestellt bist .
Sie sagen , du habest dir einen ungeheuren Käfig angeschafft ; in den wollest du alle unsere Mädchen und Frauenzimmer einsperren , dir das ungeheure Ding als einen Portativen Harem auf den Rücken schnallen , und alle die Weibsen als dein rechtmäßiges Eigentum fortnehmen . "
" Ich verstehe deinen Spaß nicht " , sagte Leonhard ganz verlegen .
" Es wäre ein hübsches romantisches Gegenstück " , fuhr Elsheim fort , " zu jenem weltbekannten Kinder- und Rattenfänger von Hameln .
Das Schloß des Papageno hast du wenigstens schon seit lange am Munde , und darum , weil ich dies sehe , muß ich fürs erste auch die andere Nachricht glauben . "
Jetzt trat der Professor mit einigen anderen herein , und der Künstler Ehrenberg folgte , dem das Theater gezeigt wurde , über welches er in das höchste Erstaunen geriet .
Elsheim faßte freundlich zärtlich den Arm Leonhards in den seinigen und sagte : " Folge mir auf mein Zimmer , wir wollen hier die Herren nicht stören . "
Als sie dort angelangt waren , setzten sie sich schweigend nieder .
" Ich habe einen Brief an dich " , sagte dann der Baron .
" Von Hause ? " fragte Leonhard mit einiger Beschämung .
" Bewahre ! " antwortete Elsheim mit schadenfrohem Blick .
" Es ist ja erst ganz kürzlich ein Brief angekommen .
Wer wird so oft schreiben ?
Nein , mein Lieber , der Brief , den ich für dich habe , ist ohne alle Adresse , aber dennoch weiß ich , daß er an dich gerichtet ist . "
Er hielt ihm ein versiegeltes Blatt hin , welches Leonhard ungewiß und zaudernd betrachtete .
" Du siehst " , sagte er dann , " das Siegel ist unverletzt , sosehr ich in Versuchung gekommen bin , von dem Inhalt etwas zu erfahren ; ein böser Charakter hätte frisch aufgebrochen , da mit keiner Silbe hier gesagt ist , wer diesen weißen unschuldigen Brief lesen soll . "
" So sei es ! " rief Leonhard in einer fast komischen Verzweiflung aus ; " der Brief ist von Charlotte . "
" Ohne Zweifel " , sagte Elsheim , " und - "
" Mein Freund " , fuhr Leonhard bewegt fort , "- ich - Oh , wenn du wüßtest - wenn du nur ahnden könntest - "
" Ich begreife alles , alles , nur zu sehr " , unterbrach ihn Elsheim .
" Auch weiß ich mehr von dir , als du denkst ; ich weiß es , wie lange und ganz allein ihr neulich bei der kleinen Försterin gewesen seid , neulich , als du wie ein armes verirrtes Lamm so viel Wolle in den Dornen gelassen hattest .
Diesen Brief hat dir die kleine Vermittlerin auch geben sollen , in welchem dich die allzu reizende Sirene wieder bestellt , und wohl dann auf mehr Liebe hofft , als du ihr neulich magst bewiesen haben .
Alles dies hat mir die leichtsinnige Witwe freiwillig verraten , in Rührung und Entzückung , weil ich ihr die Rolle der Amalia in den Räubern zugesichert habe .
Aber freiwillig hat sie mir alles bekannt , ich gebe dir mein Ehrenwort darauf ; nein , ich wollte sie gar nicht ausfragen , ich wollte gar nichts von ihr wissen .
Und darum lies du deinen Brief ; tu , was sie von dir verlangt , sei so glücklich , als sie dich machen kann , und laß alsdann dies Gespräch , welches wir jetzt geführt haben , völlig und auf ewig vergessen sein .
Aber schwöre mir nur , daß diese Charlotte unsere Freundschaft nicht stören , daß sie unsere Gemüter nicht entfremden oder erkälten soll . "
Leonhard hatte wohl bemerkt , wie bewegt sein Freund war , sosehr er auch Ruhe und seine gewöhnliche Haltung zu erzwingen suchte .
" Nein ! " rief er aus , " nein , Elsheim , unsere Freundschaft muß wahrer , stärker sein , als eine abenteuernde Leidenschaft , sei der Reiz , die Verführung des Augenblicks und der Gelegenheit auch noch so gewaltig .
Liebster , du hast Erwartungen , Absichten , dich bezaubert dies schöne Wesen , und so gebe ich dir hier , wenn auch mit Kampf und Leid , das heilige Versprechen , sie nicht mehr allein zu sehen , sie zu vergessen , und bald abzureisen . "
Kaum hatte Leonhard diese Worte geendigt , als sich Elsheim schon an seinen Busen stürzte , und ein heftiger Tränenstrom ihm die Brust erleichterte .
Leonhard erschrak über den gewaltigen Ausbruch einer kaum geahndeten Leidenschaft , und indem er den Freund trösten und beruhigen wollte , hob dieser ihn in seinen starken Armen vom Boden auf , und trug ihn laut lachend im Zimmer herum , setzte ihn , nachdem er so eine Weile gejubelt hatte , in das Sofa nieder , und stellte sich dann , sein Lachen noch vom Schluchzen des Weinens unterbrochen , vor den ganz erstaunten Leonhard , und deklamierte pathetisch :
" Ich habe es immer gesagt :
» Den Tischler wollte die Natur zu ihrem Meisterstücke machen ; aber sie vergriff sich im Tone ; sie nahm ihn zu fein . « "
Diese Rede Odoardos zwang Leonhard , so ernsthaft er auch gestimmt war , ebenfalls zu lautem Lachen .
Nun setzte sich Elsheim zu ihm , nahm seine beiden Hände und drückte sie an seine Brust .
" Sieh , mein Bruder " , sagte er , wieder innig gerührt , " ich weiß , daß ich ein Tor bin ; ich weiß , daß ich in einem Jahre , vielleicht noch früher , diesen meinen jetzigen Zustand belächeln werde ; - aber betrachte auch den Menschen in seiner ganzen Nacktheit , in seiner unverhüllten Schwäche , denn ich will vor dir nicht besser und stärker erscheinen , als ich bin .
Seit Wochen quält mich eine tödliche , giftige Eifersucht , und ringt und zankt mit meiner Liebe zu dir .
Und wer ist es , der uns so auseinanderzureißen droht ?
O spreche man mir nicht von Moral und Tugend , Ehrfurcht und Ideal , wenn das unbändige , das riesenhafte Rätsel in unserem Inneren aufwacht und zur Auflösung ringt .
Konnte ich glauben , daß ich dies in meinen reiferen Jahren erleben sollte , und daß in diesem Zauber , in dieser Verblendung mein Sinn und mein Gefühl so klar und unbestechlich bleiben konnten ?
Wie sah ich ehemals mit verachtender Erbarmung auf jene Elenden hinab , die Vermögen , Leben , Ehre , Glück der Familie und der Eltern Kreaturen preisgeben , deren Untreue , Eigennutz und Lügenhaftigkeit sie kannten !
Oh , jetzt verstehe ich diese unglückselige Zerrissenheit und dies vergebliche Ankämpfen gegen eine bessere Überzeugung !
Glaubst du , daß ich die Zauberin verehre , oder nur achte ?
Wenn ich dies Gefühl in mir erwecken will , so erwacht vielmehr das entgegengesetzte .
Was aber hat dies Gefühl auch mit dem Rausch und dem Wahnsinn zu tun , der mich , wie den Rinaldo , mit Blumenketten zu den Füßen dieser Armida bindet ?
Ist es nicht , als wenn man fragen wollte , was die Jo oder Leda des Correggio wohl noch an diesem Tage speisen würde ?
Oh , Liebster , da du sie aufgibst , so kann ich die übrigen umher mit Geringschätzung betrachten .
Und glaube nur , ich weiß das Opfer zu würdigen , welches du mir bringst :
das größte , das wundervollste , den Genuß , den die schwelgende Phantasie nicht glänzend genug ausmalen kann !
Wie hätte ich ahnden können , als wir hierherkamen , und ich dir von diesem Mädchen sprach , daß die Sünderin mich so verstricken sollte ! -
Damit du aber siehst , daß du sie in keinem Sinne verrätst , daß du nichts Ehrloses , nichts Grausames an einem Weibe begehst , so lies diese zärtlichen Billett , die sie mir in derselben Zeit geschrieben hat , als sie auch dich zu fangen trachtete . "
Leonhard las und war verwundert , denn das hatte er doch nicht erwartet .
" Nun lies aber auch ihren neusten Brief an mich " , sagte er dann .
Elsheim fand , daß er wirklich eine Bestellung auf einen gewissen Tag in das Waldhäuschen der Försterin enthielt , wo sie so ungestörter verweilen könnten , weil an diesem Tage Elsheim mit seiner Mutter und der Tante zum Besuch über Land sein würde .
Außer den Zärtlichkeiten enthielt das Blatt Anklagen gegen Elsheim , der sich aufdränge , der die Liebe störe , der sie wohl argwöhnen möge , und dergleichen mehr .
Leonhard erstaunte über diese tiefe Treulosigkeit und so sicher wandelnde Unwahrhaftigkeit .
" Sollen wir es beklagen " , sagte er dann , " aß ein so schönes Wesen sich diese Falschheit aneignen konnte , oder sollen wir annehmen , daß sie so sein muß und nicht anders kann ?
Wäre sie ohne diese arge Zweideutigkeit weniger reizend ?
Konnte sie das , was uns bezaubert , nur in ihrem jetzigen Charakter entwickeln ? "
" Nun , Geliebter , " fing Elsheim wieder an , " laß mich gewähren .
Du sollst nicht im mindesten kompromittiert werden , als wenn du mir dies Blatt überantwortet hättest , oder irgendeine Abrede zwischen uns stattfände .
Meine Leidenschaft soll das Wort führen , und sie , die so hinterlistig verfährt , muß es ja entschuldigen , daß ich der jungen Försterin das Geheimnis abgeschwatzt , ihr das Blatt entrissen und den Brief , ohne daß du etwas davon weißt , gelesen habe .
Nach ihrem System muß sie es mir Dank wissen , daß meine Liebe alle Rücksichten , auch gegen dich , fallenläßt , und ihre Gunst mir das Höchste und Einzige auf Erden ist .
So werde ich an deine Stelle treten , und ohne Zweifel glücklich sein . -
Nun ist also der Schatten vom hellen Sonnenlicht verscheucht , der sich zwischen unsere Freundschaft zu legen und düster anzuwachsen drohte . -
Aber , Geliebter , du ließest vorher ein Wort fallen von deiner nahen , baldigen Abreise .
Diese Drohung nimm zurück .
Ich habe schon mit unserem Professor allerhand verabredet .
Er schwärmt dafür , uns nächstens das Lustspiel Shakespeares :
» Wie es euch gefällt « aufzuführen , und wir alle sind schon darin übereingekommen , daß es in der ganzen Welt keinen solchen Orlando geben kann , als wie du ihn spielen würdest .
Auch hättest du nicht zu besorgen , wieder mit Charlotte in einen Liebesstreit zu geraten , denn Albertine würde deine Rosalinde darstellen , und die kleine Dorothea Celia , ihr Mühmchen .
Darum gib noch eine Woche , oder zehn Tage nach jenen Räubern zu , die uns nun so nahe bevorstehen ; dann - - "
" Nein ! nein ! mein Geliebtester ! " unterbrach ihn Leonhard sehr lebhaft , " nur dies , dies forder nicht von mir !
Alle Gefühle zwischen uns , alle möglichen Mißverständnisse , mein teurer Freund , sind nun geschlichtet ; wagen wir es nicht darauf , ob sich neue erzeugen könnten .
Du weißt , was dich zu dieser Reise begeisterte ; du erinnerst dich , was mich verführte , dich zu begleiten .
Sieh nun , wie sich alles anders gewendet hat , als wir es damals erwarteten .
Stadt unserer kindlichen Liebe zu Goethe , hat sich eine ganz andere unseres Herzens , und mit störender Leidenschaft und Heftigkeit bemeistert .
Nein , mein Freund , jener Tag , der dich an meiner Stadt nach jener dämmernden Waldhütte führt , sei auch der Tag meiner Abreise .
Für einen schlichten Bürger , dächte ich , hätte ich der Abenteuer genug bestanden .
So weit mag es sich vielleicht entschuldigen lassen , wollte ich aber irgend einem Gelüste länger nachgeben , so müßte ich mich vor mir selber schämen .
Und welche Rechenschaft könnte ich meinem Haushalt , meiner Frau , meinen Handwerksfreunden und Genossen ablegen ?
Ich muß nach Haus , und um kein Taugenichts zu werden , in meine alte Ordnung zurückkehren .
Noch ist es Zeit , und du selbst , wenn du mich liebst , solltest mich forttreiben ; denn jetzt vernarbt sich wohl noch die seltsame Wunde , die ich mit mir nehme . "
Sie trennten sich , und Leonhard fühlte sich beruhigt , doch war ihm , als wenn er einen unendlichen Verlust erlitten hätte .
Elsheim war ganz heiter , und konnte froh an der Gesellschaft teilnehmen , seine Gäste unterhalten und seinen phantastischen Plan mit Charlotte verfolgen .
Als er nachher mit dem Schauspieler Ehrenberg , der schon in den besseren Kleidern umherging , sich im Garten traf , sagte er zu diesem :
" Nur nicht , mein Lieber , diese übertriebene Dankbarkeit und zu weit getriebene Höflichkeit .
Lassen Sie es sich bei mir und den Meinigen in diesen Tagen wohlsein , spielen Sie Ihre Rollen , und sein Sie so frei und unbefangen , wie nur irgend möglich , denn nur dadurch werden Sie mir am besten danken . "
Der alte Förster , der so laut damals geklagt hatte , als man ihm die Rolle des Zigeuners zugemutet hatte , begab sich diesmal fast freiwillig unter die Komödiantentruppe , und zwar , um keine sehr dankbare Rolle , den Schufterle nämlich , zu spielen .
Er übernahm diese Partie als die kleinste und unbedeutendste im Stück , und zur Teilnahme hatten ihn vorzüglich zwei Dinge vermocht : erstlich , daß seine Tochter eine so wichtige und glänzende Rolle übernehmen sollte , und dann , daß ihn der ausgelassene Bassist überredet hatte , alle seine Jagdhunde mitzubringen und mitspielen zu lassen .
Denn da Karl Moor im zweiten Akt ausdrücklich sagt : " Auch müssen alle Hunde los und in ihre Glieder gehetzt werden , daß sie sich trennen , zerstreuen und euch in den Schuß laufen ! " -
so schien es beiden mehr als unbillig , den guten , so oft geplagten Geschöpfen die einzige Gelegenheit zu rauben , sich auch einmal auf der Bühne und in einer künstlerischen Mitwirkung zu zeigen .
Alles war bereit .
Der Kadett hatte den Kosinsky eingelernt der Komponist hatte es möglich gemacht , Roller und den Bastard Hermann zu übernehmen ; Franz Moor erdrosselte sich und erwachte nicht wieder zum Leben , daher war es dem kühnen Ehrenberg etwas Leichtes , beide feindliche Brüder darzustellen und der Schulze hatte sich vom Schulmeister verführen lassen , den alten Diener Daniel einzuüben .
Bauern , Knechte , Diener des Hauses und der Gärtner mit seinen Gehilfen , sowie die Jägerburschen , waren in den Proben als Soldaten , Räuber und andere Helfershelfer abgerichtet worden .
So war denn der große Tag erschienen , an welchem dieses gewaltige Werk die Zuschauer entzücken sollte .
Elsheim hatte seine Mutter beredet , an diesem Abend nicht im Schauspiel zugegen zu sein , weil sie , welches sie nach seiner Schilderung begriff , an der Grausamkeit des Gegenstandes und dem übertriebenen lauten Getümmel keine Freude haben könne ; sie zog sich auch um so lieber unter dem Vorwand der Unpäßlichkeit zurück , weil jene Zuschauer , die sich für diesen Abend zugedrängt , und die des Sohnes Einladung mit Freuden angenommen hatten , ihrem Sinn auf keine Weise zusagten .
Es wurde beliebt , daß die Tante , Charlotte und Albertine , sowie Dorothea , ihr Gesellschaft leisten und sie auf ihrem weit abgelegenen Zimmer mit Musik unterhalten sollten .
Dort also wurde gesungen und gespielt , indes Elsheim seine Gäste empfing , ihnen ihre Plätze anwies , die Mutter und die Damen entschuldigte , und in Gesellschaft des Professors mit allen sprach , freundlich zuhörte und die Honneurs des Hauses machte , so gut und schlimm er es vermochte . -
Auch Leonhard war im Theatersaal zugegen , um die Fremden zu unterhalten .
Zuerst erschien die alte Frau von Brammen mit ihren veralteten Töchtern .
Ihre Dankbarkeit und die übertriebenen höflichen Redensarten wären unerträglich gewesen , wenn Emmrich nicht die Geschicklichkeit besessen hätte , das Gespräch sogleich auf andere Gegenstände zu lenken .
Von dem lärmenden und laut schreienden Bellmann wurden sie dann unterbrochen , der mit seinen drei Söhnen , immerdar fragend und die Antwort nicht abwartend , in den Saal brach .
Alle staunten , da sie gar keinen Begriff von einem Theater hatten , und waren darum in gespannter Erwartung um so begieriger .
Jetzt erschien auch der dicke Jäger mit seinen Begleitern , und alle saßen schnaubend und fast schnarchend auf ihren Plätzen , indessen die drei Bewirter die schwere Aufgabe zu lösen hatten , auf alle ihre sonderbaren Fragen ihnen genugzutun .
" Wissen Sie wohl " , sagte der unbeholfene Dülmen schnarchend und schnaubend , " was ich schon auf unserem neulichen Landtage meinen Kollegen und dem Herrn Präsidenten habe vorschlagen wollen ?
Man hört so viel jetzt von allen Menschenfreunden gegen die Todesstrafen und die öffentlichen Hinrichtungen reden ; sie meinen , es sei nicht recht schicklich und anständig für gebildete Nationen , wie wir sind , und dergleichen .
Nun habe ich mir sagen lassen , daß in Trauerstücken oft viele Personen auf dem Theater umkommen , die sich zum Teil selbst entleiben , zum Teil von anderen erstochen werden .
So wäre es also vielleicht recht ersprießlich , wenn man die ausgemachten Malefikanten und Verbrecher , Mordbrenner und solch Volk diese Tragödienstücke aufführen ließe , damit ihnen dort mit Geschmack und Anstand vom Brote geholfen werden könnte . "
" O mein Himmel ! " rief eine von den Witwen , " das wäre ja noch grausamer und blutiger , als die spanischen Stiergefechte .
Nein , dem ist unser edler deutscher Sinn , unser weiches Gemüt zu sehr entgegen . "
" Warum edles Gemüt ? " rief Dülmen , der Jagdfreund ; " hätte mich je etwas bewegen können , Mal nach dem bigotten Lande hinüberzureisen , so wären es gerade diese superben Stierhetzen gewesen : eine so noble Erfindung , daß man sie einem so rohen , unwissenden Volke gar nicht zutrauen sollte .
Teufel noch einmal ! so ein wilder Ochs , so ein wütiger Kerl , der gar keine Raison annimmt !
Und nun die lieben Hunde , und der dreiste Mensch , der ihm den Fange gibt !
Und Tausende von Menschen umher , Vornehme , Fürsten , geputzte Frauenzimmer und das Bürgervolk , und alles ruft und klatscht Beifall !
Nein , meine gnädige Frau , bitte tausendmal um Vergebung , das muß ja etwas wahrhaft Paradiesisches sein . "
Bellmann sagte : " Schauen es , so war auch ehemals die berühmte Bärenhatz in Wien .
Aber alles Gute geht zugrunde .
Ich bedauere nur unsere Nachkommen , die es noch schlimmer haben werden . "
Jetzt begann die Musik .
Der Komponist hatte zwei Orchester angeordnet , eins oben auf dem Balcon , ein anderes vorn unmittelbar vor dem Theater .
Jedes spielte erst einzeln und vereinigte sich dann , um ein rechtes tobendes Gewirr von Tönen in die Schlacht zu führen .
Da Ehrenberg sich gar nicht darüber hatte zufriedengeben wollen , daß kein großer , breiter Vorhang vorn die Bühne von den Zuschauern trennte , Emmrich auch einsah , daß ein modernes Stück dessen nicht gut entraten könne , so hatte er zwei große Gardinen besorgt , die vorn sich in der Mitte berührten und , wenn der Akt anheben sollte , durch zwei Schnüre zurückgezogen wurden , so daß sie auf beiden Seiten verschwanden .
Jetzt trat Franz Moor auf mit seinem Vater , dem alten Grafen .
Mannlich sprach diesen in seiner tragischen Weise breit , stark , langsam , mit angeschwollenen Wangen und hervorgetreten Augen .
Franz war aber in der Kunst , Gesichter zu schneiden viel geübter , denn wenn Mannlich beinahe nur immer denselben Ausdruck anbrachte , so lief über das Gesicht des verstockten Bösewichts Franz das Mienenspiel wie ein Zickzack mit Blitzesschnelle .
Die Zuschauer , die vornehmen sowohl , wie die Bauern , welche man zugelassen hatte , waren ganz hingerissen von Erstaunen und Bewunderung .
So was sei noch niemals gesehen worden ; so etwas könne sich kein Mensch träumen lassen : darin kamen alle überein .
Aber Ehrenbergs Monolog !
Jetzt enthüllte sich erst der ganze Bösewicht , an dessen Schändlichkeit man bis dahin immer noch etwas hätte zweifeln können .
Es wäre grausig und könnte einem im Traum wieder vorkommen ; so äußerten sich die Söhne des Baron Bellmann .
- Jetzt trat Amalie auf .
Die Bauern , welche sie kannten , waren in der größten Freude , die sie , um die Damen zu begrüßen , mit einem lauten , wiehernden Gelächter äußerten .
Sogleich erhoben sich Bellmann und Dülmen von ihren Sitzen , kehrten sich um , indem sie majestätisch umhersahen und riefen :
" Stille , das da ist ein Trauerspiel , gutes Volk ! " -
Lene , des Försters Tochter , war vortrefflich in ihrer Rolle , so sicher und frei , so ohne Verlegenheit , daß selbst Elsheim über ihre zu große Keckheit erstaunen mußte .
Diese Dreistigkeit tadelten auch an ihr die alte Dame und ihre Töchter ; die jungen Bellmann aber und die Forstleute lobten sie um so mehr wegen dieser majestätischen Sicherheit .
während ihres Monologs kleidete sich Franz mit Blitzesschnelle zum Karl um , warf die rote Perücke ab , und setzte eine andere auf , mit schönen herabfallenden Locken , die wie schwarze Troddeln über Stirn und Wangen fielen .
Gleich in seiner ersten Szene brachte Spiegelberg zwei von seinen kräftigen Liedern an , die auch von der besten Wirkung waren .
" Jetzt dürfte man vielleicht lachen " , sagte Dülmen ziemlich laut , und die Bauern , die seinen Ausspruch gehört hatten , bedienten sich dieser Erlaubnis .
Moor stürzt ab , und Spiegelberg ermuntert die Kameraden , sich mit ihm zu einer Räuberbande zu verbinden .
Wieder ein Lied , und der Forstrat sagte :
" Bei Gott ! eigentlich wird das Spitzbubenhandwerk von dem schönen großen Manne da doch gar zu appetitlich abgeschildert .
Wenn uns da das Gesindel in die Wälder läuft und das Wild wegpirscht , so ist es nicht mehr zu verwundern . "
" Wahr , Herr Nachbar " , rief Bellmann : " gefährliche Äußerungen unter diesen Umständen !
Nur werden sie eingesteckt und kriegen Prügel , was denn auch wieder nicht sehr appetitlich ist . "
Moor kam wieder in der ungeheuersten Verzweiflung .
Dem Ausbruch ungemessener Wut folgte sein Entschluß , Räuber und Mörder zu werden .
Seine Genossen schwören ihm Treue , und alle stürzen tumultuarisch ab .
Die Bellmann , Dülmen und seine Begleiter , die fremden Damen , alle konnten nicht Worte finden , um die Bewunderung für diesen Schauspieler genügend auszudrücken , welcher mit so großem Kraftaufwande den Räuber Moor spielte .
Aber welch Erstaunen ergriff sie insgesamt , als ihnen Elsheim vertraute , daß dieser Mann , der ein wirklicher Bühnenkünstler und kein bloßer Liebhaber sei , Kunst und Kraft genug übrigbehalte , um neben diesem edlen Bösewicht auch noch jenen ganz verworfenen , hämischen Franz zu spielen .
Anfangs erstarb ihnen das Wort im Munde , dann aber begannen alle zu zweifeln , und meinten , der junge Baron treibe nur seinen Scherz mit ihnen , bis nach wiederholten Beteuerungen Elsheims ihr starrer Zweifel brach , um die Flut einer ungemessenen Bewunderung ausströmen zu lassen .
" Den Mann müssen wir sehen ! " riefen die Bellmann wie aus einem Munde .
" Führen Sie uns auf das Theater " , schrie Dülmen , und seine Gefährten akkompagnierten .
Die Damen begnügten sich , ihre Bewunderung in Tränen des Entzückens auszudrücken , da sie die Hoffnung nährten , nach geendigtem Schauspiel den Wundermann auch persönlich kennenzulernen .
Stampfend und mit den Sporen klirrend folgte der männliche Chor dem anführenden Elsheim , der sie seitwärts durch einige Zimmer geleitete , um sie von der hinteren Seite auf das Theater zu bringen .
Dort hatte sich Ehrenberg schon wieder zum Franz umgewandelt , und als jetzt die lärmende Gesellschaft hereinstolperte , und Dülmen schrie : " Karl Moor , wo ist Karl Moor ? " lief ihm der rothaarige Franz verwundert entgegen .
" Mensch ! " schrie der alte Bellmann , " wo ist dein Bruder Karl Moor ? "
- " Meine Herren " , sagte Ehrenberg , " sollten Sie es nicht wissen , daß ich es bin der beide Charaktere gibt ? "
- " Ist ja wahr ! " schrie Dülmen auf , " man wird ganz dumm bei solchem Wunderwerke ! " -
Er drückte den Künstler so heftig an seine Brust , daß dieser laut hätte schreien mögen .
Bellmann umarmte ihn ebenfalls .
" Großer Mensch " , sagte er dann , " wir und meine Söhne müssen uns näher kennenlernen , Sie müssen zu uns hinüberkommen ; - können Sie meine Kinder da wohl unterrichten , daß sie auch so was lernen ? "
- " Gewiß " , sagte Ehrenberg , " und ich werde glücklich dadurch sein . "
- " Zu mir auch , auch zu mir müssen Sie kommen ! " jubelte Dülmen : " - wir sind alle Menschen , ist es nicht wahr , Bellmann ? "
- " Man sollte es doch glauben " , antwortete dieser .
- Alle drängten sich gaffend , fragend , schreiend , lachend , ihn anrührend , um den großen Wundertäter , so daß Elsheim anfing besorgt zu werden , das Männchen möchte in dieser großen Popularität Schaden nehmen , oder gar verhindert werden , seine Rolle , von der noch bei weitem das meiste zurück war , fortzuspielen .
Er schaffte also mit Redekünsten die stürmischen Bewunderer wieder von der Bühne , die es ganz vergessen zu haben schienen , daß sie noch vier lange Akte zu erwarten hatten .
Sie entfernten sich endlich , ungern zwar , wandten noch oft die Blicke rückwärts , und erzählten den wißbegierigen , gespannten Damen im Parterre nun von der roten Perücke , die sie wirklich angerührt hätten , ihn aber umarmt und seine Hände gedrückt , und daß er ungeachtet seines ungeheuren Talents ein Mensch wie andere auch zu sein schiene .
Indem teilte sich der Vorhang wieder , und der zweite Akt begann .
Jetzt wurde der boshafte Franz und seine Kunst , das Gesicht zu verziehen , noch weit mehr als vorher bewundert , da man ihn näher kannte und wußte , wer er war .
In der Szene des scheinbaren Todes zeigte sich Mannlich groß .
Jetzt trat auch der Komponist als Hermann auf , wie er sich schon im vorigen Akt als Roller gezeigt hatte .
Der Alte war nun tot und beseitigt und Franz Gebieter .
Es folgten hierauf die Szenen im Walde , die der Bassist , ohne Hilfe Ehrenbergs , eingerichtet hatte , und in denen er seinem Übermut am meisten den Zügel wollte schießen lassen .
Gleich beim Eintreten trug er wieder einen jener tollen Gesänge vor , worin er den ganzen Umfang und die Tiefe seiner vortrefflichen Stimme hören lassen konnte .
Er hatte alles aus der ersten Edition des Werkes herübergenommen , und nur die Erzählung von der Plünderung des Nonnenklosters ausgelassen .
In seiner tollen Laune hatte er viele von den Domestiken oder Knechten auf die lächerlichste Weise herausgeputzt als diejenigen Spitzbuben , die er , Spiegelberg selbst , angeworben hatte .
Indem er nun die Geschichten seiner List und Menschenkenntnis erzählte , holte er diese Kumpane , einen nach dem anderen , näher an das Licht hervor , und die seltsamsten Fratzen zeigten sich zum Ergötzen der Zuschauer ; dies und die musterhaft launige Erzählung , die der Dichter seinem Spiegelberg in den Mund legt , mußten Freude und Jubel hervorbringen .
Das Gelächter war unauslöschlich , und selbst Elsheim und der Professor mußten den Humor des Sängers bewundern .
Nun erscheint die übrige Bande mit dem befreiten Roller .
Das Getümmel war gut arrangiert , und alle diese Räuberszenen wurden , bis auf die Rolle des Karl Moor , wirklich vortrefflich gegeben , doch wurde dieser am meisten bewundert .
Der Schulmeister war als Schweizer unbeschreiblich glücklich , denn er durfte so laut und stark spielen , wie er nur immer wollte .
Der Kommissar oder Pater erscheint , und nun vernimmt man schon Trompeten und die Musik der Soldaten .
Jetzt stürzen alle Räuber im Getümmel ab , und das Gefecht beginnt .
Dieses hatte der Sänger vielmals mit allen Gehilfen eingeübt , um das Tollste hervorzubringen , wie man es sonst nur in dem Zirkus der Kunstreiter zu sehen gewohnt ist .
Die Szene nahm sich gut aus und paßte vortrefflich auch zu dieser törichten Aufgabe .
Man hatte die freien Säulen mit bemalten Baumstämmen verhängt ; so war die innere Bühne nun wie eine Felsengrotte , die Stufen , von grünen Gebüschen umstellt , erschienen wie Gebirgssteige , Schluchten oder Hohlwege , der Balcon oben zeigte sich als eine Berghöhe .
Die Räuber nahmen nun , nachdem Moor und andere hinweggestürmt waren , unter Geschrei und wilder Musik alle diese Posten ein ; Soldaten erschienen sodann unten , um solche wieder mit Gewalt zu erobern .
Man schoß , man kämpfte mit dem Säbel und Bajonett , alles schrie Hörner und Trompeten schmetterten nah und fern , auch hörte man in den Pausen das Schießen und Kämpfen in der Weite .
Als die Räuber fast schon gesiegt hatten , viele Soldaten tot und andere entflohen waren , erschien von der rechten Seite der Räuber Moor mit seiner Schar wieder , als wenn er von der Übermacht des Militärs zurückgedrängt wäre .
Neue fechtende Gruppen bilden sich wieder auf dem Proscenio , sowie auf der inneren Bühne ; das Schießen wird noch viel gewaltiger ; die größte Verwirrung und Zerstörung stellt sich dar .
Jetzt bricht heulend und bellend die ganze Koppel der Jagdhunde herein ; alles schreit , lärmt , Trompeten schmettern , Waldhörner tönen , Büchsen , Gewehre und Pistolen knallen , dazwischen die Hunde , und die Anhetzenden toben , was sie nur vermögen , so daß der alte Förster genötigt ist , von der Wahrheit abzuweichen und als Schufterle trotz seines schimpflichen Abschiedes wieder aufzutreten um seine Hunde nur gehörig zu führen und in Ordnung zu halten .
Die Doggen , so abgerichtet , reißen viele Soldaten von hinten nieder , die Bullenbeißer rennen die Stufen hinan , um die Krieger anzupacken , und als diese mehr als babylonische Verwirrung , das Zeter und Spektakel eine geraume Zeit gewährt hat , fliehen die Soldaten , und die siegenden Räuber stürzen jubelnd nach .
Den Boden , die innere Bühne und die verschiedenen Stufen rechts und links bedecken die Leiber getöteter und verwundeter Krieger , alle , wie auch Leonhard und der Professor zugaben , in höchst malerischen Stellungen , worüber der letzte nicht wenig erfreut war , da nur durch seine angepriesene neue , oder vielmehr veraltete Bühneneinrichtung dieser Effekt erreicht werden konnte .
Nun schlossen sich die Vorhänge und verdeckten alles .
Diesem Ungestüm folgte eine allgemeine tiefe Stille , denn die Bewunderung und das Entzücken der Zuschauer war so groß , daß sie anfangs keine Worte und keinen Ausdruck finden konnten .
Endlich vereinigte sich der Ausspruch der Damen sowohl wie der fremden Herren dahin , daß dieses Schauspiel erhaben , sublim und einzig zu nennen sei , daß man niemals sich vorgestellt habe , daß die dramatische Kunst so ungeheure Wirkungen hervorbringen könne , und daß das ganze Land dem Baron Elsheim zum innigsten Danke verpflichtet sei , daß er , als ein echter Patriot , mit großen Unkosten zur Bildung und Erhebung aller Zuschauenden diese Prachteinrichtung auf seinem Schlosse stattfinden lasse .
Dülmen , der alte Bellmann und seine Söhne , der Forstmeister und der Amtmann reichten abwechselnd dem jungen Baron die Hände und drückten die seinigen , überschütteten ihn mit Lob und Dank ; auch die Witwen erhoben ihren Gesang zwischen den derben männlichen Tönen , so daß Elsheim , wenngleich seine Freunde abwehren halfen , vor Verdruß und Langeweile ermüdete , bis ihn endlich der Anfang des dritten Aktes von diesen lästigen Artigkeiten befreite .
Dieser Aufzug wirkte nur wenig , weil sich soeben das Interessanteste gleichsam erschöpft hatte .
Nur die starke , nachdrückliche und laut schallende , nicht geheuchelte , oder angedeutete Ohrfeige , welche Franz von der rüstigen Amalie empfing , erweckte die Zuschauer aus ihrem Schlummer , und erregte ein lautes und allgemeines Gelächter .
" Es geschieht dem bösen Kerl ganz recht " , sagte ein Bauer laut sprechend , " so sollten nur alle mit ihm umgehen , so würde er schon zu Kreuze kriechen müssen . "
In der zweiten Szene hatten sich die Räuber wieder malerisch gelagert , und Elsheim freute sich wieder dieses Anblicks , indem er sich erinnerte , wie unbedeutend , unbestimmt und nicht kenntlich , ja gemein und platt sich dieses Herumliegen von Menschengestalten auf unseren gebräuchlichen deutschen Theatern immer ausnimmt .
Der Kadett , als Kosinsky , hatte Beifall , doch schien dieser Aufzug gegen den vorigen gehalten , nur matt und unbedeutend .
Der vierte Akt war wieder um desto glänzender .
Franz und Karl erheben sich hier schon zur höchsten Leidenschaft , und obgleich Ehrenberg hinter der Szene alles bereitgelegt hatte , was zur Umkleidung und Verstellung notwendig war ; obgleich ihm der gewandte Bassist die schnellste und aufrichtigste Hilfe leistete , auch noch einige Diener eben dazu angewiesen waren : so erstaunten alle Zuschauer dennoch über die fast an Wunder grenzende Schnelligkeit , mit welcher sich Ehrenberg fast unter ihren Augen und doch so unbegreiflich in das Gegenteil von der Person verwandelte , als welche er nur soeben erschienen war .
" Ja " , rief Dülmen immer wieder von neuem aus , das ist der echte Hokuspokus , der in der Kunst so notwendig ist ; ein ungebildeter Mensch könnte an Zauberei , oder gar an ein Bündnis mit dem Teufel glauben .
So gelangte man denn zu der großen nächtlichen Szene am Turm .
Die beiden Virtuosen hatten wieder eine schöne Hörnermusik besorgt , die sich in der Dämmerung sehr gut ausnahm .
Auch jetzt bewährte sich die Bühne als sehr bequem und brauchbar , denn man hatte die Säulen durch gemaltes Mauerwerk verhängt , eine scheinbar mächtige Eisentür verschloß die innere kleine Bühne ; aus dieser kam nun , nachdem Karl Moor den Turm geöffnet hatte , der alte Graf wie ein Gespenst hervor ; und Anrede , Antwort und Beschwörung des Greises , alles dies konnte gleich natürlich und verständlich im nahen Vorgrunde , allen bemerkbar , geschehen ; und das Zurückfahren des Entsetzens , das stumme Spiel des Räubers , die Ohnmacht des Alten , alles dies brauchte nicht erst aus dem Hintergrunde hervorgezogen zu werden .
Diese gewaltigen Szenen üben ihr Vollgewicht , auch ohne Genie dargestellt , aus , wieviel mehr auf diese Zuschauer , die den besten Willen , sich täuschen zu lassen , besaßen , und dem Hauptschauspieler schon im voraus ihre Bewunderung entgegentrugen .
Im letzten Akt fühlte sich Leonhard völlig verstimmt , indem jener Traum des Franz , den er zu dem Sublimsten rechnete , was die Poesie je hervorgebracht hat , von dem Stümper so völlig entstellt , ja vernichtet wurde .
Dieser war nur bestrebt , stets erneuten Schrecken zu heucheln , Schwindel und Ohnmacht anzudeuten , und alle jene kleinen Künste und Zufälligkeiten anzuwenden , die völlig verschwinden müssen , wenn das Gewaltige und Übermenschliche eintreten soll .
Nun stürmten die Räuber Geschrei , Heulen , Fackeln , Schießen , kurz alles fand sich wieder zur Genugtuung der Kunstfreunde , in Überfülle , Franz erdrosselt , Schweizer erschießt sich ; und die letzte Szene und der Schluß nahten heran , sowohl zur Zufriedenheit der entzückten , als der völlig ermüdeten Zuschauer , zu denen vorzüglich Elsheim gehörte , dem es aber , so erschöpft er auch sein mochte , nun noch oblag , als Wirt den wesentlichsten Teil seiner Rolle zu übernehmen .
Seit die Mutter zurückgekommen war , hatte er , da die Gesellschaft zu zahlreich war , zwei Tafeln eingerichtet .
An der zweiten , an welcher er selber oft , sowie eine der Damen , sich niederließ , um keinen Rangstreit oder Empfindlichkeit zu veranlassen , war auch Ehrenberg seit seiner Ankunft eingefügt worden .
Die Virtuosen hatten sich auch abwechselnd gern dort eingefunden , weil der Ton hier freier , und das Wort lauter sein durfte .
Als man sich daher umgekleidet hatte , und man sich ordnen wollte , dachte er , auch diesmal den Künstler in jenes Zimmer zu verpflanzen ; die alte Freiherrin aber , die mit ihren drei Töchtern auf Elsheims Bitte heute die Funktion der Wirtin übernommen hatte , bestand darauf , daß der Schauspieler neben ihr obenan als König der Tafel sitzen müsse .
Noch lauter verlangte dies die Familie Bellmann und der alte Dülmen mit seinen Begleitern .
Schulz und Schulmeister , nebst einigen aus der Gemeine , der Gärtner , nebst dem Förster , sowie dessen Tochter , ergötzten sich also an jenem zweiten Tisch , zu welchem sich auch freiwillig die beiden Virtuosen verfügten , sowie der Professor Emmrich , der sich wohl schon hinlänglich an den Kunstgesprächen und Kenntnissen jener fremden Gäste erbaut haben mochte .
Man war an beiden Tischen sehr fröhlich , diesmal aber am vornehmeren ohne Vergleich am lautesten .
Als der Wein die Zungen beredt machte , sprudelten die Herren von Einfällen und Bemerkungen über .
Man trank des Künstlers Gesundheit unter Anklingen , Jubel und Geschrei .
Er dankte und zeigte sich sehr verbindlich und artig , vorzüglich gegen die Damen .
Ernestine , die zweite Tochter , wandte kein Auge von ihm ab , so sehr war sie auch von seiner Persönlichkeit bezaubert .
Der derbe Forstmann war der erste , der , schon halb berauscht , fast unter Freudentränen mit Ehrenberg auf altdeutsche Weise Brüderschaft trank ; seinem Beispiel folgte der dicke Amtmann , und endlich auch der korpulente Dülmen .
Es war ein Jubel von Biederherzigkeit und deutscher Gesinnung .
Der älteste Bellmann , von dieser Hochherzigkeit begeistert , stand ebenfalls auf , um in derselben Weise mit Ehrenberg anzustoßen ; doch der Vater , der es noch zur rechten Zeit bemerkte , zog ihn gelinde am Rockschoß zurück , und nötigte ihn wieder auf seinen Platz , indem er leise sagte :
" Nicht also , Freund Bastian !
Unterschied der Stände und Geschlechter muß sein und bleiben ; sich so zu duzen , auch mit dem allerbesten Künstler , geziemt unsereinen nicht .
Trinke du Schmollis und auf Duz mit Kammerherren , Gutsherren und deinesgleichen , so viel du willst , bis du unter den Tisch fällst , und dich vier Bediente nach Hause tragen müssen , dagegen werde ich als leiblicher Vater nichts einwenden , aber nicht mit Musikanten und solchen Leuten ; denn , siehst du , wenn sie nun einmal wieder mit dem Teller herumgehen , so bist du doch völlig blamiert und in Kadenzierung . "
Trotz dieser Warnung aber wurde Ehrenberg auf sein Gut eingeladen , ebenso wie zu der Freifrau und dem Baron Dülmen .
Sie nahmen sich vor , auch in ihren Häusern dieselbe , oder ähnliche Komödien aufzuführen , und Ehrenberg sollte die Sache anordnen , und die Söhne des alten Bellmann zu solchen Künsten abrichten .
Die alten Damen sahen sich schon in zärtlichen und erhabenen Rollen in glänzenden Schleppkleidern auf dem erleuchteten Theater .
" Sie bewundern mich zuviel " , sagte der vom Lobe berauschte Ehrenberg in einer Pause , " und vorzüglich auch deswegen , weil es mir vielleicht gelang , diese beiden großen und wichtigen Rollen bedeutsam zu spielen ; - was aber sagen Sie zu jenem Wagestück , daß ich mehr als einmal das ganze ungeheure Schauspiel ganz allein aufgeführt habe ? "
" Ganz allein , Mann , Bruder ? " schrie Dülmen beinahe erschreckt ; " ganz allein , du Herzensjunge ?
Tausend Sapperment , das nenne ich Kunst !
Und mit den Weibsen und den Liedern und dem Schießen und all den Hunden und den verfluchten Bullenbeißern ?
Du bist ein großer Mann und mehr als wir alle , aber das kann ich doch zeitlebens nicht begreifen . "
Es war jetzt nicht Zeit und Gelegenheit , begreiflich zu machen , unter welchen Einschränkungen und Bedingungen die Sache etwa nur möglich sei , denn die Fähigkeit zu verstehen war so ziemlich , auch zum Teil die zu hören , erloschen .
Diese dithyrambische Verwirrung benutzte Bellmann , um seinen Söhnen noch in später Nachtzeit durch sein Exempel ein heilsame Lehre einzuprägen ; er erhob sich mit seinem Glase taumelnd und lallend , die drei Söhne mußten ihm folgen , einer hinter dem anderen ; so kam das Geschwader zu Elsheim .
Der Alte hielt eine kurze , unsinnige Anrede , und so sah sich Elsheim durch den symbolischen Akt des Trinkens und Umarmens um vier Brüder bereichert , die ihm , wenn er an Leonhard dachte , in seine nur kleine Sammlung nicht zu passen schienen .
Übermüdet stand man auf , indem fast schon der Morgen graute .
Die Fremden fuhren , nachdem sie noch einmal ihr Herz gegen Elsheim in den stärksten Danksagungen ergossen hatten , nach Hause .
Elsheim , Leonhard und der Professor konnten lange den Schlaf nicht finden , so verstimmt fühlten sie sich .
Das nämliche fast begegnete Ehrenberg , den aber der Schlummer floh , weil die Entzückung nicht weichen wollte .
So viel er auch schon erlebt haben mochte , so war er doch noch niemals so verehrt , und sein Talent noch niemals in gleichem Grade anerkannt worden .
Nur wenige im Hause hatten in dieser Nacht ruhig geschlafen .
Selbst die Frauen , die nur in der Ferne das Schießen , Schreien und Toben der Schlacht , die Trompeten und das Hundegebell gehört hatten , waren dadurch so aufgeregt worden , daß sie auch späterhin die erquickliche Ruhe nicht finden konnten .
Die alte Baronesse sagte :
" Es ist mit der Kunst eine sonderbare Sache , daß zuweilen solche fast greuliche Explosionen stattfinden , die dem ruhigen Menschen ein Grauen vor der ganzen Erfindung beibringen könnten .
In meiner Jugend hatte man von dergleichen keine Vorstellung .
Ich fürchte nur , mein Sohn setzt sich in diesen Extravaganzen fest , und trägt in seinem Kreise auch dazu bei , die schon verwirrte Zeit immer mehr zu verwirren . "
Beim Frühstück , welches heute viel später als gewöhnlich eingenommen wurde , verabredete man eine Spazierfahrt auf morgen , an welchem Tage die alte Dame eine Familie in der Nachbarschaft in Gesellschaft der Tante besuchen wollte .
Alle waren erstaunt und zum Teil betrübt , als Elsheim erklärte , daß er die Mutter nicht begleiten könne , weil er seinen Freund Leonhard eine halbe Tagreise bringen wolle , der morgen schon , von Briefen aus der Heimat gedrängt , das Schloß verlassen würde .
Die Mutter beklagte den Verlust des freundlichen jungen Mannes , dessen stilles , sicheres Wesen ihr immer so wohlgetan habe .
Bei Tische war die Unterhaltung weniger belebt als sonst , da mancher zum Teil noch die Ermüdung des vorigen Tages fühlte , andere aber einer gewissen Wehmut sich nicht erwehren konnten , weil der von allen geliebte Leonhard jetzt aus ihrem Kreise scheiden sollte .
Nach Tische beurlaubte sich dieser bei der Mutter , welche ihn sehr freundlich entließ .
Charlotte war gegen ihn ganz heiter und unbefangen , auch so gesprächig , als wenn kein anderes Verständnis je zwischen ihnen obgewaltet hätte .
Sie drückte ihm wiederholt die Hand , lachte , blickte ihn mit hellen Augen an , und wünschte ihm alles Glück , indem sie hoffte , daß sie sich späterhin wiederfinden würden .
Albertine saß abseits im tiefen Fenster und trocknete unbemerkt einige Tränen .
Als er zu ihr ging , sagte sie , ohne daß es die fern Sitzenden hören konnten , sehr gerührt zu ihm :
" Mir ist , als wenn mit Ihnen unser guter Genius von uns schied ; besonders verläßt unseren Elsheim mit Ihnen sein Schutzgeist .
Ihnen muß es immer gut gehen , denn sie sind selbst so gut .
Ich kann mir kein besseres Glück denken , als Sie bis zum hohen Alter hinauf zum Freunde zu haben ; denn Sie sind echt und treu , in jeder Lage des Lebens kann man sich auf Sie verlassen .
Sie werden uns , hoffe ich , so wenig , als wir Sie vergessen . "
Leonhard war gerührt und küßte innig bewegt ihre schöne Hand .
Es war ihm , als müsse er ihr die Versicherung geben , daß sie sich gewiß künftig noch öfter sehen würden ; doch unterdrückte er diese ungehörige Prophezeiung , indem er mehr wie je von der fast überirdischen Schönheit dieses edlen Wesens ergriffen wurde .
In diesem Augenblick erschienen ihm Charlottes verführerische Reize gegen diese adelige Klarheit wie verdunkelt , und zwar um so mehr , da er beim Umblicken auf den Lippen jener ein halb boshaftes Lächeln wahrzunehmen glaubte .
Bei den übrigen beurlaubte er sich kürzer .
Mannlich war nicht zugegen ; auch Graf Bitterfeld nicht , der , nachdem ihn eine Unpäßlichkeit einige Tage auf seinem Zimmer festgehalten , heute den Künstler Ehrenberg zu seinem Freunde , dem Baron Dülmen , begleitet hatte .
Die Virtuosen nahmen von ihm einen leichtfertigen , heiteren Abschied , denn sie waren des bewegten Lebens zu gewohnt , als daß irgend etwas sie hätte ernster stimmen können .
Nur die kleine Dorothea sparte sich noch einen Augenblick auf dem einsamen Korridor auf , um ihm recht herzlich zu seiner Reise Glück zu wünschen .
Die Kleine konnte sich der Tränen nicht enthalten , weil sie mit großer Rührung dabei ihrer Freundin Albertine gedachte .
Späterhin ging Leonhard auf das Zimmer seines Freundes .
Vielfache Gespräche wurden noch gewechselt , mancherlei Erinnerungen geweckt .
" Wir scheiden noch nicht " , sagte Elsheim endlich , " denn ich begleite dich morgen noch einige Meilen .
Im Winter sehen wir uns dann aber in deiner Stadt wieder .
Nicht wahr diese Zeit hier ist für uns beide eine sonderbare Schule gewesen ? "
" Das Bewußtsein , daß ich etwas gelernt habe " , antwortete Leonhard , " muß sich wohl erst später bei mir melden ; denn jetzt bin ich noch zu betäubt , um das nahe Vergangene , das eben Erlebte fassen zu können . "
Leonhard stand auf , als wolle er gehen , kehrte aber wieder zurück .
Elsheim hatte wohl im Lauf des Gesprächs gefühlt , daß sein Freund von irgend etwas gehemmt und gedrückt werde , und doch scheute er sich , den Namen Charlotte zu nennen , weil es ihm schien , als wolle Leonhard ihm etwas mitteilen über sie .
Endlich faßte sich dieser ein Herz , nahm einige Briefe aus seiner Tasche und sagte hastig :
" Erzeige mir die Freundschaft , diese drei Briefe , in jeder Woche einen , in mein Haus zu senden ; ich habe sie geschrieben , als wenn ich noch bei dir wäre .
Ich ahne , daß ich diese reizenden Fluren nie wiedersehen werde ; daher will ich mich noch einige Tage in diesen Gegenden , die ich immer so sehr geliebt habe , ergehen , und mag nicht von der Landstraße , wie ein Umstreife , nach Hause schreiben .
Sollten von dort Briefe ankommen , wie ich nicht glaube , so hebe sie mir auf , bis ich dir melde , wohin du sie schicken kannst . "
Elsheim konnte es nicht unterlassen , seinen Freund mit einiger Verwunderung zu betrachten ; dieser entfernte sich in sichtbarer Verlegenheit , und als sich der Baron allein sah , sagte er zu sich :
Man lernt einen Menschen doch niemals völlig kennen , und dieser gar ist einer der verwunderlichsten .
Wie ernsthaft und dringend kündigte er mir ganz neulich das Wesen und Treiben hier auf ; sein Handwerk , seine Pflicht , seine Gattin , alles rief ihn gebietend und schnell in seine Heimat ; - und nun , ohne meine Verführung , wie er es nennt , geht er gar auf eigene Hand aus , um weiß der Himmel welche Abenteuer zu suchen und zu erleben .
Es ist wohl etwas in uns , ein starker Magnet , der unwiderstehlich zu einem unsichtbaren , aber mächtigen Magnetberge hingezogen wird .
Indem sich Leonhard auf sein Zimmer begeben wollte , lief ihm der Professor Emmrich , der lange geschlafen hatte , und auch nicht am Mittagstisch erschienen war , entgegen .
" Sie reisen ? " rief er und umarmte ihn herzlich : " das beste Glück begleite Sie auf allen Ihren Wegen , denn Sie verdienen es .
Ich hoffe , künftigen Winter in Ihrer Heimat zuzubringen , vielleicht immer dort zu wohnen , und in diesem Fall gehört es zu meinen besten Wünschen , daß aus unserer Bekanntschaft hier sich eine wahre Freundschaft bilden möge .
Ich habe es Ihnen wohl angemerkt , daß Sie nicht so ganz in das etwas wüsste Getreibe hier passen .
Ihre Seele ist zu ruhig , Ihr Geist zu ernst , als daß er sich lange in der Unruhe gefallen könnte . "
Auf sein Zimmer angelangt , fühlte Leonhard jene Beklommenheit , die uns immer anwandelt , wenn eine Periode unseres Lebens beschlossen wird , und eine neue anhebt .
Jene trübe Angst quälte ihn , indem er nun den Ort , und wohl auf immer wieder verlassen sollte , in welchem er sich fast wie in eine Heimat eingelebt hatte .
Sein Geist durchwanderte mit Wehmut die Säle und Zimmer , die sich ihm nun auf immerdar verschlossen , die hinter ihm wie in ein Nichts verschwanden .
Er erinnerte sich des Abends , an welchem er angekommen war ; wie sonderbar die starken Mauern , der Eingang , der Vorplatz ihn begrüßt hatten ; wo das große , weite Zimmer ihn empfing , welches oft zum Speisesaal benutzt wurde ; und hinter diesem der weite viereckige Gartensaal , in welchem sich bei schönem Wetter die Gesellschaft fast immer versammelte .
Rechts und links die vertraulicheren Kabinette , und weiter entfernt die Wohnzimmer der Mutter , die es gern vermied , die Treppen , so breit und bequem sie auch waren , zu besteigen .
Oben waren die verschiedenen Gastzimmer und der weite , ausgedehnte Rittersaal , der , bevor Leonhard das Theater darin aufgeschlagen hatte , so wüst und leer , so öde und schauerlich aussah .
Er gedachte auch des fern liegenden Zimmers , welches , neben den Gemächern der Domestiken , der alte Joseph bewohnte , und das dieser so sonderbar und altertümlich ausgeschmückt hatte , als eben der freundliche , stets zierlich gekleidete Greis selber zu ihm trat .
" Ich lasse es mir nicht nehmen " , rief er aus , " Ihnen packen zu helfen ; denn das übrige Volk hier ist zu solcher Arbeit zu ungeduldig und viel zu ungeschickt .
So ein recht anständig gefüllter Koffer oder Mantelsack muß ganz wie ein vollständiger Mensch sein , jedes an seiner Stelle .
Es ist nicht genug , daß die Sachen darin liegen , oder nicht verderben ; man muß auch leicht alles finden können , und Herz muß nicht mit Kopf , Magen mit Hand und Fuß in Widerstreit geraten . "
Er lächelte , und bemächtigte sich sogleich , indem er keine Widerrede gestattete , des Mantelsacks .
Auch zeigte er sich als Meister , indem er mit Sicherheit alles , ohne Kleidern und Wäsche Gewalt anzutun , einzufügen wußte .
" Ja , lieber Herr Leonhard " , sagte er dann selbstgenügsam , " sehen Sie nur zu und merken Sie es sich , denn Sie können , so geschickt Sie auch sein mögen , hier noch etwas lernen .
Seit fünfzig Jahren und länger habe ich bei allen Reisen für die Baronin , den seligen Herrn und schon dessen Vater das Einpacken besorgt , weil man es mir am sichersten anvertrauen durfte .
Bei keinem Geschäft in der Welt ist die Langsamkeit so sehr die wahre Eile , als bei diesem .
Sie sehen , mein Plan ist vorher gemacht , und nun muß sich auch alles wie von selber schicken . "
Leonhard mußte die Sicherheit bewundern , mit welcher der kleine behende Mann hantierte , ohne daß er je nötig hatte , ein Stück anders zu legen , als er es gleich bestimmt hatte .
So schloß sich bequem der Mantelsack , und Joseph sagte dann :
" So sollte es freilich mit allen Geschäften in der Welt sein ; aber das ist denn doch nicht möglich .
In der Wissenschaft mag es sein wie im Staat , in der Regierung wie im Denken ; es ist allenthalben ein Überlei bei wichtigen Dingen , das sich nicht so bequem will einpressen und quetschen lassen .
Ja , ja , die größte Kunst ist dann wohl Ausbeugen , Gutmachen , oft fünf gerade sein lassen , wo die gerade Zahl doch auch nicht zum Ziele führt . "
" Leben Sie denn wohl , lieber Herr Joseph " , sagte Leonhard ; " ich danke Ihnen für alles , auch für diese Ihre gütige , freiwillige Hilfe . "
Der Alte gab ihm die Hand ; und sowie er jetzt in das feine redliche Gesicht des berühren Greises schaute , in diese immer noch so klaren Augen , konnte er es nicht unterlassen , den alten Diener recht herzlich zu umarmen .
Joseph schien gerührt und sagte dann :
" Mann , Sie sind ein ganzer Mann !
Bleiben Sie so , in dieser edlen , noblen Manier , und lassen Sie sich in Zukunft nicht wieder für einen Professor ausgeben . "
" Wie meinen Sie ? " fragte Leonhard erstaunt .
" Was ist denn auch ein Professor so Großes " , schwatzte jener weiter ; " aber ich kenne darin unseren jungen leichtfertigen Herrn , der die Leute gar zu gern zum besten hat .
Ich vermutete gleich so was , als Sie mir den tiefen Diener beim Aussteigen machten , wo Sie mich für meine Herrschaft hielten .
Waren Sie vor nehme als Professor , der schon viel mit Adeligen gelebt hatte , so warteten Sie , falls ich wirklich Graf oder Marquis war , geduldig , bis Sie sich mir vom Baron erst hatten vorstellen lassen .
Und als ich Sie nun beim Theaterbau so rüstig und tätig sah , wie Sie bei allem selbst Hand anlegten , wie geschickt Sie , ohne erst Mal zu probieren , den Hobel führten - was ein schweres Ding ist , wie ich es aus eigener Erfahrung und Stümperei weiß - wie Sie mir dann ein paarmal die Hand gaben :
da hatte ich es mit aller Sicherheit weg , daß Sie ein Professionist , und zwar ein Tischler sind .
Ja , Männchen , die Hände , die sonst hübsch sind und gut gebaut , müssen Sie einem jeden Kenner verraten .
Denn Bein Wuchs , Kopf , Mund , alles kann Anstand und Feinheit gewinnen , aber die harten , um ein weniges zu großen Hände , können Sie so wenig , als ich die Hornhaut auf meinen Fingerkuppen , loswerden .
Und wozu auch ?
Ich habe mich um so mehr an Ihnen gefreut und keinem Menschen von meiner Entdeckung gesagt .
Ach , die Vornehmen !
sie müssen ja immer mehr und mehr das Regiment in unserer verwirrten Welt verspielen .
Nicht wahr , dieser Graf Bitterfeld , und gar diese Herren Dülmen , Bellmann , und wie sie alle heißen mögen , diese werden viel ausrichten ?
Die Figuren hier auf dem Teppich , diese Sterne , nicht wahr , sie machen das Muster ?
Gewiß , und jedes Auge sieht sie auch gleich dafür an .
Der Grund wird nur beachtet , weil er diese Formationen , welche die größeren und kleineren Sterne bilden , hervortreibt .
Aber ist es nicht derselbe Faden , der Grund und Stern macht , das Bemerkte und Unbemerkte ?
Das hat die vornehme Welt schon seit zu lange vergessen .
Nun veralten , verbleichen die Sterne , die Fäden reißen ab , und der dunkle Grund wird die Hauptsache .
Glauben Sie mir , wir sind an der Zeit , und zwar ganz nahe , daß viele Handwerker so fein , klug und gebildet sein werden , wie eben Sie .
So wie der gemeine Mann sich mehr fühlt , und seine unnütze Verlegenheit vor den Höheren ablegt , so ist er durch sich selbst schon gescheiter .
So dachten sie aber , die Armen , da man ihnen so vieles von ihrem früheren Recht genommen hatte , sie müßten sich krümmen und bücken , und wenn sie unter sich wären , grob und ungeschliffen sein .
Darein setzten sie dann ihre Freiheit .
Sind erst viele so , wie Sie , Mann - und gewiß gibt es schon viele , und sie werden noch wachsen :
so darf das Volk auch wieder mitreden .
Überhaupt , Herr Leonhard , es müssen andere Zeiten kommen ; die Welt hat sich abgenutzt ; sind Sie nicht auch der Meinung ?
Der Malfolio wird gehänselt und abgesetzt ; aber der Narr , so viel hübsche Einfälle er auch hat , wird doch hoffentlich auch nicht zur Regierung kommen ? "
Mit diesen Worten entfernte sich der redselige Alte .
Sechster Abschnitt Sechster Abschnitt Frühmorgens fuhr Leonhard mit Elsheim vom Schlosse ab .
Alles schien noch im Hause zu schlafen ; nur Joseph begleitete die beiden Freunde bis an den Wagen .
" So wäre denn " , fing Leonhard an , " diese sonderbare Lebensepoche für mich beschlossen .
Wie hat sich alles so anders gestaltet , als wir es uns beim Ausreisen vorbildeten !
Wann sehe ich dich wieder ? "
" Ich hoffe " , antwortete der Freund " - ich möchte sagen , ich weiß es gewiß - im Winter .
Dein Leben hier , sagst du , sei beschlossen ; das meinige freilich noch nicht . "
Sie sahen jetzt in der Ferne , rechts vom Wege , jene Waldhütte liegen , die ihnen beiden so merkwürdig war .
" Ich verstehe deine Blicke , Freund , rief der Baron aus , und ich erkenne die Größe deiner Freundschaft auch darin , daß sie mir dies Opfer hat bringen können . "
" Nenne es nicht so " , sagte Leonhard ernst ; " in gewissem Sinn ist unser ganzes Leben eine Aufopferung .
Wie wenige unserer wahren Wünsche können sich erfüllen ! und diejenigen Träume , welche eintreffen , sind , in Wirklichkeit verwandelt , oft sich unähnlich , nicht wiederzuerkennen .
Und so tragen , dulden , zweifeln und genießen wir im wechselnden Taumel und trauriger Nüchternheit .
Die Jugend fällt von uns ab ; selbst das Heiterste dünkt uns töricht ; man setzt sich an die Tafel , um zu schwelgen , und steht darbend und ernüchtert auf , weil uns die früheren Gelüste anwidern ! "
" Sei nicht so melancholisch " , rief Elsheim , " sonst verdirbst du mir meine eigene Lust . "
Der Wald empfing sie , und der Anblick des Schlosses entschwand ihnen .
" Ja wohl " , sagte Elsheim , " entschwindet uns die heitere Unbefangenheit der Jugend ; auch mich drückt dieses Gefühl .
Man wird nicht klüger , sondern nur zweifelnder und träger .
Aber eben darum wollen wir die Neige dieses Götterweins behaglich und schlürfend genießen .
- Sieh " , sagte er mit erhöhter Stimme , " jetzt sind wir schon in Franken . "
Leonhard sah um sich , und Elsheim fuhr fort : " Da du es mir gestanden hast , daß du dein teures Nürnberg in heiliger Andacht , wie ein Wallfahrer besuchen willst , so bist du auch wohl so gefällig , diesen Brief dort abzugeben .
Er eilt gerade nicht , darum kannst du ihn nach deiner Bequemlichkeit bestellen ; aber vergessen wirst du ihn nicht . "
" Gewiß nicht " , sagte Leonhard , und legte das Blatt sorgfältig in seine Brieftasche .
Im nächsten Städtchen machten sie halte , erquickten sich und nahmen Abschied .
Leonhard war ganz träumerisch , und hörte nur wenig von dem , was ihm der Freund noch sagte .
So schieden sie , und auch Elsheim war zerstreut , weil seine Phantasie schon in jenem Waldhäuschen war , wo er jetzt , nach wenigen Stunden , die reizende Charlotte zu finden hoffte .
Im Städtchen nahm Leonhard einen anderen Wagen , um eine Seitenstraße einzuschlagen , welche ihn in wenigen Tagen nach seinem geliebten Nürnberg bringen sollte .
Während er so einsam weiterfuhr , spürte er seiner Verstimmung nach , und suchte die Ursache dieses quälenden Mißgefühls zu entdecken .
Er mußte es sich gestehen , daß er seinem Freunde mit einem gewissen Neide nachgeblickt hatte , indem ihm in frischem Glanz die Schönheit seiner lieblichen Feindin vorschwebte .
Auch die sichtbare Eile und Zerstreuung Elsheims beim Abschiede hatten ihn verletzt .
Aber noch eine Empfindung traf er an , die er sich erst ableugnen wollte , und die dennoch immer wieder emportauchte .
Er hatte seinem Freunde und dessen Liebhaberei , sosehr er selbst dabei ergötzt war , doch eine bedeutende Zeit geopfert ; er war selber oft sehr tätig gewesen , und hatte bis zur Ermattung gearbeitet .
Alles dies wußte Elsheim , und war selbst oftmals Zeuge davon gewesen .
Er hatte also erwartet , daß ihm der Freund beim Abschiede irgendeine Summe würde aufdringen wollen , die er abzulehnen und nicht anzunehmen fest beschlossen hatte .
Noch in der Nacht hatte er sich die Reden und Gründe wiederholt , die er dem Baron entgegenhalten wollte , um sein Verweigern auf jede Weise zu rechtfertigen .
Dieser Wettstreit der Freundschaft und Großmut war nun nicht eingetreten ; und - sagte Leonhard zu sich selbst - sollte mir das nicht erwünscht sein , statt mich zu kränken und zu betrüben ?
Ich war so fest entschlossen , seine großen Ausgaben , die sein Leichtsinn wohl bis zum Unverhältnis steigern mag , nicht zu vermehren - aber unser törichtes Herz ist aus so seltsamen und feinen Fasern gewebt , die uns oft lange verborgen bleiben , wie es eben jetzt meiner Eitelkeit wehe tut , daß meine beabsichtigte Aufopferung und freundschaftliche Großmut gar nicht zu seiner Kenntnis gelangt ist .
Es fiel ihm bei , daß er dennoch nicht mit leeren Händen nach Hause zurückkomme .
Es war nämlich eine alte Verwandte gestorben , die ihm , gegen alles Vermuten , zweitausend Taler vermacht , welche Nachricht er vor einigen Tagen erhalten hatte .
Er nahm sich nun vor , seine Rückreise über die Stadt , wo sie gewohnt , zu nehmen , um die Summe einzukassieren .
Diese , sagte er zu sich , kann ich dann meiner Friedrike als meinen hiesigen Erwerbe vorweisen , damit sie sich über die Versäumnis zufriedenstellt .
Aber freilich , ein Verheimlichen zieht das andere , eine Unwahrheit die zweite nach sich .
Ist der gerade Weg des alltäglichen Lebens einmal verloren , so ist es schwer , die rechte Straße wiederzufinden .
Am Abend kehrte er in den Gasthof eines anmutigen Dorfes ein .
Er ging noch spät spazieren und fragte sich , warum ihn jetzt die Schönheit der Natur nicht so rühre , wie es meistenteils sonst geschah , da er sich auf der Wanderschaft befand .
Er begab sich erst in das Haus zurück , als es ganz finster war , und überlas noch einmal den letzten Brief seiner Friedrike .
" Ich lege dir " , sagte sie am Schluß , " den sonderbaren Brief unseres Magisters bei , von dem ich dir schon früher einmal schrieb ; vielleicht bist du imstande , einen Sinn aus dem Wirrsal herauszulesen , das meinen Verstand nur konfus macht . " - Leonhard hatte in den letzten Tagen auf dem Schlosse nicht die Zeit gefunden , das Schreiben mit Besonnenheit durchzugehen ; er las die Blätter jetzt in der stillen Nacht .
Sie lauteten also :
Meine vielverehrte und noch mehr liebe Madame Leonhard !
Man kann nicht immer schweigen , wie es doch vielleicht geschehen sollte , weil das Wort , wenn es aus dem Gewahrsam des Inneren springt , oft , wie ein ungezogenes Kindlein , Schaden stiftet , und auch die im Tumult verletzt , die es hegen und pflegen , lieben und verehren möchte .
Weil Dieselben aber , wie mein irdisches Auge , wie mehr mein inneres , wohl bemerkt hat , durch meine Gebärden geängstet werden ; mein hastig Reden , mein ganzer Mensch , sozusagen , Sie erschreckt , irritiert und an meinem Wesen konfus gemacht hat : so hasardiere ich dennoch die gefährliche Rede , und zwar nicht um zu sprechen ( denn was sollen Worte , was können sie , wo Stummsein alles Unaussprechliche sagt ? ) , sondern um zu lallen , zu seufzen , zu weinen , und die Rede soll nur in Gebärdung andeuten , weshalb sie denn in Ohnmacht fällt .
O wundersame Frau und Inbegriff aller meiner Gedanken , warum sind Sie denn eine Frau , und warum hat mich der Herr als einen Mann erschaffen ? daß ich der bin , der ich bin , und Sie selbst diejenige , als welche Sie im irdischen Wesen erscheinen und sind !
Konnte es denn nicht anders sein , und mußte es durchaus also ausfallen ?
Ich ! vierzig und mehr Jahr älter , als Sie !
O du mein ewiger Schöpfer , wo , was waren denn meine Gedanken und Fühlungen vorher , in der Zeit , die doch die längste meines Lebens muß gewesen sein bevor ich Sie kannte , oder Sie gesehen harte ?
War doch damals kein Du in der Welt , und ich das ewig einsame unglückseligste Ich !
Einsam , allein - können Sie wohl nachfühlen , wie erschrecklich das ist ?
O Du mein Du , wo bleibt denn , so frage ich alle Engel und Geister , wo bleibt denn mein Ich , wenn ich an Dich denke , oder Dir gar in das Auge schaue ?
O nein , ich schaue dann nicht mehr , es ist kein Aktus meines Selbst ; ich werde geschaut und bin selig darin , daß ich in diesem Geblicktwerden zugleich geschaffen und vernichtet bin .
So finde ich mich nachher auch wieder - und frage immer :
Wie kann das Ich , der scheinbare Alte , der in der Entzückung untergegangen war , tot , dahin - wie kann er ein Ich noch sein und bleiben , um sich , der auf immer fort war , zu finden und anzutreffen ?
Wer ist , was der Findende , wer , was der Verlorene ?
Hierbei dreht sich mein ganzes inneres Wesen um , und wird zum Schwindel , und auch mein äußerer Verstand , mein alltägliches kaltes Bewußtsein will zu einem Geheimnis meines innersten , unsichtbaren , im Todesschlafe träumenden Wesens werden .
Ja , Frau , Wesen , Ewigkeit , Du , Du ! darin liegt alle Unschuld , und im Ich die Sünde und Anklage .
Warst Du nicht vor langen , langen Zeiten ich ?
Ich Du ?
Eins , und im Einen die Wonne , daß Du die Seele meiner Seele die Seligkeit warst , nach der ich sehnte , und deren Anschauung mir in der Andacht wurde ?
Ach ja , es ist wohl die Spiegelung von einer fernen Spiegelung , die nur hier hereinfällt , in unsere damalige Schöpfung und den wunderlichen Schlummer , den wir unser Leben nennen : und so kam die Liebe und die Wollust in die Welt .
Wie unmündige Kinder , die sich weit , weit im Gründunkeln Walde verloren haben : und keiner hört ihr verirrtes Angstwimmern und das Abbuchstabieren ihres Klageliedes .
Und so freilich , was kann ich alter , abgelebter Magister wünschen , fordern oder begehren ?
Es hat sich alles nur in unsere verhärtete , zu Eis gefrorene Welt hereingeschoben , daß er als Schaugericht lockt und reizt , und uns dann , wie jenem übermütigen Magister oder Doktor , dem Tantalus , versagt wird .
Trachtet nicht nach dem Unmöglichen !
Gut gesagt und leicht gesprochen , du durchlauchtiges Vernunft- und Naturgesetz !
Du hast immer recht , weil du immerdar Unsinn aussagst .
Wir können ja nichts anderes begehren und wünschen , als das Unmögliche ; das Mögliche , Verständige besitzen wir ja immerdar , und wir haben es ja nur , weil wir gar nichts darum und davon wissen , und wir achten es auch deshalb nicht , und können es nicht achten , wenn wir auch wollten .
Schon in frühen , alten Zeiten hat man die sogenannten Giganten darüber bitter kritisiert und hämisch rezensiert , daß sie haben den Himmel erstürmen wollen .
Über solche Kritikaster möchte man laut lachen , wenn es sich mit der Bescheidenheit vertrüge ; denn was will denn jeder Wille anders , der ein Wille ist ?
Und wenn er es nicht will , fällt er invalide und tot danieder , und weiß nicht mehr links und rechts , aus und ein .
Ich war wohl oft andächtig und verlor auch mein Ich in der Andacht .
Wo war ich dann , wenn ich noch war , als nur im Himmel ?
So ergeht es mir auch wohl bei einem schönen Gedicht .
Die Seele oder Ich - oder wie sollen wir es nennen , wir Dummen , Stummen , Sprachlosen ? - streckt alle viere von sich , dehnt sich , erwächst zu einem Briareus mit hundert Armen , um zu fassen und zu umarmen ; - und plötzlich , um überselig zu werden - vergeht sie , verschwindet und wird ein Nichts .
Der Jupiter hat die Himmelstürmende in den Abgrund geschleudert , und eben das war ihre höchste Wonne .
Nun liegt sie unten , von Felsen und Gebirgen erdrückt , selbst versteinert , das heißt auf deutsch , sie lebt nun wieder , sieht sich in der sogenannten Wirklichkeit , besitzt wieder , was ihr vergönnt und erlaubt ist , das Vernünftige , Mögliche , das heißt , ein mit vielen törichten Phrasen weitläufig umschriebenes Nichts .
Ja freilich wußte ich dies alles nicht , bevor ich Deren Bekanntschaft gemacht .
Die dummen Geister der Natur und Notwendigkeit logen mir vor , ich sei schon über sechzig Jahr alt , da ich doch noch gar nicht einmal war geboren worden .
Und so , Verehrteste , bin ich freilich annoch zu jung für Sie , was wieder ein schlimmer Umstand ist , und wieder zu jener göttlichen , glorreichen Unmöglichkeit gehört , die wir alle erstreben , wenn wir bei Sinnen , geschweige gar in der Andacht sind . -
Zeit !
Wo ist sie ?
Wer kennt sie ?
Sie ist entweder ein Nichts , oder ein allmächtiges Wesen .
In der Andacht , im Anschauen , im Lieben ist sie nicht .
Nein , da kennen , sehen , fühlen wir sie nicht .
Sie gehört gewiß zu jener dummen Notwendigkeit , zu dem , was uns vergönnt ist .
Aber freilich in ihr fühlen , denken , sehen und träumen wir , alles im Pulsschlag und Zeitmaß ; aber doch nur , um im Ewigen , im Nichts , wenn wir dort im Entzücken angelangt sind , diese Zeit zu vernichten .
So Raum .
Alberner , Schwacher , Nichtiger , und doch so Allmächtiger !
Nichtsnutziger Staub ! warum schwatzest du also .
Nämlich , ich wollte eine Epistel schreiben .
So fließen denn auch aus Feder und Tinte die Buchstaben , Silben und Worte zusammen , die Linien , das Blatt wird voll , und abermals so schwarz mit Strichen überzogen - ja wohl , das ist das Leben .
Das Wort kann nicht ohne Regel , ohne eine kalte , tote Bedeutung sein .
Die Bedeutung eben bedeutet nichts , das ist das Feine und auch ganz Grobe von der Sache .
Du hast mir einmal die Hand gedrückt .
Das war Rede und A und O in einem Pulsschlag .
Dein Auge !
Gott hat viel mit dem Auge ausdrücken wollen ; doch die Menschen brauchen es nur zum Nähen und Stricken .
Freilich auch das Notwendige und Erreichbare .
Aber wäre es denn so etwas Unnützes , wenn ein Magister , dem die Silben und Worte mehr zu Gebote ständen , als mir Unwissenden , über einen einzigen Blick einen dicken Folianten schriebe ?
Und , beim Himmel , es gibt Blicke , wo er doch noch nicht zu Ende kommen , und seine Materie ( wie man sagt hier ist es aber Gottheit , Liebe , All ) doch nicht erschöpfen würde .
Und daß mir noch dies Anschauen vor meinem Tode hat werden sollen , das ist es , sosehr ich auch leide und mich winde , wofür ich meinem Schöpfer den brünstigsten Dank sage .
Nimm es , das Blatt , Du mein Du , Du mein wahres inniges Ich , das I meines Ich , oder der Geisterlaut unseres deutschen Ch , welcher das I krönt , nimm Du Du - des Du_es Du - das heißt nach Menschensprache und möglicher sittlicher Schicklichkeit Staubwerts übersetzt : nehmen Dieselben , verehrte , liebwerteste , schönste Madame Leonhard , nehmen Sie diesen Unsinn und sehen Sie ihn mit diesem Blick an , mit dem Blick , der so oft aus Ihrer Seele kommt und selbst Seele ist ; dann wird das schwarze Gekritzel auf diesem Lumpenpapier auch mein ewiges unsterbliches Ich sein , das dadurch magisch und mystisch zur göttlichsten Vermählung in Ihre Seele steigt ; dann hast Du mich aufgetrunken , aufgesaugt und aufgeblickt , und ich bin Du und gar nicht mehr Deren ergebenster Fülletreu , Magister Mit sonderbarer Bewegung las Leonhard diesen Brief .
Er glaubte ihn zu verstehen , und legte ihn seufzend wieder in die Brieftasche . -
Es war ja nur in anderen Worten , was die Gedichte und Reime spielend und springend sagen wollen .
- Erst spät konnte er den Schlaf auf seinem Lager finden .
Als am anderen Morgen Leonhard gestärkt erwachte , mußte er sich erst besinnen , um sich ermuntert zurechtzufinden .
Ihm fiel das enge , niedere Gemach auf ; er fühlte , wie er sich in dieser Zeit in jenen hohen , weiten Räumen verwöhnt habe , und er pries in Gedanken die Reichen und Großen , daß es ihnen vergönnt sei , sich immerdar in geräumigen Zimmern und Sälen zu bewegen , wo kein niederes Dach , keine eng aneinanderrückenden Wände ihre Gedanken bedrängen und ihre Gefühle ängstigen .
Als er den Gasthof verlassen hatte , war ihm aber so wohl und heiter , er fühlte sich wieder so ahnungsreich und frisch , wie in jener Jugendzeit , die er schon auf immer entschwunden glaubte .
Jetzt waren es ungefähr zehn Jahre , daß er in diesen Gegenden gewandelt .
Zwischen der Gegenwart und jener vergangenen Zeit lag es wie eine unermeßliche Kluft , und doch trat ihm ein Gefühl ganz nahe , als wenn er jene wundervollen Tage noch mit der Hand abreichen könne .
Jetzt mußte er über seine Empfindlichkeit von gestern lächeln .
Sein Freund , so reich er war , und wie sich sein Vermögen auch seit kurzem vermehrt hatte , war so freigebig und gutmütig , hatte zu seinen abenteuerlichen Festen so viele Gäste in sein Haus geladen , daß er es sehr natürlich fand , wenn dieser durch Geschenke an einen wohlhabenden Freund seine Ausgaben nicht noch vermehrte .
Auch das Bild der Schönen , und jener dämmernden Stube in der Hütte am Saume des Buchenwaldes war schon in eine Ferne hinabgesunken , die zwar noch in Farben schimmerte , aber doch schon der Schattenwelt Angehörte .
Ein anderer Vorwurf , den er sich selber machte , überschlich ihn jetzt in der schönen Einsamkeit .
Konntest du nicht , sagte er zu sich selber , schon vor Wochen hier in dieser schönen Natur leben und wandeln ?
Ja wohl hättest du jenen Zauber früher zerreißen sollen , der dich dort an goldenen Banden festhielt .
Hier durchwandre ich das schöne Buch , in welchem ich meine Jugend noch einmal lese .
Als er am folgenden Tage weiterfuhr , erschien es ihm wie ein Traum , daß er schon an diesem Abend in Nürnberg eintreffen solle .
Die Sonne fing schon an zu sinken , als er neben seinem Wagen einen jungen Mann wandeln sah , der ihm sehr ermüdet schien .
Die Straße war beschwerlich , und da es Leonhard schien , als ob der Reisende auch zur Stadt wolle , so lud er ihn ein , sich zu ihm zu setzen , weil er auf diese Weise sicherer und schneller sein Ziel erreichen könne , welches Anerbieten mit Dank angenommen wurde .
Es begann schon zu dämmern , und da die Straße eben durch einen Wald führte , so konnten beide ihre Gesichtszüge nicht mehr genug unterscheiden , um in nähere Bekanntschaft zu treten .
Die Schatten der Bäume streiften wechselnd über sie hin ; indem jetzt der Wagen wieder auf einige Zeit langsamer und ruhiger ging , begann der Fremde :
" Sie wissen es wohl schwerlich , mein Herr , wen Sie jetzt eben so freundlich in Ihr Fuhrwerk aufgenommen haben ? "
" Nein " , sagte Leonhard , " denn ich habe Sie ja zuvor nie gesehen . "
" Wenn ich nun ein Räuber und Mörder wäre ? "
" Ich bin vom Gegenteil überzeugt , denn Ihr ganzes Wesen scheint friedlich und wacker .
Sie wollen mich vielleicht bei zunehmender Dunkelheit erschrecken , aber ich bin nicht eben furchtsam . "
" Sie können auch ganz ruhig sein " , fuhr der Fremde lächelnd fort , " ein Räuber geht nicht leicht mit solchem kleinen bescheidenen Bündel , wie ich hier neben mir liegen habe .
Aber bei alledem sitzt ein sehr merkwürdiges Individuum an Ihrer Seite . "
" So ? "
" Ja , mein Herr , und Ihre Miene ( die ich zwar nicht mehr genau unerscheiden kann , da Sie vielleicht eben eine ziemlich höhnische machen ) , aber zugleich Ihr Wesen , Ihre Sprache , alles flößt Vertrauen ein , und so gestehe ich Ihnen denn unter dem Siegel der Verschwiegenheit , daß ich der einzige und zwar rechtmäßige Sohn von Friedrich dem Großen bin . "
Leonhard war überrascht .
Er machte den Versuch , sich etwas von der Seite des Fremden zu entfernen ; aber der enge Sitz des Wagens zwang ihn , in seiner vertraulichen Stellung zu verharren .
" Sie wundern sich gewiß " , sagte der Unbekannte , " ich merke es an Ihrem Fortrücken ; ja , es ist sonderbar genug , und Sie können sich nun Ihr ganzes Lebelang rühmen , daß Sie mit mir so unverhofft zusammengetroffen sind . -
Aber Sie sind so stumm ? "
" Ich begreife die Möglichkeit nicht .
Der preußische Friedrich starb , wenn ich nicht irre , im Jahre 1786 , und Sie selbst scheinen mir , soviel ich sehen kann , ungefähr von meinem Alter ; mithin hätte der große König Sie noch in hohen Jahren und nach dem siebenjährigen Krieg in die Welt gesetzt . "
" Richtig ! " rief jener , " ich bin jetzt dreißig Jahr und 1772 geboren , und zwar von der rechtmäßigen Gemahlin des großen Regenten .
Und unmöglich finden Sie dergleichen ?
Lieber unbekannter Herr , was ist denn wohl einem solchen Geiste , einem so ungeheuer großen Monarchen unmöglich , einem Könige , der in seinem Reiche völlig unumschränkt herrscht , und keinem Menschen auf Erden von seinem Tun und Lassen Rechenschaft abzulegen hat ?
Ja , Herr , es kommen sonderbare Schicksale in der Welt zum Vorschein .
Wer viel reiset , erfährt auch viel , und so geht es Ihnen jetzt .
Und darum ist es eben recht verdrießlich , wenn die Ofensitzer alles besser wissen wollen .
Nicht wahr ? "
" Allerdings " , sagte Leonhard , der nun schon nicht mehr zweifelte , mit wem er es zu tun habe .
" Sie wissen es gewiß " , erzählte der Fremde mit der größten Ruhe weiter , " welche Faktionen sich in den letzten Jahren des großen Königs schon am Hofe und im Lande gebildet hatten .
Mit Drohungen wurde der armen Königin so zugesetzt , daß sie die Geburt des rechtmäßigen Prinzen verschwieg .
Der vorige König beherrschte nun als nächster Thronerbe bis etwa vor vier Jahren das Land , und ich gönne auch dem jetzigen Herrn seine Würde und sein Glück , denn er ist wacker und tugendhaft ; und überhaupt - wenn ich auch mit meinen Ansprüchen hervortreten wollte , so hat jene Kabale es leider so fein angezettelt , daß ich wohl schweigen muß . "
" Aber wie haben Sie , da man Sie in Windeln raubte , erfahren können , daß Sie der Geburt nach der rechtmäßige König sind ? "
Der Fremde schwieg eine Weile , als dächte er dieser Frage nach .
" Wenn Sie die Kupferstiche vom großen Friedrich ansehen " , sagte er dann , " und betrachten morgen beim Sonnenlicht meine Physiognomie , so wird Ihnen gar kein Zweifel übrigbleiben .
Und nach her habe ich darüber sehr authentische und wichtige Papiere , die mir von Männern , die aber unbekannt bleiben wollen , zugefertigt sind .
Die Sache leidet wirklich keinen Zweifel ; auch bin ich ganz fest davon überzeugt .
Im Jahre 1792 , als die Koalition geschlossen war , und die deutschen Heere gegen Frankreich marschierten ; - o mein Herr - da war in meinem Leben ein großer , ein einziger Moment .
Die Republikaner nämlich und Dumouriez und die Begeisterung in Deutschland und La Fayette und der National-Convent , ja durch heimliche Emissäre der König von Frankreich selbst , alle forderten mich dazumal auf , mich zu erklären , öffentlich aufzutreten , um durch mein Wort alle jene Rüstungen zu entwaffnen ; als großer deutscher Fürst dann die gute , verkannte Sache zu vertreten und so mit Lorbeeren und unsterblichem Ruhme mein jugendliches Haupt zu schmücken . "
" Ei " , sagte Leonhard , " diese einzige Gelegenheit und große Aufforderung hätten Sie doch benutzen sollen . "
" Glauben Sie denn " , sprach der Fremde mit bewegter Stimme , " daß mein Ehrgeiz damals nicht rege genug gewesen wäre , um durch diesen Gedanken mein jugendliches Blut zu erhitzen ?
Aber die jesuitische Klugheit jener Kabale hatte ja alles für alle Zeiten unmöglich gemacht .
Hätte man mich entführt und irgendeinem Handwerker übergeben , in fremde Länder oder nach Amerika gesendet , ja hätte man mich an die Zigeuner verkauft , so war es möglich , mit Ehren hervorzutreten , ja der letzte Umstand hätte der Sache wohl gar eine romantische Farbe gegeben ; aber so hatten die Bösewichter mich unter die Juden gesteckt .
Ja , sehen Sie , Sie lachen , Sie können nicht anders , und das ist die Ohnmacht , die mich lähmt , die mir jede Unternehmung unmöglich macht ; denn das Lächerliche ist so allgewaltig , so unüberwindlich , daß alles , was es nur erreicht , sich vor ihm beugen muß .
Hätte ich nun damals den Anforderungen genügen und auftreten wollen , und man hätte in Europa plötzlich vernommen , der echte König von Preußen ist erschienen , die ganze Gestalt der Dinge muß sich verändern , in ihm wirkt der Geist des großen unsterblichen Friedrich - und nun fragte Europa .
Wer ist dieser junge Held ? -
und vernähme die Antwort :
Ein Judenjunge ! - so würde ja ganz Europa nur in ein lautes Lachen ausgebrochen sein , so wie Sie jetzt selber lauter und lauter lachen , was mich eigentlich beleidigen sollte , wenn die Sache nicht wirklich so überaus komisch wäre . -
Lachen Sie also nur zur Genüge mein Herr , ich finde Ihre Lustigkeit ganz natürlich . "
Leonhard zwang sich , wieder ernsthaft zu werden , um den Unglücklichen nicht zu kränken , weil die Erlaubnis zum Auslachen doch vielleicht nicht ganz aus seinem Herzen gekommen war .
- " Seitdem " , fuhr die sehr dann fort , " sind nun wieder zehn Jahre vorübergegangen , und ich habe mich immer ruhig verhalten , welches die hohen Potentaten würdigen und mir zugute schreiben sollten .
Das ist aber nicht der Fall , denn man läßt mich immer in meiner Armut bleiben , ohne sich um mich zu kümmern .
Eins aber könnte man tun , da ich ja keine weiten Länderstrecken , oder großen politischen Einfluß verlange , mir nämlich das liebe gute Nürnberg schenken , welches ich so außerordentlich hochschätze .
Das Städtchen hat wirklich was Allerliebstes , und wer Sinn hat für das Heimische , Altdeutsche , so Altfränkische , der wird auch ebenso in das niedliche Nürnberg vernarrt sein , wie ich .
Wäre das aber den Regierenden immer noch zuviel , so sollten sie mir doch wenigstens die Sebald-Kirche als mein Eigentum überlassen . "
" Da Sie aber zu der israelitischen Gemeine gehören " , sagte Leonhard , " was wollten Sie mit dieser christlichen Kirche anfangen ? "
" Erstens " , antwortete jener , " wünsche ich sie mir , weil ich sie so unaussprechlich liebhabe .
Das ist ein Kirche , sehen Sie , wie man wohl sagen möchte :
Gerade so muß eine Kirche sein !
Lorenz ist auch nicht übel , kommt aber nicht gegen meinen Sebald .
Und , verstehen Sie denn nicht ?
Ich hätte ja immer noch den größten Vorteil davon .
Die Nürnberger gehen sehr gern in ihre Kirche ; sie ist immer gedrängt voll .
So vermietete ich denn meine Kirche an die andächtige Gemeine , daß die Leute doch auch ihre Freude am Gottesdienste bezahlen müßten .
- Ich habe auch wirklich Lust , mich nächstens dem Könige von Preußen persönlich vorstellen zu lassen , und ihm das Geheimnis zu eröffnen .
Dann werden wir ja sehen , wozu er sich herbeilassen wird .
Denn ganz umsonst darf er es doch auch nicht haben , daß ich ihm so ungestört Krone und Zepter gönne . "
Es wurde Leonhard peinlich , länger das Geschwätz des Törichten anzuhören ; er fragte also , um abzubrechen , wo man wohl in der Stadt am besten einkehre , und der Plauderer sagte : " O ja nirgend anders , als im » goldenen Rad-Brunnen « .
Da sind zwei alte , prächtige Leute , und ich bin auch viel da , und ein junger Freund , ein frommer , stiller Mann , der Braueigner Lamprecht .
Wir bilden dort oft ein sehr geistreiches Konvivium .
Im » roten Roß « ist es auch immer noch gut , aber viel teurer ; denn der Gasthof bleibt bisher noch der erste in der Stadt .
Aber beim Rad-Brunnen wollen wir absteigen ; es ist ja auch sehr möglich , daß mein Freund Lamprecht Sie bei dieser Gelegenheit gleich bekehrt ; denn Sie sind doch gewiß noch ein Weltkind , das habe ich vorher wohl an Ihrem Lachen bemerkt .
Und der Lamprecht hat eine außerordentliche Force im Bekehren ; ehe man sich_es versieht , ist man fromm geworden .
Es ist eine wahre Lust , wie es ihm von der Hand geht .
Ja , ja , das wird einen rechten Spaß geben , wenn Sie so in sich schlagen und einen ganz neuen Menschen anziehen .
Haben Sie_es wohl schon Mal probiert ?
Es wird einem dabei ganz schnurrig zumute .
Aber nachher die unendliche Seelenbefriedigung , und unserem Herrgott so viel näher zu rücken durch solche Protektion : das ist doch auch mitzunehmen . "
So ging es wieder unermüdet fort , nachdem er diese neue Straße eingeschlagen hatte .
Leonhard hörte wenig mehr hin und freute sich , als sie in das Tor hineinfuhren .
Es war schon später Abend , und aus allen Fenstern schienen ihnen die goldenen Lichter entgegen , als sie durch die große Stadt und die herrlichen Gassen zwischen den hohen Häusern hinrollten .
In diesen Augenblicken fühlte sich Leonhard sehr glücklich , sich als ein ganz Einsamer und Unbekannter in der Fremde zu befinden , sich seiner Jugend zu erinnern , und die damals empfangenen Eindrücke zu erneuern .
Man hielt wirklich jetzt vor dem Rad-Brunnen , und die Diener kamen den Reisenden freundlich entgegen .
" Ei ! Herr Franke , kommen Sie auch schon wieder ? " riefen sie , und begrüßten so mit Handschlag und Lachen den Törichten .
Dieser dankte nur kurz und obenhin seinem Reisegefährten , um sich eifrig nach Lamprecht zu erkundigen .
Man wies ihn nach einem entlegenen Stübchen , in welchem dieser Freund schon seiner harre , obgleich man geglaubt , der Reisende könne erst morgen kommen .
Als Leonhard die freundlichen Wirtsleute begrüßt und sein Zimmer in Augenschein genommen hatte , trat er mit hoch klopfendem Herzen seine Wanderung durch die geliebte , ihm so bekannte und doch jetzt fremd gewordene Stadt an .
Wie feierlich begrüßten ihn die hohen Kirchen , rätselhaft aus der dunklen Nacht hervortretend .
Er stieg die kleine Anhöhe bei Sebald hinauf , wo er auch ehemals so oft gestanden hatte , und sah wieder die erleuchteten Häuser gegenüber .
Dann ging er nach der Lorenzkirche , stand bei dem künstlichen Brunnen still , und hörte andächtig dem Geplätscher und Plaudern seiner feinen Wasserstrahlen zu .
Er kehrte um , ging die Straße hinauf , und unten an der einsamen , stillen Burg vorüber .
Er freute sich , daß er selbst in der Nacht das Haus wiedererkannte , in welchem Albrecht Dürer gewohnt , so fleißig gearbeitet und so viele Schmerzen erlitten hatte .
Er fühlte sich wunderbar gerührt , und jedes Wort Vorübergehender , im bekannten fränkischen Dialekt gesprochen , ging durch sein Herz .
So kehrte er um , und zauderte noch den Gasthof zu betreten , um diese poetische Stimmung nicht zu vernichten .
Wie glücklich , sagte er zu sich selbst , eine solche alte edle Stadt als seinen Geburtsort zu kennen , in ihr zu erwachsen und sich mit jedem Denkmal , jedem merkwürdigen Stein vertraut zu befreunden .
Alles Große , Edle , Wunderliche gehört dem Eingeborenen , er erlebt es täglich von neuem ; jeder Gedanke und jede Vorstellung wächst mit den früheren Jahrhunderten und ihren Begebenheiten zusammen ; jeder Vorsatz , jede Arbeit klingt wie ein nötiger , schöner Ton in das vollstimmige Konzert hinein , das immerfort musiziert , und so alles , was entsteht und sich neu erzeugt , in seine wohltätige Regel und ihren Wohlklang zart und mütterlich aufnimmt .
Als er in den Gasthof trat , fand er nur wenige Menschen an der Tafel , eine stille Gesellschaft , die seine Gedanken und Gefühle nicht störte .
In der Nacht schlief er gut in seinem ruhigen Zimmer , und erwachte erquickt und neu gestärkt mit der Frühe des Morgens .
Es war Sonntag , und indem er die Glocken schlagen und läuten hörte , war es ihm so heimisch , so bang schaurig und so heiter und still sehnsüchtig , wie in der frühesten Kindheit .
Er ließ diese Sabbatstille in seinem Herzen gewähren , und die Gestalten und Gefühle ruhig beseligt walten , die aus seinem Inneren , wie aus unsichtbarer , lautloser , ferner Gegend , emporquollen und ihn anlächelten .
- Wie sonderbar dünkte es ihm , daß gar viele hochbegabte Menschen einer Absonderung von den übrigen , einer Sekte und in dieser wieder der Redensarten , der willkürlichen Zeichen bedürften , um sich fromm zu fühlen .
Welche Süßigkeit des Himmels entfaltet sich so oft , und verbreitet sich durch unser ganzes Innere , wenn wir den Engel nur gewähren lassen , der mit melodischem Flügelschlag den Teich anrührt , daß seine bewegten zitternden Wogen mit heilender und heiligender Gesundheit emporrauschen .
Bei diesen Worten kam der alte Joseph und dessen Grillen über Sprache in seine Gedanken , und um nicht ganz sich in Träumerei zu versenken , ging er in das gemeinsame Zimmer , um sein Frühstück zu genießen .
Der törichte Franke lief jetzt durch die Stube indem er einen schönen jungen Mann an der Hand herzuführte , in dessen frommer Miene und stillem Wesen Leonhard jenen Lamprecht , den ihm der Unkluge geschildert hatte , zu erkennen vermeinte .
Sie begrüßten sich gegenseitig und verabredeten mittags an der Wirtstafel sich wiederzufinden .
Leonhard eilte in die Sebaldkirche , und die vollen Orgeltöne begrüßten ihn .
Durch die gemalten , bunten Fenster schien die Sonne , und brach den scharfen Strahl in den schimmernden hellen und lieblichen Farben .
Als wenn durchsichtige leuchtende Decken in Farbenpracht vom hohen Gewölbe niederhingen , so harmonisch verbanden sich die schönen Fenster mit dem ehrwürdigen schattenreichen Gebäude , das sie sanft erhellten .
Die Kanzel , Sebalds schönes Grabmal , die merkwürdigen Bilder sah er jetzt nur aus der Ferne , um den Gottesdienst nicht zu stören .
Auf die Predigt konnte er nicht eben achten , denn seine Träume übertönten das lehrende Wort des gutmeinenden Priesters .
Er entfernte sich wieder still , um auch die schöne Lorenzkirche in dieser Stimmung zu besuchen , deren leichtere Bauart und schlankere Säulen fast fröhlich gegen des Sebaldus-Doms ernsteren Charakter abstechen .
Er ließ seinen Genius gewähren , der heute in seinem Inneren waltete , und den Vorhang vom Allerheiligsten zurückschlug .
Wer diese Tempel-Empfindung niemals gefühlt und erlebt hat , der wird es schwerlich begreifen , daß Leonhard sich in einen Winkel verbarg , um seine Tränen unbemerkt strömen zu lassen .
Als er sich an diesem wollüstigen Weinen ersättiget hatte , wandelte er wieder bei sonntäglicher Stille durch die herrliche Stadt , Wieder erfreute er sich , wie vor Jahren , der Blicke auf den Brücken über das Wasser hin , und die wundersamen hölzernen Galerien , die , geschnitzt , bemalt , häusliche Arbeiter zeigten , oder spielende Kinder , oder sinnende Menschen , die sich über das Geländer lehnten .
Er trauerte über jede Veränderung , die er wahrnahm , und die die Einwohner wohl eine Verbesserung nennen mochten .
Viele der wunderlichen Gemälde hatte man ausgelöscht ; so die Riesen in der Nähe des roten Rosses , welche Otnit , Hildebrand , Dietrich von Bern und andere Helden der alten deutschen Gedichte vorstellen sollten .
Viele Häuser waren mit jenem aufgeklärten Weiß oder Hellgelb überzogen , an welchen vormals Engel und schwebende Marie prangten ; manche neue Gebäude zierten sich mit jenem negativen Stil der neueren Architektur , und nahmen sich in Leonhards Augen neben den echten alten Bürgerhäusern nur widerwärtig aus .
So , geteilt in Zorn und Freude , kehrte er in seinen Gasthof zurück .
Aber welch unangenehmes Gefühl überraschte und störte ihn , als ihm aus dem Eßzimmer ein rohes Geschrei entgegentönte , und er in der Ferne die fratzenhafte Figur jenes Wassermann unterschied , der ihm schon auf der Reise damals so verletzend entgegengetreten war .
Er konnte es nicht über sich gewinnen , sich an derselben Tafel niederzulassen , weil ihm der Gedanke unerträglich war , von dem widerwärtigen Menschen wohl gar wiedererkannt zu werden .
Er ließ sich also von dem willigen Kellner seine Speisen in das Nebenzimmer bringen , wo er , weniger gestört , das laute Schreien des Übermütigen nur wie aus der Ferne vernahm .
Sowie die Tür geöffnet wurde , vernahm Leonhard die Worte des laut Sprechenden deutlich , und um so mehr , da die übrigen nur wenig und leise sprachen .
Nach und nach gewöhnte sich der Einsame mehr an das Geräusch , weil ihn seine gerührte Stimmung , vom Wein erheitert und gestärkt , nach und nach verließ , und einer alltäglicheren Fröhlichkeit Platz machte .
So war ihm endlich in dieser sicheren Ferne der Herr Wassermann weniger verdrießlich , und er konnte auf sein Geschwätz und seine Prahlereien , ohne sich zu ärgern , hinhören .
Da vernahm er denn , wie der Schreier von seiner nahe bevorstehenden Heirat erzählte , und wie er dann wohl , zum zweitenmal vermählt , sich mehr zur Ruhe setzen würde , und weniger in den benachbarten Ländern umherreisen .
Er kenne die Welt und habe sie gehörig genossen , daher sei ihm auch die Neugierde , die den jungen Gimpeln so eigen sei , völlig vergangen .
Leonhard mußte lächeln , denn diese Äußerung traf ihn selbst am meisten , der diesen ganzen Vormittag in der Stimmung eines Jünglings geschwelgt hatte , der zum erstenmal seine eingewohnte Heimat verläßt .
So fuhr nun Wassermann fort , seine Lebensansichten und seine Gedanken über Liebe und Ehe auszusprechen .
War ihm die Liebe schon lächerlich , so war nach ihm die Eifersucht gar das Verächtlichste , wozu der Mann nur hinabsinken könne .
Er verlangte für beide Geschlechter völlig dieselben Rechte und Befugnisse , und da keinem Richter und Gesetz das Recht zustehe , den Mann zu beschränken , wenn er nicht öffentlichen Skandal mache , so dürfe die Frau auch nicht wie eine Sultanin behandelt und eingesperrt werden .
Wenn der Mann freilich Unrat merke , oder gar hinter eine Liebschaft komme , so sei es ihm natürlich erlaubt und geziemend , mit einem tüchtigen Stock vorzüglich an der Frau seine Genugtuung zu nehmen .
Mehr als barbarisch aber , völlig abgeschmackt sei es , zu forschen , fragen , zanken über das , was vor der Ehe sich begeben haben könne .
Eine europäische Narrheit sei es , von dem Mädchen und der Braut zu verlangen , daß sie keinen Mann vorher gekannt , oder geliebt , oder sich ihm ergeben habe , da es doch abgeschmackt herauskommen würde , wenn man den Bräutigam , ob jung oder alt , darüber examinieren oder Ehrkommunizieren wolle .
" Wahrlich " , rief er endlich , " auch hierin hat sich Moses als der größte Denker und Gesetzgeber erwiesen ; denn bei den Juden darf nach dem mosaischen Recht kein Ehemann das verlangen , was die anderen Religionen in ihrer Torheit so hoch stellen . "
" Was wissen Sie vom mosaischen Recht ! " rief jetzt eine Stimme , die gegen jene des Wassermann nur dünn klang und in welcher Leonhard seinen gestrigen Reisegefährten wiedererkannte .
- " Gewiß mehr , wie Sie " , schrie Wassermann , " denn ich bin ein ausgebildeter Mensch . "
- " Ein Ignorant ! " rief der andere , " ein Inhumaner !
denn das charakterisiert die deutsche Roheit , sich ewig und immer wieder an den Juden reiben zu wollen , die wohl mehr Genie , Geist und Gelehrsamkeit zeigen , als die meisten jener eingefleischten Christen ! "
- " Himmel-Tausend-Sakerment ! " schrie jetzt Wassermann - und man hörte einen Wurf Sturz und Aufschrei , dann ein lautes Getümmel , wie von einer Schlägerei .
Als Leonhard die Tür öffnete , sah er auch schon das vollständige Handgemenge .
Wassermann hatte nämlich , ohne nur zu rufen :
" Vorgesehen ! " dem törichten Franke , der die Juden nicht wollte schmähen lassen , eine Weinflasche an den Kopf geworfen und so richtig gezielt , daß dieser , verwundet und betäubt , sogleich unter die Tafel stürzte .
Sein Freund Lamprecht war mit dem Ohnmächtigen beschäftigt ; Wirt und Wirtin standen entsetzt beiseite und rangen die Hände , indes Wassermann sich gegen vier andere Männer als ein Held ebenso rüstig als gewandt verteidigte ; denn dem einen , der der Angesehenste schien , hatte er mit seinem Stuhle eine bedeutende Wunde an der Stirn beigebracht , so daß von dieser das Blut herniederströmte .
Die anderen drei , nebst zwei Aufwärtern , hatten sich endlich des trunkenen und wütenden Wassermann bemächtigt , hielten ihn fest und banden ihm Hände und Füße mit Servietten und Schnupftüchern .
" Mein Herr " , rief jetzt der Verwundete , " nun sollen Sie erfahren , was das auf sich hat , in einer angesehenen Stadt , in anständiger Gesellschaft solchen Skandal aus Mutwillen anzufangen , und mich , einen Polizeibeamten , der den Frieden herstellen will , tätlich , einem wilden Tiere gleich , anzufallen .
Dieser Rausch und diese Roheit wird Ihnen teuer zu stehen kommen . "
" Ist der Jude da tot ? " fragte Wassermann , auf der Erde liegend und festgebunden .
" Gottlob nicht ! " rief Lamprecht aus .
" Nun so wird die Dummheit nicht viel zu bedeuten haben " sagte Wassermann ; " laßt mich nur wieder los , und ich gebe mein Ehrenwort , mich an keinem Menschen mehr tätlich zu vergreifen . "
" Ihr Ehrenwort ? " rief der Polizeibeamte ; " ich möchte lachen wenn mir die Wunde am Kopfe nicht so unbequem fiele ; wie solche Menschen nur noch das Wort Ehre in ihren Mund nehmen können . "
Einer der Aufwärter war indessen nach der Wache gegangen .
Der Beamte befahl den Übeltäter , nachdem ihm die Beine waren frei gemacht worden , mit gebundenen Händen zum Gefängnis abzuführen , indessen er sich selbst in einem Wagen nach seiner Wohnung bringen ließ .
Der verwundete Franke wurde zu Bett gebracht .
" O mein werter Herr " , sprach der Wirt in einem flehenden Tone , " rechnen Sie es uns ja nicht an , daß dergleichen in unserem stillen Hause hat vorfallen dürfen .
Wie gern hätten wir dem furchtbaren Herrn Wassermann das Losament verweigert , weil er fast immer betrunken ist ; aber er hat uns guten Wein geliefert , und die letzte Rechnung ist noch nicht bezahlt , so daß wir ihn wirklich nicht abweisen konnten , ohne uns selbst Schaden und Verdruß zuzuziehen .
Aber es ist ein gottloser Mensch , und ich hoffe , sie werden ihn nun diesmal recht ordentlich schröpfen , so daß er endlich Mores lernt , und seine Nebenmenschen nicht mehr auf so schändliche Art molestiert . "
Jetzt trat auch der hübsche , stille Lamprecht in das Zimmer und sagte : " Der Wundarzt versichert , die Wunde habe an sich selbst nicht viel zu bedeuten , und nach ein paar Tagen , wenn der Kranke nämlich die gehörige Ruhe genossen , sei alles wieder in Ordnung . "
Sehr erleichtert verließen der alte Wirt und die Wirtin das Zimmer , und Leonhard sagte , indem er sich zum stillen Lamprecht wandte :
" Ihr Freund , der Verwundete , hat mir schon viel von Ihnen gesagt , und ich wünschte nur , wir hätten , ohne diese fatale Geschichte , unsere Bekanntschaft machen können . "
" Der Herr " , erwiderte Lamprecht , " führt einen jeden auf eine eigene , und manchen auf eine wunderliche Weise .
Schlägt es nur zum Heil aus , so ist es immerdar zu loben . "
" Gut " , versetzte Leonhard , " aber war es wenigstens nicht unvorsichtig von dem jungen Israeliten , sich in diesen unnützen Streit mit einem Trunkenbold einzulassen ?
Zwar ist der Arme auch an sich selbst gestört und seiner Vernunft nicht mächtig . "
" Ach ! lieber fremder Herr " sagte jener seufzend und mit frommer , weicher Stimme , " es ist gar nicht so , Sie kennen Ihren Reisegefährten allzu wenig . "
" Wieso ? "
" Er ist nichts weniger , als ein Jude ; er ist ein ordinärer getaufter Christ , wie wir es alle sind ; er ist nur seit wenigen Tagen ein Jude , oder bildet sich ein , daß er einen solchen vorstelle . "
" Ist es möglich ? "
" Lassen Sie sich dienen " , fuhr Lamprecht fort ; " ist Ihnen noch niemals die Erfahrung geworden , daß gewisse Menschen zu manchen Zeiten , oft alljährlich , ihren ordinären guten Verstand einbüßen , und auf einige Zeit zu Narren werden ? "
Leonhard sah den Sprechenden mißtrauisch an und sagte dann :
" Lieber Mann , das begegnet uns wohl allen . "
" Ich meine es nicht so " , erwiderte jener ; " denn das möchte wohl nur das allgemeine Menschenschicksal sein , dem nicht auszuweichen ist .
Nein , mein lieber Herr , es gibt gewisse Temperamente , die , sei es im Frühling , Herbst , oder Sommer , geradezu überschnappen , in den Wahnsinn oder ins Delirium geraten , und zu diesen sonderbaren Wesen gehört mein Freund Franke .
Wie sollte er denn ein Jude sein , da er hier in der Stadt geboren und erzogen ist ?
Aber alljährlich , und zwar immer zu derselben Zeit , wird er unsinnig und bildet sich bald diese , bald jene Narrenposse ein .
Einmal ist er Katze , oder Hund , oder Fledermaus ; ein andermal hat er einen Mord begangen und soll hingerichtet werden , oder er ist in eine Prinzessin verliebt , und dergleichen mehr .
Seine alten Eltern wohnen vier Meilen von hier , dahin war er gewandert ; und da ich wußte , daß gestern sein kritischer Tag war , so wurde ich sehr besorgt um meinen Freund , weil er länger ausblieb , und unter diesen Umständen auf dem Wege leicht Schaden nehmen konnte .
Ich war nun begierig , mit welcher Narrheit er durch das Tor schreiten würde , und , siehe da , er ist uns diesmal als Jude und Prätendent des preußischen Thrones wiedergekommen . "
" Sonderbar ! " sagte Leonhard , " und doch hat er mir so umständlich die Sache erzählt . "
" Ganz recht " , sagte Lamprecht ; " in diesen Krankheitsumständen ist er immer sehr redselig , und von seiner Ansicht so überzeugt , daß er wie heute solche bis aufs Blut verteidigt .
Was gehen ihn die Juden und ihre Meinungen an ?
Was brauchte er sich ihrer so lebhaft anzunehmen ? "
" Was Sie mir da eröffnet haben , teurer Mann " , begann Leonhard wieder , " erfüllt mich mit dem höchsten Erstaunen .
Ein Kranker aus diesem sonderbaren Spital ist mir bis jetzt noch niemals vorgekommen .
Und es sollte noch mehr solcher Patienten geben ? "
" Wer zweifelt daran ? " antwortete Lamprecht ; " ich muß mich bloß über Ihre Verwunderung verwundern .
Wenn in uns allen wohl etwas ist , das den Organismus , oder unser Leben stören will , und das die Natur vielleicht im Ärger , oder Schnupfen , oder einer Leidenschaft , oder Prügelei , oder wie sonst hinwegschafft , damit der Mensch in seinem gewohnten Gleise bleibe - so gibt es auch immerdar so geformte Wesen , bei denen , ungefähr wie beim Mondsüchtigen , eine zeitgemäße kürzere oder längere Verrücktheit eintreten muß , damit sie nachher nur ihrem Amte als sterblicher Mensch gehörig vorstehen können .
So schütteln sie die Schlacken ab , und sind nachher so reputierlich , wie zuvor .
So lebt in einer großen Stadt , nicht gar weit von hier , ein sehr gelehrter Mann ; dieser wird von hoch und niedrig besucht und verehrt ; er steht mit anderen herrlichen Geistern in Korrespondenz , und man nennt ihn oft den Stolz seines Vaterlandes .
Dieser Gelehrte fällt in jedem Jahr im Herbst , wenn die Tag- und Nacht- gleiche eintritt , in einen sonderbaren Zustand .
Er reißt nämlich alsdann seinen Kachelofen ein , wirft die Kacheln umher und arbeitet dabei ohne Rock und Weste im Hemde so eifrig , daß ihm der klare Schweiß von der Stirn trieft .
Nun nimmt er den Lehm und Ton , mit welchem der Ofen ausgefüttert ist , mischt diesen und weicht ihn höchst mühsam auf mit Wasser , bis er in seinen früheren bildsamen Zustand zurückgekehrt ist .
Dann formt und backt er aus diesem Ton Kugeln von mäßiger Größe , und beschenkt , wenn die eigentliche Raserei vorüber ist , jeden seiner Freunde , auch jeden Vornehmen , selbst die Damen , die ihn verehren , mit einer dieser Kugeln , als einer untrüglichen Universalmedizin gegen alle Übel und Krankheiten .
Im ersten Monat wenn die Wut schon ganz vorüber ist , geht er nie aus , ohne einige dieser Pillen bei sich zu tragen , um der leidenden Menschheit unter die Arme zu greifen .
In jedem Jahr kommt der Töpfermeister von selbst und ungefordert in sein Logis , weil er schon weiß , welche Arbeit er dort zu tun findet , und nachher ist derselbe Mann so gelehrt und weise , als er es nur jemals war . "
" Wohl dem " , fügte Leonhard hinzu , " an dem der Aberwitz dieser Vampir , nur so genügsam zehrt , und ihn dann wieder freiläßt .
Diejenigen , die sich ohne alles Talent für große Dichter , Staatsmänner , oder Weltweise halten , sind auf jeden Fall viel schlimmer daran . "
" So gibt es wieder andere " , erzählte der sinnige Lamprecht weiter , " die ergreift in ganz unbestimmten Zeiten , bald nach längeren , bald nach kürzeren Fristen , der böse Geist .
Es kommt über sie , wie ein Gewitter aus heiterem wolkenlosem Himmel .
Wehe denjenigen , die alsdann in ihre Nähe kommen .
Ein solcher Mann befindet sich als Mitglied in unserer stillen Gemeine : das frommste , liebevollste Gemüt , wohltätig , menschenfreundlich , nachgebend , so sanft , daß ein Kind ihn einschüchtern könnte ; aber , wenn er vom Satan besessen ist , so ist kein Auskommen mit ihm , dann fürchtet er weder Himmel noch Hölle , dann achtet er weder Gott noch Menschen .
Und auch bei diesem Subjekt hat das Schicksal einen artigen Ausweg gefunden , so daß alle , die ihn kennen , ihm an solchem Tage aus dem Wege zu treten vermögen .
Er geht im Hause für alltäglich in einem einfachen Überrocke ; ergreift ihn aber jener höllische Geist , so empfindet er schon , indem er aus dem Bette steigt , ein sonderbares Gelüst , einen uralten feuerfarbenen Schlafrock , den er sonst niemals trägt , anzuziehen .
So sitzt er denn wie ein altes Gespenst in seinem Zimmer , und ihm ist es selber ganz recht , wenn an diesem Tage Freund und Bekannter seine Nähe vermeidet . "
Jetzt brach Lamprecht auf , um nach seinem kranken Freunde zu sehen ; Leonhard aber konnte es nicht müde werden , seine vielgeliebte Stadt zu durchwandern .
Er mochte nicht aus dem Tore gehen , um die poetische Täuschung , in welcher er befangen war , nicht aufzulösen , weil er von ehemals wußte , daß die Natur und Gegend um Nürnberg her nichts Erfreuliches bieten .
Er segnete eine Stadt , wie es freilich nur wenige gibt , deren Steine , Mauern und Türme den Wanderer so fesseln können , daß er keine Sehnsucht empfindet , die ihn hinaus in das Freie treibt .
Leonhard hatte versprochen , am Abend , weil es Sonntag war , einer heiligen Versammlung beizuwohnen , welche zweimal in der Woche bei dem Brauer Lamprecht zu einer gottesdienstlichen Feier sich verband .
Die Mitglieder dieser Gemeinschaft versäumten zwar die Kirchen nicht , um nicht aufzufallen und kein Ärgernis zu erregen ; sie hielten aber den öffentlichen Gottesdienst für etwas sehr Gleichgültiges , und sparten ihren Eifer und die wahre Andacht für diese fast heimlichen Zusammenkünfte .
Leonhard bereute sein Versprechen , und begriff jetzt selbst nicht , wie er es zu geben sich hatte verleiten lassen ; indessen wollte er sein Wort nicht brechen und begab sich in das Zimmer , wo die übrigen schon versammelt waren .
Er fand dort den Vorsteher , den Braueigner Lamprecht , und den eingebildeten Juden Franke , der mit verbundenem Kopfe , blaß und seufzend dasaß .
Einige ältere und jüngere Männer waren noch zugegen , und Leonhard ließ sich denjenigen vom Vorsteher bezeichnen , welcher zuzeiten den feuerfarbenen Schlafrock anlege , um Freund und Feind zu schrecken .
Er war offenbar der Älteste der Gesellschaft , ein blasser Greis , mit schlichtem weißem Haar , einer andächtigen , sanften Miene und mit dem Ausdruck stiller Frömmigkeit im Auge .
" Unmöglich ! " sagte Leonhard , " dieser ist nicht fähig , auch nur ein Tier zu kränken , oder ihm wehe zu tun . "
" Lieber Bruder " , sagte Lamprecht , " in uns allen liegt der Löwe nur an Ketten , und springt brüllend auf , sowie er sich frei fühlt .
Ohne Gnade von oben und festen Willen von uns selbst , sind wir dem wilden Wahnwitz immerdar preisgegeben .
Keiner halte sich für den Sicheren , denn dieses Trotzen auf unsere Sicherheit ist eben unsere allergrößte Sünde .
Wer sich bescheiden fürchtet und an seinen Kräften zweifelt , wird der Versuchung viel weniger unterliegen . "
Man hörte die Glocke schlagen , und alsbald schwiegen alle und vereinigten sich zu einem stillen Gebet .
Nun stand Lamprecht auf und hielt eine lange Rede , bei welcher Leonhard wohl einsah und fühlte , daß sie eigentlich zunächst auf seine Bekehrung abzwecke .
Der junge Mann trug nicht ohne Beredsamkeit und Begeisterung den Gedanken vor , daß sich die Andacht jedes einzelnen , die oft den zerstreuten Weltmenschen sogar besuche , an dem Glauben und der Erhebung des zweiten Bruders stärken und kräftigen müsse .
Nur so bewähre sich die Gnade und werde sichtbar , die sonst nur flüchtig , wie Sonnenglanz bei stürmischem Wetter , vorüberfahre und das Herz vielleicht nur leerer und dürrer ausschöpfe , als es sich vorher gefühlt habe .
So sei das Bedürfnis der Gemeine früh empfunden worden , und darauf habe sich die Kirche begründet .
In solcher Gemeinsamkeit wehe gleichsam ein Geist in allen Gliedern , und jeder sei zugleich Laie und Priester .
Priester im schönsten Sinn des Wortes sei jeder , dessen Seele sich vom Anhauche Gottes erregt fühle , so sei es im Anbeginn der Christenheit gewesen , und dieses Vorrecht der Erleuchtung habe die Reformation auch wieder reklamiert .
Nur habe sich leider , schon sehr früh , die Priesterherrschaft in anderer Gestaltung wieder eingeführt , welche ein Monopol mit Gnade und Glauben treiben wolle .
Dies zwinge begeisterte Gemüter zu einer engeren , aber stillen Verbindung , die sich der Öffentlichkeit entziehe , und nur in der Verborgenheit stark und segensreich bleiben könne .
Dieses freie Christentum , vom Staate nicht sanktioniert , durch keine erteilte Priesterwürde gerechtfertigt , sei eben dadurch das wahre , ursprüngliche , welches die Apostel gegründet hätten , und welches auch alsbald seine Weihe und Wahrheit verloren , sowie ihm öffentliche Anerkennung und ein Privilegium geworden sei .
In diesen Gemeinen aber , die nur das bewegte Herz und das Bedürfnis des Glaubens zusammenführe , sei nach der Verheißung der Heiland wahrhaft gegenwärtig ; er segne sie durch seine unmittelbare Liebe , die sich allen mitteile ; und in diesem Überschwung der Liebe , in dieser Einverleibtheit mit ihm sei die Vergebung aller Sünden und der Genuß der Gnade , sowie seiner persönlichen Gegenwart , und die Begeisterten bedürften also keines Symbols oder einer körperlichen , sichtbaren Überzeugung .
Es war nicht zu verkennen , daß der Redner eine Erschütterung Leonhards erwartet hatte , die mit dem Bekenntnis und Entschluß endigen würde , daß er ein Mitglied dieser Sekte werden wolle .
Als diese Entwicklung nicht erfolgte , war Lamprecht erst etwas verlegen ; dann entschloß man sich , gewöhlichere Gespräche zu führen , die das alltägliche Leben betrafen .
Nach und nach entfernter sich die übrigen Mitglieder , und nur Leonhard , Lamprecht und jener stille Greis , welcher sich Alfert nannte , blieben beisammen , um bei vertraulichen Gesprächen ein leichtes Abendessen einzunehmen .
Leonhard erzählte von sich und seinem Haushalt daheim , seiner Frau und seinem Pflegesohn , wie sich sein Geschäft ausgebreitet habe , und wie er als junger Gesell vor etwa zehn Jahren Franken , Schwaben , die Rheinländer und noch andere Gegenden durchstreift habe .
Da jetzt nicht mehr von religiösen Gegenständen die Rede war , und seine Genossen den Anschlag auf ihn aufgegeben hatten , so wurde er um so redseliger , als er seit lange schon nicht mit solchen Menschen umgegangen war , die dasselbe bürgerliche Interesse am Leben hatten , als er .
So hatte er auch des alten Magisters erwähnt , welcher seinen Pflegesohn unterrichte .
Seit er jenen sonderbaren Brief gelesen hatte , war ihm die Gestalt des alten Mannes immerdar vor Augen .
" Ei ! ei ! " sagte der greise Alfert nach einiger Zeit : " gar wundersam und gleichsam dem Märchenhaften nicht ganz unähnlich Dieser alte Mensch , wie Sie ihn beschreiben , ist öfter in dem Landstädtchen Jessen gewesen ; er hat in Wittenberg studiert und promoviert ; ja , ja , es wird schon mein lieber guter Fülletreu sein .
Nicht wahr , das ist der Name jener alten Perücke ? "
" Allerdings " , sagte Leonhard ; " ich sehe also wohl jemand vor mir , der ihn ebenfalls kennt , oder gekannt hat ? "
Der Alte stand mit Feierlichkeit auf , trocknete sich eine Träne vom Auge , und sagte dann mit vor Rührung zitternder Stimme :
" Mein Herr Leonhard , nehmen Sie diesen Handschlag und Druck , in die ich mein ganzes Herz und meine Jugend lege , und bringen Sie das der lieben , guten , frommen , demütigen Kreatur von Menschen , der allerbesten , die Gott erschaffen , oder die ich wenigstens habe kennen lernen . "
Er setzte sich hierauf wieder an seinen Platz , und forderte Leonhard auf , ihm alles zu erzählen , was er nur irgend von dem alten Magister wisse .
Dieser konnte fast nichts mehr mitteilen , als was er selbst an jenem Abend erfuhr , als der alte Mann zufällig in Elsheims Gesellschaft ein Fragment seines Lebens zum besten gab .
Nachdem er geendigt hatte , sagte der greise Alfert : " Ei , du mein lieber alter Fülletreu , du Schulkamerad und Universitätsfreund , eine Zeitlang sogar mein Stubenbursche !
Ach , wo seid ihr hingeschwunden , ihr schönen Zeiten , in denen wir uns im Disputieren und in der Latinität übten !
Ja , mein werter Herr , ich bin derselbige Bruder , mit welchem er damals jene Wallfahrt zum Hause meines Vaters nach Jessen anstellte .
Ich war auch nachher beim Disputieren sein Hauptopponent , und ich machte es der armen Seele recht sauer .
Denn ob wir gleich vertraute Freunde waren , so war uns doch die Wahrheit und Gelehrsamkeit mehr , als unsere Liebe .
Ich wußte damals auch nicht , daß er sich in meine Schwester so vergafft habe .
Ja , die ist nun auch schon längst gestorben , und auch ihr versoffener , unglückseliger Mann .
Ich bin durch mancherlei Schicksale hierher verschlagen worden , und habe endlich in dieser Stadt ein kleines Ämtchen errungen .
Ich war in meiner Jugend ein froher , leichtsinniger Bursche , ganz das Gegenteil von meinem stillen Freunde , dem Fülletreu .
Diese freundliche Seele war das Muster eines christlichen Jünglings , so sanft , treu , fromm , unschuldig und harmlos , wie das Lamm , das der Mutter zum erstenmal zur Weide folgt .
Ach , lieber Gott ! ich habe noch das Buch , den Andreas Gryphius , in meinem Besitz , in welches er damals seinen Namen hineingeschrieben hat , als er es meinem alten Vater zum Präsent brachte .
So ein Buch , so ein Schriftzug dauert länger , als der Mensch .
Aber die Nachkommen , die Fremden , die es dann in die Hand nehmen , wissen nichts von den Schicksalen der Besitzer , von ihren Gefühlen und ihrem Unglück , und können sich also auch nichts dabei denken . "
Der Alte war so weich geworden und fühlte sich so ermüdet , daß er alsbald aufbrach , nachdem er noch einmal mit vieler Rührung von Leonhard Abschied genommen , und ihm viele Grüße an den alten Magister aufgetragen hatte .
Als Leonhard und Lamprecht allein waren , fing dieser noch einmal an , vom Zweck ihrer religiösen Gesellschaft zu sprechen , und wie gut und nötig es sei , daß gute Menschen , wie Leonhard , sich ihr anschlössen .
Leonhard erwiderte ihm , daß ihm jene öffentliche Gemeinschaft und protestantische Kirche genüge , und daß in ihr dasselbe obwalte , was er an seiner abgesonderten rühme .
Auch müsse nach seiner Überzeugung die Religion und die sie begründende Theologie , die Spekulation und Auslegung der Schrift nur Geschäft und Beruf des Priesterstandes sein ; dieser sei also als dirigierend , belehrend dennoch notwendig , obgleich beim Gottesdienst selbst jeder andächtige Teilnehmer Priester sei und sein dürfe .
Diese Absonderung aber , indem jeder Teilnehmer immerdar nach Eingebung und Begeisterung strebe , führe in der Regel zur Schwärmerei und zum Aberglauben , zugleich aber , was erst wiedersprechend erscheine , oft auch zur freigeisternden Ketzerei und unchristlichem Wandel .
" Schwärmerei ! " rief Lamprecht aus , " ja , das ist euer beliebtes Wort , ihr Weltlichen , womit ihr alles Geistige und Übersinnliche niederschlagen wollt . Euch graut immerdar vor dem Geheimnis , und , wenn ihr könnt , tut ihr alles in den Bann als Ketzerei , was eurem törichten Schwanken und allen den ungöttlichen Negationen in den Weg tritt , damit ihr nur für andere Zweifel schwärmen könnt .
Für diese , für das Nichts seid ihr fanatisch , und verdammt den Bruder , der euch die blinden Augen öffnen möchte .
Ist dies nicht sophistische Gleisnerei ? "
" Lieber Freund " , sagte Leonhard , " ich bin viel zu unwissend , um mit Ihnen über so hohe Gegenstände disputieren zu können .
Lassen Sie mich in meiner Bahn fortwandeln , und ich will Sie auf der Ihrigen nicht stören .
Sollte es nicht viele Wege zum Himmelreiche geben ? "
" Es ist uns so verheißen " , antwortete Lamprecht , " nur kommt es darauf an , wie wir dieses höchst wichtige Versprechen erklären , damit es nicht selbst der Sünder zu seiner Rechtfertigung brauche ; denn das Böse in uns ist gar listig , und versteht es , sich mit Redekünsten und hell schimmernden Trügnissen zu waffnen .
Sie mögen , werter Freund , am Ende nicht unseres Bündnisses bedürfen ; aber ich , der Schwache , Hinfällige , würde ohne dasselbe alles Trostes , aller Stütze beraubt .
Ach ! lieber Mann , Sie nannten , als Sie uns von Ihren Reisen erzählten , auch Tirol , mein vielgeliebtes Vaterland .
Nach jenen schönen Bergen sieht das Auge meines Geistes immerdar zurück , und selbst Religion und Schrift können mir in manchen Stunden keinen Trost darüber geben , daß ich diesen unersetzlichen Verlust habe erleiden müssen .
Ich begreife die Menschen nicht , deren es doch so viele gibt , die freiwillig ihr Vaterland verlassen , und nachher in der Fremde nichts vermissen .
Oh , wenn ich nur wenigstens einmal als durchwandernder Gast dahin wieder kommen , mit Tränen und nassen Augen nur einmal meinen Abschied nehmen und es anblicken dürfte ! "
" Wie kommt es denn " , sagte Leonhard - " Ich habe Vertrauen zu Ihnen " , fuhr jener fort , " und so mögen Sie denn erfahren , was ich sonst immer verschweige ; denn ich weiß , daß Sie mein Geheimnis nicht verraten werden , da wenn es bekannt wird , ich noch jetzt vielen Verdruß , ja wohl Unglück dadurch erleiden würde .
Ja freilich drückt mich ein Verbrechen , oder nennen wir es , wenn wir milde sein wollen , Leichtsinn , aber einen bösartigen der übermütigen Jugend .
In einer der schönsten Gebirgsgegenden von Tirol bin ich geboren und erzogen , natürlich in der katholischen Religion .
Meine Eltern waren in jener Stadt reich zu nennen und starben früh , so kam ich als Mündel zu einem sehr redlichen Vetter , der meine Erziehung und die Verwaltung meines Vermögens übernahm .
Ich konnte dort recht glücklich sein , im Besitz meiner Acker und Weinberge , in den Wäldern , auf der Höhe der Berge jagend , mich der Natur erfreuend , von Verwandten und vielen Menschen geliebt und geachtet .
Und warum erfüllte sich diese Hoffnung nicht ?
Weil ein Zwerg in demselben Städtchen lebte , eine sonderbare Kreatur , die um zweier Sachen wegen merkwürdig war .
Das erste war seine Riesenstärke .
Darum half er Weinschrötern und Weinhändlern , und war bei diesen Leuten sehr gern gesehen , die ihn für die Hilfe , die er leistete , gern beköstigten und kleideten , denn mit Geld wußte er nichts anzufangen , so blödsinnig wie er war .
Es war zum Erstaunen , und man traute seinen eigenen Augen nicht , wenn man dabeistand , wie der ganz kleine Knirps , der nicht höher als vier Fuß war , ein ziemlich großes Fass voll Wein , was zwei Männer mit Mühe und Kunst aus dem Keller und auf den Wagen schroten mußten , so mir nichts dir nichts auf seine Schultern nahm , damit die Treppe hinaufstieg , es auf den Wagen legte , oder , wenn es sein mußte , es über die Straße nach einem anderen Hause hintrug .
Deswegen nannte man das Kerlchen auch nur den kleinen Simson .
Sonderbar aber , daß er diesen Namen , der doch ein Lob war , durchaus nicht leiden konnte , und hierbei , sowie bei vielen anderen Dingen , zeigte sich die zweite Merkwürdigkeit des kleinen Wesens , nämlich eine außerordentliche Bosheit und Schadenfreude .
Darum ging ihm auch jeder gern aus dem Wege , und ein alter Priester in unserer Stadt war der Meinung , ein böser Geist regiere und hantiere in dem kleinen Unhold .
Rief ihm nun ein Bursche nach :
» Simson ! « oder ein anderes Wort , das er nicht leiden konnte , so stellte er sich ganz ruhig hin , als wie im Traum , oder in Dummheit , kehrte sich dann , schnell wie der Blitz , um , griff den Bengel und zerarbeitete ihn mit seinen Riesenkräften ganz unbarmherzig .
Übrigens schien der Verwahrloste fast gar nichts zu begreifen ; es war auch , als wenn er nicht sprechen könne , denn er redete nur sehr selten , und wenn es geschah , immer nur wenige Worte , die oft gar keinen Zusammenhäng miteinander hatten .
Seine Stimme war von einer Art , daß ich sie nicht beschreiben kann : so widerlich durch die Nase , so geklemmt und fein gurgelnd , so schnarzend , oder , wie soll ich es nennen ? daß es wirklich keine Freude war , ihm zuzuhören , wenn er einmal zu reden anfing .
Da der böse Zwerg schon einigemal junge Leute beschädigt und ihnen recht schlimme Verletzungen beigebracht hatte , so war es natürlich , daß die Jugend des Ortes fast ohne Abrede , ein Bündnis gegen den kleinen Simson geschlossen hatte , und ihm so viele Possen spielte , als sie nur ersinnen konnte .
Wie nun aber in dem Zwerge überhaupt keine Vernunft war , so hatte er sich auch ein ganz unsinniges Spielwerk ausgedacht .
Er schlief fast gar nicht ; sobald Mondschein eintrat , war er noch mehr alert und auf den Beinen .
Dann schleppte er alte Fässer auf die Höhe des Berges hinauf , trug Wasser hin und scheuerte und hantierte die ganze Nacht , daß ihm der Schweiß vom Gesichte triefte , und er müde und ermattet dann zurückhumpelte , worauf er in einen festen Schlaf fiel .
Es kann wohl sein , daß sein Körper dieser Anstrengung bedurfte , denn nachher war er besonders vergnügt .
So trieb er es fast immer , solange der Mond schien , und die Eigentümer ließen ihn auch in seiner Dummheit gewähren , weil er ihnen die Tonnen immer wiederbrachte .
- Einstmals kam ich von einer Kirmes mit einem Schwarm junger Leute ; wir alle waren fröhlich und ausgelassen .
Da treffen wir in der Nacht den kleinen Simson bei seinen Fässern .
Sogleich geht das Necken los , das Schimpfen und Lachen ; aber er ergreift den einen von uns , und schlägt ihn mit solcher Wut zu Boden , daß dieser sofort die Besinnung verliert , und für tot daliegt .
Der Zwerg wird auch wacker durchgedroschen , wehrt sich aber wie ein Held und wir alle hatten lange Zeit Flecken aufzuweisen , die wir uns in dieser Schlacht geholt hatten .
Der arme Kaspar aber wurde niemals wieder ein gesunder Mensch , und blieb zu aller Arbeit untüchtig .
So wurde denn der Zwerg vor Gericht angeklagt , und weil der Kaspar wirklich ein verkrüppelter Mensch geworden , so tat man den wütigen Zwerg zur Strafe in ein Narrenhaus .
Wie es aber so geht , am Ende hatte sich der Kleine doch nur seiner Haut gewehrt ; Spaß und Schlag lassen sich nicht auf der Goldwaage wiegen .
Ein mitleidiger Arzt bewies , daß der Unkluge bei dieser Einsperrung seine Gesundheit zusetze , und daß er auch friedfertig sein würde , wenn ihn die bösen Buben in Ruhe ließen , was nicht zu leugnen war .
Man ließ den Simson wieder frei , und uns jungen Menschen wurde von Obrigkeit wegen bedeutet , den Armen , der wegen seiner Statur und des Mangels der Vernunft schon unglücklich genug sei , nicht ferner zu molestieren , und ihn nicht in Wut zu setzen .
Alles vernünftig ; nur meinten wir jungen Leute in unserem Dünkel , uns sei ein himmelschreiendes Unrecht geschehen , besonders weil unser Kamerad sein trauriges Leben in Abzehrung hinschmachtete .
Indessen fügten wir uns , und hielten uns still , um nicht Verdruß zu haben .
Wir gingen der boshaften Kröte aus dem Wege , der , als ob er es gewußt , daß wir eine Nase gekriegt hätten , immer laut und höhnisch hinter uns drein lachte .
Nach Verlauf mehrerer Monate gab es ein Hochzeitsfest , dem viele von uns beiwohnten ; andere hatten den Gämsen aufgelauert .
Wir alle nun heiter , von der Hochzeitfeier und vom Wein ermuntert , an nichts weniger als den dummen Simson denkend , ziehen Alpenlieder singend über das Gebirge ; zum Unglück aber führt uns der Weg wieder vor seinem Tonnenmagazin da oben vorbei .
Diesmal ist er es , der zuerst angreift ; er stürzt sich unter uns , und schlägt einen der Hochzeiter nieder , der sich eben drüben im Dorf nach dem Tanz verliebt und verlobt hatte .
Der arme Junge liegt zu Boden , schreit , und wir merken , daß ihm zwei Rippen zerbrochen sind .
Nun alles her über den Übeltäter , und sie sind nicht übel Willens , ihn gar totzuschlagen .
Da , möchte ich sagen , springt der böse Geist , der den Zwerg immer beherrscht hat , in mich hinein , und ich rufe : » Haltet euch zurück , Freunde , tut ihm nichts !
Laßt uns das Ungeziefer in die große Tonne hier sperren , den Boden wieder verspunden , und das Teufelsgezücht so den hohen Berg in den Abgrund hinunterrollen und laufen lassen . «
Gesagt , getan .
Mit lautem Lachen wirft sich der ganze Schwarm auf den Zwerg ; sein Sträuben nutzt ihm nicht , seine Kraft ist ohnmächtig , denn es sind zu viele , die sich seiner bemächtigen .
Man tut den Armen in das Fass und läßt dies den Berg abwärts rollen , den Abhang hinunter , der ziemlich steil und gewiß eine Stunde Weges sich erstreckte .
Sonderbar ! bei meinen Rat , den ich gab , war ich ganz heiter , mein Gewissen war stumm und meldete sich nicht .
Nun erschrak ich vor mir selber und dem Unheil , das ich angerichtet hatte .
Wir besorgten erst den Beschädigten , und als dieser unter Dach und Fach war , eröffnete ich meinen Kameraden , daß ich entschlossen sei , auszutreten , denn wir hätten etwas Heilloses begangen und würden in schwere Verantwortung fallen .
Sie lachten erst und wollten mir nicht glauben , dann wurden sie still und ratschlagten ; einige gingen hinunter und wollte sehen , was aus dem in der Tonne geworden sei .
Ich ging noch diese Nacht in ein anderes Tal , und von dort lief ich in eine mir ganz fremde Gegend .
Hier eröffnete ich mich einem Priester , der mich aber nicht lossprechen wollte , indem er sagte , der Fall sei zu wichtig , und er müsse die Sünde erst dem Bischof melden .
Das verdroß mich denn auch .
So lief ich immer weiter und kam endlich in protestantische Länder .
Mein Vormund und alle meine Verwandten handelten sehr brav an mir ; man schaffte heimlich und listig mein Vermögen mir zu , denn die Obrigkeit wollte mich strafen ; natürlich hatte man unten den Zwerg nur als Leiche wiedergefunden .
Alle jene lustigen Kameraden wurden gestraft ; ich allein sah mich geborgen .
Mehr beglückt war ich aber , als mein Geist erleuchtet wurde , und ich meinen religösen Irrtümern entsagte , um mein Gewissen und meine Seele frei zu machen .
Sie meinen zwar , Herr , ich sei nun von neuem gebunden ; aber meine Seele bedarf dieser Fesseln vielleicht vorzüglich infolge jener Begebenheit , die ich noch nicht verschmerzen , und die Vorwürfe darüber immer noch nicht beschwichtigen kann , die mich in vielen Stunden peinigen .
Jetzt habe ich Ihnen , lieber Mann , mein ganzes Herz eröffnet . "
Leonhard dankte dem biederherzigen Manne und erzählte ihm dann , unter welchen Umständen er jenen Zwerg auch in einer Mondscheinnacht vor Jahren angetroffen habe , worauf Lamprecht sagte :
" Also hat er doch jenen Gesellen , mit welchem Sie damals wanderten , auch ruiniert , ja , man kann sagen , umgebracht , was er freilich ohne Absicht tat .
Mein Unglück , sowie das manches jungen Menschen , hat er auch veranlaßt .
Es ist immer denkwürdig , wie ich schon sagte , aus welchen Fäden sich so oft unsere Schicksale spinnen . "
Es war spät in der Nacht , und jeder ging eines anderen Weges , um seine Ruhestätte zu suchen .
Am folgenden Tage gab Leonhard den Brief seines Freundes im Hause des Banquiers ab .
Man wies ihn sogleich in ein anderes Zimmer zum alten Herrn selbst , der ihn sehr höflich empfing und sogleich zum Sitzen nötigte .
Nach kurzem Gespräch trat der Kassierer herein und zählte dem verwunderten Leonhard eine bedeutende Summe in glänzenden Goldstücken hin , worauf der alte Mann sagte :
" Ich habe Ordre , Ihnen dieses einzuhändigen , mein Herr , und Ihnen zugleich diesen Brief zu übergeben . "
Leonhard nahm ihn , die Aufschrift war von unbekannter Hand , und er war jetzt überzeugt , daß dieses die Erbschaft sei , die ihm überliefert werde , obgleich er nicht begriff , wie die Exekutoren des Testaments hätten wissen können , daß er nach Nürnberg kommen würde ; doch war die Summe diejenige , die er von dort erwarten durfte .
Er ging auf sein Zimmer zurück , um die Summe Goldes wegzuschließen , und erbrach nun neugierig den Brief .
Sowie er ihn öffnete , war er beschämt über seine Einfalt , denn er erkannte sogleich Elsheims bekannte Schriftzüge .
Der Brief lautete so :
" Da ich Dich , mein Geliebter , und Deine Wunderlichkeiten kenne , so habe ich es vorgezogen , auf diese Weise einen Teil meiner Schuld gegen dich abzutragen .
Und wahrhaft ernstlich würdest du mich erzürnen , wenn du diese Summe ausschlagen wolltest , und mich dadurch so beschämen , daß ich niemals wieder deine Freundschaft oder Hülfleistung in Anspruch nehmen dürfte .
Du bedarfst des Geldes bei deinem Geschäft ; ich bin die Veranlassung daß du dieses versäumtest :
wie könnte ich deiner Friedrike , die ich mir doch zur Freundin wünsche , wieder in die klaren Augen sehen , wenn ich so ganz sündhaft in deiner Schuld bliebe , ich , der Reiche ! wenn andere , die es nicht verdienen , von mir erhielten , und ich durch meinen Egoismus Dich um den verdienten Lohn brächte !
Und sonderbare Freundschaft wäre es , die sich nicht wollte bezahlen , ihre Auslagen wiedererstatten lassen .
Die falsche Großmut sieht aber Dir nicht unähnlich , darum u. s.w . "
Er kann sich nie verleugnen , sagte Leonhard , und freute sich , daß er seiner Friedrike nun die Wahrheit , wenn er zurückgekommen , sagen könne ; doch erhoben sich neue Zweifel , indem er alles bei sich überlegte ; Pläne spannen sich an diese , und so , in tiefen Gedanken sitzend , fand ihn Lamprecht .
Man hatte gestern schon beschlossen , dem greisen Alfert einen Besuch zu machen , und beide begaben sich jetzt nach dessen abgelegener Wohnung .
Als sie in dem stillen Hause die Treppen hinangestiegen waren , und Lamprecht die Stubentür öffnete , fuhr er mit einem Schrei zurück , und lief eilig die Treppe wieder hinunter .
Leonhard war über dies Beginnen erstaunt , und trat in das geöffnete kleine Zimmer , in welchem er den greisen Mann in einem seltsamen Anzuge auf und nieder wandeln sah .
Er trug nämlich jenen alten , weiten , feuerfarbenen Schlafrock , und auf dem Haupt eine hohe Mütze von derselben Farbe , unter welcher , im seltsamen Abstich , die ganz weißen Locken herunterfielen .
Die Flucht Lamprechts war ihm nun erklärlich , denn nach diesem Krieges-Kostüm war heute der Tag der Besessenheit des Alten .
Auch war dieser mit dem vorigen Tage verglichen , ein ganz verwandeltes Wesen .
Seine Augen funkelten zornig , die lange Nase war rot und aufgelaufen , zwei blutrote Fleck glühten auf den beiden Wangen , und sowie er Leonhard eintreten sah , drehte er sich Strafe herum , sah diesem mit wildem Blick in die Augen und schrie mehr , als er sprach :
" Was will Er hier ?
Was hat Er überhaupt bei uns und in unserer Stadt zu suchen ?
Die Tagediebe , die unnützen !
Da schwänzeln sie herum , schnüffeln in den Häusern , in den Kirchen , wo sie nur ihren empfindsamen Zeitvertreib antreffen können , wie die Trüffelhunde umher , graben das schwarze Zeug , das ihnen lecker dünkt , aus dem Boden , und meinen , sich noch damit zu des lieben Herrgotts Dienern und Hundejungen zu machen .
Und Er nun gar !
Nicht wahr , nun rennt der hochmütige Müßiggänger auch noch in die sogenannte Natur hinaus , kostet , leckert , liebelt und pfiffelt da auch herum , in Abendröte und Morgenschein hinein , und macht ein Affengesicht dazu , als wenn alles nun erst seine Bestimmung und seinen Wert erhielte , weil er die Nase hineinsteckt , das Maul dumm aufsperrt und Gottes Schöpfung approbiert ?
Er denkt , Gott Vater kuckt oben zum Fenster hinaus , und sagt zu einigen Engeln , indem er sich die Hände vor Freuden reibt :
Ach ! seht Kinder , nun schaut mein Leonhardchen alles an , was ich so sauber da unten hingestellt habe , die Berge , das Wasser , alle die Waldung ; ja , ja , darauf habe ich lange gewartet , was das Männchen dazu sagen würde .
Ei seht , er billigt alles , er ist mit meinen Bemühungen ganz kontant , er nickt mit dem lieben Köpfchen : so ist doch meine Schöpfung nicht umsonst ! -
Nun , und die Weibsen ?
Denen läuft Er , Dummerjan , doch gewiß am meisten nach , hat wohl schon manchem dummen Gänschen das Gehirn verwirrt , hat sich von anderen an der Nase führen lassen .
Wenn ich nun mein spanisches Rohr dort aus dem Winkel hervornähme und kuranzte Ihn hier in meiner Stube herum , daß Er wie ein Bär tanzen müßte : könnt Er sich darüber wundern ? habe ich Ihn eingeladen , zu mir zu kommen ?
Er also hält sich zu Hause einen alten Narren , der Ihm Spaß machen muß , so einen verschimmelten Magister ?
Ist Er denn nicht Narr genug für seine Haushaltung ?
Ich denke immer , der Flaps könnte noch seine Nachbaren mit versorgen .
Der verteufelte Hochmut in dem Gesindel !
Aber es wird euch gewiß noch einmal zu Hause kommen , euer Komödienspielen , in dem ihr ganz verlernt , was Leben und Wahrheit ist .
Halunken ihr !
Marsch fort , da ist die Tür !
Ich will Sein dummes Gesicht nicht länger vor mir sehen !
Er sieht aus wie ein Gimpel ! die kann ich nicht leiden . "
Leonhard wollte ohnehin hier nicht länger verweilen , und verließ den törichten Alten , dessen Grobheiten ihn nicht beleidigen konnten .
Er besuchte alle die Orte der Stadt , die ihm in der Erinnerung lieb geblieben waren , und richtete sich dann ein , am folgenden Tage Nürnberg zu verlassen .
Als er am Abend schon ziemlich ermüdet an die Ruhe dachte , kam noch der fromme Lamprecht zu ihm , und brachte ihm Abbitte und Entschuldigung vom Besessenen .
Der Anfall war diesmal schneller als sonst vorübergegangen , und er war nun zerknirscht , und saß weinend und bereuend auf seinem Zimmer .
" Er hat nicht den Mut " , sagte Lamprecht , " sich vor Ihnen sehen zu lassen , gegen den er sich so abscheulich betragen hat ; er schwört aber , er hätte alle die Grobheiten ausstoßen müssen , ein innerer mächtiger Geist habe ihn dazu gezwungen .
Da Sie sich für den Magister , seinen alten Schulfreund , so sehr interessieren , so schickt er Ihnen zum Andenken jenes Exemplar des Gryphius .
Sie möchten dabei , bittet er , an seine besseren Stunden denken . "
Leonhard nahm das Buch , dankte und ließ dem Alten freundlichen Gruß und Vergessenheit des Vorgefallenen zusagen .
" Den abscheulichen Wassermann " , sagte dann Lamprecht , " werden sie wohl , wie ich gehört habe , auf drei Wochen streng und bei schmaler Kost einsperren ; auch hat er Abbitte tun müssen , und wird noch in eine große Geldstrafe kondemniert , die dem Armenhause zum Besten kommen soll . "
" Und was macht Ihr Franke ? " fragte Leonhard .
" Er bessert sich körperlich " , antwortete jener , " aber geistig habe ich jetzt viel mit ihm zu tun . "
" Wie das ?
Sie schienen ja so einig ? "
" Sonst immer , aber jetzt muß ich ihm predigen und predigen , daß ich ihm nur sein Judentum wieder aus dem Kopfe bringe . "
" Sie sagten mir ja aber , daß in jedem Jahr diese Verrücktheit an einem bestimmten Tage komme , und ebenso wieder verschwinde : also wird ja mit der Gesundheit sein Christentum von selbst wieder in ihn zurückfluten . "
" Gut gesagt ; aber kann man es denn gewiß wissen ?
Es ist darum doch wahrlich keine verlorene Mühe , unterdes an ihm zu arbeiten , damit er auch während seiner Rückhit an die Wahrheit kräftig erinnert werde .
Auch kann es ja sein , daß jener Wurf mit der Bouteille diese unnütze Phantasterei tiefer in sein Gehirn eingekeilt hat , so daß sie nicht so leicht sich ablöset , wie sonst ; und deshalb fühle ich mich berufen , jetzt bei ihm gewissermaßen die Rolle eines Missionars oder Heidenbekehrers zu spielen .
Ist doch aller Irrwahn nur partielle Verrücktheit . "
Sie nahmen freundlichen Abschied .
Da er wieder allein war , wollte es Leonhard bedünken , als habe Lamprecht , so gut wie Franke und Alfert , seinen Teil von jenem anlockenden Gerichte gekostet , das auf die Sterblichen betäubend wirkt .
Er suchte in sich selbst jene Gegend zu entdecken , wo auch ein kleiner schadenfroher Dämon seinen Küchengarten angelegt haben könne .
Dann betrachtete er nicht ohne Rührung das alte Buch , und las die Zeilen , die der damals junge Magister seinem vermeintlichen Schwiegervater hineingeschrieben hatte .
" Wie rund , wie ängstlich " , sagte er , " wie hoffnungsreich und jugendlich ahnend ist jeder Buchstabe !
Welche Zeit , Not , Erfahrung , Jammer zwischen der verblaßten Tinte und seinem letzten Brief !
Nun ängstet er sich nicht mehr um die Schrift , er zerreißt keck die Lettern , er will nicht sich und die anderen mehr mit der Zierlichkeit bestechen .
Ach ja , auch in der Handschrift des Menschen liegt oft und erzählt sich eine Geschichte , auch eine furchtbar tragische zuweilen .
- Armer Mensch ! arme Menschheit ! "
Noch von diesen Betrachtungen angefüllt , wollte er durch eine der Hauptstraßen dem Tore zuschreiten .
Neben ihm ritt ein schlanker junger Offizier , der vor einem großen Hause , vor welchem ein Soldat schilderte , abstieg , und dem schläfrigen Reitknecht , welcher ihm gefolgt war , sein Roß übergab .
Wahrscheinlich hatte der junge Krieger im Hause seinem Vorgesetzten etwas zu melden .
Der Bediente desselben hielt nun faul und halb schlafend das mutige Pferd , das nur ungern sich langsam auf und ab führen ließ .
Indem erhob sich in der nächsten Straße ein Getümmel , und eine Menschenmasse , die aufgeregt lärmte , zeigte sich bald .
Leonhard konnte dem Strome nicht ausweichen , wie er es gern getan hätte , denn Wassermann war wieder der Held dieses Triumphzuges .
Man führte ihn vom Verhör zurück , und er war erhitzt und trunken .
Die Polizei wollte ihn jetzt in sein Gefängnis zurückbringen ; da er sich aber unterwegs schwach und ohnmächtig angestellt hatte , so waren die Diener des Gerichtes nachgebend genug gewesen , mit dem Klagenden in ein Weinhaus einzukehren , damit er sich nach dem Verdruß und der Erschöpfung wieder etwas stärken möge .
Diese ungehörige Freundlichkeit hatte der Zornige aber in Übermut und Hast so mißbraucht , daß er jetzt , völlig berauscht , indem er bald schrie , bald lallte , durch die Straßen geführt werden mußte .
Jetzt sah er Leonhard , der sich an die Mauer drängte , um seinen Blicken zu entgehen .
" Patron da ! " schrie Wassermann , " sehen wir uns doch einmal wieder ?
Oh , ich habe ein gutes Gedächtnis , Eure Physiognomie ist mir bekannt .
Jetzt haben mich freilich die Philister unter , und ich bin in Banden . -
Laßt mich , ihr Häscher , oder was ihr seid , ein Wörtchen mit meinem vertrauten Freunde da , meinem Intimus sprechen !
Er ist eine verliebte melancholische Seele , und kann hier an meiner Standhaftigkeit sich ein Exempel nehmen . "
So drängte er sich zu Leonhard hin , auf welchen jetzt alle Blicke gerichtet waren .
Indem dieser noch überlegte , wie er sich , dem Tollen gegenüber , vor so vielen Zuschauern benehmen solle , wurde er auf eine sonderbare Weise von dieser Verlegenheit befreit .
Mit Blitzesschnelle riß Wassermann dem träumenden Reitknecht die Zügel aus der Hand , und schwang sich , so trunken er war , kräftig und mit Sicherheit auf das Pferd des Offiziers .
Sowie er im Sattel saß , schrie er laut und trieb das Roß zur Eile , das auch sogleich mit ihm durch die Menschenmasse brach , und im gestreckten Galopp die Straße mit dem Jauchzenden hinunterrannte .
Einen Augenblick war alles in Erstaunen ; aber bald sammelten sich die Polizeidiener , und einer von diesen bestieg das Pferd des Reitknechts , um dem Flüchtigen nachzueilen .
Die Jugend und alle Menschen , welche Neugier versammelt hatte , stürmten nun dort in die Straße hinein , dem Flüchtigen nach .
" Er ist verrückt ! " sagte ein anderer Polizeidiener ; " wo kann er hin wollen ? "
Indem trat der junge Offizier wieder aus dem großen Hause , und war nicht wenig verwundert , keins von seinen beiden Pferden mehr anzutreffen .
Die Erzählung des schläfrigen Richtknechtes verhallte in dem Getümmel und dem Geschrei der Nachlaufenden , Fragenden und neu Hinzukommenden .
" Ihm nach ! nach ! " schrien diejenigen , die mit der Polizei in die andere Gasse liefen .
- " Wer ist es ?
Was ? " andere .
- " Ein großer Räuber ist angekommen ! " rief ein Bürgersmann dazwischen , " und den wollen sie jetzt fangen ; er hat aber den Vorsprung !
Wenn sie nur die Tore zumachen ! " -
Von einer anderen Seite hörte man rufen : " Ein fremder Kurier !
Was der wohl Neues bringe mag ?
Es muß sehr wichtig sein , denn er reitet ja wie toll und besessen . "
Leonhard war mit den übrigen nachgegangen ; das Getümmel und Schreien tönte nur noch aus der Ferne , aber das ganze Stadtviertel war in tumultuarischer Bewegung . -
Nun wurde es stiller , und nach einiger Zeit sah man jenen Polizeioffizianten zu Pferde , welcher das Roß des Leutnants führte .
Auf die Anfrage sagte dieser :
" Er hat richtig den Hals gebrochen , der tolle Bösewicht ; den Abhang dort hinunter , wo er im Karriere niedersprengte , ist er mit dem Pferde auf dem glatten Pflaster schrecklich hingestürzt , den Kopf gegen die Mauer geschmettert , und ist gleich tot geblieben :
das sind die Folgen vom Saufen .
Es ist nur abscheulich , daß wir noch Verdruß wegen des Übeltäters haben werden .
Er konnte aber so schön bitten und so malade und elend tun . "
Man hatte dort , in ziemlicher Entferung , den Toten in ein Haus gebracht , und bei der Untersuchung erklärte der Arzt , daß alle Hilfe vergebens sei .
Der Offizier war sehr erzürnt auf seinen Diener , denn bei dem gewaltigen Sturze hatte sein schönes Pferd auch Schaden genommen , und man konnte nicht sogleich wissen , ob es nicht , außer an den Knien , welche bluteten , auch innerlich verletzt sei .
Viel später also , als er erwartet , verließ jetzt Leonhard die ihm teure Stadt , in welcher er so mancherlei erfahren und erlebt hatte , worauf er nicht vorbereitet war .
Nach zwei Tagen befand sich Leonhard in der Nähe von Bamberg .
War er in Nürnberg immer gerührt gewesen , so war seine Stimmung jetzt mehr erhoben und ihm selber rätselhaft .
Ihm bangte bei jedem Schritte , mit dem er sich den Plätzen näherte , an welche sich so überaus teure Erinnerungen hefteten .
Lebt sie noch ? sprach er zu sich selber , und wie ?
Ist sie verheiratet ? hat sie Kinder ? wird sie noch in Schönheit blühen , oder finde ich eine alte , abgelebte Frau in ihr ?
In diesem Stande verschwindet ja die Jugend meist noch viel schneller , als bei jenen , die sich schonen können , die nicht der harten Arbeit unterworfen sind .
Wenn sie noch lebt und die Ihrigen , so sind sie wahrscheinlich arm , und so kann ich dem Glücke danken , daß es mich gerade jetzt so sehr gesegnet hat , um ihnen helfen zu können .
Mit diesen Empfindungen trat er in die alte schöne Stadt ein .
Er besuchte sogleich den ehrwürdigen Dom , dann zunächst die Plätze , die seine Phantasie geweiht hatte .
Sodann verließ er die Stadt , um nach jenem Dorfe zu wallfahrten , denselben Weg , den er vor Jahren so oft betreten hatte .
Er sah den kleinen Fluß wieder , und als er in die Gegend kam , wo er damals Kunigunde von jenem Rasenden befreite , als er dieselbe Anhöhe seitwärts im Walde entdeckte , wo er Abschied von ihr genommen hatte : fühlte er sich so bewegt , zitterte er in Erschöpfung so heftig , daß er sich in dem Walde verbarg , und sich weinend auf dieselbe Stelle niedersetzte .
" Wie oft mag ihre Stimme hier ertönt sein " , sagte er ; " hier mag sie geruht haben , um meiner in tiefer Wehmut zu gedenken . "
Die Blätter dufteten wie damals , und nach lauem Regen quoll wie damals ein Walddunst von unten empor ; die stillen Bäume säuselten im sanften Winde , an ihren Stämmen glänzte gebrochen und geteilt der Schein der Sonne , und auf das falbe Laub des Bodens fiel der bewegte Schatten der Blätter , der ein Gatter bildete .
" Es muß sein ! " rief Leonhard nach einer lange Pause , und raffte sich gewaltsam auf .
" Ich muß dort die Zauberlinde sehen , unter welcher sie tanzte , das ganz abgelegene Wohnhaus , rundum von Busch und Baum umgeben , den ländlichen Garten , wo ich mit ihr Blumen aufband und Früchte pflückte , ich muß von ihr erfahren , und mein Herz dem eindringenden Schmerz eröffnen . "
Er wandelte weiter , der Linde sowie einigen Hütten vorüber ; kein Mensch begegnete ihm .
Jetzt bog er seitwärts ; noch fünfzig Schritt , da sah er das Haus .
Alles war still .
Die Gattertür vorn war offen und nur angelehnt ; auch dort blühten Malven , Astern und einige andere Herbstgewächse .
Die Haustüre war nicht verschlossen , aber innen alles still , wie ausgestorben .
Dann klinkte er die Tür auf , und war nun wieder in jener alten , so wohlbekannten Stube , er um so viel älter geworden .
Das dämmernde Licht , die kleinen Fenster , das Spinnrad in der Ecke , der hölzerne Tisch : alles noch wie damals , nichts verändert , aber die Menschen waren fort , es war wie ein Totenhaus .
Er warf sich in den ledernen Armstuhl , in welchem der Alte immer zu sitzen pflegte , und überließ sich ganz seinen Träumen .
Plötzlich sah er auf , und eine große , edle Gestalt trat durch die Tür ; sie trug auf dem Kopf den Wasserkrug , und mußte sich neigen , als sie hereinschritt .
" Mein Gott ! " rief Leonhard , " ist es möglich !
Kunigunde ! "
" O Leonhard , mein Leonhard ! " rief sie mit dem freudigsten Ton , und beide stürzten einander in die Arme ; lange ruhte Brust an Brust .
Als sie sich geküßt , geweint , gedrückt und wieder geküßt hatten , traten sie voneinander , und beide sahen sich verwundernd , lächelnd , beseligt an .
" Himmel ! " sagte Leonhard , " du bist schöner und größer geworden , voller und im Ausdruck edler , wie eine Göttin der alten Fabelzeit stehst du vor mir ; es ist ein Wunder mit dir geschehen , denn du bist nicht älter geworden , unter Tausenden hätte ich dich gleich wieder gekannt . "
Sie lachte und sagte : " Älter , ja viel älter bin ich geworden , das versteht sich .
Du siehst aber vornehmer aus , als damals , und noch verständiger !
Ei !
mein Leonhard , wie glücklich bin ich , daß du nun endlich einmal wieder da bist !
Ich habe lange auf dich gewartet , aber ich wußte , und wußte es ganz gewiß , daß du kommen , jetzt , bald kommen mußtest , kurz vor meinem Tode , und da bist du ja nun auch wirklich . "
" Du sterben " , erwiderte Leonhard , " in dieser Fülle und Kraft der Gesundheit ? "
" Ja , ja , mein Leonhard " , sagte sie mit freundlichem Lachen , " und es ist recht gut , daß es so ist .
Dafür und für alles danke ich dem Himmel .
Kannst du denn eine Weile bei mir bleiben ? "
" Einige Tage gewiß " , erwiderte er , " vielleicht eine Woche , wenn es dir nur möglich ist , wenn dich nichts hindert . "
" Komme in den Garten ! " rief sie lebhaft , " dort setzen wir uns wieder hin , wo damals die Rosen so schön blühten ; jene Zeit ist jetzt vorüber , aber diese Tage , in welchen du nun bei mir bleiben kannst , sind meine Rosenzeit - und dann das Grab . "
Sie gingen in den heiteren einsamen Garten hinaus , und setzten sich an jene Stelle .
" Zehn Jahr " , sagte sie dann , " habe ich auf dich gewartet ; kann ich dir jetzt nur zehn Stunden in die lieben Augen sehen , und den Ton deiner Stimme hören ; - ach ! so war die Zeit der Hoffnung ja nicht zu lang , so ist mein Leben ja doch ein schönes gewesen . "
Er sah sie jetzt im Tagesschein , und ihm dünkte , es sei in ihrer Schöne etwas Überirdisches , Verklärtes .
Wie er ihr in das Auge sah , wurde dessen Bläue wie vergeistigt , und er fuhr zurück vor dem Überschwang der Liebe , der ihn aus diesen Sternen anblickte .
" Ja , du bleibst vielleicht mehr als zehn Stunden " , sprach sie dann nachdenklich , " bis er kommt , der uns trennt . "
" Wen meinst du ? " fragte Leonhard .
" Weißt du es denn nicht , o gewiß ! daß ich Braut bin ?
Mein künftiger Mann , der Schreckliche !
Ach , Liebster , bei alledem ist das menschliche Leben fürchterlich ! "
Sie sank laut weinend an seine Brust .
" Oh , meine Eltern " , sagte sie dann , " haben seitdem viel Elend überstanden ; sie sind ganz arm geworden ; diesem Leiden trat noch eine schmerzhafte Krankheit des Vaters hinzu .
Seit ich dich kennengelernt , wollte ich gar nicht heiraten , und das brachte meine Eltern zur Verzweiflung ; denn es hatten sich manche junge und reiche Leute gemeldet , die über unser Elend hinwegsehen wollten .
Ach !
Leonhard , du kannst dir nicht denken , du Glücklicher , wie es das Herz zerreißt , wenn man den Jammer sieht , die Sorge , die Angst der Alten um jeden Groschen , der geschafft oder verwandt werden soll .
Daneben die lauten , und noch schlimmer die stummen Vorwürfe , die Blicke einer Mutter , die nach Hilfe schmachten .
Und nun hat man es in der Hand , mit einem Wort , mit einer einzigen kleinen Silbe zu helfen , dieselben Eltern wieder glücklich zu machen , die Blut und Leben in der Kindheit für uns hingegeben hätten ; nun fallen einem alle die Blicke und Küsse ein , die teure Sorgfalt in Krankheit , wie oft sie sich selbst am Munde absparten , um dem Kinde Freude zu machen , um ihm Arznei zu verschaffen , um ihm ein Spielzeug zu kaufen .
Und ebenso war es schon vorher , lange vorher , ehe man denken und sich erinnern kann ; dieser mütterliche Busen , der jetzt nach einem Labsal schmachtet , hat uns gesäugt ; das tränende Auge hat über uns gewacht ; - sieh , Liebster , man läßt sich endlich von Angst und Not , Liebe und Verzweiflung , und von der Stimme eines Engels , der dazwischenspricht , bereden - und sagt dann das Ja , worüber die Alten aufjubeln , und einem danken , als wenn man sie vom Tode gerettet hätte , wie es denn hier auch der Fall war - aber , Leonhard , ich hätte , um ihr Elend zu enden , nicht einen jener hübschen jungen Männer nehmen können - nicht wahr , das hätte dich noch mehr gekränkt ?
Und weiß ich doch nicht , ob du nicht auch schon längst verheiratet bist . "
Leonhard sah trübe vor sich nieder und fragte dann :
" Und wer ist dieser Auserwählte ? "
" Du kennst ihn wohl " , sagte sie ; " ein Mensch , der dich haßt , der dich damals ermorden wollte . "
Als er wieder Witwer war machte er sich an uns , und bot seine Hilfe an , weil er reich ist .
Er setzte etwas darin , mich nicht aufzugeben , und so habe ich mich drein ergeben müssen .
Jener häßliche Mensch ist es , mit dem du den Kampf damals ausfochtst .
" Der ? " sagte Leonhard , " und er ist hier ? "
" Ach nein ! er ist auf Reisen , wie öfter , und das ist ein Glück .
In acht Tagen etwa wird er zurückkommen .
Er hat seitdem vielerlei Begebenheiten erlebt , und späterhin auch einen anderen Namen angenommen , seitdem ihn ein reicher Vetter in der Stadt zu sich nahm , und ihn zum Erben einsetzte .
Dann ist er in Deutschland und auch auswärts herumgereist und hat viele Weinberge und große Häuser drüben in einer benachbarten Stadt .
Er hat meinen Eltern das größte , bequemste Haus im Dorfe hier verschrieben und vermacht , auch Weinberge , Wiesewachs und Fluren und Triften .
Ach , meine Alten sind seitdem so glücklich !
Oben , am Ende des Dorfes wohnen sie auch in dem großen Hause .
Hier habe ich mir in der lieben alten Häuslichkeit meine Wohnung aufbewahrt , bis dahin wo das Schreckliche geschieht , und der Wassermann zurückkommt . "
" Wassermann ! " rief Leonhard höchst überrascht aus "- o der der kommt niemals wieder ! " -
Er erzählte der Erstaunten nun was sich in Nürnberg begeben hatte .
" Das ändert freilich alles " , sagte sie nach langem Stillschweigen .
Sie gingen hierauf , nachdem beide sich mehr gesammelt und Freude und Rührung überwunden hatten , nach dem großen Hause , zu den Eltern Kunigundes .
Alles geriet hier über die Nachricht von Wassermanns Tode in Bewegung .
Man fragte dies und jenes , man verstand sich nicht ; die Alten , die so lange vom Elend waren verfolgt worden , fürchteten , von neuem unglücklich zu werden , und daß man ihnen den kürzlich gewonnenen Besitz wieder entreißen könne .
Leonhard tröstete und beruhigte sie .
Er fühlte , was in solchen Bedrängnissen ein verständiger Freund den Unerfahrenen sein , wie hülfreich er ihnen werden könne .
Jetzt war es ihm von neuem tröstlich , eine bedeutende Summe bei sich zu haben , weil ihm ahndete , daß er des baren Geldes um die Lage dieser Armen zu sicheren , wohl bedürfen würde Stadt der schönen Ruhe , von welcher er geträumt hatte , wurde er in eine unerwartete Tätigkeit geworfen .
In Bamberg suchte er einen tüchtigen Rechtsgelehrten auf .
Wassermann hatte nur wenige und sehr entfernte Verwandte .
Diese wohnten in der Würzburgischen Stadt , in welcher Wassermann seine Häuser besessen hatte .
In Bamberg war ein Testament niedergelegt , in welchem der reiche Wüstling Kunigunde und ihren Eltern und Verwandten sein ganzes Vermögen vermachte .
Die Ehe aber war nicht vollzogen worden .
Leonhard reiste mit dem wackeren Rechtsgelehrten , der sich der Sache mit großem Eifer annahm , nach jenem Städtchen .
Die Nachrichten und Beweise von Wassermanns Tode waren seitdem auch vom Nürnberger Magistrate eingesendet worden .
Mit den Verwandten , welche gar nichts von dem Vermögen des entfernten Vetters erwartet hatten , war bald ein billiger Vergleich geschlossen , und alle waren zufriedengestellt .
So konnte der größte Teil der Verlassenschaft Kunigunde und den Ihrigen zugesprochen werden , was um so erwünschter war , da nun eine jüngere Schwester ihren Bräutigam heiraten und mit diesem eine Wirtschaft anfangen konnte .
Kunigunde hatte auch noch die Freude , daß ein Bruder von seiner vieljährigen Wanderschaft zurückkam .
Diesem war sie mehrere Meilen in der Freude ihres Herzens , als die Nachricht eintraf , heftig , wie sie war , entgegengegangen .
Dies begab sich in den Tagen , als Leonhard nach jener Würzburgischen Stadt gereist war .
Dieser junge , brave Mann konnte sich nun als Schmied in Bamberg , oder auf einem Dorfe niederlassen .
Die Alten im Gefühl ihres Glücks , waren voll Freude und Dankbarkeit gegen Leonhard , der ihnen mit Aufopferung von Zeit , Geld und Mühe hauptsächlich zu diesen Herrlichkeiten verholfen hatte .
Mit welchen Augen die glückliche Kunigunde ihren Liebling betrachtete , ist leicht zu ermessen .
- Und wie glücklich und unglücklich war er selbst in diesen Tagen , die so reich an Begebenheiten , Freuden und Schmerzen waren !
Siebenter Abschnitt Siebenter Abschnitt Die ersten schönen Frühlingstage waren wieder gekommen .
Mehr als zwei Jahre waren verflossen , seitdem Leonhard in seine Heimat zurückgekehrt war .
Immer hatte er auf seinen Freund Elsheim gehofft , dieser aber wurde durch eine unerwartet eingetretene bedeutende Krankheit seiner Mutter auf jenem fern liegenden Gute zurückgehalten .
Es schien dem jungen Mann Sünde , die letzten Lebenstage seiner teuren Mutter , deren einziges Glück er war , nicht zu erheitern , und so war es natürlich , da sich keine Hoffnung zur Genesung zeigte , daß er ihren Tod abwartete , der erst bei der Annäherung des Frühlungs erfolgte .
Er hatte ihr noch die Freude machen können , ihren längst gehegten Wunsch zu erfüllen , daß er sich nämlich mit Alibertinen vermählte .
Ein Enkelchen , einen Knaben , hatte die alte Frau auch noch vor ihrem Hinscheiden gesehen , und so starb sie denn froh und zufrieden , da sie den einzigen Sohn glücklich wußte .
Elsheim hatte in dem langen Zeitraume nur selten geschrieben ; auch waren seine Briefe nur kurz und flüchtig , so daß Leonhard diese Vorfälle nur summarisch erfahren hatte , ohne die Motive und Veranlassungen näher zu kennen .
Jetzt aber war Elsheim mit Frau und Kind angekommen ; Dorothea , die sich von ihrer innigst geliebten Freundin nicht trennen wollte , war mit ihnen ; der Knabe , welcher , zu Ehren Leonhards , Wilhelm getauft worden war , befand sich wohl und munter , und so waren alle zugegen , die Leonhard als Taufzeugen für sein Töchterchen schon ziemlich lange erwartet hatte .
Elsheim , welcher einige Tage früher ankam , war nicht wenig erfreut und überrascht , seinen Freund so glücklich und heiter zu finden ; jenes sinnige Nachdenken , das ihn sonst oft in den heitersten Stunden überraschte , und welches zuweilen in ein finsteres Träumen ausartete , schien völlig von ihm gewichen zu sein .
Er war so natürlich froh , so ganz in sich befriedigt , so völlig Mann geworden , daß Elsheim im wahren und festgegründeten Glücke seines Freundes sich selber glücklich fühlte .
So war auch seine Gattin , Friedrike , noch selbständiger , als ehemals .
Da man die Taufe bis zur Ankunft der Freunde aufgeschoben , so konnte die junge Mutter schon wieder aus dem Bette sein .
Es war natürlich , daß die beiden Eheleute , denen jetzt zum erstenmal ein Kind geschenkt war , sich liebender erwiesen , daß der Mann der Frau zärtlich und schonend begegnete ; aber der scharfsichtige Elsheim erblickte in dieser wechselseitigen Hingebung noch etwas Innigeres , welches er nicht ganz verstand , jedoch bald einmal die Erklärung desselben von seinem Freunde zu hören hoffte .
War Elsheim verwundert , so erstaunte Leonhard in einem weit höheren Grade über die Verwandlung des Barons .
Jene Munterkeit , die ihn so liebenswürdig machte , war ihm geblieben , ja , man konnte sagen , sie war erhöht , aber gewissermaßen geläutert und verklärt ; denn jenes Schroffe und Herbe , was den Freund in manchen Augenblicken der Übertreibung wegen gestört hatte , war Leichtigkeit und Anmut geworden .
Wenn Leonhard es hätte beschreiben sollen , würde er vielleicht gesagt haben , das Wesen seines glücklichen Freundes sei jungfräulicher , unschuldiger geworden ; denn , daß er glücklich sei , zeigte sich in jedem Blick und jeder Miene .
Friedrike war sehr vergnügt darüber , die Freunde nach einem so langen Zwischenraum wiedervereinigt zu sehen , und zeigte nichts von jener Empfindlichkeit oder Eifersucht , durch welche Leonhard in früherer Zeit sich wohl verletzt fühlen mochte .
Das Fest der Taufe war heiter , und alle erfreuten sich der schönen Aussicht , welche die Zukunft verhieß .
Albertine , nach welcher das Töchterchen genannt wurde , hielt es bei der religiösen Zeremonie ; Elsheim war zugegen , sowie der Professor Emmrich der sich schon seit einem Jahr in dieser Stadt niedergelassen hatte .
Zugleich war der kleine Tischlermeister Krummschuh eingeladen , der sich sehr geehrt fühlte , daß er mit so vornehmen Leuten an dem Feste teilnehmen sollte .
Die kleine fröhliche Dorothea war zurückgeblieben , um dem kleinen Wilhelm Gesellschaft zu leisten , der , obgleich erst ein Jahr alt , schon redete , und gern mit seiner Freundin spielte und scherzte .
Beim Mahle war man herzlich froh , und Albertine und Friedrike sagten sich die freundlichsten Worte .
Es war vorauszusehen , daß sie in Zukunft vertraut und einander unentbehrlich sein würden .
Froher , als gewöhnlich , zeigte sich der Professor , denn er sah Alibertinen schöner , als je ; alle seine Wünsche für sie waren in Erfüllung gegangen .
Auch er fand den jungen Baron ernster , aber edler , und man sprach viel darüber , wie man im schönsten Freundesverein den Sommer zubringen , wie man sich im Winter gemeinsam beschäftigen wolle , was man miteinander lesen , welche Spaziergänge man machen könne .
Elsheim gab selbst der Hoffnung Raum , daß sein Freund mit Frau und Kind doch noch einmal sein Gut an der fränkischen Grenze wieder besuchen könne .
Friedrike begab sich , da sie sich etwas angegriffen fühlte , früher zur Ruhe , und Emmrich geleitete Alibertinen nach Hause ; froh und dankbar verließ Krummschuh die Gesellschaft , und Leonhard und Elsheim befanden sich nun allein miteinander in jener Stube und an dem runden Tisch , an welchem ihnen vor beinahe drei Jahren der alte Magister seine Geschichte erzählt hatte .
Die beiden jungen rüstigen Männer reichten sich die Hände , und sahen sich mit dem Blick der reinen und festen Freundschaft an .
" Liebster Bruder " , fing Leonhard an , " du bist wahrhaft glücklich , nicht zum Beneiden , wie man sich immer ausdrückt , denn ich glaube , ich bin es nicht weniger ; aber noch immer begreife ich es nicht , wie du dahin gelangt bist . Deiner Briefe waren so wenige , immer nur einige Zeilen , anfangs verdrießlich , dann zurückhaltend , dann blieben sie einmal ganz aus , dann wurde mir kurz deine Vermählung , und nach zehn oder elf Monaten die Geburt deines Kindes gemeldet- und so bin ich mit dir ohne historischen Zusammenhäng : unsere Herzen sind eins , aber ich habe dich und dein Schicksal nicht begriffen .
Vielleicht kannst du mir jetzt , in dieser traulichen Stunde , hierüber näheren Aufschluß geben . "
Elsheim lachte herzlich und sagte : " Liebster , wenn ich verdrießlich bin , schreibe ich ungern Briefe , noch viel weniger aber , wenn ich mich recht glücklich fühle .
Ach , und in jenen Tagen , da sich mir das Paradies der Liebe öffnete , wie hätte ich da Worte suchen mögen , wo hätte ich sie auch finden können , dir meine Seligkeit mitzuteilen !
Sehen wir uns , sprechen wir uns doch jetzt ; warst du es doch selbst , der zuerst den seltenen hohen Wert Albertinens erkannte , als ich noch in meiner Verblendung herumlief und nach Wolkenschatten haschte . "
Er wurde ernst und fuhr fort : " Immerdar habe ich an jene Gespräche denken müssen , die wir auf der Reise miteinander führten .
Wer kennt das Leben , wer sich , oder andere Menschen ?
Auch wer klar zu sein glaubt , fällt wiederum in das Trübe , Widersprechende und Unzusammenhängende , und diese Verirrung war vielleicht notwendig , damit man sich jenseits vollständiger wieder antreffen möchte .
Es gibt so viele Romane und Erzählungen , vieles ist geistreich , manches davon gehört zu den Kunstwerken ; aber , so viel ich nun auch weiß , ist jenes Thema noch niemals , oder mit wahrer Menschenkenntnis durchgeführt worden .
Ja , Freund , dieser Rausch und diese seltsame Leidenschaft für jene reizende Charlotte , die mich eine Zeitlang mir selbst entführte , war zu meinem Leben , die Befriedigung derselben zu meiner Ruhe und meinem Glücke notwendig .
Wie schön jenes Wesen ist , welche Gewalt sie über die Sinne und den taumelnden Geist ausüben kann , hast du ja selbst erfahren .
Die Menschen brauchen immer das Wort Liebe , und sie wissen selbst nicht , was sie damit ausdrücken wollen .
Jene Idealisten nun gar , die sie ohne Gestalt und Farbe malen wollen , und nur die Vernichtung des Gemüts und der Leidenschaft darstellen können !
In jedem Menschen , in jeder Situation , in jeder Rede und jedem Blick ist die Liebe , wenn sie wirklich da ist , ein anderes Wesen , ein neues , originelles Individuum , und darum ist dies Thema für den Dichter so unerschöpflich , wenn er ein echter Dichter ist .
So liebt ich Charlotte ungestüm , fast wahnsinnig , und ich habe dir schon damals gestanden , wie mich die Eifersucht peinigte , neben dem sonderbaren Kontrast , daß ich dies verführerische Wesen nicht achten , und noch weniger ehren konnte .
Sah ich doch täglich ihre Unwahrheit und Verstellung , wie sie nur dem Augenblick lebte , und selbst , wenn sie gewollt hätte , unfähig war , im Geliebten den edlen Menschen zu achten .
Und doch war diese ewige Lüge ihrem Leben und selbständigen Geiste keine Unwahrheit :
denn nur so , wie sie war , war ihr Witz , ihre Schalkheit , ihr Beherrschen der Menschen möglich .
Daß alles Ehrbare , Echte , wahrhaft Menschliche und Treue ihr unzugänglich war , goß diesen wundersamen Zauber über sie , welcher unsere noch jugendlich frischen Herzen so sonderbar berauschte .
Hätte man sie achten können oder ehren müssen , so konnte man sie nicht mehr lieben .
Aber auch einzig sie konnte diesen Wollustrausch , diesen feinen und seelenbetäubenden Wonnedurst erregen und befriedigen .
Du hast dies ebenfalls erlebt , ein anderer würde mich vielleicht nicht verstehen .
Als meine Seele und meine Sinne nun befriedigt worden , als ich das Glück genossen hatte , welches mir damals das höchste , wenigstens ein unerlaßliches erschien : wie war nun mein Gefühl ?
Meine erste Besonnenheit war , daß ich dich , Geliebtester , unendlich vermißte ; ich klagte es buchstäblich den Wäldern und Fluren , daß ich dich jetzt schon hatte abreisen lassen , obgleich mich damals dein Abschied erfreute , und deine Reise mir einen Stein vom Herzen nahm .
Noch zu einigen Zusammenkünften fand ich mich ein in jenem einsamen Häuschen dort am Buchenwalde ; aber der Zauber , der mich so golden umsponnen hatte , war zerbrochen und zerrissen , wie von Armida oder Alcinda war die Täuschung abgefallen , und wenn man unter diesen Gefühlen erwacht , so ist die Wirklichkeit gar zu arm und nüchtern , weil der Traum zu wonnereich war .
Emmrich hatte es durch seinen Enthusiasmus dennoch möglich gemacht , daß wir Shakespeare » Wie es euch gefällt « aufführen konnten .
Stadt deiner , wie er es erst Willens war , mußte ich nun jenen kindlichen , ungebildeten und in seiner Natürlichkeit so braven und edlen Orlando spielen .
In den Liebeszenen , welche Albertine so heiter und lieblich gab , fiel es mir jetzt erst auf , wie schön dies Wesen sei , wie edel gebaut , welche Töne in ihrer Brust wohnten , mit welchem Gefühl sie sprach .
Da wirkte eine frühere Ermahnung Emmrichs nach , und seine Worte fielen mit neuer Kraft auf mein Herz , wie ich mich eine Zeitlang wirklich ungezogen gegen sie betragen hatte .
Ich erschien mir wie ein alberner Knabe , daß ich , um meiner guten Mutter nur zu widersprechen , mich so willkürlich gegen alle Vorzüge dieses Mädchens verblendet hatte .
Ich kam ihr näher , war freundlicher , redete sie nach beendigtem Stück fast mit Zärtlichkeit an , und niemals , niemals werde ich den Blick vergessen können , mit welchem sie mich ansah .
Wie soll , wie kann ich ihn beschreiben ?
Er drang mir durch Mark und Bein .
Ein zarter , holder Vorwurf lag darin , ein unendliches Mitleid mit mir , daß ich sie habe verkennen mögen , und doch ein unsäglicher Schmerz ihres eigenen Herzens ; es war als wenn der Blick sagen und mit holdseliger Bitterkeit fragen wollte :
Endlich ?
- Sie wendete sich dann plötzlich ab , und eilte in ihr Zimmer , um sich umzukleiden .
Von dieser Stunde an folgte ich ihren Schritten , und hatte jetzt , im buchstäblichen Verstande , Charlotte völlig vergessen .
Diese trieb schon seit einigen Tagen ihr Wesen mit den Virtuosen , was mich gar nicht mehr interessierte ; aber unser kleiner Kadett wollte wahnsinnig werden , und es war hohe Zeit , ihn in seine Anstalt zurückzusenden .
Meine Sehnsucht nach Alibertinen , meine Bewunderung ihrer Schönheit , daß ich sie immerdar vermißte , und ihre Gegenwart suchte , alles dies wuchs mit jedem Tage .
In einer schlaflosen Nacht mußte ich es mir bekennen , daß es Liebe sei , was mich so quäle und doch peinigend beselige .
Sonderbar ! ich hatte nicht den Mut , ihr dies Gefühl zu gestehen , obgleich ich jetzt schon Emmrichs Worten glaubte , daß die Holdseligste eine Leidenschaft für mich empfinde .
Endlich , in jener abgelegenen Gartenlaube , wo ich sie einmal allein antraf , wagte ich es .
» Wie , Vetter ! « rief sie aus , und ihre wunderschöne Stimme zitterte im klingenden Silber vor tiefer Bewegung : » dies sagen Sie mir ?
Und es kann Ihr Ernst sein ?
Woran soll ich das erkennen ? «
» An diesen stürzenden Tränen « , rief ich , indem ich zu ihren Füßen niedersank .
» Stehen Sie auf ! « sagte sie ängstlich , » es könnte uns jemand überraschen . «
Ich setzte mich zu ihr , sprach , bewies , forderte , wünschte und flehte ; sie aber sah schweigend vor sich nieder , und erhob nur von Zeit zu Zeit das schöne Haupt , um mir scharf in die Augen zu sehen .
Sie schien mit sich zu kämpfen , sie sann über Gedanken , die sie aussprechen möchte , sie stritt mit Gefühlen - endlich sagte sie ; » Und wenn ich nun an Ihre Liebe glaube , wie Sie es nennen ?
Die Leidenschaft nehme ich wahr ; stammt diese aber auch aus jenem Quell , den ich Liebe nennen möchte ?
Und selbst , wenn ich Ihnen glauben wollte , kann ich Ihnen jetzt noch keine Antwort geben .
Doch , ich erscheine Ihnen , der Sie ganz andere Forderungen machen , vielleicht altklug , oder gar prüde .
Nur eins versprechen Sie mir : sagen Sie von dem , was Sie jetzt so heftig zu wünschen scheinen , auch kein Wort Ihrer Mutter .
Sie wissen wohl , welche Pläne sie einst hatte , und ich möchte in dieser Sache von niemand , auch dem Besten nicht , überredet werden .
Vieles , ach ! vieles muß überdies noch anders werden . «
- Mit diesen Worten entfernte sie sich , nachdem ich ihre Hand , die sie mir freundlich überließ , heftig geküßt hatte .
Man wird oft schlimmer , indem man besser wird .
Mein Gemüt war erhoben , ich hatte vieles in mir überwunden , was ich jetzt niedrig nennen mußte , und doch nahm ich jetzt planvoll zur List meine Zuflucht , die ich noch vor wenigen Wochen würde verachtet haben .
Ich suchte mir nämlich die kleine Dorothea zu gewinnen , und dieser ein unbedingtes Zutrauen einzuflößen .
Das war bei dem guten lieben Kinde nicht gar schwer , obgleich sie mich oft gescholten , oder mir auch empfindliche Wahrheiten gesagt hatte ; mein neckender Ton war ihr oft zuwider gewesen und sie hatte sehr oft geäußert , kein Mensch könne Zutrauen zu mir fassen .
Wie es mir also gelang , sie recht treuherzig zu machen , entdeckte ich ihr den Zustand meines Gemüts , und da sie überzeugt war , es sei mein Ernst , versprach sie mir alle Hilfe , und wiederholte mir manche Gespräche , die sie mit Alibertinen geführt hatte , und was diese an mir , den Leichtsinn , eine gewisse Frechheit , von der ich nichts wußte , und der gleichen mehr , aussetzte .
Bei dieser Gelegenheit , Freund , wurde nun dein Lob in allen Tönen gesungen .
Du warst Alibertinen das Muster eines Mannes , diese Kindlichkeit fehlte mir , sowie diese Unschuld , eine gewisse Redlichkeit und dergleichen Haupttugenden mehr , so daß die Kleine auch früher den irrigen Glauben gehegt hatte , Albertine sei sterblich in dich verliebt .
Jetzt teilte sie Emmrichs Meinung , daß sie von einer Leidenschaft gegen einen Undankbaren schon früher sei verzehrt worden , dessen Unart und Frivolität , dessen Verliebtheit in Charlotte , sowie manche Tollheiten , sie immerdar tief verletzten .
Wie gern wollte ich ihr jetzt alle diese Leiden vergüten .
Aber sie wich mir aus , sie vermied mich , soviel sie es irgend konnte .
Oft mußte ich glauben , daß ihr mein Wesen wirklich unerträglich sei , und dies brachte mich in meiner überspannten Empfindung gar oft der Verzweiflung nahe .
In manchen Stunden fiel mir ein , ich wollte fortreisen , und in fernen Ländern , unter anderem Himmelsstrich , mein Gemüt und meine Heiterkeit wiederzufinden suchen .
Ein Blick , der etwas freundlicher schien , bannte mich dann wieder in ihre Nähe , und versöhnte mich auf lange mit mir selbst . -
Doch , wozu die Freuden und Leiden , die Schwankungen meines Gefühls dir schildern ? -
Ich sah wohl , wie aufmerksam sie mich prüfte , wie scharf sie mich aus der Ferne , auch wenn sie mit anderen lebhaft sprach , beobachtete .
Selbst Dorothea machte mir von Zeit zu Zeit einige Hoffnungen , sie meine , ich werde geliebt , nur klagte sie darüber , daß die sonst so zärtliche Freundin sich seit einiger Zeit auch von ihr zurückzöge , und gegen sie verschlossener sei , als jemals .
Wir hatten an einem der schönen Herbsttage einen gemeinschaftlichen Spaziergang in jenen schönen Buchenwald gemacht in welchem du dich auch einmal verirrtest .
Ich führte Alibertinen , Emmrich ging mit Dorothee , der begünstigte Bassist mit Charlotte .
Dieser zündete mitten im Walde ein Feuer an , und Dorothea kochte mit Hilfe Charlottes den Kaffee in der grünen Wildnis ; sie hatten spaßend die Geschirre und allen Bedarf in ihren Körbchen mitgenommen .
So veranstaltete sich unvermutet ein kleines ländliches Fest , und es nahm sich artig aus , wie die rote Flamme , die in dem dürren Reisig hoch aufloderte , die Stämme und die belaubten Zweige der Buchen färbte .
Nachher spazierte man noch , weit vom Wege ab , rechts und links .
Endlich waren wir denn auch völlig verirrt , denn keiner hatte in seinen lebhaften Gesprächen auf den Weg geachtet .
Der Bassist schrie laut , aber vergeblich , von nirgendher eine Antwort .
Wir fürchteten endlich , die Nacht könne uns überraschen , und wie es in solchen Fällen wohl zu geschehen pflegt , alle strengten sich an , um etwas zu ersinnen , dessen Gelingen immer noch mißlich blieb .
Emmrich lief mit Dorothea fort , um Menschen aufzusuchen , der Bassist und Charlotte in derselben Absicht nach einer anderen Richtung .
Diese fingierten den Rettungsversuch vielleicht nur , um sich noch mehr zu verirren .
Man hörte die vier verschiedenen Stimmen noch ein Weilchen , endlich verhallten alle , und ich war mit der schüchternen Albertine ganz allein .
Es war einer der seligen Augenblicke unseres Daseins , denn jetzt bekannte sie mir ihre schon längst gehegte Liebe .
Den ersten heiligen Kuß , den ich auf ihre Lippen drückte , erwiderte sie herzinnig .
So erschüttert , begeistert , zitternd , wagte ich es , damit sie mich ganz kenne , das Geständnis , daß ich mich von Charlotte habe verleiten lassen , meinem besseren Gefühl , der Heiligkeit der Liebe , ungetreu zu werden .
O Leonhard , da lächelte sie über meine Heftigkeit , oder Übereilung , wie soll ich es nennen ?
so milde , so lieblich und herzerobernd , und sagte : » O Liebster , diese deine Sünde ist mir längst bekannt ; ohne daß ich es begehrte , hat mir die plauderhafte Lene dies alles schon damals erzählt , als du noch nach jener Hütte eiltest . « - O Herzensfreund , wie war ich gedemütigt und entzückt zugleich !
denn niemals , in keinem Augenblick , hat sie dieser Charlotte ihren Zorn , oder nur ihre Unzufriedenheit merken lassen , sowenig sie ihr gefallen konnte , sosehr jene sie auch verletzte und kränkte .
Ja , an einem Tage , als Charlotte an Migräne litt , und alle , Dorothea , die Tante und meine Mutter über Land gefahren waren , hat sie sie christlich gepflegt , ihr vorgelesen , sie gewartet , und niemals das kleinste Zeichen gegeben , daß sie von ihr mehr wüßte , oder von ihr gekränkt sei .
Oh , wie tief war ich gedemütigt , wie grausam beschämt !
Aber wie wuchs auch seit diesem Augenblick meine Liebe und Verehrung zu diesem einzigen Wesen !
Ja , es ist mir so gut geworden , wie ich es mir immer wünschte .
Diese stille Laube , dieser Platz im wilden Walde , jede Stelle wo ich mit ihr wandelte , die Bäume , an denen ich stand , und sie erwartete , alle diese Plätze sind mir Heiligtümer geworden , und werden mich noch im hohen Alter prophetisch anreden , und mich mit unsterblichem Zauber locken .
Dort also ist mein Orient und mein Wunderland .
Und glaubst du wohl , Freund , daß , seit Albertine meine Gattin ist , ich in gewissem Sinn verliebter bin als vorher ?
Aber Eros hat mir auch ein neues Herz in meinem Busen geschaffen , in bin ein anderer Mensch geworden . -
Doch , Liebster , warum haben wir den alten Magister heute nicht gesehen ? "
" Morgen laß uns darüber sprechen " , sagte Leonhard , " es ist spät . "
Und die beiden Freunde trennten sich .
Am folgenden Tage aß Leonhard zu Mittag bei seinem Freunde Elsheim , obgleich erst einiger Streit vorangegangen war , weil Leonhard nur höchst ungern seine Lebensweise , selbst dem Freunde zu Gefallen , änderte .
Elsheim hatte keine anderen Gäste , und als sich Albertine entfernt hatte , begann zwischen den beiden Freunden wieder folgendes Gespräch , die vormaligen Begebenheiten betreffend .
" Du bist mir gestern noch manches schuldig geblieben " , fing Leonhard an , " und so will ich denn auch gegen dich , Geliebter , keine Scheu tragen , und frage dreist :
Was ist aus Charlotte geworden ? "
" Ja , ja " , antwortete der Baron , " es ist ganz recht von uns , und geziemt unserer Dankbarkeit , daß wir einer solchen Schönheit nicht vergessen .
Dieses wunderbare Wesen , ja , Freund , sie ist noch immer schön , aber sie hat ihre Bahn , die ihr vielleicht am besten geziemte , auf eine seltsame Weise verlassen .
Mochte sie es überdrüssig sein , so allein und einzeln zu bleiben da sie alles um sie her sich verheiraten sah , hatten die Virtuosen , die nun abgereist waren , ihre letzten Liebhaber , als leichtsinnige Musiker ihr Verdruß gemacht , und vielleicht ihrem Ruf geschadet , genug , sie nahm sich vor , sich ebenfalls zu verheiraten , um als ehrsame Frau , unter dem Schilde ihres Eheherrn , alle Verleumdungen und nachteiligen Gerüchte niederzuschlagen , und da ihr nichts mißrät , was sie ernsthaft will , so war sie denn auch schon nach vier Wochen , zum Erstaunen der ganzen Nachbarschaft , eine ehrbare und unbescholtene Hausfrau . "
" Und wen hat sie geehelicht ? " fragte Leonhard in gespannter Erwartung .
Elsheim antwortete lächelnd : " Der gute Mannlich ist von ihr geheiratet worden , denn einen Monat vorher war es ihm wohl noch nicht als möglich erschienen , daß ihn dies Schicksal betreffen könne .
Aber er ist glücklich mit ihr , sie ist es mit ihm , und wer kann dann noch etwas Erhebliches gegen diese Verbindung sagen ?
Seit zwei Monaten ist er auch Vater eines Knaben , und er weiß es schon jetzt genau , wie er diesen erziehen will , und welche Talente sich in dem Kinde entwickeln werden .
Sie ist völlig umgewandelt , wenn man den Ausdruck von einem Wesen brauchen darf , welches niemals einen Charakter hatte .
Sie hat sich nämlich der Frömmigkeit ergeben , Mannlich hat nachfolgen müssen , und steht jetzt mit den Missions-Gesellschaften und anderen frommchristlichen Bruderschaften in Korrespondenz und enger Verbindung .
Er ist , von ihr angetrieben , so eifrig geworden , daß er oft auf seinem Gute fromme Konventikeln hält ; er Predigt , sie singt , Bauern und Dienstboten helfen , und sein eigener Kutscher schreit bei offenen Fenstern so laut , daß sie es oft , wenn der Wind so steht , auf dem nächsten Gut vernehmen . "
" Und das Komödienspiel ?
Und Berlichingen ?
Und Goethe ? " fragte Leonhard .
" Alles das " , sagte Elsheim , " ist jetzt die allergrößte Sünde und Bosheit , die der Teufel in persönlicher Gestalt auf der Erde eingeführt hat .
Alle Poesie , die geistliche abgerechnet , ist abscheulich ; alle , die sich daran erfreuen , sind ewig verdammt , und kommen mit Shakespeare , Raffael , Lessing , vorzüglich aber mit Goethe , wenn der einmal stirbt , in ein und denselben Schwefelpfuhl . "
" Ist es möglich " , rief Leonhard im höchsten Erstaunen , " daß diese Menschen , gerade diese , sich von ihrer ersten Bahn so weitab verirren konnten ? "
Elsheim sagte : " Gerade diese am ersten , Freund , denn in ihnen ist kein Widerhalt , keine Sperrung und kein Hemmschuh , der dem Laufe abwärts irgend entgegenwirkte .
Ich sagte ihr einmal :
» Schöne Frau , Sie sind noch viel zu jung und reizend , um jetzt schon mit dem Heiland zu kokettieren , der bleibt Ihnen für alle Zukunft gewiß , nehmen Sie doch fürs erste noch einige junge Fantchen in Anspruch , die nichts Besseres wünschen , als von Ihnen aus dem Groben gebildet zu werden « ; - aber - ich wurde mit meiner Sündhaftigkeit , falschem Witz , Arroganz und Übermut von der Frommen schön abgeführt und zur Ruhe verwiesen , so daß ich es nicht zum zweitenmal wagte , sie in ihrem Glauben irremachen zu wollen . "
Leonhard war nachdenklich geworden ; dann sagte er :
" Erinnerst du dich der schönen , bedeutenden Worte Othellos , als er schon alle Schandtaten seiner Frau erfahren hat und sie glaubt als er schon ihren Tod beschlossen hat , wie er immer wieder von seiner Liebe und ihrer Schönheit überwältigt ausruft : » Aber , es ist doch schade !
Jago , es ist schade , -
Wie soll man die Schönheit künftig anbeten , da auch diese ein solches Ende genommen hat ? « "
" Ja wohl " , antwortete Elsheim , " denn sie war schön und ist es noch .
Lange noch wird sie es bleiben , und man muß sich nur darüber am meisten verwundern , daß diejenige , die sonst das Netz nach allen Männern auswarf , nun so prüde und zurückgezogen lebt , und so strenge ist , daß sie auch nicht den unschuldigsten Scherz , auch die harmloseste Leichtfertigkeit nicht duldet .
Albertine ist jetzt , mit ihr verglichen , ein ausgelassener Freigeist . "
" War dies denn nun auch " , sagte Leonhard , " im Buch des Schicksals so niedergeschrieben , oder ist es eine willkürliche Sündhaftigkeit , schlimmer als die vorige ? "
" Mag es sein , wie es will " , erwiderte Elsheim , " ich habe wenigstens dazu beigetragen , meinen ehemaligen Freund und Ausbildner in diese Lage zu versetzen .
Sein Gut ist jetzt schuldenfrei , er kann anständig leben , Sorgen werden ihn nicht quälen , wenn er nicht auf eine wahnsinnige Art wirtschaftet , und die Summe , die ich ihm dazu vorgeschossen habe , werde ich niemals zurückverlangen . "
" Billigst du es nicht auch " , warf Leonhard schnell ein , " da ich jetzt eine Tochter habe , und die Aussicht auf mehrere Kinder wahrscheinlich ist , daß wir unserem Franz , damit er , auch wenn wir sterben sollten , seine Laufbahn machen kann , ein kleines Kapital niedergelegt haben ?
Friedrike war sehr erfreut , als sie mir diesen Gedanken vortrug , daß ich ihn sogleich billigte , und auch von dem Meinigen dem hinzufügte , was sie von ihrem Vermögen dazu bestimmt hatte . "
" Brav , mein Leonhard ! " rief Elsheim , " und ihr erlaubt mir auch gewiß , diesen Fond noch etwas durch meinen Betrag zu vergrößern . "
" Aber wo sind die Virtuosen geblieben ? " fragte Leonhard , nachdem er seinem freigebigen Freunde gedankt hatte .
" Sie reisten von mir nach England " , sagte dieser , " und sind dort beide zu früh gestorben .
Kein Wunder übrigens , da sie gar zu leicht lebten , und weder sich , noch ihr schönes Talent irgend schonten .
Überhaupt aber , Freund , ich möchte mir wegen der Konfusion Vorwürfe machen , die wir durch unser Komödienspielen dort in der Gegend , wo bis dahin dergleichen nie war erhört worden , angerichtet haben .
Du hast es noch mit angesehen , wie jener Ehrenberg von den Dummköpfen bewundert wurde .
Was aber wirst du sagen , wenn ich dir erzähle , daß er jetzt ein Gutsbesitzer und wohlhabender Mann ist ?
Er richtete auf den Gütern von Dülmen und Bellmann ein schönes Nationaltheater ein , man gab die brillantesten Stücke , und von den Weibern spielten die ergrauenden Töchter der Witwe die Hauptrollen .
Plötzlich wollte die eine von diesen mit aller Gewalt den Ehrenberg heiraten .
Widerspruch von allen Seiten .
Aber er kam zu spät , die Liebenden hatten im festen Vertrauen auf ihr Glück ein Hausmittel angewendet , so daß die Mutter wohl ihre freiwillige Zustimmung geben mußte , wenn sie nicht den Ruf ihrer Tochter preisgeben wollte ; wie denn die Unvermählten immer im hoffnungslosesten Zustande gerade dann leben , wenn sie recht guter Hoffnung sind .
Die Theaterwut hatte so überhandgenommen , daß Bellmann und selbst Dülmen von Zeit zu Zeit mitspielten , die jungen Bellmänner , die von Natur Enthusiasten waren , nicht einmal zu nennen .
Aber auch aus dieser Begeisterung hat sich eine Mesalliance entsponnen , die ebenfalls schon ihre guten Früchte , das heißt Kinder , getragen hat .
Da die Lene immer zur Aushilfe herbeigeholt wurde , ja offene große Rollen übernehmen mußte , so hat in einigen der älteste Sohn Bellmann sie so reizend gefunden , daß er sie in einer mondhellen Nacht entführte , und sie nach zwei Tagen als angetraute Gattin in das Haus seines Vaters zurückbrachte .
Der verwilderte Schulmeister hat seitdem immer die allerwichtigsten Rollen gespielt , und erkennt kaum den großen Ehrenberg für seinen Nebenbuhler .
Er hat sich Stiefeln machen lassen , von solcher Künstlichkeit , daß man jetzt sein hölzernes Stelzbein gar nicht mehr gewahr wird , und so hat er zum Erstaunen der Welt den Kaspar den Thorringer , sowie den Otto von Wittelsbach , und selbst den König Philipp im Don Carlos dargestellt .
Die Edelleute , die ihn beschützen und bewundern , sind in den Narren so vernarrt , daß er jetzt wie ein Bruder mit ihnen lebt .
Da er sein Schulamt ganz versäumte , bekam er anfangs oft Verweise , manches Mal selbst scharfe , dann Drohungen , und endlich , weil nichts fruchtete , hat man ihn abgesetzt .
Der Adel der Provinz hat aber für den großen Mann eine Subskription eröffnet , so daß er sich jetzt viel besser , als bei seiner Schule steht .
Nun dirigiert er mit Ehrenberg bei Dülmen , Bellmann , der Freifrau und einigen anderen Edelleuten das Theater und unterrichtet die wißbegierige Jugend im Spiel .
Auch der Verwalter Lenz hat , voll Begeisterung , die Ökonomie aufgegeben , und ist seiner schönen Stimme wegen jetzt Tenorist bei einem großen , namhaften Theater .
Ich wünsche diesem lieben Mann von Herzen Glück und eine fernere Ausbildung seines schönen Talentes . "
" Freilich " , sagte Leonhard , " ist dein gutgemeinter Scherz zu einer ziemlichen Verwilderung ausgeartet .
So geht es aber oft im Leben , und es ist eine gute Andeutung oder Allegorie für die Geschichte der deutschen Kunst .
Es wäre eigentlich nicht uneben , wenn ein guter Kopf die Historie unserer wirklichen deutschen Bühne beschriebe , und uns zeigte , daß es dort eigentlich ebenso hergegangen sei .
Zettel hat ja doch eigentlich bei uns über Sommernacht , Elfen , Fürsten und Herren , und die ganze anmaßliche Aristokratie den Sieg davongetragen . "
" Er ist aber selbst Aristokrat " , wandte Elsheim lachend ein , " und seine Kameraden erkennen ihn als den besten ; müßte er nur nicht eigentlich von dem ganz unfähigen Mondschein verdrängt werden ?
Nun aber " , fing Elsheim nach einer Pause wieder an , " habe ich dir so viel gebeichtet , und deiner Neugierde genuggetan - doch du - wie ist es dir denn ergangen ?
Wo bist du damals geblieben ?
Wie kommt es , daß ich dich so verändert , und zu deinem Vorteil verwandelt , wiedertreffe ?
Nun sprich auch einige gescheite Worte , um mich darüber aufzuklären . "
" Wie gern " , sagte Leonhard .
" Du mußtest , um der Liebe zu Alibertinen fähig zu werden , dich in Charlotte vergaffen , und so war es notwendig , daß ich ein anderes poetisches Abenteuer bestehen , eine alte Sehnsucht meines Herzens sich erfüllen mußte um jetzt ohne Resignation , ohne Gefühl eines Mangels , mit meiner Friedrike ganz und auf meine Lebenszeit glücklich zu sein .
Ich nannte dir damals jene Kunigunde , die ich in der Nähe von Bamberg hatte kennen lernen ; du erinnerst dich vielleicht noch , was mir mit ihr begegnete - "
" Wohl erinnere ich mich " , sagte Elsheim ; " es ist eine Geschichte , die sich nicht so leicht vergißt . "
" Ich ging wieder von Nürnberg nach Bamberg " , fuhr Leonhard fort ; " man kann nicht andächtiger sein , als ich es auf meiner Wallfahrt war .
Die Eltern lebten noch , und waren durch die Großmut eines künftigen Eidams nach dem Elend vieler Jahre wohlhabend geworden .
Kunigunde , voll , frisch , schöner , als je , lebte noch in dem letzt leeren Hause , in dem Gärtchen , unter den alten Geräten , und hatte mich mit der größten Sicherheit erwartet . "
" Dich ? erwartet ? " rief Elsheim im größten Erstaunen .
" So ist es " , antwortete Leonhard , " ich traf sie in dieser ruhigen Geister-Stimmung .
Unser Erkennen war , als wenn wir uns gestern getrennt hätten .
Was soll ich dir sagen , mein Bruder ? -
Ich blieb dort im Hause beinahe drei Wochen , und habe in ihrer teuren Nähe alle Seligkeit ausgenossen , die dem sterblichen Menschen nur vergönnt sein mag .
Ich wußte nämlich , daß ihr bestimmter Bräutigam in dieser Zeit nicht kommen könne , denn ich hatte es in Nürnberg mit angesehen , wie der Berauschte und Wütende dort mit einem Pferde stürzte und umkam ; und dieser ganz Abscheuliche war niemand anders , als jener edle Wassermann . "
" Wassermann ! " rief Elsheim .
" Kein anderer " , sagte Leonhard , " und wie recht hatte daher meine Antipathie , die sich so lebhaft regte , als dieser Widerwärtige sich uns zum erstenmal zeigte .
Sonderbar genug war es auch dasselbe Untier , mit welchem ich schon damals kämpfte und aus dessen Händen ich Kunigunde erlöste ; er hatte sich seitdem aber so in aller Hinsicht verändert , daß ich ihn anfangs nicht wiedererkannte . "
" Die Sache ist aber ganz mythisch " , sagte Elsheim .
" Höre weiter " , fuhr Leonhard ganz ernsthaft fort .
" Sie glaubte fest an ihren nahen Tod .
Ich blieb in der stillen Hütte dort , sah die Eltern und führte das Geschäft ihrer Erbschaft zu aller Zufriedenheit ; dann wieder , von aller Welt vergessen , von niemand bemerkt , jede Stunde , Minute in ihrer Nähe , in ihren Armen , stets Gespräche und Küsse wechselnd , nichts wünschend und vermissend , war ich dort in so manchen Stunden wie auf einer menschenleeren , fernen und unentdeckten Insel im Ozean . "
" Eine Feengeschichte " , sagte Elsheim , " oder sie war mehr eine Kalypso , eine verborgene Göttin , und du ihr Odysseus , nur mit dem Unterschiede , daß du dich nicht mit Tränen nach der Heimat zurücksehntest . "
" In ihrer Seligkeit " , sprach Leonhard weiter , fühlte ich mich am meisten beseligt .
" O Freund , welch tiefes , unergründliches Wesen ist das menschliche Herz !
Welch ein Wunder-Rätsel unverstanden und doch so einfach , die Liebe des Weibes !
In einer unserer schönen Stunden gestand sie mir , daß ich sie nur einmal im Leben gekränkt habe , an jenem Nachmittag , da ich sie von dem Ruchlosen erlöst , sie mir ihre ganze Liebe angeboten und ich diese süßeste Vereinigung , um das Schicksal nicht herauszufordern , verschmäht hatte . "
" Mich dünkt " , sagte Elsheim , " auch Sigune klagt im Titurel auf eine ähnliche Weise , als sie vor dem Leichnam ihres Geliebten in tiefer Trauer sitzt .
Auch hierin ist deine Geschichte Legende und grenzt an das Wunderbare .
Früher verschmähtest du diese Liebe und ihren Triumph , um ihn jetzt nach so manchem Jahr zu feiern ; damals flohst du aus ihrer Nähe , und jetzt , nach langer Frist , machtest du einen Weg von fünfzig oder sechzig Meilen , um deinen alten Fehler wiedergutzumachen und dir die Schöne zu versöhnen .
Sonderbar ! "
" Was auch sonderbar ist " , sagte Leonhard , " daß ich damals in meinem Glück durch keinen Vorwurf gestört wurde ; wir fühlten uns beide nur befriedigt .
Auch nachher , auch seit diesen zwei Jahren , habe ich jene schönen Wochen nicht bereuen können .
Aber , als ich nun zurückkam , war es wie ein Traum , oder wie eine Sehnsucht , oder wie soll ich es nennen , von mir genommen ; jetzt erschien mir meine Friedrike erst im klarsten Licht , meine Liebe zu ihr lebte im schönsten Bewußtsein , und auch sie fühlte , daß ich inniger , herzlicher zu ihr zurückkehrte , als ich ausgereist war , sie sah , daß mein Glück dasselbe blieb und von keiner Laune mehr gestört wurde .
Und so wird es nun bleiben bis in unser Alter hinauf . "
" Und jene lebt noch ? " fragte Elsheim .
" Ach ! Freund " , sagte Leonhard tief erseufzend , " ihr Wesen war so geisterhaft , überirdisch ; sie sprach mit solcher Sicherheit von ihrem nahen Tode , daß ich oft in der Wonne ihrer Nähe schaudern mußte .
In ihren Angelegenheiten reiste ich in das Würzburgische .
Sie erwartete einen Bruder , der lange außer Landes gewesen war .
Wie ich zurückkomme , finde ich die Familie in Tränen .
Sie war dem Bruder zwei Meilen entgegengegangen ; sie hatte sich , wie die Eltern sagten , so erhitzt , daß sie seitdem bettlägerig war .
Sie starb lächelnd in meinen Armen , und machte die Prophezeiung von ihrem nahen Tode wahr . "
" Weißt du denn auch " , sagte Elsheim , " daß alles dies eine wundersame Geschichte ausmacht ?
Mein Himmel , da fehlt ja nur wenig zu einem phantastischen Märchen !
Und doch ist der Grundstoff davon wieder so alltäglich ! -
Aber nun , Freund , bleibt uns noch übrig , daß du mir etwas von deinem alten Magister erzählst . "
" Heute nicht " , sagte Leonhard sehr gerührt , " es möchte nur das Phantastische noch vermehren .
Nimm diesen Brief fürs erste mit , und lies ihn aufmerksam in deinem Hause .
Morgen sprechen wir dann weiter . "
Mit einer herzlichen Umarmung trennten sich die beiden Freunde , beide gerührt und beide nachdenkend .
Dorothea , die nur erst wenig in der Stadt gelebt hatte , war über alles erfreut , was sie sah und hörte .
Auch nahm sie großen Anteil an den mechanischen Anstalten , Fabriken und Arbeiten aller Art. Darum besuchte sie auch gern in Emmrichs oder Leonhards Begleitung dessen Tischlerwerkstätte , und sah den Arbeitern zu , indem sie sich daran ergötzte , zu lernen , wie aus dem rohen vierkantigen Brett durch vielfache Behandlung und mannigfaltige Instrumente nach und nach ein zierliches Gerät hervorgeht , in welchem man nur durch anstrengende Erinnerung seine erste ursprüngliche Gestalt wiedererkennt .
" Und doch ist jenes erste Brett " , sagte sie , " schon von der künstlichen Sägemühle bearbeitet , die es vom Baumstamm so sicher und glatt abschneidet . "
In dieser Freude und Liebhaberei traf sie ganz mit Friederike zusammen , die auch so große Lust an der verständigen menschlichen Tätigkeit hatte .
Diese meinte oft , die Welt sei nur dazu geschaffen , daß sich alles auf ihr rühre und bewege , und je mehr Maschinen klapperten und spännen , Mühlen rauschten und Eisenhämmer tobten , die Webestühle sausten , und Bauleute , Maurer , Bergmänner klopften , rutschten und hämmerten , um so glücklicher sei das Menschengeschlecht .
Deshalb war sie oft in hoher Freude , wenn sie von den Werkstätten ihres Mannes her die Arbeit rauschen und raspeln hörte , die an manchen Tagen in das lauteste Toben ausartete .
Sie pflegte zu sagen : " Dadurch hat die Stille des Sonntags erst einen Sinn , daß sie einen so schönen und heiligen Gegensatz mit dem alltäglichen Lärmen macht . "
Leonhard , sosehr er mit Leib und Seele Handwerker war , widersprach dem oft , und es gab Stunden , in denen ihm das Geräusch seiner Arbeitssäle nicht wohlgefiel .
Heute war Dorothea mit Elsheim gekommen , und nachdem sie sich lange an der Tätigkeit erfreut hatte , ging sie zu Friederike , die nun sehr mit ihr darüber lachte , daß ihr Mann auf des Barons Schlosse für einen berühmten Professor der Baukunst gegolten habe .
Die heitere Friedrike ergötzte sich sehr an den vielen kleinen Anekdoten und Lächerlichkeiten , die dort vorgefallen waren , doch hütete sich das kluge Mädchen , viel von Charlotte und deren verführerischer Schönheit zu erzählen .
Elsheim ging mit Leonhard über den Hof zu dessen abgelegenem Stübchen , wo sie vor den Fenstern den alten Nussbaum sahen und nichts von dem Geräusch der Tätigkeit vernahmen .
Elsheim gab dem Freunde den Brief des Magisters zurück und sagte :
" Mein Leonhard , man dünkt sich klug und erfahren , man meint Gedanken und Schicksale erlebt zu haben , und dennoch möchte ich mich nicht unterfangen zu sagen , daß ich diese seltsame Epistel ganz verstanden habe .
Aber ebensowenig möchte ich behaupten , sie sei Unsinn und enthalte gar kein Verständnis .
Wenn ich mich so ausdrücken darf , so gibt es wohl eine Staffel der Verrücktheit oder des Wahnsinus , die durch das Überschreiten der Vernunftgrenze eine gewisse Heiligkeit und Weihe erhalten hat .
So sahen es oft die Alten an , und im Orient herrscht noch dieser Glaube .
Manche alten Einsiedler und religiösen Erscheinungen , vieles , was wir so geradehin Schwärmerei nennen , muß wohl aus diesem Standpunkt angesehen werden , nur daß diese Überschreitung oder Freimachung des Geistes von der Vernunft aus einer anderen Ursache herrührte .
Und doch war es auch die Liebe , welche eine heilige Therese und ähnliche Gemüter , wie die seltsame Guyon und so viele andere , erregte , vor deren Schriften wir jetzt , wenn wir nicht unbillig sein wollen , mit jener stummen Ehrfurcht stehen , bei der uns das , was wir begreifen , mit Entzücken erfüllt , und die mit einer Art von Gespensterfurcht gemischt ist . "
Leonhard billigte diesen Ausspruch , und erzählte dann , wie er die näheren sonderbaren Umstände von der Verwirrung des Magisters erst bei seiner Zurückkunft von Friederike erfahren habe .
" Diesen Brief " , fuhr Leonhard fort , " schickte sie mir , weil sie ihn gar nicht verstand .
Der alte Mann blieb aber immer wunderlich , und in einem solchen Zustand poetischer Aufregung , daß ihn Friedrike vermied , und noch weniger mit ihm allein sein mochte , weil seine sonderbaren Reden sie ängstigten , und der kleine Franz sie einmal weinend bat , sie möchte ihm einen anderen Lehrer geben , denn bei diesem könne er nichts mehr lernen , da der Alte selber alles vergesse , Ober- und Niedersachsen , Schwaben und Pommern miteinander verwechsle , und ihm die Grammatik so wunderlich erkläre , daß er selber auch ganz verwirrt werden müsse .
Vom Einmaleins und dem Rechnen wolle er gar nichts mehr hören , denn der verwirrte Mann behauptete , zwei Mal zwei mache gar nicht vier , es gäbe keine Zwei , und es sei Sünde und Bosheit , von dieser Zwei nur zu sprechen .
Das Kind selbst war außer sich , und unter dem Vorwand , daß Franz krank sei und sich jetzt nicht anstrengen könne , ließ sie wenigstens fürs erste die Stunden aufhören .
Der Alte aber kam nach wie vor alltäglich in unser Haus , aß am Tisch und schien , wenn sich Menschen zugegen fanden , so wie sonst , nur daß er viel schweigsamer war , vor sich hin grübelte , und nur selten an den Reden der anderen teilnahm .
An einem Nachmittage , als der Alte geblieben war , faßte sich Friedrike ein Herz und sagte zu ihm :
» Lieber Herr Magister , warum wollen Sie nicht wieder so werden , wie Sie ehemals waren ? man verkennt Sie ganz , und dadurch wird man sich fremd .
Sie verdienen aber unser bestes Vertrauen . «
- » Schöne Frau « , fing der Alte an , » es kann geschehen , wenn wir ein Paktum aufrichten , und wenn Sie dies halten und erfüllen , so kann ich wohl wieder ein solcher Mensch werden , wie ich vordem war . «
- » Und was verlangen Sie ? « fragte Friedrike .
- » Wir kennen uns nun schon seit lange « , sagte er feierlich , » aber die Freundschaftsbezeigung haben Sie noch nie an mich gewendet , daß Sie mir einen Kuß gegeben hätten , wie Sie doch manchmal sogar an den kleinen Krummschuh verschwendeten .
Erlauben Sie mir einen einzigen Kuß , und ich bin wieder der , der ich war . «
Die Frau erstaunte erst über diese Forderung , sie sagte aber freundlich , gleich gesammelt :
» Recht gern , lieber alter Freund , wenn das Ihnen helfen kann . «- Sie bot ihm den Mund , und er drückte mit zitternden Lippen einen langen Kuß auf die ihrigen , ging dann weinend aus der Tür , ohne noch ein Wort zu sprechen , und erschien am folgenden Tage nicht , sowenig wie am dritten .
Erst am vierten erhielt nun Friedrike diesen zweiten seltsamen Brief ; nimm ihn hin , Freund , und lies ihn selbst . "
Elsheim las für sich , indes ihn Leonhard auf kurze Zeit verließ , um nach seinen Gesellen im Vorhause zu sehen .
Der Brief lautete so : Werte Frau Vielleicht will es das Schicksal so , daß der Mensch nur Mensch sein kann und darf , indem er zugleich Vieh ist .
Ist das , wie die meisten stillschweigend glauben , so liegen sich Mensch und Vieh immerdar in den Haaren und katzbalgen miteinander , bald dieses , bald jener oben und unten .
Denn es ist so .
Wie oben , oder vielmehr wehe dem , der korrigieren wollte !
Als Peter der Grausame von Kastilien von seinem Bruder Heinrich umgebracht wurde , konnte dies nur geschehen , indem ein dabeistehender Ritter den Heinrich , welcher schon unten lag und gewiß geliefert war , bei den Beinen hervorzog , und ihn auf den Peter legte .
Nun konnte dieser erst vom Bruder erstochen werden .
Artlich ist es in einer nicht unebenen Komödie , wenn ein sicherer Stefano auch bei den Beinen den Trinkulo unter dem Mantel eines Mondkalbes hervorzieht , und ihn so als Menschen und Bekannten erklärt und autorisiert .
Aber in beiden Fällen weiß ich nicht so ganz gewiß , ob Vieh , oder Mensch gewonnen habe ; denn Peter hatte bei seinem Schlimmen viel Gutes , und Trastamar bei manchem Guten viel Schlimmes ; und noch gefährlicher stellt sich die Frage , ob Trinkulo , oder Caliban das dümmere Tier ist .
Bei solchen starken Fällen hat die Weltgeschichte noch nie etwas gewonnen .
Kehren wir es aber ganz um , und setzen , wie viele getan , statt Menschen Engel : o so hebt die konfuseste aller Konfusionen nun erst an !
Muß ein Engel , wie der Finger des lebendigen Direktors in Körper und Kopf seines hölzernen Polichinell puppenspielend arbeitet , der Engel , eine erniedrigte Seele , ebenso in dem Gehäuse von Fleisch und Bein und Blut und Schleim und Gehirn und Schmutz hantieren , kann alles , was man in uns das Göttliche , Edle , Unsterbliche nennt , nur so sichtbar und handgreiflich und bewundernswert ausfallen : so möchte ich mir künftig einmal die Freiheit nehmen , meinen Schöpfer zu fragen , ob denn das Satire sein solle , uns so gar gröblich den Esel zu bohren ; es rieche und schmecke etwas nach einem schlechten Scherz .
Jedes gute , oder schlechte Werk rezensiert sich selbst .
Darum hauen , stechen und schießen sie in unseren vielbeliebten Kriegen ineinander hinein , darum rauben sie und morden uns Geld und Gut , darum treten sie einander hohnlachend mit Füßen , und alles mit Recht , denn , wahrlich , wahrlich , die Kreatur ist nichts wert , und man kann sich an ihr nicht versündigen .
O Du , mein Heiland !
Du , großes Du , Du hast es freilich anders gepredigt .
Die Liebe hätte ja keinen Sinn ; Erbarmen und Mitleid wären ja nur Aberwitz , wenn vom höchsten Gott bis zum lahmen ärmsten Bettler hinab sie sich nicht des tiefer Gefallenen , des Verirrten , des Leidenden und Presshaften , des Hungernden des an der Liebe Verzweifelnden , der Seele , die sich im Schlamm wie der Regenwurm , ringelt und ängstigt , erbarmten , sie emporhöben , sie , wie jene Heiligen den Aussätzigen , an ihre Brust nähmen und erwärmten .
Und was hätte denn diese göttlichste Liebe zu tun , wenn nicht dieses ?
Wäre nichts Schlechtes , Verächtliches , Armseliges da , so hätte sie ja kein Handwerkzeug , um damit zu arbeiten und aus dem elenden kantigen Brett das teure , kostbare vergoldete Schränkchen , in dem nachher Goldpokale stehen , zu hobeln und fein und mit recht mitleidigem Erbarmen zu schnitzeln .
So nimmt der Mensch , er selbst Materie , Schleim , Schmutz Lehm , Knochen und Erde , die sogenannte Materie , nicht bloß in der Gestaltung seines Bruders , und daß er diesen nährt und kleidet , in Schutz .
Durch Arbeit , Tätigkeit und Schweiß ist diese Anstrengung eine fortwährende Erlösung des Staubes vom Tode .
Des Unendlichen Allgegenwart wird kenntlicher , und durch den Hammer und Meißel , Pinsel , Pflugschar und Sense , Federkiel , Druckerpresse und Nadel drückt der Mensch allem Unlebendigen den Bruderkuß auf und spricht , wie der Schaffende ehemals :
" Habe eine Seele ! "
Aber so denkst Du gar nicht , und darum hommt mir wieder das Zittern an , da ich zufällig von Kuß spreche .
O welcher Augenblick !
Gewiß ist in diesem Moment durch die Magie meines Inneren irgendwo ein Geist jung oder geboren worden , und schläft noch in einer Blume Deines kleinen Gartens , und indem Du nun vorbeigehst und meinst , Du erfreuest Dich nur etwas mehr an der hellen Färbung und lieblichen Düftung , ist die leichte Wonne Dir entstanden , weil dieser aufkeimende Geist in Dich schlüpft , und nun Dein nächstes liebes Kind wird , das wohl schon im Embryo in Dir die Wohnung dem kleinen unsichtbaren Sohn meiner Entzückung zubereitet hat .
So steht es wahrscheinlich um die sogenannte Ehe und Treue .
Diese Magie der Liebe ist allmächtig .
Und so wäre ich neulich fast gestorben , aber Du fühltest , Du wußtest nichts davon .
Liegen wir doch auch so in unserer närrischen Blätterknospe , und ich dehne mich nun schon siebenundsechszig Jahre in meiner Hülse , und schlage bald dieses , bald jenes Blättchen um , um mit meinen blöden Augen hinauszuschauen , und irgend etwas zu ergattern , was mir über die Bedeutung meines rätselhaften Gefängnisses recht eigentlich einen Aufschluß geben könnte ; aber immer vergebens .
Ein entzückter Kuß eines Seraphs , der sich verlobte , und der die Magisterwürde eines Cherubims erhielt , hat mich Seele nämlich so freudig und magisch erzeugt - und nun muß ich immer noch auf das dumme Paar warten , das jenen Embryo in ihrer Ehe pflanzt , und die dann vorüberwandeln , mich loben , damit ich in die neue keimende Frucht schlüpfe , um hier endlich sterben zu können , und dann in einem neuen Leben weiterzuleben .
Du verstehst mich aber gar nicht ; Du willst mich auch nicht verstehen :
das habe ich wohl in Deinem Kuß neulich gefühlt .
Und warum ?
Du nicht mein Du ?
Nicht ?
Es wäre mehr als entsetzlich , denn es gibt für mich kein anderes in allen Erd- und Himmelsräumen .
Ja jetzt , das weiß ich nun ganz gewiß , liebe ich .
Das ist die Liebe , die ich erlebt habe .
Warum lebt sie mich nicht aus und schält mich weg aus dieser leeren Hülse ?
Allenthalben habe ich Rat und Trost gesucht , und habe auch jetzt bei den Dichtern meinen dürren Eimer in den Brunnen hinuntergetaucht , um meinen brennenden Durst zu löschen .
Fast alle reden von Liebe , aber immer nur spielend , dahlend , ohne Gewissen und innerlichste Erlebung .
Der Reiz begeistert sie , der farbige Saum der Abendwolke , der fast erlischt , indem man sich daran freut .
Ja , ja , es ist so , die Menschen , auch in der scheinbaren Begeisterung , können nicht über das Ich hinaus , und geraten zeitlebens nicht an das Du .
Den Ovidium , den ich niemals in meiner Jugend gelesen habe , wollte ich mir zu Hilfe rufen ; denn er hat einen eigenen berühmten Traktat unter dem Titel Remedium amoris elaboriert .
Da kam ich gut an .
Nicht einmal mein Sinn , geschweige mein Herz , mochte das Zeug gutschmeckend finden .
Das Vieh , was des Abends in den Stall getrieben wird , sagt mir mehr und Lieberes .
Alter Narr mit der langen Nase !
wie hast du nur die Zeit an diese vielen unnützen Verse wenden können ?
Vielleicht geschah dir kein großes Unrecht , daß sie dich verbannten .
Alle diese Lateiner - nur fatal und fatal .
Sie kannten dich nicht ; sie wußten vom Christentum nichts .
Ja Saus und Braus , Wohlleben , Trunk , Zerstreuung , Kuß und Wollust - wenn das Leben ein Bacchanal ist und sein soll , dann sind sie im Recht .
Aber die Leiden des jungen Werther !
Ja , das ist empfundene und erlebte wahre Liebe !
Aber grausam wird das Herz erschüttert und zermalmt .
Er war jung , und der Dichter vielleicht jung , und ich Greis habe dieses Büchlein wie eine Offenbarung gefaßt und verstanden .
Ach , werte Madame , hättest Du das Büchlein nur einmal gelesen !
Doch was hilft es , wenn Deine Seele nur nach dem Notwendigen und Vernünftigen dürstet ?
Das Salz ist nicht dumm geworden , aber Zunge und Gaumen haben nicht Geschmacksorgane .
Warum soll ich denn noch weiter faseln ?
Es wird nicht anders , Madame , ich bin und bleibe Deren verrückter Fülletreu - denn mit dem Magister ist es auch vorbei .
Leonhard war zurückgekommen , und Elsheim sagte :
" Eine sonderbare Korrespondenz !
doch ist dieses zweite Schreiben schon gemäßigter und etwas besonnener , es deutet die nahe Genesung an . "
" Wollen wir jetzt den alten Mann besuchen ? " fragte Leonhard .
Elsheim war willig , und sie gingen durch die Stadt .
" Wo führst du mich hin ? " sagte Elsheim endlich , als Leonhard stillstand , und in ein großes Haus hineintreten wollte ; " dies ist ja das Narrenspital . "
" Nicht anders " , erwiderte Leonhard ; " aber folge mir getrost , es wird dich kein trauriger Anblick peinigen . "
Sie stiegen die große Treppe hinan , und seitwärts öffnete sich jetzt ein ziemlich großes und helles Zimmer , dessen freie und unvergitterte Fenster auf den Garten führten .
Elsheim hatte Mühe , beim ersten Anblick den alten Magister wiederzuerkennen .
Sein blasses Gesicht , von schneeweißen Locken geziert , erschien ihm viel edler , als damals ; sein Blick war sanft und wie verklärt ; in seinem stillen Lächeln schien der Ausdruck eines außerordentlichen Glücks und einer wohltuenden Beruhigung zu schweben .
Um ihn her am Tische saßen Knaben und Mädchen ; auch Franz , der Pflegesohn Leonhards .
Alle erhoben sich , als der Baron eingetreten war , und dieser rief : " Ich muß nicht stören , geehrter Freund , sonst entferne ich mich wieder . "
Der Alte reichte ihm mit dem Ausdruck anständiger Vertraulichkeit die Hand und sagte :
" Keine Störung , Herr Baron , die Stunde war eben beschlossen . "
Die Kinder erhoben sich alle , nahmen Abschied , verneigten sich vor dem Alten , und einige küßten ihm die Hand .
Jetzt setzten sich die Freunde zu dem Greise nieder , und Elsheim sagte , daß er sich freue , ihn in so schöner Gesundheit und Munterkeit , ja fast verwandelt , nach einem Zeitraum von einigen Jahren wiederzufinden .
" Etwas wundern Sie sich auch gewiß " , sagte der Alte freundlich lächelnd , " mich allhier in dieser Behausung anzutreffen . "
" Ich kann es nicht leugnen " , erwiderte der Baron mit einiger Verlegenheit , " ich vermutete nicht , daß Sie gerade hier wohnten . "
" Dies eben " , sagte der Magister , " ist vor dem Grabe mein letztes Asyl .
Werter Herr Baron , ich bin noch einmal in meinen allerletzten Tagen auf einer hohen Schule gewesen , und habe mich vor unserer werten Frau Leonhard als Doktor habilitiert und prostituiert .
So habe ich mich denn in die Reihe der wahren Menschen inskribieren lassen , nachdem ich mein letztes Examen bestanden ; aufweisen kann ich die Testimonia , daß ich viele recht bedeutende Narrheiten durchgemacht habe und erbötig bin , wenn es die Not erfordert , mich auch künftig nicht saumselig finden zu lassen .
Doch hat man mich auch vielleicht pro emerito erklärt und mir alle Geschäfte abgenommen .
Sie werden erfahren haben , daß mich damals der Genius erfaßte , der tief in unserem Innersten unsichtbar als Regulator sitzt .
Nur in seiner Unsichtbarkeit kann er regieren .
Wenn es so kopfüber geht , daß keiner seiner Befehle , die aus seinem Kabinette ausgehen , respektiert wird ; wenn er sich selbst und sein majestätisches Angesicht zeigen muß , so erzittern alle Kräfte und angestellten Diener so vor seinen furchtbar mächtigen Augen , daß sie ganz ohnmächtig erlahmen , und niemals wieder zu brauchen sind .
So wird der Mensch , was seine Nebengeschöpfe toll und rasend nennen .
In der Jugend sendet dann jener Regulator oft Zorn , Verdruß , Reisen , Arbeit , Ermüdung , Reiten toller Pferde , Leidenschaft und Genuß der Liebe , um die meuterischen Kräfte zu bändigen , sie durch ein Spielwerk zu zerstreuen und ihren Blick nach außen zu richten , damit er unvermerkt die Herrschaft wieder an sich nehme .
Bei dem jungen Werther mißlang aber auch alles , und so steht es denn auch mit einem Alten sehr schlimm , der schwach und einsam auf seinem Stübchen zwischen wenigen Büchern den Spektakel in sich erleben soll .
So schlug ich denn damals , als ich meinen Brief eingegeben , um mich ; ich wollte mich ermorden , ob ich gleich in diesem Geschäft als ein frommer Christ gar keine Übung hatte ; kurz , ich nahm keine Raison an , denn jenes Haupt des Unsichtbaren war mir wirklich sichtbar erschienen .
Aber ein verständiger und menschenfreundlicher Doktor , welcher auch in der Psychologie nicht unerfahren war , brachte mich hierher , und als er durch Härte und Freundlichkeit meine Tobsucht überwunden , bin ich denn nun durch ihn und Gottes Beistand und Güte so taliter qualiter hergestellt und gesund .
Weil wieder Sanftmut und Demut in mir die Oberhand gewonnen hatten , so wurde ich hier einquartiert als ein stiller , friedlicher Revenant , der aus jener Gegend , wo die Räuber hausen und morden , zwar geplündert und geschlagen , aber doch lebend wiederkehrte , zwar recht mürbe gemacht und matt , gar nicht kampflustig mehr , aber gesammelt und in sich gekehrt .
Und so hat man mir denn auch erlaubt , meine Lieblingsbeschäftigung wieder vorzunehmen , und die lieben Kleinen im Schreiben , Rechnen , in der Grammatik und im Lesen zu unterrichten .
Sie ahnden nicht , meine Herren , welche Wonne das ist , so mit Kindern umzugehen , die Fragen zu hören und zu beantworten , die Neugier zu sehen , ihre Innigkeit und Freundschaft zu mir .
Glauben Sie mir , meine Freunde , allnächtlich werden die guten Kindlein , die nämlich , die nicht mutwillig von ihren Eltern verdorben werden , von zarten und kleinen Engeln besucht , die ihnen in den Träumen Saft und Gewürz von den Früchten des Paradieses einflößen und einträufeln , und so duftet mir aus Rede und Gesinnung ihrer Seelen Ruch des Paradieses entgegen .
Daß ich wieder Unterricht in unserer heiligen Religion gebe , hat man mir nicht bewilligen wollen , und ich kann diese Einschränkung nicht tadeln ; denn da mein Geist eine Zeitlang abgefallen war und rebellierte , so ziemt es sich nicht , daß ich vom Ewigen und seiner Offenbarung spreche und Lehre ; es sei genug , daß ich ihn still anbete und um Vergebung bitte . "
Elsheim betrachtete und hörte den alten Mann mit Verwunderung .
Ein so friedliches Genügen , ein so behaglicher , ruhseliger Ausdruck war ihm noch in keiner Physiognomie erschienen .
" Sie kommen also jetzt nicht zu unserem Freunde Leonhard ? " sagt er dann , um nur etwas zu sprechen .
" Nein , mein verehrter Herr Baron " , erwiderte der Alte .
" Ich glaube , jetzt endlich ein gesetzter Man geworden zu sein ; aber wer kann wissen , ob ich in einem unseligen Augenblick doch nicht noch einmal über die Stränge schlüge ; denn jene Kobolde , die unser Leben stören wollen , sind unermüdlich in ihrer Geschäftigkeit , und blasen selbst aus der toten Asche , geschweige wo sie noch Kohlen merken , das Feuer auf .
Ich weiß auch jetzt , daß die Frau Leonhard deswegen so liebenswürdig ist , und daß ich sie auch des wegen so innigst geliebt habe , weil sie mich und mein Wesen , vollends mein philosophisches Delirium nicht verstanden hat und niemals verstehen wird .
Oh , über das Verstehen !
Was ist es denn ?
Wo hebt es an , wo hört es auf ?
Wenn mir eine Frucht , die ich speise , gedeihen soll , so muß sie mir nicht gerade widerstehen ; sie reizt mein Auge , sie ist meinem Gaumen wohlschmeckend ; nun wirke sie kühlend und stärkend auf meine inneren Organe , und wieviel wird noch erfordert , gearbeitet , gekämpft und abgesondert , bis sie wahrhaft verdaut ist und echter Nahrungsstoff geworden !
Wenn wir sie gleich im allerersten Augenblick verständen , und sie uns gleich Kraft und Nahrung gäbe :
was hätten wir daran zu verdauen , um sie uns durch dieses künstliche und geheimnisvolle Manöver anzueignen ?
Auch als Unsterbliche werden wir ewig lernen , und niemals damit zu Ende kommen .
Oh , es ist eine unendliche Wonne , immerdar in sich etwas Neues zu erfahren , und zum erst Begriffenen hinzuzulernen .
Hat man eine weite Bahn durchlaufen , so kehrt man oft mit Erstaunen zum allerersten Anfang zurück , und freuet sich , wenn sich an diesem wieder Neues entdecken läßt .
Sie wird mich in jenem Geisterleben näher kennenlernen und mich allgemach verstehen , und ich werde dann ihr hiesiges Nichtverstehen immer mehr begreifen , und dabei lernen , daß in dieser Unfähigkeit doch wieder ein tieferes Geheimnis lag , als ich ergründet zu haben glaubte .
Denn nur das Ungleiche kann sich verstehen und lieben .
Sie ist mir freundlich gesinnt ; täglich läßt sie mich durch Franz grüßen , der ihr meinen Gruß zurückbringt ; dieses genügt .
Diesen lieben Knaben werden Sie freilich jetzt auf das Gymnasium senden , was auch notwendig ist ; er wird mich aber doch noch zuweilen besuchen können . "
" Gewiß " , sagte Leonhard , " und Sie wissen es ja , ich selbst komme auch von Zeit zu Zeit gern zu Ihnen und freue mich , wenn es Ihnen wohlgeht , und Sie mit Ihrer Lage zufrieden sind . "
" Ich kenne Ihre Freundschaft " , sagte der Alte , indem er Leonhard die Hand gab ; " ich weiß auch , daß es Ihnen was Bedeutendes kostet , daß Sie mich alten Verliebten als eine merkwürdige Rarität hier hinein gestiftet haben .
Da sitze ich nun als ein Denkmal vom Zorne Amors , dessen Herrschaft ich in der Jugend stets verlachte . "
" Ich möchte Ihnen wohl etwas zeigen " , fing Leonhard wieder an ; " aber als ich Ihnen vor einiger Zeit einmal erzählte , daß ich in Nürnberg den alten Alfert , Ihren Jugendfreund , gefunden habe , wurden Sie so traurig und bewegt , daß ich jenes sonderbaren Zusammentreffens niemals wieder erwähnt habe . "
" Damals war ich noch etwas unwirsch " , sagte der Magister ; " aber nun müssen Sie mir recht bald alles aufs umständlichste erzählen , was Ihnen mit dem lieben Menschen begegnet ist .
Ei , was war das ein munterer Bursche !
Was man einen Springinsfeld nennt !
Doch was wollten Sie mir zeigen ? "
" Sehen Sie " , sagte Leonhard , " dieses alte Exemplar des alten Andreas Gryphius , was Sie damals in Ihrer frohen Zeit nach Jessen mitnahmen , um es dem Vater zu schenken . "
Der Alte griff hastig nach dem Buche und schlug es auf .
Dann betrachtete er lange die Zeilen seiner jugendlichen Handschrift und seinen zierlich unterzeichneten Namen .
" Wollen Sie es behalten " , fragte Leonhard , " als ein Andenken jenes Jugendfreundes ? "
" Nein " , sagte der Magister ; " er hat es Ihnen verehrt , und wenn Sie so mein Freund sind , wie ich es mir wünsche , macht Ihnen dies Buch , als eine Kuriosität aus meinem Lebenslauf , gewiß mehr Freude , als mir selber .
Ich war dazumal zu sehr betört .
Den Poeten selber möchte ich auch nicht lesen , denn Sie haben mich seitdem durch Ihren Bücherschatz allzusehr verwöhnt .
Ja , Schiller und Goethe sind deutsche Poeten , und der Shakespeare ein echter Mann ; und daß unser lieber Schiller so vor ganz kurzer Zeit , nachdem ich seine Werke erst hatte kennen lernen , so früh hat sterben müssen , hat mich innigst betrübt . "
" Aber , lieber alter Herr " , sagte Elsheim , " werden Sie mich denn nicht einmal besuchen , da ich Sie so innig hochachte und liebe ? "
" Verzeihen Sie mir , Herr Baron " , entgegnete der Alte , " wenn ich Ihnen mit einem bestimmten Nein entgegne .
Ich überschreite ebensowenig meinen Bann- oder Burgfrieden , wie jener Götz von Berlichingen , welchen Sie neulich auf Ihrem Schloßtheater aufgeführt haben . "
" Aber gehen Sie gar nicht aus ? " fragte der Edelmann ; " genießen Sie die Luft gar nicht ? "
" Doch , doch " , antwortete jener ; " hier in diesem Garten lustwandele ich , sooft ich nur will , denn ich bin frei und an keine Stunden , wie die übrigen , gebunden .
Aber ich gehe auch oft mit diesen - und , sehen Sie , mein Herr Baron , jetzt ist ihre festgesetzte Zeit , da wandeln die seltsamen Philosophen schon auf den sonnigen Plätzen und in den Baumgängen . "
Elsheim warf einen Blick in den Garten und sagte dann : " Aber , Liebster , diese da , Kranke , Elende und Törichte - "
" Nun freilich " , sagte der Magister laut lachend , " sterbliche Menschen , wie unser Falstaff sagt , sterbliche Menschen ! -
Die Brüderschaft können wir doch nicht verleugnen .
Kommen Sie manchmal hierher zu mir , Herr Baron , wenn Sie mich liebhaben ; Sie sehen , mein Stübchen ist hübsch und vom Gebäude dort entfernt , und wenn Sie jene Spekulanten nicht selber aufsuchen , sollen Sie hier niemals von ihnen gestört wer den . "
Sie nahmen Abschied , und unterwegs sagte Leonhard :
" Nun ?
Ist der Alte nicht auf seine Weise glücklich ? "
" Gewiß ! " erwiderte der Freund ; " er mußte wohl auch diesen sonderbaren Umweg machen . "
" Ja wohl " , sagte Leonhard , " eben er , der damals so herzhaft an meinem Tische seinen unbedingten freien Willen verteidigte . "
" Sonderbar immer " , sagte Elsheim , " daß er noch Kinder unterrichtet , und daß du den Franz hierher geschickt hast . "
" Kann es denn schaden " , erwiderte Leonhard , " wenn der Knabe es schon in früher Jugend lernt , daß ein achtungswürdiger Mann , den er lieben muß , hier beherbergt ist ? "
Sie standen jetzt auf dem großen Platz .
" Ich habe eine Bitte an dich " , sagte Elsheim , " laß mich heute mittag mit dir essen , ganz , wie du alltäglich lebst mit deiner Familie . "
Leonhard sah ihn ernsthaft an und sagte dann :
" Lieber , ich weiß in der Tat nicht , ob dir das passen wird .
Du denkst vielleicht , ich bin allein mit Frau und Kind .
Nein , ich habe es nie über mich gewinnen können , wie ich sehe , daß es jetzt andere wohlhabende Meister eingeführt haben , daß sie ihre Gesellen und Lehrburschen außerhalb des Hauses essen lassen , oder ihnen doch in einem anderen Zimmer für sie allein den Tisch decken .
Nein , beim Mittagstisch lebe ich ganz mit meinen Leuten , ganz als Bürger und ihresgleichen .
Sie genießen mit mir aus einer Schüssel , und nur des Abends lasse ich sie meist allein für sich selbst .
Darum nahm ich auch neulich deine Einladung nur ungern an , mit dir zu essen , um meine Hausordnung nicht zu stören .
Du wurdest also die Gesellen bei mir sitzen finden , und ob sie mich gleich respektieren , so spricht doch jeder mit , so wie es ihm gut dünkt ; wir reden von den Arbeiten , sie erzählen oft von ihren Schicksalen und Erfahrungen , Neuigkeiten des Handwerks , die sie auf der Herberge hören .
Ich suche , ohne den Altklugen zu spielen , ihre Gedanken zu berichtigen und immer bei ihnen das Ehrgefühl zu wecken , das richtige , welches dem Charakter des echten Bürgers zum Grunde liegen muß .
Darum lieben sie mich aber auch und würden , das weiß ich , ihr Leben für mich wagen .
Auch hält kein Liederlicher oder Unordentlicher lange bei mir aus .
Die Lehrburschen dürfen nicht sitzen ; auch dürfen sie nur antworten , wenn sie gefragt werden .
Du würdest auch , Lieber , keinen Wein erhalten , denn diesen trinken wir an unserem Tische nur an Festtagen ; und keiner , weder ich , noch die Frau oder Franz ( wenn nicht eins krank ist ) , dürfen etwas genießen , was uns die anderen beneideten , oder wodurch sie sich zurückgesetzt fühlten .
Nach Tische , in meiner Stube , oder auf dem Hofe , können wir uns am Weine laben . "
" Das ist ja gerade alles so , wie ich es wünsche " , sagte Elsheim .
" Es ist sehr schädlich , daß seit lange die sogenannten höheren Stände so völlig abgesondert vom Bürger und Handwerker leben , daß sie diesen nun gar nicht kennen , und auch das Vermögen verlieren , ihn kennenzulernen .
Nicht nur geht das schöne Vertrauen verloren , wodurch sich Höhere und Niedere verbinden und einfügen würden , welches eben aus dieser Kenntnis Stärke und Kraft erwirkte ; sondern der Vornehmere kommt nun auf den törichten Wahn , daß seine Art und Weise des Haushalts , die nichtssagende Etikette , die er einführt , sein nüchternes Leben mit den Bedienten und Domestiken ein besseres , anständigeres sei , und diese Torheit verdirbt nachher den Bürgerstand .
Nicht nur der Gelehrte , sondern auch der wohlhabende Handwerker will nun die adlige Nüchternheit bei sich einführen , die kalte Entfernung von der dienenden Menschenklasse , den leeren Schein , der in Bequemlichkeit , wahrem Genuß und frischem Leben immerdar die Wirklichkeit vertreten muß .
Ja , es kommt dahin , daß der Bürger sich alles dessen schämt , was , wenn er seine Stellung begreift , reelle Vorzüge sind , um die ihn der verständige Adlige beneiden möchte . "
" Wenn du so denkst , so folge mir " , beschloß Leonhard ; " unserem Emmrich hat es schon einigemal bei uns recht wohlgefallen . "
Sie setzten sich um den runden Tisch .
Die Frau saß links neben dem Meister , und bei dieser Elsheim , der heute Franzens Stelle einnahm .
Rechts beim Meister saß der älteste Gesell , der Hannoveraner ; der heitere Martin war seitdem hinaufgerückt und der zweite geworden ; dann folgten noch vier Gesellen .
Beim letzten stand der älteste , schon hochgewachsene Lehrbursche , welcher in der künftigen Woche zum Gesellen gesprochen werden sollte , und neben diesem standen fünf kleinere , deren letzter demnach an der Tafelrunde der Nachbar des kleinen Franz wurde , der als der Sohn des Hauses auf seinem Stuhle saß .
Eine reinliche Magd gab das Geschirr und wechselte die Teller ; die Meisterin legte vor , aber den Braten zerschnitt der Meister .
Elsheim ergötzte sich an diesen Einrichtungen , und unterhielt sich bei seiner fröhlichen Sinnesart besser , wie in mancher vornehmen Gesellschaft .
Es war nahe daran , daß der Hannoveraner seinen Abschied nehmen und in seine Vaterstadt zurückkehren wollte , um sich dort als Meister zu setzen ; darum behandelte ihn Leonhard schon im voraus mit mehr Achtung .
" Ich erzählte dir damals , ehe ich abreiste , mein Gottfried " , sagte Leonhard , " von jener sonderbaren Erscheinung oben im tirolischen Gebirge , welche - ein Zwerg , oder was es war - durch Wirtschaften mit Tonnen und Fässern einen alten Gesellen , mit welchem ich wanderte , völlig um seinen Verstand brachte . "
" Ich weiß , Meister " , sagte Gottfried ; " Sie sagten noch , Sie wußten sich das Ding nicht zu erklären . "
" Seitdem " , fuhr Leonhard fort , " habe ich die Erklärung gefunden , und ich will sie dir und Martin , der damals auch zugegen war , mitteilen , damit ihr nicht doch etwa meint , es könne ein Spuk gewesen sein . "
Martin sagte : " Unser Magister stritt an dem Tage noch viel mit dem Meister , und behauptete immer , es gäbe keine solche Gewalt in uns , die auch den Menschen solchergestalt beherrsche , daß er nichts dagegen vermöge .
» So ? ' meinte der Meister , der Alte aber bestand fest auf seinem freien Willen , und daß man alles könne , was man wolle .
Nachher , als sie ihm die Zwangsjacke anzogen , muß er doch wohl gefühlt haben , daß er im Irrtum war . "
" Das war unchristlich , Martin " , sagte der Meister , " und war selber rot geworden .
- Da Elsheim , der die Geschichte nicht kannte , danach fragte , so trug sie Leonhard noch einmal ganz im Zusammenhänge , wie damals , vor , und erzählte nachher den Schluß und die Auflösung ( ohne jedoch den frommen Lamprecht zu nennen ) , wie er sie in Nürnberg erfahren hatte . "
Man stand vom Tische auf , und Leonhard ging mit der Frau , die bei dem schönen Wetter jetzt schon ein Stündchen im Freien sein durfte , in den Hof ; Elsheim folgte .
Hier setzten sie sich unter dem schönen Nussbaum ; der Kaffee wurde gebracht und eine Flasche guten Frankenweins .
Nicht lange , so wurde durch Dorothea und Emmrich die heitere Gesellschaft vermehrt .
" Setze dich , Gevatter Elsheim " , rief Leonhard in fröhlicher Laune , " du siehst gewiß , daß man auch auf unsere beschränkte Weise ein glückliches Leben führen kann . "
" Wer möchte daran zweifeln , lieber , teurer Gevatter ? " erwiderte Elsheim .
" Wir sind Freunde und Brüder , und in der Hauptsache immer derselben Meinung . "
" Warum " , fing Friedrike an , " verteidigtest du heute mittag deine Meinung gar nicht , daß im Menschen oft ein Wunsch , eine Narrheit , oder dergleichen sei , die stärker wirken , als daß er dagegen mit Glück und Erfolg arbeiten könne ? "
Elsheim nahm das Wort , da Leonhard fast verlegen schien und sagte : " Schöne Frau und angenehme Gevatterin , ich habe seitdem leider nur zu sehr die Erfahrung gemacht und die Überzeugung gewonnen , wie sehr Ihr Mann im Recht ist , wenn er auch jetzt nicht mehr seinen Satz verteidigen und mit Disputieren hindurchführen will .
Wir sind schwache Wesen .
Vielleicht entdeckt in dieser Schwäche eine edle , uneigennützige Liebe unsere Stärke .
Möglich , daß wir uns selbst , unsere Eigentümlichkeiten nur finden können , indem wir sie scheinbar auf eine kurze Zeit verlieren . "
" Das mag alles so sein " , sagte Friedrike ; " für mich aber ist es zu gelehrt .
Das Umständliche und Künstliche ist vielleicht nie das Rechte , das Nächste wenigstens gewiß nicht . "
" Vieles " , sagte Emmrich , " worüber wir jetzt sprechen , und was sich so ganz in das Unbestimmte im Reden verliert , würde vielleicht , in einer Erzählung vorgetragen , ein anderes .
Denn das ist der große Zauber der Kunst , daß in ihrer Form , in Gestalt und Bildung auch das Dämmernde , Sophistische und Unsichtbare dadurch , daß es in sichtliche Gestalt tritt , ebensowohl philosophisch begreiflich wird , als es sich poetisch faßlich darstellt . "
" Wenn ein echter Philosoph und ein wahrer Poet es auffaßt " , sagte Elsheim , " oder Gemüter , die fähig sind , oft ohne es zu wissen , beides zu werden . "
" Still ! " rief Dorothea , " mir gefällt am meisten dies Hobeln , Lärmen und Hämmern aus der Ferne .
Wie hübsch ist das Gefühl hier , daß ein jeder Schlag , den ich vernehme , etwas einbringt ; daß der Gewinn wieder das Gewerbe vergrößert ; daß alles , was gesprochen und gedacht wird , in jenes Kapital hineinströmt , das die Wohlhabenheit befördert , die wieder das Glück und die Zukunft der Untergebenen begründet , damit sie dereinst in dieselbe Stelle treten können . "
" Recht hübsch " , sagte Emmrich ; " viele Leute würden aber glauben , daß das , was Sie eben gesagt haben , aller Poesie geradezu entgegenstrebe , und diese durchaus vernichten müsse . "
" Poesie ! " rief Dorothea ; " ei , so müßten denn auch einmal Dichter kommen , die uns zeigten , daß auch alles dies unter gewissen Bedingungen poetisch sein könnte . "
Die neuen Bretter dufteten ; der Nussbaum bewegte sich in seinen Zweigen , von einem leisen Winde angerührt ; die Werkstätte klapperte und rauschte ; der Kettenhund Mufti schmiegte sich zu Friedreckens Füßen , und die große Cyberkatze saß auf Franzens Schoß , welcher das Tier streichelte .
Frühlingsschwalben flogen hin und wider ; jetzt hörte man den Gesang der Wollenspinnerin aus ihrem Dachstübchen von der anderen Straße herüber , die jenseits des kleinen Gartens lag , und Friedrike sagte , indem sie sich an das Ohr Leonhards neigte :
" Sieh , Mann , heute ist alles ebenso , wie damals , als ich dich aus deinen Träumen weckte ; aber du bist anders , und darum ist auch der Nachmittag jetzt anders , und du hast deine Freunde , alte und neue , und bist Vater , und mein trauter Gatte , und fröhlich und in deinem Gott vergnügt in täglicher Arbeit und Ruhe - und jenes Gespenst , jener Baugeist ist nun auch verschwunden .
Nicht wahr ? "
Sie ging in ihr Zimmer , indem sie Alibertinen , die über den Hof schritt , herzlich umarmte .
Diese folgte ihr , und die Freunde blieben noch unter heiteren Gesprächen beisammen .
- Holder of rights
- Bildungsroman Projekt
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Korpus. Der junge Tischlermeister. Der junge Tischlermeister. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0p8.0