Ansichtskarten

Er sandte ihr Ansichtskarten von überall:

Schloss in P.

Hier müssten »innere Aristokraten wohnen! Solche, zu welchen jeder Fremde innerlich spräche:
»Herr Graf«, »Frau Gräfin«!

Donau bei Y.

Stundenlang sah er dem breiten flimmernden Strome zu, an Weidenzweigen vorübersäuseln! Und er gedachte ihrer. Denn immer gedachte er ihrer; auch wenn er nicht stundenlang dem breiten flimmernden Strome zusah, an Weidenzweigen vorübersäuseln!

Soos bei Baden

»Gedeiht die Weinrebe?!«
Das sind die Seelen-Emotionen der Menschen in Soos.
Glaubst Du, Dichter, sie durchlebten geringere Enttäuschungen, geringere Seeligkeiten als Du?!?
[310] »Gedeiht die Weinrebe?!?« träumen die Menschen in Soos bei Baden.

Laubwald und Burg am Strome

Laubwald und Burg am Strome!
»Dichter, was spürest Du?!«
»Ich spüre: Laubwald und Burg am Strome –.«
»O – – – das spüren auch wir«
»Auch Ihr?!?«
»Auch wir. Spüre Du, Dichter, das Tiefere!«
»Ich spüre das Tiefere. Dasselbe als Ihr. Nur tiefer

Perchtoldsdorf, Platz

Hier ist ein kleines Café. Morgens leer. Vormittags leer. Mittags leer. Nachmittags kommen einige Gäste. Das »Interessante Blatt« ist ganz zerfetzt. Man liest eben gerne von Mord und Kälbern mit zwei Köpfen und löst Charaden und Rösselsprünge in dem kleinen Café am Platze.

Gasthausgarten in K.

Vormittags. Noch ist die rohe Hunger- und Dursthorde nicht eingebrochen!
In friedevoller Schattenschönheit liegt der Gasthausgarten!
[311]

Inneres einer Kirche

Hier ist der Raum, in welchem besiegte Menschenseelen ihre Sedan-Capitulationen unterzeichnen!

Japanischer Apfelbaum

In Japan blühen die Apfelbäume so schön wie in keinem anderen Lande. Aber niemals bringen sie es zu Früchten! Die Blüten, welche ihre Kraft für die Früchte aufbewahren sollen, können nicht so schön werden als die Blüten, welche ihre ganze Kraft für sich selbst, für ihr Blühen verwenden dürfen!!

Worpsweder Künstlerkarte

Die Worpsweder Maler werden der Natur so sehr gerecht, weil sie dieselbe so sehr lieben!
Eben dieses erträumt sich von diesem Künstler »Mann« diese Natur »Weib«!

Gruss aus Rindbach

Abends »fischelt« der See und duftet von geschlagenem Holze am Ufer. Starr steht das Hechtlein im Wasser. Und die Riesenforelle am Brückenpfeiler wedelt mit der Schwanzflosse infolge der Strömung. Junge Wienerinnen im Rindbach-Costüme steigen in Boote. Junge Herren im Rindbach-Costüme berühren sanft im Schatten des Wassers und des Felsens die Hände und Kniee der Damen.

[312]

Gruss aus W. an der Donau

Friedevoller Ort!
So seien unsere Seelen, morgens, abends – –.
Wenigstens morgens, abends!

Allee im Schlossgarten

Hier möchte ich mit Ihnen auf- und abwandeln, Lilith, und Ihre blonden langen offenen Haare küssen, ohne dass Sie es merkten! Denn lose fliessen sie über Ihre Schultern herab. Im Auf- und Abwandeln könnte ich dieselben küssen, ohne dass Sie es merkten, Lilith! Mit meinen Augen!

Salzburg im Schnee

Sommergast, in trägem Reichthume geniessest Du die Natur, ein Schlemmer, Prasser!
Im Winter aber muss Deine Seele tüchtig mithelfen, die Landschaft zu geniessen.
Im Sommer dichtet die Natur für Dich!
Im Winter musst Du für sie dichten!

Blick von der Rax

Grellweisse Steine. Gelbgrüne Wiese mit nassen Stellen. Schwarze Krumm-Kiefern. Hellgraue, vom Winde ausgelaugte Bäume. Hier werden keine kleinen Kinder malträtiert. Hier wünscht niemand, Sectionsrath zu werden. Hier fällt Regen, saust Wind. Hier fällt Schnee, braust Sturm!

[313]

Gosau-See

Ruhiger spiegelnder See – – –. Alles Umgebende nimmst Du auf! Aber Eure Seelen sind so voll Unruhe, dass sich die Welt darin nicht spiegeln kann!

Schatberg-Alm:

Morgens die Sonne erwarten, Abends die Nacht!
Sonst nichts!
Das ist Alles!!

Blumenkorso in Gmunden

Aber den Menschen genügt nicht die stille Natur – – – sie müssen lärmende Feste feiern!

Salzburg, am Mönchsberge

Abgeschiedener Winkel – – – – – –.
Kommet her, zu träumen!
Kommet her, zu weinen!
Kommet her, zu lächeln – – – über Euere Thränen und Träume!!

Traunfall bei Gmunden

So sei Deine Seele! Sie stürze, versinke, verliere sich, zerstäube!
[314] Aber in ruhigerem Bette finde sie dann, gesichert, gesammelt, ihr klares geklärtes Dahin-Wallen!!

*


Sie sandte auch Ansichtskarten von überall. Auf jeder aber stand ganz einfach: »Ich gedenke Ihrer
[315]

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Ansichtskarten. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D8AA-0