Tragödie

Sie war 12 Jahre alt, hiess Piróska.

Er geleitete sie bis zu dem Garten-Gitter.

Da sagte das Kind: »Schreiben Sie mir morgen einen schönen langen Brief! Aber nicht so einen für Kinder. Einen, Sie wissen schon – – –.«

Brief:

Piróska, meine Liebe, Sie werden natürlich das durchaus nicht verstehen, was ich hiermit zu Ihnen sage und vielleicht wird es Ihnen auch niemals erklärlich werden. Denn Sie beginnen den Weg, welchen ich bereits zu Ende gegangen zu sein das Vergnügen habe.

Jawohl, das Vergnügen!

Denn ich habe das Vergnügen, meine Seele, meinen Geist, auf ziemlich beschwerlichen und unwegsamen Pfaden bereits dorthin gebracht zu haben, wo dieselben ziemlich endgiltig ausruhen dürfen von den Strapazen und einen gewissen Überblick haben über das Land, das Land der Träume, der Realitäten und der überflüssigen Emotionen!

Ich wiederhole Ihnen, Piróska, meine Liebe, dass[27] Sie diese Dinge auch späterhin nicht erklärlich finden könnten, niemals. Denn die Wege des Mädchens und der Frau pflegen dort gerade abzubrechen, wo eben die Pfade unserer Weisheiten erst beginnen!

Nun, Piri, mein Liebling, das möchte ich Dir auf jeden Fall mittheilen, dass alles Jugendliche, welches ich antraf auf meinen Lebens-Wegen, mir alt vorkam, greisenhaft, gebrechlich, leicht zu erschüttern, aus dem Geleise zu bringen und zu schwächen vor lauter mühseligen Hoffnungen und Tages-Träumen und sehnsüchtigen Emotionen und Unentschiedenheiten in Dem und in Jenem. Die jungen Mädchen, welche ich sah, besassen bereits die Falten und gereizten Züge unruhiger Lebens-Sehnsuchten in ihrem milden Antlitz, ja sogar in ihren Augen. Die Jünglinge wieder waren blass oder puterroth vor todtem, gleichsam gestocktem, durch Generationen aufgehäuftem und mitgeschlepptem Ehrgeiz, welcher wie Blei in ihrem Nervensystem lag und die Lebensfülle bedrängte! Selbst die Natur, diese friedevolle, schien unruhevoll zu sein und sich zu sehnen, der Sommer nach dem Herbste, das baumelnde Blatt nach Fallen, Ruhen, Modern, das Wasser nach Verdunsten, die Wolke nach Concentration in Tropfen. Alles, alles war alt vor inneren Unruhen, vor überflüssigen Bewegungen, welche den Organismus schwächen und gleichsam die edelsten chemischen Verbindungen, Organisirungen auseinanderschütteln und verhindern. Gebt Ruhe! [28] Siehe! Bismarck's und Goethe's Geist waren von Anbeginn voll Ruhe. In unerschütterlichen Sicherheiten waren sie, Tag und Nacht, zu jeder Stunde, niemals bedrängt von sich selbst, so wenig wie die Lunge von ihrem Athmen, das Herz von seinem Klopfen bedrängt würde!

Sie wirkten, ruhevollst!

Aus diesem Frieden wuchs die Kraft, die Grösse!

Nie störten sie durch voreilige Träumereien die »heiligen Mischungen«, welche in diesen Natur-Retorten sich ereigneten!

So sei Dein Herz, oh Mensch; so wachse, Frauenseele!

Alles also, wie gesagt, Piróska, Piri, mein schöner Liebling, war alt und kam mir alt vor, vor lauter Jugendlichkeiten, weil es an sich selbst rüttelte, Thore vorzeitig aufzusprengen suchte und zu Erlösungen stürmisch zu kommen trachtete!

Da erblickte ich Dich, Kind – – –.

Da erblickte ich Dich und der heilige Friede der Unbedenklichkeiten, der inneren Harmonieen, mit einem Worte der von ihren Irr-Gängen gleichsam erlösten Welt, offenbarte sich mir in Deinen Kindlichkeiten!

Piróska, Piri – – –!?

In Deiner zarten Gestalt lag es, in Deinen sanften Beweglichkeiten lag es, auf Deiner schönen Stirne lag es und überall. Willenlos, vom Wollen erlöst, wunschlos, vom Wünschen los, ohne Anfang, ohne Ende, ein in sich gesichertes Sein, lebst Du, [29] Piróska, wie der Stern auf seiner ihm selbst mysteriösen Bahn, wie das Genie, welches sich verlässt auf einen Gott in ihm!

Da sitzest Du, Piri, meine Liebliche, in ewiger Jugend, nimmst meinen freundschaftlichen Blick an in Gemessenheiten, meinen wärmeren Händedruck, meine sanfteste Berührung Deiner seidenen Haare –.

In Ruhe lächelst Du.

Eine Blume giebst Du mir hin, welche ich natürlich küsse. Du wirst nicht roth, nicht blass dabei. Wie der See weder erröthet noch erbleicht, wenn der Dichter ihn besänge oder sogar sich vor ihm verneigte im Abendfrieden!

Piri, bleibe jung! Bleibe jung, Piri, indem Du niemals jugendlich wirst und einherstürmest innerlich. Bleibe jung, indem Du selber unbeweglich bleibest und die Schönheiten und Bitterkeiten dieser Welt in Dich einströmen lassest, und, gleich der Seelen-Constitution edler Griechinnen, Dir Wunden gerade so tief nur schlagen lassest vom Leben, dass sie noch leicht und schön vernarben könnten und eine neue Zierde Deiner unzerstörbaren Seele würden! Wie Schrammen von Helden, welche von Siegen kämen!

Bleibe ruhig! Dem unbeweglichen Fischer kommt der Lachs an die Angel!

Bleibe ruhig, Piróska, lasse Dich nicht erschüttern von Dir selbst, von Träumen und Vergeblichkeiten!

Bleibe ruhig! Dann wird diese herrliche bewegte strömende Welt in Dich sich ergiessen, weil sie[30] selbst, diese Rastloseste, ja einen Hafen der Ruhe sucht! In Deine ruhevolle Seele wird sie sich ergiessen, Piróska, und wird Dich ausfüllen und reich machen.

Glücklich?!? Nein, reich!!

Piróska, meine Liebliche, ich vermuthe, Du wirst diese Dinge niemals ganz erklärlich finden. Weshalb?! Weil Eure Wege, Frauen, dort abzubrechen pflegen, wo die Pfade unserer Weisheit erst beginnen – – –!


Dein Giwril.


–––––

»Sehr geehrter Herr!

Piróska's Mama dankt hiemit sehr für die wunderbaren Worte, welche Sie an ihr Töchterchen gerichtet haben.

Möge Piri einst – – –. Auch Piróska's Papa bittet mich, seine Grüsse beizuschliessen.
Ergebenst«

–––––

Mehrere Schreiben hin und her zwischen Giwril und Piri.

Eines derselben beginnt: »Lieber, lieber, lieber, lieber – – –.«

Einmal schreibt er: »Wie behandeln Sie die Damen im Institute?! Gewiss mit Gerechtigkeit. Nun gut. Wie gerne möchte ich Ihr Lehrer sein, Piróska. Sie müssten in einem wunderbar bequemen englischen Sessel ruhen und ich würde über Friedrich [31] von Schiller sprechen: Den Extract aus Millionen wässerigen verdünnten Herzen repräsentirt das Herz des Dichters. Den puren Extrakt, verstehen Sie mich?! Und schrecklich ereifern würde ich mich.«

Ein anderes Schreiben schliesst: »Mögen die Damen im Institute Sie gut behandeln. Eigentlich sollte es heissen: ›Erwerben Sie sich die Achtung der Damen im Institute, Piróska.‹ Nun gleichviel, lebe in Frieden!«

–––––

»Sehr geehrter Herr!

Mein Mann und ich bitten Sie sehr, im Interesse der Erziehung unseres Kindes, Ihren für uns so ehrenden Briefwechsel einzustellen. Indem wir Ihnen für Ihre Freundschaft zu unserem Kinde danken, ja, voll Dankbarkeit sind, zeichnen wir achtungsvollst«

–––––
Piróska an den Herren:
»Was ist?! Was giebt es?!?
Verstummt?!?
Was gibt es?!? Oh, was giebt es?!
Piróska.«
–––––
Piróska's Mama sendet Blumen, welche jedoch nicht acceptirt werden.
–––––
Eines Abends fängt Piróska plötzlich schrecklich zu weinen an.

Da nimmt Mama sie auf den Schooss, hält sie [32] zärtlich, zärtlich an sich gedrückt, während Papa verlegen in der Zeitung blättert – – –.

–––––

Nachts aber nahm die Dame jenen ersten sorgsam verwahrten Brief an Piri hervor und las: »– – – bleibe jung, indem Du selber unbeweglich bleibest und die Schönheiten und die Bitterkeiten dieser Welt in Dich einströmen lassest, und, gleich der Seelen-Constitution edler Griechinnen, Dir Wunden gerade so tief nur schlagen lassest vom Leben, dass sie noch leicht und schön vernarben könnten und eine neue Zierde Deiner unzerstörbaren Seele würden! Wie Schrammen von Helden, welche von Siegen kämen!«

Die Dame träumte: »Möge Piri einst – – –«.

[33]

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TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Tragödie. Tragödie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DC63-C