Trostgedicht.

Bin ich dir denn nicht mehr, als eine ganze Welt,
Als alles, was sich mit Grimassen
Vertraut, und um dein Glück bekümmert stellt?
So lang' die Liebe mir dein Herz erhält,
Und deines sich in meinem Arm gefällt;
So laß zu eig'nem Schimpf dich Thoren lästern, hassen:
In ihren Adern fließt auch Menschenblut.
Wie? hätten wir denn nur allein gesündigt,
Und sie der Pflicht bei reicher'm Uebermuth
Nie den Gehorsam aufgekündigt?
Was meinst du, Mädchen? Spar' den Thränenbach,
[215]
Aus Sehnsucht bloß nach mir laß deine Perlen fließen,
Der Kummer macht das Herz nur doppelt schwach,
Und läßt den Feind den Sieg zu leicht genießen.
Bleib' heiter, wenn dich auch verstellte Lippen schmäh'n,
Und dir dein kleines Glück beneiden.
Daß Zephyrs Spiele dir die Haarfrisur verweh'n,
Mußt du das nicht geduldig leiden?
Allein dein Herz, das frag', ob es dich nicht verklagt,
Ob da nicht Falschheit wohnt, ob da nicht Triebe lodern,
Für die's dem sittlichen Gefühl entsagt,
Und die nur Wollust zur Befried'gung fodern?
Ob nicht der Wunsch, für jeden schön zu sein,
Und jedem Jünglinge erorbernd zu gefallen,
Sein Hauptwunsch ist? – O möcht' er's doch nicht sein!
O möchte doch für mich allein dein Busen wallen!
Gibt dir dein eig'nes Herz nur Recht,
[216]
Und zwingt dich nicht, vor dir selbst zu erröthen;
So wird der Neider schlangenartiges Geschlecht
Sich einst mit eig'nem Gift zu deiner Rache tödten.
Schwermuth macht nur die Rosenwangen blaß,
Und welkt kernfeste Marmorhügel,
Der Kummer und der Thränen salz'ges Naß
Verdirbt der Augen Glanz, beschneid't des Geistes Flügel.
Wein' nicht, denn Liebe war nie eine Frevelthat,
Die Herzen ehrlos macht; nur dann entehrt sie Herzen,
Wenn Unbestand und Leichtsinn und Verrath
Mit ihren Flammen treulos scherzen;
Wenn Lippen sprechen, was das Herz nicht fühlt,
Wenn ihre Glut Entfernung tilget,
Wenn buhlerisch zu frei das Auge spielt,
Wenn jeder Kuß ihr Irrlichtfeuer kühlt,
Sie jede Schmeichelei und jeden Handdruck bill'gt.
Nur Eines Herzens Abgott sein,
Nur Einen voll Gefühl ganz glücklich machen,
Nur Einem jeden Raub der Zärtlichkeit verzeih'n,
[217]
Der Wollust Altar selbst zu üppig nicht entweih'n,
In Eines Armen nur die Welt verlachen;
Das ist die Liebe, die die Welt umsonst beneid't,
Die sie umsonst verläumdet und verschreit.
Zwar lebt sie auch nicht ohne Zähren,
Doch stets ist mild wie Balsam ihre Traurigkeit.
Wenn deine Thränen doch auch solcher Balsam wären!
Schmähsucht und Haß der Zeit sind keine Thränen werth,
Laß keine mehr um sie den weißen Busen netzen,
Stets glänz' die freie Stirne aufgeklärt,
Sei stets vergnügt mit deinen Schätzen,
Mit Schätzen, die dir die Natur, als sie dich schuf,
Freigebig zugewandt; sei froh mit dem Beruf,
Von mir geliebt zu sein, und mich zu lieben.
Bloß die Idee, einst nicht mein Mädchen mir zu sein,
Nur die muß deiner Freude Sonnenschein
Mit einem Kummerwölkchen trüben.
[218]
Denn der Gedank', nicht mehr von dir geliebt zu sein,
Und mich vergessen, dich in fremdem Arm zu sehen,
Der schreckliche Gedank' allein
Reißt alle meine Freudenschlösser ein,
Und kann jedweden Trost so leicht zerstreu'n,
Wie Rosenblätterchen, wenn Stürme wehen.
Kleine Wittwe, weine nicht,
Und verhülle dein Gesicht
Nicht so früh in des Kummers Schleier;
Wenn des Lebens Morgen flieht,
Und die Rose aufgeblüht,
Dann verlöscht so der Freude Feuer.
Sterben – freilich ist's wohl gut,
Und wohl dem, der ewig ruht,
Leben ist aber doch noch besser.
Muth, mein Kind! denn Kampf und Streit
Dämpft der Thoren Dreustigkeit,
Und Geduld macht sie oft noch größer.
[219]
Kleinmuth nur wünscht sich den Tod.
Wider Haß, der jetzt dir droht,
Mädchen, soll meine Glut dich schützen:
Wenn dein Busen nicht mehr schlägt,
Nichts mehr nach der Liebe frägt,
Was kann da dir mein Beistand nützen?

Anonym. [220]

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TextGrid Repository (2011). Anonym. Gedichte. Nuditäten oder Fantasien auf der Venusgeige. Trostgedicht. Trostgedicht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DDE2-8