[64] Abbildung der vollkommenen schönheit.

HOldseliges geschlecht / hör an / ich will dichs lehren /
Wie es gestalt muß seyn / was man für schön soll ehren.
Liß diese zeilen durch / so wird dir seyn bekant /
Wodurch die Helena so trefflich schön genant.
Der leib muß seine pracht erst von den farben haben /
Von diesen müssen drey sich gleichen schwartzen raben /
Drey müssen wie der schnee so weiß sein anzusehn /
Drey die an röthe selbst den purpur übergehn.
Drey andre müssen ruhm durch ihre kürtz' erlangen /
Hingegen andre drey mit schöner länge prangen;
Drey müssen seyn was dick / doch wohlgebildt dabey /
Darneben müssen schmal und schlank seyn andre drey.
Die weite muß man auch an eben so viel rühmen /
Und andern gleicher zahl will eng zu seyn geziemen.
Wenn man zu diesen fügt drey / welche zierlich klein /
So kann die schönheit selbst nicht vollenkommner seyn.
Die augen preiset man / die schwartzen kohlen gleichen /
[64]
An strahlen aber doch der sonnen selbst nicht weichen;
Und um dieselbe muß ein schwartzer bogen gehn /
Dadurch diß sternen-paar kan überschattet stehn.
Zum dritten muß der pusch / der jene höle decket /
In welcher Venus selbst das ziel der brunst verstecket /
Gantz eingehüllet seyn in schwartze dunckelheit /
Weil Amor solch ein kind / das sich im dunckeln freut.
Die haare müssen seyn so weiß / als reine seide /
Der alabaster-halß / wie nie berührte kreide /
Die zähne müssen recht / wie blanckes helffenbein /
Wenn sie von tadel gantz entfernet sollen seyn.
Der mund muß röther seyn als brennende rubinen /
Soll sonst der lippen saum den rechten preiß verdienen.
Die wangen / die nicht roth / sind nicht vollkommen schön /
Und auf den brüsten selbst muß roth am gipfel stehn.
Die zähne müssen kurtz nur seyn in ihren reihen /
Derselben masse sich die füsse gleichfalls weihen.
Diß einz'ge giebet auch den ohren ihren preiß /
Daß man / wie andre theil / sie schön zu nennen weiß.
Es muß ein schöner leib sich nach den g'raden fichten /
Die wie die säulen stehn / in seiner länge richten.
Die hände / die mit lust der liebe zügel führn /
Muß / wenn sie zierlich sind / gewünschte länge ziern.
Und soll dem Venus-sohn die liebes-jagt gelücken /
Muß er aus langem haar ihm netz und sehnen stricken.
Denn soll in sclaverey die freyheit seyn gebracht /
So müssen fesseln seyn aus langem haar gemacht.
Es ist ein solcher leib vor andern hoch zu preisen /
An dem die hüfften sich in rechter dicke weisen.
Auch das / was die natur zum sitz-platz ausersehn /
Ist dadurch / wenn es dick und ausgefüllet / schön.
Und drittens muß der ort / der unsre sinnen raubet /
Wenn er mit schöner kräuß' als ein gebüsch belaubet /
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Seyn einem hügel gleich von bergen eingehüllt /
So daß er eine hand mit seiner dicke füllt.
Die finger / welche schmal und zierlich sich erstrecken /
Die können / was sonst halb erstorben / aufferwecken /
Und arme dieser art sind das gewünschte band /
Wodurch man an das joch der liebe wird gespannt.
Auch muß ein schönes kind seyn schmal und schlank von beinen /
Daß / wenn die flammen sich im mittel-punct vereinen /
Gantz umb das oberste das unterste sich schwenckt /
Gleichwie Adonis ward von Venus eingeschränckt.
Der weite lob kan man aus dreyen stücken lernen:
An augenbrauen / die von ander sich entfernen /
An lenden / die nicht gar zu nah beysammen stehn /
Vornehmlich wenn man will in Amors irrgang gehn.
Auch müssen weit entfernt sich zeigen jene hügel
Der schwanen-gleichen brust / daß mit verhängtem zügel
Die brunst / wenn sie genug mit küssen hat gespielt /
Durch dieses thal kan gehn / wo sie wird abgekühlt.
Drey enge müssen sich bey jenen dreyen weisen:
Ein rosengleicher mund muß enge seyn zu preisen;
Die seiten müssen eng und dicht zusammen seyn /
Daß eine elle sie bey nah kan schließen ein.
Vor allen aber muß die grufft da Venus lachet /
Wo das / was stählern schien / wie wachs wird weich gemachet /
Gantz enge seyn / damit wenn unsre brunst entsteht /
Sie ein und wieder aus mit mehrerm kitzel geht.
Und letztlich müssen drey seyn zierlich klein zu nennen:
Die nase muß man erst deßwegen loben können;
Die brüste gleichen falls / die eine hand spannt ein;
Die gipffel müssen drauff gleich kleinen erdbeern seyn.
Wann dann der Leib gebildt in solchem schönen wesen /
So hat zum wohnplatz ihn die liebe selbst erlesen /
Und wann an diesem auch bald diß bald jenes fehlt /
So hat Cupido schon ein anders auserwehlt;
Dann wenn die schönheit gleich nicht völlig ist zu finden /
So kan die freundlichkeit doch alles überwinden:
Der nun die schönheit nicht auf allen gliedern schwebt /
Der rath' ich / daß sie sich durch freundlichkeit erhebt.
Hie seht ihr / schönstes Volck / wodurch ihr schön zu nennen /
Werdt ihr ins künfftige mir besser nachricht gönnen /
Soll meine feder euch zum dienst seyn angewand /
Wenn ihr dieselbe führt mit eurer schönen hand.

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TextGrid Repository (2011). Anonym. Gedichte. Anonyme Gedichte aus Neukirchs Anthologie. Abbildung der vollkommenen schönheit. Abbildung der vollkommenen schönheit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DF24-6