[314] Aus: Poetische Lob- und Liebes-Sprüche/ von der Ewigen Weißheit/ nach Anleitung Des Hohenlieds Salomonis

[o.O.u.J.]

6.

Nach dem Lied: Ich habe funden, den ich liebe.

1.
Zeuch meinen geist, o Herr von hinnen
Gantz über sich zu dir hinauff:
Ich sehn mich sehr, den gantzen lauff
Nach dir zu thun mit hertz und sinnen.
Regier mich nur nach deinem Willen,
Den führer nachzufolgen schlecht:
Was kan sonst meinen hunger stillen?
Wer ist, der mich vergnüge recht?
2.
Weil aber so viel wiederstrebet,
Dem abgewandten pilgrams-geist,
Der zum verheißnen erbe reyhßt,
Und gern als ein gefreyter lebet:
So nim mir ab die schweren lasten
Der sinnlich-groben irdigkeit;
Den geist laß in der stille rasten
In dir und deiner ledigkeit.
3.
Ist das geschöpff gleich noch so schöne,
Von mir muß alls verlassen seyn,
[315]
Mein auge dring in den hinein,
Nach dem ich mich im grunde sehne,
Von andern kan ich nichts behalten,
Dich zieh ich selbst in mich, und du
Zeuchst mich in dich: ich laß dich walten
Du schleußt mir sinn und hertze zu.
4.
Zwar findt mein geist noch manche speisen,
Die geistlich und vergnüglich sind,
Darinn man auch wol nahrung findt;
Doch kan ich nichts vors beste preisen.
Als dich selb-selbst, du brod der seelen.
O selig und vollkommen seyn,
Die dich zum besten theil erwehlen,
Biß sie in dich gesunken ein.

8.
Aus Cap. 1. v. 4.
Wir werden hüpffen und frölich seyn über dir, wir werden deine liebes-neigung rühmen vor dem wein.

1.
Nichts, gar nichts auff dieser erden
Ist, das mich erfreuen kan:
Eins ist, das mir lieb will werden,
Und zu lüsten fänget an.
Gott ist mir doch gar zu gut,
Der mir hülff am creutze thut.
2.
Zwar thut ers nur im verborgen,
Daß der alte mensch sich nicht
Achte frey von sterbens sorgen:
Doch, wenn ich den glauben richt
Lieb- und hoffnungsvoll auff ihn,
Fället aller kummer hin.
[316] 3.
Schlag und plag, Herr nach gefallen,
Tödte mich am fleisch nur fort;
Liebe bleibt doch treu in allen,
Haltend des geliebten wort.
Liebe schätzt auch das nicht schwer,
Was sonst unerträglich wär.
4.
Tretet her, ihr Gottes-lieben,
Die ihr auch, wie ich, aus holtz
Durch die liebe seyd getrieben:
Werdt am creutz in liebe stoltz!
Denn es ist kein schlechtes gut,
Lieben das, was wehe thut.
5.
Laßt uns diese gnade loben,
So wie die erkaufften thun.
Vor des lammes thron dort oben
Soll das dancken nimmer ruhn
Preyß sey dem erwürgten lamm!
So sing ich am creutzes-stamm!

10.
Auß dem Hohen-Lied Cap. 1. v. 5.
Ich bin schwartz und zierlich, o ihr töchter Jerusalem, wie die (einwohner der) hütten Kedar.

Ihr Salems-töchter, hört, die ihr an stein und mauren
Bindt Gottes dienst und lieb und nur auffs äußre gafft,
Aus irdisch-grobem sinn: Ihr dürfft mich wol bedauren,
Als hätt mir diese schwärtz die einsamkeit verschafft.
Ihr seht hier keine pracht, nicht kirchen-pomp noch schreyen,
Kein opffer noch altar, kein bild, kein schatten werck.
Wir sind einfältig schlecht, und heissen arme layen,
Die nicht zum Priesterthum von andern gunst und stärck
Zu holen sind gewohnt. Je schwärtzer dir von ferne
Scheint Christi braut zu seyn, o blinde unvernunfft
[317]
Je mehr erblickt der Geist an diesem himmel sterne,
Wie wol noch gantz verdeckt. Wer diese Jesus zunfft,
Und ihre Glori weiß, der sucht sie nicht im schwätzen
Und in gelehrsamkeit, so die verführerin
Die schlang hat bey den baum des wissens wollen setzen,
Das der gehorsam nicht den lebens-baum gewinn.
Nein, hier gilt keine schminck der falsch-berühmten künste
Und keine deuteley, ob mans auch predigt nennt,
Auch nicht der hohe ruhm der falschen weißheits-dünste:
Was reich und weiß will seyn, wird nicht allhier erkennt.
Drum wißt, daß ich so schwartz und dürr und traurig sey
Ob eurer frechheit stoltz und groben heucheley,
Sonst könt ich wol so weiß von auß- als innen scheinen,
Wo nicht die trauer-zeit mich zwüng, euch zu beweinen.
Doch ärgert euch nicht mehr an meiner kleinigkeit,
Ihr sollt mich schön genug sehn bey der hochzeit-freud.

15. Über das Hohe-Lied Cap. 1. v. 8.
Wann du es nicht weist, du schönste unter den weibern, so gehe aus auff die fußstapffen dieser heerde.

Nach der Arie: Spiegel aller tugend.

1.
Auge deiner glieder,
Stärcke deiner brüder,
Licht der dunckeln kertzen,
Spiegel reiner tugend,
Muster unsrer jugend,
Leben unsrer hertzen:
2.
Du ruffst unsre sinnen,
Augen zu gewinnen,
Besser uns zu kennen,
Was in uns geleget
Tieff ist eingepräget
Und doch nicht zu nennen.
[318] 3.
Ist nicht selbst dein wesen,
Jesus, uns erlesen,
Durch des Vaters güte,
Gantz in uns zu bleiben,
Und, zu Gott zu treiben,
Unser träg gemüthe?
4.
Wilstu in den deinen,
Die dich eintzig meinen
Nicht seyn außgebohren,
Fleisch von dir zu werden?
Weil doch sonst auff erden
Alles wär verlohren.
5.
Soll dein hoher name,
Als des senffkorns same,
Nicht in uns sich sencken,
Wurtzeln und außbreiten,
Hertz und sinn bereiten,
Sonst an nichts zu dencken?
6.
Sind die kostbarkeiten
Nicht so grosse beuten,
Daß man gut und habe
Und sein eigen leben
Vor die perle geben
Möcht umb diese gabe?
7.
Macht der schatz wol sorgen,
Der so tieff verborgen,
Daß ihn niemand kennet,
Als die, so bekamen,
Diesen neuen namen,
Welchen Gott nur nennet?
[319] 8.
Drum gib mir zu sehen,
Herr, was mir geschehen:
Was in mich geleget,
Was dein liebes-siegel
In des hertzens-spiegel
Wesendlich gepräget.
9.
Dieses bild bleib stehen
Vor mir, stets zu sehen,
Was ich in dir habe,
Und wie mir nichts fehle,
Wenn ich dich erwehle,
O brunn aller gabe!
10.
Wachse fort, und stärcke
In mir deine wercke
Durch der liebe kräffte,
Nichts ohn dich zu lieben,
Nur in dir zu üben
Geistliche geschäffte.
11.
Laß mich nicht umbgaffen
Nach entfernten waffen:
Witz und stärck zum siege
Außer dir zu finden.
Alles laß verschwinden,
Daß ich dich nur kriege.
12.
So lerne ich mich kennen,
Dich mein Alles nennen,
Weil du in mir bleibest
Und dein lust-spiel weiter,
Wenn der himmel heiter,
Immer in mir treibest.
[320] 13.
Nun kommt aus dem bronnen
Alles guts geronnen:
Der wird in mir geben
Weißheit, krafft, vermögen,
Herrlichkeit und segen,
Ja das ew'ge leben!

16.
Uber Hohel. 1. v. 14.
Mein freund ist mir ein püschel Myrrhen, der zwischen meinen brüsten übernachtet.

Wie: Jesu deine tieffe wunden.

1.
Wenn vernunfft von Christi leiden
Und von dessen nutzen spricht:
Will sie sich von aussen weiden
Mit dem trost, den sie erdicht.
Oder kommt es hoch, so kan
Sie viel klagens fangen an
Uber Christi pein und schmertzen,
Gleichwol gehts ihr nie von hertzen.
2.
Aber meines Geistes sehnen
Zielt auff die gemeinschafft hin,
Stäts zum sterben zu gewehnen
Den so tieff verderbten sinn.
Hier heng ich den Myrrhen-strauch
Nicht nur auff die brust zum brauch:
In den tieffsten grund der seelen
Soll der Geist die krafft verhölen.
3.
Diß geheimnis wird verborgen
Und als thorheit angesehn:
[321]
Aber meine größte sorgen
Sollen auff diß wunder gehn,
Daß nur Christi tod in mir
Durch ersterben für und für
Zu dem leben außgebiehret,
Im gericht den sieg außführet.
4.
Drum such ich den freund im grunde
Meines hertzens, wo er sich
Aus dem sonst verschloßnen munde
Mir einflößt so süßiglich
Seine gantze sterbens-krafft,
Die ein neues wesen schafft:
Als die rosen in dem Lentzen
Nach dem todt des Winters gläntzen.
5.
Wenn ich denn vom Oster-lamme
Mit recht bittern salsen speiß;
Das die heisse liebes-flamme
Selbst in mir zu braten weiß:
Frag ich nicht erst, wer er sey,
Weil ich ihn selbst esse frey,
Und wenns noch an kräfften fehlet,
Ist er mir zu Alls erwehlet.
6.
Diß druckt mich in hoffart nieder,
In betrübnis hälts empor
Gibt in schwachheit stärcke wieder
Aus verzweifflung ziehts hervor,
Hält mich zwischen lieb und leid
In der rechten mässigkeit:
Ja ich find die tieffste stille,
Wenn am creutze hangt mein wille.
7.
O geheimnis-reiche liebe,
Die sich im verborgnen schenckt!
[322]
Öffne die geheimen triebe,
Wenn mein sinn ans creutz hin denckt:
Keine leidens-krafft von dir
Müsse jemals manglen mir.
Außer mir mag alls vergehen,
Bleibe du in mir nur stehen!

26.
Auff Hohelied/ II. v. 11.
Siehe, der winter ist vergangen, der platz-regen ist hinweg.

Nach dem lied, Frölich soll mein Hertze singen.

1.
Strenger Winter, fleuch von hinnen,
Harte kält,
Die mich hält,
Bindend meine sinnen,
Hindernd mich in heißer liebe,
Lasset mich
Inniglich
Folgen Jesus triebe.
2.
Trübe wolcken, fluth und regen
Thränen-saat
Die mir hat
Lange obgelegen
Weicht, die ernden-zeit ist kommen,
Weil mein schatz
Nunmehr platz
Hat in mir genommen.
3.
Seine lieb und weißheit kannte,
Daß ich noch
Sanffte joch
Und der liebe bande
[323]
Ungeübet war zutragen:
Drum must ich
Erstlich mich
Fremder dienst entschlagen.
4.
Da must ich mühselig werden,
Und die last
Ohne Rast
Gab mir viel beschwerden:
Desto mehr nach ihm zustöhnen,
Biß daß er
Sich wandt her
An ihn zu gewehnen.
5.
Nun er sich in mir läßt blicken,
Wird zugleich
Mir sein reich
Lauter frühling schicken:
Denn die turteltaub im grunde
Meldet sich,
Und lockt mich
Mit verliebtem munde.
6.
Schau, die feigen-bäume grünen,
Brechen vor,
Sehn empor
Ihrem printz zu dienen:
Und die blumen in dem lentzen
Geben dir,
Meine zier,
Ihre Pracht zu kräntzen.
7.
So ist alles leid vergessen
Als war nie
Winter hie
Oder frost gewesen.
[324]
Weil mir meine sonn jetzt scheinet,
Hats ihr sinn
Immer hin
Mit mir gut gemeinet.
8.
Sonne, die zu meiner erden.
Sich gericht,
Laß mirs nicht
Wieder winter werden:
Werde stets in mir erhöhet
Biß die zeit
Deiner freud
Niemals untergehet!

41.
Aus Cap. III. v. 11.
Gehet heraus und schauet an, ihr töchter Sion, den König Salomo in der crone, welche ihm seine mutter verschaffet hat am tage seiner hochzeit, am tage der freuden seines hertzens.

1.
Ihr Sions-töchter, die ihr nicht
In Babylon mehr steht,
Und ohne falsches secten-licht
Dem einem lamm nachgeht:
2.
Geht aus des alten Adams hauß,
Folgt jener mutter nicht,
Die ihre lieb vom bräutgam aus
Zur hurerey gericht!
3.
Kehrt eures glaubens munterkeit
Zum Salems-König hin
Ihr wißt, wie sich sein hertz erfreut
An einem treuem sinn.
[325] 4.
Was welt und feind dem fleisch vorlegt,
Das haltet nur vor koth:
Der kirch, die sich mit götzen trägt,
Seyd feind und gäntzlich todt.
5.
Laßt euren leib gantz lichte seyn
Die lampen brennend stehn:
Das öl muß seyn bereit und rein,
Wollt ihr den bräutgam sehn.
6.
Denn ist nicht hoch und wunderbahr
Die crone seiner pracht,
Die der erhöhten menschheit war
Zur herrlichkeit gemacht?
7.
Wie schmückt ihn seine mutter nicht
Auff seinem hochzeit-tag?
Daran ihm keine freud gebricht,
Noch leiden, todt und schmach.
8.
Wie trefflich war der grosse bund
Als ihm des Geistes krafft,
Nach dem er aus dem grab erstund,
Viel tausend segen schafft?
9.
Der über seine glieder floß:
Wie frölich war sein sinn,
Als dieses öl den leib durchgoß
Und zog zum Vater hin?
10.
Jerusalem, du mutter-stadt,
Daraus der Geist uns zeugt,
[326]
Und die uns aufferzogen hat,
Gepfleget und gesäugt!
11.
Mehr immer deiner kinder zahl,
Und cröne Gottes sohn
Mit tausend cronen überal
Zu der erlösung lohn.
12.
Wir freuen uns mit ihm zugleich,
So offt ein edelstein
Durch wahre buß ins liebe-reich
Zur cron gesetzt wird seyn.
13.
Wir gehn heraus, und wollen nun,
Biß auff den hochzeit-tag,
In lieb, geduld und glauben ruhn,
Der uns vollenden mag.

48.
Cap. IV. v. 11.
Deine lippen, meine braut, fließen von honigseim: Honig und milch ist unter deinem lippen.

Nach dem lied: Mein hertzens Jesu.

1.
O rosen-mund, komm, küsse mich,
Flöß deine lebens-säffte
Unmittelbar und süßiglich
In die verschmachten kräffte.
Ihr nectar-lippen thut euch auff,
Und laßt dem balsam seinen lauff,
Der wunden heil und häffte.
2.
Du mein jugend meisterin,
Gespielin meiner ehe,
[327]
Beherrscherin von meinem sinn,
Mit der ich geh und stehe:
Mein engel und mein reyßgeferth,
Von dem ich nie verlassen werd,
Wenn ich sonst niemand sehe.
3.
Ich hörte so viel schöns von dir
Mich dürst't nach deinen quellen,
Die du ein wenig zwar in mir
Zur labung wollen stellen,
Die aber noch so sparsam floß,
Und nicht die gantzen ströme goß,
Des feuers macht zu fällen.
4.
Nun aber hast du meine braut
So reichlich mich gelabet:
Dein mund hat mir sein hertz vertraut,
Dein einfluß mich begabet.
Wie trieffen deiner lippen paar
Von honig, das sonst theurer war,
Als was ihr bienen habet.
5.
O zucker-mund, ich halte mich
Noch immer an die flüsse:
Ich werd nicht satt, ich frage dich
Durch widerholte küsse
Des glaubens um dein edles thun.
Ich will in deiner lehr beruhn,
Damit ich alles wisse.
6.
Thu dein geheimnuß ferner auff,
Vertraue mir dein hertze
Und was der arge spötter-hauff
Vor thorheit hält im schertze,
Das muß mir krafft und weißheit seyn,
Ja selbst der Gottheit starcker schein,
Der mich befrey vom schmertze.
[328] 7.
Die salbung, die ich hab gefaßt,
Die muß mich alles lehren.
Dem schlüssel Davids, den du hast,
Soll nichts den Aufschluß wehren.
Ich hang so lang an deinem mund,
Biß mir die gantze füll wird kund,
Den wachsthum zu vermehren.
8.
So laß die kräffte der natur
Durch diesen kuß versüßen.
Es spür die gantze creatur
Die krafft von liebes-küssen.
Die neugeburt mach alles neu,
Daß ich dein rechter erbe sey
Dein ewig zugeniessen!

49.
Uber Cap. IV. v. 12.
Meine schwester, du bist ein verschlossner garten, ein verschlossner quell, ein versigelter Brunn. Dein gewächs ist wie des Paradises granat-äpffel mit der frucht köstlicher dinge.

Im Thon: Ich habe funden, den ich liebe.

1.
Verborgnes licht, geheimes leben
Der Göttlichen vollkommenheit,
Wer kennet deine reinigkeit?
Wem hast du dich zu eigen geben?
Ja niemand weiß von deinem Namen
Noch mercket deiner weißheit spur,
Wiewol dein unbefleckter samen
Liegt in der menschlichen natur.
2.
Wer geht in den verschlossnen garten?
Nur der wie du verschlossen ist:
[329]
Denn wem du wie ein brunnen bist
Entdeckt, muß deiner treulich warten.
Bey deinen freunden bleibst du stehen
Als jungfrau voller heiligkeit:
Wo aber sie zu andern gehen,
Entziehst du deine herrlichkeit.
3.
Du gehst zwar jeder seel entgegen,
Erscheinst in ihrem tieffsten grund,
Und bist so nah in ihrem mund,
Daß sich ihr fluß nicht darff bewegen,
Noch weit aus ihrer heimat reysen.
Sie finden dich in ihrer Thür
Des hertzens ruhen und beweisen,
Wie sehnlich du sie ziehst zu dir.
4.
Doch kennen sie die treue stimme
Das locken und bestraffen nicht,
Das im gewissen stets geschicht,
Sie von natur und bitterm grimme
Von blind- und thorheit zu erlösen.
Du bleibst den meisten unerkannt,
Das thier, das niemals klug gewesen,
Nimt lieber erd und koth zur hand.
5.
Ach edler schatz, du kannst kaum finden
Ein eintzig Hertz, das dir gehorcht
Das vor die rechte ruhe sorgt,
Und sucht mit dir sich zu verbinden.
Geh aber nun mit starcken schritten
Aus dem verborgnen licht heraus,
Und laß dich unsre noth erbitten
Zu wohnen in dem wüsten haus.
6.
Und wie du in dir selbst verschlossen,
Verriegelt und versigelt bist,
[330]
Daß, was gemein und unrein ist,
Die wahrheit niemals hat genossen:
So leg in uns auch solche kräffte
Der stille und verborgenheit,
Jungfräulich-züchtiger geschäffte
Bey tieffester verschwiegenheit.
7.
Laß augen, ohren händ und füsse
An deiner zucht gebunden seyn,
Daß auch nicht unter gutem schein
Das hertz von etwas fremdes wisse,
Als von gemeinschafft mit den quellen,
Die rein und crystallinisch sind:
Damit dein hertz mich von den wellen
Der falschheit nicht getrübet find.
8.
Ach nimm mich mit in deinen garten,
Der als ein Paradis ausgrünt,
Und mir mit neuen früchten dient:
Nur Thau von oben zu erwarten,
Und krafft der sonne samt den regen,
Sonst sey er um und um verzäunt:
Kein freund soll seine frucht drein legen,
Und hätt ers noch so gut gemeint.
9.
So halt ich mich zu dir, mein leben,
Und du bleibst meine jungfrau braut.
Wer sich einmahl mit dir vertraut,
Bleibt an der creatur nicht kleben.
O siegle, schließ und wach und hege
Dein eigenthum, dein liebstes Guth,
Daß sich mein Geist in dir nur rege
Und stehe stets auff seiner huth.
10.
Ach sperr des innern menschens garten
Vor den subtilsten feinden zu,
[331]
Die seine blüthe, frucht und ruh
Zu rauben tag und nacht auffwarten.
Wenn ich geheim mit dir umgehe,
So weiß ich, daß ich sicher bin,
Und weiter nirgends hin mehr gehe:
Nach der gewißheit steht mein sinn.

59.
Aus dem V. Cap. v. 8.
Ich beschwöre euch, ihr töchter Jerusalem, findet ihr meinen Geliebten, was wollt ihr ihm anzeigen? Daß ich vor liebe kranck liege.

Nach dem lied: Ich lebe nun nicht mehr.

1.
Ich weiß nicht, wie mir ist,
Ich fühl den großen schmertzen,
Der mir mein leben frißt,
Und geht so tieff zu hertzen.
Wer bringet mir den besten rath?
Wer ists, der vor mich rettung hat?
Weil meine lieb im sterben ist.
2.
Zwey mahl bin ich so schwach
Und kranck gelegen nieder.
Das erste ungemach
Kam offt und häuffig wieder.
Das war vor meiner ersten buß
Da man in sünden sterben muß,
Wenn seel und leib verdammet ist.
3.
Da hofft ich hier und dar
Artzney und ruh zu finden:
Mein unstät hertze war
bereit sich zu verbinden
Mit welt und geld, mit pracht und lust,
Was nur der eigne wille wust,
Und doch die wahre ruh nicht ist.
[332] 4.
Als aber ich das heyl
Nach ernster busse funden
In Jesu, der mein theil
Ward in so vielen wunden,
Zur Medicin vor meinen tod,
Da sprach ich: nun hats nicht mehr noth,
Weil Jesus meine heilung ist.
5.
Und freylich hat der trieb
Des Vaters mich gezogen
Zum Sohn, von dessen lieb
Ich mich find überwogen.
Sein Göttlich licht entzünd't in mir
Unendlich starcke liebs-begier
Im hertzen, das verwundet ist.
6.
Ich kan ohn ihm nicht ruhn,
Viel wen'ger selig leben:
Drum hab ich eignem thun
Und fromm seyn mich er geben:
Da lieff ich aus mir hin und her
Und forscht nach ihm bey menschen sehr
Ob er bey creaturen ist?
7.
Das lauffen macht mich matt,
Ich sanck in ohnmacht nieder,
So daß mein mund sich hat
Eröffnet an die brüder:
Ach findt ihr meinen liebsten wo,
So sagt ihm, daß ich sterb also,
Weil er von mir entfernet ist.
8.
Bald war die antwort da,
Im tieffsten seelen-grunde:
[333]
Das wort ist dir so nah
Im hertzen und im munde.
Was ists, das dich verliebt gemacht,
Und in die liebes-schmertzen bracht?
Ists nicht das wort, das in dir ist?
9.
Von armer creatur
Wirstu den schatz nicht kauffen,
Ob du schon alle spur
Der Secten wolltst durchlauffen,
Ach glaube mir, sie taugen nicht:
Ihr thun ist schein und falsches licht,
Weil ihre leucht verloschen ist:
10.
O seel, Gott ist ein licht,
Darzu man nicht kan kommen,
Wo alle nicht
Vollkommen sind benommen.
Drum such Gott selber nur durch Gott,
Das licht im licht bey creutz und spott,
Wie Jesus dir ein fürbild ist.
11.
Darauff erschwung ich mich
Aus meinem eignen leben,
Und wollte dürstiglich
In Gott mich ein ergeben:
Ach aber ich fand mich zu schwach,
Und schrie ihm nach mit weh und ach:
Wo ist er, der mein leben ist?
12.
Hier fand ich zwischen mir
Und Gott viel bilder stehen,
Die mich verhindert hier
Ins heiligthum zu gehen:
Und gleichwol hatt' ich keine krafft,
Biß er sie selber aus mir schafft,
Mir statt der vielheit eines ist.
[334] 13.
Nunmehr ist er mir auch
Die Medicin gewesen:
Und was ich sonsten brauch,
Darff ich aus ihm erlesen.
Nun frag ich nichts nach creatur
Es sterb vernunfft, will, fleisch, natur,
Gnug, daß er Eins und Alles ist!

69.
Aus Cap. IIX. v. 5.
Wer ist die, so herauff fährt aus der wüsten voll wollusts, und gesellet sich zu ihrem freund?

Je mehr der seelen Geist sich regt und Gott tritt nach,
Je mehr wird er mit Ihm durch Jesum eines heissen:
Je einiger er ist, je größ're brunst ist da
Durch feurige begierd, als ein erkaltes eisen
Im feur erhitzt und schmeltzt, zerflossen gantz zu seyn
In dieses liebes meer. Denn wächst er zusehns weiter
An der vollkommenheit, an seines adels schein:
Sein himmel wird nunmehr von Gottes umgang heiter.
Wie von der sonn die welt. Doch kommt diß alles nicht
Aus eignen kräfften her. O nein, er hat's gefunden
In dem, darauff der Geist sich mit begierde richt,
Nach dem, der sünd und tod und alles überwunden.
Nun laßt uns den proceß nach dem geheimnis sehen,
Das in der Dreyheit liegt, die unzertrennlich heist,
Doch in dreyfalt'ger krafft pflegt würcklich auszugehen
Von welcher jede selbst sich nach und nach im Geist
Empfindlich offenbahrt. Der Vater, als das leben
Ist starck, allmächtig, groß, verzehrend feures-krafft:
Muß auch dem seelen-Geist, stärck, muth und mannheit geben,
Die sieg und Majestät, und Geist und durchbruch schafft.
[335]
Der Sohn ist als ein licht, sanfft, lieblich, mild und stille,
Des Vaters hertz und lust, weil seiner weißheit glantz
Des feures schärffe löscht, so bald der neue wille
Ausgrünt und durch begierd' ins liebe-leben gantz
Versenckt ist und versteckt. Dann geht der Geist von beyden
Als Vater und Sohn aus, gebährend wonn und freud
Durchs Paradis in uns nach langen sterbens-leiden
Wie reiner einfalt nur diß wunder ist bereit.
Hier will Sophia nun die Gottheit offenbahren,
Die jene faßt in sich, und wie ihr spiegel ist,
In reiner jungfrauschafft. Die weißheit kömmt gefahren
Aus ew'gem ungrund her, der gleichsam heisset wüst,
Weil da nichts ist, als GOTT, und keine creaturen
Im ungegründten Nichts. Da sucht Sophiens lieb
Sich näher zuzuthun, daß nun viel liebes-spuren
Dem seelen-Geist sind kund. Wenn dieser nun verblieb
Gehorsam, heilig, rein, so würde sie ihn küssen,
Als ihren nächsten freund, und ihm zwar erstlich noch
Mit ihrer scharffen zucht sehr bange machen müssen,
Doch nur zur prob, ob er ihr sanfftes liebes-joch
Auffnehmen willig wollt. Geschichts, so ist die freude
Nicht zubeschreiben, wenn sie sich zu ihm gesellt.
Ein jedes werd ihr treu, so wird man sie zur beute
Hinnehmen samt dem schatz, der mehr ist als die Welt.
Nach dieser zarten lieb, auff dieses lieb-vermählen
Thut das Geheimnis sich der Dreyheit weiter auff.
Der Vater, der die seel hat wollen ihm erwählen,
Sendt seinen Sohn, im Geist zu enden seinen lauff
Wie sonst im fleisch geschah. Der H. Geist erkläret
Den Sohn, als weißheit-licht, in menschlicher natur,
Die nun ihr himmlisch fleisch und blut zur speiß gewähret,
Damit der neue mensch des Paradises spur
Selbst in sich wieder find, die menschheit werd vereinet
Mit Gottes wesen selbst. Und wenn der Sohn also
In uns gestalt gewinnt, als GOTT und mensch erscheinet:
So wird die seel im blick des ursprungs wieder froh.
[336]
Sie darff nicht, wie vorhin, des Vaters zorn mehr scheuen,
Versichert, daß er ihr nur lieb-erbarmung sey:
Und daß sein schaffend wort die kleine welt erneuen,
Erfreuen und vom fluch und straff will machen frey.
Also erklärt der Sohn in uns den Vater wieder,
Und bet't ihn in uns an, und führt das gantze werck
Der wiederbringung aus. Der Vater läßt sich nieder
Zur neuen creatur, vereinigt seine stärck
Mit seines Sohnes lieb. Wenn also lieb und stärcke
Im menschen einig sind, durchs band vom liebe-Geist.
Ist noth, daß eine seel im tieffsten grund bemercke,
Wie sie des Vaters, Sohns und Geistes wohnung heist.
Hier wird der ewge Grund zur allmacht selbst geleget,
Zu aller lieb und lust, zur weißheit höchsten schein:
Unüberwindlich ist, was sich im innern reget,
Es muß auch ungekränckt und unverlohren seyn.
Wol dem, der alles läßt, was Gott nicht selbst ist, fahren,
Und seine selbheit selbst ins ew'ge nichts versenckt:
Der wird sein himmlisch-thun nicht nach den tod versparen,
Ihm ist gewiß mit GOTT der himmel hier geschenckt!

74.
Aus verhs. 13.
O die du wohnest in den gärten, wenn die gesellen auff deine stimme mercken, so laß mich sie hören.

Nach dem lied: Zerfließ, mein geist, in Jesu blut und wunden.

1.
O Königin, du crone der jungfrauen,
Die du im garten reiner seelen wohnst,
Laß deine zier bei der gesellschaft schauen,
Worinne du als deinem tempel thronst:
Du hast vor deinem angesicht
Dir einen lust-platz zugericht,
Darinn dein Philadelphie blühet,
Und aus dir seine wurtzeln ziehet.
[337] 2.
Schau, alle, die du hast zum dienst erlesen,
Und zu genossen deines reichs gemacht,
Die lehrstu selbst im innern Geistes-wesen
Auff deinen treuen ruff zu geben acht.
O laß sie uns vernehmlich seyn,
Und tieff ins hertze dringen ein,
Damit kein wort fürüber gehe,
Woraus in uns nicht frucht entstehe.
3.
O weißheit, pflantz die kaum entsproßnen zweige
Tieff in dich selbst, den rechten lebens-baum:
Daß jeder selbst den liebes-grund erreiche,
Und wachsthum find im stillen garten-raum.
Mit thau und regen nach begier,
Dein Paradis grün für und für
Im innern grund hervor mit freuden,
Daß wir verbotne bäume meiden.
4.
Reiß auß vom grund betrüglich falsche früchte
Vernunfft und eigner Wille müssen fort,
Daß dein Geist sein bestraffungsamt verrichte,
Und nichts unreines leid am tempel-ort.
Weil da die Deyheit in dir ist,
Mit der du licht und leben bist:
Dann kommen aus dem sanfften lichte
In jedem Monat neue früchte.
5.
Wie fruchtbar wird dein Philadelphie werden,
Wenn alles unkraut gantz ist ausgeschafft?
Wird nicht die frucht ein reines saltz der erden
Und sein exempel lauter Gotteskrafft?
Drum bau den weinberg, der vor dir
Nun steht, das ihm kein wildes thier
Zerwühle, noch die thier fuchslist schände,
Dein wachend aug gefahr abwende.
[338] 6.
Nun mercken wir, o fürstin, in dem garten.
Auff deine stimm im geist von tag zu tag,
Was sich aus dir eröffnet zu erwarten,
Weil uns sonst nichts erfreu'n noch ruhren mag.
Gehorsam wird die losung seyn,
Was sey entfremdet oder dein.
O laß uns zum vollkommnen gehen,
So können wir dich hörn und sehen!
[339]

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Arnold, Gottfried. Aus: Poetische Lob- und Liebessprüche. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-FCF6-6