Weisheit des Orients

1.

Auf Damascener-Stahl ist eingeprägt
Ein Koran-Vers, den Lebenszweck zu zeigen,
Und dient als Amulet dem, der ihn trägt.
Schwertfeger, dieser Vers fiel mir zu eigen:
[6]
Mein Lieben ist für mich mein ganzes Leben,
Mein Lied mein ganzer Ruhm; und wenn gegeben
Mir eine Seele, die unsterblich, dann
Zuleika's Name nimmer sterben kann.
Denn »meine Seele« nannte ich sie immer –
Sie lebt in meinem Lied und das stirbt nimmer.

2.

Mir sind deine schwarzen Augen,
Wie Fahnen auf dem Zelt
Von unserm Herrn zu Bagdad, 1
Wo der Halbmond Wache hält.
Roßschweife ihn umflattern –
Wie Wolken des Mondes Pracht
Umwallen auf dem Zelte
Der allbedeckenden Nacht.
Ich bin ein Kalif des Geistes,
Ein Mehrer des Reichs fürwahr.
Doch ein König ohne Land nur
Im großen Weltbazar.
Einen Schatz nur hat der Kurde
An Harmonia's Bucht:
Die stolzen Feuerrosse
Von Kochlani's alter Zucht –
So habe ich nur den Simurg,
Den alten Fabelgreif;
Der trägt mich zum siebenten Himmel
Aus seinem flammenden Schweif.
Den Isthakar-Schatz kann ich heben,
Den Gott meinem Innern verlieh,
Und mit Salomos Siegel beschwören
Die Geister der Phantasie.
[7]
O könnte ich mir beschwören –
Nicht die Fürstin von Saba, nein,
Nur Dich. So folge ich immer
Deiner schwarzen Augen Schein.

Fußnoten

1 »Schatten« und »Nacht«, die schwarzen Reichs-Banner des Kalifen.

3.

Wenn die Sonne erkaltet,
Die Sterne veraltet
Und das Buch des Gerichtes sich entfaltet,
Wenn über Al-Sirats Flammenbrücke
Ich siegreich zöge – ich fragte schnelle:
»Zuleika, die makellose Gazelle,
Wird sie schwelgen mit mir in ewigem Glücke?«
»Nein!« ist die Antwort, »denn wie des Dschemschid
Rubin die unsterbliche Seele glüht –
Doch nur in des Mannes Brust. Das Weib
Endet, zerfiel sein sterblicher Leib.
Hier winkt dir die Houri unsterblich-schön.«
Lebt wohl denn für immer, ihr Himmelshöhn!
Ich stürze mich selbst in des Eblis Hölle,
Ins ewige Feuer und Lavagerölle.
Der irdischen Liebe bin ich geweiht
Und der sterblichen schwachen Weiblichkeit!

4.

Wenn am Ararat hängt der Nebelflor,
Dann sprüh'n die Naphtaquellen empor.
Wenn Schwermuth über der Seele ruht,
Gährt auf die schöpferische Gluth.

5.

Wenn ihm der Suma milchig Gift kredenzt,
So schlürft das Kind wohl arglos diesen Saft.
Mit Schierling statt Magnolien sich's bekränzt.
Doch Kinder bleiben wir. Denn ewig glänzt
Der Schönheit Tand vor'm Blick der Leidenschaft –
Gleich wie ein Splitter Glas im Mittagsschein
Dem Kinde strahlt als bunter Edelstein.

[8] 6.

Der wilde Vogel in Korassan,
Der seltsame Geselle,
Umschwebt im fernen Ispahan
Immer die gleiche Quelle.
Der Kaiser von Catay
Sucht nach der Fluth des Jugendquells,
Der sprudeln soll am Altai-Fels
Durch Mongolei, Mandschurei, Tartarei.
Tugend sucht Wiedergebärung
In der Reue Marah-Quelle –
Nicht lockt sie von der Stelle
Des Manna's süße Bescheerung.

7.

Des Magnetbergs Eisenwand
Lockt alle Barken am Kaspierstrand.
Der Ruhm lockt über der Zukunft Wellen
All deine Gedanken – um zu zerschellen.

8.

Den Auserkorenen hat eine Feder
Aus seiner Schwinge der Simurg geweiht:
Dann war geschützt ein Jeder.
Ein Ideal uns so vor Schwäche feit.

9.

Wie Matrosen auf dem Bramaputra
Feuerpfeile durch die Dämmrung schießen,
Um den Pfad der Barken so zu leiten –
Wie Naïra-Mädchen auf den Strom
Eine Lampe setzen, zu erforschen
Ihres Liebsten Schicksal fern im Lager –
So schleud're ich Brandpfeile der Gedanken
In nächt'ge Zukunft hin. Der Liebe Leuchte
Schwimmt auf der Sturmfluth der Begierde, nimmer
Versinkend. Wie man Blumen, Kokosnüsse
Zur Sänft'gung wirft in Babelmandeb's Brandung,
So streu ich Liederrosen in mein Leben.

[9] 10.

Dem Goldfink gleich, der so farbenreich
Fliegt durchs Gestreuch an der »gelben Bai«,
Doch, nistend im Wald, läßt schwinden alsbald
Seiner Farben lachenden Mai –
Kann Schönheit nur im frohen Reigen,
In der Bewegung nur sich zeigen.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Arent, Wilhelm (Hg.). Weisheit des Orients. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0093-8