Ixion

Audiatur et altera pars.

Ha, brause nur, rausche nur, rollendes Rad, unermüdlich
Sich schwingend in feuriger Gluth, wohl tanzt vor den Augen
Hinfließend in Nichts, in verwirrendes Flimmern, mir Alles,
Wohl sitzt kein Fleck mir an dem zermarterten Leibe,
Der wund nicht wäre, zerfleischt und blutig gerissen:
Und ha, und dennoch, Götter im rosigen Lichte,
Die nieder mich warfen, hinab in's Dunkel des Hades,
Auf's Rad mir flochten, unsterbliche Qualen zu leiden,
Die Glieder, den eurigen gleich so göttlich erblühend,
Eins könnt ihr nimmer zerreißen in mir und ertödten:
Hier unter den Augen und unter der Stirne den Funken,
Der ewig erweckt unsägliche Wonnenerinn'rung
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Im Herzen zutiefst, daß schwelgend es ruht
Auf rosigem Pfühl, daß heller noch strahlt
Das trotzige Aug', und laut es erklingt,
Stolz leuchtenden Blick's:
Ich habe das Höchste besessen!
Horch, schwirr'n nicht über die Todesgefilde, die bleichen,
Gleich Fliegengesumme die luftigen Schatten der Seelen,
Wie ängstliches Kindergeflüster in dunkelnder Stille?
Schwebt weiter ihr Schatten von Schatten, mit grausenerfülltem
Abscheu euch wendend hinweg von dem riesigen Frevler,
Dem Frevler – so sagen sie wohl hier drunten und droben,
Dem Undankbaren, dem Gast und der Himmlischen Liebling,
Der schnöde begehrte die Gattin des Höchsten, desZeus selbst,
Wildwüthigen Rasens, die Augen, die Seele geblendet,
Dem göttlich gelaunt zum Weib die Olympischen gaben
Ein Rosengewölk in flammender Gluth zu umfangen,
Eh' nach ihm folgte die dunkelbeflügeltte Rache!
So tönet es hier, so tönet es dort:
Und du, mein Herz? du lächelst dazu!
O rollendes Rad, noch brausender klingt's,
Wild rauschender noch:
Ich habe das Höchste besessen!
Aufglänzt das große, das leuchtende Auge der Hera
Von Neuem in mir, vor mir; beim Mahle der Götter
Gewahr' ich mich selber, gelagert im hohen Olympos;
Stumm seh' ich die edle Gestalt, von heimlichem Grame
Gequält; ich denke wie sie an den frevelnden Leichtsinn
Des lüsternen Gatten, und Mitleid, heiliges Mitleid
Empfind' ich zu ihr, dem Weib in der herrlichen Göttin,
Und was mich noch herrlicher däucht, theilnehmende Liebe.
Da trifft mein Auge das ihre, und nimmer verbirgt mir
Das Auge die glühende Sprache des Herzens, es reden
Die Winke der Augen, es reden die zitternden Hände;
Bis schwebte von dannen die glänzende, hohe Erscheinung.
Still folgt' ich, und ob auch die Himmlischen rings
Auflachten, zumal Aphrodite, mich trieb's
Mit Sturmesgewalt der Vorschwebenden nach –
Lusttrunkenes Herz,
Ich habe das Höchste besessen!
[42]
Von rosigen Wolken beglänzt auf schweigender Berghöh',
Wo Blumen süß erblühten in prangenden Farben und Düften,
Da trat mir entgegen in schneeweiß leuchtender Frische
Die Hohe, die Große mit lustvoll schmachtenden Augen.
Nicht zähmt' ich mir länger das Herz in der Brust, und gewaltig
Umschloß ich bestürmend in glühendem Sehnen die Holde,
Die Liebe gewährte verzückt voll stummen Gehorsams,
Das eigene Herz von Eros selber bezwungen.
Ich war zum Gott, zum höchsten der Götter geworden.
O Glück, für welches so ärmlich die Sprache der Menschen,
Das nimmer des Zeitstroms schäumender Wirbel hinabreißt,
Dich hatt' ich und hielt ich! Und dann, als wieder erwachte
Das trunkene Aug', wo erwacht' es sodann?
Auf stygischer Flur in dem rollenden Rad!
Laut schrie ich zuerst, von unendlicher Qual
Zerrissen das Herz –
Ich hatte das Höchste besessen!
Ihr Unbarmherzigen droben im rosigen Lichte,
Verewigen könnt ihr die Schmerzen des Erdegebor'nen,
Indessen verewigt ihr sie, so lindert die Zeit sie.
Stumpf, stumpf ist der Stachel geworden, und immer im Herzen
Erblüht so gesund noch und blühend ein selig Erinnern.
Und wär's ein Rosengewölk, lustathmend, gewesen,
Das ich umfing in geblendeter Herzensberauschung –
Nein! Nimmer bekehren sie mich, und häuften sie grausam
Erfinderisch über mich kaum zu erdenkende Strafen!
Ha, nimmer bekehren sie mich, nicht Menschen noch Götter,
Ihr thörichtes Mährchen zu glauben in kindlicher Einfalt!
Ich täusche mich nicht: Kein Traum mein kühnster Gedanke!
O rausche du nur, wild brausendes Rad!
Verwirrest doch nicht mein geistiges Aug'!
Und berstete rings umkrachend die Welt,
Aufjauchzt' ich auch dann:
Ich habe das Höchste besessen!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Arent, Wilhelm (Hg.). Gedichte. Moderne Dichter-Charaktere. Oscar Linke. Ixion. Ixion. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-01F2-C