Gerechtigkeit Gottes

1839.


Du findest keinen festen Weg zum Glücke
Hier, wo das bleiche Mondlicht niederschauet;
Nur, wer sich gleich der Regenbogenbrücke
Aus leichten, bunten Steinen ihn erbauet,
Ist weise, wer wie Kinder fort sich spielet,
Auf keinen Fang wie auf Gewisses zielet.
Es war der Mann gekommen aus dem Lande,
Wo Honig Gift ist 1, Dolch die Streite sühnet,
Er schlug die Welt durch Schwert und Trug in Bande,
Durch Großes zu dem Größten stolz erkühnet –
»Mir«, sprach er trotzig, »gab der Herr die Reiche,
Wer wider mich und Gott will, der erbleiche!«
So rief der Korse, doch es schmolz zusammen
Sein Stolz im Schnee und Eis der Moskowiten,
Aufschlugen da aus allen Herzen Flammen,
Und Zorn und Liebe trieben heiße Blüten,
Zu einem Strauß des schönsten Kampfs gebunden:
Des Bösen Zauber war wie Dunst verschwunden.
Verkrächzet war das Lied der Schicksalsraben,
Und es erklang das Siegeslied der Christen
Zum Gotteskampf vom Greise bis zum Knaben,
Gebunden ward der Fürst der Hinterlisten;
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Er fiel, und zweimal heulte die Hyäne
Europas, deutsch gegeißelt, an der Seine.
Da, als die Völker wachten auf vom Staunen
Und ließen frisch dem heißen Mut den Willen,
Blies ich mein Pfeifchen auch mit Kriegsposaunen,
Der Freiheit lang erstickte Lust zu stillen –
Da winkten manche Fromme mir den Segen,
Ich führte Federn nur, die bessern Degen.
Bald klingt es Frieden, nach gewalt'gen Dingen
Ist's allen Herzen wieder stiller worden,
Man läßt zum Rhein zurück die Trommeln klingen,
Man läßt die Fahnen wieder wehn gen Norden,
Und jeder suchet froh das liebe Seine,
Ich suche, finde meines mir am Rheine.
Da träumt' ich Ruh' dem kurzen Rest der Tage,
Ach, Traum ist Menschenwünschen, Menschenmeinen!
Der droben alles wägt auf höchster Wage,
Vor dem erlischt der Schein von Erdenscheinen,
Er dräute Wetter meinem stillen Sitze
Und schoß durch meinen Himmel manche Blitze.
Und endlich ließ er mir von jenen Streichen
Aus hellen Wolken einen niederschmettern,
Von jenen, welche Locken plötzlich bleichen,
Das Leben flugs entblüten und entblättern,
Er schoß auf meinen schönsten, schnellsten Knaben,
Ihn hat der Rhein genommen und begraben.
Gerecht ist Gott und gut allein und weise,
Er misset jedem zu mit rechtem Maße:
Wer nur die Blumen sucht der Pilgerreise,
Den treibt er fort zur bösen Dornenstraße:
Verlieren wollt' ich mich auf Blumenwegen,
Da trat mit Schrecken mir der Herr entgegen.
Gerecht ist Gott und gut allein und weise –
O Mensch, bekenn' es unter bittern Tränen! –
Er rollt Geheimnis durch des Lebens Kreise,
Auf daß du lernest nach dem Licht dich sehnen,
Auf daß die liebe Not dich lehre beten,
Vom Erdenweg in Himmelswege treten.

Fußnoten

1 So beschrieben und empfanden die Römer selbst schon ihr Korsika.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Arndt, Ernst Moritz. Gedichte. Gedichte. Gerechtigkeit Gottes. Gerechtigkeit Gottes. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0407-8