Epistel an Elisa

1807.


Ich saß so stumm, wie in dem schwarzen
Gericht des Orkus Rhadamanth,
Und wog auf schwerer Schicksalshand
Die Schuld und Unschuld mit den Parzen,
[33]
Las in der blutigen Schrift der Zeit
Der Thronen Sturz und Königsmorde
Und siegreich die Banditenhorde,
Die einer Welt mit Knechtschaft dräut. –
Da dacht' ich an die großen Seelen,
Die, keinem Schicksal untertan,
Den Weg zum stillen Ozean
Sich durch das freie Eisen wählen:
Denn eines, Herr sein oder Knecht,
Ist jedem Erdensohn gegeben;
Die erste Majestät im Leben,
Die höchste, heißt Gesetz und Recht,
Und wenn nur Knechte und Despoten
Auf Erden grasen matt und dumm,
Dann kehrt die alte Welt sich um,
Und Leben blühet aus dem Toten
Still in der Zeiten Wechsellauf,
Daß edlere Geschlechter werden;
Und sprängen sie aus Steinen und Erden
Durch Kadmen und durch Pyrrhen auf.
So saß ich, hielt die letzten Enden
Der Dinge wägend in der Hand
Und schaute stumm ins dunkle Land,
Von wannen nimmer Wandrer wenden;
Da rief mich deine Stimme süß,
O Freundin, in das frische Leben
Mit Blumenlust und Wolkenschweben,
Ins volle Frühlingsparadies.
O Freundschaft, holde Wundersaite,
Die lieblich durch den Busen klingt
Und alles Schöne wiederbringt,
Der Kindheit Traum, der Jugend Weite,
Du Männerstahl und Frauenschutz,
Das Herz zur Tugend zu ermannen,
Zu groß für Sklaven und Tyrannen,
Beutst du gemeinen Gütern Trutz
Und schwingst unsterblich durch das Leben,
Wie ein Gestirn den Feuerglanz,
Von Sphärentanz zu Sphärentanz
Uns aufwärts, wo die Götter schweben.
[34]
Ich höre deinen Zauberklang,
Der Gram entflieht ins öde Dunkel,
Der Himmel leuchtet, ein Karfunkel;
Die ganze Erde wird Gesang;
Und Guillotinen und Banditen,
Tyrannenseelen groß und klein
Versinken aus des Lichtes Schein
Tief, wo die Teufel Höllen hüten;
Und in der Freude freierm Schlag
Hebt sich die Brust dem Licht entgegen,
Und jedes Unheil wird ein Segen,
Ein Wonneruf wird jedes Ach.
So lieb und wunderbar getroffen
Hat mich, o Freundin, jedes Wort,
Das wüste Heer der Nacht ist fort,
Der ganze Himmel steht mir offen,
Die Erde sinkt, das kleine Nichts,
Worum sich Toren blutig schlagen,
Nur denen eigen, die es tragen
Empor ins Sonnenreich des Lichts.
Ja, Freundin, welche ferne Lande
Mein Fuß auch noch durchwandern muß,
Eh' ich den letzten Obolus
Bezahle an dem stygischen Strande,
Ich schwör' es dir und jener Glut,
Die edle Herzen ewig zündet,
Was sich unsterblich mir verkündet,
Das halt' ich fest mit Männermut,
Und kein Despot soll mir es rauben;
Und drückt es mich zu schwer hinab,
So öffn' ich durch das Schwert mein Grab
Und nehme in das Grab den Glauben.
Doch heute lacht der Lenz noch mild,
Geführt von Grazien und Scherzen,
Und zeiget jedem Menschenherzen
Der Freude anmutvolles Bild.
O möge er mit zarten Schwingen
Dich wie ein Blumenhauch umwehn
Und frisch und jugendlich und schön
Der Kindheit Träume wiederbringen!
[35]
Was du gewesen, was du bist,
Das ist der Gott in deinem Busen:
Orakel hat und Klang der Musen
Nur, welcher gleich ihm selber ist.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Arndt, Ernst Moritz. Gedichte. Gedichte. Epistel an Elisa. Epistel an Elisa. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-04B8-B