Das Finkenlied

5. Januar 1845.


Wir singen ein trauriges Finkenlied:
Der edle, freie Fink ist tot,
Ihn weckt zu frohem Lustgesang
Nie mehr ein irdisch Morgenrot,
Er hat ein beßres Land erflogen,
Er schwimmt auf hellern Himmelswogen –
Doch ach, für uns der Fink ist tot.
Wir singen ein fröhliches Finkenlied,
Ein Lied aus voller, deutscher Brust,
Und wenn wir auch in Trauern gehn,
Solche Trauer hat in Tränen Lust:
Um Tapfre sind so süß die Schmerzen,
Sie heben himmelan die Herzen,
Des Himmelfluges sich bewußt.
Wir singen ein fröhliches Finkenlied –
Wie fröhlich war des Finken Sang,
Wenn er den Dreiklang hellsten Tons
Recht, Vaterland und Freiheit klang!
Den Schlag in guten und bösen Tagen,
Den mußt er immer mutig schlagen,
Der war des deutschen Finken Klang.
[250]
Den klang er, als vom welschen Gei'r
Der deutsche Hain war stumm gemacht,
Den klang er frisch durch Berg und Tal;
Drob hieb der Gei'r ihm Bann und Acht
Und rief: Wir wolln den deutschen Schnäbeln
Die unverschämten Kehlen knebeln,
Schweigt, Freche! Bebet unsrer Macht!
So meint' und dräute welsche Wut,
Doch Gott im Himmel meint' es nicht,
Er schlug mit schärfsten Blitzen drein,
Da ward's in deutschen Hainen licht,
Da blühte deutscher Frühling wieder,
Da klangen wieder deutsche Lieder,
Und fremde Schnäbel krächzten nicht.
Und o, der Adler an der Spree,
Da, wo er thront in höchster Horst,
Vernahm des tapfern Finken Schlag
Und sprach: »Der hüte mir die Forst!
Der tut mit unverzagtem Singen
Den wunderschönen Dreiklang klingen,
Der hüte mir die Westenforst!«
Und siehe, auf des Aars Gebot
Froh fliegt der treue Finke hin,
Mit Morgenrot die Brust gefüllt,
Gesanges, Sieges freudig hin,
Damit das Land der Roten Erde
Der jungen Wonne selig werde,
Zur Westenforst, da fliegt er hin.
Dort hat sein Dreiklang frisch und frei
Geklungen mehr als dreißig Jahr
In Feld und Berg und Tal voran –
So wollt's der königliche Aar.
Und wollten Uhu, Kauz und Eulen
Das Lied der Finsternis sich heulen,
Er hielt den Ton der Kehlen klar.
So klang sein freies Lied voran
Mit vollem, hellem, deutschem Klang,
Daß es die düstre Vogelschar
Zum Fliehen oder Schweigen zwang.
[251]
Doch Amseln, Lerchen, Nachtigallen,
Die hört man doppelt lustig schallen,
Wann allen vor der Finke sang.
Drum singen wir fröhlich das Finkenlied –
O gebe Gott dem deutschen Wald
Stets solches Dreiklangs Freudenschall!
So bleibt das Glück uns wohlgestalt.
Recht, Vaterland und Freiheit klingen
Bleibt bestes Ding von guten Dingen,
Wann's mächtig durch die Seelen schallt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Arndt, Ernst Moritz. Gedichte. Gedichte. Das Finkenlied. Das Finkenlied. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-052E-A