Die Nachtrheinfahrt

1839.


Zwei schlug's nach Mitternacht, wohl sieben Meilen
Hatt' ich am heißen Sommertag vollendet,
Da sahen, wo die Sieg zum Rhein sich wendet,
Nur Mond und Sterne mich nach Mondorf eilen.
Es schliefen Mensch und Tier und Wald und Bäume,
Die Vöglein bargen unter stillen Flügeln
Die Schnäbel und die Stimmen, aus den Spiegeln
Des Tages spielten Bilderspiel die Träume.
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Ich rief dem Fergen, doch mir scholl's entgegen:
»Er liegt am Ufer jenseits eingeschlafen,
Denn selten kommt zu unserm kleinen Hafen
Ein Wandrer hin auf mitternächt'gen Wegen.
Doch steht ein Eichstock an der Sieg Gestade,
Und macht das schmale Fahrzeug Euch kein Grauen,
So mögt Ihr meiner Armeskraft vertrauen,
Ich rudr' Euch mutig durch die Wellenpfade.«
»Geh! Hol'!« – Er ging. Doch unterdes erblaßten
Mond und Gestirne, schwarze Wolken zogen
Gewitternacht zusammen, Blitze flogen,
Die sich vom Ost zum West umarmend faßten.
Der Eichstock kam. Sein blitzerhellter Treiber
Erschien mir nun, ein Mann gewalt'ger Knochen,
Schwarz, düster, gleich dem Fährmann viel besprochen,
Der weiland Geister führte dünnster Leiber.
Frisch sprang ich doch in diesen Charonsnachen,
Doch kaum das Viertel meines Wegs gefahren,
Erpfiff ein Lispelwind, er pfiff Gefahren,
Die bald als Sturm und Donner sollten krachen.
Schon bebet die Natur, die Vögel sausen
Durch wilde Luft, mit Bellen, Heulen, Stöhnen
Erwacht die Kreatur in Klagetönen,
Die kurz verhallend durcheinander brausen.
Der Ruf der Wächter, die die Nacht durchschreiten,
Schreit in geschwinder Angst aus dumpfem Horne,
Als bliesen sie ein Lied von Gottes Zorne,
Den Jüngsten Tag, den Untergang der Zeiten.
Und krach, schlägt's ein vor uns, die Wellen spritzen,
Der Nachen bäumt sich, wie zum letzten Sprunge
Ein fallend Roß, und aus dem Ruderschwunge
Entstürzen beide wir zugleich den Sitzen.
Ein Ruder brach, ein Vogel ohne Flügel
Fliegt nun das Schifflein fort. »Gott sei uns gnädig!«
So rufen wir kleinmütig und kleinredig:
»Der Wogenturm wird uns zum Grabeshügel.«
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Doch Wunder! Wie wir kaum das Wort gesprochen,
Verstummt der Donner, und die Winde lispeln
Sich sanft zum Säuseln ab, zum Zephirwispeln,
Das Morgenrot erglänzt, aus Nacht gebrochen.
Wohin wir wollten, muß die Flut uns bringen;
Wir, die noch eben Tod in Tiefen sahen,
Schon können wir des Ufers Weiden fahen
Und bei Graurheindorf froh ans Ufer springen.
Die Lerche klingt, es klingt der Mensch den Morgen,
Wach' auf, mein Herz, und singe! hör' ich klingen
Aus kleinem Häuschen, mußte mit es singen,
Bald lag ich in der Meinen Arm geborgen.

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TextGrid Repository (2011). Arndt, Ernst Moritz. Die Nachtrheinfahrt. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-059A-7