Ludwig Achim von Arnim
Halle und Jerusalem
Studentenspiel und Pilgerabenteuer

[1] Anzeige.

Die frühere dramatische Bearbeitung der italienischen Novelle, die einen Theil der Begebenheiten dieses Schauspiels geliefert hat, von dem alten deutschen Dichter Andreas Gryphius, wird im ersten Bande meiner Alten deutschen Bühne erscheinen, die gänzliche Verschiedenheit meiner Bearbeitung von der feinen, rechtfertigt mich über die Wahl derselben Erzählung; wenn ich sehr weit zurückgeblieben bin hinter der Vollendung jenes alten Meisters, der zu groß ist, als daß ich gegen ihn [1] eine Art literarischer Nebenbuhlerei hätte ausüben wollen, so hatte ich dagegen manches mir und der Zeit Eigentümliche mitzutheilen, was ich nach Form und Inhalt nicht zu leicht und nicht zu schwer zu nehmen bitte. Ich wiederhole bei dieser Gelegenheit eine frühere Bitte an Freunde der Literatur, mir ältere, weniger bekannte Schauspiele zur Ansicht und Benutzung, oder käuflich zu übersenden und verpflichte mich ihnen zu ähnlicher Gefälligkeit.

[2]

[Widmung]

Seinen Freunden und Gevattern


C. Brentano und J. Görres


widmet


dieses Trauerspiel in zwei Lustspielen


zur Erinnerung guter und böser Tage in Heidelberg


der Verfasser.

[3]

[4] [1]Halle
Ein Studentenspiel in drei Aufzügen

[1]

Personen

Personen.

    • Ahasverus, ein reisender alter Jude.

    • Cardenio, ein junger Privatdocent.

    • Pamphilio, Student und Dichter, Cardenio's Freund.

    • 1. Die Leiche des Hauptmanns Volte.

    • 2. Der Prediger Lyrer.

    • 3. Der Philosoph Wagner.

    • 4. Der Jude Nathan, ein reicher Handelsmann.

    • Edelchen, dessen Frau.

    • Nathanael, deren Sohn.

    • Einige Enkel des Nathan.

    • Baron Viren, Professor der rechte.

    • Olympie, dessen Schwester.

    • Eine Geistergestalt, der Olympie ähnlich.

    • Doris, Olympiens Kammerjungfer.

    • Kriegsräthin Tyche.

    • Celinde, ihre Tochter.

    • Cleon, ein Glöckner.

    • Ein Magister aus Leipzig.

    • Dienemann,
    • Stürmer,
    • Suppius,
    • Becker,
    • Schmidt,
    • Meyer,
    • Ein Kümmeltürke,
    • Ein Weisenhäuser, , nahmhafte Studenten.

    • Studenten, Musikanten, Halloren, Häscher, Pferdephilister, Masken, ordinäre Zuschauer, Rumpeltopfweiber, eine dicke Magd und ihr Hund.
    • [2]

1. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Der Marktplatz. Auf der einen Seite stehen drei einsame Pferdeverleiher in der Sonne, auf der andern die beiden Gevaterbuden mit Blumen und Früchten reichlich angefüllt; die Gevatterin zählt Kirschen in Papiertüten. Pamphilio, Dienemann, Suppius, Mayer, Becker, ein Waisenhäuser, ein Kümmeltürke, ein Magister liegen nachlässig auf dem Sopha und auf den Stühlen vor der einen Bude umher und essen so wenig, als sie sprechen. Im Hintergrunde des Theaters erscheint das alte akademische Gebäude, der Thorweg ist geöffnet, es werden von einem Buchhändler Dissertationen und Bildnisse berühmter gelehrten ausgehangen. Ahasverus, ein Reisebündel auf dem Rücken, geht langsam ernst vorüber.

AHASVERUS
leise vor sich.

Sei mir gegrüßt, du Stadt des Segens und des Fluches die alles mir geraubt und alles mir bewahrt. – ich will doch näher schleichen dem Studentenhaufen, Cardenio mag darunter sein. Zur Gevatterin. Was kostet wohl ein Schock von diesen Kirschen, liebe Frau?

GEVATTERIN.
Zwei Groschen.
AHASVERUS.
Ich hab nur einen Groschen, hat sie keine schlechteren?
GEVATTERIN.
Die Judenkirschen sind dies Jahr nicht gut gerathen, Alterchen.
[3]
SUPPIUS
lacht.

Den Juden muß ich foppen. Zu Ahasverus. Cur ita visum est plerisque biduum aut triduum commorari Halis Saxonum.

AHASVERUS.
Qui illic locus est, unde non poterant avelli sicii Ulyssis, illic Sirenes.
SUPPIUS.
Was Teufel, der Kerl weiß Latein. Hör Gevatterin, der Jude sagt, du wärst eine Sirene.
GEVATTERIN.

Besser rene als unrene, Alterchen er thäte auch gut, sich einmal die Hände zu waschen, oder darf er das nicht? Daß er mir nur keine Kirschen anrührt.

DIENEMANN.

Er sieht den Schmutz nicht, denn wie Veneroni sagt, Tschaskeduno sa, ke la tschetschita dei Tschiudäi e Schismatitschi.

AHASVERUS.

Blind men must not judge of colours. Meine lieben Herren gehen Sie nur eine Woche so wie ich in der Sonne, Sie werden auch keine weiße Hände behalten. Beso las manos. Ab.

MEYER.
Mein Seel, der Jude könnte einem dienen, wie ein Wörterbuch für vier Sprachen.
WAISENHÄUSER.

Ich glaube, dies ist der ew'ge Jude, der überall gewesen, alle Sprachen reden soll und immer zittert, so ist er überall beschrieben.

DIENEMANN.
Mir kam es vor, als hätt' er in den Augen, in der Stirn so etwas von Cardenio.
MEYER
und alle lachen.

Du findest überall doch Ähnlichkeiten, weil du in der Mitte stehst mit deinem [4] Angesichte zwischen dem Apollo und dem Frosche; viel eher gleicht der Alte einem Ziegenbocke mit seinem weißen Barte, mit der krummen Nase.

DIENEMANN.

Halt still, was schlägt's da? Wahrhaftig schon eilf Uhr und Schlinger ist noch nicht zurück von Reideburg, der Wagner heut zerbeißet und zerstampft sich noch vor Ungeduld. Zur Schlägerei war immer Zeit bis morgen. Gewiß hat ihm Cardenio die Schlenkerprime übers Maul gezogen, daß er nicht reden kann. Verfluchter Streich, warum gab denn Cardenio ihm gestern Abend die Ohrfeige?

PAMPHILIO.

Warum? Weil Schlinger ein Ohrfeigengesicht nun einmal hat, frag Gott darum, er hätt sich lang dem Teufel übergeben, wenn ihm ein Teufel dienen wollte, jetzt dienet er dem Wagner; damit ihn der aus Gnade und Barmherzigkeit zum Teufel schickt.

SUPPIUS.
Was soll das heißen, ich bin auch ein Schüler Wagners.
DIENEMANN.
Jetzt geh, ich bin für deine schlechte Späße heut zu ungeduldig, mach daß du fort kömmst, Schwätzer.
PAMPHILIO.
Langweilt euch nun allein, ich hab mich lang genug mit euch langweilt. Ab.
MEYER.
Was meint ihr, wollen wir den Lümmel koramiren?
DIENEMANN.
Wär nicht Cardenio sein Freund, es juckte mir die Hand, es ist ihm nicht geschenkt.
2. Auftritt
[5] Zweiter Auftritt.
Cardenio im Kollet, mit Hieber und Burschenhut kömmt auf einem mageren Philistergaule angesprengt, den ihm ein Philister sogleich abnimmt.

PFERDEPHILISTER.

Das ist zu arg Herr Cardenio, es ist mein bestes Pferd, es ist ja wie mit Wasser ganz begossen, es fliegt die Brust ihm wie ein Blasebalg.

CARDENIO.

Du willst noch reden Schurke, mir ein stät'sches Pferd zu geben, das mich eine Stunde länger aufgehalten, als meine Zeit erlaubt. Er haut auf ihn.

PFERDEPHILISTER.
Das leid ich nicht, viel lieber geb ich meine ganze Nahrung auf. Geht mit dem Pferde murrend ab.
DIENEMANN.

Nun sag mir schnell, du kömmst allein, wie stehts mit Schlinger, der Wagner wartet sehr auf ihn, er sollt ihm heute opponiren.

CARDENIO.

Sag Wagnern nur, er komme gleich, er sei gesund und frisch schon wieder in der Stadt, er möcht nur bald zum Promotionssaal gehen, dort wird er ihn finden.

DIENEMANN.
Recht vielen Dank dafür, das wird ihm große Freude machen. Ab.
CARDENIO.
Der Wagner wird sich wundern.
MEYER.
Ei, wie das?
CARDENIO.

Ich werd an Schlingers Stelle opponiren, [6] das wird ein Fest. Dem Schlinger hab ich seine Ehre rasch zurückgegeben, ich habe ihm mit einem Hieb die Backe abgeschält, auf die ich gestern hart geschlagen. Als er da unter des Chirurgen Händen seufzte, bat er mich, weil ich mich seiner Ehre also angenommen, ich möchte seinen Ehrenplatz auch übernehmen, gegen Wagner opponiren; und ich versprach es ihm, da gab er mir so Frag als Antwort, wie er es all mit Wagner abgeredet, da seht!Er zerreißt sie. Ja opponiren will ich, doch darf keiner mir vorschreiben; nach meinem Sinne will ich sprechen. Ich will sehen, wer von uns beiden Wahrheit sagt und Recht behält. He Gevatterin gieb einen Scheffel mir voll Kirschen, geb meinen ganzen Wechsel drum, ach wär nur eine Kirsche dieser ganze Korb, da füllte sie doch noch den Mund, so ist's überall, nichts lohnt der Mühe, nichts den Durst. Gevatterin, war Pamphilio schon hier?

GEVATTERIN.

Er war schon hier, Herzkind, und wartete auf dich, da hat er so was fallen lassen, ich weiß nicht mehr, da haben ihn die Herren weggejagt, ich sagt es gleich, sie solltens lassen, es würde Dich verdrießen. Na ...

CARDENIO.

Hört ihr Herren, das erkläre ich hier öffentlich, heut mag ich nicht mehr Streit, doch wer Pamphilio was thut, der thut es mir, im Guten und im Bösen; der Junge meint ihr, habe nicht [7] Kurage, so wollet ihr Euch gerne an ihm reiben; er hat Verstand, das ärgert euch und er hat mich, ich diene ihm als Kurage, und ich hab ihn, er ist mein froher Witz, der schnell erfüllt was ich erdacht, so stehen wir zusammen fest verbunden, für einen Mann und ihr, wie steht ihr da?

SUPPIUS.

Je Sackerment, wir haben ihm ja nichts gethan, du machst es jetzt zu arg, du wirst zu einem nassen Bruder; wie nasses Heu brennst du gleich lichterloh von selbst in Dir.

CARDENIO.

Du bist doch nicht der Esel, der mich fressen wird? Ich habs gesagt und dabei bleibts, Pamphilio ist eins mit mir und meine Freunde sind die Seinen. Was giebts schon wieder Neues, Dienemann, wie schon zurück vom Wagner, wie so fröhlich?

DIENEMANN.

Der Wagner ist bald hier. Doch denkt einmal, wie ich vor seiner Thüre, erblicke ich in einer Seitengasse ein wunderschönes Mädchen, der ich ganz eilig folge, zwar sah sie züchtig aus, doch mußt ich wissen, wer sie wäre und ging ihr nach. Da kam der Schimpelschampel her, der weiß von allen in der Stadt Bescheid und sagte mir, das sey Olympie, die Schwester des Viren, sie ist nur wenig Tage hier ein himmlisch Mädchen wie Juno und Minerva; wahrhaft Olympie und Viren, sie können nicht von einem Vater stammen.

CARDENIO.

Wer darf so ungesittet gleich vermuthen, [8] glaubt doch kein Mensch, der uns hier beide so zusammen sieht, daß wir von einem Adam beide stammen.

SUPPIUS.
Hör Brüderchen, so ist er heute gegen alle Welt, es ist nicht auszuhalten.
DIENEMANN.

Du weist Cardenio, von dir laß ich mir alles das gefallen, dir nehm ich gar nichts übel, du hast nun einmal so dein eigen Wesen, man muß dirs lassen. Hätt ich so deine Art, die Sicherheit und das Vertrauen, so wären alle Weiber mein, denn ihre Gunst ist schnell erobert, langsam nur verdient. Wahrhaftig es verwundert mich, daß ich dich nirgends auf dem Strich gesehen.

CARDENIO.

Auf dem Lerchenstrich; was soll ich da, ich bin ein Falkonier, laß meinen Vogel zu der Sonne steigen. Bei Weibern sollt ich schmachten so wie du? Damit ich so ein Lumpenkerl auch würde dem seine Backen so herunter hängen, wie das Zeug am Leibe das mit den weichen Falten die Sehnsucht zeigt nach der romantischen Zeit, die Waden hatte.

GEVATTERIN.
Das war mal schön gesprochen, Herzkind, dafür muß ich dir einen Kuß in deinen Backenbart eindrücken.
CARDENIO.
Bleib mir vom Leibe, du weißt, ich kanns nicht leiden.
GEVATTERIN.
Du Krauskopf, wirst es schon leiden müssen.
[9]
CARDENIO.

Fast zweifle ich, ob ich wohl je mich der Vertraulichkeit ergebe, dem, was ihr andern Liebe nennt. Das Ehejoch ist mir verhaßt, es nimmt mir meine Freiheit. Nichts davon, so lange ich noch ein flinker Kerl. Was bleibt mir nun zu meiner Lust? Die schlechten und verdorbnen Mädchen hasse und verachte ich, ich bin zu gut für andrer Leute Rest; unschuldige, die stößen mir zu viele Ehrfurcht ein, so vieles Mitleid, da ich sie nicht mit meinem Leben, mit meiner Freiheit nicht erkaufen mag. Was kann ersetzen, was ich raube?

SUPPIUS.
Das ist gewissenhaft.
DIENEMANN.

Sieh, jeder hat nun seine eigene Kurage, du fürchtest dich vor Weibern, ich vor Männern, vor allen andern fürcht ich mich vor dir. Du hast ein schön System erbaut. Was heißt das Unschuld? Heist das, nichts Schuldges denken oder nichts Schuldges thun? Ich meine, das Erste, denn zum zweiten gehört nur noch Gelegenheit, Entschluß und Muth, um alles wahr zu machen, was in Gedanken lüstet. Beim Teufel, in dem ersten Falle ist kein Mädchen schuldlos, und du magst sagen, was du willst unschuldig bist du auch nicht, nur dein Stolz hat dich bewahrt vor der gemeinen Sünde, der wir uns fröhlich überließen.

CARDENIO.
Bei Gott, du Schlange, du sprichst wahr.
[10]
DIENEMANN.

Nun sieh, es kostet nur den ersten Schritt, was du so lang gehegt, das magst du nicht verschwenden; du kannst den Muth nicht finden zu etwas, das beim zweiten Male dir Muth zu unterdrücken kostet.

CARDENIO.
Verführer! Verlasse mich unsaubrer Geist! Muth? Wo hat mir je der Muth gefehlt.
DIENEMANN.

Hast du Kurage, so mach dich an Olympien, da wird der Muth dir sinken, ja hinter der versteck ich mich und schrei dir zu von allen Seiten: Cardenio jetzt zeig, ob du ein Mann. Adies! Lachend ab.

CARDENIO.
Das war dir hohe Zeit. Habt ihr Olympien gesehen?
BECKER.

Freilich sah ich sie. Wahrhaftig, du kennst mich sonst, ich habe eine Stirn von Eisen, der könnt ich keine Sauereien ins Angesicht sagen, vielweniger möcht ichs wagen, sie zu lieben, sie würde mich schön ansehen.

MEYER.

Ja freilich schön, sie ist zu schön für dich und für uns alle, da muß ein Held einziehen, der die gewinnen könnte. Zu züchtig ist sie für die Weiber, und setzt sie in Verlegenheit; die Pik Aß verweigerte mir neulich in ihrer Gegenwart, daß ich ihr nicht wie sonst den Nacken durfte küssen, das war mir ein verdorbner Spas, gewissermaßen auch beschämend.

[11]
SUPPIUS.
He Leute kommt doch endlich mit zum Kuchenprofessor, mich hungert mächtig.
MEYER.
Es ist ja jetzt bald Zeit zum Promoviren. Adies!
BECKER.
Adies! Suppius, Meyer, Becker ab.
GEVATTERIN.
Das sind mir liebe Herrn Gevattern, hat wieder keiner hier bezahlt.
CARDENIO.

Nun nun, wir werden sie auch sehen, die fabelhafte Jungfrau, die Dienemann so ganz erfüllt, ich glaube er ist mit wenigem zufrieden.

EIN WAISENHÄUSER.
Solche vornehme Weiber mag ich nicht, mir gefällt eine runde Aufwärterin viel besser.
CARDENIO.
Du übest wohl dein künftiges Geschäft der heidnischen Bekehrung, wenn sie die Zimmer ausgekehrt.
WAISENHÄUSER.

Sie glauben nicht, in keinem Weibe sitzt weniger Falsch, als in denen, die da dienen, sie thun alles für den, welchen sie lieb haben und sind zu allem geschickt. Bleibt der Wechsel, aus so bringen sie irgend ein gutes Stück aus der herrschaftlichen Küche, was die Katze nachher soll gethan haben. Und dafür verlangen sie gar keine zusammengesetzte Conversation; geh ich mit meiner Lisbeth Sonntags auf ein Dorf, so scheint ihr das mehr Ehre, als wenn ich mit einem Stiftsfräulein zum Balle Schlitten fahre. Unreinlich ist sie freilich, aber das bin ich auch.

[12]
CARDENIO.

Ich müßte mich sehr irren oder wahrlich du bist ein recht gemeiner Kerl, dir ist dabei recht wohl in deiner schmutzigen Haut, wie werden sich die indischen Braminen freuen, wenn du in deiner lieblichen Person, ein Vorbild christlicher Religion und europäischer Cultur da giebst. Du bist ein großer Missionär.

WAISENHÄUSER.

Ich wollte ihnen die Freude gerne schenken, wenn ich nur hier in der Gegend mir eine Versorgung finden könnte, ich würde Jude, kriegt ich nur des reichen Schimpelschampel Tochter. Da schlägts, hols der Teufel, da muß ich einem Paar Juden, die sich taufen lassen, in der Religion Unterricht geben. Ab.

EIN KÜMMELTÜRKE.

Ein gemeiner Hund. Pfui Teufel, eine Magd, die immer Hände hat, wie ein Reibeisen und grobe Hemden, wie die Scheuerlappen. Da lob ich mir mein Kaufmannsweibchen, der Mann wiegt im Laden Schnupftaback ab, mein Kaffee wartet schon da, mein Schlafrock und meine Pfeife, bin da bedient, wie ein Sultan, sie singt mir zu ihrem Klaviere: »Bei Männern welche Liebe fühlen«; dann ließt sie mir einen Roman vor, sie ist so ein Stück von einem schönen Geiste, ich bin da wie Herr und wie Kind vom Hause zugleich.

CARDENIO.

Aufrichtig sag ich dir, dein Vornehmthun in schlechter Sache ist mir noch viel verhaßter [13] als des armen Teufels kleine Lust; du dringst geflügelt ein wie eine Motte in das Pelzwerk und zernagst im Müssiggang, was jenen lange Winter konnt erwärmen; es ist kein Wunder, daß ein junger Mensch, der unbeschäftigt ganz dem Willen und den Launen einer Frau kann leben, den armen Mann verdrängt, der mit des Tages Noth-Erwerb muß ringen und ganz erschöpft am Abend zu ihr flüchtet. Doch sag, was kann daraus am Ende werden, ein Ehescheidung, und dir ist doch die Frau zu alt um sie zu nehmen. Sieh Bruder, das muß auch anders werden, ich sag es dir im Namen unsres Ordens, ich gebe dir acht Tage Zeit; Liebschaften dulden wir, doch gegen Ehestand, wo er noch treu gehalten wird, bewahren wir die Achtung; ich sage in acht Tagen mußt du ganz von ihr entfremdet sein, sieh, oder du bist ausgestoßen.

KÜMMELTÜRKE.

Aber lieber Bruder, ich wollte sie recht gern verlassen, aber sie hat mich gar zu lieb, sie läßt mich nicht.

CARDENIO.
So schlimmer denn für dich, wenn sie dich hat und du sie nicht hast.
KÜMMELTÜRKE.

Ich weiß es wohl, ich lerne nichts bei diesem Leben, ich habe so oft mir vorgenommen, wegzubleiben; weil du es willst, ich bleibe heute weg und geh nach Lauchstädt. Ab.

MAGISTER.

Wie kann die erhabene Liebe, die [14] über unser Leben, wie die Sterne ewig hinwandeln sollte, so in den Koth getreten werden; ein Blick ist mir genug.

CARDENIO.

Wie du das treibst, Magister, mit jeder zu liebäugeln, dich mit jeder zum Entzücken aufzureizen, gleich viel, ob sie gemein und ob sie einzig ist eine Art von geistigem Bordell, die Mädchen werden dir zu Gliederpuppen, an denen du mit schlauem Witz der Worte Prachtgewänder hängst, doch fehlet das lebendige Gesicht noch stets und darum sind mir deine Lieder auch verhaßt, so wie dein Händedruck; nicht kräftig warm und stark ergreift er meine Hand, nein glatt bewegt sich deine Hand in meiner, ich kann in jede Form sie drehen, als wäre gar kein Knochen drein.

MAGISTER.
Da haben wir nun jeder unser Theil, Gottlob daß du herum bist, jetzt kehrst du wohl zu dir zurück.
CARDENIO.

Ich bin ein Thor, daß ich mich mühe, euch Mohren all den Kopf zu waschen, es kann euch schaden, mir hilft es nichts. Kennst du denn auch Olympien?

MAGISTER.

Ich sollte sie nicht kennen, ich leb ja nur von ihren beiden Augen, die gleich zwei stillen Seen, in denen sich der Himmel blau bespiegelt, der Ausdruck von was Höherm sind, was sage ich von ihrer Zähne elfenbeinerm Zauberschloße, in dem die [15] Worte sich wie schöne Königinnen zart begrüßen, was – –

CARDENIO.
Zerleg mir nicht die Schönheit so unmenschlich, um sie dann Stück für Stück in Spiritus zu setzen.
MAGISTER.
Du willst mich heute nicht verstehn. Leb wohl. Ab.
CARDENIO.

Ihr Herren Pferdephilister geht nach Hause, es ist zu spät, um Pferde zu bestellen, ihr steht ja dort so fest, wie Stechfliegen auf euren Mähren, ihr steht mir in der Sonne, wie der große Alexander dem Diogenes; seht zu, was die liebwerthe Frau Philisterin heut gekocht, wer weiß, ob nicht indessen ein alter Kunde bei ihr ist.

EIN PHILISTER.
Erlaubs der Herr, wir werden doch so gut hier stehen dürfen, als ein andrer Mensch.
CARDENIO.
Du dummer Teufel, siehst du nicht es steht kein andrer hier, als ihr, drum fort mit euch, oder –
PHILISTER.
Nun wir gehen schon. Ab.
GEVATTERIN.

Da hast du wohl Recht, Herzkind, das Volk will doch nur spioniren und steckt mit allen Juden unter einer Decke und mit dem Prorector.

CARDENIO.

Welch ekelhaftes Volk, mit Juden unter einer Decke schlafen und mit dem alten Prorector.[16] Unter einer Decke, wahrhaftig unter einer Decke schlief ich mit Olympien so gern und kenn sie nicht. – Wunderlich, wie kann ein fremder Mensch, den ich verachte, der elend und verworfen, so mit leerem Schwatzen mir den Busen regen mit unbewußtem Drang, ich kenn sie nicht. – Mir fehlte es an Muth bei Weibern? Wie dumm! Und doch, es liegt was Wahres drein, mir fehlt der Muth mit einer zu beginnen, so wie die meisten sind, wie fänd ich sonst ein Ende meiner Liebeleien, genießen müßt ich auch die meisten, ja eine Sehnsucht faßt ich dann nach allen. Ein Mädchen möcht ich, wie keine andre je gewesen, so wie Olympie scheint, fremd, wunderbar und außerordentlich; die Schwere soll mich nicht zur Erde ziehen, nur der Magnet. Die Altagskost der Liebe mag ich nicht, Steinfresser wollen Steine, Eisenfresser Eisen. Heilig Eisen, magnetisch Eisen, das nach Norden deutet, dich starren Stolz der Jungfräulichkeit, der vor dem eigenen Gefühle flüchtet, dich Stein des Anstoßes und der Weisheit, wilde jungfräuliche Schaam, dich zu besiegen, zu gewinnen, ist allein des Lebens Werth, du reißest mich mit allen Kräften hin zu dir und schließest einzig alle Welt in dir. He Gevatterin gebt mir die Laute her, beim holden Klang wird einem manches klar, was sonst nur dämmernd in dem Nebel graut:


[17] Hohe Lilie, hohe Lilie!
Keine ist so stolz wie du,
In der stillen milden Ruh,
Hohe Lilie, hohe Lilie,
Ach wie gern seh ich dir zu.

Hohe Zeder, hohe Zeder!
Keine steh so einsam da,
Doch der Adler ist dir nah,
Hohe Zeder, hohe Zeder!
Der dein sichres Nest ersah.

Hohe Wolken, hohe Wolken,
Ziehen über beide stolz,
Blitzen in das stolze Holz.
Hohe Wolken, hohe Wolken
Sinken ins entfammte Holz.

Hohe Flamme, hohe Flamme!
Tausend Lilien blühen drauf,
Tausend Zedern zehrst du auf,
Hohe Flamme, hohe Flamme!
Sag, wohin dein stolzer Lauf?
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Olympie mit Doris, ihrer Magd, die Körbe zum Markteinkaufe trägt.

DORIS.

Hier Fräulein sind viel bessre Kirschen feil, als jene, die wir von der Röse kauften, wir haben so noch nicht genug zum Kuchen, die Hälfte wird vom Herren Bruder in der Küche roh mir wegschnablirt, Sie kennen seine Art, er ißt so in Gedanken.

[18]
OLYMPIE.

So kauf nur schnell. – Schön Wetter, liebe Frau, die Maikirsch hat ein schönes Blut, ich nehm den ganzen Korb.

CARDENIO
vor sich.

Sie ists, sie muß es sein.Heimlich zu der Gevatterin. Was die hier nimmt, das hab ich alles schon bezahlt.

DORIS.
Ich will nur sehen, ob auch die Kirschen unten sind wie oben in dem Korbe.
GEVATTERIN.

Was macht sie, liebes Kind, sie schüttet ja die Kirschen zu den ihren, die waren schon dem schönen Herrn hier verkauft und ich hab keine andre von der Art für heute.

DORIS.
Mein Jesus, ei, wie soll ich nun die Kirschen von einander lesen.
CARDENIO.

Das ist ein Unglück! Wohl mir, daß ich doch etwas mein genannt, das Sie mein Fräulein hat gereizt, ich nenne Glück, daß ich erstanden hatte, was Ihnen angenehm. Bei Gott, Sie kränkten mich, wenn Sie dies unbedeutende Geschenk verschmähten, ich nehm es sicher nicht zurück.

DORIS.
Ja wenn der Herr nicht anders will.
OLYMPIE.

Mein Herr, es wäre gegen alle Sitte, solche Gabe auszuschlagen, doch setzt es mich in einige Verlegenheit, daß ich sie nicht mit etwas anderm gleich erwiedern kann.

DORIS.

Ei gnädges Fräulein, sehn Sie nur [19] den schlechten Bindfaden an des Herrn Laute, Sie haben heut ein schönres Band gekauft.

OLYMPIE.

Das war ein guter Einfall, Doris. Dies blaue Band mit Silbersternen hell durchwirkt wird, meine ich, nicht übel lassen.

CARDENIO.
Es ist vielmehr der schönste Ritterorden, der mich dem schönsten Fräulein weiht.
OLYMPIE.
So ernsthaft ist es nicht gemeint.
CARDENIO.

So ernsthaft muß ichs nehmen und diese Sterne die mich jetzt umgeben, sie zieren mich nicht blos, sie führen mich hinfort durchs ganze Leben.

OLYMPIE.
Ich fürchte, daß ihr Glanz zu bald erlöschen wird.
CARDENIO.
Doch nimmermehr ihr Segen. Sagen Sie, ist kein geheimer Glanz in dieser Sterne wunderbarer Windung?
OLYMPIE.
Kann sein, ich weiß ihn aber nicht.
CARDENIO.
Es leuchtet mir so deutlich drin: Olympie muß Cardenio lieben, weil ihr Cardenio ewig eigen.
OLYMPIE.

Wie sagen Sie? Sie kennen mich? Ich heiß Olympie, ich kenne nicht Cardenio, doch hab ich viel von ihm gehört durch meinen Bruder.

CARDENIO.
Böses oder Gutes?
OLYMPIE.
Es hält sich so die Wage, daß noch der Liebe Hauch dem Guten schnell ein Übergewicht verleihen mag.
[20]
CARDENIO.
Cardenio liebt Sie, wird nimmer eine andere lieben als Sie, Sie können ihn allein beseligen.
OLYMPIE.
Beseligen kann der Himmel nur.
CARDENIO.

Sie sind sein Himmel, ich bin Cardenio, ich habe noch nie gelogen, mein Herz ist mir erwacht, Glück auf! Glück auf! – Wenn Sie nicht wieder lieben ist alles aus, Glück aus und Hoffnung aus! – es kann nicht sein.

OLYMPIE.
Wie kann die Liebe so erschrecken und verwundern wollen?
CARDENIO.

Beim Himmel, ich will gar nichts, ich weiß von nichts, zu heftig schlägt mein Herz; ich seh mich ungeschickt nach einem Ausdruck um, zu ihren Füßen seh ich liegen ein viergeblättert Kleeblatt das deutet Glück, o sei es auch ein Zeichen meines Glückes, wenn Sie es nehmen.

OLYMPIE.

Ich muß es nehmen, ich fürchte Sie – mir wird so schwindelnd vor den Augen, ach Doris, komm, wir stehen all zu lange in der Sonne – dort kommt ein großer Zug Studenten. Wir müssen fort.

DORIS.

Ei gnädges Fräulein, das ist nicht gut für unsern Einkauf, hier war so wohlfeil kaufen. Noch einmal unsern Dank, mein schöner Herr. Olympie verneigt sich und geht mit Doris ab.

4. Auftritt
[21] Vierter Auftritt.
CARDENIO.

Nach Hause will ich sie begleiten, sie schwankte, schwankte wie die Sonn im Aufgang und meinte, daß es von der Sonne käme; ich muß ihr nach. – –


Wagner mit vielen Studenten, unter denen alle vorhergenannten, zieht nach dem Promotionssaale dem Thorwege zu.
STUDENTEN.
Glück zu! Wagner, hoch, abermals hoch, dreimal hoch!
WAGNER
zu Dienemann.

Sehn Sie Herrn Schlinger noch nicht kommen, ich bin vom Sonnenschein geblendet, nicht länger konnte ich mehr warten.

DIENEMANN.

Hier ist Cardenio, der hat es mir versichert, er komme gleich. Cardenio, ist Schlinger noch nicht hier?

CARDENIO.

Verflucht, es ist, als würde ich mit kaltem Wasser übergossen, ich will ihr nach, da soll ich oben disputiren. – Geht nur hinauf, er ist schon da. Er sieht in die Ferne.

WAGNER.

Wenn mir Cardenio nur keinen Streich gespielt und läßt mich ohne Opponenten oben sitzen. – Mein Herr Cardenio, Sie wissen ganz gewiß, daß mein Herr Opponent sich eingefunden.

CARDENIO.
Er kommt gewiß, er ist gewiß schon da. Er sieht in die Ferne.
[22]
DIENEMANN.
Nun dann, so geh ich, die Musik zu holen. Ab.
WAGNER.

So sein Sie für die gute Nachricht schon gegrüßt, befinden sich doch noch recht wohl, so ziemlich wohl, mein Herr Cardenio?

CARDENIO.
Den Teufel mag ich mich recht wohl bestanden, ich weiß nicht, wo der Kopf mir steht.
WAGNER.

Da nehmen Sie doch einige Tropfen Assa-Fötida in Äther aufgelöst, es half mir immer gegen Schwindel treulich.

CARDENIO.

Bleibt mir vom Leib mit eurem Teufelsdreck. Vor sich. Jetzt ists zu spät, ich kann sie nicht erreichen, jetzt ist sie ihrem Hause schon ganz nahe, ich möchte weinen, wenns nicht kindisch wäre die Zunge mir zerbeißen, o die Gelegenheit kommt nimmer wieder, ihr alles zu erklären.

WAGNER.

Mein Herr Cardenio, Sie reden viel vor sich, das ist ein böses Zeichen, hier ist ein Fläschchen Opium, nur wen'ge Tropfen geben Lebenskraft.

CARDENIO.

Wünscht mir nicht zu viel Lebenskraft, denn kurz und gut, ich bin heut Opponent, hier ist der Brief von Schlinger worin er euch den Auftrag kund gethan.

WAGNER.

Sie, Herr Cardenio? Sie sind zu gütig. Mir wird so schwach, ich bitte meine Herren, ach leiten Sie mich in den Thorweg, dunkel ists vor meinen Augen und meine Willenskraft [23] versagt, nun ich so nah der höchsten Ehre in der Philosophie.

STUDENTEN.
Wagner hoch, abermals hoch, immerdar hoch!
CARDENIO.
Tief und abermals tief und immerdar tief, dafür, daß er mir heute alle Lust verdorben.

Alle in den Thorweg ab.
5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
GEVATTERIN.

Weiß gar nicht, warum sie mir nicht mal so einen alten Doktorhut verehren, was die all wissen, weiß ich lange schon, habs lange an den Schuhen abgelaufen.

DIENEMANN
kömmt mit Musikanten.

Hier wartet ruhig, werthe Herren Musikanten und schlaft nicht ein und passet auf, ich werde euch mit meinem Hute aus dem Fenster winken, wenn ihm der Doktorhut wird aufgesetzt, dann blaset einen Tusch, daß alle Scheiben zittern. Und wenn wir dann mit ihm ans diesem Thorweg treten im Triumph, dann schwenkt euch, stimmt an den Dessauer Marsch, marschiret drei mal um den Markt, daß er sich allen zeige und wendet euch dann zum Rathskeller, wo ihr zum Schmause musiciren sollt.

ERSTER MUSIKANT.

Je Herrchen, denkt doch an uns, wir sind so nüchtern, wie wir vom Balle sind gekommen und sollten in der Mittagssonne nun[24] pausiren und musiciren, so wie ihr mit den Händen winkt, wo kommt da Stimmung her?

DIENEMANN
holt aus der Tasche eine Flasche.

Dafür ist auch gesorgt, theilts mit den Fingern ab in sieben Theile, daß keiner trinkt zuviel und jeder doch was kriegt. Gebt Achtung! Geht in den Thorweg ab.

ERSTER MUSIKANT.

Ein Herrchen von Conduite; ein artig Herrchen, so ein Kluckerfläschen für uns herzutragen. He habt ihr wohl den Feuerwerker Hase noch gekannt, wenn der ein Feuerwerk erdenken wollte mit Brillantenfeuer, so holte er sich solches Kluckerfläschen und setzt es an den Mund und küpte mit dem Kopfe über, daß ihm der Hut zur Erde fiel. Er trinkt.

MUSIKANTEN.
He Domine, laß etwas drein.
ERSTER MUSIKANT.
Dann klappt er zu den Mund, da stand das ganze Feuerwerk ihm vor den Augen.
MUSIKANTEN.

Wir wollen dir ein Feuerwerk vor deinen Augen schlagen, Domine, die Kluckerflasche ist wahrhaftig leer.

ERSTER MUSIKANT.
Sagt warum wär ich auch der erste von euch allen, thät ich nichts für euch alle?
MUSIKANTEN.

So musicir auch für uns alle. Domine, wir müssen erst bei Herrmann was pausiren.Gehen nach der Schenke.

[25]
ERSTER MUSIKANT.

Da steh ich nun mit der Posaune ganz allein, was werden doch die Herrchen sagen zu der Musik, ich werd vor ihnen blasen wie der Hirte vor dem Vieh, das wird mal Schläge geben, ich mach voraus schon meinen Rücken krumm.


Er taumelt mit lächerlicher Gebärdung an die Posaune gelehnt, in dem Promotionssaale wird sehr
geschrieen, er antwortet halb wachend einzelne Worte darauf, wie recte bene, ecce quam bonum, gaudeamus igitur, pro salute, Vivallerallera, Meyer und Suppius kommen aus dem Thorwege.
SUPPIUS.
Mich hungert mächtig der Wagner macht kein Ende.
MEYER.
Macht kein Ende? Gern machte er ein Ende, könnt er eins finden, das Streiten hat kein Ende.
SUPPIUS.

Ich hab kein Wort verstanden. Ich weiß nicht, wenn ich disputire, da bin ich euch gleich fertig, entweder – oder sag ich, damit mach ich alles aus.

MEYER.

Cardenio opponirt so wunderlich, wie ich noch nichts gehört, erst ließ er sich in Demuth still von ihm belehren, bat sich bald diese Nachricht aus, bald jenes noch von dem Systeme, wie er jetzt alle Welt aus der Vernunft und den Atomen hat erbaut, und unbemerkt hat er aus alle dem sich eine feste Rüstung und ein scharfes Schwert gebildet, womit [26] er die Atomen-Wirbel all zerhaut, er taucht ihn unter in derselben Urvernunft, worauf er erst so prächtig kam geschwommen.

SUPPIUS.

Ei was er ist ein feiner Kopf der Wagner, kein Wasser, worin was untergehen kann, hat er dir nicht erzählt, wie er des Aberglaubens Vorhang kühn zerrissen, die Offenbarungen vernichtet hat, vor ihm bestehen keine Religionen; ja sollt ich mir die Aufklärung versinnlicht denken, der Wagner wär ihr Bruder. He Bruder, ich möchte auch ein Wort da oben mal mitreden.

MEYER.
Du kannst ja kein Latein verstehn, viel weniger sprechen.
SUPPIUS.

Ja das ist wahr, hab mir so viele Müh damit gegeben und hab es doch vergessen. Was ist der Mensch. Ich sag dir, Wagner hat mirs selbst gesagt, daß sein System, wenn man es recht kapirt, so allumfassend wie der Äther sei. He Bruder, mich hungert.

MEYER.

Horch einmal zu. Bei Gott, man kann sie bis hieher noch hören, das nenn ich disputiren, der Boden bebt auf viele Meilen in der Runde wie bei einer Schlacht. Ich sage dir, Cardenio ist ein Teufelskerl, er ätzt mit Höllenstein dem armen Wagner alles wilde philosophische Fleisch hinweg. Schon hat Cardenio ihm kühn und fest bewiesen das heil'ge Grab sei Mittelpunkt der Welt, [27] darum es allen Geistern heilig müsse sein, und allen Menschen, weil alle Christen werden müssen.

SUPPIUS.
Wie lächerlich, Grab ist Grab und Erde ist Erde, so sagt Wagner, Ubi penis, ibi patria.
MEYER.
Panis.
SUPPIUS.

Panis sagt Cardenio, meinetwegen, ich hasse den Cardenio und den Pamphilio und das Folio dazu, sind lauter Narren in Folio. Der Cardenio will alles sein, der Gelehrteste, der beste Fechter, Ordensvorsteher – trinkt sich gestern auch zum Papste gegen mich! – Wart nur, wir haben einen guten Feger aus Frankfurt uns verschrieben, der soll Bescheid ihm sagen, hier wagt sich keiner mehr an ihn.

MEYER.

Er ist ein gar besonderes Ingenium was er anfängt, das geräth ihm, ich glaube er gewönne das große Loos beim ersten Einsatz gleich. Hör wie sich jetzt das Schreien mehrt, das klingt ja wunderlich, das Fenster öffnet sich, da kuckt ja Dienemann heraus, hält sich das Schnupftuch vor die Augen.

ERSTER MUSIKANT.
Ei guten Morgen, Herrchen soll ich blasen.
DIENEMANN
am Fenster.

Ich muß Luft schöpfen. Ja blas nur, ausgeblasen ist das Licht und statt des Siegesmarsches blas ein traurend sanft gedämpftes Lied, wie ihr bei Leichenzügen es zu spielen pflegt.

[28]
SUPPIUS.

He Bruder, was ist denn los, ich kann das Lied nicht leiden, wer wird denn da zum Thorweg todt herausgetragen.


Die Leiche Wagners wird von seinen Schülern traurig heraus getragen, der Musikant bläst ein ernstes Lied auf der Posaune vor ihm her, doch hält der Zug noch, weil einige versuchen ihn wieder zu
beleben. Schmidt und Becker treten aus dem Haufen heraus.
SCHMIDT.
O welch ein harter Tag, kaum kann ich glauben, was ich doch selber angeschaut.
SUPPIUS.
He Bruder sag, warum läßt sich der Wagner tragen?
SCHMIDT.

Glaub nicht, wenn sie dir sagen der Teufel habe ihm den Hals dort umgedreht, es wird gewiß gesagt im Volk, es ist nicht wahr, ich sag es laut, an seiner eignen Größe ist er hingestorben, an seiner Schlüsse ungeheurer Folge, an einem Untersatz ist er geblieben, der alles schließen sollte – sein Blut kommt auf dein Haupt, Cardenio. Ab.


Der Zug will sich fortbewegen, da tritt Cardenio sehr verwildert heraus und hält ihn ein, die Leiche Wagners, mit dem Doktormantel und dem Doktorhute bedeckt wird im Vordergrunde nieder gelassen.
CARDENIO.

Bursche, Freunde, Brüder, ihr meine Feinde auch, ihr wisset alle, ich und Wagner waren uneins, wie geschiedne Elemente, – haltet still ihr Träger – keinen Schimpf will ich ihm anthun – nein bei Gott, die letzte Ehre, die einzige, die ich[29] ihm geben kann. Es war ein braver Kerl und was er meinte, ja darin lebte er auch ganz und sagte es auch frei; hat ihn ein Lügengeist geblendet, in ihm war keine Lüge, mit seinem Leben hat er alle Schuld bezahlt, sein Leben hat er ehrlich dran gesetzt, hat für die Sache, der er gläubig angehangen, bis zu dem letzten Hauch gestritten, da fühlte er sich schaudernd überwiesen, sein Streben leer, sein Wirken nichtig, so ging er auf in seines Wesens Öde. Ich hab ihn überwiesen, ich bin sein Sieger, doch schmerzet mich der Sieg, ich schwöre frei vor Gottes Sonne, daß er verdient die Burschenehre, gesellet mit dem Doktorhute, ich leg den eignen Hieber auf den Todten und meinen Burschenhut, mehr kann ich ihm nicht geben. Dies sei ein Zeichen, wie aller Haß aus meinem Herzen ist geschwunden! Er geht mit gerungenen Händen umher.

GEVATTERIN.

Je du mein Jesuschen über das Unglück, ihm gehört doch auch ein Myrthenkranz, da er als Junggeselle ist gestorben – wahrhaftig er hat ja nie was sonst als seine Bücher angesehen; davon war er so schwächlich. Da ist der Kranz. Legt einen Myrthenkranz auf ihn. Seht neulich, wie keusch er war, da brachte ich ihm eine warme Schüssel, als er so sehr im Leib litt, da meinte er, ich hätte gar was Böses vor und wies mich fort, du lieber Gott, das [30] hätte mir gefehlt, solch elend Männchen und ich bin ein altes Weib. Nein sagt ich – –

DIENEMANN
aus dem Thorweg kommend.

Jetzt schweigt sie, denn zu lange schon hat sie den Zug gestört. Wie kommen diese Musikanten hier so einzeln wie auf der Flucht gelaufen, he schweigt ihr Hautboisten wollt ihr das Trommelfell uns zersprengen, wie der posaunt: nun lasset uns den Leib begraben, da blasen jene noch den lustigen Marsch.

ERSTER MUSIKANT.

Ja Herrchen mit Erlaubniß, die wissen nichts vom ganzen Unglück, die sehn den Himmel an für einen Dudelsack. Ihr Leutchen seht ihr nicht den Todten, spielt das Todtenlied.Die herbei gelaufenen Musikanten blasen endlich zusammen das Leichenlied, Wagners Körper wird vom ganzen Zuge fortgetragen. Cardenio und Becker bleiben zurück.

CARDENIO.

Wahrhaftig sollte ich vor den Gerichten sagen, wie er gestorben ist, ich wüßt es nicht; lebt einer, so lebt er in der Wahrheit und in der Lüge ist kein Leben.

BECKER.

Nicht an der Lüge ist der Mann gestorben, was bildest du dir ein, ich hab es ihm seit langer Zeit gesagt; das Denken ist ein Tanzen auf dem Seile, das zwischen Gott und Menschenleben ist gespannt, er spannte dies von einer Seite nur, sein Menschenleben suchte er mit stark erregenden Potenzen mehr zu stärken und Gott verließ er, so verließ ihn [31] Gott, da stürzt er über. Bei seinem kurzen dicken Hals, bei seinem dicken Blute, da mußte draus ein jäher Schlagfluß folgen, was sich in andern zeigt als Nervenschwäche. Heut kam die Anstrengung, der Ärger noch dazu, ich sah es ihm vor einer Stunde an, daß er gewißlich sterben müsse.

CARDENIO.
Und sagtest mir kein Wort.
BECKER.

Wer hätte mir geglaubt. Hätt ich es ihm gesagt, er hätte gleich dran sterben können auf dem Flecke, von der Reflexion.

CARDENIO.

So schick nur deine leere philosophische Betrachtung dem todten Leichnam nach, mich kümmerts nicht. Pamphilio!

PAMPHILIO.
Je grüß dich Gott, mein Simson, du hast den Philosophen mit deinen beiden Kinn backen todt gemacht.
CARDENIO.

Jetzt schweig davon, ich hab was andres zu vertrauen, dir allein, wobei ich deinen Witz gebrauche. Alle ab.

6. Auftritt
Sechster Auftritt.
DORIS.

Ich wollte noch ein Körbchen Erdbeeren kaufen für Herrn Viren, ja sag sie doch, war wirklich das der Herr Cardenio, der heut mein Fräulein zärtlich angesprochen.

GEVATTERIN.

Du lieber Gott, sie wohnt auch wohl draußen vor der Stadt, da wo die Welt mit[32] Brettern vernagelt ist, den Herrn Cardenio kennt sie noch nicht, der ist ja in der Stadt wie 'n bunter Hund bekannt, das ist mein Sprichwort nur, es ist ein Engelskind.

DORIS.
Ja so ein Engelskind aus der Holzkammer.
GEVATTERIN.

Sie schweig doch still, sie hat auch nicht umsonst die schwarzen Augen, wie ich, wenn er nur zu ihr kommen wollte auf ihre Kammer, sie würde auch von Holz nicht sein.


Lysander kommt.
DORIS.
Je guten Tag, Punschur. – Was machen sie denn mit dem schönen Halstuch in der Hand.
LYSANDER.
Mein Herzensschatz, das hab ich dir gekauft, gefällt es dir?
DORIS.

Es ist ganz prächtig, das Roth fällt in die Augen, das wird mir herrlich stehen, es ist gekiepert, ein schönes Zeug.

LYSANDER.
Hör dafür mußt du mir auch heut gefällig sein, komm auf die Seite.
GEVATTERIN
vor sich.

Wie die sich haben, als wenn ich nicht mehr wüßte, was die Glocke geschlagen, wenn so ein junger Mensch ein Halstuch giebt.

LYSANDER
zu Doris.
Hör Doris, heute Abend ist dein Fräulein doch zu Hause.
DORIS.

Von meinem Fräulein will ich gar [33] nichts hören, nur keine Briefchen wieder, die nimmt sie gar nicht an, es kostet endlich mir den Dienst.

LYSANDER.

Nein, liebes Kind, von Briefen nichts, heut wünscht mein Herz viel mehr heut will ich es wagen, um alles zu gewinnen, denn dieses Zögern kann ich länger nicht ertragen. Versteck mich heute Abend spät in dem Schlafzimmer deines Fräuleins, vielleicht erringt ein Sturm, was mir die Güte stets versagt auf rechtem Wege.

DORIS.
Nein nimmermehr, das geht nicht an, das war ja schlecht von mir.
LYSANDER.

Warum nicht gar du Narr, ich mein's wahrhaftig mit ihr ehrlich, ich nehm sie sicher, es ist mein einziger Wunsch, sie zu heirathen, kein Mensch erfährts, daß du mich eingelassen; ich schwör es dir ich lohn es dir mit tausend Thalern und mit tausend Liebkosungen, ich halte Wort. Ich lieb Olympien so unaussprechlich.

DORIS.
So hast du mir auch einmal vorgesagt.
LYSANDER.

Du Narr, warum hab ich dich also leicht gewonnen, doch bin ich dir noch gut du weißt es, zwei so verschiedene Lieben gehn recht gut zusammen, doch mußt du jetzt auch deine Liebe zeigen.

DORIS.
Mein Fräulein kann ich nicht verrathen, sie ist so gut.
LYSANDER.
So schwör ich dir, daß wir auf ewig sind geschieden.
[34]
DORIS.
Ich kann nicht.
LYSANDER.

Noch diesen Abend will ich mit der Schwester hin nach den Pulverweiden, vor deinem Haus vorübergehen, sie liebt mich doch viel mehr, als du.

DORIS.
Das sollst du nicht, das leid ich nicht, ich kanns nicht überleben.
LYSANDER.
Zeig mir, daß du mich liebst, bring mich zu deinem Fräulein.
DORIS.
Es muß geschehen, doch hält es schwer.
LYSANDER.
Und wenns gelingt, so ist dein Glück gemacht.
DORIS.
Mein Glück und auch mein Unglück. Wir müssens heimlich überlegen. Beide ab.
7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Der Schauplatz verwandelt sich in eine Straße vor dem Hause des Viren und der Olympie, beide treten auf den Balkon.

VIREN.

Nach so viel Leiden, verseufzten Tagen und verwachten Nächten, da fühlt ich im Gedeihen eines lustigen Lebens, daß Liebe gar nichts sei, ein leerer blendend heller Spiegel in muthwilliger Hand der unerwartet wirft der Sonne Bild in unsre Augen erschreckend glauben wir, sie strahle plötzlich aus einer andern Region zu uns – da ist es fort. Hätt ich die bang verlorne Zeit zurück!

OLYMPIE.

Du quälest mich, wie einen Kranken dem seines Lebens Ausgang vorerzählt wird, dem ein[35] gewisser Tod wird vorgerechnet, das Leben quälet ihn, doch hat ers lieb. Ach lieber Bruder, wie du mir so durchdringend dies Gefühl beschriebst, so wie du es erfahren, an das wir glauben müssen gegen alle Überlegung, das in uns lebt und außer uns in ewgem Zwiespalt mit uns selber, so etwas fühlt ich auch, als sich Cardenio mir ganz zu eigen gab. Mir zu eigen? Mir selber hat er mich entführt und schweift mit mir ich weiß nicht wo, herum, ich will in meinen Büchern lesen und gähne, will gern an meine alten Freunde schreiben und kann nicht aus den ersten Worten kommen, mir ists, als müßt ich ihm weit über Hügel folgen; bin ich im dunklen Thal, so steht er auf der Höh in Abendsonne schön beglänzt und steig ich zu der Höh so ist er fort – wie wird mir doch ums Herz so weh.

VIREN.

Ei wie verändert, stolzes Schwesterchen du stolze Frucht an einem Tag gereift am höchsten Gipfel und schon gefallen in des Mannes Schoos. Gedenk ich noch an gestern, der hochgefeierten Selbstständigkeit, des treuen Bunds mit allen edlen Mädchen vom Ehejoche frei zu bleiben.

OLYMPIE.
Ich habe nie davon gesprochen, daß jede Ehe eine Bürde sei, nur die gezwungne wär mir unerträglich.
VIREN.

Ihr Mädchen werft die Worte aus wie Kupfermünzen, der Mühe überdrüßig, sie zu zählen;[36] wie sprachst du allgemein von Männertyrannei. Je liebes Kind, ist je ein Mensch auf Erden zum Tyrannen ganz geschaffen, so ists Cardenio.

OLYMPIE.

Ich muß gehorsam sein, ich bin dazu geschaffen, du hättest früher warnen sollen, oder nie; gehörst du auch zu denen, die den Brunnen decken, wenn erst das Kind hineingefallen ist?

VIREN.

Ich glaubte dich Lysandern längst verlobt, er ist ein hübscher Mann, ein Mann von Ehre, hat Ansehn und Vermögen, er liebt dich treulich nun so lange.

OLYMPIE.

Du glaubtest es, weil du es wünschtest, ich hab dir nie davon geschrieben, ich hab ihm jede Gunst, selbst die gewöhnlichen, die dem Verliebten leicht ein Zeichen der Geneigtheit werden, so streng versagt, daß er wohl glauben mag, ich hasse ihn, wie ich doch nie gethan. Er ist ein werther Freund; Aufmerksamkeit, bescheidne Schmeichelei in allem, was mir lieb, so viele kleine Dienste, die er uns geleistet, verpflichten mich zur Dankbarkeit, ja fast wie eine Angewohnheit ist mir seine Nähe, die ich nicht gerne misse, Cardenio ist mir Bedürfniß, Speise, Trank und Luft des höheren Lebens, nichts bin ich ohne ihn.

VIREN.

Cardenio, ich läugne nicht, ist ausgezeichnet unter Tausenden, erhöht von der Natur, geschmückt mit Kunst, doch löscht ein Fehler alles Gute aus. Er ist ein zorn'ger Wüthrich, ein ew'ger Streiter [37] gegen tausend Kleinigkeiten, die der gewohnte Lauf der Welt als harmlos duldet, und was er meint das sagt er aus, und was er will, das setzt er durch, ihn fürchtet jeder, keinen fürchtet er. Nur sein gelehrter Ruf hat gegen die Verbannung ihn beschützt, er wär von den Studenten längst schon ausgeschlossen, wär nicht in ihm der Kern von allen, eine ganze Akademie. Beim Trinken drückt er erst die Menschen an sich, als wollt er sich für eine Ewigkeit verbrüdern nun sieht er sie in hellster Nähe an, bemerkt die feinen mikroscopschen Züge und stößt sie mit Verachtung fort – mir selbst ists so begegnet, ich rettete mich nur von einem großen Streit durch einen witzig leichten Seitensprung. Solch Uebel wächst mit jedem Streite, was erst unleidlich ist, die widerhaar'ge Spannung wird bald ein angenehmer Reiz, es juckt da immer, wo man oft gekratzt und seine Ehre ist ihm gar ein kitzlich Fleckchen, doch findet er noch sicher seinen Meister, denn jeder Händelmacher findet den, er stirbt ganz sicher nicht natürlich, oder er muß flüchten in die weite Welt, was hast du dann?

OLYMPIE.

Mein lieber Bruder, wer auf den sicheren Besitz von etwas herrlichem nur eine Stunde rechnet, nein der besitzt es nie, der hat es nie besessen sich nie dem Augenblicke hingegeben, der Jahre aufwägt. Und sind nicht Augenblicke muth'gen Glücks und seliger Erhebung mehr, als ungenoss'ne achtzigjähr'ge [38] Dauer des stets verkümmerten Daseins. Hab ich mit ihm die Freudenzeit genossen, so leid ich auch mit ihm so kann ich mit ihm sterben.

VIREN.

Ei liebe Schwester, spricht Natur aus dir? So fremd und so beredt hab ich dich nie gefunden, es ist ein neuer Stolz, der dich ergreift, den alten Stolz der scheuen Jungfrau hast du schon vergessen.

OLYMPIE.

Sprich nicht von meinem Stolz, ich fühl ihn heute nicht, ich fühle nichts als milde Güte, ein Wohlthun möcht ich üben gegen alle Welt, mir an das Herz sie drücken, damit es eine Haltung fände, – denn es ist schwach. O sieh mich an, kann seine Wildheit mir wohl widerstehn, wenn ich ihn also bittend blicke an, der Blick muß ihn entwaffnen, der muß das lose Schwert fest in der Scheide halten, ich will ihm decken seiner Augen Glanz mit meiner Hand, wie mit dem Schilde der Vernunft, wenn er in Zorn ausstürmen möchte.

VIREN.

Das ist doch lustig, das läßt sich alles anders auch verstehen, es ist mir lieb, daß Niemand gegenwärtig! O Schwester, das klingt ja ganz erschrecklich sinnlich.

OLYMPIE.

Aus meinen Augen fort, du Ungeheuer, du stellst dich ernsthaft, machst mich ganz treuherzig, ich weiß von nichts, du hast mit aller Thorheit dich besudelt, die du Erfahrung nennst, und nun ich [39] offen mit dir rede, als wolltest du mich freundlich gern verstehen, mir gütig beistehn, da lachest du mit fremdem Scherz herein, ich schäme mich meines offnen Sinns, bei Gott, wär ich kein Weib ich könnte dich ausfodern darum, und umbringen, und dann machst du Cardenio daraus noch eine Sünde, wenn er so oft in Händel sich verwickelt. So wie du schlecht von mir gesprochen, gehts auch ihm, die anderen verderben seine Worte eben so.

VIEREN.

Ja Schwester, wie du wieder alles mißverstehst; daß ich dich nicht für eine Göttin halte, das kränket dich? Ich bin kein Gott und weiß doch noch aus früheren Jahren, stolze Schwester, wo wir vertraulich stets beisammen waren.

OLYMPIE.
Da warst du gar ein andrer Mensch.
VIREN.
Du warst wie andre Mädchen hattest auch die Nase in die Länge.
OLYMPIE.
Fort, fort, ich kratz dir sonst die Augen aus.
VIREN
lachend.
Damit ich niemals sehen soll, was du mit Cardenio unter vier Augen thust. Ab.
OLYMPIE.

Wahrhaftig ich geh noch heute fort von dir, wenn du mir so begegnest. – Ein sonderbares Recht, daß sich die Herren Brüder meist anmaßen, uns alle Unanständigkeiten her zu sagen, die sie von andern niemals um uns leiden mögen, sie möchten uns allein damit versorgen. Es hat mich doch [40] verstimmt, ich lebte ganz in dem Gedanken an ihn und bei Cardenio da fällt mir lauter Schönes ein, du weißt o Himmel, meine Lieb zu ihm ist rein, entlade mich den heftigen Gedanken, womit der Zorn das Herz mir tief erregte, ich bin zu heftig, ich habe so viel anderes zu denken, da mir der Abendstern entgegenblickt.


Aus der heitern freien Bläue
Tritt ein Stern so heimlich vor,
Ach, wo war er doch zuvor?
Und nun seh ich gar schon zweie,
Die so fest verbunden scheinen,
Als wenn Gottes Hand sie band,
Und nun gehn sie Hand in Hand,
Und ich muß hier einsam weinen.

Immer muß ich beider denken,
In die Augen eingebrannt,
Blicken sie so unverwandt
Und ich muß die Blicke senken,
Seh nicht mehr die keuschen Sterne,
Alle ziehn so fern vorbei;
Sah sie gestern noch so frei,
Gestern sah ich sie so gerne.

Und nun ich wieder aufzublicken wage. Die armen beiden kleinen Sterne, kaum sind sie zu erblicken, so schämen sie sich vor der Sonne, die sie noch mit durchdringenden hellem Aug bestrahlt. Sie bleibt in sich verloren nach den Sternen aufblickend stehen.

8. Auftritt
[41] Achter Auftritt.
Lysander und Doris schleichen unter den Häusern an ein Seitenpförtchen des Hauses, wo sie von Olympien nicht gesehen werden können.

DORIS
mit bittender Bewegung.
Still – still – sacht – leise, die Sonne ist noch sichtbar und mir ist so bange.
LYSANDER.
Mir gar nicht, die Katzen zischen sich schon an auf ihren Liebeswegen.
DORIS.
Ich dächt, wir ließens?
LYSANDER.
Recht gern, wenn du nicht schon die Thüre aufgemacht.
DORIS.
Ich wollt, ihr wäret schon heraus.
LYSANDER.
Für jetzt nur schnell herein.

Sie treten ab in die Seitenpforte.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
OLYMPIE.
Unsre Nachbaute schließen
Schon die kleine Fenster zu,
Wünschen eine gute Ruh,
Mit zur guten Nacht begrüßen;
Viele fromme Kinder singen
Müde ihren Abendsang,
Ach wie ist mein Herz so bang,
Nacht will mir nicht Ruhe bringen.

Cardenio und Pamphilio kommen mit Musikanten und Masken.
ERSTER MUSIKANT.
Ja Herrchen, es ist so duster mir vor meinen Augen, was wird mir das bedeuten.
[42]
PAMPHILIO.
Daß du nun um so heller singen kannst, wie Nachtigallen, die geblendet sind.
ERSTER MUSIKANT.
Je Herchen, ich kann den Steg nicht finden über diese Gosse.
PAMPHILIO.

Find nur den Steg auf deiner Violine so ist mirs einerlei, wo du dich bettest, ich will euch überdies nie Heimchen hier verstecken, daß alle Leute die Augen nach euch aussehen mögen, woher wohl das Gesinge und Gedudle komme. – Du stehst tiefsinnig da Cardenio vor deiner Liebsten, als wärs dein Stehpult, ja sag, verwundert es dich nie daß jener strahlenhelle Phöbus, der eben seine Rosse hin zur Schwemme reitet, die schönsten Gaben seiner Töne solchem lausigen Volk verleiht, wie unsre Musikanten sind, ich glaube er gehört zum Bürger-Rettungs-Institut und macht aus seiner Huld Almosen für die Armen. He Bruder, du hörst kein Wort.

CARDENIO.

Laß mich, ich weiß es nicht, was hier das Beste sei, doch du verstehst am besten, so etwas anzuordnen und dazu hab ich dich, nimm alle die Gedanken jetzt zusammen. Wahrhaftig mir vergehen die Gedanken, ein tiefer Ernst durchdringet mich bei dieser Himmelskonjunktur, die Sonne noch nicht unter, der Mond noch nicht herauf und jene beide Strahlen des Springbrunnens, der wie aus meinem Herzen steigt, erscheinen mir gleich Schwanenhälsen die Luna froh auf dem bestrahlten Wasserspiegel zu [43] mir ziehen. Auch sie soll Liebchen sehen, ich sehe Liebchen schon in ihrem Schein. Ich wollte etwas singen und ich zittre, als würd ich selbst zur Zitter, die lebend ihrer Hand gehorcht.

PAMPHILIO.

Schäm dich der Furcht, du Simson, noch schläfst du nicht in ihrem Schooße, denn deine Locken fliegen noch so frei im Abendwind und kitzelten mich eben in der Nase, könnt ich nur singen, so wie du, ich wollte alles abgelebte Echo in den Straßenecken ausfordern, daß die Hähne drüber krähten.

CARDENIO
erst leise, dann lauter.
Hinunter, hinunter
Du rollende Sonne,
Nun werd ich erst munter,
Nun steige du Sonne
Des Herzens im Thale,
Mein Liebchen bestrahle.

Mein Flehn ist erfüllet,
In weißen Gewändern
Mit goldenen Rändern
Kömmt Luna verhüllet,
Die Sternelein spießen,
Die Göttin zu grüßen.

Wie blinken die Wellen,
Wie glänzen die Gassen,
Die alten Gesellen,
Die Sterne erblassen,
Denn Luna nur blicket
Auf Liebchen entzücket.
[44]
OLYMPIE
wird aufmerksam.
Die Studenten singend ziehen,
Kühle Luft vorüber streicht,
Daß der Mond davon erbleicht,
Meine Wangen müssen glühen,
Weil ich eine Stimme höre,
Die ich einmal nur gehört,
Und mein töricht Herz mich lehrt,
Da sie singe mir zur Ehre.
CARDENIO
zu den Musikanten heimlich.

Nun frisch ihr Herren Musiker, thut jetzt das Beste, so etwas düster Lockendes, daß man dabei verhimmeln möchte, ein Waldhorn erst, das in sich selber wiederhallt, dazwischen rasch ein lust'ger Harfenschlag, daß sich ein Jeder aufrafft, als seis verrathen, was er meine.

PAMPHILIO.

Ich hoff du sollst zufrieden sein, wie ich es angegeben, es spielet alles mit, der Mond der Himmel und der Brunnen vor dem Hause.


Olympie spricht oben, doch ohne daß sie es unten hören können.
OLYMPIE.
Stille Nacht, trink dein Vergnügen,
Trink das Licht in vollen tiefen Zügen.
Ist die goldne Schaale ausgetrunken,
Scheibenglanz ins Dunkel eingesunken.
Haben alle Blumen sich geschlossen,
Alle Kräuter ihren Thau genossen,
Andre Vögel nur nach Schlaf verlangen,
Nachtigallen ihren Sang anfangen.

Die Musik, welche das Maskenspiel einleiten soll, beginnt.
OLYMPIE.
Ach wie viel hab ich mir selbst verschwiegen,
In den Tönen seh ich alles offen liegen.
[45] Was die Sonne zu dem Fluß getrieben
Ist in meinen Adern heiß geblieben,
Was sie in den goldnen Strom versenket,
Mich zu diesen süßen Tönen lenket,
Fühle alle Sinne drin erfrischet,
Meine Stimme sich mit ihnen mischet.

Flötensolo.
OLYMPIE.
Schweige, sagt der Bäume fern Erregen,
Auf den Mund will den Finger legen,
Und nun hör ich nur ein fernes Herze schlagen,
Hör den fernen silbern Mondenwagen
Und ich lese in den letzten Sternenzügen:
Stille Nacht, trink dein Vergnügen.

Die Musik schweigt.
CARDENIO.

Recht brav, ihr Musiker, ihr habt so recht mein Herz entflammt, ich wünsche Händel und ich träum sie schon, jetzt schnell das Maskenspiel.


Maskenspiel vor dem Altane.
DIE JUNGFRAU
in ländlicher Tracht geht zum Brunnen.
Kommt der Mond zum Quell gegangen,
Badet seine weiße Brust,
Zu ihm hin die Arme langen,
Und ich wasche sie mit Lust;
Wasche meine heißen Wangen,
Kühle ab mein junges Blut,
Schwere Arbeit ist vergangen,
Wie er mir so schöne thut.
In den Wiesen ist ein Klingen,
Ists des Mondes Sichelklang,
Vor ihm her viel Lichter springen,
Leuchten bei der Ernte Drang.
[46]
DIE FRAU
in ländlicher Tracht mit einer Spindel.
Wenn der Mond ist aufgegangen
In der Hand die Arbeit ruht,
Ist im Finstern dann ein Bangen,
Thut ein Gang ins Freie gut;
Meine Schwester seh ich träumend
An des Brunnens weißem Rand,
Und der Brunnen springet schäumend,
Winket weit mit weißer Hand,
Wie ein Geist, so möcht michs schrecken,
Glaubte ich an Geisterschein,
Will doch meine Schwester necken,
Denn sie sitzt so ganz allein.

Sie umfaßt die Jungfrau.
JUNGFRAU.
Ach wie ist mir doch geschehen,
Wie umfaßt mich frech fein Arm,
Lindor, dich will ich nicht sehen,
Mich umzieht es kalt und warm.
FRAU.
Ich bins Schwester, welches Bangen
Vor dem Amor, vor dem Dieb,
Leicht ist mir die Zeit vergangen,
Amors Zeit war mir so lieb,
War auch Jungfrau, bin nun Fraue,
Und der Mond mich noch berückt,
Wenn ich jetzt mit Sorge schaue,
Ob kein Licht im Hause blickt.
Daß die Glocke zehn geschlagen,
Sagt der Wächter nur dem Herrn,
Mir die Nachtigallen schlagen,
Mag zu Bette noch nicht gern.
JUNGFRAU.
Wie der Mond im Brunnen spielet!
Ei wie kommt er da hinein?
[47]
FRAU.
So die Lieb zum Herzen zielet,
Und so strahlt sie frei herein.
Kühler Trank, du scheinest Feuer,
Also scheint die Liebe auch
Und mein Busen athmet freier,
Seit ich kenne ihren Brauch.
JUNGFRAU.
Ist die Liebe wie die Quelle?
Immer ist ihr Strom so voll,
Und zerfließet doch so schelle,
Und ihr Rauschen weit erscholl.
BEIDE.
Labung ist sie allen Sinnen,
Tropfen fallen mir vom Kinn,
Tausend neue Tropfen rinnen,
Und besinnen sich darin.
FRAU.
Siehe, Lindor dort erscheinet,
Ringt die Hände überm Haupt,
Ach der arme Knabe weinet,
Und der Wald ist grün belaubt.
LINDOR.
Hinter meiner Sense bindend,
Hast du wohl auf mich gesehn,
Nach der Arbeit schnell verschwindend,
Läßt du mich alleine gehn;
Sind das wohl die guten Sitten,
Die du in der Stadt gelernt,
Hörtest du auf andrer Bitten,
Hast du dich von mir entfernt!
JUNGFRAU.
Lerne du nur gute Sitten,
Bleib nicht bei der alten Art,
Lerne erstlich höflich bitten,
Und dann bin ich auch nicht hart.
LINDOR.
Weil ich dich so gern umgebe,
Scheidet mich dein hartes Herz!
[48]
FRAU.
Ei sie will sich nichts vergeben,
Darum scheint sie bös Scherz.
JUNGFRAU.
Könntest du dich mir ergeben,
Ach ich habe auch ein Herz.
LINDOR.
Sag, wie soll ich mich ergeben,
Da ich lang dir eigen bin.
FRAU.
Ei du sollst den Kuß ihr geben,
Denn das will der Eigensinn.
JUNGFRAU.
Ach so war es nicht gemeint!
FRAU.
Doch nun ist es schon geschehen.
LINDOR.
Ach warum hab ich geweint?
FRAU.
Daß du nun kannst klarer sehen.
JUNGFRAU.
Ach was hör ich, welches Klingen,
Welchen Klang in meinem Ohr?
LINDOR.
Meine Lieder zu dir dringen,
Da gesprenget ist das Thor.
Hörst du nun den Lenz erklingen,
Da du ruhst am Busen mir,
Und mein Herz will mir zerspringen,
Da es fühlt ein Herz in dir.
Siehst du nicht die Blitze dringen
Aug in Auge hin zu dir,
Meine Arme sich beschwingen
Und ich schwebe über dir.
JUNGFRAU.
Süß Erkennen erster Liebe,
Abschied von der weiten Welt,
Aus dem Felsen schlägt sie trübe
Einen Funken, der erhellt.
LINDOR.
Luna kann nun immer scheiden,
Sterne nehmt mein Lebewohl,
[49] Alle Trauer will ich meiden,
Denn die Freude thut mir wohl.
JUNGFRAU.
Süße Schwermuth, dich zu leiden,
Thut in Freuden mir so wohl,
Alle Menschen will ich meiden,
Denn du bist mein Weh und Wohl.
BEIDE.
Süß Erkennen schließt die Wunde,
Alles mir so wohl gefällt,
Und ich fühl an deinem Munde
Aufgang, Untergang der Welt.
FRAU.
Seht, das ist der Lohn der Zarten,
Dieser süßen Thränen Glanz,
Seht die Myrthen in dem Garten,
Winden sich im Thau zum Kranz.

Sie bekränzt die Jungfrau mit einem Myrthenkranz und giebt ihr einen Strauß von Rosen.

Und die Rose lehrt euch beiden,
Ihre Dornen fühltet ihr,
Doch in Dörfern, wie in Sädten
Bleibt sie stets die höchste Zier.
Heute sind es sieben Jahre,
Daß ich ruht in gleichem Glück,
Und die Flügel neuer Jahre
Decken nicht dies erste Glück!

Olympie verneigt sich und geht schweigend ins Haus.
ZUSCHAUER
die sich allmählig eingefunden haben.

Der Spaß ist aus, ich wollt, er wär noch einmal so lang gewesen. Zweiter. Mir ist mein Lebtag kein solch Vivat vorgekommen. Dritter. War es denn die kleine Ach-Herr-je, die gesungen hat mit ihrer kleinen Schwester, der Bursche war Lungenfeld. Vierter. Mir [50] ists dabei im Magen kalt geworden, ich geh zu Dost, er ist noch stets mein Trost. Fünfter. Gut Nacht, ich will noch Veilchen pflücken. Die Zuschauer ab.

CARDENIO.
Sie hat gedankt, sie hat es angenommen.
PAMPHILIO.
Ich hab es selbst gesehn, sie neigte sich.
CARDENIO.

Pamphilio, ich muß dich küssen und doch beneid ich dich um die Erfindung, was wußte sie von mir dabei, ach dir gehört der Gruß, der Dank, bei Gott ich bring dich um, wenn du's ihr je verräthst. Jetzt ist sie sicher schon in ihrem Zimmer, jetzt kleidet sie sich aus, ach immer schöner, schöner. Wie wag ich doch, so was zu denken, verzeih mir Geist der reinen Liebe, nein trag ihn nicht in ihren Traum hinüber, den frevelhaften Blüthenstaub. Schlaf ruhig ein Olympie.

Wie Mimosa schließt die Blätter,

Also schließ die Augenlieder,

Morgen weckt ein keusches Wetter

Deine hellen Augen wieder,

Und du öffnest dann die Laden

Und es steigt so schöne Luft,

Alle Blumen sind geladen,

Und sie opfern ihren Duft.

PAMPHILIO.
Ihr Musikanten jetzt ganz leise eine Nachtmusik, bis das Nachtlicht in dem Zimmer löschet.
10. Auftritt
[51] Zehnter Auftritt.
Olympiens Zimmer. Die Musik vor der Thür schallt leise, aber vernehmlich. Doris führt Lysander herein.

DORIS.
Mir ist so bang ums Herz, ich thu gewiß nicht recht.
LYSANDER.
Das glaub mir nur, zum Guten ist uns bang und auch zum Bösen, wenn es viel Muth und Arbeit kostet.
DORIS.

In diesem Schrank, er ist gerad so groß wie Sie, ich weiß es, denn wenn ich davor gestanden, so mußt ich immer an Sie denken, da müssen Sie sich drin verstecken, da ist ein Schlüssel der ihn aufschließt, ich weiß nicht, wo ich ihn gefunden, er paßt recht gut.

LYSANDER.
Wie bist du denn darauf gekommen, ihn zu probiren, du stiehlst doch nicht.
DORIS.

Ei pfui, wer wird so schlecht von Leuten denken, die Neugier trieb mich und ich dachte in dem Schrank des Fräuleins Liebesbriefe zu entdecken, ich wollte lernen, wie man die Briefe vornehm schrieb.

LYSANDER.
Und hast du sie gelesen?
DORIS.

Du liebe Zeit, das waren schöne Liebesbriefe, Gebete, Versche waren es, ganz dumme Kindermährchen, erbauliche Betrachtungen, wie sie ihr Herz verbessern wollte, das lernt sie alles aus den[52] Büchern. Nun gieb mir einen Kuß, ich lasse dich allein.

LYSANDER.

Wenn alles gut geht, sollst du deinen Kuß erst kriegen, sei nur recht wachsam, giebt es Lärmen, mich durch die Seitenpforte auszulassen. Wer macht denn das Gedudele da unten in der Straße?

DORIS.

Recht weiß ichs nicht, an mich hat er sich nicht gewendet, wie alle andre, vielleicht ist's der Cardenio, der heut am Markte meinem Fräulein zärtlich zugesprochen, es ist ein schöner Herr, es lacht das Herz ihm gleich entgegen.

LYSANDER.
Das war ein schlimmer Handel, wenn ich mit dem zusammen träfe. Wo bleibt denn noch Olympie?
DORIS.

Sie sucht sich Abends meist ein Buch in ihres Bruders Sammlung und sucht so lange, bis sie nichts mehr lesen mag.

LYSANDER.

Nun gut, jetzt lasse mich allein, wir überhören sonst die zärtlich leisen Tritte, denn wie ein Sternbild wandelt sie am Rand der Erde, regiert sie strenge und berühret sie doch nicht. Sei wachsam und bereit.

DORIS.

Ich will den Kuß mir treu verdienen du harter grimmiger, kalter, lieber, lieber Bösewicht. Sie küßt ihn und geht zögernd ab.

11. Auftritt
[53] Eilfter Auftritt.
LYSANDER
allein.

O dieser Kuß, ich wollt, ich wär ihn los von meinen Lippen, die ganz in Himmelswonne träumend sich erquicken, hier in Olympiens Nähe wird mir Gemeines ganz verhaßt, wie wünschte ich mein voriges Leben zu vergessen. Gemeine Sünden könnt ich hier nicht thun, so tröstet's mich, daß ich erschrecklich freveln will. Was thue ich? Es ist der Sprung des ganz Verzweifelten hin über einen Abgrund, schon hinter mir versinkt die Welt, ich kann nicht mehr zurück. – Ich möchte mit dem Himmel den Vertrag hier schließen, für diese eine Schuld wollt ich mein Leben seinem Dienste weihn; o heil'ger Gott schließ den Vertrag, schlag ein. – Wie sprech ich so von Gott und hab den Teufel in dem Herzen, doch hier in ihrer Nähe verliert, wie in dem Kelch des Abendmahls die Schlange all ihr Gift, der enge Raum wird hier zum weiten Himmel. – Wie die Musik mich quält, wohl mir, da hier ein Licht, es ist genug in dieser kleinen Welt die trüben Nachtgedanken zu zerstreuen. – Wie friedlich steht das kleine Bett, die weiße Decke ist so straff darauf gezogen, es ist nicht weichlich, ach ich muß doch einen Augenblick darauf mich setzen – und nun ich sitze, fühl ich erst, wie's mir so weich, in diesem Augenblicke möchte ich für eine Ewigkeit erstarren, zum Denkmal werden [54] meiner eignen Ruhe. – Wie quälen mich die sanften Flöten wieder; sind ich denn nichts, was mich auf andere Gedanken bringen kann. – Da liegt ein aufgeschlagnes Schreibebuch, wie liegt es ordentlich in gleicher Linie mit dem Rand des Tisches, mit dem Stuhle, das Dintfaß steht in richtiger Entfernung recht davor, die Feder liegt so reinlich ausgewischt daneben, o schöne Ordnung, Spiegel ihres Geistes. – Was hat das liebe Kind geschrieben? Er liest. »Führ mich nicht in Versuchung Herr und Gott, schenk mir die Wahrheit und bewahr mein Herz.« Nur wenig Worte, aber inhaltschwer, sie drücken meinen bösen Willen nieder, der schwarze Vorsatz weicht mir wie in Fieberwahn, kaum glaub ich, daß ich ihn geheget. Führ mich nicht in Versuchung, liebes Kind, so will ich nun zu dir auch beten: Es wird mir leicht, ich eile fort noch eh die Liebliche gekommen, daß nicht mein Aug die Heimlichkeit erblickt, der es nicht widerstehen kann. Er springt zur Thüre, in dem Augenblick ruft Olympie draußen.

OLYMPIE.
Doris bring Licht, ich will zu Bette gehen.
LYSANDER
springt zurück.

O Himmel, als ich mich bessern wollte, war's zu spät; fort in den Schrank, fort in die dunkle Hölle. Er springt in den Schrank, den er hinter sich zudrückt.

12. Auftritt
[55] Zwölfter Auftritt.
DORIS
sieht sich erst scheu um.
Es brennt schon Licht mein gnäd'ges Fräulein.
OLYMPIE.

Wie unvorsichtig, Doris, hast du den Wächter nicht gehört, bewahr das Feuer und das Licht, das Zimmer ist so voll von Dampf, das Licht ist weit herabgebrannt, geh putz es, mach das Fenster auf, die Luft ist noch so angenehm.

DORIS.
Auch die Musik klingt jetzt viel heller.
OLYMPIE.
Ich höre sie recht gern, sie scheint bestimmt zu meiner Ehre.
DORIS.

Ich möchte wissen, wer sie bringt; ganz sicher der Lysander, ich sah ihn heute sehr beschäftigt laufen.

OLYMPIE.
Ich bitte dich, mach nur die Fenster wieder zu; es thut mir leid, daß er sich Müh und Kosten macht.
DORIS.
Es ist doch gar ein schöner artger Herr.
OLYMPIE.
Wen meinst du?
DORIS.
Wen anders, als Lysander, Ihren treuesten Verehrer.
OLYMPIE.

Ich halte ihn für einen zuverlässigen Freund, doch muß sein unaufhörlich Werben und Hofmachen mich ermüden, ich gab ihm nie die kleinste Hoffnung; er hindert mich dadurch, wohlwollend ihm die Freundschaft, jene Achtung auszudrücken, die er [56] mir eingeflößt, er würde stets viel mehr daraus sich schließen, als ich gemeint.

DORIS.

Die Leute sagen doch, wenn Sie mit ihm spazieren gehen, ja das ist noch ein Paar, das recht zusammen paßt, verständig sind sie beide und wie schön!

OLYMPIE.

Die Leute sagen viel, geh nur zu Bette, ich hab bei meinem Bruder gar ein schönes Buch gefunden, das will ich ruhig lesen, es handelt von der Nachahmung des Herren Christus, ich bin noch gar nicht müde.

DORIS.

Mein Gott bei solchem Buch, da schliefe ich gleich ein. Nun gute Nacht, mein liebes gnäd'ges Fräulein. Doris ab.

13. Auftritt
Dreizehnter Auftritt.
OLYMPIE.

Zuweilen mein ich, Doris sei Mann, ich kann mich nicht vor ihr entkleiden, blickt so frech, ich fühl mich so beschämt, es ist mir lieb, daß ihre Zeit bald um und daß sie selber mir hat aufgesagt, es wird mir gar zu schwer, wenn den Mädchen muß den Abschied geben ich beschämter dann als sie. – Wie lieblich reget die Musik mir Herz und Pulse an, es war gewiß Cardenio, ich gehört, der tiefe ernste Ton der Stimme hat mir sein Bild in einem dunklen Spiegel dargestellt, der Umriß ähnlich, aber finster farbelos, als ständ ein [57] großes Unglück drauf gezeichnet, das dieses Waldhorn jetzt so rührend klagt. – Gern möchte ich ihm etwas schenken für die Freude und die Schmerzen, die er mir in das Herz gesungen. – Da fällt mir eine Locke unbequem ins rechte Auge, daß es in Thränen sich ergießt, – ein rascher Schnitt und sie gehört nicht mehr zu mir, – fort aus dem Fenster flieg hinaus, und will das Glück dir und auch ihm recht wohl, so führ der Abendwind dich schnell in seine Hand. – Fort ist sie, wars auch recht, was ich gethan? Ich schäme mich, ich werd ganz roth, ich will im Bette mich verstecken, das steht ganz sicher nicht in der Nachfolge unsres Herrn. – Was find ich hier auf meinem Bett, es ist doch unbescheiden von der Doris, daß sie aus Langeweile sich darauf gesetzt; doch freilich, das arme Mädchen hat gar lange warten müssen, bei der Musik ist mir die Zeit so schnell vergangen, das Dienen ist ein hartes Leben, macht gegen feineren Genuß so stumpf, ihr schallte doch Musik so gut wie mir. – Und jetzt erschreckt mich dieser Eindruck auf dem Bette. – Warum? – Nun fällt mirs ein, es ist ein altes Geistermährchen das ich in einem Kinderbuch gelesen, von einer Mutter, die im Wochenbett gestorben und dann als Geist bei ihrem Kinde nächtlich wachend saß, als seine Amme sorglos es verlassen hatte, am andern Morgen sah die Amme noch den Eindruck, wo sie gesessen, das [58] Kind war satt und froh. – Ich muß das Buch noch haben, es war voll wunderbarlicher Geschichten es liegt wohl in dem Schranke. Sie geht zum Schranke, Lysander springt hinaus, löscht mit seiner Hand das Licht und küßt sie.

OLYMPIE.
Cardenio, das ist Verrath, zu Hülfe, Hülfe.
LYSANDER.
Cardenio.

Er springt durch die Seitenthüre fort, Olympie sinkt in Ohnmacht.
Vor der Thüre ein Rufen von Cardenio, Pamphilio und Musikanten: – Brecht ein, rasch, drein! – Die Thür wird erbrochen, viel Rufen erschallt im Hause, wobei Olympie in der Ohnmacht liegen bleibt.
14. Auftritt
Vierzehnter Auftritt.
CARDENIO
mit bloßem Degen tritt ungewiß zur Thüre ein.

Aus diesem Fenster, das erhellt noch eben, aus dem die Locke mir gefallen, schien mir ihr Angstgeschrei zu kommen, ganz finster wurde es auf einmal, sie rief mich und es war ein unterdrückter Schrei, Gott, wenn die Decke auf sie nieder wär gestürzt, hier ist kein Stein, daß ich mit meinem Schwert könnt Funken hauen, ihr Augen leuchtet mir, o zöge doch ein fliegender Drache übern Himmel, verbrennte er auch eine Welt, daß ich nur einen Augenblick hier sehen könnte. – Was auch geschehen, ich kam zu spät zur Hülfe. – Was rührt hier meine Hand, wie [59] weich, wie voll, ists eine Todte? Nein, noch fühl ich Lebenswärme. Athem. He Hülfe, Hülfe, Licht; o wär sie es, wär sie todt, und weit von hier, du guter Degen solltest mir den Weg schon bahnen, daß ich ihr nach, mit ihr zugleich die dunkle Todesstraße wandelte.

15. Auftritt
Funfzehnter Auftritt.
DORIS
mit einem Lichte, vor sich redend.

Dem Himmel sei's gedankt, Lysander ist hinaus, die Thür verschlossen, ein Augenblick, so war's zu spät, schon hört ich unsern Herrn rufen, laufen.Laut. Ach gnädiges Fräulein, was für ein Unglück ist denn hier geschehen, ich lag im ersten Schlaf, als ich sie schreien hörte, mein Gott, da liegt ja das liebe Fräulein ausgestreckt ganz bleich. – Ei Herr Cardenio, wo sind Sie hergekommen, hier ist des Fräuleins Schlafgemach, was haben Sie mit ihr gemacht, Sie haben noch den bloßen Degen in der Hand. – Sie läuft nach der Thüre. He Hülfe, Mörder!

CARDENIO.

Daß dies dein letzter Athem wär. Schaff Hülfe, statt zu schreien, Riechwasser her, es scheint nur Ohnmacht.


Viren in Pantoffeln, einen Schanzläufer übergehängt mit dem Degen.
VIREN.
He, welch Geschrei in stiller Nacht was giebt es Doris, sicher eine Spukgeschichte.
[60]
DORIS.

Da sehen Sie nur Herr den Spuk, der Herr Cardenio mit bloßem Degen, das gnäd'ge Fräulein liegt in Ohnmacht.

CARDENIO.
Gebt Wasser her, sie scheinet zu sich selbst zu kommen.
VIREN.

Cardenio! Von meiner Schwester fort! Mir steigt das Blut zu Kopfe – verruchter Schänder der jungfräulichen Ehre, der du das heil'ge Recht des eignen Hauses nicht gescheuet, den Bann der friedlichen Nacht gebrochen, was hält mich, daß ich dich nicht niederstoße?

CARDENIO.

Mein Degen. Jetzt sorge nur für deine Schwester, die ist was mehr werth, als wir beide. Sie schlägt die Augen auf, o welch ein liebevoller Anblick.

VIREN
nimmt Olympien in die Arme.
Wie ist dir liebe Schwester, was ist dir geschehen?
OLYMPIE.
Ach mir geschah so schmerzliche Beleidigung.
VIREN.
Sprich nur schneller.
OLYMPIE
schwach.

Ich hatte mich schon halb entkleidet, geh zu diesem Schrank, da springt Cardenio heraus, erstickt mich fast mit seiner Küsse Wuth ich find in seinem Arm mich wieder, er ist wohl fort; ach frag ihn Bruder, ob ich je freche Blicke ihm gegeben, so schnöde Worte ihm gesagt, die solche Frechheit reifen ließen.


[61] Einige Bediente Virens kommen mit Waffen.
BEDIENTE.
Ist hier der Dieb, schlagt zu.
VIREN.
Ha Bube, so ehrlos wie du ehrbegierig, hier auf der Stelle mußt du bluten.
CARDENIO.

Du wärst der erste Prahlhans nicht, den ich schon auf die Kniee hab gesetzt, euch andren hätt ich auch noch Lust zur Ader hier zu lassen, doch hier hält mich ein Blick zurück, den ich noch ehre, selbst da, wo er mich hat so ganz verkannt.


Pamphilio und einige Musikanten dringen ein.
PAMPHILIO.
Halt, was geschieht hier, blanke Degen, Olympie erblassend, ich wollt ich wäre weit davon.
MUSIKER.
Haltet ein, ihr Herren, hört doch die Vernunft mit kaltem Blute an.
CARDENIO.

Bei Gott, ich bin ein Gletscher, kann euch alles sagen, wie vor den Gerichten. Ihr Herren sagt, wann bin ich in dies Haus gedrungen?

ERSTER MUSIKANT.

Je Herrchen, das müssen Sie am besten wissen, es sind nicht fünf Minuten, daß wir Sie auf der Straße hingestreckt erblickten, seufzend nach den Sternen, so sagt der Poet.

CARDENIO.
Wie kam ich dann darauf, die Ruhe dieses Hauses so zu stören?
EIN ANDERER MUSIKANT.

Da war nichts mehr zu stören, Domine, als sie mit uns hineingedrungen, da war ein Schreien drin von einer Weiberstimme, [62] ein Lichtauslöschen, als wäre Mord geschehen, es fuhr mir eiskalt übern Rücken, daß mir die Flöte an die Erde fiel.

VIREN.
Es ist nicht wahr.
ERSTER MUSIKANT.

Mein Herr Viren, wir kennen uns ja länger, ich gab ja schon Ihrem Herrn Vater Unterricht auf Geige und auf Flöte, er lernte erst nicht viel, dann aber kriegte er einen guten Ansatz, als er ward verliebt.

PAMPHILIO.
Was soll das hier.
ERSTER MUSIKANT.

Das Herrchen ist so böse, es erkennt mich nicht, ob ich ihm gleich zwei Stunden alle Woche gebe auf der Geige. Ja Herr Viren ich schwör es ihnen bei meiner Ehre, hab ich gleich nur wenig Ehre, Sie thun dem Herrn Cardenio ein großes Unrecht, wenn Sie meinen. –

OLYMPIE.
Er nannte sich Cardenio, als er mich küßte, als er mich schändete, ich schwörs zu Gott.
VIREN.
So schweig doch Schwester vor den Leuten. – Nun weiter.
ERSTER MUSIKANT.

– – – wenn Sie meinen, daß er das Haus hat aufgestört, er sprengte erst nach vielem Hülfe-Schreien, das drin erscholl, die große Thüre, wir drangen mit ihm ein, und er kam früher hier herein, weil – – –

PAMPHILIO.

Weil er der Muthigste von uns und der Verliebteste. Armer Cardenio, ein andrer hat [63] in deinem Namen die Ernte mit Gewalt entrissen, und draußen standest du als Wächter.

OLYMPIE.
Ich vergeh, ich bin verrathen.
CARDENIO.

Darf solche Schönheit solche Schmach erfahren, darf meine Liebe so verrathen werden, die Welt erscheint mir anders auf einmal – wie wird mir doch, es dreht sich alles rings umher, die Streifen an der Wand, sie ringeln sich zu Schlangen.

PAMPHILIO.
Du schwindelst Freund, halt dich an mir.
VIREN.

Ich muß verstummen, an niemand kann ich meine Wuth auslassen, ein gräßlich Räthsel quält uns alle. Verzeihe mir Cardenio, nur dir hätt ich des Unternehmens Kühnheit zugetraut, die Trauer und die unterdrückte Rache zerrissen mir das Herz ich ahne schlimme Folgen. Ihr Leute, ihr Herren Musiker erfrischt euch draußen nach dem Schrecken, geh Doris, sorg für sie, ich habe noch zu sprechen mit Cardenio.

DORIS
vor sich.
Hätt ich wohl je geglaubt, daß das so enden könnte, ich hätt es nimmermehr gethan.
16. Auftritt
Sechzehnter Auftritt.
CARDENIO.

Nicht lange mehr ertrag ich dies Gewühl in meinem Busen, in wilden Rasereien möcht ich [64] mich selbst entladen von dieser Wahrheit, diesem schrecklichen Bewußtsein, daß alles wahr.

VIREN.

So sprech ich kurz, ich höre, daß du meine Schwester liebst, sag Schwester, liebst du auch Cardenio, da du ihn schuldlos weißt. – Du schweigst, das nehm ich für dein Jawort an. Auf denn, laß uns den Zwist in einem festen Bündniß unter uns vernichten.

CARDENIO.

O meine Ehre, wär ich deiner nur so leicht entladen, wie diese Jungfrau der Jungfräulichkeit, könnt ich nur erst ertragen lernen, daß mich einer schlüg auf öffentlichem Markte, und daß ich blos den Buckel riebe, knurrend wegging, ja dann wär ich ein guter Ehemann.

VIREN.

Ich darf dich nicht verstehen, wohl weiß ich, daß der Schwester Ruf durch diese Nacht kann leiden, doch ihre Zucht hat nicht gelitten, sprich Schwester, dir ist nichts geschehen?

OLYMPIE.
Gott, ich vergeh vor Scham!
CARDENIO.
O Jungfrau, darf ich an dich glauben? Es ist doch ein gefährlich Spiel um Jungfraunehre.
VIREN.

Sie schweigt, das will bei zücht'gen Mädchen nicht viel sagen, gebt euch die Hände und verlobet euch, die ganze Stadt denkt dann, daß es Cardenio gewesen, der sich mit einem Scherz in diesem [65] Haus versteckt, erkennt es dann für einen der genialen Streiche, wofür Cardenio bekannt.

CARDENIO.

Doch was sagt dann der eben hier verschwundene? Ein Wort, Olympie? Was that der Fremdling. Er flüchtete im Augenblick, da er Sie küßte, er hätte Ihren hohen Blick nicht tragen können, darum hat er die Lichter ausgelöscht.

OLYMPIE.

Und wer giebt Ihnen dieses stolze Recht, mich wie ein Richter auszufragen, wir sind uns fremd und bleiben fremd für immer; wer gab dir Bruder dieses Recht, so meine Hand zu schenken, als wärs ein weggeworfnes Gut, aus Mitleid soll mich jetzt Cardenio nehmen, viel lieber nehm ich den, der eben war bei mir versteckt, so hassenswerth sein Frevel dir erscheint.

VIREN.
Ich staune, Schwester, über dich.
OLYMPIE.
Aus Erden war kein Mädchen je so tief gekränkt.
CARDENIO.

Weil denn die Welt dem Teufel ganz gehört, nimm mich du Teufel hier und ewiglich nichts kost ich dir, frei geb ich mich dir zum Geschenk. Fluch aller Liebe, die mich zähmte und bezwang, Haß, Zorn, ihr macht mich reich, ihr füllet mir das Herz, so fließt denn über in die öde Welt, auf die kein göttlich Auge blickt, im Feuer soll sie untergehen. Ab.

17. Auftritt
[66] Siebzehnter Auftritt.
DORIS
vor sich.
Der stürmte wüthend fort.
VIREN.

Und ich kann gar nichts thun, du alter Ruhm des Hauses, du hohe Ehre meiner Schwester, vom Giftthau einer Nacht sollst du verzehret sein. Entehrt, geschändet, meine Schwester, sprich im Augenblick, wer wars? Du schweigst. – Unselige, – so stirb, nimm meinen letzten Segen! Er will sie durchbohren, Doris hält ihn.

DORIS.

Beim Himmel, sie ist so rein und schuldlos, ich hatte sie im Augenblick verlassen, als sie um Hülfe schrie.

VIREN.
Doch schweiget sie.
DORIS.
Mein Fräulein sprechen Sie, es ist nur Stolz, der ihr den Mund verschließt.
OLYMPIE.

Wer konnt es wagen, je mich zu entheiligen, was schadet mir ein Kuß, von dem die Lippen nichts gewußt.

VIREN.
So laß dich von des treuen Bruders Lippen küssen.
OLYMPIE.

Jetzt kann ich dich nicht küssen, mir ist zu weh und ernst, du hast gewagt mich einem Fremden ohne meine Zustimmung zu übergeben, das hat mich sehr gekränkt, doch ich vergeb es dir. Wer hat gewagt, mich zu verschmähn? – Cardenio! – Vergebs ihm Gott, nein ich vergebs ihm nie!

18. Auftritt
[67] Achtzehnter Auftritt.
Großer Kommerschsaal auf dem Keller. Die Musik auf einer Gallerie, von Tabakswolken verhüllt, viele Studenten an Tischen, die Chorführer mit gezogenen Hiebern, Halloren schleichen an den Tischen umher.

PRÄSES DER STUDENTEN.
Alles schweige,
Jeder neige
Ernsten Tönen nun sein Ohr,
Hört ich sing das Lied der Lieder,
Hört es meine deutschen Brüder,
Hall es wieder frohes Chor.
ALLE.
Hört, er singt das Lied der Lieder,
Hört es wackre deutsche Brüder,
Hall es nieder frohes Chor!
CARDENIO
tritt verstört ein.

Schlafen mag ich nicht und Alleinsein ist mir schrecklich, was ich von den Wachenden höre, ärgert mich. Guten Abend.

VIELE.
Guten Abend, Cardenio, woher so spät? Du mußt hier präsidiren.
CARDENIO.
Recht so, das will ich auch, Wein her!
VIELE.
Nun wirds erst lustig und recht wild hergehn, wir wählen einen Papst.
CARDENIO
trinkt.
Still!
Mein Halle lebe wohl,
Der Abschiedstag ist da,
[68] Ich glaube, ich bin toll,
Ihr seid der Tollheit nah,
Gefährten meiner Freuden,
Die Thräne fließt für Euch,
Ich soll nun von mir scheiden,
Kein Schmerz ist diesem gleich.

Er weint und läuft fort.
BECKER.

Ich glaube wirklich, der ist toll geworden, der Schmerz über die unselige Promotion wirkt nach, die Haare stehen mir vor ihm zu Berge und der Wein gerinnt.

SUPPIUS.

Er ist doch sonst kein sentimentaler Hund, aber er sah so wehmüthig aus, als hätte er an Meerrettig gerochen.

DIENEMANN.
Ich werde euch gleich Nachricht bringen, was ihm fehlt.
WAISENHÄUSER.
Ich hab ihn lauge beobachtet, er war immer sehr überspannt, das endet immer so in Melancholie.
VIELE.
Wein her!
EINER.
Das Gähnen ist mir näher.
BECKER.

Es ist mir grade, als hatte ich ein Haar darin gefunden. Der ganze Spaß ist uns verdorben, als wär ein Geist erschienen unter uns. Es war wohl nur sein Geist, er ist vielleicht erstochen worden.

SUPPIUS.
Hol dich der Teufel!
VIELE.
Wo ist ein Geist?
[69]
SUPPIUS.

Einen Geist muß ich sehen, heraus ihr Geister aus allen Grüften, zeigt euch, denn ich rufe, es giebt keine.

AHASVERUS
tritt langsam ein, vor sich.
Ich muß doch zusehn, ob Cardenio hier nicht zu finden, ich fürcht, ein Unglück ist ihm geschehen.
SUPPIUS.
Ha der Geist. Läuft fort.
VIELE.
Der Geist, es schlägt zwölfe, fort, Platz! Alle in unordentlicher Flucht zur andern Thür hinaus.
AHASVERUS.
Tags zum Spotte, Nachts zum Schrecken, geh ich durch die weite Welt.

Ende des ersten Aufzuges.

2. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Virens Bibliothek-Zimmer. Doris fegt aus und fängt an zu singen. Wer nur den lieben Gott läßt walten.

DORIS.

Ich weiß auch gar nicht, was ich thue, alles wird verkehrt, kaum habe ich einen Fleck hier rein gefegt, vergeß ichs wieder, feg ihn von der andern Seite voll. Warum die Herren Gelehrten sich wohl die Füße vor der Thüre nicht rein machen, ja wenn der Dreck nur den Gelehrten macht, bewahr mich Gott vor der Gelehrsamkeit. Sie singt.


Es sind ja Gott sehr schlechte Sachen.
Und ist dem Höchsten alles gleich,
Die Reichen klein und arm zu machen,
Den Armen aber groß und reich,
Gott ist der rechte Wundermann,
Der bald erhöhn, bald stürzen kann.

Sie sieht sich im Spiegel und rückt an der Haube.

Seh heute morgen doch ganz anders aus, das kommt von dem Schreck, – das war ein schlimmer Abend ich – mag die Haube ziehen wie ich will, sie sitzt mir immer schief – das muß wohl an dem Spiegel liegen, es scheint ja alles drin so schief – was die [71] Gelehrten all für dumme Spielereien um sich haben. – Da hat das gnädige Fräulein gestern Abend ihren Hut vergessen, wenn ich es hätt gethan, da wär es ihr nicht recht, blieb der nur eine Stunde hier, der würde schön nach Tabak riechen. Ich muß ihn mir doch einmal ausprobiren – er stehet mir recht gut. Ei sieh, viel schönen Dank Herr Nachbar, – der hat die Mütze abgenommen, meint, ich wär das Fräulein. – Kleider machen Menschen. – So gehts in der Welt, wenn ich auch solchen Hut befahlen kann doch lachten mich die Leute damit aus, wem ich ihn trüge. – Die Herrschaft kommt, geschwinde fort, ich muß doch horchen, was sie von der letzten Nacht noch sprechen.Sie geht aus der Thüre und läßt sie ein wenig auf.

2. Auftritt
Zweiter Auftritt.
VIREN
tritt müde ein; geht an den Bücherschrank und nimmt ein Buch nach dem andern heraus.

Verliebte sind dem Kranken gleich, sie haben einen Appetit nach etwas und sie wissen doch nicht, was es sei, nach allem greifen sie, und wenn sies haben, stoßen sies mit Widerwillen von sich weg. Dies civilistische Werk von dem Besitz ist sonst mein liebstes Buch, ich setze mich zum Sitzen nieder und besitze diesen Stuhl; die Augen fallen zu, das Buch fällt an die Erde, ich möchte schlafen und sinke aus dem Rechte des Besitzers [72] zum größern des Beschlafens. – Celinde, der eine Name weckt mich auf und geht mir ein, so wie ein frischer Trunk. – Wenn ich nur endlich noch ergründen könnte, wem zu Liebe sie mich so schnöde abweist. – Und hier im Hause mit einem Herzen voll von Thorheit, muß ich den weisen vorsichtigen Bruder spielen, ich glaubs mir selbst am Ende, daß ichs bin, der Weisheit Maske ist mir so beschwerlich fast wie jenem Königssohn die eiserne, die er so viele Jahre tragen mußte, damit man ihn nicht an der Ähnlichkeit erkenne, in diesem Augenblick mag ich der Thorheit ziemlich ähnlich sehen, ein tausend weise Bücher rings umher und in dem Kopf ein Mädchen das die andern um des bösen Rufes willen meiden. – Mit den Juristen geht es heute nicht, sie sind so schlüpfrig, daß ich sie nicht fassen kann, ich will mich jetzt zu den Poeten wenden – ach die unglücklichste Poetin ist die Liebe, die sich nicht sagen darf, die Niemand soll verstehen, und deren man sich schämt und die man doch nicht lassen kann. Mir ist so nüchtern noch zu Muthe, doch taumle ich von alle dem Unwesen in mir wie ein trunkner Schwärmer.

Doris geht durch das Zimmer. He Doris, sag, was macht dein Fräulein?

DORIS.
Sie scheinet heute sehr betrübt, sie hat nur wenig schlafen können.
VIREN.

Das thut mir leid, ich möcht nur wissen, [73] wo der Dieb ist hingekommen, und er sich hat eingeschlichen.

DORIS.
Ja wüßten wir nur das, wir hätten ihn schon lange.
VIREN.

Wohl wahr. Du bist nicht dumm. Ich glaub, du schminkst dich Mädchen daß ich das ja nicht von dir höre.

DORIS.
Ei Gott bewahre, gnäd'ger Herr, was denken Sie von mir.
VIREN.
Hast du denn keinen Schatz? Giebt ihr einen kleinen Schlag.
DORIS.
Au weh, dazu bin ich noch viel zu jung. Ab.
VIREN.

Nein im Hause muß man sich vor jeder Liebschaft hüten, das nimmt gleich den Respekt. – Ich höre meiner Schwester Tritt, ich muß mich doch in Ordnung setzen, beinah hätt ich das Buch verkehrt mir vorgelegt.

3. Auftritt
Dritter Auftritt.
VIREN.

Nun guten Tag du arme Schwester, hast wohl schlecht geschlafen, besuchst du mich einmal bei meinen Büchern, du bist die schönste Seltenheit darin! – Ihr Mädchen habts doch gut, wenn ihr ein bischen nachseht in dem Hause, da meint ihr Wunder was ihr alles habt gethan – ich hab seit frühem Morgen bei den Akten schwitzen müssen.

[74]
OLYMPIE.

Da stör ich dich vielleicht, seit gestern Abend kann ich nicht allein mehr sein auf meinem Zimmer, es wird mir angst und bang. Aus den Tapeten scheinen Augen auf mich hin zu blicken.

VIREN.
Das sei ein Zeichen dir, der Mensch soll nicht allein sein.
OLYMPIE.

Fängst du schon wieder die Geschichte an, jetzt paßt sie gar nicht mehr, ich bin beschimpft, wer wird mich nehmen?

VIREN.

Sieh eben jetzt empfing ich diesen Brief noch von Lysander, er schreibt darin, daß manche böse Rede über dich erschalle, er traue deiner Unschuld, deiner Tugend, er flehe jetzt um deine Hand noch eifriger, um diese böse Nachred zu vernichten, als sonst aus Ungeduld der Liebe.

OLYMPIE.
Es ist ein edler Mann, ich weiß es lange.
VIREN.

Du weists und weists auch nicht, du überlegst es nicht, was so ein Anerbieten wohl verdient. Hör einmal aufmerksam die Verse des alten Gryphius, da ist kein neuer Wortprunk, nein, da ist die Wahrheit und sie paßt auf dich vollkommen. Sieh ein, setz dich auf meinen Schooß und sieh mit mir ins Buch, er führt den Menschen hier mit den vier Jahreszeiten, wie mit den vier bekannten Menschenaltern sehr geschickt zusammen, nun redet ihn die Zeit so an:

[75] Mensch, dies ist des Himmels Schluß,

Dem, was sterblich folgen muß,

Das du sonder Mitgefährten nicht dein Leben sollst vollbringen.

Viere wird man dir vorstellen: Möchte dir die Wahl gelingen.

Wer sich hier nicht nimmt in Acht,

Wer sein Glück einmal versieht.

Ist um das, was er veracht,

Für und für umsonst bemüht.

OLYMPIE.

Das sag nur dem Cardenio, nicht mir, er wird sich noch umsonst nach mir bemühen, er hat mich tief gekränkt.

VIREN.

Jetzt hör nur weiter an, es passet auch auf dich und auf Lysander, ist er nicht jung und schön und mag den Frühling wohl vorstellen, der allzuerst dem Menschen wird herbeigeführt. Der Mensch da spricht:

Kommst du auf Erden mich zu grüßen,

Ach möcht ich stets mich um dich wissen,

Du rosenfrisches Angesicht; ihr goldnen Haar

Seid stark, mein Herze zu bestricken,

Das über Euch, als im Entzücken,

Nicht weiß, worin es schweb, in Luft, ob in Gefahr.

OLYMPIE.
Es ist nicht wahr.
VIREN.
Still still, so meint der Mensch auch hier im Buche.
Wie hurtig ist der Gang, wie artig steht das Kleid,
Doch kann der Himmel höh're Gaben
[76] Den übrigen verliehen haben,
Das Erst ist nicht das best. Schnell Schließen schafft oft Leid.
OLYMPIE.
Wer sich hier nicht nimmt in Acht,
Wer sein Glück einmal versieht.
VIREN.

Ganz richtig. Die Zeit führt nun den Sommer rasch herbei, die Sonne hat die Wangen ihm gebraunet, er will genießen, er dringet auf Entschluß. Das Fräulein spricht:

Schön ist er, doch mir gar zu strenge,

Ich leide Mangel bei der Menge,

In dieser Wahl, da find ich Qual,

Ich wollt ich fänd auf einmal.

OLYMPIE.
Wird also fortgeschickt. Die Zeit spricht wieder:
Wer sein Glück einmal versieht,
Ist um das, was er veracht,
Für und für umsonst bemüht.
VIREN.

Nun kommt der Liebhaber als der Herbst und schüttet seinen Reichthum, seine Früchte vor ihr aus, der Scheitel ist schon kahl, doch steht er noch auf festen Füßen, das Fräulein aber spricht:

Die Wangen sind ihm fast erblichen,

Der vorhin weißen Glieder Schnee

Wird gelblich, die Korallen Höh

Ist von den Lippen schier gewichen,

Der ists nicht, der mein Herz ergötzt,

Das Beste kommt wohl auf die letzt.

OLYMPIE.
Wer sich hier nicht nimmt in Acht –
[77]
VIREN.
Dann kommt der Winter an dem Stabe, mit der Fackel zitternd, es ruft das Fräulein mit Schrecken:
Weh mir, was seh ich hier, ist dies mein ganz Verlangen,
O häßlich Grauenbild. Was ist die Fakel noth!
Bist du nur in mein Grab zu leuchten vorgegangen,
O lebend Krankenhaus, du Vorbild von dem Tod,
Weh mir, was find ich hier, ist dies mein langes Wählen,
Wie schlägt mein Hoffen aus! O möcht ich nun zurück,
Soll ich mich für und für mit diesem Scheusal quälen,
O allzuspäte Reu, o höchts verscherztes Glück!
Die Zeit verwandelt sich nun in den Tod und spricht:
Der ists, den du haben mußt,
Weil der andern dreien Keiner
Würdig deiner stolzen Lust,
Zage, schreie, lache oder weine,
Da die frische Jugend nicht,
Nicht der vollen Jahre Blume,
Nicht der Früchte herbstlich Licht
Tüchtig dir zum Eigenthume;
So nimm, wofern du nicht willst ganz verloren sein,
Was noch das Alter läßt, statt alle Schönheit ein.
OLYMPIE
steht auf.

Mach zu das Buch, es ist ein schrecklich Bild und doch nicht wahr. Warum soll denn so ganz verloren sein ein armes Mädchen, dem nur der Zufall keinen Mann bescheert, kann sie nicht andern Frauen dienen, der Kinder Last und Lust zu theilen. Statt einer liebeleeren Ehe besser keine, gedenk an unsre Nachbarsleute, sie beide einzeln scheinen [78] Frühlings-Zeit, zusammen machen sie des Winters Härt und Tücke aus.

VIREN.
Und meinst du wirklich, daß Lysander dir so unvereinbar sei.
OLYMPIE.

Bewahr der Himmel nein, sein Umgang war mir immer angenehm belehrend, er fühlt und weiß auch alles, es bindet mich ein tief geheimes Band an ihn, ich schäme mich, es dir zu sagen: die Mutter –

VIREN.
Sprich liebe Schwester, ich versteh dich nicht, die Mutter hat ihn nie gekannt.
OLYMPIE.

Gut darin liegt das Wunderbare eben. Ich hab dir schon erzählt, wie unsre Mutter mir so oft erscheint, wenn ein Verhängniß unser Haus bedroht.

VIREN.

Das rettete uns damals, als uns die wichtigsten Papiere über unsre Güter fehlten. Sie stammte aus prophetischem Geschlecht der heiligen Asen aus Persien her, und die Kosaken, die sie dort dem Juden einst entführten, sie hätten sie dem Vater nimmer überlassen, wenn sie die hohe Eigenschaft geahnet hätten.

OLYMPIE.
Dem Gottergeb'nen ist ein göttlich Leben nur verständlich.
VIREN.
Und wie verstandest du sie diese Nacht.
OLYMPIE.

So mild und schreckenlos, daß ich nichts Süß'res weiß, sie deckte einen schwarzen Vorhang[79] auf, nach welchem ich vorher mit Neugier hingeblickt, es war ein wunderbar Gebirge, oben stand ein klarer Tempel, rund auf Säulen, aus dem die Sonne strahlend schien, am Fuß des Berges war ein Höllendunkel. Cardenio stand hellbeflügelt in der lichten Höh und stürzte sich in jenen Abgrund nieder auf schwarzen Flügeln stieg Lysander zu der Höh, auf der ich erst Cardenio erblickt, und als er oben sah er mich so freundlich an, so sicher, so bescheiden, als dankte er mir seinen Gnadensitz, Cardenio schrie da ganz verzweiflungsvoll aus seiner Tiefe zu mir hin und drohend wollte er sich zu Lysander schwingen doch seine Flügel waren in dem Abgrund ihm versengt, er konnte sich nicht mehr erheben, ich fühlte keine Spur der flüchtig heft'gen Neigung mehr zu ihm und selbst das Mitleid ward mir schwer.

VIREN.

Ich lache sonst der Träume, weil mir noch nie was rechts geträumt, doch dieser Traum tritt über den gemeinen Kreis der nichtgen Bilder hoch hinaus, er scheint ein Ruf aus einem ahnungsvollen Lande, aus einer Vorzeit, die uns hat geboren und die uns darum kennt in unsern Elementen.

OLYMPIE.

Der Traum ist noch nicht aus. Die Mutter deckte jetzt mit schwarzem Vorhang den Cardenio zu, Lysander sah ich da an meiner Seite schön geschmückt, sie schien darüber hoch beglückt und – –

[80]
VIREN.
Und?
OLYMPIE.

Und viele Kinder hingen mir an Brust und Arm und Schulter, mit liebevollem Ungestüme mich umdrängend, wie Charitas auf unserm schönen Bilde, ich war von Kindern wie von einem prächtgen Halsschmuck rings umgeben.

VIREN.

Der Mutter Wille ist so klar, dank liebe Mutter dir, die du aus schöner Ferne noch auf unsre trüben Sorgen blickst, den Irrthum lösest und das Zweifelnde entscheidest. Vor sich. Ach schenk mir einen Traum auch von Celinden. Laut. Sieh Schwester, es ist der Mutter Ruf, der jetzt Lysander zu uns führt. Vor sich. Olympie ist eine Schwärmerin, doch dient es ihr und mir, ich bin gewiß, die ganze Stadt spricht schlecht von ihr. Laut. Lysander guten Morgen, du scheinst mir nicht vergnügt.

4. Auftritt
Vierter Auftritt.
LYSANDER
der unterdessen eingetreten.

Es ist ein böser Morgen mir, ich wünsch dir einen besseren und ihnen schönes Fräulein, daß Sie sich in dem Morgen selbst zu sehen glauben, dann ist er wunderschön und gut.

OLYMPIE.
Man soll nicht lange leben, wenn man sich selbst gesehen.
LYSANDER.

Er bleibt doch stets ein schlechtes Abbild nur von Ihnen, so schwindet die Gefahr und ich kann Ihrer künftig wenigstens dabei gedenken.

[81]
OLYMPIE.
So sehen Sie mich lieber selbst recht oft, um mich nicht zu vergessen.
LYSANDER.
Die Einladung macht mir den Abschied noch viel schwerer, der mir schon unerträglich war.
VIREN.
Du willst nun wirklich reisen?
LYSANDER.
Ich wollte es, eh ich Euch hab gesehen, in diesem Augenblicke wird's mir leid.
VIREN.

So mache ich es wie mit meinem Zahn er schmerzte mich, ausreißen sollte ihn der Arzt, doch wie er mich auf seinen Schmerzensstuhl gesetzt, wie ich die Zange nur gesehen, da schwindet aller Schmerz, ich springe auf, bewahre meinen Zahn, er ist gesund.

LYSANDER.

Doch meine Ehre wird durch längeres Verweilen krank, es naht ein großes kriegerisches Unternehmen, ich muß zu meinem Regiment nach Engeland zurück und noch ein andrer Grund verpflichtet mich.

VIREN.
Ich wette gleich, der ist nicht gültig.
LYSANDER.

Er wird mir schwer zu sagen, ich mag Olympien mit meinen Diensten, mit der Bezeugung von Anhänglichkeit nicht länger lästig fallen, ich war zu lange schon ein unbescheidner Bettler, der sich nicht weisen ließ. Vergessen Sie, wo meine Neigung mich hat tadelnswerth gemacht.

OLYMPIE.

Sie tadelnswerth? – Nein edler Freund, wenn ich Ihr Lob nicht laut gesagt, so war es nur Bescheidenheit, daß Sie mein Lob nicht ehren könnte.

[82]
LYSANDER.

Der Abschied ebnet manchen Widerspruch, die Freundschaft darf zu dem Entfernten freier sprechen. Ein kurzer Brief von Ihnen wird mir da viel mehr gewähren, als mir Ihr schöner Mund bisher gesagt, in meinen Träumen weich gebettet, wird mich die harte Wirklichkeit nicht stören; das tägliche Geschäft des Dienstes, das von dem Lauf der Sonne zwar geordnet, doch oft die Nacht nach seinem Willen braucht, wird tausendfach den Ring der Sehnsucht schnell durchschneiden der mich zu Ihnen bannt, bald wird uns Beiden bessre Zeit, doch wird es mir so warm und schluchzt mir in der Kehle und sticht mir in den Augen, da ich dies Stammbuchblatt nach guter alter Sitte überreiche, daß sich daran die Rechnung alter Zeiten schließe, und neue Zeiten knüpfe.

VIREN.

Hör Bruder, du machst mich traurig. Olympie kann dir nicht in die Augen sehn, ich schreib zuerst, sie muß sich sammeln.

LYSANDER.

Ich lasse meinen alten Kammerdiener hier zurück, der soll mir täglich schreiben, wo Sie gewesen sind Olympie, und seh ich bald an Indiens Küsten die Perlenfischer in die Tiefe tauchen, mit voller Hand zurücke kehren und mir die runden Perlen vor die Füße schütten; da will ich einen Perlenkranz zum Sinnbild meiner Thränen flechten, daß ich nicht mehr an Ihrer Seite an der Nachtigallen-Insel in dem klingenden Gesang lustwandeln kann.

[83]
OLYMPIE.

Ich wollt' sie kehrten bald mir wie der diese schönen Abende, wo Strom und Himmel gleich in Gluth getaucht, die Erd in Blumen und in Sang von einer Herrlichkeit des Lebens schien entbrannt, die sich in jener indischen Welt erst ganz verkündet, zu der Sie jetzt auf Flügeln hoher Ehre eilen.

VIREN.

Ich habe hier geschrieben, liebe Schwester, in deinem Namen, erst ließ es mit Bedacht, ich bin gewiß, dies Blatt wird unserm Freunde viele Freude bringen.

OLYMPIE
hat gelesen.
Es ist ein viel bedeutend Wort – bedenk es Bruder – es hat noch Zeit.
VIREN.
Es hat nicht Zeit, es ist ein Wechsel, der lange schon ist abgelaufen, ich gebe keine Frist.
OLYMPIE.

Großmüthig möcht ich lieber sein als undankbar, so sei denn frei und ohne Überredung nach meines Herzens voller Überzeugung, der Frage Antwort aufgeschrieben. Sie schreibt. Der Himmel straf mich, wenn ich dies Wort kann brechen. Hier hast du Bruder.

VIREN.
Ich les es nicht, in deine Hand Lysander komm das Stammbuchblatt.
LYSANDER
liest.

»Für einen Augenblick warst du nur in Cardenio verliebt, er hat dich stolz verschmäht, Lysander, den du so oft verschmähet hast, liebt dich noch anspruchlos unwandelbar, er hat dir viel gegeben, was giebst du ihm zum Lohne, wenn er [84] einmal für so viel Lieb und Treue seinen Lohn verlangt?« Ich bitte dich Viren ließ weiter, sieh es flimmert mir so vor den Augen, das kommt vom Blute.

VIREN
liest.

»Ich geb ihm Herz und Hand. Olympie.« Ja Schwester, daran erkenn ich dich, aufrichtig bist du und auch groß geartet.

OLYMPIE.
Jetzt lobe nicht, was mich so schamroth macht.
LYSANDER.

Zu deinen Füßen himmlische Güte, laß mich besinnen, wie mir geschehen, wie ich dich Himmlische soll begrüßen, was ich dir biete, arm ist die Hand, mein Herz ist dir eigen, ach so ist nun erfüllet mein Flehen; alles Schrecken die Winde verwehen und ich erkenne nun wieder die Welt, die nur von neuem so wohlgefällt. Was ich tief im Herzen träumte, was ich nimmer möglich meinte, ist nun alles schon geschehen, liegt vor mir so klar und wahr – ich allein, ich bin noch falsch. Nein noch kann ich dich nicht schauen, schwere Schuld drückt noch mein Herz früher sollt ich dir vertrauen, noch empfang ich nicht die Hand, die so offen, die so rein sich in jeder Linie fand, die so weiß, so mild, so gut, strahlt vom blauen Himmelsblut.

OLYMPIE.

Welche neue Sorge kömmt quälend über den Treuen, den Vielgeprüften, täuschet ihn wohl ein zarter Sinn.

[85]
LYSANDER.

Viel geprüfet, oft bewähret, hab ich einmal unterlegen der Versuchung meiner Sinnen. Schwer muß ich mich selbst verklagen, ja Olympie, ich war's, der in Ihrem Zimmer nächtlich sich versteckt und Sie erschreckt, als ich kaum ins Zimmer kommen, reute mir schon mein Beginnen, wollte flieh'n, als es zu spät, büßen wollt ich, stille wartend, in dem Schranke eingeschlossen, für die Schlafende zu beten, doch viel mehr noch für mich selber, ach Sie selber öffneten jene Thür, die mich verborgen, übermannet von Versuchung küsse ich die keuschen Wangen und entfliehe Ihrem Schreien, vieler Jahre heiß Verlangen war der Kuß und doch kauft ich in mit meinem Leben gern von meinen Lippen ab.

OLYMPIE.
Frevelnd war dies böse Beginnen, größeres Schrecken folgte ihm leicht.
VIREN.
So genau ist nichts zu nehmen, wer bestände da wohl rein.
OLYMPIE.

Leicht und fröhlich ist das Verzeihen, von dem Boden heb ich Sie auf, die Lippen glühen von der Erinnerung der raschen That, Liebe entschuldigt der Liebe Trug, schon muß ich Sie lieben, da ich Sie also habe verführt. Sie küßt ihn. Was dich du ernste feste Seele konnt zu solchem Truge bringen ach, es war auch meine Schuld, hab ich dir oftmals hart begegnet, deiner Dienste doch heimlich erfreut. Sie küssen sich.

[86]
VIREN.

Wie Vertrauen lüftet den Busen, denen das Schicksal den harten Fels hoher Gefühle und kühner Gedanken bei dem Sturme des alten Olymps auf die kühnen Herzen geschleudert, nun der Olymp ist endlich gewonnen, ist er wie Eis in der Sonne zerronnen, hohe Gefühle und kühne Gedanken schweigen im ganz ordinairen Kuß, und sie küssen sich auch wie die andern.

OLYMPIE.
Ruhig fühl ich mich dir ergeben.
LYSANDER.

Selig Verzeihen, selig Vertrauen wäre der Morgen doch Ewigkeit, wäre die Ewigkeit solch ein Morgen, der die Sorgen in Liebe gelöst.

OLYMPIE.
Süß Erkennen erster Liebe, Aufgang Untergang der Welt.
VIREN.

Doch der Abend sei noch schöner, heute Abend soll Hochzeit sein, und der lustige Freudenreihn schlinge sich durch den Liebesschein.

OLYMPIE.

Ach die Feier stört sicher die Freude, Heimlichkeit machet so ruhig beglückt, laß mich der bräutlichen Tage auch freuen.

LYSANDER.
Bruder, ihr Wunsch ist mir Befehl.
VIREN.

Ei was hab ich von alle dem Kosen wenn ich die Lust an der Feier nicht hab, auch um den bösen Ruf zu tilgen, den die Nacht verbreiten kann, nennen wir sie den Polterabend und dies heute soll Hochzeit sein, und ein köstliches Hochzeitgepränge blende die Augen der städtischen Menge, daß ihr die [87] böse Zunge erlahme, sehen sie dieses Festes Dame, keiner waget zu lästern kühn, was so offen vor ihnen erschien.

LYSANDER.
Nur Olympiens Wille geschehe.
OLYMPIE.
Was die Klugheit des Bruders gerathen, was dich erfreuet, ist mein Entschluß.
VIREN.

Nun so ist denn alles entschieden, aber das Eine hätt ich vergessen über die große Freudigkeit. Sage wie kamst du denn in das Haus und wie kamst du wieder heraus.

LYSANDER.

Wollt Ihr mir schwören, Ihr wollt Euch nicht rächen? – Doris verrieth so schändlich dies Haus, doch sie hat mein Glück geschaffen, schaffet sie fort, ich vergüt ihr den Dienst.

OLYMPIE.

Doris, so hat es mir doch geahnet, aber verdienet hab ich es nicht, hab sie dem Elende einst entrissen, zum Verderben ist sie bestimmt.

VIREN.

Hätte es doch in ihr nicht gesuchet, doch alles ist einerlei, nehmt nur jetzt Abschied von einander, viel zu beschicken ist noch heut und gar eilig nenn ich die Zeit.

LYSANDER.

Muß es wirklich geschieden sein? Eine Unruh lebt mir im Kopfe, wie in der Mitte von vielen Straßen, steh ich hier zweifelnd, tausend Dienste möcht ich leisten, fast vergeß ich darüber die Sorge, fast vergeß ich darüber den Kuß.

[88]
OLYMPIE.
Freudig sei der erste Abschied, eilend komm zu mir zurück.
LYSANDER.

Aber die Sorge ich kann sie nicht brechen und dein Kuß wirft sie doppelt mir zu, ach wie nahe ist unser Scheiden und wie zweifelhaft Wiedersehn.

VIREN.
Ei die alte Geschichte vom Kriegziehn, war doch wahrhaftig nur ein Spaß.
LYSANDER.

Nein ihr Lieben, mich rufet die Ehre, bindet mich an der Kanone glänzenden Lauf. Sage Olympie, du entscheide, ob ich sie verlassen soll.

OLYMPIE.

Meinetwegen hast du schon einmal dich von dem Wege der Tugend gewendet, wohl um so fester muß ich dich binden an den ernsten und rühmlichen Lauf, wo du auch wandelst im Kriege und Frieden, ruhig folg ich dir bis in den Tod und so sind wir nimmer geschieden, uns bezwinget nimmer die Noth.

LYSANDER.

Nun so wäre denn alles entschieden, alles wird immer durch dich so gut, ewig leb ich nun in Frieden, lebe wohl mein Herzensblut. Ab.

VIREN.

Sehr wunderlich erscheinen mir die Weiber und die Liebe, ein wenig Eigensinn und weiter ist es nichts; als du Cardenio gesehen, da hätt ich nie geglaubt, dich mit so froher Überzeugung durch Lysanders Hand beglückt zu sehen.

OLYMPIE.

Erwecke nicht die wilden tobenden [89] Gefühle, jetzt kenne ich die irdsche Leidenschaft, die mich Cardenio verbunden, was wußte ich von ihm und er von mir, ein Wahnsinn ist mir jene Liebe jetzt, doch theilet sie die ganze Seele mir für immer, weil ich die eine Seite ewig fürchte, die sich zur Erde hingewandt, ich kenn das Meer, ich scheu es, weil ich liebte, und blicke in das Land, weil es so fest begründet, mir Ruh und Nahrung giebt und seh ich rings die Wälder sich erregen, so überred ich mich, es sei auch Wellenspiel und Lust und halt mich am Bewußtsein dieser Freude und bald wird dies Bewußtsein mir zur Pflicht. Mein bessres Selbst gehöret ganz Lysandern, was kümmert ihn mein schlechtrer Theil, den die Natur Cardenio bestimmte, den strenge Tugend bald vernichtet. Ab.

VIREN.

Das klingt sehr hoch, doch wenn mans destillirt, so kommt dasselbe raus, was man so selbst im Laden führt. Ab.

5. Auftritt
Fünfter Auftritt.
Das Wohnzimmer des Juden Nathan.
Zwei Knaben sitzen am Boden und spielen mit Papieren und singen.

Ein Zicklein, ein Zicklein,

Das hat gekauft das Väterlein

Um zwei rothe Pfenning

Ein Zicklein

[90] Da kam das Kälzein

Und aß das Zicklein,

Das hat gekauft mein Väterlein

Um zwei rothe Pfenning,

Ein Zicklein, ein Zicklein!


Nathan tritt in einem Schlafrocke, die Tabakspfeife der Hand, herein.

Es soll sein ein Abgeordneter von den Juden in Jerusalem, daß wir ihnen geben Geld, damit sie kaufen los ihre Juden, die da schmachten in der Gefangenschaft von den Türken, es soll sein, er hat seine Briefe, aber was gehts mich an, schickt mir einer aus Jerusalem ein Geld, wenn ich meine Wechsel nicht bezahlen kann und komm in die Gefangenschaft von den Christen, er solls sein, wenn er nun mit dem Gelde geht in die weite Welt? soll ich mit laufen, Krieg die Kränk, Ahasverus. Für die Juden soll ich bezahlen, Wein trinken mit den Christen bei Pernize, au weih, wie soll das gehn zusammen, Christen sind Verschwender, lassen sich taufen meine Kinder, werden sie auch Verschwender, ich hab es immer geförcht, wenn ich sie laufen sah mit der Wurst, mit dem Schinken. Wer die Forcht hat, der hats Malör. Ich habe nichts gegen das Taufen, laß ich doch meine Kinder waschen alle Tage, aber das Taufen löscht den Credit aus, da wollen sie Staat machen, wie die Christen, sprechen von das Literatur, sind nervenkrank, was ich spar bei der Lampe, verbrennt beim Wachslicht, [91] Thee und Chocolate alle Tage und der Zucker – der Zucker steigt seit gestern wieder ganz erschrecklich, ich verkauf noch nicht, er muß noch höher steigen – wenn sie doch dächten, wie viel Bienchen das ganze Jahr zusammentragen, an einem Wachslichte. Was so ein kleines Thierchen nicht kann, wenn die Kinder doch auch so was machen könnten, die machen aber was Schönes, wozu haben sie ihre menschliche Seele, wenn sie nicht einmal so einträglich sind wie die unvernünftigen Thiere – die Kinder schicken meine Töchter ein, wenn sie nichts mehr haben, ich seh sie nicht an, es sind Christenkinder, die jagen alle gute Engel weg, sie kosten mir doch alle Tage was, ein Tag und alle Tage für sechs Pfennige Milch, für sechs Pfennige Semmel, dann ...

DIE KINDER
unter einander.

Das Wechselche ist fällig, ich kann nicht prolongiren, ich bin ein geschlagener Mann, die Messe ist vor der Thür.

NATHAN.

Kinderchen, je was macht ihr denn ihr Kinderchen, ei sagt, was spielt ihr denn, ihr lieben Kinderchen, was versteht ihr denn vom Prolongiren?

EIN KIND.
Wir spielen Wechselches.
NATHAN.
Wechselches, du kleiner lieber Narr.
DER ANDRE.
Er will das Wechselche prolongirt haben, da muß ich einen neuen Wechsel schreiben auf das Doppelte.
[92]
NATHAN.
Das Doppelte, ja wenns geht, du kleiner Nimmersatt, a Kochem, allemal sind die Mins nicht so dumm.
DER ANDERE KNABE.
Ich muß es haben, ich muß es haben, ich will bezahlt haben mein Wechselche.
NATHAN.

Dein Wechselche! du gnädiger Gott unsrer Väter, dein Segen ruht auf dem Samen deines Volkes, abwaschen kann ihn nicht die Taufe. Kinderche, liebe Kinderche, steigt auf's Tischche, kommt auf meine Arme.

DIE KINDER.
Die Thränchen laufen dir über die Backen. Großväterchen, warum bist du denn heute so freundlich?
NATHAN.
Mein Segen über euch, ihr seid gute Kinder, viele Freude werd ich erleben an euch.
6. Auftritt
Sechster Auftritt.
LYSANDER
kommt eilig.

Guten Tag Herr Nathan. Ich komm zur guten Zeit ins Haus, die beiden Kinder spielen in ihrem weißen Barte, in Ihren Augen glänzen Freuden-Thränen, jetzt störe ich Sie wohl? Ich komme in Geschäften.

NATHAN.

Geschäfte gnädger Herr – ihr Kinderchen springt fort – da habt ihr jedes einen Dreier, geht kauft euch Mazzekuchen, – Geschäfte mit solchem reichen Herrn, der leider nur so selten zu mir kommt, wir hätten lange schon Geschäfte machen können, [93] ich lasse alles stehn und liegen, kann ich gefällig Ihnen sein, – wollt ihr gleich gehen, Kinderchen, ihr bösen Buben fort, ich sags sonst der Mama, die soll euch hauen. Die Kinder ab. Nun sagen Sie was steht zu Dienste?

LYSANDER.
Ich muß gleich tausend Thaler haben, zu meiner Hochzeit, die ich heut Abend feire.
NATHAN.

Glück und schöne Nachkommen, mein Herr Graf. Mit Respekt zu melden, mit wem ist denn die werthe Vermählung.

LYSANDER.
Fräulein Olympie ist mir verlobt.
NATHAN.
Die schöne Schwester von dem Herrn Professor, ja gestern sagt ich noch zu meiner Frau hör Edelchen –
LYSANDER.

Nun, können Sie das Geld mir schaffen? Sie habens in acht Tagen baar zurück, es liegt bereit zur Zahlung bei dem Pächter meines Gutes.

NATHAN.

Der Amtmann Gaudieb, gar ein guter Zahler, der ist mir so sicher, als hätt ich das Geld im Sacke, erst gestern sagt ich meiner Frau, hör Edelchen –

LYSANDER.
Ich muß heut eilen, sagen Sie mir kurz, ob Sie das Geld mir schaffen können, ich brauchs nothwendig.
NATHAN.

Schwer wirds halten, baar, gleich, die Messe ist so vor der Thüre, wir Handelsleute nehmen selber auf, so viel wir können, und jeder hält[94] das baare Geld so an sich, als wenn es gar davon zulaufen dächte. Ich sagte gestern meinem Edelchen –

LYSANDER.
Sie können also nicht?
NATHAN.

Wer sagt das – nur – ich mein, es wird was kosten, ich dächt, Sie schöben das Geschäft nur einen Monat auf, ich rath es ihnen als ein alter Freund des lieben Herrn Vaters, das war ein braver Herr. Mit meinem Edelchen sprach ich noch gestern von dem Herrn Vater –

LYSANDER.

Mein trefflicher Herr Nathan, wo haben Sie denn Ihre Ohren – könnt ich acht Tage warten, so braucht ich nicht Ihr Geld. Was wirds mir kosten auf acht Tage –

NATHAN.

Ich mag nichts dran verdienen, ich thus aus Liebe zu Ihrem Herrn Vater, dem Hirschel muß ich selber neun Prozente geben.

LYSANDER.
Neun Prozente, wie kanns der Mann bei Gott verantworten.
NATHAN.
Ei was, der liebe Gott von oben, der sieht die Neune für eine Sechse an.
LYSANDER.

Heut muß ich geben, was Sie fordern, ich bin so froh, ich werd so reich, aß ich auch andern heute zu verdienen geben möchte. In einer Stunde komme ich, das Geld mir abzuholen. Adies. Ab.

NATHAN
allein.

Er wird so reich, davon hat mir mein lieber Sohn Nathanael doch nichts gesagt, daß die Olympie so reiche Mitgift habe, Vermögen[95] hat sie, aber reich – das werden sie auch bald verthun, ich muß das Fett nur schöpfen ab. Hätt ich geglaubt, daß der Herr Graf Lysander sein Geld auch so verthun. Ein Christ, ein Verschwender, einer mehr, der andre weniger. – Wenn eines meiner Kinder sich wieder taufen läßt, so will ichs enterben. – Ich hätt es gethan schon um die Hälfte, wär er so hitzig nicht darauf gewesen, als wäre ich der einzige Mensch der schaffen, konnte Geld. – Das Geld liegt mir zur Last, der Graf ist mir so sicher. – Nathan, du bist ein kluger Kopf, ein wahrer Iles, ein Genie, du sollst dir was zu Gute thun, hast heut noch nichts gegessen als ein kleines Stücklein Matzekuchen, und doch, mir ist so im Gemüthe, als hätte ich den Magen schon gefüllt, der Magen ist ein Beutel und mein Beutel ist der Magen – so neunzig Thaler fallen drein um nichts und wieder nichts, verdient in acht Tagen und mach ichs recht, so hol ich mir das Geldchen doppelt wieder mit köstlichem Geschmeide, was ich ihm für die Braut verkaufe – wer weiß, der Wechsel wird auch prolongirt – und prolongiert. Hör kluger Nathan, Edelchen ist ausgegangen, trink einen Schnapps? Ich denke, nein, denn einmal, darf ich heute nicht und zweitens hab ich einen schon genommen. – Wein muß ich doch vorsetzen meinem Herrn Grafen, so mancher ärgert sich, sieht er ein solch Geschäft recht schwarz und weiß auf dem Papiere, [96] da setzt es oft ein Schimpfen, Fluchen, Maulschelliren – ein Handelsmann muß was vertragen können, doch besser ists, wir scheiden heut im Guten. Er wird so viel nicht trinken, ich schenk ihms Glas nicht voll, was kann er trinken, kommt es hoch, ein Viertelquart, – den Wein statt Geld hab ich genommen, das Quartier zu vier Groschen, macht einen Groschen, er muß mir meine Dose machen voll mit Schnupftaback, da hab ich einen Sechser noch Profit, dafür geb ich ihm etwas Semmel. Er holt Wein aus einem Verschlage. Mein Edelchen, mein Edelchen, sie darf mir heut nichts thun, ich hab gemacht ein gut Geschäft, Kauscher ist wohl der Wein noch nicht – ob ers ist? – es ist bald Essenzeit, die Zunge ist mir trocken wies Gebetbuch; – Ein Glas Nathan? Trinkt. – Wie Milch und Honig! – Einmal erlaubt mirs der Papa, Trinkt. einmal erlaubt mirs die Mama Trinkt. und einmal erlaub ich mirs. Trinkt. – Nathan, Nathan, gedenk, kannst du auch vertragen den Wein, daß du nicht wieder kriegst Schreitzschmerzen, Nathan, du bist ein miserabler Kerl, ein ganz miserabler Hund, kannst nichts vertragen, Lumpenkerl – noch ein Glas, wer siehts denn, die Flasche steht ja da wie die Ceder vom Libanon. Trinkt. Was wird Edelchen sagen? – Neun Prozent – mag sie keifen – prolongiren – Geschmeide. – Ach, was wird Edelchen sagen? – [97] Da liegt ihr Buch, muß einmal sehen, was das sagt. – Sprich Buch: Er liest. Einmal sagte zu Rabbi Chanina seine Frau. Wie lang sollen wir Armuth leiden, thue ein Gebet, das man dir etwas vom Himmel herabgebe von wegen deiner guten Werke, die du gethan hast, und deiner Frömmigkeit, die du an dir hast. Das thäte der Rabbi. Da ging eine Hand aus dem Himmel und gab ihm einen güldenen Fuß von einem güldenen Tisch, daß er reich ward. In der Nacht kam der guten Frau für, wie die Fromen in jener Welt essen auf güldenen Tischen mit vier Füßen und sie beide essen auf einem Tisch mit dreien Füßen, der da wackelte und mangelhaftig war. Da sagte der gute Rabbi: Wie soll ich ihm denn thun? Sie sprach, bitte Gott, daß man dir den Fuß wieder nehme. Das thäte er und es geschahe also. Wir haben gelernt, daß es ein größer Wunder sei gewesen daß der Herr Gott den Fuß wiedergenommen hat, als daß er ihn erstlich gab. – – Ein groß Wunder, ein schlecht Wunder, was bedeutet mir das, ich habe Forcht, der Tisch wackelt mir so. Nathan, du hast zu viel getrunken, trink noch ein Glas. Trinkt. Der Wechsel ist geschrieben, der goldene Fuß, was ist ein goldner Fuß? Das ist Vermögen? Was ist Vermögen? Wenn man viel vermag? Ich hätt ihn nicht weg gegeben, ich behalt ihn, hör Frau, Er packt den Tischfuß. krieg die Kränk Edelchen, wer mir mein Vermögen [98] nimmt, der nimmt mir mein Leben. – Ach da kommt wohl der Herr Graf.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
PAMPHILIO
tritt ein.
Nun guten Tag Herr Nathan, es freut mich, ich finde Sie bei Gelde, ich will es leihn.
NATHAN.

Handweg, Handweg, Herr Pamphilio es ist nicht mein Geld, nein bei dem wahrhaftigen Gotte, es ist nur meines Freundes Geld.

PAMPHILIO.

Ich such das Geld auch nicht für mich, ich suchs für einen Freund, der alles in der einen Nacht im Pharao verloren, sein Geld und noch viel mehr, blos auf sein Ehrenwort.

NATHAN.

Ist es im Pharao verloren, braucht er niemand was zu zahlen aus, das Pharao ist schwer verboten und giebt er an die Bank beim Prorektor da müssen sie ihm alles wieder geben, er kriegt sogar ein Prämium dazu.

PAMPHILIO.
Sie rathen ihm die Ehr aufzugeben um das Geld?
NATHAN.

Was ist die Ehre, lieber Gott, wen hat sie satt gemacht, getränkt, gekleidet? Wer kann mich hindern, wenn ich sitz in meinem Hause, hab mein Essen auf dem Tisch, und meinen Wein, wer kann mich hindern, zu glauben, ich hätte alle Ehre wie der [99] König Salomo. Geld aber, mein gelehrter Herr, vom Gelde lebt man, vom Leben kommen Jahre, jedes Jahr trägt Zinsen, ich wollt es gäbe zehn Jahr in einem, da wollt ich recht leben.

PAMPHILIO.
Jud, ich sag es dir, du lebst nicht lange, mach dir Freunde mit dem ungerechten Mammon.
NATHAN.
Gehen Sie, was soll das heißen, Sie verfluchen mich.
PAMPHILIO.
Pemperleckofen.
NATHAN.
Weinstock! Es ist doch kein Paar brillantne Schuhschnallen.
PAMPHILIO.

Armer Freund Cardenio, ich kann kein Geld dir schaffen. Ich stolzer Mensch, der eben noch mit wohlgespicktem Beutel den Erdkreis zu umschreiten trachtete, da steh ich vor dem alten Juden hier und weiß nicht vorwärts und nicht rückwärts weiter, als wär die Brücke vor mir, hinter mir schon eingestürzt, in wildem Strome steh ich einsam auf dem Brückenjoche.

NATHAN.
Das sag ich immer, Herr Gelehrter, um das Geld ist alles feil, ein reicher Mann, ein großer Mann.
PAMPHILIO.

Alles feil und nichts, sieh alter Nathan, wie auf den Dukaten da ein Mann mit fester Hand so viele Pfeile hält zusammen, so hält das Geld des einzelnen Elends zahlreiche Pfeile überm [100] Menschen fest und schüttelt alle auf sein Haupt, wenn er es hat verloren.

NATHAN.

So recht, mein hochgelehrter Herr, so Sprüche sind gar schön, ich kann sie auch zuweilen brauchen, Sie müssen mir doch auch einmal den Unterricht drin geben, verlang es nicht umsonst. Was zahl ich für die Stunde?

PAMPHILIO.
Hol dich der Teufel. Ab.
NATHAN.

Wie soll ich das verstehn? Ist das eine Antwort, ist das keine. Ich bin gar mächtig alterirt, ich bin ein jämmerlicher Mensch, ich fühl es gleich im Magen. Muß nur ein gut Glas Wein drauf setzen. Wohl bekomms Herr Nathan. Trinkt. Neun Prozent – prolongirt, ich kann nicht, wenn Sie doch wollen, geben Sie doppelt, prolongirt. Herr Nathan ihre Gesundheit. Trinkt. Der Herr Graf lassen auf sich warten, Nathan angestoßen, trink aus. Trinkt. Es wird mir ganz duster. Nathan. – Hast du was gesagt Edelchen? – Gleich Herr Graf! – Gute Nacht Nathan. Er schläft ein.

8. Auftritt
Achter Auftritt.
CARDENIO
wild, überwacht stürzt herein und sieht den Nathan nicht.

Pamphilio ist hier herein getreten, ob er mir Geld wird schaffen; ich muß es haben, wenn es auch mit Eisenketten an den Himmel fest geschmiedet. Fluch der Schönheit, die mich hat gefangen [101] und der Zeit die ich verloren, seufzend, stöhnend und verzweifelnd, Fluch dem harten Spiel der Liebe, wo ich alles aufgesetzet, nichts, ach nichts gewonnen habe. Wie willkommen wart ihr da, wunderliche Fratzenbilder, lustge Karten, König Ogier und Cäsar und der Stempelschneider Ulrich, ihr wart da gewaltge Götter und ihr wolltet mir nicht wohl, habt das Meine mir in Opfern und in Strafen entrissen, Vatersorge, Mutterpfennige dienen euch zur besten Nahrung. Doch da las ich euren Willen wie einst Nabuchodonosar, daß nur eure falschen Priester euch zu solchem Greuel brauchen, hab euch um die Ohren all der Gauner, der verfluchten Spieler in dem Kreise tanzen lassen, Wein und Flaschen, Stühl und Bänke nachgesendet, daß es in der Mördergrube wie im Tartarus geschienen, siegend stand ich einsam durstig und wie Tanalus so leckt ich nach dem Weine, der am Boden floß und nach dem Weine, der hernieder von der Decke tropfte, und er schmeckte mir wie Blut und der Hauptmann lag am Boden, den ich hatt mit Trumpf gestochen, als ich ausgespielt die Seele. Lieg du Hund, hattest lange alle Welt so schlau betrogen, doch der Tod war dir zu klug, zeigte mir die falschen Karten und die Volten, die du schlugst, und ich war sein rechter Arm, deine Seele komm auf mich, in dem Himmel gilt sie nichts und die Hölle nimmt sie sehr gerne. Keiner wird mich hier verklagen, jeder nahm von deinem Gelde, ich [102] allein, ich mogt es nicht. – Geld, das muß ich dennoch haben, nur die Juden haben Geld jetzt am End des halben Jahres; wenn es keine Juden gäbe, hätt ich nimmermehr gespielt; hätt ich nicht mitgespielt, hätte ich den Hauptmann nicht erstochen. – Jude du mußt alles mir bezahlen, seh zum Glück ein Säckchen Geld nah bei deinem Haupte liegen, gieb mirs nur gutwillig her, sag mir nur kein schiefes Wort, möchte heut der Menschen schonen. – Heda Jude!

NATHAN.

Herr Graf – sehen Sie, wie ich gelaufen bin – bin Halbschlafend. ganz müde, sehr miserabel – meine Kolik – das Wechselche liegt auf dem Tische – unterschreiben der gnädige Herr, ach wie thun mir alle Glieder, so weh so weh – da liegt das Geld alles richtig eingezählt.

CARDENIO.

Jud, du bist wohl gar ein Zaubrer, da du siehst im Schlafe die Gedanken. Gut, ich unterschreibe dies – und neun Prozente, das ist nicht zu viel, nimm den Strick von Beutel noch dazu, wenn du dich zu hängen Lust hast. Er unterschreibt und steckt das Geld ein.

NATHAN.
Wei, o wei, wie wüst ist mir im Kopfe! –
CARDENIO.

Sonst, wenn er gesund, da spricht er wenig jüdisch, das Judenthum muß eine Krankheit sein. Der Kerl weiß jetzt von seinen Sinnen nicht.

NATHAN.

Ja trinken Sie nur immer, wenn es[103] schmeckt, Herr Graf Lysander, ist denn schon heute dero werthe Hochzeit?

CARDENIO.
Von welcher Hochzeit faselt der besoffne Esel.
NATHAN.
Das müssen Sie ja wohl am besten wissen mit Olympichen, dem gnädigen Fräulein.
CARDENIO.

Hund, was rufst du in die Seele, daß mir alle Adern starren, du hast Christum auch gekreuzigt, da du mich so martern kannst. Weh, es ist gewißlich wahr, was der Thor im Schlaf gesprochen, weinen möcht ich, habe keine Thränen, daß die Welt mir ging verloren, könnt ich weinen ohne maßen und in Thränen ganz zerfließen und in meinem wilden Strome sie ergreifen, zu mir reißen! Machtlos tönet meine Klage, ganz vernichtet tief gebeugt von der hohen Schönheit Wunder, von der Tugend hohem Blick, was ich träume, was ich denke, alle Kraft entseufzt dem Busen, alle Flügel sind gelähmt! Jener Schelm kann doch verschlafen seinen Rausch, aber ewig rauscht es wilder mir in meinem Hirn, jagt mich rasender zum Abgrund. – Ach Olympie das ist zu hart. Er geht.

NATHAN.

Neun Prozent – Nathan, was bist du wieder für ein Schlingel gewesen – gewiß hast du zu viel getrunken. Schläft ein.

9. Auftritt
[104] Neunter Auftritt.
Edelchen und Lysander treten ein.

EDELCHEN
leise.

Mein Alter soll kriegen die Schwerenoth, Laut. einen gnädigen Herrn so lange warten zu lassen. – Nathan! – Wo ist er? – Nathan!

NATHAN
erwacht.

Nun, was ist? Brennt das Haus? Soll Jericho wieder genommen werden. Was ist, was giebts? Ich bin krank, ich will sterben, will machen mein Testament.

LYSANDER.
Herr Nathan, sagen Sie, vor einer halben Stunde schienen Sie ganz wohl!
EDELCHEN
vor sich.

Der Wein steht vor ihm, sicher hat er wieder heut zu viel getrunken. Sie geht sacht zu ihm, stellt sich vor ihn und giebt ihm heimlich eine Ohrfeige. Mein lieber Alter sieh, dir wird gleich besser, wenn ich den Kopf dir halte.

NATHAN.
Ich habe keinen Kopf.
EDELCHEN.
Nun sehen Sie, Herr Graf, gleich ist er wach.
LYSANDER.
Er scheint an jener Seite doch geschwollen.
NATHAN.
Ich sterb, ich sterb, Edelchen, koch mir ein Täßchen Kaffee.
EDELCHEN
giebt ihm noch eine Ohrfeige.

Nein hitzige Getränke würden dir die Milz verbrennen, lieber [105] Nathan. – Sehen Sie Herr Graf, jetzt ist er wieder munter.

LYSANDER.

Es war doch nur ein falscher Schein, daß jene Backe dicker, doch scheinen beide sehr erhitzt, – vielleicht ein Glas zu viel getrunken, mein Herr Nathan.

NATHAN.

Ach mein Graf, nicht wegen meines Dursts, nur wegens Schreitzweh – was beliebt Herr Graf, Sie haben nur dem armen Nathan zu befehlen.

LYSANDER.
Nichts weiter, als warum ich früher Sie gebeten; haben Sie die tausend Thaler mir verschafft?
NATHAN.
Au weih, wo sind die tausend Thaler, Herr Graf?
LYSANDER.
Wo sind sie denn?
NATHAN.
Da liegt das Wechselchen, da steht Ihr Name.
LYSANDER.
Mein Name, ganz unmöglich, zeigt doch her – da steht Cardenio.
NATHAN.

Edelchen sieh zu! – Edelchen sieh zu. – Es ist des Herrn Grafen Name! – Er will mir seine Unterschrift ableugnen. –

LYSANDER.

Ehrlos Gesindel, die ihr stets in andrer Treue keinen guten Glauben setzet, weil ihr selber ohne Treu und Glauben, kommt, verklagt mich, wenn ihr glaubt, daß ich betrogen, aber macht mir keine Worte, kommet mir nicht vor die Augen, oder [106] bei dem heilgen Gotte, ich zerschlag euch alle Glieder brech euch das Genick entzwei.

EDELCHEN.
Nathan, sei ein Mann, laß ihn nicht heraus.
LYSANDER.
Hört ihr Hunde. Er wirft sie auf einander und geht ab.
EDELCHEN.
Da geht er, du Thunichtgut, soll ich dir Beine machen.
NATHAN.

Der Schreck liegt mir in allen Gliedern. Lies doch Edelchen, ich kanns nicht lesen, denn wenn ichs lese, so ist es wahr, und wenn es wahr ist, so bin ich des Todes.

EDELCHEN.
Ich will lesen. Da stehts ja, Cardenio. –
NATHAN.

Es kann nicht dastehn, es ist unmöglich, habs doch geliehen dem Herrn Grafen; ist mir doch der Herr Cardenio nicht Sicherheit, hat nichts als seine Feder, thut nichts als fechten alle Tage, kriegt einmal eins, daß ihm der Wind ausgeht. Wie ist er gekommen herein? Er hats gestohlen, als ich geschlafen habe.

EDELCHEN.

Geschlafen – mein Eingebrachtes, Kinderchen kommt heraus – ich will mein Eingebrachtes – ich will mich abscheiden.


Nathan und Edelchen zanken und jammern, sie bemerken nicht den Ahasverus, der ihnen ernst zugesehen.
AHASVERUS.

Schweigt, denn an dem heutgen [107] Tage, der zur Ruhe von der Mühe, von der Sorge heilgem Dienste ist geweiht, ziemt es nicht zu schachern und zu zanken.

NATHAN.

Was will er hier, ich hab nichts, ich geb nichts, ich sterbe gleich, Herr Abgesandter aus Jerusalem, wer weiß denn, was er ist, ob er uns nicht um unser Geld nur bringt und geht damit, wohin er will.

EDELCHEN.
Wer seid ihr? Was wollt ihr?
AHASVERUS.

Schweigt, was fragt ihr, wer ich bin? Wißt ich bin der ewge Jude, der zum zehntenmal zur Reise um den Erdball ist gezwungen, euch zu bessern, zu bekehren, daß ihr lernt aus meinem Jammer an den wahren Heiland glauben, den mein hartes Herz verspottet, dem ich ins Gesicht gespien, als er trug am schweren Kreuze, den ich von dem Sitz gestoßen, als er keuchend von der Last, vor dem Haus sich niedersetzte, wo ich trieb mein Schusterhandwerk. Bis ihr Juden all getaufet, kann ich keine Ruhe finden, muß durch alle Länder ziehen, seh euch martern, quälen, schinden, wie ihr dabei lächerlich. Also muß ich euch erblicken, die ihr seid von meinem Blute, von dem Blut aus dem geboren ward das ewig wahre Wort. Euren Glauben ihr verlasset, hasset doch den Christenglauben, rauben laßt ihr willig alles, alles, alles nur kein Geld, stellet euch an fließend Wasser, lasset eure volle Kasten tief hinein, klein [108] ist nur was ihr verlieret, zieret euch der Glaube, leicht beflügelt ist der Glaube, hebt so schwere Last nicht auf, werdet arm, ihr werdet seelig. Ab.

NATHAN.
Ich sterbe gleich.
EDELCHEN.
Ich wollt, du wärst nur ein Paar Tage früher abgestorben.
NATHAN.
Ich bin wirklich todt. Er stirbt.
EDELCHEN.

Au weih, er stellt sich todt. Ausrufung mit allen Kindern und allem Gesinde. Schelm, willst du aufwachen, ich will mein Eingebrachtes.Sie schlägt ihn, die Kinder fallen auch über ihn her.

KIND.
Der Vater macht sich auch recht steif.
EDELCHEN.

Du Schelm, du Verschwender, du dummer Kerl, wozu all das Gespäs. – Er ist doch wirklich todt. – Mein Herzensmann, mein Hirschel, süßer Nathan, wache auf. – So will ich keinen andern Mann mehr nehmen, das war der fünfte und der ist schon wieder todt, das war auch schnell. Zum Zeichen will ich dieses Tuch zerreißen.

KINDER.
Reiß nicht Mutter.
EDELCHEN.
Will keinen Mann. Ich reiß.
KINDER.
Reiß nicht.
EDELCHEN.
Ich reiß.
KINDER.
Reiß nicht.
EDELCHEN.
Ich reiß doch. – Nein ich reiß nicht.
10. Auftritt
[109] Zehnter Auftritt.
Straße vor Olympiens Hause. Cardenio und Pamphilio. Viele Hochzeitgäste gehen ins Haus, das hell erleuchtet glänzet.

CARDENIO
stößt einen der Gäste um.
Geh aus dem Wege.
GAST.
Das schien mir doch ein wenig impoli. Ab.
PAMPHILIO.

Du bist verzerrt, gräßlich, der Reichthum deines Lebens ist versieget, in der trocknen Hitze deines Unglücks, ich selber fürchte mich vor dir.

CARDENIO.

Es wird bald schlimmer werden, gieb mich nur auf, verlaß mich bald. Schon fühl ich eine lächerliche Neigung Feuer anzulegen oder Feuer auszurufen, das glanzerfüllte Hochzeithaus brennt fürchterlich in meinen Augen und blendet aus das schwache Lichtlein der Vernunft.

PAMPHILIO.

Du mußt bald fort von hier nothwendig ist es dir, wenn auch des Philosophen Tod dir nicht kann zugerechnet werden, des Spielers Tod verheimlicht bleibt; der Streich mit Nathan macht zu vielen Lärm, der Nathan ist der beste Freund von dem Minister, gewissermaßen hilft er ihm regieren, der Streich kann dir nicht gut bekommen.

CARDENIO.

Wer spricht von gut bekommen, einem, der zum Sterben krank. Hat nicht der Jude mit dem einen Worte: Lysander werde heut Olympien vermählt, mein Daseyn aus den Wurzeln fortgerissen[110] und in den Strom gestürzt, was sind dagegen ihm die tausend Thaler, wovon ich ihn erlöst, dies Galgenmännlein, der Dukaten stolze Zierde wird mich genug verführen und zerquälen bis ich es wieder los. Zu einem Gaste. Wohin so schön geputzt?

GAST.
Bin ich euch Antwort schuldig.
CARDENIO.
Beim Himmel ja.
GAST.
Wir gehen zu Lysanders und Olympiens Hochzeit. Ab.
CARDENIO.

Da hörst du wohl, wie ohne Scheu der Schuft das spricht, als gings mich gar nichts an. Als mirs der Jude heute Morgen zum erstenmal gesagt, da stand ich vor ihm, wie versteinert, mein Herz stand in mir still, – wie geronnene Eiszapfen sahen die Lichtstrahlen in das Zimmer, alles war mir rings so still, und in meinen Ohren trieb es brausend, als wenn tief im Höllenschlunde frische Kohlen angeschüret, weil ein frischer Brand von Teufeln eben sollte fertig werden. Bei Gott, ich nahm das Geld in jenem Augenblick nur des Skandales wegen fort, in jenem Augenblick hätt ich mein Hemde weggegeben um recht Skandal zu geben, in jenem Augenblick hätt ich ein altes Weib heirathen mögen, um recht Skandal zu geben, in jenem Augenblick hätt ich Olympien auf meinem Tische gern anatomirt, ihr Herz mit buntem Wachse ausgespritzt, blos des Skandales wegen. Die hab ich geliebt, geliebt, nun lieb ich nimmermehr.

[111]
PAMPHILIO.
Wie unbegreiflich, gestern hast du sie stolz ausgeschlagen.
CARDENIO.

Sei still, mach mich nicht rasend. Seit jenem Augenblick kann ich nicht weinen, vergebens netze ich mit einem Ozean von Wein die Kehle, kein Tropfen tritt mir in die trocknen Augen, in die ein Giftpilz seinen dürren Staub zerstreut. Bald sollen bei dem Spiel, das du mir hast bereitet, meine Thränen fließen, wozu kann ich mein Elend weiter brauchen, als selber mich damit zu rühren; ich will mich rühren, und betrüben über mich, daß alle Steine Wasser schwitzen, ich werde den verschmähten Prinzen trefflich sprechen lassen.


Von der einen Seite laufen die Juden mit einem Sarge vorbei, von der andern kommen die Soldaten mit einem Trauermarsche und tragen den Sarg des Hauptmanns Volte, durch dieses Zusammentreffen stockt der Zug.
PAMPHILIO.
Ihr Herren, welche Leiche ist denn das?
EINER.
Der Hauptmann Volte, der in der letzten Nacht im schwarzen Keller ist erstochen.
CARDENIO.

Gottlob ein Schurke wen'ger in der Welt, ich glaub er schlägt dem Teufel noch die Volte und sprengt des Himmels Bank. Wer wird denn hier getragen, edle Juden.

AHASVERUS.

Der reiche Nathan, er ist an tausend[112] Thalern heut verstorben, die er im Trunke ohne Sicherheit verliehn.

CARDENIO.
Der Teufel hat die Seele um sehr bill'gen Preis.
AHASVERUS.
Ist keine Reu in eurem Herzen, ich kenn euch wohl, denn euer Name steht bei jenem Scheine.
CARDENIO.

Du kennst mich, gut, so kenn mich ganz. Wer möchte nicht einen Fuß noch vor den andern setzen, sollt man für alle Folgen stehn, ich habe nicht die Welt geschaffen, ich leb darauf, so viel ich kann und bin ich Eisen, sag, wie kann ich's hindern, daß mich die Welt nicht schnell zum Richtschwert schmiede da ihr der Richter fehlt.

AHASVERUS.
Hat euch die Liebe nie gemildert.
CARDENIO.

Zum Ehering, da nimmt man Gold, so Grafengold, Lysander-Gold, das liegt im Sand, wird mühsam ausgefischt, ich raub mit einem Schlag was mein. Und doch wie weh ist mir, daß ich so groß Gelüsten habe Gold zu sein.

AHASVERUS.
Und glaubst du nicht an die Verwandlung der Metalle?
CARDENIO.

Das Geld ist ein Gespenst, das Eisen lebt in unsrer Zeit, kannst du der Vorzeit Geister nicht beschwören, so kannst du wahrlich nicht zu meinem Urquell mich so rückwärts aufwärts leiten, daß ich dies harte widerspenstge Wesen in mir tausche.

[113]
AHASVERUS.

Ich sage dir, wo eine Feuerseele in der Demuth bleibt, und von der Liebe eine Speise zu ihrem Brunnen einziehen will, da ist ein Engel Gottes gleich bereit, zu streiten mit dem feurig wilden Drachen der Eigenheit, er lebet abgeschieden, müßig und nähret so die heilge Kraft.

CARDENIO.

Du greifst unmenschlich mir ins Herz, doch könnte wohl ein Tag noch kommen, wo ich dich wieder hören möchte, wo werd ich dich dann finden, heut braust mir's vor den Ohren.

AHASVERUS.

Wenn du mich brauchst, so wirst du mich auch finden; sieh her, woran du mich noch kennen kannst, denn viele gleichen mir, sieh dieses Zeichen meines Bartes recht, der, halbgeblichen in fremder Zone, doch an den Spitzen wieder schwarz ausstrebt.

PAMPHILIO.
Ein blauer Fuchs am Bauche so erscheint.
CARDENIO.

Sei denn ein Fuchs, weil du nichts größres thust, als sagst; für heut verwunderst du mich nicht, vergebens sprichst du heut zu mir, kannst du nicht eines mir verkünden, ob ich natürlich sterben werde?

AHASVERUS.
Ein jeder stirbt in der Natur, worin er hat gelebt.
CARDENIO.

So lauf zu der Natur, die dir die [114] Beine gab. Ahasverus eilt ab. Ganz finster wirds in mir, was soll der Plunder angespielter Leuchtgewürme.


Er zerschlägt die Laterne.
PAMPHILIO.
Ich bitte dich, halt ein, die Häscher eilen schon herbei, du wirst jetzt grausam.
CARDENIO.
Ich werde lustig nur, vor Liebchens Haus. Da brennt noch so ein schön Laternchen.

Er schlägt's ein.
PAMPHILIO.
Zum Teufel, eben schlug ein Springstock mir an's Bein.
DIE HÄSCHER.
Ihr Herren Platz, wer hat hier eingeschlagen die Laternen?
CARDENIO.
Da läuft er noch, es schien ein alter Jude und halbverrück.
DIE HÄSCHER.

Das ist erschrecklich, die Juden werden jetzt recht vornehm auch, bleibt nur zusammen Leute, der Kerl scheint mir viel zu schnell, den kriegen wir nicht mehr, wir haben uns doch brav gehalten heut, wir wollen hier zur Wache bleiben bei der Hochzeit.

CARDENIO.

Ich hab mich ausgetobt Pamphilio, jetzt bin ich ruhig wie nach einem Aderlaß, nun laß uns denken an das Maskenspiel.

PAMPHILIO.

Ich sag dir, die Gevatterin bringt alle Kleider her, doch hab ich wenig Lust dazu, ich wäre lieber weit davon, ich glaub, ich hab das Fieber von dem Spaße gestern.

[115]
CARDENIO.
Ich hab ein doppelt Fieber, und das hindert nichts.
GEVATTERIN
kommt mit einem großen Pakete.
Ihr macht's mir heute auch gewaltig sauer.
PAMPHILIO.
Wie sauer hast du uns die Kirschen oft gegeben.
GEVATTERIN.
Nun ziehet euch die Maskenkleider an.
PAMPHILIO.
Wird sich's auch schicken?
GEVATTERIN.
Du Narr! Hab alte Leute nicht zum Besten.
11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
Saal im Hause Virens, prachtvoll erleuchtet, eine schön geschmückte Gesellschaft erfüllt ihn, in deren Mitte Olympie und Lysander vor dem Prediger stehen, der die Trauung vollzieht.

PREDIGER.

Gott schuf den Mann sich selber als ein Bild. Der Mann erschuf die Frau sich selber als ein Bild, und wie sich Gott verhält zum Mann, also verhält sich auch der Mann zur Frau, der Mann ist unterthan dem Gotte, die Frau dem Manne, dann werden sie mit ihres Leibesfruchtbarkeit die Erde füllen und mit des Geistes Erfindsamkeit auf Erden herrschen über alle. Herr Graf Lysander, Sie stehen hier vor Gottes Angesicht, ich frag Sie feierlich ob Sie Fräulein Olympien nach diesem ewgen Wesen ehelichen Lebens beschützen und beherrschen wollen, wie Gott Sie selber schützet und beherrscht?

[116]
LYSANDER.
Was ich vermag, das ist ihr alles eigen.
PREDIGER.
Mein Fräulein wollen Sie dem Grafen unterthänig sein?
OLYMPIE.
Ja.
PREDIGER.

Der Ring ist in der christlichen Gemeine ein Zeichen heilger ehelicher Verbindung, so wechseln Sie denn auch die Ringe. Sie wechseln die Ringe. Was Gott zusammengefügt, das soll der Mensch nicht scheiden. Sie knien nieder und er segnet sie still ein. Amen.

DIE VERSAMMLUNG
singt.
Alle Engel und Himmelsheer
Und was dienet Gottes Ehr,
Auch Cherubim und Seraphim
Singen immer mit hoher Stimm:
Heilig ist unser Gott,
Der Herr Zebaoth!
Behüt uns heut, o theurer Gott,
Vor aller Sünd und Missethat,
Auf dich hoffen wir lieber Herr,
Zu Schanden mach uns nimmermehr.

Stille Glückwünschungen.
EINE ALTE FRAU
zum Prediger.

Ei, Herr Gevatter, was haben Sie uns heute für eine falsche Lehre vorgetragen, und haben dann die wahre alte von dem Sündenfalle ganz vergessen.

PREDIGER.
Die neue Lehre ist mir eigen und keiner hat sie noch bisher verstanden.
EINE ALTE FRAU.

Du lieber Gott, jetzt will [117] gar jeder seinen eignen Glauben haben, sonst wollte jeder, daß sein Glaube allen sei und segnete damit das Volk.

PREDIGER.
Das wird nun alles anders, wir werden neu organisiert, sie müssen sich drein finden.
EINE ALTE FRAU.
Bewahr mich Gott, ich find mich nicht in diesen neuen Glauben, ich will den alten haben.
PREDIGER.
So haben Sie ihn, ganz für sich allein, es will ihn keiner weiter.
HALLOREN
treten auf in ihren feierlichen Röcken mit silbernen Knöpfen, kleine dreieckige Hüte in den Händen, geschorne Köpfe, sie singen eins ihrer alten Lieder.
Ein Magd ist weiß und schöne
Dort auf den grünen Auen,
Geht jungfräulich bei Frauen,
Gott sieht vom Himmelsthrone,
Glück zu mein edler Zweig!

Gott schuf wohl Erd und Himmel,
Er ist so stark von Kräften,
Von meisterlichen Geschäften,
Schwang sich in ihren Willen,
Schwang sich in ihren Schooß.
PREDIGER.
Ihr guten Leute still, stört nicht die Feier dieses Tages mit ungeschicktem alten Liede.
EIN HALLOR.

Nun sieh mal den an, gelt das ist ein – Prediger. – Hör Schwager, kommst du mir wieder so, du kriegst mal eins auf die Hutkrempe.

[118]
PREDIGER.
Ihr seid ein ungeschliffnes Volk.
LYSANDER.

Ihr Herren Frieden, es ist ja alles gut gemeint, Herr Prediger. Ich dank euch herzlich gute Freunde für den Gruß, ich danke euch, daß ihr mein Hochzeitfest mit eurer Gegenwart beehrt, und wie ihr mir im Flusse oftmals sorglich nachgesehn, wo ich recht lustig fortgeschwommen, so auch blicket noch auf mich im Ehestand, den ich mit schöner Hoffnung heut begonnen. Versteht ihr mich Freund Andres.

HALLORE.
Es muß doch och was heesen.
LYSANDER.
Versteht ihr euch wohl auf ein hübsch Gesicht, so schauet meine liebe Frau hier an.
HALLOR.
So ene ward nicht bei uns groß.
LYSANDER.

Das glaub ich. Liebe Frau, du wirst so roth, daß ich dich Frau genannt, du konntest auch den Ring nicht gleich vom Finger ziehen, so warest du bewegt, kannst du wohl sagen lieber oder guter oder böser Mann zu mir? Ich wette gleich, du kannst es nicht.

OLYMPIE.

Je lieber Mann, ich war gerührt und bin es noch, nicht durch des Herren Pred'gers halbverstandne Worte, es war nur meine Schuld, ich weiß es wohl, daß ich ihn nicht verstanden, denn was mich rührte, hat mich auch zerstreut, es war das Schluchsen aller ältern Frauen rings im Kreise. Ich kannte sie doch sonst so scheinbar glücklich alle, doch schien da ein verschwiegnes Wehe, das auf dem Ehstand [119] ruht, gewaltsam sich im Augenblicke jedes neuen Opfers Luft zu machen, und auch nachher dann thaten sie so gegen mich, als dächten sie noch stets in tiefer Sehnsucht ihrer Unschuld Spiele und Vergnügen. Was ist für Schuld beim Ehestand Herr Prediger?

PREDIGER.
O gnädge Gräfin, trüben sie nicht diesen Tag mit Nachgedanken.
OLYMPIE.

Ich weiß nichts Würdigers, womit ich ihn beschäftgen könnte, als mit Gedanken, wozu er mich bestimmt.

PREDIGER.

Nun, wenn Sie so befehlen, die Unschuld ist ein altes Märchen aus der Fabelzeit, wo Gott noch mit den Menschen, wie mit Kindern spielte, im Gleichniß sich verlor, in bunten Bildern sich noch offenbarte.

OLYMPIE.

Warum ist diese Zeit denn aus, ich fühl mich durch und durch noch kindisch, gar um nichts, um gar nichts weiser, als in meinen frühern Jahren. Nun sagen Sie, was ist denn diese Schuld des Ehestandes?

PREDIGER.

Verzeihen Sie, es würde gar nicht schicklich sein, wenn ich als Geistlicher in der Versammlung Ihnen dieses deutlich machen wollte.


Er wendet sich ab.
OLYMPIE.

Der Mann ist wunderlich, er sah mich an, als schämt er sich in meinem Namen, was hab ich denn Unschickliches gesagt?

[120]
LYSANDER.

Er hat dich nicht verstanden, sei zufrieden, wenn du die Unschuld nun bewahrst als Frau, wie du sie dir als Mädchen hast erhalten, auch ich werd meine Schuld in deiner Näh vergessen lernen und deiner Unschuld würdig werden. O gieb mir einen Kuß, es ist uns jetzt erlaubt. Sie küssen sich. Sag, wem gehörte dieser Kuß, er schien von meinen Lippen auszuschweben?

OLYMPIE.
Ich geb dem Himmel, was ihm angehört, er hat uns heut verbunden.
VIREN
tritt hinzu.

Nun das erfreut mich, lieben Leute, daß ich euch hier so herzlich sehe, daß ihr euch nicht so ziert, wie andre junge Eheleute, so lange noch die Hochzeitgäste gegenwärtig, das hätt ich nicht von dir erwartet, Schwester, sonst warst du doch sehr überspannt.

OLYMPIE.

Du kennst mich wenig, lieber Bruder, wie du hieraus auch sehen kannst, vielleicht gönnt uns die künftge Zeit mehr Muße, wo wir in Ruhe bei einander hausen können.

VIREN.

Recht schön, das soll geschehen, doch kommt zum Vormahl jetzt, damit ich weiß, ob ihr zufrieden seid mit dem, was ich an Essen, Trinken angeordnet. Auch warten draußen Maskenspiele unserer Bekannten auf die Ruhe, die der Gesellschaft nun das Kauen giebt.

OLYMPIE.

Gewiß ist alles gut von dir geordnet,[121] doch wenns zu meiden ist, erlasse mir das Maskenspiel, seit gestern Abend mag ich keins mehr leiden.

LYSANDER.
Der böse Abend gestern!
VIREN.

Nein liebe Schwester, jetzt kann ich sie nicht ohne Grobheit mehr von hier verweisen, es ist Gewohnheit, der gute Wille ist in unsrer Zeit zu achten, auch kennt sich die Gesellschaft wenig und in den Feierkleidern wird die Unterhaltung leichtlich steif; solch Spiel giebt jedem die Erlaubniß ohne dumm zu scheinen, still zu schweigen, es unterdrückt die alten abgelebten Hochzeitspäße.

OLYMPIE.

Ja lieber Bruder, wenn das nützlich wäre, die alten Spaße so zu unterdrücken, die überlästig wie die Fliegen, doch immer wieder zu uns kehren, da wollt ich meine Furcht vor Maskenspielen leicht bezwingen.

LYSANDER.
Wer wartet denn mit einem Maskenspiele auf?
VIREN.

Ja das ist eben das Geheimniß jedes mal – gewiß kann ichs nicht sagen, doch mein ich stark, es ist der Hauptmann Lumper.

LYSANDER.

Mein sehr vertrauter Freund, so etwas hat er stets im Kopfe, es macht ihn auf acht Tage glücklich, wir müssens über uns ergehen lassen.

OLYMPIE.
Dein Wille ist mir Freude.
12. Auftritt
[122] Zwölfter Auftritt.
Cardenio mit schwarzer Maske und Kleidung als Mohrenprinz, Pamphilio mit weißer Maske und Kleidung als Weißprinz, zwischen beiden eine Frau mit halb schwarzer halb weißer Maske und Kleidung als zweifarbige Prinzessin, der Mohrenprinz steht an ihrer weißen, der Weißprinz an ihrer schwarzen Seite, doch ist dies nur den Zuschauern sichtbar, da ein Schleier, der von ihren Händen getragen wird, ihre Zweifarbigkeit den zur Seite stehenden Anbetern verbirgt, und vorn, hinreichend geöffnet, den übrigen Anwesenden sehen läßt. Vor ihnen her tritt ein kleiner Junge, in allen Farben bunt gekleidet, als Herold.

HEROLD.
Aufgeschaut, aufgeschaut!
Hier streiten zwei um eine Braut,
Macht nur Platz, macht nur Platz!
Das wird mal geben eine Hatz.
OLYMPIE
vor sich.

Ich weiß nicht, wie mich ein eignes Zittern überfällt beim scharfen Auftritt jener schwarzen Maske, ich glaube einer Stimme Ton zu hören, die mir so unvergeßlich, so gefährlich ist. Gewiß es ist Cardenio, so kühnen sichern Gang hat keiner, weh mir, was wird das geben, ich darf nicht warnen, um nicht die schnellen Schreckensscenen mit den vermutheten zu tauschen.

VIREN
zu Olympien.

Du sonderst dich so von uns ab und alle warten doch mit ihrem Spiel auf dich, o füge dich der kleinen Feier, du bist ja gütig gegen alle Welt.

OLYMPIE.
Ich wußte nicht, daß es so schnell beginne, ich bin bereit, setz dich nur nah zu mir.
[123]
PAMPHILIO.
Es hat noch gar nicht angefangen – ich wollt es wär vorbei!
CARDENIO.

Fast vergeß ich meine Rolle, mich durchrollt ein wildes Blut, läuft so tobend unter einander in des Herzens unrechte Kammer, steiget gegen sich selber frei, Fluth gegen Fluth, als schwankt die Erde.


Maskenspiel.

PRINZESSIN.
Der am treusten von euch beiden,
Hat am meisten mir behagt,
Dem sei heut mit heilgen Eiden
Meine Hand gleich zugesagt.
WEISSPRINZ.
Nimmermehr kann ich dich lassen,
Lieber lasse ich mein Leben!
MOHRENPRINZ.
Wer wird dir dafür was geben,
Da du lang schon im Erblassen,
Kreideweiß kann man dich nennen,
Farbe hast du nicht gehalten.
WEISSPRINZ.
Sollt ich mich wie du verbrennen,
Daß man mich für brav möcht halten,
Lieber bleib ich wie die Schöne
Weiß und roth wie Milch und Blut,
Und daß mich die Liebe kröne,
Brauch ich nur der Schönheit Glut.
MOHRENPRINZ.
Wie, du wagst sie weiß zu nennen,
Die so schwarz wie Ebenholz,
Lieblich, wie die Nacht zu kennen
An den Augen leuchtend stolz.
WEISSPRINZ.
Nun Prinzeß, du hast gehöret,
Wie er dich hat angeschwärzt.
[124]
MOHRENPRINZ.
Weiß machst du dirs, ganz bethöret,
Sie ist schwarz, ich sag's beherzt.
WEISSPRINZ.
Nein, ich kenn ihr Angesicht
Lieblich, wie das Sonnenlicht.
MOHRENPRINZ.
Nein, du liebest sie noch nicht,
Nein, du liebest nur das Licht,
Und du möchetst weiß ihr machen,
Daß sie weiß und bleich, wie du,
Sie wird deines Hochmuths lachen,
Lasse endlich sie in Ruh.
WEISSPRINZ.
Nun Prinzessin, du willst schweigen,
So entscheide doch den Streit,
Bist du schwarz, so wird sich's zeigen,
Ich entsag dann ganz bereit.
MOHRENPRINZ.
Endlich hebe auf den Schleier,
Und beschäme diesen Schreier,
Gelt, du willst dich sehen lassen,
Bist du weiß, so bist du sein.
PRINZESSIN
zum Mohrenprinz.
Lasse ihn nur eitel spaßen,
Ich bin schwarz und ich bin dein.
PRINZESSIN
zum Weißprinz.
Ei du kannst dich drauf verlassen,
Ja bin weiß wie Elfenbein.
WEISSPRINZ.
Zeig dich, zeig dich meine Schöne.
MOHRENPRINZ.
Daß sich Lieb und Treue kröne.
PRINZESSIN.
Schönheit, Schönheit ist vergänglich,
Und das Leben ist so lang,
Eine Frage ist verfänglich,
Eine Frage macht mich bang:
PRINZESSIN
zum Weißprinz.
Wenn ich alternd, wie die Birnen,
Bräunte aus dem frischen Roth?
WEISSPRINZ.
Ach das hat noch keine Noth.
[125]
PRINZESSIN
zum Mohrenprinz.
Würdest du mir niemals zürnen,
Wenn mein Haar einst weiß gebleicht?
MOHRENPRINZ.
Nichts an Schönheit je dir gleicht.
PRINZESSIN.
Wohl so leg ich nun den Schleier,
Und so seht mich beide an,
Beide wart ihr meine Freier,
Und nun hab ich keinen Mann.
MOHRENPRINZ.
Du bist weiß, das ist abscheulich,
Alterst du denn also schnell?
WEISSPRINZ.
Schwarz wie Ruß scheint unerfreulich,
Gestern schienst du blank und hell.
PRINZESSIN.
Seid ihr beide noch so treulich,
Wie ihr beide schworet neulich?
WEISSPRINZ UND MOHRENPRINZ.
Wer zwei Schwüre angenommen,
Hat ein falsches Spiel begonnen.
PRINZESSIN.
Wie gewonnen, so zerronnen!
Wer zum Spiegel mich genommen,
Hat sich selbst in mir geliebet,
Und der werde nun betrübet.
Wißt, hier ist ein falscher Schein,
Falsches Licht strahlt hier herein,
Wechselt einmal eure Plätze
Und dann schauet nach mir her,
Seht ihr nun die alten Schätze?
Doch ihr habet sie nicht mehr.

Jeder Prinz kommt an der ihm gleich gefärbten Maskenseite zu stehen.
MOHRENPRINZ.
Schön, du bist so schwarz wie ich.
WEISSPRINZ.
An der Weiße kenn ich dich.
PRINZESSIN.
Für euch beide war ich reich,
Schwarz und weiß bin ich zugleich,
[126] Wie ein Dambrett schwarz auf weiß,
Also ist der Damen Weis'.
Schwarz auf weiß, Kontrakt und Name
Wünschet jede fromme Dame;
Doch ihr wolltet mich erst prüfen,
Ach ich kenn der Herzen Tiefen!
Hier zum Abschied geb ich euch
Ein Geschenk, das macht euch reich,
Nehmt die beiden gleichen Spiegel,
Seht euch drin und liebt euch recht,
Und ich geb euch Brief und Siegel,
Ihr vergeßt mein bös Geschlecht.

Sie wendet sich nach dem Hintergrunde.
MOHRENPRINZ.
Nun ich alles hab verloren,
Mag ich mich nicht selber sehn,
Gleiche Farb ist mir geboren,
Wie auf ihren Wangen schön,
Und nun ist sie fern und weit,
WEISSPRINZ.
Du warst Ursach an dem Streit.
MOHRENPRINZ.
Willst du Streit, du sollst ihn haben.
WEISSPRINZ.
Stolzer Thor, laß dich begraben.
MOHRENPRINZ.
Ich zertrümmre meinen Spiegel,
So zerstöre ich auch dich.

Er ersticht ihn.
WEISSPRINZ.
Stößt du auf des Lebens Riegel?
In den Himmel stößt du mich.

Stirbt.
PRINZESSIN
wiederkehrend.
Scherz war doch mein Abschied nur
Seht ich komm zur alten Spur,
Lange dauerte mein Wählen,
Will dem Weißprinz mich vermählen.
Mohr du mußt dich drein bequemen,
Einen kann ich doch nur nehmen.
MOHRENPRINZ.
Wohl so nimm mich, denn alleine
Steh ich hier und bin der deine.
[127]
PRINZESSIN.
Weh mein Liebling ist gefallen
Und er fiel von deiner Hand,
Sag, nie kannst du mir gefallen,
Da du trennst der Liebe Band.
MOHRENPRINZ.
Wie, du kannst ihn noch beweinen,
Hier in meiner Gegenwart,
Und du nennest ihn den deinen,
Ha, nun merk ich deine Art:
Ach du liebst nur was verloren!
PRINZESSIN.
Sag, was soll ich mit dir Thoren,
Der sich ewig möchte schlagen,
Statt was schönes mir zu sagen.
MOHRENPRINZ.
Stirb, weil du mich nicht kannst lieben,
Mit dem Buhlen schnell zugleich!

Er ersticht sie.
PRINZESSIN.
Sag, was kommst du her von drüben
Aus dem schwarzen Mohrenreich,
Wenn du gar nichts willst, als stören
Andre in den Freudenchören.

Stirbt.
MOHRENPRINZ.
Ja da liegt sie nun schon todt,
Spart der Welt das Abendbrod,
Weiß ich selber, was ich will,
Lieben muß ich ewglich,
Und nun sitz ich vor mir still,
Und nun schrei ich freventlich,
Leben muß ich, kann nicht sterben,
Bin verzaubert an die Welt,
Weil sie diesen Leichnam hält.
Ach wer schmeckt den Schmerz, den herben,
Der mich will so ganz verderben.

Er geht heftig umher.

Flieht mich, wie ein Jägerspieß,
Den der Teufel durch die Lüfte stieß!
[128] Fliehen muß ich mich und finden
Muß ich mich auch überall;
Durchs Jammerthal
Muß sich in zehnfacher Krümmung winden
Mein Thränenstrom!
Ich war einst fromm,
Sah so zutraulich der Welt ins Auge,
Mochte mich durchschlagen,
Mochte zu lieben wagen,
Ach, daß ich nun zu gar nichts tauge!
Wüthen möcht ich und muß weinen,
Weinen will ich und muß wüthen
In den Blüthen,
In den meinen,
Keine segensreiche Frucht
Mich erquicket auf des Lebens Flucht.
PAMPHILIO
als Weißprinz, flüstert leise zu Cardenio.
Jetzt eile fort, du fällst ganz aus dem Spiele du machst uns unglücklich.
MOHRENPRINZ.
Nein ich find nicht eher Ruhe,
Bis ich find ein glücklich Paar,
Schüttle dann den Staub der Schuhe,
Wische mir die Augen klar.
Was ich suche ist mir nah,
Und Olympie mit Lysandern,
Stehn vor mir so glücklich da,
Lassen mich nicht weiter wandern.
WEISSPRINZ UND PRINZESSIN
stehen auf.
Und der Zauber ist gelöst,
Da zwei Glückliche gefunden,
Die in treuer Lieb verbunden.
Leben ist uns eingeflößt,
[129] Und der Mohrenprinz versöhnt,
Unser Hochzeitfest verschönt,
Unsre Hände legt zusammen,
Da vereint des Herzens Flammen.

Der Mohrenprinz thut dies unwillig.
WEISSPRINZ UND PRINZESSIN.
Solche List muß man gebrauchen
Um zu seinem Zweck zu kommen,
Erst da war uns so beklommen,
Und die Worte uns vergehen,
Alles das habt ihr gesehen.
HEROLD.
Lernet euer Glück erkennen,
Andre müssen weit nach rennen,
Andren will es nicht begegnen
Oder erst nach Schmerzen segnen
So was denket nun dabei,
Oder andres – einerlei.

Ende des Maskenspiels.
LYSANDER.

Sehr zierlich, sehr geschickt, ich sag euch Dank ihr werthen Freunde, vermehrt der Gäste Zahl, wenn ihr euch eures Schmuckes habt entladen vergebens rath ich, wer ihr seid, so kunstreich habt ihr euch verstellt, doch rath ich aus des Spieles Sinn daß ihr mir werthe alte Freunde seid. Olympie ist allzuheftig heut bewegt, verzeihet ihr, wenn sie den schuldgen Dank verschweigt.

OLYMPIE
indem sie Cardenio, der reden will, unterbricht.

Mag euch ein Glück begegnen, wie ihr im innern Herzen uns gewünscht, dem Himmel sagen wir für unser Schicksal Dank.


Die Masken entfernen sich mit Verbeugungen.
[130]
OLYMPIE
vor sich.

Endlich komme ich zu Athem, wie vergebens ist die Furcht, wo ein Unglück naht, da schläft sie und umschleicht des Glückes Tage.Laut zu Lysandern. Weislich ist das Spiel gewesen, warnend vor den bösen Folgen wilder Leidenschaft, die das bessre Leben störet, uns den niedern Kräften opfert, warnen solls vor Eigenliebe und vor jedem Doppelsinne.

LYSANDER.

Das hast du wohl gesprochen, verlor ich doch die Lehre bei dem Toben jenes Mohren aus den Augen, der spielte gar zu wild; ich meine doch, in jeder Kunst muß jene Grenze streng bewahret werden, die sie von der gemeinen Wirklichkeit geschieden. Ich glaub dies lernte ich auch schon von dir, ach vor allen hohen Schätzen, preis ich hoch ein edles kluges Weib. Er küßt sie.

VIREN
tritt zu ihnen.

Könnt ihr nicht warten bis ihr in der Kammer seid, schämt euch, wie ihr schon so zusammen kriechet, statt eure Gäste mit Gesprächen zu verbinden.


Zu der Gesellschaft.

Herren und Frauen,
Ihr lebt nicht vom Schauen,
Essen und Trinken
Will höflich uns winken,
Und der Herr Bräutigam
Führe die Braut voran.

Lysander führt Olympien in das erleuchtete Nebenzimmer, die Gäste folgen gepaart.
13. Auftritt
[131] Dreizehnter Auftritt.
Straße vor Celindens Hause. Viren kommt mit einer Schaar Hallorenweiber, die den Rumpeltopf brummen lassen.

VIREN.

Ich muß verflucht aussehn in meinem Hochzeitstaat, ganz wie ein Satanas mit meinen Hexenweibern im Blocksberg Tanz. Wie mir die beiden entschwanden im geheimnißvollen Zimmer, das ruhig ihre Zärtlichkeit umschließt, da ward es sehnlich mir im Herzen, ich mußte noch Celinden sehn, sie aber wies mich gröblich von der Thüre, der Schimpf soll noch gerächet sein. – Nun seid ihr alle wohlgestimmt mit euren Rumpeltöpfen? Er singt.

Die am hellen Fenster

Meine Stimme hört,

Wird davon bethört,

Die ans helle Feinster

Hauchet, bis es blind,

Die ist heiß gesinnt.

Die gelehnt ans Fenster

Hauchet in die Hand,

Thränen hat gesand;

Ja ich bin gerühret,

Öffne dir mein Herz,

Ja ich bin verführet,

Alles war nur Scherz.

CELINDE
öffnet das Fenster.
Der in dunkler Gasse
Mit dem Winde streicht
Wäre gern ohrfeigt,
Der in dunkler Gasse
[132] Viel von mir erzählt,
Hat mich lang gequält.
Der in dunkler Gasse
Falsche Töne singt,
Schlechte Musik bringt.
Ich laß Narren reden,
Keiner glaubt dem Thor,
Eines Narren Rede
Schläft in klugem Ohr.
VIREN.
Die am hellen Fenster
Necket, was sie liebt,
Hat mich nicht betrübt.
Denn viel hellre Fenster
Bei der Nachbarin,
Strahlen zu mir hin.
Alter Lieb Gespenster
Wollten mich hier necken
Müssen sich verstecken!
Aus Celindens Reden,
Spricht nur Eifersucht,
Mit ganz andern Reden
Hat sie mich versucht.
HALLORENWEIBER.

Herrchen, wenn nur die Räthin nicht dazu kommt, das ist euch eine schlimme Frau, sie hält gar viel auf ihre Tochter.

VIREN.

Das muß sie wohl, es wird einmal ihr Ebenbild, ein saub'res Paar, die Mutter und die Tochter, schont nur den Rumpeltopf nicht, er stimmt so recht mit dieser Jungfrau Worten.

CELINDE
am Fenster.
In der dunklen Gasse,
Meinet jeder Thor,
[133] Daß für ihn mein Ohr;
Dir in dunkler Gasse
Geb ich schlechtes Lob,
Denn du wurdest groß.
Aus der dunklen Gasse
Komm und werde froh,
Meint es gar nicht so.
Ja ich bin verführet,
Öffne dir mein Herz,
Ja ich bin gerühret,
Alles war nur Scherz.
HALLORENWEIBER.
Herrchen geht nicht zu nah, es möcht euch was übles begegnen.
VIREN.

Was wollt ihr denn, jetzt kenne ich das list'ge Mädchen ganz, das spröde Wesen war nur listige Verstellung, sie hat mich prüfen wollen.

Die am hellen Fenster

Horcht den Schritten mein.

Läßt mich gern hinein.

Sieh ans helle Fenster

Heb ich mich empor –


Steigt ans Fenster, das sie zuschlägt.

Und sie schließts zuvor! –
Dieses helle Fenster
Schmeiß ich dafür ein
Mit dem ersten Stein,

Er wirft das Fenster ein.

Ihr geschminkten Wangen
Lügt mir nichts mehr vor,
Lieb ist mir vergangen,
Bin kein solcher Thor.

Die Magd hetzt den Hund heraus, der sich mit ihnen herum zerrt, den Viren in die Beine beißt und dann von den Weibern gefangen wird.
[134]
HALLORENWEIBER.
Seht die dicke Magd,
Mit dem Schlüsselbund,
Ihren alten Hund
Auf uns alle jagt.
VIREN.
Ach in Schuh und Strümpfen,
Ists ein böser Feind,
Der uns da erscheint,
Was hilft nun das Schimpfen;
Ach wo sind die Waden,
Wo die Polizei?
Steht mir keiner bei,
Sicher wirds mir schaden.
HALLORENWEIBER.
Seht, er ist gefangen,
Hier in meinem Rocke,
Schlagt ihn mit dem Stocke
Ohne alles Bangen.
VIREN.
Seht nun, ohne Gnade
Mit dem eignen Degen
Will ich ihn erlegen.
HALLORENWEIBER.
Ach dies ist recht schade,
Ach wie er jetzt schreiet,
Daß es euch nicht reuet!
CELINDE
am Fenster.
Hülfe, Hülfe meinem Hunde,
Helfet, helfet Nachbarsleute,
Wird mein Hund des Todes Beute,
Weine ich mich todt zur Stunde.
DIE DICKE MAGD.
Wasser wehr dich, ich schrei Zeter,
Feuer, Feuer will ich schreien
Über das verfluchte Freien,
Heda Amme, langer Peter!
14. Auftritt
[135] Vierzehnter Auftritt.
CARDENIO.

Wohlauf, hier giebts doch etwas Lärmen, die andern Straßen waren zum Verzweifeln stille. Wie blinkt mein Degen fröhlich zu den Sternen und blitzet wetzend auf den Pflastersteinen. Ha überleb ich diese Hochzeitnacht, so werd ich doch ein alter Mann, all den Zigeunern, die mir wahrgesagt, zum Trotz. Was giebts ihr Nachtraben?

DICKE MAGD.
Hülfe, Hülfe, dieser Mann hat den Hund mir wollen nehmen.
CELINDE.
Hülfe, Hülfe, dieser Mann wollte mir die Ehre nehmen.
VIREN.
Fort sag ich, wer sein Leben liebt und die Gesundheit seiner Glieder.
CARDENIO.

Ich lieb mein Leben nicht und die Gesundheit nicht. Was willst du Krautkopf hier des schimmlichen Fräuleins Ehre frech beschimpfen, des sauern Mopfes Leben nehmen. Er schlägt auf Viren.

VIREN.

Ich weiß nicht wie der Degen mir entfallen und all mein Muth dazu, ich werde von den Schlägen schrecklich nüchtern, weit weg ist gut vorm Schuß. Er läuft davon.

CARDENIO.

Ein Narr ist fortgejagt, was jammert hier noch für Gesindel. Er zerschlägt die Rumpeltöpfe. Nachteulen, heut ist Polterabend; wie die[136] Scherben klingen, wer hat dich her bestellt, jämmerliches Volk, das aller Nächte heilgen Ernst vergiftet?

HALLORENWEIB.

Herrchen – nur einen Schluck auf diesen Schreck – weiß ichs doch selber nicht – er war betrunken, daß wir ihn halten mußten.

CARDENIO.
Hat er euch gut bezahlt?
HALLORENWEIB.
Er hat viel versprochen, nichts gegeben.
CARDENIO.

So ist es recht, umsonst müßt ihr dem Teufel euch ergeben. Laßt euch dies Unglück eine Warnung sein und lebet ehrlich, damit den Menschen vor der Ehrlichkeit mag grauen. Ihr Bestien, fort. Hallorenweiber schimpfend ab.

CELINDE
am Fenster.

Mein edler Ritter, ihr habt die Ehre mir bewahrt, noch eh ihr mich gekannt, nur einen Augenblick gönnt mir zum Danke, der sich in solcher Ferne scheu zurück hält.

CARDENIO.
Sie kennen mich noch nicht mein Fräulein, ob ich auch würdig bin, ihr Zimmer zu betreten.
CELINDE.

Du Inbegriff von aller Würdigkeit, Cardenio, giebt es denn außer dir noch etwas, das der Ehre werth, du machst die Welt zu Schanden, weil du jetzt alle Ehre hast.

CARDENIO.
Sie kennen mich, das neun ich wunderbar in finstrer Nacht.
CELINDE.

Hab ich so viel Nächte dein gewartet [137] und deine Stimme, die im Gelage oder im Streit ertönte, lauschend eingesogen.

CARDENIO.

Die Worte, woher sie kommen wissen sie wohl nie, wohin sie gehen, wer sie auffaßt selten, sie sind ein Selbstschuß, in der Nacht gelegt und der ihn legt, weiß nicht, wann er zündet, und wen er trifft, – was schwatz ich lang auf der Straße, die Thüre ist geöffnet. Nun immer zu, da find ich Ruh. Geht in Celindens Haus.

AHASVERUS
tritt auf.

Gewiß ist hier Cardenio gewesen, die flüchtgen Weiber kannten ihn nur nicht, wo mag er geblieben sein. – Hier liegt der Kampfplatz noch voll Scherben! Heilger Gott bewahre ihn.


Ab.
15. Auftritt
Fünfzehnter Auftritt.
Zimmer der Celinde mit vielen Sophas, Alabasterlampen und Blumen geschmückt.

CELINDE.

Er kommt, er kommt, wie soll ich mich halten, daß ich ihm nicht an den Hals fliege, was wird er sagen, wenn er mich erkennt, wie klopft mirs Herz!

CARDENIO
eintretend.

Verwundert bleibe ich beim ersten Eintritt stehen, bekannt und unbekannt sind Sie mein Fräulein mir zugleich und in so gleichem Grade, daß ich des Grußes Art nicht recht bestimmen kann, – seh ich die hochgeschminkten Wangen, so [138] möcht ich ganz vertraulich sprechen, dann möcht ich wiederum befehlen und dann gehorchen.

CELINDE.
O möchte alles dreie sich vereinen, so würde mir recht wohl.
CARDENIO.
Das sagt mir fast zu viel.
CELINDE.
Beschämen Sie mich nicht, hab ich mich im Geständniß überrascht – ich kenne Sie schon lange.
CARDENIO.
Fast mein ich eben so.
CELINDE.

Ich will das Räthsel lösen. Gedenken Sie noch wohl des muntern Knaben, der in der Krankheit und Abwesenheit des alten Hans die Röcke klopfte, die Stiefeln reinigte, nun, ich wars, ich hatte mit dem Alten mich besprochen, für meine Mühe gab ich ihm noch Geld.

CARDENIO.
Ich will es Ihnen wieder geben.
CELINDE.
Du hast wohl eine Münze, aber die ist dir ans Herz gewachsen.
CARDENIO.

Vom Herzen schweig, ich mag davon nichts wissen, es ist ein lächerlicher Muskel, und sieht ganz anders aus im Menschen, als auf dem Altar unsrer Alltagsmalerei, das Blut fließt ein und aus, und weiter ist es nichts.

CELINDE.

Du Thor, was sagte mir denn dieses Herz, wenn ich dich Morgens an den Haaren zupfte, dich aus dem tiefen Schlafe zu erwecken, ach da ging doch viel mehr herein, heraus durchs Herz [139] als Blut, es war ein Hauch der mich durchbebte, als würd ich neu geschaffen – fühle jetzt mein Herz, es schlägt, als käme ich aus einem heftgen Tanze und saß doch still in meiner Kammer hier.

CARDENIO.

Es fühlt sich gut an dieses Herz ich muß ihm glauben, es poche stolz in meiner Nähe, aber sprich, was soll denn dieser Zimmerprunk in später Nacht, der schelmisch leichten Kleider fliegend Nichts, der Demant durch das schwarze Haar geflochten.

CELINDE.

Das sind nur falsche Steine, ach was frägst du denn so viel, nicht alle Männer sind so ernsthaft hier, wie du. Weißt du noch wohl, wie du mich sonst gefragt, als ich dein Knabe war, ob ich auch schon zu Mädchen ginge?

CARDENIO.

Jetzt frag ich dich, ob du zu Herren gehst, du merkst, es muß doch was in deinen Blicken liegen, denn jener Knabe war dir aus dem Aug geschnitten.

CELINDE.
Doch taugen meine Augen noch, dich anzublicken, ich wollte, daß ich keinen andern je gesehen.
CARDENIO.

Sag nur aufrichtig, sage, bist du ganz gemein? Ich wills nicht wieder sagen, und ich möchte deinen wahren Namen auch gern wissen.

CELINDE.

Gemein! Beim Himmel nicht, ich zeichnete mich früh vor allen aus, hast du von mir [140] noch nie gehört, ich heiß Celinde, die Tochter der Kriegsräthin Tyche.

CARDENIO.

Was Teufel, so gehörst du ja zum ersten Kreise in der Stadt, du hast zwar schlimme Nachred, doch die hat wohl jede hier, so wirst du durch Verläumdung allen gleich. Ich werde doch schon traulicher mit dir, ich meinte dich vorher der Venus Priesterin, die ganze Menschenrassen ihrem falschen Dienste opfert, ja das ist eure Schuld ihr Mädchen unsrer Zeit, geht ihr doch angezogen wie der Sünde Lockungsbilder.

CELINDE.

Ach deine strenge Thorheit ist so lieb, bewahr dich ja vor allen andern Mädchen, sie sind meist schlimm, ich bin dir gut, vertraue mir.

CARDENIO.
Vertraue mir zuerst, wer hier von dir gegangen, oder wer von dir erwartet wurde?
CELINDE.

Ich muß es dir schon sagen, die Uhren schlagen Zwölf, in einer Stunde ist er hier, da muß es alles ganz entschieden sein, hier zwischen uns dann kommt mein ganz verhaßter Liebhaber.

CARDENIO.
Verlangst du Geld, dich von ihm los zu machen, verlangst du meinen Degen, dich zu schützen?
CELINDE.

Nein beides nicht, nur deine Liebe kann mir helfen. Jetzt schwöre mir, daß du verschweigen willst, was ich dir hier vertraue.

[141]
CARDENIO.
Viel eher würde ichs vergessen, als darüber schwatzen.
CELINDE
weint.

Ich bin unsäglich unglücklich der Predger, Lyrer, der mich im Glauben unterweisen sollte, hat mich berückt mit Liebesthorheit, und jetzt haß ich ihn aus voller Seele, ich weiß nicht mehr, wie alles sich verlaufen, ich liebte auch Viren, doch seit ich dich gesehn nicht mehr, ich zittre vor dem Prediger und weiß es nicht warum, ich diene seiner Lust ganz ohne Lust, zu dir ist alle meine Liebe hingewendet.

CARDENIO.

Zu mir, du armes Kind, bei mir da findet sie ein ödes Haus, da hat der Feind getobt, in blinder Wuth die Federn in den Wind geschüttet, auf denen wir so weichlich ruhen könnten.

CELINDE.

Mein armer Freund, ich will dein Haus dir wieder füllen, vertrau mir nur, hast du der Liebe Schmerz getragen, so wirst du ihre Freuden dankbar anerkennen.

CARDENIO.

Ich sah, der Mensch kann auf verschiedne Arten leben, vielleicht kann er auch ganz verschieden lieben.

CELINDE.

Du bist ein Philosoph, mein Predger ist es auch, dir läßt es aber besser. Du mußt doch alles wissen, sag, was denk ich jetzt?

CARDENIO.

Daß ich es nicht errathen werde – nur wird so lächerlich in meiner Haut, ich möchte [142] eine Vorlesung dir halten, vom Menschenleben, wie es anfängt und vergeht, vom Organismus aller Welt.

CELINDE.

Sprich nichts vom Organisten, der ist des Predgers Liebesbote. Was wollt ich dir schon sagen? Ja, da hast du einen Kuß.

CARDENIO.

Es siehts doch Niemand, liebes Kind, verhäng das Bild, es sieht so wunderlich, so zärtlich und so schmerzlich auf mich nieder.

CELINDE.
O laß es nur, die hat geküßt wie wir und noch viel mehr, es ist die Ahnenfrau aus ferner Zeit.
CARDENIO.

Den Spiegel aber mag ich gar nicht leiden, ich sehe drin so ganz verzweifelt aus, als spielt ich um des Herrn Jesu Kleider Würfel. Verhäng ihn liebes Kind.

CELINDE.

Du bist ein wunderlicher Mensch, ich muß dir alles zu Gefallen thun, du thust mir gar nichts zu Gefallen, kaum weiß ich noch, ob du mich magst, ob du mich annimmst, wenn ich selbst mich dir so einzig schenke.

CARDENIO.
Du bist ein liebes Kind. Er küßt sie.
16. Auftritt
Sechzehnter Auftritt.
DER PREDIGER
tritt mit Kuchen und Früchten herein.

Celinde sieh, mein lieblich Weibchen, ich mußte dir recht schnell noch etwas von der Hochzeit bringen, so habe ich die Zeit um eine Stunde übereilt, ich [143] dachte stets bei Tische ... Er sieht Celinden in Cardenios Armen. Celinde, nichtswürdige Verrätherei, wer ist der Schurke, bei dem ich dich so zärtlich überrasche, Er faßt sich. ich komme hier als alter Freund des Hauses, die Mutter machte mir zur heilgen Pflicht dies gute Mädchen sittlich rein und gut ihr zu bewahren, des Hauses hier zu wachen, wenn sie abwesend auf dem Landgut ist, Sie haben sich vielleicht geirrt im Haus mein Herr, Sie haben sicher großen Schreck dem armen Kind gemacht, ich muß Sie bitten, dieses Haus gleich zu verlassen.

CELINDE.
Verlaß mich nicht, weh mir, wir sind verloren. Sie sinkt in Ohnmacht.
CARDENIO.

Halts Maul du dummer Pfaffe, ich laß mich nicht von deinen falschen Pfiffen blenden, kennst du Cardenio nicht besser, ich trage keinen Nasenring, daß mich ein solcher schwarzer Affe könnte durch die Gassen ziehen, ich habe meine Tatzen annoch frei und wär dies schöne Kind in meinen Armen nicht ohnmächtig, du möchtest wohl den Weg hinaus zum Fenster finden.

PREDIGER.

Entschuldgen muß ich Ihre pöbelhafte Rede mit dem Trunke, der ihnen aus den Augen und den Backen strahlet, ich will Sie gern nach Hause führen, verlassen Sie nur dieses Haus.

CARDENIO.

Du willst mich führen? Ha, da war ich auch verführt, wie dieses arme Kind; was [144] du ihr gabst an christlicher Moral, das hast du ihr mit allem, was Natur ihr gab, ohn heilge Scheu schon wieder weggenommen; du bist ein Schwein, das gierig frißt den eigenen Koth und seine Jungen, was du ihr vorgelogen von dem Glauben, hast du gleich wieder aufgeküßt, du bist ein Bock, der sich die eigene Nase ....

PREDIGER.

He Bursch, so ist es nicht gewettet, du meinst weil ich mit Amt und Brod und Ehre in deiner Falle bin, du könntest ehrlos mich beschimpfen hier vor meinem vielgeliebten Mädchen; das ist unritterlich, erst zeige, ob du Muth hast deine freche Rede mit guter Klinge zu bewähren. Erst diese Ohrfeig meinem süßen Liebchen, daß sie zum Zusehn doch erwache. Er schlägt sie.

CARDENIO.

Halt ein, ich hätte dein geschont, doch für den Schlag mußt du heut bluten, bereite dich zum Sterben, ich denke deiner Seele Luft zu machen, daß sie der geilen Brunst des Leibes kann entfliehn.

PREDIGER.

Mit Worten laß ich mich nicht schrecken, ich war ein Senior der Schwarzen, du bist der erste Praler nicht, den ich hab auf den Sand gesetzt, hier werfe ich zwei Degen an die Erde, ergreif den einen, wehr dich Hund, sonst steche ich dich nieder.

CARDENIO.

Die Klingen sind zum Stechen besser als zum Hauen, der Hieb ist sonst mein Zauberkreis, [145] doch macht der Stich hier weniger Spektakel, so wollen wir denn stechen; doch tritt dabei nicht allzuheftig auf, Celinde möchte sonst erwachen und uns stören.

PREDIGER.

Nun meinetwegen, du Hund willst mich durch kaltes Blut ergrimmen; ich will bald fühlen, ob dein Blut so kalt.


Sie fechten.
CELINDE.

Weh, welche Stille erwecket mich aus süßer Schlummertiefe. Jesus! Sie fechten, ich leid es nicht, ich kanns nicht sehen. Sie stürzt sich in Verzweifelung auf den Arm des Predigers, der dadurch in seiner Parade gestört Cardenios Stich erhält.

PREDIGER.
Celinde! Du bringst mich um: Cardenio du hast dich ritterlich gehalten.
CELINDE.
O Gott wie ist mir, beim Heilgen Geist, ich weiß noch gar nicht um die Missethat.
CARDENIO.

Verfluchtes Eisen, ich brauchte nicht des Zufalls, der so mit Bosheit mir Ruhm und Ehre nimmt, und Sieg verleiht.

PREDIGER.

Glaub mir, daß ich aus ganzer Seele dich von böslichem Verdachte losgesprochen, ich geb am Rand des Grabes zur Versöhnung dir die Hand, der Haß ist mit dem Blute mir entströmt. Hört, meine Zeit ist kurz.

CELINDE.
Um meine ewige Seligkeit, Du mußt noch leben.
[146]
PREDIGER.

Ich bin ein Schüler Epikurs, ich weiß zu sterben, ich habe keine Scheu vor dem, was jenseits kommt, denn da ist nichts, nur hier auf dieser Welt schallt mir ein Ruf noch nach, ich habe ihn mit schwerer Müh gewonnen und meine Schriften gelten überall. Fand man mich hier – – die Lästrung würde allgemein dem schön geschriebnen Wort die Wahrheit nehmen – das läßt im Tod mir keine Ruh. Fänd man mich hier erstochen, es brächt euch beide auf das Rad; – Cardenio, du bist ein kühner Mann, du bist ein Mann von Ehre, – ich beschwöre dich bei dieser Ehre, trag mich fort von hier; – ich schwöre dir bei meiner Ehre, für die ich dreizehnmal gefochten, ich werde dich, ich kann dich für die Wohlthat nicht verrathen, trag mich nach meinem Haus: – ich will erzählen, daß mir von Trunkenen die Wunde sei geschlagen, und daß du mich auf deine Schultern mitleidsvoll genommen.

CELINDE.

Cardenio, nein traue nicht dem bösen Mann, hier ist Geschmeide, hier ist Gold, wir wollen fliehen mit des Windes Eile, der über Gräber zieht.

PREDIGER.

Das Wort hat tiefer mich gekränkt, als meine Wunde, ein Mann kann schrecklich sein, doch nur ein Weib ist fühllos grausam. Cardenio, nicht wahr, du denkst nicht so.

CARDENIO.

Ich freue mich, daß ich dir noch zu etwas dienen kann, fast bin ich meines Lebens müde und willst du mich verrathen, ists mir einerlei.

[147]
CELINDE.

Doch mir ist es nicht einerlei, mit dir verlier ich alles, ich halte dich, ich lasse dich nicht fort.

PREDIGER.
Die Zeit vergeht, das Leben flieht.
CARDENIO.
Ich gebe dir mein Wort, ich trage dich nach Hause.
CELINDE.
Nein, nein.
CARDENIO.
Was ich versprochen, halt ich; schweig Celinde, wir sind auf ewig sonst geschieden.
CELINDE.

Ich habe Mitleid, so wie du mit ihm, doch meine Liebe die dir einzig angehört Cardenio, macht mich der Löwin gleich, die ihre Jungen sieht durch böse Lust weglocken.

PREDIGER.

Wie schmerzet dieses Mitleid meiner Liebe, gewähr mir einen Abschiedskuß dafür Celinde, sieh es ist die letzte Bitte.

CELINDE.

Du hast den ersten Kuß mißbraucht, verfahre besser mit dem letzten der dich beschwört Cardenio nicht zu verrathen. küßt ihn.

PREDIGER.
Ich hab ihn nicht bekommen diesen Kuß, der Schmerz hat ihn entführt.
CARDENIO.

Es drängt die Zeit. Ist alles mir geglückt und alles treu gehalten so ruf ich dir Celinde einen guten Morgen zu von draußen, dann komme ich zu dir um dich zu trösten, mit jedem Troste den die Liebe wünscht. Er trägt ihn in seinem Predigermantel fort. Celinde leuchtet ihm vor.

[148]
17. Auftritt
Siebenzehnter Auftritt.
CELINDE
kommt mit dem Lichte zurück.

Ich höre ihn noch in der Gasse schleichen nun kommen andere die werden ihn verrathen sie gehen in die andre Gasse, wenn nun der Pfaffe doch nicht ehrlich wäre und seine Rache ließ gewähren, ja sicher sicher er verräth ihn, läßt ihn fesseln, ich seh ihn in dem tiefen Kerker, ich seh ihn auf dem hohen Rabensteine, da sterbe ich mit ihm dem Schönen, da will ich seinen schönen Leib noch sehen, da will ich küssen seine Feueraugen, dann soll er sie nicht mehr eröffnen, als im Himmelreich ach Gott, da ist für mich kein Platz wie bin ich doch auf einmal von dem Wirbel aller Schuld und Schande rings umdrängt, und bin nichts schlechter als ich gestern war wo ich noch kühn den Menschen in die Augen sehen konnte. Ja, wenn das Blut nicht wär am Boden! Die Trunknen sollen bei dem Anblick von dem Blute nüchtern werden ach könnt ich nur ganz trunken davon werden daß ich mein elend Leben endete, doch vor dem Degen schaudert mir, ein Nadelstich ist mir verhaßt. Er wollte mir ein Zeichen geben, einen guten Morgen rufen, wenn alles gut beendigt wäre und wenn er aus des Pred'gers Haus entlassen. Es wird schon hell, er könnte längst schon bei mir sein, gewiß ist er gefangen, sie schleppen ihn jetzt

[149]

sicher zum Gefängniß, er überlebt es nicht, ich seh ihn schon, er scheint mir so ergeben doch wie sie auf der Brücke sind da stürzt er sich hinab. Dir nach dir nach du süßer Freund, unten im Wasser ganz allein will ich an mein Herz dich drücken, wie die Nixe, und in meinem Pallast drunten weck ich deinen Lebensfunken. Sie hat sich dem Fenster genähert und will sich hinausstürzen.

CARDENIO
draußen.
Guten Morgen.
CELINDE.

Guten Morgen guten Morgen, er lebt er ist errettet, bald ruht er froh an meiner Seite, ach guten Morgen will ich rufen wenn ich sterbe!


Ende des zweiten Aufzuges.

3. Akt

1. Auftritt
Erster Auftritt.
Ufer der Saale. Der Fluß ist mit bunt bewimpelten Schiffchen bedeckt, auf der einen Seite des Vordergrundes sieht man das Logengerüst für die Gäste des Lysander der das Fischerstechen gibt. Olympie sitzt in dessen Mitte auf einem hohen roten Sessel, an ihrer Seite steht ein Tisch mit Preisen, goldenen Ketten, silbernen Pokalen und silbernen Kränzen. Lysander und Viren sitzen ihr zur Seite. Durch die Menge des Volkes das den Raum unter dem Gerüste einnimmt, drängt sich der feierliche Zug der Halloren mit alten Waffen Flambergen Streitkolben und dergleichen, so wie sie sich dem Schiffe nähern legen sie ihre Röcke ab und erscheinen in zierlich weißen Schifferkleidern mit bunten Bändern geschmückt, sie ergreifen die Stechstangen und besteigen tanzend die Schiffe, wo das Stechen in der gewohnten Art beginnt, nach welchem sie sich in entgegengesetzte Parteien scheiden und einander mit den Stechstangen von den Kähnen ins Wasser zu stoßen suchen, – wer übrig bleibt hat gesiegt. Unter der Menge des Volks stehen von einander entfernt Pamphilio, Ahasverus,
Doris, Cardenio in einem Mantel tief eingehüllt, führt Celinden die mit Stolz ihm zur Seite einherschreitet. Mehrere Studenten rathen wer es sei der sie führe, während solchen Gesprächen singen die Halloren indem sie zu ihrem Marsche auf alles was rings geschieht Reime machen.

HALLOREN.
Lustig ihr kreuzbraven Brüder,
Heut ist ein Freudentag,
Wollen heut springen und stechen,
Wer ists, ders hindern mag,
Wer uns hier wohl scheel ansieht,
Kriegt ein Schmoch auf die Hutkrämpe.
[151] Wer nicht aus dem Wege geht,
Ist ein rechter närrscher Hämpe.

Weiße Hemden, blaue Bänder
Und ein grüner Kranz dabei,
Das stutzt wahrlich fein und niedlich
Und das Stechen ist heut frei.
Lange leb der Graf Lysander,
Das verliebte Rabenäschen,
Sitzt mit seinem Schatz beisammen,
Und sie machen sich ein Späschen.

Sieht nicht unser Platzknecht prächtig,
Mit dem schwarzen Mantel aus,
Recht wie Nürnberger Docken,
Was sitzt da für Volk im Haus,
Kribbelt, wibbelt allzumal,
Klettert, reitet auf den Dächern,
Vetter David, kuck einmal,
Die läßt sich von einem fächern.

Hauptmann mit dem großen Degen,
Mache deine Dinge recht,
Unser alter Trommelschläger
Lärmt mein Seele auch nicht schlecht,
Toffel wird nen lustigen Schwang
Mit der neuen Fahne machen,
Daß wir mit der gnädgen Frau
Werden übern Fähnrich lachen.
EINER AUS DEM VOLKE.
Ist das nicht Cardenio?
EIN ANDERER.
Ich dachte es eben auch, es fehlt ihm nur ein bischen so ist ers, er ist es aber nicht.
[152]
CARDENIO
vor sich.

Kaum wag ich meine Augen zu erheben, sie möchten ihr begegnen die oben thront, wie schäm ich mich vor ihr so jämmerlich daß sie mich möchte sehen an Celindens Hand: der bravste Hundsvott ist der Mensch. He da!

PAMPHILIO.
Sieh da, dich hätt ich kaum erkannt.
CELINDE.
Sie thun als kennten Sie uns nicht.
PAMPHILIO.
Wer will das schlimmste gleich vermuthen.
CELINDE.
Ich kenne euch ihr Herrn, ihr geht von einem wie die Katz vom Taubenschlag und sehet euch nicht um.
CARDENIO.

Laß das Celinde, das war schon wieder eine von der theuern Mutter Redensarten. Pamphilio führ doch Celinden an den besten Ort zum Zusehn, ich habe einen Spaß mir vorgenommen.

CELINDE
leise zu ihm.

Ich wollt, du ließest ihn, ich werde schrein vor Angst wenn ich dich fallen sehe, hör nur du Wildfang, du schonst dich gar zu wenigSie giebt ihm einen Kuß. ich sags dir immer aber du läßt dir nichts sagen, nun sag was ziehst du jetzt den Mund zurück da ich dir einen Kuß will geben und heute Morgen war dirs nie genug; es siehts ja niemand.

CARDENIO.
Es ist so heller Himmel, ich bitte dich laß mich jetzt nur allein, geh mit Pamphilio.

Celinde und Pamphilio treten auf ein Gerüst.
[153]
CARDENIO.

Macht das die öde Nacht, der liederliche Morgen; – Celinde schien nur eben ganz verwandelt, der heftge Aufruhr der mich bei ihrem Anblick gestern wild durchdrang, ist wie ein Meeresschaum im Sonnenlicht zerplatzt, und keine Göttin steigt daraus hervor. O lichte Himmelswelt von der ich abgefallen, in deiner Höhe ist nur Dauer, ich steige wie ein schwarzer schwerer Rauch der Lerche nach die in der Höhe schwebt und jeder Windstoß senket mich hinab, so blicke ich zu dir Olympie und meine doch, es sei mir ganz verboten. Da sitzet sie am höchsten Platze und wo sie sitzt da ist der Höchste; sie ist heut schöner noch als je, ihr Auge glänzt und ihre Wangen blühen.

Seh ich zu dir hinauf,

Siehst du zu mir hinuter,

So geht das Herz mir auf

Und alle Sinne unter,

Ich bin ein schwarzer See

Am Fuß von grünen Hügeln,

Zugleich in Lust und Weh

Magst du dich in mir spiegeln.


Wie alle ihre Schönheit so in stiller frommer Liebe reichlich aufgegangen ist, ach weil sie immer ist dieselbe, darum ist sie mit jedem Augenblicke schöner. Noch einmal will ich vor ihr erscheinen im Glanze meiner Kraft, den Preis aus ihren Händen mir gewinnen oder untergehn vor ihr in diesen Fluthen. [154] Er wirft den Mantel ab den ein Knabe bewahrt und erscheint ganz wie ein Hallore gekleidet. Ich meine, daß ich jetzt von den Halloren schwer zu unterscheiden bin, die Locken hab ich schon dem Feuer heut geopfert, sie waren mir zu heiß in dieser Zeit. Erkennen sie mich auch, wohlan so wird das Fechten um so schärfer, der Sieg so schöner und der Tod so freier. Ich bin der Alte noch und lächelnd stell ich mich der Welt entgegen. Er geht mit dem Zuge der Halloren auf die Brücke, ergreift eine Stechstange und stellt sich auf ein Schiff.

HALLOREN.
Lustig ihr Thalbrüder lustig,
Marsch auf die Brück hinan,
Müßt all und über runter
Brave Kapriölchen schlahn;
Seht ihr wie die großen Frauen
Sich auch freuen und brav lachen,
Lugenhiebe kriegt ihr heut,
Wollt ihr euch nicht lustig machen.

David kriegte auch jetzunder
Einen achtzehnlöthgen Stoß,
Und der Köter macht sich wunder
Mit der Stärke gar zu groß,
Zacharies hats ihm wohl gesagt
Daß er nicht sollt trocken bleiben
Doch der Blitzer wird den Streich
Sich schon hinters Ohrchen schreiben.
DORIS.

Wie der Lysander mit dem Fräulein jetzt so schöne thut, ein Händekuß ist ihm jetzt gar nichts gar nichts mehr, sonst hätte er sich wohl vier [155] Wochen lang darnach die Beine abgelaufen, sie scheint nun auch mit allem ganz zufrieden! Wer hätte das gedacht, als sie dem Herrn Cardenio das Band geschenkt an seine Zitter? Wie der Lysander ihre Hand so festhält, mir hat er sie voll Geld gedrückt – ich dachte doch er würde mich einmal besuchen, mir von der Hochzeit etwas schicken, er hat mich heut nicht einmal mehr gegrüßt als ich ihm früh begegnete. Sie weint. Und dann will er mir noch befehlen daß ich schweige wie ich ihn habe in das Haus gelassen und wie sich alles hat begeben. – Nun sollen es auch alle Leute wissen und müßte ich darüber auch ins Zuchthaus kommen, säh ich nur den Cardenio, der wird sich ärgern. Was soll ich seine und des Fräuleins Ehre schonen wenn sie mir alle Ehre nehmen, mich Knall und Fall wie eine Diebin aus dem Hause stoßen, es war ein gar kommoder Dienst, das Fräulein machte sich fast alles selber. – Ei Gott, wie er sie küßt! – Was schreien denn die Leute, das Volk wird doch von Tag zu Tage unvernünftiger, was wird es großes sein, mir macht das alles keinen Spaß. Die fallen recht ins Wasser, – jetzt stehen zweie ganz allein, die drängen sich wie Brummelochsen, wie Frösche schreien die andern aus dem Wasser und hetzen sie zum Kampf. – Plumps! – Da fiel der Dicke, der andre stützt sich ganz er schöpft auf seine Stange.[156] – Ein schöner Herr, der gleichet dem Cardenio – gewiß ists kein Hallor.

DIE MENGE.
Glück zu. Hoch. Vivat u.s.w.
EIN HALLOR.
Nun singt das Siegeslied.
ZWEITER.

Hol ihn der Teufel, es ist doch keiner von den unsern, es ist nur ein Böhnhase, da schlag der Teufel drein.

ERSTER.

Schweig still, ich schlag dir sonst aufs Maul, stellt euch nur vor, daß keiner ihn erkennt, sonst haben wir die Schande.


Cardenio ist unterdessen aufs Gerüst gestiegen und empfängt eine goldene Kette aus den Händen der Olympie.
OLYMPIE.
Dem Sieger über alle, dem Überwinder aller.
CARDENIO
ohne sie anzusehen.
Tod und Liebe!

Er empfängt die Kette und steigt herunter.
OLYMPIE
erschreckend zu Lysandern.
Es war Cardenio.
LYSANDER.
Er hat sich brav gehalten, das ist unglaublich viel, die langgeübten Stecher zu besiegen.
OLYMPIE.
Ich denk, wir gehen fort, des Wassers Kühlung zieht ein leises Frösteln durch die Glieder.
LYSANDER.
Die nächsten Preise theile doch noch aus.
OLYMPIE.
Wie du befiehlst. Sie giebt die Pokale und Kränze denen, die ihr vorgestellt worden.
LYSANDER.
Nun seid gedankt ihr starken Männer[157] für das Fest. Ab mit Olympie. Marschmusik mit Zwischenrufen.
VIELE.
Heil, Heil der Neuvermählten, den Gebern dieses Festes Heil, viel Heil der schönen Frau.

Mit großem Jubel zieht ihnen die Menge nach.
DORIS.
Alle schrein zu ihnen freudig und in Jammer ruf ich Wehe!
CARDENIO.

Die Kette drückt mich nieder – als sie mir die umhing, da war sie mir so nah, was hielt mich ab, den glühend heißen Kuß zu dem mein Leben drängt, auf ihre Lippen schnell zu drücken? Weh dieser harten Scheu die einen Liebenden vom Rasenden noch unterscheidet, daß er die schmale Grenze nicht zu überspringen wagt.

DORIS
zu ihm.
Wir beide sind die einzig Traurigen hier bei diesem prächtgen Stechen.
CARDENIO.
Was willst du, willst du Geld?
DORIS.
Ach nein!
CARDENIO.

Das ist ein wunderseltner Fall – nun sag, wer bist du? Du scheinest mir bekannt, als hätt ich dich in einem wunderbaren Augenblicke meines Lebens schon gesehn, in einer schönen Gegend in der Frühlingszeit.

DORIS.
Je Herr, ihr kennt mich wohl nicht mehr, ich schüttete ja euren Korb voll Kirschen in den meinen.
CARDENIO.
Wahrhaftig ja, das ist nun lange her und damals sah ich nur dein Fräulein an.
[158]
DORIS.
Ich bin nicht mehr bei ihr. Es ist uns beiden übel mitgespielt.
CARDENIO.

Du bist wunderlich, was hatten wir wohl je zusammen, als daß wir beide dienten, beide sind entlassen.

DORIS.

Ich mags nicht sagen, doch müst ihrs einmal ja erfahren, – wenn ich nicht war, nie wären sie ein Paar geworden.

CARDENIO.
Hör zwei machen stets ein Paar.
DORIS.
Ihr könnt noch scherzen?
CARDENIO.

So wie die Katze mit der Maus, so wie der Strom mit dem Ertrinkenden, ihn hebend bald und dann herniederstürzend, im Hoffen ihn vernichtend, so spiele ich mit dir mit mir mit meiner Liebe mit aller Welt. Du sprachest von Lysandern und Olympien, daß du sie hast gepaart.

DORIS.

Je hätte ich ihn nicht ins Schlafgemach gebracht, als Ihr für ihn den Frevel solltet büßen, sie hätte ihn wohl nimmermehr genommen.

CARDENIO.
Du willst mit Fabeln meinen Sinn verwirren, ich hätte dir den Muth nicht zugetraut.
DORIS.

Nein, denkt nicht schlecht von mir, ich wills ihm in die Augen sagen, mit einem falschen Schlüssel hab ich ihn hereingelassen.

CARDENIO.
Von dir soll ich nichts Schlechtes denken und doch gestehst du mir das Schlechteste.
[159]
DORIS.
Seht nur, hier ist der Schlüssel noch, ich lüge nicht, ihr könnt mir glauben.
CARDENIO.

Ich wills nicht glauben, welche Schande wärs, daß solch Glück durch Trug gewonnen werde – mich, der ichs ehrlich meinte, fromm und gut, mich hat sie nie geliebt.

DORIS.

Bei Gottes Allwissenheit beschwör ichs euch, ihr irrt, sie hat euch wohl geliebt, beim ersten Blick war sie in euch verliebt, ich hab es wohl bemerkt, sie war zu stolz, nie hätte sie euch sonst das Band verehrt – sie hat mit euch gesprochen als sie nachher allein zu sein vermeinte, ich habe sie behorcht, so zärtlich und so vornehm.

CARDENIO.
Wahrhaftig? – sprich, was sagte sie mir denn da.
DORIS.

Ich kann das nicht so nachsprechen, sie hat so ein'ge Worte, so wies in Büchern steht, so sagte sie, so wie dies Band der Saiten Wohlklang, Leben und Verstummen ans Herz ihr drücke, so möchte ihre Seele fühlen deines Herzens Schlag, mit dir gleichtönend immerdar zu werden.

CARDENIO.

Beim lichten Aug des Himmels, das muß Wahrheit sein, dein Wort hat mir den schwarzen Staar erhellet, wie war ich blind, jetzt werd ich stumm.

DORIS.

Wie kann ein also schöner Herr solch Unglück haben, solch guter Herr, ich habe Sie so lieb, ich thäte Ihnen alles gern zu liebe.

[160]
CARDENIO.

Da du mir das Herz abstößt! Warum mußt du den Brand in meine Seele werfen, die so entzündlich ist zu jeder Leidenschaft – fort – aus meinen Augen fort – du bist mein ägster Feind.

DORIS.

Den Lohn hätt ich von euch mir nicht erwartet, ihr seid nicht recht gescheid, es ist ein böser Tag, das hat es mir bedeutet als ich den Strumpf heut früh verkehrt mir angezogen.

CARDENIO.

Sei nur nicht böse, denn siehe ich brauche dich, komm doch nachher zu mir. Du weiß doch wo ich wohne.

DORIS.
Ich weiß es wohl, ich wollte schon zu Ihnen kommen. Ab.
CARDENIO.

Was durch Verrath gewonnen, soll rasch durch Rache untergehn. Ich dachte alles hier gethan zu haben, nun bleibt mir noch ein Richteramt. – Sie hat mich, sie hat mich geliebt. – Lysander, Lysander, fühlst du in diesem Augenblicke keinen Druck im Herzen, so giebt es keine Ahnung! –


Celinde und Pamphilio kommen vom Gerüste zu ihm.
CELINDE.

Mein Freund, wie habe ich für dich gezittert und triumphirt mit dir, ein jeder Stoß der deinen schönen Leib getroffen, er traf mich dreifach, und jeder Siegsruf, ich hört ihn zehnfach, nichts Schönres in der Welt als seinen Vielgeliebten nach dem Kampf als Sieger zu begrüßen und zu küssen. – Was ist dir wieder? Bist du noch böse? – Wer [161] war das hübsche Mädchen hier, mit der du eifrig hast gesprochen? – Du schweigst. Ich muß es wissen.

CARDENIO.
Gemach mein Fräulein, noch hab ich Ihnen solches Recht auf mich nicht eingeräumt.
CELINDE.
Wie du dich wieder anstellst. Gieb mir nur gleich die Kette her, du möchtest sie verlieren.
CARDENIO.

Beim Himmel, die Kette, die ist mein, wie kannst du wagen dies Geschenk der Göttin, das mir auf Erden einzig ist geworden, mit unreinen Händen zu berühren.

CELINDE.
Sieh meine Hände an, ich halte viel darauf.
CARDENIO.
Ich kann mich irren, wohl, ich wünschte daß du dein Herz so rein gehalten hättest.
CELINDE.
Verdirb mir nicht mein Glück, ich bitte dich, ich war so selig eben.
CARDENIO.
Ich nicht. – Pamphilio, ich hab mit dir zu reden. – Leb wohl Celinde.
PAMPHILIO.

Mein Fräulein, heute steht veränderlich in dem Kalender, ich bitte lassen Sie ihn heute und machen andere Kalender morgen, oder diese Nacht.


Cardenio und Pamphilio ab.
CELINDE
allein.

Wer sprach mit mir, das war nicht mein Cardenio, es sprach ein böser Geist aus ihm, er ist behext von einem Mädchen, Olympie kanns nicht sein, die würdigte er zornig keines Blickes, doch dieses Mädchen das hier bei ihm stand, die hat ihm [162] etwas angethan, denn ohne Eitelkeit, ich kenne mich, ich sah mich oft im Spiegel und diese Magd von braunem Angesicht, gedrückt von harter Arbeit, ohne Zierlichkeit, – es ist unmöglich daß sie mit ihrem Reitze mich verdrängte. Auch war in ihrem Wesen ein geheimnißvolles Treiben – o meine Mutter, wie hab ich doch so oft die hohe Kunst verachtet mit der du Liebe an Liebe bannst, und muß durch solche Kunst verderben. Sie bleibt in Gedanken verloren stehn.

AHASVERUS
tritt zu ihr.

Sprich schönes Kind, wie stehst du hier verloren, dir möchten sich doch viele zur Gesellschaft biethen.

CELINDE.

Ich stehe hier am Fluß und dürste, hört alter Mann, könnt ihr mir keinen Trank bereiten, der einen Brand in meiner Seele löscht?

AHASVERUS.
Das kann ich wohl, wenn dieser Brand das Herz ergriffen.
CELINDE.

Ich seh dirs an, du bist ein großer Zauberer, bereite mir den Liebestrank, der meiner Seele ihre Ruhe wiedergiebt.

AHASVERUS.

Ich will dir mein Geheimniß gern vertrauen, nimm der Entsagung Schmerzensblatt und lösche es ab in Buße fürs Vergangne.

CELINDE.

Entsagung ist ein Wort, entsag der Welt, du mußt auf ihr doch leben, Gewährung, das ist Leben, wer sie uns schafft dem sind wir eigen, dem Guten oder Bösen.

[163]
AHASVERUS.

Du bist auf zweifelhaftem Wege, ich warne dich, wende dich zu jenen finstern Mächten nicht die uns gewähren was wir nicht ertragen können, so lange du noch Trost findest am Licht. Ab.

CELINDE.

Es schmerzt mich dieses Licht, ich kann hinauf nicht schauen, mich fliehen alle und ich bleibe einsam übrig vom Gedränge, es scheuen mich die Leute schon, so unglückbringend scheint mein Angesicht. – Ach nein, da winkt ein alter Freund mir zärtlich zu, ein Blick von mir, er läg zu meinen Füßen, doch dieser Blick gehört Cardenio. Was hilft mir meiner Reize Macht, der Einzige der mich erfreuen kann, er fühlt sie nicht; wenn jedes Aug ein Brennspiegel wär, was hülf es mir? – sein Herz ist Stein, so kalt so hart wie dieser Schmuck, den er mir heute Morgen brachte; wie drückt mich dieses Halsband mit dem ich erst so stolz gegangen, das ich mit Ungeduld empfangen, – o könnt ich mich der Liebe so entreißen. Sie reißt das Halsband auf und wirft es auf den Boden. In Koth sei hingetreten falsche Liebeskette, jetzt ziehst du mich zur schwarzen Unterwelt – als er mich liebte, Hand in Hand dich mir gereicht, da sah ich thörigt in dem flammenden Rubin ein Sternenzeichen, ein Abbild jener die allnächtlich am Himmel strahlen.

2. Auftritt
[164] Zweiter Auftritt.
Ein schwarzes Zimmer, in dessen Hintergrunde eine goldene Sonne von der alle Beleuchtung ausgeht, unter der Sonne ein Altar mit einem Kreuze von Rosen umwunden. Ordensversammlung, alle Brüder in schwarzen Mänteln, ihr Schwert an der Seite. Kümmermann und Stürmer begrüßen sich im Vordergrunde, die andern reden im Hintergrunde mit einander.

KÜMMERMANN.
Was mag heute vorsein, so ungewohnte Zeit und Stunde.
STÜRMER.

Mir kam der Ruf recht ungelegen doch da es der rothe Ruf, so wagte ich nicht auszubleiben, Cardenio hat ihn noch nie gebraucht. Schnur kam nach Lauchstädt, uns zu rufen, ich stand am Markte als er kam, sein Pferd rauchte als wär er durch das heiße Bad geritten, auch starb es als ich es in den Stall gezogen.

KÜMMERMANN.

Beinah so fromm wie jene beiden Brüder die ihre Mutter in den Tempel bei der großen Hitze zogen und sanft entschliefen bei des Tempels Dienst.

STÜRMER.

Vielleicht gehts meinem Pferdchen auch nicht besser, es thut mir leid, es gleitete so flüchtig übern Wiesenplan als wär er noch mit Eis belegt, als könnt es Schlittschuh laufen, es sauste mir der Wind in meinen Haaren als wär ein Tausend Hummeln in der Luft; das mochte wohl mein Pferd zum Durchgehn bringen, an Führung war nicht mehr zu denken, die Bügel hatt ich fortgeworfen und war zum [165] Sturz bereit, auf einmal steht es still, ich sehe zu warum, da liegt ein Kind im Weg und schläft. Ich stieg herunter, weckte auf das Kind, damit ein andres Unglück es nicht treffe, und nun besah ich mich, wie sah ich aus, bestaubt bespritzt vom Pferdeschaum, wie mit Eiweiß überzogen war mein Kollet.

KÜMMERMANN.

Nun gut, das muß dein Kleiderklopfer wissen, was hast du denn die lange Zeit gemacht, ich glaube fast daß du ganz heimlich etwas schreibst, das uns verwundert.

STÜRMER.

Wahrhaftig nicht, kaum weiß ich mehr wie man die Feder hält, mich ließen die Gedanken da nicht zum Studiren kommen. Ich schied nicht gerne von den Schauspielleuten, wir waren eben recht vergnügt am Schwanenweiher, wo unter den Kastanien kühle Luft mit schönen Frauen buhlt, die Sonne schwamm so heiß und träge auf der Fluth, das alte Schloß sah wunderlich in unsre Flüchtigkeit hinein. Ich bin zum Nichtstun ganz geschaffen. O lieber Freund du kennst Lenoren von der Bühne nur, dort lernte ich sie noch viel reizender in dem gesellgen Kreise kennen, wie war sie doch so schmeichelnd hart, so zierlich traulich listig aller ihrer Rollen Widerschein, der Inbegriff von allem was auf der Bühne uns gereizt, und wie viel reicher noch in ihrem Wesen.

KÜMMERMANN.
So scheint sie dir, du bist verliebt.
[166]
STÜRMER.

Die Frauen und die Männer weiß sie gleich entzückend zu beschwatzen, begünstigt muß sich jeder glauben, wenn sie auch keinem was gewährt. Wie wir so auf und nieder gingen unter hoher grüner Wölbung, und jeder sich bemühte ihr ein liebreich Wörtchen anzubringen, sieh da kam der Meister ernst daher.

KÜMMERMANN.
Cardenio, der ist ja hier.
STÜRMER.

Wer spricht von unserm Meister, ich sprech von Deutschlands Meister, der war heut angekommen und schritt mit ernstem Blick den Gang herunter, zu eng erschien der breite Gang, noch einen andern außer ihm zu fassen, fast hätte ich vergessen ihn zu grüßen, obgleich die andern alle als Bekannten ihn bewillkommt; so war ich ganz befangen von dem ernsten Blick, dem festen Gang, dem freundlich schön Vollendeten der Lippen; an diesen Lippen ist der Meister aller Worte, aller Sprache zu erkennen, so zierlich sind sie ausgeschnitten, ein jeder Hauch von ihnen ist ein Flötenton, kein falscher Ton stiegt je von diesen Lippen in die Welt.

KÜMMERMANN.

Hieran erkenne ich mein eignes jugendliches Treiben und Fühlen ich habe auch so übertriebne Zeit gehabt, wo ich mit Werther liebetrunken schwärmte, nun bin ich weiter kommen, er scheint mir nun un-Werther, die Liebe zu der Sünde, zu dem Alterthume, die Verstocktheit gegen christliche Gesinnung, ein ewges Verklären aller Nichtigkeit; so fühlte ich, [167] daß eine Kunst in unsrer Zeit möglich sei, ich ließ mein Studium der Dichter und wendete mich hin zur göttlichen Natur, die ewig allein lebt. So weit bin ich gekommen.

STÜRMER.

So weit bis du gekommen daß du in Jugendzeit veraltet andre tadelst, selbst nichts schaffen kannst, ja deine eigne beßre Jugend schnöd verdammst die dir als ein verriegelter verschloßner Thurm nachdem du bist herabgestiegen, jetzt im Wege steht, sieh, darum nur versiegt dein Witz; weil du die Reibung mit der Zeit in stolzem Hochmuth aufgegeben, so drehst du dein Scheibe ganz umsonst, kein Funken springt wie sonst von ihr.

KÜMMERMANN.
Mich reiben soll ich mit der Zeit, da würd ich schmutzig.
STÜRMER.

Thor der du absprichst über deine Zeit, steckst du denn nicht mit deinem ganzen Wesen so fest darin als ewig unsre Brust die Luft der Atmosphäre einathmen muß – und steckte auch die Pestilenz darin. Verkürze auf die Hälfte dir das Leben, die letzte Hälfte ist so wenig frei von deiner Zeit wie jene erste.

KÜMMERMANN.

Dein Eifer freut mich denn ich fühle doch es ist dein Ernst, du bist dem Protestanten was zu gut, du wirst auch einst in jenem alten Glauben Ruhe finden der schon viel Geister aufnahm, die durch den Glauben an die Zeit sich selbst entrissen.

[168]
STÜRMER.

Das alte Zeug thut mir jetzt weh in meinen Ohren, ich hab so lustig diese Zeit gelebt, was soll mir dies gelbsüchtige Gebrümmel, das ewge Kritisiren, Menschenschinder, wie du gleich einem Löwen mit der scharfen Zunge im Lecken sie blutrünstig abreibst; die Zeit ist nun eben gut so wie sie ist, sei du nur besser, doch willst du andere in andre Religionen wie in Livereien stoßen, so zeig dich selber erst darin, bekenne öffentlich den Glauben der Anachoreten, sonst scheinst du wie ein Seelenverkäufer der seine Leute in die Arbeit sendet sich selber aber redlich nährt von ihrem Schweiße.

KÜMMERMANN.
Du wächst mir übern Kopf, hätt ich das je von dir gedacht.
STÜRMER.

Du meintest schon du hättest alles ausgedacht, ich will dir noch viel mehr vertrauen. Nur aus geheimer Achtung für Cardenio bin ich noch zur Versammlung hier gekommen, sonst widersteht mir diese Quälerei zum Guten, denn siehe, wenn an einem dummen Streiche mehr, ein Mensch zu Grunde gehen kann was ist er dann noch werth?

KÜMMERMANN.

Gedenk, du lästerst, ich darfs ertragen wenn du mich hast gelästert; des Ordens Schimpf den darf ich nicht verschweigen.

STÜRMER.

Sprich laut, ich bin entschlossen, es ist mir deutlich auf einmal was mich so lang gequält; als stieg Minerva mir mit Schild und Helm nach[169] langen Schmerzen aus dem Haupte, so fühl ich mich erleichtert durch die Weisheit. Was soll der fade Bilderkram, die alte Fabel von der wunderbaren Kammer die so viel Schätze noch verschließt, worauf doch kein Philister uns was borgt.

KÜMMERMANN.
Nach meiner Pflicht muß ich den Frevel öffentlich verkünden; bist du vielleicht betrunken?
STÜRMER.
Ich habe viel getrunken nach dem starken Ritt, im Wein ist Wahrheit, sieh da kommt Cardenio.

Cardenio tritt im Purpurmantel mit bedecktem Haupte ein; alle verneigen sich, er klöpft dreimal mit seinem Degengefäß auf einen Tisch, allgemeine Stille.
CARDENIO.
Euch allen Gruß! Der Bruder Marschal untersuche ob wir gesichert gegen Einbruch Ungeweihter sind.
MARSCHAL.
Wir sind gesichert.
KÜMMERMANN.
Es ist ein Ungeweihter unter uns.
CARDENIO.
Wer war so kühn?
KÜMMERMANN.
Es war mein Freund, er scheinet von der Sinnlichkeit verführt.
STÜRMER.

Der Kerl ist von der Übersinnlichkeit vernagelt, ich bin der Frevler, er meinet mich, ich habe ihm vertraulich jetzt erklärt daß mir nach den geheimen Schätzen nicht mehr lüstet, daß ich an dieser [170] Zeiten Schlechtigkeit nicht mehr kann glauben, vielmehr von unserm Treiben hier, wie wir durch Wissenschaft zum Glauben und zur Kunst gelangen möchten, nichts verstehe, wenn wirs auch ehrlich meinen wir sind dumm, es geht kein Lichtstrahl krumm, kann er gerade zu uns dringen.

CARDENIO
umarmt ihn.

Bleib der Gesinnung froh, doch wünsche ich daß sie dir mit dem Weine nicht verrauche der deine Zunge jetzt geschwätzig macht, gieb nie das Leben auf so wird es dich auch nie aufgeben.

VIELE.
Ist dies dein Ernst? – Wie stimmts mit deiner Lehre? Wie stimmts mit unserm Schwur?
CARDENIO
zieht einen schwarzen Vorhang auf, hinter welchem viele Gemälde verborgen und spricht.
Was sagte ich beim Anblick dieses Pelikans?
KÜMMERMANN.
Es sei ein Bild von der Aufopferung für andere.
CARDENIO
haut die Gemälde zusammen.

Habt ihr das eine Bild gefaßt, so wißt ihr auch wie mir zu Muthe ist, ich habe euch mit meinem Blut genährt und dachte nicht daran daß keiner von dem Blute leben kann, ich habe mich ertödtet um für euch zu leben, was hilft es euch, habt ihr mein innres Wesen je verstanden?

VIELE.
Willst du uns alle sinnlos schelten? Uns graut bei diesen Worten.
[171]
CARDENIO.

Es sei nun wie es will, es soll zu hohem Ziel kein Mensch den andern hinbetrügen indem er ihm die Augen verbindet damit er nicht den steilen Pfad erkenne und davor erschrecke. Oft sagt ich euch der Ausgang aus dem Leben bleibe frei, ich hab es selbst geglaubt, im engen Kreise meines Lebens war's bis dahin also mir erschienen, jetzt sag ich euch mit fester Überzeugung ich log, ich habe euch betrogen, es giebt so wunderbare Fesseln die uns dem Leben fest verbinden indem sie es zu lösen scheinen, daß uns der Ausgang ganz verschwindet, es giebt so manchen Bann der Liebe und der Rache der stärker ist als jene Zaubereien die uns geheime Bücher kühn verheißen. – Ich sag euch andres stets als was ich sagen wollte, verzeiht es mir, denn meine Seele ist so tief bewegt, ihr sehet, schon deswegen bin ich ungeschickt die Stelle eines Meisters zu bekleiden die ihr nur einst verliehn.

ALLE.
Du mußt bleiben!
CARDENIO.

Ich muß, das Wort ist nicht in meiner Sprache. Jetzt seid vernünftig, schaut nur einmal zu, was habt ihr denn mit allen meinen Lehren noch gewonnen, ich wollte daß ich könnte beten wie meine alte Kindermuhme von der goldnen Stadt von Neu-Jerusalem. – Was schwatz ich lange, ihr Freunde lebt wohl, ist etwas wahr in allem was ich euch verkündet so wird es sich bewähren, hab ich [172] euch viel belogen, ich weiß es nicht, ich that es ohne Willen; ob ich euch jetzt die Wahrheit sage, ich weiß es auch nicht, nur zu dem einen dränget mich mein ganzer Wille, den Bund hier aufzuheben der mit Geschwätz, mit gleißendem Geheimniß der Jugend ersten Wissensdurst hat überschwemmt, wahrhaftig ich betrog euch ohne es zu wissen noch zu wollen. Mit diesem Schwert das ihr in meine Hand gegeben sei unser Ordensbuch zerhauen, jetzt reißt die Laden auf daß lichter Tag noch heut in diese Höhle scheine die lange seine Klarheit hat gefürchtet.

KÜMMERMANN.

Bei Gott Cardenio, du mußt hier sterben, an diesem Fleck wo du uns oftmals um ein Wort um kleinliches Vergehen, wie arme Sünder ließest knien. Er sticht nach ihm.

STÜRMER
leitet den Stoß ab.
Das war nicht schlecht gezielt und doch nicht gut getroffen, du stirbst noch nicht Cardenio!
CARDENIO.

Sterben? Ein lächerliches Wort, kann ich zu Gott ausrufen, stirb Gott, kann ich zum Teufel seufzen, lebe Teufel. Da liegt mein Ordensschwert, dich Stürmer schicke ich hinaus, du bist des Weines voll.


Stürmer wird hinausgeworfen.
CARDENIO.

Ich reiße meine Weste auf, hier ist der Weg zu meinem Herzen, jetzt zeigt ihr flammenden Spitzen ob euch Gewalt gegeben über mich, [173] doch wie Asbest so geh ich durch euch hin, ihr ziehet wie ein Trugbild der erhitzten Sinne vor meinem Willen euch zurück. Ab.

VIELE.

Fort ist er! – Wir hätten es nicht leiden sollen. Er ist wahnsinnig, morgen wird er schon vernünftig sein.

STÜRMER
schreit zur Thür hinein.
Ich schwöre euch, er war heut so vernünftig wie er noch nie gewesen, ihr sehet ihn nicht wieder.
KÜMMERMANN.
Der Thor will auch noch reden, stecht ihn nieder. Stürmer ab.
VIELE.
Nieder, nieder, er hat im Trunke sich verstiegen, so mag er auch im Trunke fallen.

Alle gehen ihm nach.
3. Auftritt
Dritter Auftritt.
Cardenios Zimmer. Cardenio ist mit dem Packen seines Koffers beschäftigt, Pamphilio hilft ihm.

CARDENIO.

Was legst du mir all dies verfluchte Zeug in meinen Koffer, du machst doch alles heut verkehrt – fort mit den Musikalien die mich stets an jenen Unglückstag erinnern, ich singe nun sobald kein Lied. Ja hättest du nicht stets so viel gesungen, du hättest denken können was mir nütze sei, du wolltest dich nur immer selber hören.

PAMPHILIO.

Laß das Geschehne, ich habe dich nach meiner Klugheit Maaß ermahnt, hab ich die [174] Furcht als Unterfutter noch dazu gemessen, die ist dir nöthig, sie fehlt dir ganz.

CARDENIO.

Ja hättest du mich nur nicht stets ermahnt doch still zu sein am Hochzeitabend und nichts gewaltsam kühn zu stören, ich hätte sie mit meinem Arme ihm entrissen eh er den heiligen Körper noch entweiht – ich möchte rasend werden wenn ichs recht bedenke – sie liebte mich, hör, Doris hats mir zugeschworen daß mich Olympie geliebt – o! hätt ich keinen thöricht furchtsamen Freund gehabt, da wär ich meinem Stern gefolgt.

PAMPHILIO.

Cardenio! Das wird zu arg, mein treuliches Bemühen mir zum Vorwurf jetzt zu machen, du untergräbst die Erde auf der du stehst, wenn du die Welt also verkennen und verläugnen willst.

CARDENIO
packt ihn an der Brust.

So hast du mich noch niemals angesehen, so von der Seite, in dir verzagend, deiner Schuld bewußt, gewiß du hast mich auch verrathen, warst mit Lysander in geheimem Bunde, wie wär er sonst so unbemerkt an jenem Abend in das Haus geschlichen wo du dein thöricht Lied dort abgesungen. – Jetzt wirst du blaß, jetzt roth, ich habe dich du Schlange, die ich an meinem Herzen einst erwärmt mit meinem Arm geschützt, du hast mein Herzblut ausgegossen, ganz unbarmherzig bin ich nun! –

[175]
PAMPHILIO.
Ha, du erdrückst mich Rasender zum Spaß ist das zu hart.
CARDENIO.
Bekenne erst.
PAMPHILIO.

So sag ich dir, der ist schon toll zu nennen, der seine Eingeweide aus dem Leibe reißt um Saiten draus zu spinnen daß er sein Lied dazu kann singen, doch wie viel toller bist du noch daß du um fremden Schmerz den eignen Freund verletzest.

CARDENIO
läßt ihn los.

Du wärst mein Freund was sollte dich denn mir verbinden, wie ganz unähnlich sind wir doch einander, wie solltest du allein mir treu geblieben sein da alles mich verrathen.

PAMPHILIO.

So glaub nur einen Augenblick daran und fühle so, was Freundschaft heißt, ich bitte dich glaub doch an Gott, es kostet dir ja nichts und dann hast du das ewge Leben ganz umsonst.

CARDENIO.

Sonst, eh mich Gott um meine Lieb betrogen da hab ich auch an Freundschaft viel geglaubt, nein, so gemein hätt ich den Himmel nicht geglaubt, das alles was in mir noch edel, recht zum Verderben gegen mich zu kehren; wär ich ein schlechter Kerl gewesen, hätt ich mich eingeschlichen ins Gemach der Jungfrau, ich könnt jetzt glücklich leben wie Lysander. Fort, alter Freund, du hast ein ehrliches Gesicht, es hat der Himmel dich damit gezeichnet und bestraft um dich dem Unglück preis zu geben, du bist [176] ein Unglücksvogel, verlasse mich, ich brauch das Glück und auch die Sünde.

PAMPHILIO.

Gedenke deiner armen Seele bei solchem schnöden Lästern, gedenke, wenn du mich verstoßen so bist du ganz allein, die Raben die das Haus umschreien, sie warten schon auf deinen Leib, denn wie du jetzt so unvorsichtig bist, wird bald des Spielers und des Juden Tod aus deinem eigenen Munde ruchbar werden; es lassen die Gesetze sich mit höherer Bestimmung nicht abweisen; wie ich die guten Tage froh mit dir durchlebt, so will ich sorgsam dich in bösen auch begleiten.

CARDENIO.

Fort züngelnde Schlange, fort Mephistopheles, trag ich nicht meine Sünde, kannst du von meinem Haupt sie wälzen, was rufst du sie mir in die Seele schmerzlich; ist das die Freundschaft deren du dich rühmst, im magischen Hohlspiegel der Furcht mein eignes Schreckenbild dies ausgebrannte Haupt, das rings die Furien umgaukeln, mir fabelhaft vergrößert vorzustellen? Nur deinetwegen ist der Wagner, der Hauptmann und der Jude gewaltsam hingestorben, dein Trost hat mich leichtsinnig stets gemacht in deiner Worte Spiel hab ich das Treiben einer Welt vergessen; wärst du an meiner Seite nicht gewesen ich hätte längst schon Hand an mich gelegt, wie es mir Pflicht gewesen; mit Flitterstaat willst du mir diesen Leichenzug der Welt bemalen, denk jetzt, wie [177] purpurroth dein Blut dies Zimmer wird verzieren. Fort, oder – Er zieht den Degen, Pamphilio flieht.

CARDENIO.

Er ist von mir erlöst – weh, weh! Entströmt ihr Thränen jetzt, wie überflüssige Gedanken die mich zerstreuend stören, fließet all dem langgewöhnten Freunde nach, was nun beginnt, bedarf der Thränen nicht. – So ist der letzte Kampf gekämpft – der innre Unmuth hat ihn mir erleichtert; ganz einsam gehe ich der Zeit entgegen, doch die Rache mit heller Fackel zeigt mir und meinem Degen viel tausend Wege zu Lysanders Herz! – ich hoff er wird sich etwas wehren, es wär mir lieb, sterben muß er – er hätte einen schnödern Tod verdient, fühlen hätte er sollen was er mir geraubt, indem er in dem Besitze mich sah. List und Gewalt, ihr dienet dem Verzweifelnden; Olympie, nur eine Stunde mit der Sonne unsrer Liebe dich zu bleichen von dem fremden Frevel, dich zu glühen mit der eignen Lust! – Es wird die Zeit mir auch noch kommen! – Ich will genießen, das fördert überall der Himmel, das lohnet er mit Wohlsein und mit Freude. Der Mensch verkennt so oft das ganz Natürliche was jedem in das Herz geschrieben ist. Als ich noch schmachtete im Mondenscheine ganz heimlich wo mich keiner belauschte, als ich noch mit den Blumen lebte, mit ihrem Duft, der sich in Himmels-Höhen für die Engel sammelte, die blaue Höh von tausend lächelnden Kinderköpfen Morgens [178] roth durchglänzet sah, die auf bunten Flügeln schwebten, mir winkten und ihr geschlechtlos Leben priesen, als ich entsagte noch und duldete, so fromm und keusch, da wäre ich als rechter Narr in meinem Innern ausgedürrt, in meinem Äußern bald verschwunden, bei Gott ich seh schon frischer ans da meine Lust zu ihrem Ziele strebt, ich weiß doch was ich will auf Erden; was unserer Natur sich nicht ergiebt, in uns gerissen wird, das dienet nicht der Erde, nicht dem Himmel. Das Allthier Gott ernähret sich nur gut, wenn wir, die seine Eingeweidewürmer sind, das Unsere auch lustig zehren, und dann ganz ruhig schlafen, ihn nicht erwecken mit unsern Strebungen nach Licht, das uns nur blendet, mit unsrem Drängen nach Vollendung, die uns doch nimmer werden kann. Es ist ein ekelhaftes Wesen diese Welt, dem Herrlichsten liegt ach das Schmutzigste so nah, besonders in Gedanken. Ich bin auf einmal müde dieser Welt, ich will mich ausruhn, eh ich was beginne.


Er setzt sich auf den Koffer.
4. Auftritt
Vierter Auftritt.
Ahasverus tritt ein.

AHASVERUS.
So reisefertig junger Herr?
CARDENIO.
Wer seid ihr alter Jude?
AHASVERUS.
Ihr wißt ja schon daß ich ein Jude bin.
[179]
CARDENIO.
Ich habe nichts zu schachern.
AHASVERUS.
Ich will nicht schachern, ich möcht euch helfen, ihr habt jetzt keinen Diener wie ich sehe.
CARDENIO.
Doch nicht umsonst?
AHASVERUS.
Ich brauch kein Geld; wollt ihr mir einen schönen Dank nur geben, so bin ich lang zufrieden.
CARDENIO.
Sagt mir, warum ihr Juden nicht mehr sprecht wie Juden, ich trau euch jetzt viel weniger als sonst.
AHASVERUS.

Doch will ich Ihnen im Vertrauen sagen, daß unsre Zeit gar bald verlaufen ist, die Zeit, wo der Messias kann erscheinen; nur wenig Jahre noch, dann müssen wir gesammt an euren Heiland glauben.

CARDENIO.

Das wird ein Spaß sein; ihr habt ja Wunderdinge in dem alten Kopfe, hätt ich nur Lust und Farben, ich möchte euch als ewgen Juden malen, der seine Ewigkeit für einen christlichen Todtenschein verhandelte.

AHASVERUS.
Durch Tod geht Auferstehung auch im Christenthume.
CARDENIO.

Schwatzt mir nicht große philosophsche Worte vor, ich glaub ihr seid derselbe Thor den ich an jenem stürmischen Abend von mir wies, laßt euch mit dieser Warnung nur genügen. Philosophie ist mir so überflüssig als Manschetten.

[180]
AHASVERUS.
Das war das erstemal noch nicht, wo Sie mich hart von sich gestoßen.
CARDENIO.

Hast du mich früher schon betrügen wollen? Hast du etwa nach kantischen Prinzipien ein Buch verfaßt, das ich hab rezensirt.

AHASVERUS.

Mein junger Herr, das schmerzt, so ganz vergessen bin ich nun von Ihnen – als ich noch kleine Säbelchen und Helme, Trommeln und Trompeten von der Messe brachte, da hieß ich guter lieber Vater, da wurde ich gestreichelt.

CARDENIO.

Bist du es, alter Ahasverus, nun kenn ich dich, verzeih den schlechten Dank, thu Kindern nie zu vieles Gute, an mir erlebst du wenig Freude.

AHASVERUS.
Doch hörte ich im ganzen Ort, Sie lebten hier in großem Stolz und Freude.
CARDENIO.

Die Leute reden noch von alter Zeit, mich ärgerts, wie den Feldherr, der die Siegesnachricht, die von ihm gelogen, auf seiner Flucht den Leuten widerlegen muß. Es ist noch keine Woche – jetzt scheint es mir ein lang vergangnes Leben, da ging mein Schiff mit vollen Segeln, bunten Wimpeln begrüßt von allen Ufern und sie all in kühner Fahrt verlassend.

AHASVERUS.

Das nenn ich traurig, immer mein ich noch, es sei nur so ein Kummer, den sich die Seele in der Freuden Einerlei oft selber schafft, sich selber wieder zu versöhnen.

[181]
CARDENIO.

Das glaubt nur nicht, ich kenne auch die süße Schwärmerei, in der das Leben die Geliebte scheinet, die schon den Tod in ihrem Busen trägt, daß wir sie desto zärtlicher uns pflegen mögen, die Stunden aufmerksamer treulicher genießen, und alles ihr vertrauen, weil eine Ewigkeit aus unserm Arm sie reißen will.

AHASVERUS.

Und von der Pflege plötzlich froh genesen, tritt uns das Leben jubelnd frisch entgegen, vertrau nur seiner innern Kraft, und ruf einmal aus tiefer Seele aus: was mich gequält, es war doch lauter nichts!

CARDENIO.

Ja könnt ich rufen, könntest du Glück- auf mir sagen, doch in der Brust verhält sich alles Leiden. Ach wär ich stets so froh, so jung geblieben, wie damals wo ihr mich mit einem Säbelchen beglückt, wo ich von euch in Demuth Weisheit lernte, wo ich den Trotz mit wenig Schlägen büßte. Ihr Schläge des Geschicks, ihr reißet mich hernieder daß ich mich nimmer ganz erholen kann. Ach daß ich je die Stadt erblickt, wie sie aus reichem Kornfeld mit der Thürme Pracht mir freudig ahnend einst entgegenblickte! Es ward mir alles, wie sie mir verheißen; wer meine Wissenschaft nicht ehren mochte, der ehrte mich als tapfern Schläger, was nur die Einsamkeit nicht geben wollte, das gab Gesellschaft mir, in alle Menschen griff ich mit so frohem Muth hinein [182] als hätten sie für mich gesammelt, und schenkte allen dann verdoppelt wieder, so mehrte alles sich in innrer Thätigkeit. Wo ist das alles seit das Unglück mir die Seele füllt, auf einen Spiegel meiner selbst mit starrem Auge festgebannt bin ich geblendet, und vermag nicht wegzublicken.

AHASVERUS.

Mein Sohn, oft täuscht man sich wenn man zurücke blickt, weil wir die Dinge nur vor ausgesehen, weil uns die Gegenwart nicht Zeit zum Zusehn ließ.

CARDENIO.

Wie gerne möcht ich zweifeln, könnt ich nur. – Was ich gethan, es wäre besser nicht geschehen, und jedes andre was ich nicht erwählt, es wäre besser mir gewesen. Ach hätt ich doch fürs Vaterland mein Blut vergossen und läg mit tapfrer Schaar nackt aufgeschichtet in der kühlen sichern Erde! Wie wollte ich den Meeresschaum begrüßen der hinter meines Schiffes Bahn des Laufes Wuth bezeichnet, er wär ein Zeichen mir daß ich aus aller Qual noch selbst entfliehen könnte; als Bettler wär ich reicher in der Fremde, als hier mit allem was mir mit mäßig milder Hand ein unbekannter Vater hat verliehen. Warum bleibt er mir unbekannt, warum soll ich auch dieses ganz natürlichen Gefühls entbehren, dem, der mich in das Leben hat gesetzt, mit bitterm Vorwurf für dies schmählige Geschenk zu danken.

AHASVERUS.

Bedenke junger Mann, was du [183] hier sprichst, es hörts der Vater Himmels und de Erde, der auch dein Vater ist und deines Vaters Vater.

CARDENIO.

Ich habe keinen Glauben mehr an ihn, seit Ehr und Liebe, meines Glaubens Stützen mir gebrochen. Ich möchte dir wohl sagen wie mich die Ehre und die Liebe hat betrogen, doch ich vermag es nicht und du verstehst es nicht.

AHASVERUS.
Sprich dich nur aus mein Sohn es hebt dir eine Last vom Herzen! Ich deute alles mir so gut ich kann.
CARDENIO.

Sieh dieses stille Zimmer, deß Fenster hin auf eine reiche Landschaft blicken, die von der Menschen Fleiß mit Farben bunt geschmückt, und drüber steht ein schöner reicher Himmel bei Tag, bei Nacht. Sieh diese Zeichnungen, die Sternenkarten hier an allen Wänden zierlich aufgehangen, die ich verzweifelnd an des Himmels Gnade niederreiße, Er reißt sie herab. denn alle mahnen mich an jene reichen Stunden, wo mit lebend'gem Glanz Gedanken an Gedanken im Wettspiel eifersüchtger Fechter mit ewig neuem Stoß sich prüften. Mich fand die Morgenröthe schon bei meinen Büchern, sie hörte meinen Sang und schnell ward aus dem vielgelobten Schüler ein jugendlicher Lehrer, dem sich verehrend alle die ein eignes kühnes Streben hegten mit heftger Freundschaft angereiht. Mit jedem guten Kopf der schwankend stand in seinem Unternehmen, war ich bereit die Zweifel kühn [184] zu theilen daß er an meinem guten Glauben sich möcht stärken und sich verstehen lerne. Es schien, als wenn die Wissenschaft hier neuen Lauf gewonnen, der träge Buchstab wurde Geist-durchdrungen, in allem Leben wurde Freude, und Kühnheit ward in allem Denken. Manch greises Haupt kam her zu mir, sich Raths in wicht'gen Dingen zu erholen und staunte meine Jugend an, mein rasches Wesen. O Seligkeit, wenn ich den Lauf der neu entdeckten Sterne mit meiner Formel kühnlich aufgelöst. Ich war kein Stubensitzer denn weil ich nie studirt, als zum entdecken, so blieb mir viele Zeit um schwimmend, ringend, tanzend, fechtend den Leib kräftig und gewandt zu bilden – mir konnte keiner widerstehn und keiner kam mir gleich in diesen Künsten.

AHASVERUS.
So wurdest du ein Mensch, der seine Welt verstehn und mit ihr leben konnte.
CARDENIO.

Da kam Philosophie mir in den Kopf, es gabs die Zeit, ich lernte erst der Menschen Kräfte, dann ganzer Völker Geist umfassen, die Tiefe die mich erst erschreckt, entzückte mich wie der Geliebten Auge; unschuldig schloß ich sonst mich einem an, der mich berührt in gleichem Streben und Gefühl, ich wollt ihn nie beherrschen, mir selber wollt ich ein Genüge thun, und herrschte ich, so wars mir unbewußt. Jetzt hob ich schnell mich über alle und wollte mich erheben, ich wollte mir als Gottes Ebenbild erscheinen [185] und zu gewissem Zweck sie alle leiten, und hatte doch nicht kaltes Blut den kleinsten Widerspruch zu tragen, da Gott uns all erträgt, und da wir alle ihn ertragen müssen, der mit uns spielt in wunderbaren Launen.

AHASVERUS.
Du frevelst!
CARDENIO.

Ich bin mir ganz bewußt daß ich viel Großes und viel Gutes wollte, indem ich meinem vielgeliebten Vaterlande geschickte muth'ge Diener auszubilden trachtete, doch mich ergriff wie Gift das mindeste Mißlingen, da oft von tausend Samenkörnern nur ein einziges zum Keimen kommt und dieses eine doch der Mühe reichlich lohnt. Doch eben jene innre Ehre, die mich emporgetrieben, sie ließ mich einsam stehn, ich ärgerte mich jeglicher verlornen Mühe und jeglicher Verkehrtheit, und was mein Rath, mein Beispiel nicht vermocht, das wollt ich mit Gewalt erzwingen. Die mich nicht näher kannten, mußten mich für einen Zänker halten, aus nichts kam mir der Grund des Streites, weil ich das öde Nichts im Menschen haßte.

AHASVERUS.
Du dachtest nicht mein Sohn daß auch die Welt aus Nichts geschaffen.
CARDENIO.

Es schützte mich der Ruhm, der mit der lächerlichen Übertreibung so leicht in literarischen Posaunen das Lob vieljähr'ger Arbeit eines Volkes einem Haupte schenkt. Ich glaubte mich so groß,[186] so fest in mir begründet, – ich hatte nie geliebt – weil ich kein Mädchen meiner werth gehalten.

AHASVERUS.
Das nenne ich Philosophie, die abschätzt, was sie nimmermehr erkennen kann.
CARDENIO.

Ach da erschien Olympie – mir wird so weh und so beklommen, als hätte sich die Riesenschlange mir um den Hals gelegt und meine Augen sprängen aus – fort – Alter – fort – ich dreh den Hals dir um, wenn du nicht weichst – wie wagst du so mich anzusehn im Schmerz?

AHASVERUS.

Du willst, daß ich dich jetzt velasse, ich muß gehorchen, doch kommt bald eine Zeit wo du nach mir verlangst, jetzt warn ich dich, darum bin ich gekommen, die Häscher suchen dich, du bist angeklagt daß du den Spieler umgebracht. Bewahre dich der bessern Zeit wo du gebessert leben wirst. Ab.

CARDENIO.

Die beßre Zeit ist wie die goldene, die vergangene, von der sich gar nichts sagen läßt; wo Menschen mit den Menschen hausen, da geht es stets zum Schlechteren hinunter. Wofür die Welt mir sollte einen Ehrenorden geben daß ich sie von dem Ungeheuer befreite, das jährlich eine Zahl von Jünglingen, wie jener Minotaurus frech verschlang, um Lebens-Unterhalt und Ruh mit leicht gewandter Karte schlau betrog, das wird bestraft – und das bestrafet keiner wie ich muß untergehn. Ich will Gerechtigkeit auf diese Erde bringen, ich war das Richtschwert, [187] das den Irrwahn falscher Grübelei, des Spielers Trug des Juden Schelmerei, des Pred'gers Laster hat bestraft, auch falsche Liebe will ich noch bestrafen – Lysander du mußt untergehn, wenn du nicht stehst in eines Höhern Schutz.

EIN DIENER
kommt.
Lysander wird in dieser Nacht gewiß nach Hause kehren.
CARDENIO.

Schon gut. Diener ab. In dieser Nacht, da kehret er zurück zu süßem Gruß, schon träumet seine Seele von der Nacht und drängt sich durch den mühevollen Tag; in dieser Nacht, da denkst du was Natur und Liebe mir beschied, durch falsche Schmeichelei mir ganz zu rauben, wer weiß, wie viel schon deine Falschheit dir gewann. Es kann nicht sein denk ich mich neben ihm, und sie hat mich geliebt, sie denkt vielleicht in seinem Kuß an mich. Ich wär, Olympie, nicht deiner Liebe werth, wenn ich dem Räuber dich jetzt überließe. – Komm du geprüfter Stahl aus der bescheidnen Scheide, vorleuchtend strahlst du wie ein Blitzstrahl durch das Zimmer und deines Spiegels Schimmer laufen an den Wänden. Solingen hat dich mir geschmiedet und keiner dachte wohl von allen rusigen Gesellen, daß du gewürdigt seist für solche Hand, doch die geheime Ahnung trieb sie, rascher im Wechselschlag das glühende Metall zu binden, und all die Schläge, die daraus gefallen, die theilt es wieder aus in kalter Wuth. Wie seh ich aus in dieser blanken [188] Klinge, so wild verzogen, welcher freud'ge Geist ergreif mich jetzt, wo ich sie in der Hand mit Grimm erschwinge, es saust die Luft wie bei der Engel Fall die Gott herabgestürzt und die nun fühlen, daß doch der Himmel machtlos sei zum Glück und stark zum Leiden, da er die liebsten Kinder nicht bewahren, vom Bösen nicht abhalten konnte. Gutes Schwert, wir sehen uns in dunkler Stunde wieder. Er steckt es in die Scheide. He da Diener kommt. mach Feuer im Kamin.

DIENER.
Mein gnädger Herr, es ist ja Sommerzeit.
CARDENIO.

Mir nicht, mich friert, mach Feuer schnell. Der Diener macht Feuer an und geht ab. Die Erde wird mein Bett, unstät und flüchtig werd ich drüber irren, da soll mich nichts begleiten, was dem bessern Leben war bestimmt; nicht diese Blätter, die geträumt zu ihr, als ich zum erstenmal sie angeblickt, wie strömte da mein Glück in tausend Worte aus, ich fühlte mit der ganzen Frühlingswelt. Die ihr im Feuer seid geboren, löst euch im Feuer auf; da euch kein Wetterstrahl zum Himmel trägt, verbrennet im gemeinen Feuer, das jedem dient und jedem wehe thut. Du Zauberband, das sie mit schöner Hand um meine Laute hat gebunden, zeig dich im Feuer jetzt bewährt, du hast sie nicht gehalten, ein andrer Zauber muß sie mir verbinden. – Ihr Haare, die mein Glück mir in der Nacht vorm Anfang meiner Schmerzen schenkte, ihr [189] reget mir die Lust nach ihrer hellen Stirne und wißt doch nichts von ihr und sehnt euch zu ihr hin, im Feuer löset euer Leid, daß ihr dem lieben Haupte seid entrissen. Könnt ich ihr Bild, das mich an das Vergnügen auch erinnert, so aus dem Herzen brennen, das mich noch stört in meiner That, die Milde, die Güt! – mir wird zu Muthe, als trät sie eben vor Lysander, wo ich den Degen in die Brust ihm stoßen will und sie – auch sie durchbohrt mein Degen. – Es war doch nur ein Dunst aus den verbrannten Augedenken, die jetzt ein Häufchen Asche. Dies Häufchen Asche war mir lieb, jetzt blas' ichs spielend in den Wind, der meine Seufzer wie ein Durstender gierig trinkt und nimmer satt wird dieser Schmerzenskost, nimm diese letzten Schmerzensgelder auf – jag sie in das öde Meer; die nahe Wonne, die mir in letzter Abendröthe hell entgegen winket, die bleibet still in mir verschlossen, die bleibet mein. – Leb wohl Schmerzensdach, das mich schwer in diesen Tagen hat belastet, zum letztenmal leb wohl, ich seh dich nimmer wieder; noch einmal ihr starren Wände seh ich euch an, ihr Balken die bei meinen Tritten klingen, ihr wisset nichts von mir, ich weiß nichts von der Welt. Olympie und du mein gutes Schwert ihr seid mein einziger Gedanke jetzt, mein Schwert zeig mir den Weg, Olympie zu dir, und doch mich füllt mit Wehmuth dieser Gang.

5. Auftritt
[190] Fünfter Auftritt.
Celindens Zimmer, viele Blumen sind schön vertheilt, bunte Blumengewinde umziehen eine große Äolsharfe am Fenster. Celinde geht unruhig im Zimmer umher, lauscht abwechselnd am Fenster und singt.

CELINDE.
Flüchtet nun die Luft mit Brausen,
Wie ein Unthier, das ergrimmet,
Sonst da mochte sie hier hausen,
Als die Saiten noch gestimmet,
Die an Ästen aufgezogen,
Oft die Flüchtige gefangen;
Ach sie hat mich nie Betrogen,
Züchtig sang sie ihr Verlangen.

Züchtig sang sie ihr Verlangen,
Ihn zu kühlen, Ihn, den Schönen,
Und zu küssen seine Wangen,
Heiß entschlummert in den Tönen,
Freundlich hielt ich an den Athem,
Und sie spielte in den Locken,
Morgen leuchtete durch Schatten,
Hörte auf der Vögel Locken.

Lauschend sah ich rings die Wiesen,
Drehte langsam meine Augen,
Tausend Blumen sich da wiesen,
Tausend wollten lieblich hauchen,
Ihnen fehlte nur die Stimme,
Und um meine Silbersaiten
Wand ich sie in farb'ger Krümme,
Wie sie gern um Bäche schreiten.

[191] Luft, die sehnlich ernst erklungen,
Schlich dann seufzend zu den Farben,
Die da brennend sie umschlungen,
Und in Düften um sie warben,
Ach da mochte sie hier hausen,
Die in goldnem Lichte flimmert,
War bald drinnen, war bald draußen,
In den Kelchen unbekümmert.

Sie geht nachdenkend umher.

Will das Glück auf Erden hausen,
Mag es sich nicht gern verrathen,
Denn das Unglück horcht mit Grausen,
Thut dann in Gedanken Thaten,
Reist die Blumen von den Saiten,
Fährt mit allen Nägeln über,
In den Tönen wird ein Streiten
Und die Saiten reißen drüber.

Sie reißt ungeduldig die Blumengewinde von der Äolsharfe und die Saiten zerreißen, dann schließt sie das Fenster.

Wie mich die sorgenfreie Sternenwelt jetzt plagt, ein stiller Vorwurf meinen Qualen – unrein erscheinen meine Flammen in ihrem reinen Licht, und diese Flammen mich verzehren, ich kann mich ihrer nicht erwehren. Die Blumen ihm zur Freude heut gewunden, sie lassen ihre leichten Blätter sinken, ihr Duft thut mir so weh im Kopfe, so weh es mir von ihm im Herzen ist; schade, daß die Harfe ist zerbrochen, sie war gesellig, tönte mir aus ferner Zeit ein Lied, als wärs von Geistern ausgesendet. Daß ich mich niemals hab beschäftgen können, das ist mein Unglück ganz gewiß, was ich jetzt unternehme, ob ich zum Stickrahm mich [192] hier emsig setze; das Bild vermißter Lust greift schmeichelnd unbemerkt mir in die Seele, ich weiß nicht, wo ich die Arbeit hab verlassen, doch plötzlich glaubte ich den süßen Mund zu küssen und finde mich verlassen und verstoßen. Zum Boden schlage ich die Augen nieder, da sieht der blutge Fleck mir grauenvoll entgegen, den ich vergebens auszutilgen suche, vergebens leg ich einen Teppich drauf, ich muß hinunter sehn, ob er noch nicht verloschen. Es war ein treues Blut, so treu bis in den Tod, o blühte auch von meinem Herzen solche ew'ge rothe Blume auf des Geliebten Herzen, da möcht nur einmal ich an seiner Brust noch ruhn, um mich an seiner Brust dann den Tod zu erlaben. Als Geist wollt ich auf seiner Fährte sein, in stiller Nacht, im Schlaf ihn zart beschleichen, die andern Weiber von ihm schrecken, ach – bei welcher mag er jetzt verweilen? – Ich hab so schöne Sachen, Virens Geschenke hab ich kaum beschaut, ich muß den Blütenstaub herunterblasen, den hier die Tulpen ließen fallen auf die Tassen. Ein artig Bild schmückt diese Untertasse, ein altes Weib, es muß wohl eine Hexe sein, die den Amor in den Zauberkreis gezwungen, ihm eine Feder zieht aus seinem Flügel. Ist das wohl bös, was wir nicht meiden können, ist das wohl bös, was uns das Leben giebt! So sei denn jetzt die Mutter, deren Kunst ich oft verachtet und verschmäht, zu meiner Hülfe angefleht, daß sie die Liebeskraft, die [193] mir entschwunden über ihn, aus der geheimen Nacht entbinde, die allen Wesen giebt Ersatz für das verbrauchte Leben. Er hält in Zauberbanden wunderbarer Schönheit mich, es ist nicht rechtlich wie er mich bezwungen, die sonst der Männer froh ward, ihrer spottend, ich will vergelten ihm wie er mir hat gethan. – Ach welche Nacht wird diese werden, mein Kopf ist so erhitzt, ich sehe ihn noch wie an jenem Abend, mir klingen in den Ohren meiner Schande Lieder, ich seh ihn mit dem Degen durch die Spötter dringen, ich seh ihn hier im Kampf. – Halt, halt ihn lieb ich, ihn allein, durchbohrt mich lieber! – Was red ich? Ich taumle und der Angstschweiß steht vor meiner Stirne, als hätte eine Krankheit mein Gehirn zerrüttet als stürzt ich vor der Tollheit Geißel in die Arme der Vernunft. Vernunft versucht umsonst die Augen mir zu decken, er steht noch da so herrlich und so frei, mit starren Augen sehe ich zu ihm, er sieht mich nicht, er schaut durch mich nach einer andern Frau als wär ich Glas und Lust und Wasser, so wenig hindert meine Liebe seine Strahlen. Fluch dir Cardenio! Ich möcht ihm fluchen, doch wird in meinem Mund der harte Fluch zum Loblied ihm, komm du geliebte Laute und rühme seiner Schönheit Macht und meiner Liebe Ohnmacht. Sie greift nach der Laute, faßt einen Dolch und schreit auf. Wie todtenkalt bist du geworden!

6. Auftritt
[194] Sechster Auftritt.
Die Kriegsräthin Tyche tritt mit einem Lichte ein.

TYCHE.

Was rufst du liebes Kind, was machst du mit dem Messer in der Hand? Mit Messern und mit Männern muß man ja nicht allein spielen, ganz unerwartet thun sie uns dann Schaden.

CELINDE.
Ach Mutter willst du noch das Leid durch Rath vermehren der mir nicht helfen kann.
TYCHE.
Je liebes Kind wie bist du denn, hast du wohl einen Zahn bemerkt der dir verdirbt.
CELINDE.
Ach wär es das?
TYCHE.
Du hast gut sprechen nun dir keiner wehe thut; hast du dein neues seidnes Kleid zerrissen?
CELINDE.
Ich wollte daß all zerrissen wären und daß ich nackt und blos Cardenio gefiele.
TYCHE.

Der thut wohl gar noch stolz der Habenichts, je sei doch froh wenn er dich schnell verläßt, was hat er dir dafür geschenkt daß du ihm alles hin gegeben, er ist ein pralerischer Narr.

CELINDE
schlägt nach ihr.
Ich sag dir Mutter schweig, du darfst mir nicht reden über ihn.
TYCHE.
Du ehrvergeßnes Kind, ich glaub du schlügst mich wenn ich dir nahe käme.
CELINDE.

Du hättest es verdient, mein ganz Unglück ist deine Schuld, daß du mich für das Sonntagskleid mit Spitzen dem Prediger hast verkauft.

[195]
TYCHE.

Das muß ich von dir hören! Warum hast du mir damals keinen Vorwurf draus gemacht?

Da schien er dir so lieb, ich durfte gar nicht fragen, das war ein Herzen mit dem selgen Herren Prediger, ich dachte ganz gewiß er nähme dich zur Frau, du schienst ja so vergnügt. Und dann kam der Viren, der war ein guter Herr, da warst du auch vergnügt.

CELINDE.

Ich war es auch, bis ich Cardenio gesehn, ach seine Liebe bringt mich noch ms Grab. Schaff Rath, schaff Hülfe!

TYCHE.
Gern liebe Tochter, ich weiß ein Wasser, das löschet die Erinnerung der alten Liebe aus.
CELINDE.

Was blieb mir dann? Ich lebe ja von der Erinnerung, ich wäre ohne sie schon todt. So ganz verkehrt hast du mir stets gerathen Mutter! Ich will dir sagen was mich beglücken kann, du mußt die Liebe in Cardenio entzünden, die mich verzehrt.

TYCHE.

Gemüther sind so leicht nicht unverletzt zu zwingen, mein Liebestrank vernichtet die Vernunft, aller Sinne, wir müssens ihm ganz heimlich beizubringen suchen.

CELINDE.
Nein unverletzt mußt du ihn meiner Liebe schaffen.
TYCHE.
Was hilft dir die Vernunft, er bleibt darum gleich schön.
CELINDE.

Du hast wohl nie geliebt, du hast wohl nie den süßen Reiz in jedem Wort empfunden, [196] was Liebe in dem Geist des Freundes neu erfunden durch den allein wird jegliche Vertraulichkeit dir neu, die sonst nur wär ein ewges Einerlei.

TYCHE.

Du bist ein wunderliches Kind, zu meiner Zeit hat noch kein Mädchen so was ausgedacht. Willst du Veränderung und neue Freude, denke doch wie viele von den Herren, die gegenüber in dem Hause wohnen, dir geschrieben und geseufzt und sonst auf tausend Arten ihre Lieb dir kund gemacht.

CELINDE.
Dein bin ich ganz Cardenio und keines andern je!
TYCHE.
Sein Undank hätte so treue Gunst bei einer anderen nicht verdient. –
CELINDE.

Verdient? Welch Mädchen könnte sich hochmüthig überheben, daß sie Cardenio verdient? Er herrschet wo er liebt, ich muß ihm dienen. So ist denn gar kein Rath – so bin ich ganz verlassen – ach Mutter! warum hieltst du den Dolch in meiner Hand zurück?

TYCHE.

Du liebes Kind, du ringst dir die Hände wund, laß doch die Noth, du kannst vom Gram die Gelbsucht bekommen. Hast du nur Muth genug, ich weiß durch meine Kunst ein sehr geheimes Mittel, ein einziges, ich habs von meiner Mutter noch und habs an deinem Vater auch versucht.

CELINDE.
Ich habe keinen Ausweg.
TYCHE.

Nun wohl mein süßes Kind, wer scheuet[197] sich bei einer Überschwemmung auf den Galgen selbst sich aus der Fluth zu retten. Du hast mir Pred'ger Lyrers Tod vertraut, ich weiß, daß er dich treu geliebet hat.

CELINDE.
Erinnere mich nicht an jene Nacht, da schien Cardenio so zärtlich mir.
TYCHE.

Um seine Liebe zu gewinnen mußt du ihm Lyrers Herz zu leichter Asch verbrannt in Wein, in Speisen beizubringen suchen.

CELINDE.
Mir schaudert, doch es sei. Woher das treue Herz entnehmen?
TYCHE.

Erschreck nicht Kind, du wirst so blaß, ich komme zu der schwierigsten Bedingung. Gedenke nur, es kostet doch gewiß zuerst dem Scharfrichter recht viele Überwindung, soll er den ersten Kopf vom Rumpf abhauen. Es ist ein lächerliches Bild, doch paßt es gut, denn sieh wie bald ist dieser Widerwille überwunden, bald köpfet er aus Neugier mehr und dann um recht zu zeigen sich, als Arm von der Justiz. So geht es mir, was ich dir sagen werde, das thäte ich aus Lust und nähm dir ab die Mühe, doch darf ich nicht, es nutzte dir zu nichts und nähme dir des einz'gen Mittels Kraft.

CELINDE.
So sprich doch Mutter, dies Zögern ist mir schrecklicher als alles Schreckliche.
TYCHE.

Ich sag dirs kurz. Du mußt mit eigner Hand das Herz aus Lyrers Leichnam reißen oder schneiden, [198] was mehr was weniger thut nichts, es ist nicht in der Liebe wie beim Kaufmann von Venedig.

CELINDE.

Das ist zu viel, du räthst ein Mittel an, das keiner je versuchen mag, weil du kein Mittel weißt. Wie kannst du das erdenken?

TYCHE.

Mein Kind dies Mittel ist schon oft bewährt, die harte Noth die unser Leben quält, zwang Seelen himmelan, zu Heilgen wurden sie erhöht, dieselbe Noth zwang Seelen in die Tiefe, daß sie der Hölle Thore aufgesprengt. Die Geister in den Grüften, sie wirken gern noch weiter in die Welt und haben wir den Muth sie zu ertragen, uns ihres Umgangs zu erfreun, dann thun sie gern uns etwas zu gefallen und wirken träumend auch auf andre ein. Denk du wärst ein Mediziner wie jener drüben, der hat in vorger Nacht aus Lieb zum Lernen eine Leiche ausgegraben und jetzt zerlegt er sie mit Lust. Das nenn ich wahre Liebe.

CELINDE.
Vergebens räthst du mir, nein ich vermag es nicht.
TYCHE.

Vermochtens doch so viele schon, die ohne meinen Rath und ohne diese Mittel viel früher in das Grab als in das Hochzeitbett gekommen wären, ich sage dir, die Leute sprechen gern in unsrer Zeit von Zauberei als wärs ein altes Märchen nur, ich weiß am besten wie viele ihr allein nur Glück und Ehre danken.

[199]
CELINDE.
So weist du wirklich daß Cardenio mich dann heirathen muß, daß er ganz mein, auf ewig mir gebunden?
TYCHE.

Ja freilich liebes Kind, das dunkle Reich erschließt sich nicht für einen Augenblick, wir stehen ewig dann in seiner Macht. Wer weiß ob nicht Olympie dem Cardenio einst gleichen Zauber angethan, er hat, ich weiß es ganz genau, von ihr ein wunderbares Band zu seiner Zitter auf dem Markt erhalten. Wer weiß ob Doris nicht den Zauber sich hat übertragen. Ich schwör darauf es steckt so was dahinter.

CELINDE.

Gewiß es ist ihm Zauber angethan, o welche Hinterlist, gewiß ein böser Zauber hielt ihn schon gebunden, da meine Schönheit ihn nicht binden konnte, – und diesen Zauber muß ich stören, die Liebe selbst verpflichtet mich dazu. Ach Mutter! ja ich bin bereit zu allem um ihn mir zu gewinnen, doch sprich wie soll ich zu dem Grab eindringen, wie soll ich heben alle schwere Steine die ihn umschließen bis zum Auferstehungstage, wo er sein Herz doch wird zurückfordern. – Ein Jahr nur mit Cardenio ist mir genug!

TYCHE.

Das Grabmahl zu eröffnen ist nicht schwer, es ist erst angefangen, ich kenne auch den Kirchenwächter Kleon ganz genau, der schwarze Mann mit einem Pferdefuß, er ist etwas häßlich doch gescheit, er läßt uns leicht zur Mitternacht hinein, wir hatten schon so viel Verkehr zusammen, ich habe [200] viel von ihm gelernt, der ist ein rechter Meister in der Kunst.

CELINDE.

Du bist entsetzlich Mutter, daß du noch andere Verzweiflung hast gekannt als meine, und doch in Mitleid nicht vergehst. O unnatürlich Mittel das dem Natürlichsten, dem Wesen meines Daseins mich entgegenführen soll!

TYCHE.

Was ist denn unnatürlicher als eignes Leben zu vernichten, doch warst du schon bereit dazu. Mein liebes Kind, Erfahrung schenkt uns einen wunderbaren Trank, er löschet nie den Durst, doch müssen wir ihn trinken. Beide ab.

7. Auftritt
Siebenter Auftritt.
Straße vor Virens Hause. Olympie tritt auf den Balkon.

OLYMPIE.

Wenn der Mond ist aufgegangen,

In der Hand die Arbeit ruht,

Ist im Finstern dann ein Bangen,

Thut ein Gang ins Freie gut.

Das hab ich noch behalten aus der Nachtmusik und dieses noch:

War auch Jungfrau, bin nun Fraue,

Und der Mond mich noch berückt.

Wär doch Lysander hier, ich kann nicht ohne ihn so fröhlich sein wie sonst. Mir ist doch alles glücklicher geworden als ich mirs dachte, ich finde ihn so liebenswerth und gut und jeden Augenblick ist er sich gleich, stets sorgsam für des Hauses Beste – wie [201] leicht entschloß er sich dem neuen Glücke ein'ge Stunden zu entreißen, um unsere Geschäfte auf dem Lande zu besorgen. Wie sah Cardenio schon heut verändert aus, sein edles Auge erloschen und entbrannt von Frevel; sein Angesicht durchwühlt gewaltsam von Leidenschaft. Kaum ahne ich was er damit gewollt, daß er den Preis so mühsam hat errungen, die ganze Stadt verspricht ihn mit Celinden die schlechten Ruf bei ordentlichen Leuten hat. Doch soll der Ruf mir gar nichts mehr bedeuten, wär ich Lysandern nicht vermählt, wer weiß was jetzt die Leute von mir sprächen. Ich fürcht mich jetzt schon vor Cardenio, sein wilder Geist bereitet sicher noch ein Unglück unserm Hause.

VIREN
kommt.
Je fast erschrak ich, so in Gedanken erkannte ich dich kaum hier in der Dunkelheit.
OLYMPIE.

Ich wünsch dir guten Abend, du warst heut mehrmals sehr vertieft, ich glaub du schreibst ein neu Pandektenbuch, so heißt's ja wohl, du mußt es mir doch schenken, wenn ichs auch nicht verstehe.

VIREN.
Die Drucker haben jetzt vor mir schon Ruhe, mein Herz ist so gedrückt.
OLYMPIE.
O hör den Nachtigallen zu.
VIREN.

Dich reizt der Nachtigallensang, der durch die Gassen kühn wetteifert, mir klingt er furchtbar, wie die Lieb in Ketten ein jeder Ton, und dies [202] Posthorn das von Ferne tönt, es könnte mich zum Weinen bringen, wenn es nicht eben verstummte.

OLYMPIE.

Du bist jetzt wunderlich, ich meine immer du solltest bald heirathen, dir fehlt ein gutes Weib das deiner Sorgen Hälfte trägt.

VIREN.

Es freut mich daß du mir zum Ehstand räthst, ein gutes Zeichen ists für deine Ehe. Wer hätte das gedacht, als du Cardenio zu lieben schienst.

OLYMPIE.

Begreif ichs selbst doch nicht, doch fühl ich freier mich jetzt in Lysanders Liebe, kein Sehnen, keine Angst, ich wünsch ihn mir zurück, doch hab ich ein Vertrauen zu dem Himmel, daß er uns schütze.

VIREN.

Du hast noch ein Vertrauen, mir hast du's geraubt, mit meiner ersten Liebe zu Luzinden ging meins verloren.

OLYMPIE.

Willst du den alten Vorwurf mir erneuern, ich war ein dummes Kind, ich wußte gar nicht was ich that, als ich dir Briefe brachte von Luzinden; klagst du noch immer um die erste Liebe, da du inzwischen wohl Tausenden den Hof gemacht.

VIREN.
Ach damals war ich doch viel besser!
OLYMPIE.

Erinnerst du dich noch des Liedes das du so oft mir vorgesungen, wenn ich auf deinem Schooße saß und du hinüber schautest zu Luzindens Schloß?

[203]
VIREN.
Es ist mir ganz entschwunden, sing es nur.
OLYMPIE.
Bruder mit dem Flockenbart,
Hüte dich vor Liebe,
Nur die Augen recht bewahrt
Vor des Traums Gebilden,
Wenn die Sonne heftig sticht,
Droht ein nah Gewitter,
Ziehn die Lebenspfeile dicht,
Werdet ihr geschieden.

Lustig ist mir jede Zeit
Unter tollen Streichen,
Und mir schien die Reise weit
Zu Melancholeien,
Traurig schaue ich jetzt hin
Nach dem Mond der Höhe,
Nach dem Schlosse steht mein Sinn,
An dem Rand des Sees.

Doch die Wolke eilend zieht,
Mir der Mond verhüllet,
So aus meiner Seele flieht,
Meiner Hoffnung Fülle,
Und der Mond selbst täuschet mich,
Brennt in ihren Scheiben,
Und ich mein, sie locke mich
Zu der Schwimmerreise.

Schwesterchen, ach denkst du jetzt,
Wie du mir im Schooße
Mich mit ihrer Lieb ergötzt,
Mich zu ihr gezogen.
Ihre Briefe waren süß,
Süßer war ihr Küssen.
[204] Als ich sie zuerst verließ,
An dem Sonntag frühe.

Früher war sie an dem Ort,
Als sie mich verlanget,
Und es glühte jedes Wort
Ihr auf beiden Wangen;
Und des Altars denke ich,
Der mich hielt verstecket,
Daß sie, selbst gelehnt an mich,
Küßte Rosenkränze.
VIREN
fällt ein.
Denk der Nacht, wo ich zu spät
Bin zu euch gekommen,
Zwischen euch da wachen thät,
Fromm und scheu beklommen:
Ei verdammt der guten Sitt'
Dabei bin ich blieben,
Damals war es nur ein Stritt,
Und nun ists weit drüben.

Also ist es nun vorbei,
Weiter muß ich ziehen,
Ach so bin ich vogelfrei,
Kann mir nicht entfliehen;
Denn in innrer Brust da sticht
Mich der Pfeil der Liebe,
Und ich suche, finde nicht
Unsrer Liebe Liebe.

Bruder mit dem Flockenbart

Sieh im Liebesspiegel,

Du bist zart, auf, werde hart,

Steige in den Bügel,

[205] Laß die leichten Zügel los,

Trau dem Kriegesglücke,

Denn du findst in Liebchens Schooß

Nur des Glückes Tücke.

Das waren gute Zeiten noch wo ich so klagte, der gute Bruder, wir haben doch seit jener Zeit nichts mehr von ihm vernommen.

OLYMPIE.

Das Meer und auch die Liebe sollen gar gefährlich sein, kaum weiß ich noch wie er recht ausgesehn. – Sieh jenen Stern der eben schießt, war er das etwa, wollt er uns ein Zeichen geben?

VIREN.
Er ist wohl glücklicher als ich!

Cardenio kommt während dieser Worte in einem Mantel gehüllt, leise die Straße herunter, er spricht vor sich, während jene oben sprechen.
CARDENIO
leise.

Es hat sich viel geändert in der kurzen Zeit, vor wenig Tagen brannte Liebe in den Himmelsfackeln, jetzt Rache. Bald kommt Lysander. Ich möchte ihn nicht listig niederstrecken, nein ordentlich im Kampfe überwinden, ob er mich gleich mit List hat überwunden, doch stört das den Plan der Doris. Wohl denn, da er doch fallen muß, so mag er fallen ohne Furcht und Schrecken durch einen raschen Tod, es ist mir gar nicht als wär er auch ein Mensch, er scheint mir nur ein wildes Thier, gegen das ich zur Wacht bin ausgestellt. Die Doris ist ein kluges Kind, sie mag nichts ansehn von dem ganzen Unternehmen, doch kitzelt sie mit gutem Rath [206] dazu. Mein Arm stößt den Verräther nicht so sicher in die Hölle, als mich ihr Schlüssel zu dem Himmel führen soll. Auf dem Balkon da hör ich leise Stimmen, es wär ein schlimmer Streich wenn die nicht weichen wollten eh Lysander kommt.

OLYMPIE.
Gesteh mir lieber Bruder, was dich so quält?
VIREN.
Es wird mir schwer, ich hab mich lange Zeit so heilig vor dir angestellt, ich bin ein großer Sünder.
OLYMPIE.
Du dauerst mich.
VIREN.

In dem gelehrten Treiben hier, überfiel mich so manche böse Lust, der Reichthum giebt Gelegenheit, ich wechselte in wilder Leidenschaft, doch zog mich nie ein Mädchen also mächtig an als eben die Celinde, der Kriegsräthin Tyche Tochter, mit der die Stadt Cardenio vermählt.

OLYMPIE.
Du schweigst.
VIREN.
Ich kanns dir nicht erzählen wie manche Nacht ich heimlich dort geschwelgt.
OLYMPIE.
So ist der böse Ruf doch wahr; – Du armer Bruder!
VIREN.

Und was mich retten sollte das ward mir zum Verderben. Oft wars als ob geheimnißvoll mich unsrer Mutter Stimme warne, doch schreckte dieses Bild mich eben in die Arme der Geliebten, wo mir[207] so wohl ward, wie mir bald in ihrer Untreu wehe ist geworden.

OLYMPIE.
Du hast der Mutter Bild gesehn?
VIREN
singt.
Oft wenn ich umher geschlichen
Nächtlich um Celindens Haus,
Bis die Sterne all verblichen,
Warnte mich ein innrer Graus
Mit so tief bekanntem Schall,
Warnend rief die Nachtigall.

Als sie endlich Lust versprochen
Ging ich Nachts geschmückt umher,
Hatte Früchte ihr gebrochen,
Trug an edlem Weine schwer.
Alles zu dem Liebesschmaus
In Celindens Gartenhaus.

Als ich an das Kreuz gekommen,
Das aus alter Zeit noch steht,
Hab ich bittres Flehn verommen,
Eine Frau da zu mir geht,
Klagt, sie sterb aus Hungersnoth,
Bat mich um ein wenig Brod.

Ganz verloren in Gedanken
Naher Hoffnung, nahen Glücks,
Werf ich Geld der matten Kranken,
Würdige sie keines Blicks:
Kaltes Geld und kaltes Herz!
Seufzet sie in ihrem Schmerz.

Wilde Jugend schweift in Lüsten
Wild und taub nach ihrem Ziel,
Aus dem Garten in die Wüsten,
Und ich trank von Seckt zu viel;
[208] Mit dem Becher in der Hand
Werd ich früh nach Haus gesandt.

Als ich so nach Hause kehre,
Tragend diesen Liebestank,
Bei dem Kreuz ich klagen höre
Und es liegt die Fau so krank,
Und ich gieß den Becher Wein
In den bleichen Mund hinein.

Eine Flamme seh ich steigen
Wo der Tank sie hat berührt,
Mir des Zaubers Kraft zu zeigen
Schrecken hat mich tief gerührt,
Nüchtern seh ich an die Frau
Meine Mutter ich beschau.
OLYMPIE.
Lieber Bruder, du erschreckst mich.
CARDENIO.

Sie wollen noch nicht schweigen auf dem Balkon, wenn es Olympie selber wäre, wie ist mir, diese Thüre öffnet sich.


Es schlägt Zwölfe, die kleine Thüre an die Cardenio angelehnt, eröffnet sich leise, eine verschleierte Gestalt in der Größe Olympiens tritt heraus und legt ihren Finger auf Cardenios Mund.
CARDENIO.

Olympie, was machst du, du selbst du kommst zu mir, wie ward dir kund mein Unternehmen? Nun weiß auch ich daß Liebe Wunder thut.

DIE GESTALT.
Still still, bald hörst du mehr, jetzt komm.

Sie führt ihn, der sie anstaunt, langsam fort.
OLYMPIE.

Mir war als säh ich unten ein verliebtes[209] Pärchen schleichen. Jetzt singe weiter, die Glocken haben ausgeschlagen.

VIREN
singt.
Schaudernd vor der schönen Leiche,
Ganz verwildert athemlos
Ich mit schnellem Schritt entweiche
Werf mich in Celindens Schooß.
Hüte dich mein liebes Kind!
Ruft die Mutter in den Wind.

Geister wollten gern uns schützen,
Doch wir scheuen sie zu sehr,
Ach sie konnte mir nicht nützen,
Jagte mich ins Liebesmeer,
Das mit seiner Schreckensfluth
Mir verzehrte Gut und Blut.

Später müssen wir verstehen,
Was uns den Verstand verwirrt,
Lernten wir doch früher sehen,
Eh wir von der Bahn geirrt,
Ach mir ist die Lust verzehrt,
Ich bin nun so gar nichts werth.
OLYMPIE.

Ich glaube lieber Bruder, du bildest dir so herbe Schmerzen ein, du bist ja noch der selbe wie ich dich immer hab gekannt, wohl nie vergnügt auf ganze Tage, beklagend vieles und doch alles mitgenießend.

VIREN.
Ich glaub du hast mich nie verstanden.
OLYMPIE.

Wie bist du wunderlich, versteh ich nicht jedes Wort, was du mir sagst, hab ich je absichtlich [210] dich anders denken wollen, hast du jetzt absichtlich dich verstellt?


Während der letzten Worte ist Lysander mit seinem Diener Anton, ohne von den beiden auf dem Balkon bemerkt zu werden, aus dem Hintergrunde auf das Haus zugekommen.
LYSANDER.
Geh mit den Pferden nach der Hinterthüre, damit mein Weib von dem Getrappel nicht erwacht.
ANTON.

Die Nacht ist fast verloren, wir hätten so bequem in Skeuditz bleiben können, die Betten waren rein, hier sind sie alle schon zu Bette, da wird kein Licht und auch kein Schwefelholz zu finden sein, den Schwamm hab ich verloren.

LYSANDER.
Du warst wohl nie verliebt?
ANTON.

Bei Tage bin ich sehr verliebt, doch sag ich immer die Nacht ist keines Menschen Freund, wir könnten jetzt von Straßenräubern hingestreckt gar leicht auf unsrer alten Mutter Erde schlafen müssen.

LYSANDER.

Das wäre Blutschuld, Gott behüte, du weißt nicht was du sprichst geh nur zu deinen Pferden. Anton ab.

OLYMPIE
zu Viren.

Horch Bruder, wenn mich der Wunsch nicht täuscht, so hör ich meines Herren Stimme. Bist du es lieber Mann, der sich der Thüre naht?

VIREN.
Bist du es Schwager?
LYSANDER.

Ich möchte fliegen können um euch[211] durch Kuß und Händedruck von meiner Gegenwart zu überzeugen, ich wollte dich mein liebes Weib heimlich überraschen und glaubte dich im tiefen Schlummer und du wachst sorgsam in der kühlen Nacht auf mich.

VIREN.

Du machst dir ganz vergebne Mühe mit deiner Frau noch hier zu reden, sie läuft die Stiege herunter die Thüre zu öffnen.

LYSANDER.
Sie denkt an alles gleich im Augenblick.
OLYMPIE
öffnet die Thüre und tritt mit Licht ihrem Manne entgegen.
Mein lieber lieber süßer Freund.
LYSANDER.
Geliebtes Leben. Hast du an mich gedacht?
OLYMPIE.
Wie hatte ich so vieles dir zu sagen, in freudger Überraschung hab ich alles schnell vergessen.
LYSANDER.

Vielleicht daß unsre Träume sich einander heimlich schon vereinten, indem wir uns umarmten. Kinder unserer Einsamkeit, sie passen nicht in ein gesellig Leben.

VIREN.
Wenn ihr solange unten sprechen wollt so muß ich euch die gute Nacht hier aus der Ferne wünschen.
LYSANDER.

Gute Nacht. Laß uns noch etwas in der kühlen Nacht durch stille Straßen wandeln, wo Nachtlicht brennt, da sehen wir ganz heimlich in die Fenster, was da geschieht in Streit und Frieden.

[212]
OLYMPIE.

Es ist recht schön, doch meine ich, du hast des Tages Mühe reichlich schon getragen, die Ruhe wird noch schöner sein.

LYSANDER.
In deinen Armen ach wie schön! Beide ab.
8. Auftritt
Achter Auftritt.
Ein Kirchhof, im Hintergrunde eine Kirche. Cardenio führt Olympiens Gestalt.

CARDENIO.

Ich glaube dich zu führen mein Trost, mein Heil, du aber führest mich in unbekanntes rauhes Land, mit jedem Schritte fürcht ich, du möchtest fallen über diese Hügel, diese Steine, die eine Grenze zu bezeichnen scheinen von streitgen Herren. Ruh aus auf diesem Felsenstücke, du sprichst schon lang kein Wort und die Besorgniß quälet mich, ob dich die Reue über den gewagten Schritt schon quäle. Gedenk es ist der letzte Schritt, den wir zu wandeln haben auf dem bösen Wege, dann zeichnet neues Glück uns neue Wege, und was uns auch begegnen mag, wir sind beisammen. Du schweigst noch immer, senkst dein Haupt zur Erde als wenn du ihr schon angehörtest, o wiederhole mir noch einmal jenes Wort wie du mich stets geliebt, wie dir Lysander ist so schmerzlich aufgezwungen, wie du dich mir nun ganz zu eigen giebst; ich habe wohl geglaubt so müßt es sein, doch nun es wahr ist fang ich an zu zweifeln. Zeig mir dein Antlitz daß ich Wahrheit les' in deinen Augen.

[213]
DIE GESTALT.
Wir müssen erst ein nahes Haus er reichen, das mir Sicherheit gewährt.
CARDENIO.

Könnt ich dir Sicherheit gewähren in meiner Brust, ein ewig festes Heiligthum, doch seit ich mich Celinden hingegeben aus Verzweiflung, da ist dies Heiligthum entweiht.

DIE GESTALT.
Ein gleiches könntest du vielleicht die nächste Nacht Celinden sagen.
CARDENIO.
Bei Gott, ich hab sie nie geliebt, um welchen Preis sollt ich der Lüge mich ergeben.
DIE GESTALT.
Kannst du mir schwören daß du der heimlichen Vertraulichkeit zu ihr entsagen willst?
CARDENIO.

Was nenn ich Heiliges um fest zu schwören, ich schwör bei dir Olympie, bei dem Duft der geisterhaften Nachtviolen die uns in diesem wilden Lande rings umsprossen, ich schwör bei diesen leichten Lichtern die uns fabelhaft umkreisen, bei diesen weißen Vögeln schwör ichs, deren Fittig mein Haupt umweht und die zur Heimath sich erheben und finden in der Nacht den Weg.

DIE GESTALT.
Ich nehme deinen Schwur, die Tiefen hören ihn, die Sterne leuchten dich erinnernd an.
CARDENIO.

So ist aller Zweifel nun gebannt! – So komm du holdes Weib – komm aus diesem rauhen Lande zu frohen Blumengärten, die am Rand der Saale dem rauschenden Strome lauschen, wo sanftes Grün mit Thau den Busen netzt, wo reife Frucht [214] sich in die Hand dir drängt, wo dichte Lauben dich vor dem Sturm bergen der vom Wolkenrande so grollend mit seinem kalten Athem auf uns bläst. – Komm – erhebe dich von deinem harten Sitze mit dem du zu versteinern scheinst; – hier drückt ein unnennbar Wehen meine Freude nieder, dort will ich mit schönerem Schwur dir bekräftigen wie ich dich liebe. – wie ich dich ewig lieben will! –

DIE GESTALT.

Dies rauhe Land, wie du es nennst, scheint mir ein Frühlingsgarten, weh dir daß du nicht den neuen Frühling kannst erkennen und begrüßen, der Garten ist mir lieb wie keiner sonst auf Erden, nur nächtge Blumen schmücken ihn.

CARDENIO.
Die sind der Liebe Zeichen.
DIE GESTALT.

Ich liebe dieser rauhen Steine Lager, die aus der Erde Innern kühn gerissen, bezeichnen was sie uns verschließt. Hier laß mich ruhn.

CARDENIO.

Und mich bei dir. Indem er sie umfassen will, verdoppelt sie sich, er tritt zurück. Wie ist das, sehe ich zwei Gestalten? verwirrt die Liebe mein Gehirn?

DIE GESTALT
einfach.

Süßer Freund! – du schreckst vor mir? – hat dir der Mond, der zweifelnd an der Erde Rand noch weilet, ob er sein züchtig Auge auf uns werfen kann, ein Trugbild dargestellt?

CARDENIO.

Er weilt, ein guter Freund der unser Glück bewacht in ganz bescheidner Ferne. Doch[215] sieh zu lang vielleicht ist mein Gemüth in Noth verwildert, die Freude die so unerwartet es erfüllt, die Luft die uns umschauert, erhitzen die Phantasei. – Laß einen heißen laugen Kuß mir sagen, dies Glück sei kein falscher Fiebertraum.


Der Mond ist aufgegangen, die Gestalt verdoppelt sich wieder, indem er nach ihr faßt und er steht zwischen dem Tode, der mit einem Pfeile nach ihm zielt und der Mutter der Olympie, die ihm droht.
CARDENIO.

Ha! – ha die Gluth wird Eis, – wie hat die Hölle mich betrogen, sie ist nicht mein! sie ist es nicht. Wer wagt noch mir zu drohen? Du alter Tod, – jedem Erdensohne gewiß, dein Pfeil ist stumpf! Der Tod verschwindet.

Dich fürchte ich erhabene Gestalt, wunderbar ähnlich Olympien, in graunvoller Ehrfurcht fühl ich mich gebannt, ein Schatten zu den Schatten, wie der Mond zur Erde, dein Fleisch ist aber Licht und meins ist böse Lust. – Du schweigst, dein Blick hält mich fern von dir; gieb mir, da du mir alles nimmst in diesem Leben, da du die Ruh aus meiner Seele mir raubst über jenes Leben nach dem Tode, gieb mir, da noch so vieles lebt was ungeahnet hier verschwunden, gieb mir ein einzig Zeichen daß dies kein irrer Wahn, der meinen Muth bestritten.


Die Gestalt wirft ihm einen Ring zu und wandelt nach der Kirche, wohin sie ihm winkt, Cardenio erhebt den Ring und folgt ihr.
[216]
CARDENIO.
Nicht allzunahe – doch ich folg dir – folg dir aus der Welt. Beide ab in die Kirche.

Tyche führt Celinden, Cleon kommt von der andern Seite.
TYCHE.
Was ist die Glocke?
CLEON.
Es ist jetzt seine Zeit, drum still.
CELINDE.
Geh langsam liebe Mutter.
TYCHE.
Still Kind.

Alle in die Kirche.
9. Auftritt
Neunter Auftritt.
Das Innere der Kirche, viele Grabmähler, auf einem liegt Cardenio entschlummert, Celinde und Tyche an der Thüre, Cleon der Kirchendiener steht vor ihnen mit den Schlüsseln.

TYCHE.

Auf Tochter fasse Muth, du siehst in jener Ecke, wo in der Reihe viele schwarze Predgerbilder hängen, wo aufgehäuft die Steine zu dem Grabmahl liegen, da steht des Predigers Sarg, der Deckel ist so leicht gehoben, es kostet dir wenig Mühe, ich darf nicht gegenwärtig sein.

CELINDE.

Die Füße – ich kann nicht aus der Stelle – ich zittere am ganzen Leibe, so muß es wirklich nun geschehn – ach um dich Cardenio!

CLEON.

Mein schönes Fräulein, seid nicht so wunderlich, ich war ja alle Nächte hier, die Todten haben ihre Ruh, ich war zu allen Zeiten hier und sah noch nichts; so einem wie ich der des Läutens wegen und wegen Feuerzeichen zu aller Zeit und Frist seit Jahren sich hier herumgetrieben, dem ist es hier [217] ganz ruhig wie zu Hause, manch schönes Kind hat mir Gesellschaft sonst geleistet. Nun gute Nacht und Glück zum Werk, ich muß den Thurm ersteigen weil ich um ein Uhr läuten muß. Ab.

TYCHE.

Nun hast du doch gehört wie sicher alles ist – eine feine Nacht der kalte Wandelstern läßt sich verdrießlich sehen, ich wollt du wärst erst fertig, es ist ein lieblich Schnarchen in der Welt, ich möcht mich noch zu einem Junggesellen betten.

GELINDE.
Die Worte, die du so mit Gleichmuth sagst, sind mir entsetzlich.
TYCHE.
Celinde – die Zeit ist da und schnell vorbei.Ab.
CELINDE.

Ach nimm mich mit. Sie will fort. O Gott hier hält ein Geist mich fest. – Es war ein Nagel an Lyrers Sarg. Es ist wohl bloße Thorheit diese Furcht vor Geistern – ich will mir andere Gedanken machen, ich weiß ja noch so manch Gebet.


Während sie den Deckel erhebt, betet sie in Verwirrung.

Vater unser der du bist im Himmel – alle gute Geister loben Gott den Herrn – geheiligt werde dein Name, steh mir nur diesmal bei, ich thue es niemals wieder, um Cardenio selbst nicht. Sie schlägt den Sargdeckel auf. Da liegt er unversehrt, so lag er oft in meinen Armen. – Zu uns komme dein Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. – Dein Herz! ich muß es haben, wie oft hast du bei deinem Leben mir dein [218] Herz geschenkt, jetzt bist du todt, dir thuts nicht weh und mich kann es beglücken! Sie erhebt ihr Messer. Ja mich wirds beglücken! Vergieb uns unsre Schulden. Der todte Prediger erhebt sich mit blutendem Herzen.

PREDIGER.

Geliebte du durchbohrst mein Herz, das ist bittrer als der Hölle Schmerz, heißer als der Hölle heiße Qual, weh die Erde ist ein Jammerthal. Nichtig war, was ich gethan, all mein Glaube war nur Wahn. Liebe ohne Glauben fällt, scheiden muß ich von der Welt. Und Celinde bleibt zurück, ewger Gram ist mein Geschick.


Er sinkt im Sarge nieder, Celinde mit einem Schrei ohnmächtig zu Boden.
CARDENIO
erhebt sich.

Welch wild Geschrei erweckte mich aus meinem Taumel, das war kein Geisterruf, doch jetzt ist alles stille. War eine Räuberschaar in dieses Heiligthum gedrungen? Doch nein, die Silberlampe läßt ihr dunkles Licht noch auf uns fallen. Ich habe schwer geträumt und werde jetzt erst wieder mit der Welt bekannt, die mich umgiebt. Ha was erblick ich dort, ein weiblich Bild bei einem Sarge – wie Marmor kalt – es ist Celinde!

CELINDE.

Ihr Geister laßt mich sterben, ich bin von Schmerzen ganz vernichtet. Was ist das Leben, was ist die Liebe werth, von solcher Angst gegeißelt von solcher Noth zerrissen.

CARDENIO.

Du scheinest krank, ich kann dir [219] mei nen Beistand nicht versagen, du hast die Augen fest zusammengedrückt und magst dich nicht umblicken.

CELINDE.

Du bists, Cardenios Geist, ach lasse mich, die Angst hat unsre Liebe auch getrennt, wie bist du schon so schnell dem dunklen Todtenreiche zu geschritten, es traf dich nie mein Fluch, hast du mich gleich verzweifeln lassen.

CARDENIO.

Kann denn ein Geist mit festem Arm dich tragen, kann einem Geist das Herz noch schlagen, kann denn ein Geist sich selbst verleugnen wollen? – Was ich auch sei, ich bin Cardenio, so wie du mich gekannt, so wie ich stets gewesen.

CELINDE.
Du bists Cardenio? – dich hoffte ich nicht hier zu treffen.
CARDENIO.
Was trieb dich denn hieher?
CELINDE.

Die Lieb zu dir. Dich wollte ich bezaubern mit Lyrers Herz, das ich ihm entreißen wollte. Es war der Mutter Rath. Ich habe alles dir bekannt, jetzt schließ den bösen Pfaffen wieder ein, du hast ihm einmal schon die Augen zugeschlossen.

CARDENIO.

Erwache doch aus deinen wilden Träumen, sein Sarg ist bis zum jüngsten Tage fest geschlossen. Weh mir, daß du so um mich leiden mußt und daß ich dir nicht helfen kann.

CELINDE.

Gott sei gelobt, doch ist das alles Trug und bist du selbst kein Zauberbild der Mutter, [220] so eile schnell, hier ist es gar nicht richtig, ach mein Verstand! schnell schnell, fort, fort, fort von hier.


Sie zieht ihn fort.
TYCHE
tritt vor.

Erst war ein Schreien, nun ist alles still! – Celinde sprich wo bist du hingegangen? Es ist hier alles leer, die Uhr schlägt eins, sie muß durch jene Thür aus Angst entflohen sein.

CLEON
kommt.
Seid ihr noch hier, wie ist es denn ergangen, hat eure Tochter ohne Furcht das Werk gethan?
TYCHE.
Sie ist entflohen.
CLEON
vor sich.

Sie sind mir doch entrissen. Er erscheint mit glühenden Augen, schwarz und gehörnt. Weib kennst du mich den Bräutigam?

TYCHE.
Wohl kenn ich dich, erblinde schier vor deiner Herrlichkeit.
CLEON.
Es naht dein Hochzeittag.

Er ergreift sie, sie schreit, beide versinken in die Erde.
10. Auftritt
Zehnter Auftritt.
Der Felsen bei Gibichenstein. Ahasverus sitzt in dem bekannten Fenster Ludwig des Springers und sieht nach dem Sonnenaufgang.

AHASVERUS.
Es weicht die dunkle Nacht.
Die Welt wird frisch geschaffen,
Doch wer die Nacht durchwacht,
Der leidet fort die Strafen
Der alten Sündenwelt,
Dem lösch der Sonne Huld,
[221] Die Gottes Schooß entquelle
Noch nicht die alte Schuld.

Cardenio und Celinde kommen außer Athem gelaufen.
CARDENIO.

Nicht weiter Celinde, ich muß dich mit Gewalt jetzt halten, da meine Worte all vergebens warnen – sieh deine Raserei reißt dich zum jähen Abgrund. Blick auf, die Sonne steigt empor, sie wird dir bessere Gedanken in die Seele strahlen.

CELINDE.
Ach könnte ich vor ihr erblinden, um alle Schreckensbilder in der Seele auszutilgen.
CARDENIO.

Sieh rings umher, mir wird schon wohl daß ich von Schrecken frei der fröhlichen Natur nun wieder lebe.

CELINDE.
Leichtsinnig wandelst du durch Nacht und Tag, ich sehne mich nur nach der Nacht.
CARDENIO.

Du liebtest mich einmal, bewahre dich aus Freundschaft für den alten Freund, auch meine Freundschaft will ich dir bewahren.

CELINDE.

All die Lieb ist mir vergangen, die Geisterhand hat alles ausgerissen, dich seh ich neben mir so wesenlos wie einen Schatten der Sonne hier; – dem Angesicht des Himmels gelob ich ewge Keuschheit, werd ich frei vom Schrecken der mir das Blut zum Herzen schmerzlich drängt. Ha sieh Cardenio, da sitzt schon wiederum ein Geist. Alle gute Geister!

CARDENIO.

So schließ doch nicht die Augen, [222] er ist ein Mensch wie wir, dem Thränen in den Augen glänzen, er ist kein Geist.

CELINDE.
Ach Gott, was sind denn wir?
AHASVERUS.
Ein schweres tiefbedeutend Wort.
CARDENIO.
Mein alter Freund, so früh schon in der Einsamkeit, so früh schon in den trüben Nachgedanken.
AHASVERUS.

Ich trauerte, daß du dem guten Rathe nicht willst folgen und deiner Sicherheit so wenig bist bedacht.

CARDENIO.

Blick auf Celinde, du siehst den guten Alten, er kennt mich lange schon, gieb ihm die Hand, er meint es gut mit dir, wird manchen guten Rath dir sagen.

CELINDE.
Könnt ich ihn nur ausführen.
AHASVERUS.

Du bist ja so verschüchtert, schönes Kind, wie eine Hirschin, wenn die Jagd zum erstenmal ist aufgegangen, ich lebe auf der Welt wie in dem Paradiese, ich fürchte keinen seit ich den Einen fürchten lernte. Der Eine sagt, erhalte dich o Mensch daß du nach meinem Willen wandeln kannst und thun. Sieh da mein liebes Kind, erkälte dich hier nicht im frischen Morgenwind der aus dem Orient uns Kunde bringt, denn du verstehest sie noch nicht.

CELINDE.

Nun ich euch angesehen, die tiefe Stimm vernommen habe, ergreifet mich ein Zutraun wunderbar. Gebt einen Rath was soll ich thun, es [223] lastet Schuld auf meinem Nacken so schwer', die ich euch nicht erzählen kann, zwar könnt ich mich wie tausend andre auch entschuldgen mit Verführung, was hülf es mir, ich fühle daß ich schuldig bin.

AHASVERUS.
Und magst du sein die Schuldigste von allen, noch giebt es einen Ort, der dich entsühnen kann.
CELINDE.

O nenn ihn mir und wär der Weg mit Dornen dicht belegt und ohne Schuh darauf zu wandeln, ich zöge hin.

AHASVERUS.
Der Ort ist fern.
CELINDE.

Und wär's am Ende aller Welt, mich fasset eine Ungeduld, als könnt ich keinen Augenblick in dieser überdrüßgen Gegend mehr verweilen.

AHASVERUS.

Zieh zum heiligen Grabe unsers Herrn, zum Mittelpunkt der ganzen Welt, er löset manches Pilgers Schuld, der gläubig zu ihm hinwallet, du bist nur eine Sünderin wie viele. Entsagung kann dir Keuschheit wiederbringen.

CELINDE.

Mit heilgem Glanze ist dein Haupt umstrahlt; ich glaube dir, doch sage mir wie soll ich den Weg zu dem entfernten Segensbrunnen, zum Grabe des Erlösers finden, wie soll ich, so weichlich auferzogen, die schwere Mühe einsam überwinden?

AHASVERUS.

Wie unter dir der Strom so ernstlich rauscht, sich Wege bahnt durch die hohen Felsen den lieblichsten Gefilden leicht vorüber streift, als säh [224] er nicht die stolze Pracht, die sich in ihm bespiegelt und erquickt; so treibt ein fester ernster Wille, so kommt der Strom durch tausendfache Krümmen mit hundert andern ähnlicher Gesinnung zum Meere, das sie dann all von dieser Erde Staub entsühnen kann.

CELINDE.
Du giebst mir Muth und Kraft.
AHASVERUS.
So will ich auch dein Führer sein.
CARDENIO.

Bedenke alter Freund, ob du nicht allzukühn nach einem Orte uns führen willst, wohin du selber nicht gelangen kannst? Warst du schon in Jerusalem daß du Celinden wähnst dahin zu ziehen und in den irren Sinn so wunderlich Beginnen säest.

AHASVERUS.

Ob ich bin da gewesen, wo meines weit zerstreuten Volkes alter Sitz, von dem ihr Frevel an dem Sohn des Herrn sie hat vertrieben, ob ich bin da gewesen? O frag mich nicht es macht mir Schmerzen wie ich vergebens stets dahin geirret bin.

CARDENIO.
Was dir vergebens ist geblieben das räthst du dieser armen Seele an. Was räthst du mir?
AHASVERUS.

Dir rath ich nicht; was du beginnen willst das komme aus dir selbst, lasse andre glauben wie ihnen in das Herz geschrieben, doch sag ich dir, du Cardenio hast noch mehr als dieses Mädchen große Buße nöthig, du von vier Seelen Angeklagter, den schon die weltliche Gerechtigkeit verfolgt.

[225]
CARDENIO.

Ich mache keinen Vorwurf mir aus allem was ich nicht meiden konnte, dem Vater aller Wesen steh ich zum Gericht, vier Ungeheuer hab ich ausgerottet, den Spieler und den Juden weil sie den edlen Leichtsinn froher Jugend mit tückischem Verrath belauern mit Trug und List so manche hohe Seele, aus kühnem Aufflug der zum Himmel streifte, in niederes Verbrechen hingestürzt; den falschen Philosophen weil er die Schiefheit seines Geistes aller Welt zur Regel geben wollte; den falschen Prediger, weil er der eignen Seele böse Lust als Gotteswort zu offenbaren meinte, ich war hier Gottes Richtschwert nur.

AHASVERUS.

Ich bin kein Richter über dich, du läufst aus meinem Kreise der Gedanken, doch wisse lieber Sohn, wer hier auf Erden Gottes Richtschwert ist, der weiß es wahrlich nicht.

CARDENIO.

Der weiß es nicht – und ich, ich wußte mir so viel damit! – Es schmettert mich dein Wort aus meiner Höhe nieder, bedenkst du auch was du gethan, den innern festen Trost mir noch zu rauben, da alles mich verläßt.

AHASVERUS.
Gott giebt uns alles zehnfach wenn er uns alles hier zu nehmen scheint.
CARDENIO.

Ich folge dir, nicht gläubig, nicht entschlossen, nur weil des Bleibens hier nicht mehr; nichts stärkt mich was ich hier gethan geliebt; – ich möchte in ein fernes Land um alles zu vergessen,[226] Olympiens Liebe selbst, die all mein Leben hier umfaßte. Jenseits des Grabes muß sich viel erhellen, darum zieh ich mit dir zum heilgen Grabe hin.

AHASVERUS.

Kaum ahne ich lieber Sohn was dir begegnet sei, so scheinst du mir verwandelt, sieh rings umher, wie liegt die Welt so offen, es thut ihr wohl daß sie sich froh erschließt, o zeig uns auch dein Herz so offen.

CARDENIO.
Wir werden hier belauscht, ich höre Stimmen – geheimnißvoll war diese Nacht.
CELINDE.
O sprich nicht von der Nacht, mir schwindelt.
AHASVERUS.

Es kommen Menschen durch den Thurm, vielleicht schon gegen dich gesandt. Cardenio in diese Höhle flüchte dich, die ich seit mancher Nacht bewohnte.


Alle drei ab in die Felsenhöhle.
11. Auftritt
Eilfter Auftritt.
Olympie und Lysander besteigen singend den Felsen.

LYSANDER.
Offen ist das Thor des Lebens,
Und die Engel strahlen aus,
Treue Lieb harrt nicht vergebens
Und sie treten in ihr Haus;
Wo ein Engel eingegangen
Ist ein holdes Kind empfangen.
OLYMPIE.

Fromme Engel treuer Liebe,

Wachet über euer Kind,

Manche Nacht die ist so trübe,

Brausend geht dann rauher Wind,

[227] Engel spielt mit ihm im Schlafe,

Daß es lächelnd Sturm verschlafe.

Hör nur Lysander, ich glaube sicher du hast das Lied auf uns gemacht, das heißt doch weit voraus sehen im Leben, ich glaube gar du denkst schon an die Wiege und wir sind kaum vermählt.

LYSANDER.

Und ich, ich glaube sicher du siehst mir durch die Augen in die Seele, ich schwöre dir, die Wiege war in diesem Augenblick mein einziger Gedanke, ich dachte mir ein Kripplein zierlich aus geführt als Wiege unsres Kindes. Das sag ich dir voraus, wenn es erst laufen kann hier darf es nicht herauf, sieh nur an solcher Ecke hier, wo sich die Schwalben unterm Fuße kreuzen, wenn ich mein Kind da sähe, ich hielts nicht aus.

CARDENIO
tritt aus der Höhle und umfaßt Lysander.

Bewahr dich selber besser, tritt zurück, es ist nicht gut sich selber zu versuchen, wie weit des Geistes Übermacht gestellt, die ird'schen Mächte regen sich zum Kampf und hat der Mensch nur eine Sünde in der Seele, wie er mit Falschheit Lieb gewonnen, die Schwere stürzt den Trotzigen hinunter, wer nie geschwindelt schwindelt hier.

LYSANDER.
Der Augen Licht vergeht mir, er ist von Sinnen und alle Kraft vom Widerstand verlöscht.
CARDENIO.
Fühlst du dich überwiesen, so sei bereit zu sterben.
[228]
OLYMPIE
umfaßt Lysander.
Dein Schicksal sei das meine auch!
CARDENIO.
Wen liebst du mehr Olympie, mich oder ihn?
OLYMPIE.
Sprich wie du willst, wenn ich Lysander nur errette.
CARDENIO.

So lebt zu eurer Freud und meiner Qual in treuer Lieb beisammen, ich habe nichts zu fordern mehr sie liebt mich nicht. Er führt beide nach einem sichern Platze. Und Doris hatte mich getäuscht. Verzeih Lysander diese rauhe Probe, sie ward ein Zeugniß für Olympiens Liebe, doch wüßte sie wie durch Verrath du in ihr Zimmer eingedrungen.

OLYMPIE.
Ich weiß es und es war auf mein Geheiß.
LYSANDER.

Du heilige Unschuld klag dich nicht an, ich habe meine Fehler dir bekannt, du hast sie mir verziehen, kein andrer hat danach zu fragen, du Cardenio mußt mir gleich Genugthuung für diesen Frevel geben, womit du mich in sichrer Stunde überrascht.


Er zieht den Degen.
CARDENIO
will sich hineinstürzen, jener wendet ihn.
Auch diesen Trost versaget mir die Welt.
OLYMPIE
knieend.
Ich fleh dich an Lysander, wirf das Schwert von dir.
LYSANDER.
Es sei, nach Mordthat hab ich nie gestrebt, doch meine Ehre.
[229]
CARDENIO.

Verzeih, wo ich beleid'gend war, ich sprach dies Wort zum erstenmal, so magst du es auch schätzen, du siehst ich bin zum Frieden fest entschlossen, ich suche Frieden, mögen jene beiden es betheuern, die aus der Höhle traurig furchtsam zu uns gehn.


Ahasverus und Celinde kommen.
LYSANDER.
Sie sind verständig eben, den Wahnsinn straft kein Mensch.
CARDENIO.
Bin ich vernünftig, thu ich recht?
OLYMPIE.

Doch ach, wer giebt uns jetzt ein still Vertrauen, daß dies kein bloßes Spiel mehr ist, wie jenes an dem Hochzeittage, das mit verzweiflungsvollem Schluß geendet?

CARDENIO.

Noch immer spricht aus dir mein böser Geist, du drehst das Herz mir um, jetzt fühl ich recht daß ich zum heilgen Grabe wandern muß, um deinen Blick aus meiner Brust zu tilgen. Willkommen du Gefährte meiner Reise und du Gefährtin meiner Sünden, jetzt bin ich euch zur Pilgerschaft verbunden.

AHASVERUS.
Seid uns nicht abgeneigt, ihr lebensfrohen Seelen.
CELINDE.
Verzeihet unsre Schuld, ihr Reinen.
OLYMPIE.
Wir sind hier arme Sünder, wie auf Erden alle.
LYSANDER.
Celinde, wie muß ich Sie so ganz entstellt hier wieder sehen, welch Unglück hat Sie überrascht?
[230]
CELINDE.
Mein Unglück! – das Einzige was mir auf Erden noch gehört, ich trag es schweigend.
CARDENIO.

Lysander, noch einmal muß ichs wiederholen, verzeihe mir, dem Tod bist du entgangen den ich dir zugeschworen, zu rächen jene Nacht, wo du mein Glück vernichtet. Doch, als ich harrte so vor deiner Thür, in beiden Augen eine Flamme, in beiden Armen einer Spannung Wuth, dich umzubringen wenn du einsam kehrtest heim, um dann zu deiner Frau ganz heimlich einzuschleichen. –

OLYMPIE.
Ha, welche Greuelthat, nicht Liebe kann so Schreckliches erfinden.
CARDENIO.

Als ich der That so ganz gewiß da harrte, wie der Stein in den tiefsten Brunnen geworfen, nach langer Zeit doch endlich seinen Fall durch einen dumpfen Ton verkündet, erwartete ich zuversichtlich meines Plans Erfüllung zu genießen, da öffnet sich das Thor, da tritt ein Weib hervor, Olympie in allem ähnlich, in Größe, Gang und Sprache, ihr Angesicht verschleiert.

OLYMPIE.

Der Himmel weiß ich war es nicht, ich war mit meinem Bruder bis zu deiner Ankunft mein Lysander, auf dem Balkon; wir hielten uns mit mancherlei Erzählung wach, um dich recht freundlich zu begrüßen.

LYSANDER.
O dir vertrau ich ganz.
CARDENIO.

Und die Gestalt gebot mir Schweigen,[231] mit einer Stimme daß ich dich zu hören glaubte. Ich konnte nicht errathen was dich mir zugeführt. Doch war mir wohl als ich dich faßte. Als du mich manche Straße fortgeführt, ich achtete des Weges nicht, da sagtest du daß meine Liebe dich gerührt, wie ich bei dem Hallorenfeste um deinen Preis so wüthig hätt gestochen – wollt ich Celinden ganz auf immer meiden, der ich an deiner Lieb verzweifelnd mich zugewendet hatte, so wolltest du mit hoher Gunst mir lohnen. Ich schwors mit leichtem Sinn, Celinden zu verlassen.

CELINDE.

Liebt ich noch wie gestern ich dich liebte dies wär mein Todesstoß, und muß ich so schimpflich hier bestehen, und folgte nur der Schönheit ewigem Gesetz.

CARDENIO.

Sei ruhig, dieses ist der Anfang deiner Buße, gehörest du Gott zu, so wird er deine Reue heiligen. – Ich fühlte mich so reich, so ruhig, ich ging mit der verschleierten Gestalt durch unbekannte Gassen weiter, wir sprachen wenig, fast verstummte sie, als wir ein rauhes hüglichtes Feld betraten. Da flehte ich ihr Angesicht zu sehen, mit heißem Kuß was ich gelobet zu besiegeln, ich schwor Celinden immerdar zu meiden. Da wurdens plötzlich zwei Gestalten die mir zu beiden Seiten standen, der Tod und eine schöne Todte, die ganz von blauem Licht durchwallt mit seeligen Augen mich beschaute; ich liebte sie im Augenblicke, [232] wie ich Olympien nie geliebt, sie schien Geliebte mir und Mutter, sie mahnte mich an mein Versprechen und warf als Zeichen, den Ring mir zu daß ihr Erscheinen mehr als Fieberwahn.

OLYMPIE.

Mein wunderbarer Gott, es ist der Ring von meiner Mutter, den sie im Tode von ihrem Finger nicht entlassen, er ist mit ihr begraben in der Kirche unterm hohen Marmorsteine.

CARDENIO.

Sie gab ihn mir und wandelte zur Kirche hin, doch ward sie immer leichter, wenger sichtbar wie der Mond beim Sonnenaufgang drüben an dem Hügel. Ich war schon über alle Schrecken weit hinaus, ich folgte ihr mit Liebe nach, doch an dem Grabmahl wo eine Frau den Stein durchbricht, da schwand sie ein mit einem tiefen Seufzer.

OLYMPIE.
Es ist der Mutter Grab.
CARDENIO.

Ganz traurig sank ich da nieder bis mich Celindens Schrei'n erweckt, die dort ein böses Geisterreich mit kühner Hand und schwachem Muthe aufgeriegelt hatte. O deine Mutter, wenn sie es war sie hat mein Schicksal umgewendet.

OLYMPIE.

O meine Mutter, hörst du meinen Dank daß du aus weiter Ferne uns noch immerdar beschützt, die alles dir im Leben schon verdankten.

CELINDE.
O hätte ich so eine treue Mutter auch zu meinem Schutz gehabt.
[233]
AHASVERUS.
Der Herr des Lebens weiß was du gesündigt und wer an dir sich hat versündigt.
OLYMPIE.
O könnte ich den Unglücklichen Trost verleihen!
CARDENIO.

Schon fühl ich mich erleichtert, seit ich von meinem Herzen alles frei erzählt, seit dieser Ring der Geisterwelt mich bindet.

AHASVERUS.

Ernst ist die Zeit. Ich darf nicht länger weilen, der Stunden Rast ist mir verlaufen ich richte gen Jerusalem den müden Schritt.

LYSANDER.
Du wunderbarer Greis willst sie schon aus einander reißen da sie sich kaum erkannt.
AHASVERUS.

Nicht trennen will ich euch, könnt ihr zusammen glücklich Leben? Seht tief in euch hinein ob innrer Vorwurf es euch gestatte? noch mehr, seht um euch her; Cardenio, Celinde! Der Arm des weltlichen Gerichts schwebt über euch.

CARDENIO.

Ich fürcht ihn nicht, er bringt mich jener heilgen Geisterwelt nur näher, die ihres Schutzes mich gewürdigt hat, – doch eine Sehnsucht treibt mich hin zum heilgen Grabe als sollte ich die vielgeliebte Todte dort einst wiederfinden, dort bin ich nah dem Himmel, hier fühl ich tiefes Weh. – Olympie, Lysander wärt ihr beide mir versöhnt, die Last des Fluchs ist schwer, ich habe einen weiten Weg.


Er kniet nieder.
LYSANDER.

Wer könnte um Gedanken dir zürnen,[234] die nie zur That geworden, die erst dein offenes Gemüth uns kund gethan, nur Eines hast du mir gethan, durch deinen Stolz ward mir Olympie geschenkt, mein Glück ist ganz dein Werk.

OLYMPIE.

Wie könnt ich zürnen, da ich glücklich bin, da meine Mutter dir ein Zeichen gab, so nimm ein anderes von mir und diese Hand, die ich auf deine heiße Stirne lege, o wäre ihr die Segenskraft verliehen, was dich noch quält in Milde aufzulösen.

CARDENIO.

So möcht ich scheiden von der ganzen Welt, – und deine Mutter würde liebe Botschaft lesen, die du auf meine Stirn geschrieben hast, mir wird so frei und heiter!

CELINDE.

Es giebt mir keiner hier ein Zeichen auf den Weg, es stehen alle tief in sich versenkt, doch diese Schmerzen die ich tief im Innern fühle, sie sind ein Zeichen mir daß ich zum Grabe gehe. O sagt Viren, er möge mich vergessen, er werde mich vergessen, wenn er sich ganz geschieden von dem Bösen.

AHASVERUS.

Immer weiter muß ich schreiten, schüttle nie den Staub von meinen Schuhen, muß mit innrer Unruh streiten und kann nimmer nimmer ruhen.

CARDENIO UND CELINDE.
Lebt wohl! Bewahret das Geheimniß unsres Weges.
OLYMPIE UND LYSANDER.
Ach kehret wieder! Wir wollen für euch beten. Kommt glücklicher zurück.

Cardenio, Celinde, Ahasverus ab.
12. Auftritt
[235] Zwölfter Auftritt.
OLYMPIE.

Mir ist so weh ums Herz, ach sähen wir sie wieder, wie ist der Morgenschimmer über uns erloschen, die Tauben flüchten ängstlich in den Thurm.

LYSANDER.

Ermäßige den Schmerz, sieh in die Ferne, da glänzt noch alles froh und hell, sieh dort die Scheidenden, sie kommen unterm Felsen schon hervor und grüßen noch zu uns.

OLYMPIE.

Lebt wohl! – Hier waren sie noch nah, sie wandern immer weiter. Sieh jetzt, wie räthselhaft die Fähre, sich selbst bewegend, wie lebendig quer durch den Strom von unsrer Seite zu jenem Ufer treibt, zum wilden Felseneingang. Der alte Charon nimmt gleichgültig seinen Sold und langsam steigen jetzt die Seelen zu dem Richtstuhl an. Lebt wohl in Kraft und Muth, die Gnade ist unendlich.

LYSANDER.

Du wirst so traurig, liebe Frau, ein jeder Zug um Mund und Augen thut mir weh. Nicht helfen kannst du mehr den Armen, ihr eigenes Geschick reißt sie von uns. Sieh lieber dort, wie hell des Petersberges Klostertrümmer im Sonnenschimmer leuchten; in frommer alter Zeit, da hätten sie schon dort Vergebung ihrer Sünden und ein stilles Klosterleben sich erwerben können. Doch unsre Zeit weiß nichts von der Entsagung Freudenbuße, nichts von der Einsamkeit.

[236]
OLYMPIE.
Sind wir nicht beide eine Einsamkeit zusammen?
LYSANDER.

Mein edles Weib, du fühlst doch stets das Rechte. O wie so klar steht es vor meiner Seele fest, wer sich in dieser Zeit mit Andacht nicht des Ehesegens ganz theilhaftig macht, in treuer Liebe ihn bewahrt, der hat die Zeit versäumt, der hat die Zeit verloren.

OLYMPIE.
Heil allen Glücklichen die sich gefunden, Heil allen Seligen die treu verbunden.
LYSANDER.

Und wenn kein Volk sich selber mehr getreu und wenn das Land im wechselnden Besitze schwanket, die Liebenden sind sich ein Volk und Vaterland und bleiben ihrem Volk und ihrem Vaterland getreu, ich weiß du bleibst mir getreu, mag mich des Vaterlands Geschick in ferne Zonen reißen, die Ferne trennt uns nicht.

OLYMPIE.

Ich folge dir und wär es in den Tod, ich fühls an deiner Brust, wenn jetzt ein grimmer Feind von jenen Ufern herüberstürmte und hätte schon die frohe Stadt voll Reichthum und voll Jugend, voll Wissenschaft und Kunst verödet und du wärst einsam hier auf diesen Fels gestellt, ihn zu vertheid'gen gegen eine Welt, an deiner Seite müßt ich stehen, an deiner Seite untergehen!

13. Auftritt
[237] Dreizehnter Auftritt.
VIREN
tritt in heftiger Bewegung auf, er sieht flüchtig umher und bemerkt weder Olympien noch Lysander.

Nein nirgend, nirgend find ich sie, spurlos wie ein Traum ist sie entschwunden, je länger ich sie suche desto ferner unerreichlicher. Celinde, hat dich die Luft entführt, so fasse ich die Luft und jeder Athemzug ist mir zur Qual. Hat mir der Morgenthau selbst deine Tritte nicht verrathen, was zürne ich auf Menschen daß sie dich nicht verrathen wollen. Ach alles buhlt um deine Gunst.

LYSANDER.
Wen suchest du Viren in dieser frühen Stunde?
VIREN.
Auch ihr so früh schon hier, wie kommts, wen suchet ihr?
LYSANDER.
Die Sonne schien uns in das Bett so früh.
VIREN.

Vielleicht zu früh – ich wollt euch gerne einen guten Morgen bieten – ich bin so ganz erschöpft vom Suchen, Fragen, vom Laufen und Verzagen.

LYSANDER.
Wen suchest du?
VIREN.

Ich schäme mich es dir zu sagen, ich habe stets mein Ansehn gegen dich bewahrt, jetzt steh ich da ein Thor, belachenswerth, des Mitleids unwerth obenein. Die Schwester weiß wen ich meine. Sie [238] ist entflohn – mit ihrer Mutter fort und mit Cardenio, dies ist das Schmerzlichste. Jetzt fühl ich erst daß ich sie nicht lassen kann.

OLYMPIE.
Du denkest noch daran sie zu besitzen!
LYSANDER.

Ich rathe wen du suchst; du wolltest mit Gewalt von ihm verlangen, was dir die Liebe hat versagt, da hast du schweren Kampf.

VIREN.

Wer wollte nie Unmögliches? Ich suche sie und wünsche doch sie nicht zu finden; ich weiß wie er mir überlegen ist – daß ich ihr schönes Aug der Blindheit müßt anklagen, wenn sie mich vorgezogen hätte.

OLYMPIE.
Armer Bruder; es giebt ja noch der Mädchen mehr, kann deiner Schwester Liebe dir Trost verleihen?
VIREN.

Du meinst es gut Olympie, aber du bleibst nicht hier, dann bin ich verlassen, hier bin ich allen andern Weibern gram.

OLYMPIE.
Ja freilich trennt mich bald der Krieg der Welt von diesem schönen Boden unsrer Jugend.
VIREN.

Ich weiß mich seiner nicht zu rühmen, in eitler Arbeit, Wettstreit, Sorge, in wilder Lust hat er die schönsten Jahre mir aufgezehrt wie ein schleichend Fieber; die fernste Fremde war mir lieber als diese Heimath, die ach das Einzige verloren, was mir in ihr noch reizend schien.

LYSANDER.

So komm mit uns, es soll dir bei [239] dem Regimente an lustigen Gesellen nimmer fehlen, wenn sie auch nicht von der gelehrten Zeitung wissen.

VIREN.

O führ mich hin wo niemand lesen kann, daß ich da sehen lerne. Die Bücher ekeln mich wie eine Speise, von der ich viel zu viel genossen, nur in der freien Luft will ich leben. Ihr beide seid so gut – ich stör mit meinem Kummer eure heitre Liebe.

OLYMPIE.
Es wär nicht Liebe wenn sie sich stören ließe.
VIREN.

Wenn ihr es mit mir wagen wollt, wohlan ich übergebe mich euch gänzlich. Du Schwester erziehe mich, denn du hast keine Schuld, du Schwager warest auch nicht ohne Fehler, du sei mein Vormund wenn sie zu viel von mir verlangt, sag ihr was die Gewohnheit thut im Bösen und wie die Sehnsucht uns beschleicht.

LYSANDER.
Ein Wort ein Mann – ich schaffe dir bei meinem Regimente eine Stelle.
VIREN.
Da hast du meine Hand, es wird schon werden.
OLYMPIE.

Dich soll der Handschlag noch nicht binden, nur uns verpflichtet er dir beizustehn in trüber Zeit; wie thut es mir so wohl dem hochgelehrten Bruder zu dem ich staunend einst hinaufgeblickt auch etwas sein zu können.

14. Auftritt
[240] Vierterzehnter Auftritt.
PAMPHILIO
tritt eilig auf.

Viren, Lysander, habt ihr Cardenio nicht gesehn? Verzeihet meine Hast mit der ich das Gespräch durchschnitten, sein Lebensfaden ist dadurch vom Durchschnitt zu erretten, womit ihm die Justiz jetzt droht.

LYSANDER.
Wir dürfen seinen Weg dir nicht verrathen, er hats uns streng verboten.
PAMPHILIO.

Wenn ers verboten hat, da fürcht ich auch nicht mehr für ihn; so bald er furchtsam wird ist er auch gescheidt wie andre Leute. Ein Sohn vom alten Nathan hat ihn heut verrathen, daß er am Felsen hier gesehen worden, er droht ihm wegen seines Wechsels mit Arrest, ei seht da kommen schon die Diener des Gerichts.


Häscher, Gerichtsdiener, zum Theil mit Kürassen gepanzert treten durch den Thurm langsam auf.
EIN HÄSCHER.
Ihr seht doch nichts, er ist nicht hier.
EIN ANDRER.
Er könnte in der Höhle sein.
EIN DRITTER.
Geh du voran, es ist da dunkel.
DER ANDRE.

Laß immer sein, wie bringen wir ihn durch, wenn wir ihn fangen, die Herren Studenten schwören ja uns Arm und Beine zu zerschlagen, wenn wir ihn schleppen, auch könnte er geladne Gewehre bei sich führen.

[241]
DER ANDRE.
Geladene Gewehre; das wär infam.
NATHANAEL
im Thurme.
Ihr Leutchen sucht nur recht und bindet ihn recht fest, daß er nicht um sich schlägt.
DER ANDRE.
Er hat geladene Gewehre, die richtet er gerade auf den Thurm.
NATHANAEL.
Laß ihn los, mit geladenen Gewehren ist kein Spaßen.
VIELE.
Nun wenn sie es nicht wollen, unsertwegen mag er laufen.
NATHANAEL.
Um Gottes Willen lauft mir nicht davon, ich höre viel Studenten.
EINER.

Ihr Leute kommt nur in den Thurm zum Juden, der soll uns noch aufwichsen, da können wir uns auch verstecken, bis die Studenten all vorbei gezogen.


Sie gehen alle nach dem Thurme ab.
PAMPHILIO.

Da ziehn die Kerls alle ab, ganz wie ein lächerlicher Sturm, der erst ein Schiff im Meere zu versenken droht und sich begnügt den Huth dem Schiffer abzunehmen. Das sind die schlimmsten Leute nicht, es kommen andere Gefahren, Soldaten die in Friedenszeiten nichts besseres zu thun verstehen, als Reisende recht gründlich auszufragen. Ich glaub, ich hab in einem Tag mehr Angst gehabt für den Cardenio, als er für sich in seinem ganzen Leben.

[242]
LYSANDER.

Jetzt kannst du ruhig sein, schon hat er dieses Landes Grenze überschritten und eh ihn dort die Mahnung der Gerichte noch kann finden, ist er schon weiter und zu Ländern hingedrungen, die aller Flüchtgen Freistadt sind.

PAMPHILIO.

Wohl ihm er ist nun frei, ich sehe ihn nicht wieder, er denket meiner wohl nicht mehr und ich muß seiner denken immerdar, mit wem soll ich auf weiter Welt nun leben! Er geht ab.

VIREN.

Wie alle an den einzigen Cardenio so glauben, was ist es denn, was sie an ihn gebannt? Warum ist dieser Einzige mit allem ausgestattet, was Freundschaft, Liebe, Kunst und Wissenschaft uns geben kann?

OLYMPIE.
Und er durft wagen alles zu verschmähen, alles aufzugeben um seiner Seele Heil.
VIREN.

Warum bleibt mir von allem Herrlichen das Letzte nur, das Mitleid derer denen ich durchs Blut verbunden.

LYSANDER.
Wie du doch alles aufnimmst.
VIREN.

Ja, daß ich eure Liebe so aufnehmen muß, das lieget auch in mir, in der zerdrückten und gescheiterten Natur.

OLYMPIE.

Mein Bruder, ganz gewiß thut der die schwerste Sünde, der sich verkennt, noch bleibt dir Jugend, sie kann die kalten Tage leicht in Frühlingsschein umwandeln.

[243]
VIREN.
Wie weit von mir liegt meine Jugend, ich hatte keine Jugend.
OLYMPIE.

Du wagst mit uns zu gehen, ein neues Leben zu beginnen, das ist Jugendmuth der sich dem falschen Weg entreißen kann und sich dem neuen Zufall anvertrauen mag.

VIREN.

Du sprichst mir tröstlich zu Olympie, doch du trauest mir zu viel; erst wenn die neuen Triebe kommen, da wird sichs zeigen wie viel der Zweige schon erstorben sind.

OLYMPIE.

Nun denn, so nehm ich dich in meinen Arm wie einen Todten, der sich nicht wehren kann, was auch die Lebenden mit ihm beginnen. Doch drücke ich dir nicht die Augen zu, ich öffne dir die Augen, ich heb dein Haupt empor, sieh rings die weite Welt und fühl in diesem Kuß, daß dir ein Schwester Herz so nah. Du wirst schon wach, so schaue unter dir den Strom im rothen Morgenglanz, vorher da starrtest du und grubst mit deinem Stabe in der schwarzen Erde. Sieh jetzt des Stromes fröhliche Bewegung, da schwimmet eine Schaar Studenten auf leichten Kähnen schnell daher, den Schwänen nach die drohend ihre Jungen schützen, am Himmel singen tausend Lerchen, als strömten sie aus hohem Sonnenthor die Sonne scheinet früher aufgewacht die rasche Jugend spiegelnd zu begrüßen, der Jugend stahlt sie ahnend durch die Nacht, blick wieder hoffend zu der [244] Sonne, meiner Jugend Mitgenosse und Gefährte, mein bester Freund, mein liebster Bruder.

CHOR DER STUDENTEN
in den Kähnen, die ungesehen singend vorbeifahren.
Taucht der Strom in Morgenglut
Wächst im frischen Herzen Muth.
EINER.
Jaget nach den lichten Schwänen,
Die so stolz die Flügel schwellen,
Jaget vor den hohen Wellen,
Daß sie schäumen an den Kähnen,
Kochend übern schmalen Rand.
CHOR.
Ruder brennen in der Hand,
Jagt die Wellen übers Land.
EINER.
Wie ein Roß voll Lust zum Streite,
Seine Adern sich aufbeißet,
Gleiche Lust mich rastlos reißet,
Zu der ungemeßnen Weite
Übers eng verschloßne Wehr.
CHOR.
Übers Wehr reißt uns die Ehr,
Übers Wehr ins goldne Meer.
EINER.
Wo kein Schiffer wagt zu fahren,
Durch des Wasserfalles Wolke
Ziehe ich mit jungem Volke,
Und wir spotten der Gefahren,
Unsre Lust ist dieser Streit.
[245]
CHOR.
Muth gewinnt sich neue Zeit,
Bald wird uns die Welt so weit.
EINER.
Froh hinüber durch Gefahren
Zu dem ewig grünen Lande
Ruhen wir im kühlen Sande
Froher Sang der Vögel-Schaaren,
Füllt das Herz mit süßem Drang.
CHOR.
Mit der Vögel Zaubersang
Uns die Liebe sanft umschlang.
EINER.
Auf, ihr holden Nachtigallen,
Alle Sinne mir durchdringet,
Meine Worte lieblich zwinget,
Zu der Liebe Wohlgefallen,
Liebe füllet meine Brust.
CHOR.
Taucht der Strom in Morgenlust,
Schlägt das Herz in junger Brust.

[246] Jerusalem
Ein Pilgerabenteuer

[247][249]

Die ernste Erscheinung

Die ernste Erscheinung.

In Wolken und Nebeln erscheinen drei Kreuze, das mittlere trägt den Erlöser, sein Angesicht ist hell erleuchtet, die beiden anderen Kreuze tragen die beiden Schächer; ein Schriftgelehrter steht unter dem Kreuze im dicksten Nebel, in tiefster Dunkelheit.

SCHRIFTGELEHRTER.

Der du den Tempel Gottes zerbrichst und bauest ihn in dreien Tagen, hilf du selber. Bist du Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuze.

JESUS.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.
SCHRIFTGELEHRTER.
Andern hast du geholfen und kannst dir selber nicht helfen.
EINER DER SCHÄCHER.
Bist du Christus, so hilf dir selber und uns.
DER ANDERE SCHÄCHER.

Wir empfangen was unsre Thaten werth sind, dieser aber hat keine Sünde gethan. – Herr gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.

JESUS.
Wahrlich ich sag dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein.
SCHRIFTGELEHRTER.

Wie ist mir, werde ich blind [249] oder verliert die Sonne ihren Schein, welche Finsterniß wird über das Land.

JESUS.
Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hand.

Der Nebel und die Wolken zerreißen, es erscheint das Meer auf welchem ein Schiff voll Pilger nach dem heiligen Grabe.

Die Pilger auf dem Meere

Die Pilger auf dem Meere.

Auf dem Schiffe erscheinen Ahasverus, Cardenio, Celinde unter einer großen Zahl anderer Pilger.

AHASVERUS.
Wie die Anker sind gelichtet,
Und die Segel aufgerichtet,
Hoch im Kreuz an jedem Mast,
Zieht das Schiff schon ohne Rast
Zu dem heilgen Kreuze hin;
Mir nur fehlt der gläubge Sinn
Der durch Gnade und Erbarmen
Kann zu dem Gebet erwarmen.
CELINDE.
Büßen wollt ich in den Leiden,
Von der Sünde wollt ich scheiden,
Doch sie läßt mich noch nicht los,
Heimlich lebt in meinem Schooß
Meiner Sünde Zeugniß fort,
Quälet mich an jedem Ort,
Wechselt Reue mit Verlangen,
Kühnen Muth mit schwachem Bangen.
CARDENIO.
Wie der Thürme goldne Spitzen
Nun zum letzenmal mir blitzen,
[250] Doch die Glocken durch das Meer
Klingen einmal noch hieher;
Wiederhallet noch einmal
In dem Herzen alle Qual,
Sinket dann in Überschwemmung,
Alte Zeit löscht ewge Trennung,
Und ich ahne neues Leben
In des Schiffes bangem Schweben.

Thränen rauschen in dem Weste
Und versunken ist die Feste,
Hohe Berge allzugleich,
Selger Jugend Hoffnungs-Reich,
Schaum der Welle ist mein Haus,
Oben Himmel, unten Graus,
In der öden Wellenwüste
Seufz ich nach des Himmels Küste,
Wo er einst berührt die Erde,
Daß der Sohn des Herren werde.

Sehnsucht meiner sündgen Tage,
Morgenland voll heilger Sage,
Schließe auf dein Wundergrab,
Daß ich steig zu dir hinab,
Daß ich steig zu dir hinaus,
Schuldlos ohne Reu und Graus,
Laß mich Gnad bei dir erwerben,
Sei's im Leben, sei's im Sterben,
Und die heilge Todte finden,
Die mich weckte aus den Sünden.
GELINDE.
Was ich herzte, was mich reute,
Was mich schmerzte und erfreute
Schwindet jetzt vor dem Geschick;
Dunkel wird des Himmels Blick,
Schwarze Wolken ziehn herauf,
Und das Schiff nimmt andern Lauf!
[251]
CARDENIO.
Weil dem Himmel wir gehören,
Darf der Sturm uns nicht mehr stören,
Weil wir uns zum Heil gewendet,
Gottes Gnade niemals endet.
AHASVERUS
zu beiden.
Hoffend seht ihr in die Weite,
Und nach langem schweren Streite
Labet euch der Palmenwald.
Mancher wird darüber alt,
Nimmer noch gelang es mir
Daß ich kam zur Grabesthür,
Stürme, Hunger, Krankheit, Kriege,
Hemmten alle meine Züge,
Daß ich mich noch immer quäle
Um mein Heil, um meine Seele.

Wenige von diesen allen
Mögen hin zum Grabe wallen,
Viele schreckt zurück die Noth,
Andre übereilt der Tod,
Andre zieht der Geiz noch ab
Von dem gnadenreichen Grab;
War dies Schiff die Welt zu nennen,
Sagt, wer möchte Gott erkennen?
Über dieser Welt steht Jene, –
Sünder sind auch Gottes Söhne.

Was da treibet all und jeden,
Hört Ihr in des Volkes Reden;
Leget ab des Hochmutes Sinn,
Wendet euch zum Armen hin;
Was ihr lerntet, half euch nicht
Zu dem ewig wahren Licht,
Doch wo viele sind beisammen,
Zeigen sich der Andacht Flammen,
Wie der Blitz, wo Wolk an Wolke,
Zündet Andacht sich im Volke.
[252]
KAPITÄN.
Platz da alter Jude, hier wollen sich gute Christen hinsetzen.
CARDENIO.
Laßt ihr den Alten mir nicht ungestört, bei Gott es geht nicht gut.
AHASVERUS.
Ich bitte dich mein Sohn, vergiß dich nicht, ich find auf jener Seite meinen Platz.
CARDENIO.
Nicht doch, da schlagen ja die Wellen ein und können dich erkälten.
AHASVERUS.
Mein Gram schlagt noch lebendiger und wärmer.
CELINDE.
Wir setzen uns zu dir auf jene Seite.

Alle drei nach der andern Seite.
KAPITÄN.

Es ist mir lieb daß sie abzogen, es möchte sonst nicht gut gegangen sein, ein Kapitän, seht, ist Gott Vater Sohn und heilger Geist auf einem Schiffe, ihm darf man niemals widersprechen, ein Kapitän ist so was Großes als ich das gar nicht sagen kann, sein Wille ist seines ganzen Schiffes Himmelreich – Gotts Wetter, ich glaube doch, wir kriegen heut noch Sturm.

LICHTERZIEHER.
Es wird alleweile schon so düster, daß einer bei Tage Licht anstecken möcht.
KAPITÄN.

Da kann er was verdienen von der lieben Sonne, Lichterzieher, um Gottes Willen sag er mir was macht er auf dem Meer? ja wenns geschmolzen Talg wäre und unser Tauwerk Dochte, da wärs für ihn so ein gefunden Fressen.

[253]
LICHTERZIEHER.
Nein fressen möcht ichs doch nicht.
KAPITÄN.
Macht mir nicht solche Pfiffe vor. Was will er in Jerusalem, ist er so fromm?
LICHTERZIEHER.

Nein mit der Frömmigkeit da gehts wie mit den Krebsen, seit ich so bei ihm bin, aber seh er nur, sie brauchen in Jerusalem einen Lichterzieher.

KAPITÄN.
Je du mein Himmel was brauchen sie denn in Jerusalem für Lichter – ich denke da ist es immer Tag.
LICHTERZIEHER.

Potz blauer Montag, Ihr fahrt um die ganze Welt und wißt von der ganzen Welt nichts, bei der Auferstehung aus dem Grabe werden allein über zehntausend Lichter verbrannt.

KLEINER BUBE.
Ei das muß prächtig lassen, da muß ich auch dabei sein.
KAPITÄN.
Allerweltskröte, bist du auch da.
REICHER PILGER.

Je du Kleiner, sag mir wo hast du denn gesteckt als wir abfuhren; du bist doch größer als eine Maus und sie haben alle Ritzen nach dir durchleuchtet, sei nur nicht blöde.

KLEINER BUBE.

Seht gnädger Herr, ihr ließet euch eine Schildkrötensuppe kochen, die Schale blieb im Schiffe liegen, darin versteckte ich mich und sprang ins Wasserfaß zu den andern Schildkröten, da hat mich keiner aufgesucht.

[254]
REICHER PILGER.
Böser Bube, wenn meine Schildkröten nun davon absterben, was habe ich dann auf der Reise?
KAPITÄN.

Die Wetterkröte, da werf ich dich gleich über Bord, wer zahlt mir denn die Kosten die du mir machst; hast du was mitgenommen von deinem Vater?

KLEINER BUBE.

Ei freilich. Da hat er meine Frühstückssemmel, dafür bin ich schon oftmals über Fluß gefahren und drüben sind mir alle Wirthe schon bekannt, ich habe eine Base drüben die wäscht für alle.

REICHER PILGER.
Du Narr, wir sind ja ich zum Übersetzen eingerichtet übern Fluß, das geht jetzt übers Meer.
KLEINER BUBE.

Nun wie das Wasser heißt, das ist mir einerlei, sind wir bald drüben, ich muß so gegen Abend noch wieder zu Hause sein, sonst wird der Vater böse, er leidets nicht daß ich zur Base gehe.

REICHER PILGER.
Nun seht den Unverstand! – wir steigen erst bei Jerusalem ans Land, das ist noch weit.
KEINER BUBE.

So sputet euch Herr Fährmann, vielleicht ists gar noch eine Strecke Weges von Jerusalem bis zu der Base.

KAPITÄN.
Du dummer Junge, Jerusalem liegt ja auf einer andern Welt, wir bleiben einen Monat unterweges.
[255]
KLEINER BUBE.

Ach allerliebster Herr Fährmann, da thun Sie mir den einzigen Gefallen und halten ein Bischen still und kehren Sie um, das geht ja gar nicht an, der Vater schlägt mich todt wenn ich die Nacht ausbleibe.

KAPITÄN.
Ja, hat sich was! –
REICHER PILGER.

So armes Volk wächst doch auf wie's liebe Vieh; Junge, wie können wir denn umkehren, das kostete ja mehr als du in deinem Leben je verdienen kannst.

KLEINER BUBE.
Ach Gott, du gnädger Gott wie wird mirs gehen!
REICHER PILGER.

Nun Jüngchen mach doch kein Geschrei, was hast du Großes zu verlieren bei dem Vater, der ist ganz sicher ein armer Lump wie du, ich will dich unterstützen, wenn du mir treu willst sein und aufmerksam mich kannst bedienen.

KLEINER BUBE.
Hab ich denn viel zu thun?
REICHER PILGER.

Nicht viel, wenn du es nur zu der gehörigen Zeit willst thun. Sieh, Morgens trink ich erstlich meinen Quittenschnaps, das ist so ein geflochtenes Fläschchen, steht in dem Schranke rechter Hand, dann trink ich eine halbe Stunde später meinen guten Kaffee mit Rahm, sieh dort, da steht die Kuh die mußt du fleißig futtern und dann melken, die Milch abrahmen ...

KLEINER BUBE.

Das nennt ihr eine Kuh, mein[256] gnädger Herr, ich trau mich nicht heran, das Thier hat Hörner und Pferdefüße, das ist Satanas; so hat die Base mir ihn beschrieben.

REICHER PILGER.

Was ist der Mensch wenn seine Eltern nichts an ihn wenden können, da danke ichs dem selgen Herrn Vater in der Grube noch wie er mich hat so trefflich unterrichtet. – Nun mit der Kuh, das wird sich alles geben, glaub mir mein Sohn, so eine Kuh, in einem Kasten festgebunden, die kann dir keinen Schaden thun. – Nach meinem Kaffee esse ich was Frischgebackenes.

KLEINER BUBE.

Das ess' ich auch recht gern, die Base hat mir immer was beiseit gelegt, und sagte mir der Haase hätt's verloren.

REICHER PILGER.

Ei sieh du Spitzbub, weißt auch schon was schmeckt. Nachher da giebst du mir den Augenbader, die Toilette, warm Wasser, schäumest Seife ...

KAPITÄN.

Segel ein, Segel ein, aufgerefft. Ihr Hunde wollt ihr laufen. Ihr Bestien, will euch mit dem Endchen Beine machen.

REICHER PILGER.
Schrei er nicht wie ein Stier, ich kriege sonst mein Nervenzucken, was giebts?
KAPITÄN.

Krieg er die Schwerenoth, das giebt einen Windstoß, ich sehe in der Luft eine Wetterscheide die Wasserhose zieht uns an.

REICHER PILGER.

Zieht doch aus die Wasserhose[257] daß sie euch nicht mehr anzieht, wir brauchen euch ja jetzt nothwendig, da der Weg so uneben wird.

KAPITÄN.

Halts Maul. Hannes zum Bogspriet. Wie hat sich der Bengel, fällt wie ein Fisch von der Angel, fort ist er. Johann machs besser.

REICHER PILGER.
Aber das leide ich nicht, der arme Mensch soll herausgezogen werden, was hat der arme Mensch gethan?
KLEINER BUBE.
Es soll gleich geschehn, ich kann schwimmen, ich spring ihm nach. Springt über Bord.
REICHER PILGER.

Kleiner Bube, kleiner Bube, was machst du, Wasser hat keine Balken. O du mein Jesus, was ist das für eine vermaledeite Reise, ach wäre ich doch niemals auf den verfluchten Gedanken gekommen fromm zu werden, könnte jetzt so ruhig vor meinem Keller sitzen unter der Laube, mir ein Glas Wein nach dem andern reichen lassen. Zieht doch den Knaben heraus, er ist in meinen Diensten.

KAPITÄN.
Mach er mir kein Bauchweh, fort. Er pfeift.
CARDENIO
zu Celinden.

Sieh dort den schwarzen Riesen, er schreitet durch die Wolken und hütet seine weiße Heerde auf den Meereswogen, die Segel und der Meeresschaum sind in dem Dunkel schwer zu unterscheiden, des freue dich Celinde, wie Meeresschaum tritt sein Fuß unser Schief danieder, wie oft hast du [258] mit Sehnsucht von dem Tod gesprochen, vielleicht will es gesellig uns vereinen, die so getrennt fürs ganze Leben und doch verbunden hält ein wunderbar Geschick.

CELINDE.
Noch weißt du nicht das Schwerste, das mich drückt.
CARDENIO.

O sprich, wenn ich auch durch Mitleid es dir nicht erleichtern kann, so thut das Klagen der gepreßten Seele dennoch wohl.

CELINDE.

Bewahr ich dies Geheimniß treu, so spare ich dir Sorgen, und dies Gelübde that ich heut dem Himmel, es dir nur in dem Augenblicke zu vertrauen, wo's unvermeidlich ist.

CARDENIO.

Wie bist du so besorgt um mich, gedenk wie viel ich tragen kann, da ich so vieles hab verwunden, ich weiß der Himmel legt noch schwere Buße auf; dein Schweigen ist mir Buße.

CELINDE.

Vielleicht war mein Geheimnis nur ein Werk der Bangigkeit, die aus dem leuchtenden Gewitter mir entgegenströmt, davon die Haare sich schon schreckhaft aufwärts richten. Ich wollte diese Stunde wär vorüber, sieh meine Mutter schwebt mir vor dort wo die Wolken so in grauen Zügen durch einander wirren, sie drohet uns: nein Mutter, du hast dein Recht auf mich verloren, seit ich den Himmel hab erkohren.

CARDENIO.

Du schwärmst Celinde, doch schwäme glücklicher, dein Kampf ist ausgekämpft, auch wenn [259] du bist besiegt. In diesem Sturm freut sich mein ganzes Wesen seines Ebenbildes, mich quält hier nicht der Vorwurf allgemeiner Ruhe, der mich in schönen Frühlingsgärten hat erschreckt, sieh die Verwirrung so recht gründlich an, so ist es noch in mir – und es wird Stille folgen auf den Sturm. Sieh diese Welle die hoch über uns sich hinzustürzen scheint, jetzt unter uns laut an des Schiffes Wänden tobt und brauset, so stand ich auch, so wüthete ich auch entgegen aller menschlich ruhigen Verbindung, nach meines Geistes wildem Takte sollt sie springen. Doch sieh wie diese große Welle auch nicht ruhig ist, denn auf der großen regen sich viel tausend kleine, der Wind zieht ihre Spitzen in die Luft und jagt sie uns so scharf wie Hagelkörner in die Augen, so war auch ich nicht ruhig in dem Treiben, wie mancher tolle Einfalt hat mich tagelang gequält zerrissen der unerquicklich blieb, so mir wie andern und kaum den Augenblick den er so lang bereitet füllen konnte.

CELINDE.

Gedenk des Guten auch was du mit kühnem Muth verbreitet und wie ich jetzt gelehnt an dich ein schrecklich Schicksal, furchtsam zwar doch nicht verzweifelnd trage. O gieb mir Trost, ich hab so oft vom Tod gesprochen, ihn mir gewünscht und jetzt, wo er mir nahe ist, da uns ein dünnes Brett von ihm nur scheidet, scheint er mir so ganz schrecklich so ganz unmöglich. Cardenio ich fleh dich an, ich [260] will nicht sterben, ich kann nicht sterben, nicht so vor Gottes Angesicht erscheinen, bedecke mir die Augen wenigstens daß ich dies Schrecken nicht darf schauen; vergebens hab ich diese Furcht in mir zurückgedrängt, sie füllet meine ganze Seele. Ich will nicht sterben, nein ich kann nicht sterben.

CARDENIO.

Du armes Mädchen, du athmest noch, du fühlst noch lebst du ja, kannst du des Sterbens denken, gedenk des Lebens noch viel mehr.

CELINDE.

Ich weiß vom Leben nichts, zum erstenmal Cardenio fühl ich die Worte nicht die du mir sagst, ich seh den Blitz der hoch am Himmel flammt und hoch der schwarzen Welle weißen Schaum nur zeigt. Cardenio, ich fleh dich an errette mich.

CARDENIO.

Halt dich recht fest an mir, laß mich nicht los, wie auch das Schiff mag wanken, was auch mit uns geschehen mag, mit diesem Tuche hefte dich recht fest an mich und bete.

CELINDE.

Du gnädger Gott es hilft, ich fühl mein Herz, es füllt sich wieder. O dieses Elend mußte auch noch kommen über uns, war unser Wille nicht so gut.

AHASVERUS.
Nur meiner Sünden wegen wird euch die Fahrt zum heilgen Grabe schwer.
KAPITÄN.

Was sprecht ihr alter Jude, bei Gott ich glaubs, ihr seht mir aus als hättet ihr den Herrn schon verspottet, es ist ein unnatürlich Wetter. [261] He da Conrad, schmeiß den Stall mit der Kuh über Bord.

REICHER PILGER.

Was soll denn das sein, Herr Jesus, ist hier Gerechtigkeit und alles aus, wo krieg ich morgen Milch zum Frühstück.

KAPITÄN.
Wer weiß ob du nicht morgen selbst ein Frühstück bist für die Fische.
REICHER PILGER.

Wenn Sie so schlechtdenkend sind, da halt ich nicht was ich versprochen, wer weiß es noch ob Sie nicht ungleich sind gefahren, das Schiff geht gar nicht recht wies sollte, ich bin zum Sterben krank, die Medizin ist mir zerbrochen, ach Gott, wie bin ich doch zu diesem Elend gekommen.

KAPITÄN.

Laßt uns zu Gott wenden, wir können nichts mehr thun. Wüßt ich nur ein Gebet, je sackerment mir fällt keins ein, will einen guten Schnaps erst nehmen, dann geht es besser mit dem Beten. Er trinkt. Sind wir gleich Protestanten, wir rufen doch die Heiligen an, Donner und Wetter, ich weiß keinen. He noch ein Schnaps. Taback her.

MATROSE.

St. Elmo soll was gelten in dem mittelländschen Meere, wir nehmen einen Paß von ihm, er ist so richtig wie der Amerikansche Paß. Wein her.

REICHER PILGER.
Meinen Magenwein! nehmt nicht meinen Magenwein, ich kann nicht schlafen ohne Magenwein.
[262]
MATROSE.
Das Wasser ist nicht hart, denn es hat keine Balken, es schläft sich gut darin.
REICHER PILGER.
Ich geb euch hunderttausend Thaler, wenn ihr mich schafft gesund ans Land.
KAPITÄN.

Ein schön Stück Geld, wer eine Brücke schlagen könnte in die Luft, der möcht es sich verdienen, ergebt euch dem Teufel, der kann so was.

REICHER PILGER.
Wie mach ich das?
AHASVERUS.

Bewahre euch der Herr, den Teufel meidet, ich weiß von seiner Macht. Ihr zagenden Verzweifler, ich bin ein schwerer Sünder, werft mich ins Meer, denn mich allein will der Sturm vernichten, mich werft ins Meer, so ist des Himmels Wille rasch erfüllt und ihr könnt ruhig zu dem heilgen Grabe wallen.

KAPITÄN.
Werft ihn hinein, er will es haben.
CARDENIO.
Bei Gott ich leid es nicht, so lang ich noch die Arme regen kann.
REICHER PILGER.
Wir solltens doch versuchen, ob es hilft.
CELINDE.

O schont des alten Mannes, er klaget sich in Wahnwitz an, sein Herz ist ohne Missethat, doch ich bin schuldig.

CARDENIO.
Du scheutest eben noch den Tod und willst dich jetzt für andre opfern.
CELINDE.
Ich häng an dir und ich bin stark.
KAPITÄN.

Fort mit euch dreien, ihr seid Wettermacher [263] wie die Türken, die wissen auch so was der Wolken Lauf zu richten, ich hab es oft gehört.

SCHIFFSLEUTE.
Fort hinaus mit ihnen über Bord, wir habens all bemerkt, sie sind so heimlich und verdächtig.
REICHER PILGER.
Bewahre Gott ihr Leute.
KAPITÄN.
Sonst muß der Kuhstall über Bord.
REICHER PILGER.

Ihr scheint so armes Volk ihr könnt leicht sterben, ich will für eure Frau und Kinder sorgen, schreibt mir nur die Adresse auf.

CARDENIO.

Schweigt ihr Nichtswürdigen, ich fühls daß ich der Menge muß erliegen, doch wehe euch, wer leben soll der lebt im Sterben.

CELINDE.
Geliebter, ja, ich sterb mit dir verbunden.
AHASVERUS.
Erbarmet euch der Jugend.
SCHIFFSLEUTE.
Hinunter in das Meer, fort das Schiff versinkt sonst.
CARDENIO.
Gott verzeihe euch! Ahasverus, Cardenio, Celinde werden ins Meer gestürzt.
REICHER PILGER.
Was habt ihr gethan, Leute das ist große Sünde.
MATROSE.
Hat er es nicht geschehen lassen?
REICHER PILGER.
Ich dachte nicht, daß ihr es würdet thun.
KAPITÄN.

Ich nehm das Volk auf meine Seele, es waren Wettermacher, seht der Sturm läßt [264] nach, die Wolken brechen sich, der Himmel scheint hindurch.

SCHIFFSLEUTE.

Ich seh den Himmel mit seinen Wolken für einen Dudelsack an. Das Meer sieht so schlaff aus wie ein ausgelaufener Weinschlauch.

KAPITÄN.
Zieht die Segel auf.
SCHIFFSLEUTE.
Wir sind so müde. Ich kann nicht stehen.
KAPITÄN.
Das kommt vom Saufen.
REICHER PILGER.

Au weh, wie schmerzt mir der Leib, wie ist mir der Kopf so wüst. Hätt ich jetzt nur meinen Magenwein, ich sage ihnen Herr Kapitän, den zieh ich ihnen von der Fracht ab. Aber ihr Kinderchen weil wir doch unser Leben salvirt haben, so laßt uns singen nun danket alle Gott.

KAPITÄN.
Singt nur, ich habe keine sonderliche Stimme, ich will mir eine Pfeife anstecken.
LICHTERZIEHER.
Sagt doch, was ist denn das für ein großes Schiff, was da hinter dem Vorgebirge herauskommt.
KAPITÄN.

Ein Schiff! Wahrhaftig, war ich blind! Das ist ein Engländer, ein englisch Kriegsschiff wir sind verloren, meine Pässe gelten nicht. Es ist ein englisch Kriegsschiff. Kein Segel ist aufgezogen das kommt von eurer Faulheit ihr Bestien, ihr Hunde, ihr Maulaffengesichter, ihr Bärenhäuter, ja komme einer mir nur nahe.

[265]
MATROSEN.

Wir wollen uns wehren, unser Schiff segelt gut, wenn wir nur erst ein Paar Segel auf haben, unsre Kanonen schießen auch.

REICHER PILGER.
Lieben Leutchen, wehrt euch recht tapfer, ich will unten heruntergehen.
KAPITÄN.

Heiliger Gott, könnte ich nur in die Bosheit, in die rechte Furie kommen. Ja ihr Leute, wir wollen uns brav halten, jeder an seine Kanone, sterben kann unsereiner nur einmal; soll es einmal sein so ist es nicht anders; macht aus der Noth eine Tugend; es ist ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben. Ein ferner Schuß. Halt Leute! – Ich kann nicht in die Bosheit kommen. Wie die Verfluchte Kugel sauste, streicht die Segel.

REICHER PILGER
kuckt heraus aus dem Verdeck.

Ist alles vorüber? Sind viele todt? Noch ein Schuß. Au weh, warum sagt er mir nicht daß noch geschossen wird? Zieht den Kopf herein.

KAPITÄN.

Alte fette Schnecke, zieh deinen Kopf herein oder ich tret dich. Ach Kinder welcher Teufel hat die Engländer hergeführt, Kinder kniet nieder und betet.


Ein englisches Boot legt an, Bromly, Lysander mit Matrosen und Schiffssoldaten treten ein.
BROMLY.

Ich glaub hier ist ein Hinterhalt im Schiffe, ihr haltet dicht zusammen, sie möchten uns gefangen nehmen, sie haben sich versteckt.

[266]
LYSANDER.
Da liegen sie in allen Winkeln auf den Knieen. Ergebt euch.
KAPITÄN.
Ach ja mein allergnädigster Herr Engländer, recht gerne.
LYSANDER.

Wie habt ihr euch, wir werden euch nicht spießen wie die Türken, ihr lebt wie wir, das Schiff ist unser.

REICHER PILGER
kriecht hervor.

Mein gnädger Herr ist das gewißlich wahr? Die Herren Englischmänner leben gut, mir haben sie hier alles in dem Sturme ausgetrunken, ein gut Glas Portwein wäre mir willkommen.

BROMLY.

Mein guter alter Herr, das will ich ihnen reichen, sie scheinen mit der Seefahrt noch nicht sehr vertraut, was hat sie auf das rauhe Element geführt?

REICHER PILGER.

Ich wollte nach Jerusalem, nur der Gesundheit wegen, aus Furcht vor einem Schlagfluß, ich meine nun, die Herren Engländer sind zu galant um uns auf unsrer Fahrt zu hindern.

BROMLY.

Mein werther Herr, darüber kann ich ihnen nichts berichten, sehr möglich daß wir jetzt bei Acre landen, das weiß der Kapitän allein. Doch weil sie sich als Pilger uns genannt, sind wohl auf diesem Schiff mehr Pilger, wir suchen drei die uns durch Blut und Freundschaft sind verwandt.

[267]
REICHER PILGER.
Herr Kapitän, sie müssen doch dem Herrn die Pilger zeigen.
KAPITÄN.
Da stehen sie beisammen, es sind nicht viele.
LYSANDER.
Von denen ist es keiner. O des vergeblichen Bemühens, um uns zu täuschen ist das Meer so groß!
LICHTERZIEHER.
Ach Herr, wenn ich sprechen dürfte, es sind auch noch drei Pilger hier gewesen.
LYSANDER.
Wie sahn sie aus.
LICHTERZIEHER.
Ein ganz uralter Jude mit langem Barte, ein junger schöner Herr, ein junges hübsches Mädchen.
LYSANDER.
Sie sinds, sie sinds, wo haben sie euch denn verlassen?
KAPITÄN.
Es war ein großes Unglück, gnädger Herr, – sie sind beim Sturme vom Verdeck gestürzt.
LYSANDER.
O Himmel welch ein Jammer!
LICHTERZIEHER.

Ihr Herren darf ich reden. Ich sage euch, kein Sturm hat sie herabgestürzt von dem Verdecke; – die Bosheit dieser Leute hats gethan; in ihrer Thorheit meinten sie die Pilger hätten uns den Sturm gemacht, der Alte hatte was von einem Hexenmeister, ich muß es selber eingestehn, allein das ist doch keine Manier, mit Passagieren also umzugehen.

REICHER PILGER.
Ich hab das auch gesagt.
KAPITÄN.

Es ist nicht wahr, ihr habt mir beide[268] nichts gesagt und da es alle wollten, und da der alte Mann sich selber hatte angeklagt, so meinte ich es müßte also sein, es war ein alter Schifferglaube.

BROMLY.

Dir soll dein Recht gesprochen werden ich habe keine Worte meinen Schmerz und meine Wuth zu nennen. Was thaten dir die beiden schönen jugendlichen Zweige eines edlen Stammes, – o es ist unerhört, was roher Aberglaube noch für Wahnsinn zeugt.

LYSANDER.
Sprich du verruchter Mörder.
KAPITÄN.

Ich weiß von gar nichts, ich habs in aller Unschuld so gelitten, der Sturm, die Wellen, das Geschrei die drängten auf den Alten ein, der junge Mann wollt ihn vertheidigen, es gab ein Schlagen das Mädchen hielt sich fest an ihn, sie waren nicht des Stehens auf dem Schiffe sehr gewohnt, sie fielen in das Meer ich weiß nicht wie, weiß einer, wer es hat gethan?

MATROSE.
Der Hannes wars, der von dem Maste fiel ins Meer, er hat schon seinen Lohn.
LICHTERZIEHER.
Nein mit Erlaubniß, das ist nicht an dem, der fiel viel früher.
MATROSEN.
Du willst uns Lügen strafen.
BROMLY.
Schweigt, ein strenges Recht soll über euch gesprochen werden.
LYSANDER.

Es giebt die Rache nicht den herrlich vielgeliebten Mann uns wieder, der hier im ganz gemeinen Schicksal ist gefallen, es war der Frau geliebter [269] Bruder, o könnt ichs ihr verschweigen auf dem Schiffe.

BROMLY.

Du hast noch eine Frau! – jetzt hast du dich verrathen – ich bin verschwiegen – nur nenn mich einmal Freund.

LYSANDER.

Mein theurer Freund wie freu ich mich an deiner Brust die Thränen zu verbergen, die dem Soldaten nicht geziemen.


Sidney kommt mit Soldaten.
SIDNEY.
Ihr bleibet lange, schon glaubte ich ihr fändet Gegenwehr, was hat das Schiff geladen?
KAPITÄN.
Wollne Tücher, Leinenzeug.
SIDNEY.

Das kommt uns sehr gelegen, ihr müßt mir aus dem feinsten Leinen eine Windel schneiden, die Wäscherin von deiner Kompagnie Lysander, hat eben einen schönen Knaben in die Welt gesetzt, ich meine schon daß er dir ähnlich sieht.

LYSANDER.

Mein guter Freund, mein gnädger Gott, o halt mich Bromly, daß ich nicht im freudgen Jubel in das Meer mich stürze, dem armen Schwager nach; ach daß mein Dienst mich hier noch hält, daß ich den ersten Jubel muß versäumen.

SIDNEY.
Ich will ihn jetzt für dich schon thun, du übernimmst ihn auch ein andermal für mich.
LYSANDER.
Und wärs vorm glühenden Munde der Kanone. Er geht ab.

[270]

Die Taufe auf dem Meere

Die Taufe auf dem Meere.

Sidneys Admiralschiff der Tiger, Sidney und Lysander auf dem Verdeck.

SIDNEY.

Seht, werther Graf, ich schwimm doch lange schon auf allen Meeren, doch solche Stille sah ich nie wie heute, die platte Fläche sieht so starr uns an, daß unser Aug es kaum ertragen kann, es sieht zum Himmel dieses große helle Auge unseres Planeten, auf dem wir schwimmen wie ein Stäubchen es ist ein Festtag heute aller Welt, ein Feiertag, den wir auch mitbegehen müssen.

LYSANDER.

Es ist doch wahrlich schade, daß unser Herz sich dem Kalender fügen muß, auch mir ist heut seit jenem frohen Trauertage, der mir den Sohn geschenkt, der Frau den Bruder hat geraubt, zum erstenmal recht frei ums Herz, ich wollt es wäre Sonntag, die Sonne scheint so hell.

SIDNEY.

Zum erstenmal vermiß ich heut des Schiffes Prediger, der in dem Portwein ist ertrunken er sollte uns dein Kindlein taufen, es war ein schönes Fest, ein seltnes Fest, bei Gott ich möcht es bei der Taufe halten und meinen Namen, meinen Sinn mit meinem Segen in dem Kind verdoppeln.

LYSANDER.

Der Vater darf des Priesters Amt verrichten, nichts hindert uns mein gütger Freund in dieses Meeres blauen Spiegel des Knaben Seele in[271] dem Meere der Gnade einzuankern, daß sie kein Sturm des Lebens mag verdrängen und zerscheitern.

SIDNEY.

Ich lieb das Rasche und vor allem liebe ich den Augenblick, mag er uns alles nehmen oder geben, gleich eile ich das Schiff zum neuen Feste zu bereiten, thut Ihr das eure, holt das Kind und denkt auf den Sermon. Ab.

LYSANDER.

Ich soll hier Redner werden, ich weiß kein Wort zu sagen als meine Freude, mein Gebet, daß dieses Kind gesund und rechtlich lebe, gut daß Olympie jetzt kommt, die wird mir rathen können.


Olympie in den Kleidern einer reinlichen Magd tritt mit dem Kinde zu ihm.
OLYMPIE.
Was habt ihr mir befohlen, gnädger Herr?
LYSANDER.

Laß diesen Augenblick die schmerzliche Verstellung, die alle wahre Ordnung in der Welt verwirrt, um dieser Schiffsordnung ein liebend Herz zu fügen. Du meine Magd, die ewig meine Herrscherin! Das schlechte Kleid kann nicht dein hohes Wesen mehr verbergen, ein jeder sieht in dir schon einen höhern Stand; ich denk wir lösen heute dieses Räthsel, wo nach dem Willen Sidneys unser Knabe in christlicher Gemeinde aufgenommen wird.

OLYMPIE.

Ganz überraschend ist mir dieses Wort, ganz heimlich wird es doch geschehen, das Kind [272] ist nicht zur feierlichen Handlung angekleidet, auch fehlt der Prediger.

LYSANDER.

Sieh mich recht an, hab ich nicht etwas Christliches in mir, ich muß als Vater seine Stelle heut vertreten, o rathe mir was ich da sprechen soll.

OLYMPIE.
Mich ängstigt dein Scherz, du nimmst zu leicht, was einer Mutter wichtig ist.

Sidney, Bromly kommen mit der Schiffsbesatzung unter Trommelschlag.
SIDNEY.
Gut, daß ihr schon beisammen. Halt. Singt doch ein frommes Lied ihr Leute, singt.
DEUTSCHE SOLDATEN.
Die Welle ist des Menschen Bild,
Die in dem weiten Meere quillt,
Sie steiget auf und sinket nieder,
Dieselbe kehret nimmer wieder,
DIE ENGLISCHEN MATROSEN
fallen ein.
Ganz allein auf weitem Meere
Schwebt der Briten hohe Ehre,
Hat der Meere Wuth bestritten,
Alles Meer beherrschen Briten.

Briten, auf dem Meer geboren,
Haben Freiheit nie verloren,
In den Stürmen, auf den Wogen,
Hat die Freiheit sie erzogen.

Denn von allen Tyranneien
Wollen sie die Welt befreien,
Gott der Herr hat sie erkoren,
Und die Welt geht nicht verloren.
[273]
SIDNEY.

Hurrah. Hurrah. Hurrah. Setzt die Schaluppe aus, daß wir das Kind eintauchen ins offene Meer zum Zeichen der Taufe.


Sidney, Bromly, Lysander mit dem Kinde und Olympie steigen in die Schaluppe.
OLYMPIE.
Bewahrt mein theures Kind recht sorgsam, ach einen theuren Bruder hat mir schon das Meer entrissen.
LYSANDER.

Vergiß den Schmerz in dieser Feier. Nun fang ich an so gut es gehen will zu taufen. – Dich meinen Sohn, rechtmäßig in der Ehe erzeugt mit dir Olympien von Saalathen.

BROMLY.

O meine Schwester du, ich ahnete es lange, ich bins, dein jüngster Bruder Giron, der dich früh verlassen, erkenne mich, o Gott erkenne mich.

OLYMPIE.

Mein Bruder! ja die Stimme sagt es mir, wenn ich dein kindisch Haupt in diesen ernsten narbenvollen Wangen gleich nicht wiederkenne.

LYSANDER.
Mein theurer Schwager. Umarmung.
SIDNEY.

Freund du weißt, was ich bei deinem Glücke fühle, du weißt wie wir verbunden sind! – wenn mich die Welt nicht täuscht, der Kriegszug den wir so froh begonnen, er wird der größte unsres Lebens, ein groß Geschick will uns zum Glück durch Glück bereiten, sei auch im Glücke mäßig, störe nicht die angefangne Feier dieses Festes mit süßem Kuß des Wiedersehens.

LYSANDER.

Verzeiht, mein Herz ist zu voll, sei [274] dieses Stammeln Gottes Lob, sei dieses Zittern meiner Hände, Dank. Und du geliebtes Kind, das ich zum Zeichen Gottes des Vaters, des Sohnes, des heiligen Geistes ins Meer getaucht, sei auch getauft am Feuer Gottes das im Herzen, auf den Lippen glüht und dieser Kuß sei die Versieglung deines Glaubens, sei deiner Ehre Zeichen der Name Sidney, den ich dir feierlich verleihe, sei meines Bruders Name Giron dir stets erinnerlich des Glücks, was deine Taufe uns verliehen, trage jenen vor der Welt und beide in dem Herzen.

SIDNEY.

Amen. O seht ein gutes Zeichen, ein frischer Wind von Westen löst unsres Laufes Stillestand; er führt uns mit dem Feiertage gegen Akre, wo Großes sich ereignen kann. Auf, frisch ins Schiff, noch giebts der Augenblicke mehr zur Freude, wenn die der Thätigkeit erst wohlbenutzet.

BROMLY.

Es zieht dein Heldengeist entzückend mir durchs Haupt; geliebte Schwester, mit meinen Armen heb ich dich aufs Schiff, wie du als Kind mich sorglich oft getragen.

LYSANDER.
Wie ist uns allen wohl.
OLYMPIE.
O Himmel gieb dem Glücke Dauer.
SIDNEY.
Seid sorgsam über euch, daß keiner euch errathe.

[275]

Das todte Sündenkind

Das todte Sündenkind.

Felsenküste. Cardenio und Celinde in zerrissenen Kleidern.

CARDENIO.

Im Anblick eines Meers vertrocknet meine Zunge, ja sie gehorcht nicht mehr dem Geist, der tröstlich manches Wort dir sagen möchte. Armes Mädchen, ist dieses meine Hand, die ich dir mühsam reiche?

CELINDE.

Sie dienet noch zur Stütze mir, der Schwerbelasteten, da du mein hoher Freund in Schwäche selbst versinkest.

CARDENIO.

Ich hör dich wieder, du bist mir nahe, ich sehe dich, seh deiner Wangen Todtenblässe und deiner Augen ausgestorbnes Licht, und doch bist du mir reizender als sonst in Sinnenlust, du bist der einzge Mensch, so weit mein Fuß dies öde Land durchirrt. O sprich, wo blieb denn diese wunderbare Stadt die sich mit bunten Zinnen von grünen Wäldern rings umwogt, vor unsern Augen in dem Frühlicht zeigte, fast meine ich, daß blinder Irrthum, Wahn und Krankheit schon den Traum und Wirklichkeit in mir vermischt seit uns der Menschen Wahn ins Elend stürzte.

GELINDE.

Es war kein Wahn, ich sah die Stadt, ja das Gewühl der Menschen konnte ich bemerken und schämte mich daß ich halbnackt dort einziehn sollte.

CARDENIO.

Sie schwand wie Morgenwolken in dem Thau, ach wär nur Thau geblieben auf der Wüste.[276] Ein Zweifel hemmet jeden meiner Schnitte, ein Unbestand wie diese ruhelose Meeresöde, erhebet sich vor mir und wie die Möwen niederstreifen, die Fische heben aus der Fluth und tödten in der Luft, so sehn ich mich, so flehe ich hinauf in stummem Jammer, daß uns ein Todesengel aus der Elendsfluth erhebe.

CELINDE.
Nie hätte ich gedacht, daß du verzweifeln würdest wo ich noch hoffe.
CARDENIO.

Ach nicht um mich, dein Elend löscht mir jede Hoffnung aus; dein Körper schwillt von Krankheit und von schlechter Nahrung.

CELINDE.

Ich denk nicht meines Elends das du siehst, nicht meiner wunden Füße, es giebt ein größres Elend das ich in mir trage und das du noch nicht kennst.

CARDENIO.
Was giebts für Noth, die nicht auch mir die Haare auf dem Haupte vorzeitig bleichte.
CELINDE.

Ich trage noch viel härtre Noth, doch ich will schweigen, wie ich mir vorgenommen, bis sie zu dir um Hülfe schreit.

CARDENIO.

Entsetzlich, durch Sturm und Fluth, durch Fels und Dorn treibt uns die Wuth des Schicksals, daß wir entblößet durch die Wüste ziehen wie wilde Thiere, und doch versteckest du dein Inneres, das Einzige was jeder offen zeigen sollte, was uns erhebet über Thiere, die nur am Äußern sich erkennen.

[277]
CELINDE.
Wirst du es wissen, so wirst du wünschen, daß ich es dir verschwiegen hätte.
CARDENIO.

Schweigen – kannst du mit Schweigen es vernichten. Sprich alles aus, dann weiß ich erst, daß du im Geiste mit mir eins; seit aus die Bahn der Tugend schied, darf uns Vertrauen um so enger binden.

CELINDE.
Weh mir, die Tugend schied uns und die Natur verbindet mich noch dir.
CARDENIO.
Diesen Jammer sollte böse Lust bestehen können.
CELINDE.

Ach du versteh mich nicht, es giebt ein größres Elend als die Sünde, der Sünden Folge, Frucht und Ausgeburt. Ach weh mir Unglückseligsten in meiner Schwäche sink ich nieder, in wenig Stunden bin ich Mutter, mein Kind hat keinen Vater dem ich es nennen mag, denn seinen Vater wird der erst Liebesgruß zur Qual.

CARDENIO.

Nun weiß ich alles und erschrecke meiner Blindheit. Ja wohl, es gab noch einen größern Schmerz und über menschliche Erfindung weit hin aus geht wahres Elend. Dich soll ich leiden sehen und verderben durch mich, denn hier ist alle Hülfe fern, ich höre schon das Kindlein schreien an der erstorbnen Brust und drücks umsonst an meine, die ihm nicht Nahrung geben kann, und lauf mit ihm zur Wüste und schrei die säugenden wilden Thiere an. Wie [278] kann ich dir hier in der Wüste helfen, wie weiß ich was dir dienen kann? Schon wird es Nacht. Die Thiere haben ein geheim Erkenntniß von allem was ihnen taugt und schadet, das Lamm sucht kaum geboren unter Steinen süßes Kraut zu seiner Nahrung die Bienen kennen aus der Höh den Blumenkelch der ihnen ist eröffnet, der Mensch hat nichts, nichts, worauf er angewiesen – als Liebe –Leise zu sich. die ward mir nicht!

CELINDE.

Schon fühl ich einen Jammer meine ganze Brust erfüllen, nach Wasser sehnt sich meine Lippe, mein Herz – wie eine Liebe schmerzlich mich so ganz erfüllte, so fühl ich jetzt mit sehnendem Gefühl den einen Durst. O schafft mir einen Trunk, nur einen Tropfen, der am Grase hängt.

CARDENIO.

Hilf Gott, mir schwinden alle Sinne, wohin ich seh nur dürrer Staub und salzig Wasser, doch dort, da bebt es in der Luft, da winket mir ein liebend Bild, da find ich Trost. Ab.

CELINDE.
Ich sitz allein
Im Sonnenschein,
Und wein und wein!
Die Sonn allein
Verläßt mich nicht;
Ihr Angesicht
Sie wendet's nicht,
Und Gott den Herrn
Glaub ich von fern
[279] In ihr zu sehn,
So schön, so schön!
In jeder Well
Sein Bildniß hell,
In meiner Brust
Mir unbewußt
Steht auch sein Bild
So mild so mild!

Eine Gestalt, Olympiens Mutter, erscheint.
DIE GESTALT.
Sei mir gegrüßt
Hier in der Wüst,
Bist unbekannt
Mit Sonnenbrand,
Mit Gram und Noth
Ums tägliche Brot.
CELINDE.
Woher kommst du
In stiller Ruh,
Du freundliche Frau,
Der ich vertrau
Mein ganz Geschick
Beim ersten Blick.
Mein Auge bricht.
Hilfst du mir nicht,
Mein Kindlein klein
Bleibt ganz allein,
Wie wird es schrein,
Allein, allein!
DIE GESTALT.
Die Mutterwehn
Mußt du bestehn;
Das Erstemal
Macht Furcht zur Qual
Es endet Schmerz
So wie der Scherz,
[280] So wie die Nacht,
Eh mans gedacht.
Sei nur nicht bang,
Ich wohn hier lang,
Ich bin allein,
Das macht mir Pein;
Hätt gern ein Kind,
Wenn zieht der Wind,
Wenn ich erwacht
Um Mitternacht.
CELINDE.
Der kalte Wind
Mein armes Kind,
Er tödtet's schnell.
Die rasche Well
Entführt es mir,
Wo blieb ich hier.
DIE GESTALT.
Sieh diese Kluft
Voll Rosenduft,
Und Lagerstätt
Mit weichem Bett,
Da steig hinab.
CELINDE.
Es ist mein Grab.

Sie wird in die Felsenhöhle geführt. Es kommt ein Storch, der ein Kind im Schnabel trägt und in die Felskluft mit eilendem Fluge einstreicht, ihm nach singt eine Wolke ziehender Störche von oben.

Hast du schwer am Kind getragen,
Mußt sie mit den Flügeln schlagen,
Hast du müssen lange reisen,
Mußt sie mit dem Schnabel beißen.
Schone nicht, sie ist jetzt schwach,
Daß die Liebe in der Noth
Reue schmerzlich leidend nach,
Liebe macht so schwer den Tod.
[281]
DER STORCH
streicht aus der Höhle und singt.
In meiner Wuth
In der Reisegluth,
Hab ich das Kind erdrückt,
Weh wie sie zum Himmel nun blickt,
Kann nicht mehr bleiben am traurigen Ort,
Nehmet mich Brüder im Sturme mit fort.

Er fliegt fort.
Die Gestalt kommt aus der Höhle, Celindens todtes Kind auf dem Arme.
DIE GESTALT.
Mir lebst du fort
Du liebes Kind,
Dein schuldlos Wort
Erwacht geschwind
In dunkler Gruft
Und zu mir ruft:
O Mutter mein
Will artig sein,
Ich liege still
Nach Gottes Will! –
Die Mutter dein
Bleibt ganz allein,
Sie büßet ab
An deinem Grab,
Die Milch ihrer Brust
Sie spritzt auf die Gruft,
Ihrer Thränen Lauf
Weckt die Blumen auf,
Ihre Trauerzeit
In der Einsamkeit,
Macht sie schnell bereit
Zur Ewigkeit.

Es kommt ein Chor nächtlicher Pilger.
DIE PILGER.
Kommt gute Frau
Fort auf dem Thau,
[282] Wir sind gesellt
Vom Herrn der Welt,
Seiner Gnade Werk
Vollbringt die Stärk,
Seiner Weisheit Kraft
In uns Geistern schafft.
DIE GESTALT.
Ich eil geschwind
Mit meinem Kind
Zum Thron des Herrn
Beim Morgenstern.

Sie schwebt mit den Pilgern fort.
CARDENIO.

Celinde! – Celinde! – An diesem Felsen hab ich sie verlassen. – Celinde! Ich bring dir einen frischen Trunk, komm schnell, sonst läuft er wie der durch die Fingerritzen meiner ausgedörrten Hände! – Entflossen ist er wieder, weh mir und dir! – Celinde! Er läuft suchend umher. Hat dich der Sturm entrissen, der noch am Ufer wüthet. Willkommen Tod erfaß auch mich, o finde mich, aus Milde nimm mich fort aus dieser Schmerzenswelt.

CELINDE
tritt schwach aus der Höhle.

Cardenio, wo ist mein Kind, mein süßes Kind, trägst du es in den Armen, hast du es in dem Meer gebadet?

CARDENIO.
Unglückliche, dein Kind, trägst du es nicht in treuer Mutterhaft?
CELINDE.
Mein Engelskind! Mein einziges Kind! Wo ist die liebe Frau, die es zum Kuß mir reichte.
CARDENIO.

Du Unglückliche, dein letztes Gut, [283] Vernunft hast du verloren, nicht um dein Unglück zu vergeben, nein um gedoppelt es zu wähnen.

CELINDE.

Es ist kein Wahn, beim heilgen Morgenstern, der in die Fluth sich senkt, ich hab ein Kind geboren. Es ist kein Wahn, noch weiß ich wie du mich verlassen um kühlend Wasser mir zu suchen, die gute Frau hat mich getränket und gespeist.

CARDENIO.

Was fabelst du von einer Frau wohl hört ich in der Wüste Löwen brüllen, sie sahen mich bestürzet an, als ich in meinem Jammer stand vor ihnen und flüchteten sich fort von mir, weh uns wenn sie mein trauernd Haupt verschont, um Kindes lächeln zu zerknirschen. O schwere Nacht, willst du endlich weichen, o armes Kind in Nacht empfangen und geboren, so hast du nie das Licht geschaut!

CELINDE.

Unselger Mann, ach wärst du nur bei mir geblieben, du schütztest nicht dein Kind, du gabst es preis den wilden Thieren.

CARDENIO.

Wohl giebts ein wildes Thier, wogegen ich zu schwach bin dich zu schützen, es ist kein Adler der in hohe Luft die Menschen trägt und an den Fels zerschmettert, nein aus der Tiefe langt er zu dir auf, wo dich die Sünde an die Erde bindet.

CELINDE.

That ich dir unrecht so verzeih der Mutter. Mein Kind! Wie reich wär ich in ihm, mein lang verschwundnes Glück, du wärst mir gegenwärtig, du liebtest mich in ihm und seinen Dank könnt [284] ich mit tausend Diensten abgewinnen. Mein armes Kind, es sah die Frau so mild, so gütig, aus, die es entführt, sie glich Olympien. Mein Kind, mein Kind!

CARDENIO.

Zerfleische nicht den Arm, reiß nicht dein Haar vom Haupte, der Buße Pflicht ist nimmer zu verzweifeln, wir leben über unser Leben schon hinaus, ein geschenktes Jahr. Es wird jetzt hell, jetzt läßt sich an dem Boden sehn, ob wilde Thiere, ob ein Mensch dein Kind geraubt.

CELINDE.
Sieh her! hier glaub ich ging ein Löwe.
CARDENIO.

Es ist mein Fußtritt, halb vom Sturm verweht und keinen andern kann ich mehr er blicken, nicht Spur von Menschen oder Thieren, kein Blut. Wer zeigte dir die Höhle, schön geschmückt von Blumen duftend.

CELINDE.

Dieselbe Frau die mir mein Kind geraubt, doch jetzt besinn ich mich, mein Kind war gar zu blaß, und seine Augen waren fest geschlossen, es hatte keine Wärme, keinen Athem, als sie es mir gereicht, und als sies von mir nahm, da nahm sie mir den Ring, den du mir gestern anvertrauet, als er von deinem Finger fiel, und küßte ihn und sagte dann, es sei der ihre, ich lag in halber Ohnmacht nieder, und wie in einem Buche das zerrissen, kann ich nur langsam was ich sah verbinden.

CARDENIO
knieet nieder.

Sie wars, sie wars, [285] Olympiens Mutter, lob Gott den Herrn, der seine Gnade in der Wüste uns erscheinen läßt. Gedenk der Qual wenn wir dies arme Kind, die Frucht der Sünde in Noth verschmachten sähen. Gelobt sei Gott der Herr, er hats zu sich genommen, er schauet wie die Sonne die durch Nebel bricht, auf Wüsten wie auf Städte nieder, die Menschen wandeln vor ihm wie Gedanken, und er vergißt nicht einen. Ihm sei ein Tempel in der Wüste aufgerichtet und unserm Kind ein Grab.

CELINDE.
Mein Kind, mein Kind, so ist der Herr mit dir, gelobet sei der Herr.
CARDENIO.
Ich fühl mich stark zum Dienst des Herrn, in dieser Einsamkeit will ich mein Leben sühnen.
CELINDE.
Fern ist hier süßes Wasser.
CARDENIO.

Sieh her, wer Gott vertraut den läßt er nicht verschmachten. Kaum heb ich diesen Stein zum Altar auf, so springt ein Quell heraus der mich erfrischt.

CELINDE.

Ich kann nicht von dem Wasser trinken, ich sehe einen blutgen Strahl darin, das Blut von unserm Kinde. Ich soll verschmachten, soll nicht Gnade finden.

CARDENIO.

Verkennst du so das Morgenroth das sich der Meeresfluth enthebt, sieh jene Dattelbäume [286] in der Nähe, die uns der Fels versteckte, vertraue Gott und er verläßt dich nie.

Die Reisenden und die Jungfrau mit dem Storche

Die Reisenden und die Jungfrau mit dem Storche.

Der Kümmeltürke und der Waisenhäuser treten auf, Dienemann führt die Maulesel hinter ihnen her.

KÜMMELTÜRKE.

Das fang ich deutlich an zu bemerken, wenn ich so fortfahre mit spätem Aufstehen frühem Zubettegehen, mit Essen und Trinken, da werde ich wenig Reisebemerkungen nach Hause bringen. Es geht mir ganz eigen, wenn ich so eben Willens bin meinen Sekanten aus dem Kasten zu holen und ein Paar Sonnenhöhen zu nehmen, da tritt mir etwas vor die Augen.

WAISENHÄUSER.
Was denn? Du wirst doch nicht blind von dem weißen Sande in der Wüste?
KÜMMELTÜRKE.

Bewahre Gott, nein ich seh recht gut, aber ich seh zu viel; ich will dir sagen das letzte hübsche Mädchen im Wirthshaus das fällt mir immer wieder ein, wir sind Narren gewesen daß wir so fortgegangen.

WAISENHÄUSER.
Du hast mich ja über Hals und Kopf fortgejagt, kaum konnte ich den kalten Braten einpacken.
[287]
KÜMMELTÜRKE.

Ich dachte es könnte meinem guten Rufe als philosophischem Reisenden gar sehr schaden wenn es auskäme daß ich mich mit Mädchen abgebe; es war dir ein prächtig Mädchen, wie sie sich beim Tanzen schwenkte, das war einzig, glich sie nicht meinem Kaufmannsweibchen in Halle.

WAISENHÄUSER.

Nein Bruder, aber meiner Liesbeth glich sie ungemein, ich habe sie auch gleich bekehrt und in mein Verzeichnis eingetragen.

KÜMMELTÜRKE.
Du bist ein Narr, du konntest ja kein Wort mit ihr sprechen, du weißt kein Türkisch.
WAISENHÄUSER.

Desto leichter geht die Bekehrung, da können sie nicht disputiren, solch Volk muß man nur nicht zu Worten kommen lassen, dann ist altes verloren. Ich tauf sie ganz heimlich, ruf sie, wenn ich mich wasche und wenn sie meinen, ich rede nur so vor mich, so sage ich die Formel her, und wenn ich an die Frage komme, ob sie glauben und entsagen, da nicke ich mit dem Kopfe, das machen sie meist wie die Affen nach, dann drehen sie sich wohl um, da bespritz ich sie heimlich und die Sache ist gemacht.

KÜMMELTÜRKE.

Da hast du einen bequemen Dienst, ich möchte mit dir tauschen; ich soll alles Kraut einpacken, alle Vögel ausstopfen, alle wilde Thiere abledern, das ginge altes noch, aber das verfluchte Bemerkungen machen bringt mich in der Hitze [288] noch um allen Verstand und dabei die Sorge, ob auch kein Paket verloren gegangen und wenn die Hefte der monatlichen Correspondenz ankommen, ob auch kein Druckfehler eingeschlichen der mich lächerlich macht.


Ein alter Mann zieht mit vielen Kindern vorüber.
WAISENHÄUSER.

Sieh einmal wer kommt denn da, ein alter Mönch mit vielen Kindern. Je alter Vater, was macht ihr mit den Kindern, die kleinen Heiden machen ja alle das Kreuz?

DER ALTE.
Mit dem Kreuz aus Bambusrohren
Ging ich von Ostindien aus,
Doch mein Beten schien verloren,
Keiner ließ mich in sein Haus,
Und kein Alter wollt mich hören,
Falsche Götter sie bethören.

Nur ein Kind das sah mich gerne,
Lief dann beim Gebet mir nach,
Daß es Kreuzeszeichen lerne,
Andre machten ihm das nach,
Lernten bald auch die Bedeutung,
Alles das nach Gottes Leitung.

Keiner kann es ihnen nehmen,
Immer liegts in ihrem Sinn,
Daß die Väter sich bald schämen
Finden auch ihr Heil darin;
Kinder werden nun Bekehrer,
Unschuld ist der beste Lehrer.
WAISENHÄUSER.

Das ist ganz nach Pestalozzis Erziehungsmethode; darf ich fragen wo Sie die kennen [289] gelernt haben? Warum eilen Sie so gewaltig, es ist heute recht heiß.


Der Alte mit den Kindern zieht kopfschüttelnd ab.
KÜMMELTÜRKE.
Es ist ein eigen Volk hier, giebt aber gute Bemerkungen.
WAISENHÄUSER.
Aber ich habe sie gemacht, ich habe mit dem Alten gesprochen.
KÜMMELTÜRKE.

Darauf kommts nicht an, sondern wers zuerst aufgeschrieben und das bin ich, seht während ihr gesprochen habe ich geschrieben.

WAISENHÄUSER.
Das leid ich aber nicht, ich schlage dir die Schreibfinger entzwei.
KÜMMELTÜRKE.
Du aussätziger Judenbekehrer.
WAISENHÄUSER.
Du Menschenbetrüger, willst du wieder neue Arten Vögel zusammennähen.
DIENEMANN.

Friede mit euch, wißt ihr denn nicht daß wir schon im Gebiete der berühren Jungfrau mit dem Storche sind.

KÜMMELTÜRKE.
Das sind Chimären.
DIENEMANN.
Da kommt sie schon drei häuserhoch angeschritten, ein Storch geht an ihrer Seite.
WAISENHÄUSER.
Mein Seelen ja, die werde ich auch taufen sollen, aber da muß sie sich bücken.

Die Riesenjungfrau mit dem Storche tritt auf.
JUNGFRAU.

Ihr frechen Männlein wagt das Reich der Jungfrau zu beteten, wo euer Gott nichts gilt; die eine Göttin hochverehrt als Schöpferin der[290] Welt, der in der Schöpfungseil der Mann, der ein unfertig Weibsbild ist, entsprang und sich als böses Übel in die Welt verbreitet hat.

WAISENHÄUSER.
Verzeihen Sie, ich muß Ihnen die Ehre haben zu sagen –
JUNGFRAU.

Schweig Unverstand, erst zeige mir daß du an Klugheit überlegen und rathe mir ein Räthsel, das noch auf Erden nie ein Mensch errathen konnte, sonst tret ich dich in Staub.

WAISENHÄUSER.
Wenns nicht anders sein kann, sonst ist das Rathen nicht meine Sache.
JUNGFRAU.

Gieb Acht. Ich kenne einen Vogel der zieht im Herbste fort und kehrt im Frühling wieder, hat lange rothe Beine und einen langen rothen Schnabel, womit er trefflich klappern kann, hat weiß Gefieder doch vermischt mit schwarzem an den Flügeln, er baut sein Nest auf Dächern und – legt Eier.

WAISENHÄUSER.
Der Storch.
KÜMMELTÜRKE.
Der Storch. Storch, Storch Steiner, hast so lange Beiner.
JUNGFRAU.

Ihr habt nicht recht gerathen, ich muß euch tödten, wie ich der Göttin hab gelobet. Sie tritt beide todt. Du dritter Fremdling mußt auch rathen, sei nicht erschocken über diesen Vorfall, bedenk dich wohl es gilt dein Leben.

DIENEMANN.
Geist meines Freundes Wagner steh mir bei. Schreit auf. Die Störchin!
[291]
JUNGFRAU.

Ich bin verloren, ich bin nun dein, du hasts errathen, die Störchin legt die Eier. Jetzt muß ich dir zu Willen sein, was du begehren magst.

DIENEMANN.
So folge mir nach Deutschland dich fordre ich.
JUNGFRAU.
Weh mir, du willst zur Frau mich nehmen.
DIENEMANN.

Nein Gott bewahre, du bist mir ein Paar Stockwerk zu hoch, komm jetzt nur mit, ich will dich dort für Geld als Riesin zeigen.

JUNGFRAU.
O diese Großmuth bricht den starren Sinn, ich muß dich lieben für so viele Güte.
DIENEMANN.
Bleib mir vom Leibe, von einem Elephanten mag ich nicht geliebkost werden.
JUNGFRAU.
Ich unglückselige ewge Jungfrau.
DIENEMANN.

Ich glückseliger Junggeselle. Was werden mir die Engländer in Acre dafür bezahlen, ich werde berühmt wenn ich eine so wunderliche Riesin aus der Wüste bringe, das wird mich besser nähren als das Eseltreiben, ich binde dich an einen Strick und ziehe dich mir nach.

SIDNEY
tritt von der andern Seite auf.

Soll ich es wagen, bei dieser Türken Wankelmuth und Unverstand und bei der Unbekanntschaft meiner tapfern Brüder mit der Landschlacht viel verschlungner Art dem langgeübten Feinde mich zu stellen, es ist unmöglich wenn ich ruhig überlege und doch giebt mir die Sehnsucht [292] tausend Hoffnungsträume. Erst diese Nacht erschien mir eine Jungfrau mit dem Storche und sagte mir, so wie sie selbst auch dem Entfernten sei verbunden durch dieses Vogels wunderbare Züge, so sei in mir der Meere und des Landes Machtwort fest vereinet; ich sagte ihr, es sei ein leerer Traum, sie aber wollte mir am hellen Tag erscheinen. – Beim Himmel ja, sie steht vor mir.

JUNGFRAU.
Sei mir gegrüßt Sieger von Akre. Sie verschwindet.
DIENEMANN.

Ich bringe hier ein wunderbares Riesenweib mit einem Storche, das hab ich mir durch Klugheit eingefangen und möcht es gern zu gutem Preis verkaufen.

SIDNEY.
Wo ist das Wunderthier?
DIENEMANN.

Wahrhaftig ja, es hat sich losgestreift, der Strick woran ichs führte hängt an einem trocknen Feigenbaum.

SIDNEY.

Bei Gott, so sah ich diesen Traum doch nicht allein, es ist kein Wahnsinn der mich blendete, was auch das Schicksal in die Hand mir giebt, ich will es tragen, will es halten und erfüllen. Ab.

DIENEMANN.

Was ist das heute für ein Tag! – der hört mich nicht, die Jungfer fort, die Freunde todt, ich armer Schelm, ach wär ich nur nach Haus.


Kümmeltürke und Waisenhäuser stehen auf und sehen Dienemann nicht.
[293]
KÜMMELTÜRKE.

Wo ist der Schlingel, der Dienemann wieder mit den Eseln hin, sieh, sieh mein Unglück, da wälzt sich ein Esel mit meiner Kräutersammlung und mit meinen Bemerkungen. Dienemann!

WAISENHÄUSER.
Meinen Esel seh ich gar nicht.
DIENEMANN.
Lebst du noch, nun das freut mich, hast du nicht die Jungfrau gesehen?
KÜMMELTÜRKE.
Hast du nicht nach meinen Eseln gesehen, du Erzesel. Er schlägt ihn.
WAISENHÄUSER.

Meine Katechismen sind alle ins Wasser gefallen, der Esel liegt leer im Wasser, zum Teufel um den unglückselgen Traum von einer Jungfrau, der mich befiel, nun weiß ich nichts von meinem Glauben du unglückselger Dienemann. Er schlägt ihn. Schaff mir Rath wo ich meinen Glauben wiederfinde.

DIENEMANN.
Ich habs gerathen und werde geschlagen und die mich schlagen, die haben nichts, gar nichts errathen.

Reicher Pilger kommt mit dem Lichterzieher ganz leise an.
REICHER PILGER.

Ich höre in der Stadt so was von Schießen munkeln, ich dächte lieber Freund wir gingen etwas in die Wüste bis die Sache vorüber, weit von der Scheibe, sicher vorm Schuß, nachher haben wir immer Zeit ein Tedeum zu singen, viel mehr habe ich so nicht zu verlieren als nein Leben. – [294] Aber nun sehe er einmal wie die beiden so unmenschlich auf den dritten losschlagen, laß er uns etwas auf die Seite gehen.

LICHTERZIEHER.

Gott behüte, den Untdrückten muß man beistehen. Ihr Christen, wie könnt ihr euren Mitbruder todt schlagen, es gibt ja deren so wenige hier gegen die vielen vielen Türken.

DIENEMANN.

Das sag ich auch und noch dazu ihren alten Universitätskameraden und der eine will ein philosophischer Reisender sein und der andere ein Heidenbekehre.

LICHTERZIEHER.
Das hätt ich mit hundert Lichtern nicht in den Leuten gesucht.
KÜMMELTÜRKE.
Es ist auch aus mit der Philosophie, meine Kräuter, meine Bemerkungen, alles in den Dreck getreten.
WAISENHÄUSER.
Mein Glauben, meine Katechismen, alles ins Wasser geworfen. Er weint.
REICHER PILGER.

Ach meine Herren, wenn sie nichts weiter verloren haben, da trösten sie sich, nur haben sie auf dem Schiff meinen Magenwein, meine Pestropfen, mein Confekt aufgefressen, allen meinen Lebensgenuß. Ach meine Herren, wenn sie meiner Meinung sind, so wollte ich behaupten wir wären die unglücklichsten und die edelsten Menschen in der Wüste.


Es erscheinen viele reisende Araber.
DIENEMANN.

Neues Unglück, unsre Araber sind[295] geflüchtet und wie die Heuschrecken jagen die flüchtigen feindlichen Araber über den Sand.

ALLE.
Wir sind verloren.

Die Belagerung

Die Belagerung.

Akre. Sang an einer der abgelegenen Stadtmauern, auf welcher Wachen ausgestellt sind, der Mauer gegenüber sehen wir einen von Kugeln durchlöcherten prachtvollen Gartensaal; das, Marmorbad in seiner Mitte haben die Engländer mit Punsch gefüllt, ein kleines Kind mit Flügeln fährt auf einem zierlichen Kahne darauf umher und schenkt ihnen ein, eine Abtheilung sitzt an einem runden Tische und singt.

ENGLÄNDER.
Rund ist der Tisch,
Die Welt ist rund,
Der Freunde Bund
Sitzt rings noch frisch,
Laßt die Kappen schellen,
Laßt die Hunde bellen,
Laßt die Feinde schießen,
Besser wär es, wenn sies ließen.

Großes Schießen, eine Kugel schlägt ein, einer fällt, sein Nachbar ruft: dein Glas hättst doch noch trinken können, ich trink es auf dein ewges Wohlsein.
ENGLÄNDER.
Rund ist das Glas,
Auf stoßet an,
Und Mann für Mann,
Das wird ein Spas,
Laßt das Glas zerschellen,
Daß die Ohren gellen,
Laßt die Feinde grüßen,
Weil sie uns den Wein noch ließen!

Alle durstige Feinde sollen hoch leben!
[296]
ENGLÄNDER.
Wer ohne Stimm,
Der schrei nur recht,
Das klingt nicht schlecht
Im rechten Grimm.
Jeder treib sein Wesen,
Hexen auf dem Besen,
Feinde mit dem Spießen,
Mädchen mit dem ewgen Küssen.

Es kommen türkische Frauen, welche die Thüren des Harem durchbrochen und die Verschnittenen überwältigt haben, sie gesellen sich zu den Engländern und machen sich durch wilde Küsse deutlich. Olympie, die bei ihnen in Verwahrung gebracht worden, stürzt mit ihrem Kinde heraus und durch den Saal auf die Gasse.
OLYMPIE.

Wohl mir daß ich in deiner Stille züchtge Nacht aus dieser Frauen sträflich Leben bin entwichen, wie sind sie in des Lebens stetem Zwang verwildert, die Freiheit wird in ihnen Frevel, weh dieses Anblicks, sie fechten mit einander um die fremden Männer, die stolz so wilde Triebe einzuflößen, den Mord als Opfer ihrer Lieb annehmen. – Die Noth hat alle Pforten guter Zucht hier aufgesprengt, die Noch macht sich vertraulich mit den Menschen. Weh dort brennt das Krankenhaus, umsonst ist da die Kraft des Wassers, denn immer neue Feuerlinien bezeichnen in der Höh den Weg der Bomben, die alle in die Gluth sich senken und diese Gluth so weit umher zersprengen. O dieser armen Kranken! Was half die Labung, die ich ihnen heut gebracht! Wie mancher fühlte Tod in seinem Blute fiebern und dachte nicht daß ein noch frührer Tod ihm von dem Himmel werde [297] fallen. Ich hör die Klagen der Verzweifelnden und hör den Übermuth der andern, ich sehe ahnend die blutgen Wunden, die diese Rasenden vom Leben reißt. Wie herrlich ist mein Lysander in aller Noth, viel herrlicher noch als im Glücke, da steht er würdig ohne Übermuth, bereit und thätig ohne es zu sagen, sein ganzes Wesen wird zur That. Du heilger Gott gewähre mir was ich dem Mann versprochen als er mit Schmerz erlaubte daß ich ihm folgen durfte in des grausamen Krieges Spiel, gewähre mir daß die Verzweiflung mich nicht fasse, daß ich des theuren Hauptes Sorge nicht vermehre, viel lieber laß mich sterben und sorg für dieses Kind, das auch dem Ebenbild.

DIE ENGLÄNDER
haben sich wieder gesetzt, nachdem sie die Weiber unter sich getheilt und singen.
Faßt mir den Stuhl
Und rutscht dreimal,
Das macht den Saal
Zur Judenschul:
Laßt die Gläser klingen,
Laßt die Kehlen singen,
Laßt die Feinde schießen,
Nichts soll heute uns verdrießen.

Schreib mit dem Fuß
Dir hinters Ohr,
Der größte Thor,
Wer ohn Genuß:
Laßt die Gläser klingen,
Laßt uns dreimal springen,
[298] Laßt die Feinde schießen,
Wir nur wollen richtig schließen.

Nun schließ den Mund
Der Politik,
Brich oder bieg,
Sieh auf den Grund.
Trinken sperrt die Kehlen,
Wer will sich mehr quälen,
Laßt die Feinde schießen,
Zwerge sind es, keine Riesen.
OLYMPIE.

Leichtsinnig sucht sich der gemeine Mensch des Feindes Kraft mit Lügen zu verkleinern, was hab ich nicht gehört von unsern Feinden, wie sie so klein und ausgetrocknet, von Fröschen und von Zuckerwasser knapp genährt, sie würden schon vom Anhauch eines kräftgen Menschen niederstürzen. Ich glaubte das, wie war ich nicht verwundert als ich die ersten lustig durch die Wüste zu uns ziehen sah, so sichern Schritts als ob wir ihnen schon gehörten, da stürzten türksche Reiter auf sie ein, von allen Seiten schienen sie zu fechten und hatten schon in feste Reihen sich geschlossen, wie ein Pallast, der einen Hof umschließt, so drang ihr Viereck unaufhaltsam vor, es war das Feld bedeckt mit türkschen Bunden, es flohn die Türken und wär Lysander nicht mit einer tapfern Schaar von Schiffsoldaten vorgerückt, sie wären mit den Flüchtgen in die Stadt gedrungen. Zwei waren schon voran, verwundet und noch kämpfend entgegen [299] dem Geschick, sie mußten sich ergeben, Lysander rettete sie aus dem Hohn der wilden Menge, sie konnten unsre Muttersprache reden, Lothringer warens, große schöne Männer von sicherm Ansehn gewandt in Reden daß unsre Leute meinten wenn die nicht wären ausgesendet sie zu schrecken, so möchten sie so bald nicht fertig werden mit den andern.

ENGLÄNDER.
Seid doch so gut,
Trinkt nicht zu viel,
Zum ernsten Ziel
Bringt kaltes Blut,
Brennt die Pfropfen an,
Malt den Schnurrbart dann,
Laßt die Feinde schießen,
Also wollen wir sie grüßen.

Was kommt heraus,
Bei allem Wein,
Viel kommt herein
Nichts geht hinaus,
Seht die Löwengrube,
Hier in dieser Stube,
Laßt die Feinde schießen,
Wenn wir sie hierher nur stießen.
EINER.
Drück mir die Hand,
Die Wund drück aus,
Beim hitzgen Schmaus
Flieht kalter Brand;
Wenn ich laut gleich schreie,
Drück mit alter Treue,
Laß die Feinde schießen,
Laß die Wunde sich ergießen!
Au weh! Au weh! An weh!
[300]
OLYMPIE.

Arme Mütter, die euch aufgezogen mit der Sorge reger Wachsamkeit, eure Sorge ist verloren, denn der Muthwill spielt mit eurem Blut. Würfel spielen auf dem Sterbenden die Halbgestorbnen, und sein Leichnam wird ihr Sterbekissen. Tausend, die in Wiegen sorglich eingeschläfert und umhüllt gegen die kalte Luft, werden nackend in die weite Grube an der Schlinge wie die Missethäter hingeschleift, noch am Haar und Zähne drin beraubt, daß sie zieren einen Thoren, der in Ruh sein Geld inzwischen häufte, ihre Güter an sich riß, ihre Frauen hat verführet, ihre Kinder ließ des Elends Raub. Wie ein Holzstoß werdet ihr da unten aufgeschichtet, aber keine Flamme lodert auf, euch zu rächen, euer Grab wird keine Thräne netzen in dem fremden Land. Armer Knabe dich hab ich zum frühen Tod geboren, ja die große Mordwerkstatt fördert rasch die schlimme Arbeit, der Kanonen gleiche Schläge fallen. Ach dein Vater sieht vielleicht in einen offnen Feuerrachen, und jetzt haut der Feuerwerker mit der Lunte auf, – weh, jetzt brennt sie los – wohl mir daß es nur die Furcht, weh mir daß mich Furcht entrissen vom vertrauensvollen Glauben. Keiner kennt ihn, wer auf ihn mag zielen, aber Gott, der kennt ihn, wird ihn schützen, folge ihm mein Sohn auf gleichen Weg der Ehre.

[301]
EIN JÄGER
kommt mit zerschoßnem Rocke und zündet sich eine Pfeife im Saale.
Pro patria,
Heißt mein Taback,
Und mein Verhack,
Das ist ganz nah,
Wie die Feinde rennen,
Fidibus muß brennen,
Laßt die Feinde schießen.
Will mein Leben noch genießen.

Ich bin Prophet
Und thu euch kund,
Es ist zu bunt,
Wie es hergeht,
Durch die Pulverwolken
Bei den Tabackswolken
Laßt den Feind nur schießen,
Nun Adies, die Hörner bliesen.
EIN REITER
tritt ein und hat Zaum und Sattelzeug in Händen, das er traurig betrachtet.
Das schimmlicht Brod,
Das Wasser faul,
Macht todt den Gaul,
Den Schimmel tod,
Könnt ich noch drauf sitzen
Wollt ich hier nicht schwitzen,
Und was hilft das schießen,
Thränen meinem Schimmel fließen.

Er weint.
OLYMPIE.
Was die Mensch bindet,
Lieb und Freundschaft schwindet,
In der allgemeinen Noth,
Brüder senden Brüder in den Tod,
Väter über Söhne
Ohne Schmerzenstöne,
[302] Nur zum Pferde dauert noch des Kriegers Liebe,
Weils ihn in den Tod getrieben,
Ihn errettet, wo er war geschlagen,
Und zum Sieg getragen,
Seines Lebens bessre Hälfte kann ers nennen,
Seine Ehre hat er ihm vertrauet,
Was da furchtlos an das Feuer wagt zu rennen,
Auf den Weg nur schauet,
Ist ihm mehr als Freund und Gott und Glück,
Bringt ihn ehrenvoll ins Vaterland zurück:
Vaterland im Himmel auf der Erde,
Sucht der Reiter nur auf seinem Pferde.
ENGLÄNDER.
Grün ist das Laub,
Das mich umwallt,
Und alles schallt
Und ich bin taub,
In die Weinlaub legen
Wir Musket und Degen,
Laßt die Feinde schießen,
Weil wir in Trompeten stießen.

Trompetenschall.

Alt ist die Zeit,
Wo Bucchus zog,
Doch keiner sog
Sich je gescheidt!
Sauft heut wie Kanonen
Alle ohne Schonen,
Feinde zu begrüßen,
Soll ein Ausfall dies beschließen.

Eine Bombe schlägt durchs Dach, die Soldaten greifen jubelnd zu und werfen sie löschend in den Punschnapf.
ENGLÄNDER.
Es kracht das Dach,
Die Bomb einschlägt
In Punsch gelegt
Erlöscht danach,
[303] Läßt das Platzen bleiben,
Will sich Zeit vertreiben,
Ließ sich hieher schießen,
Um als Stahl im Punsch zu büßen.

Ja rufet all;
Gut ist die Bahn,
Fühlt auf den Zahn
Mit lautem Schall,
Laßt die Kehlen brüllen,
Seht sie fliehn im Stillen
Seht die Feinde fliehen,
Laßt uns mit Musik zum Streite ziehen.

Die Musik voran, jeder mit einem Glase und mit seinen Waffen treten sie heraus und bemerken Olympien.
VIELE.
Guten Tag, gebt uns noch einen Wunsch mit auf den Weg.
OLYMPIE.
Sei Gott mit euch, dann ist der Sieg gewiß.
EINER.
Ich wollte nur sie gäb mir statt aller Wünsche einen Kuß.
ANDRER.
So sags ihr doch.
EINER.
Habt ihr an euern Herrn gar nichts zu bestellen?
OLYMPIE.
O sagt ihm nur mir wäre wohl, er möchte meiner nicht gedenken.
EINER.
Ein Kuß wär ihm schon lieber als der Wunsch.
OLYMPIE.
Jetzt ist zum Küssen keine Zeit.
ANDRER.
So recht, da hast dus Bruder.

Alle ab.
[304]
OLYMPIE.

Alles Edle tritt die Noth danieder und vernichtet alles Schönen Preis, was dem edlen Menschen frohe Gabe Kuß und Händedruck, wird zum leeren Muthwill in dem Kriege; was erzwungen, was die Liebe giebt kann des Krieges wilde Eil nicht unterscheiden und die grimmen Lasterthaten sind vollbracht noch eh sie sind bedacht. Mein armes Kind, du sollst kein Krieger werden, viel lieber send ich dich zu der Braminen frommen Schaaren, die zu der irdschen Nahrung keines Bluts bedürfen. Es wird mein Blut so schwer mir in den Adern und Müdigkeit drückt meine Augenlieder, gewiß, es geht die Sonne auf, es weht so kühl – ach, daß mich jetzt ein Schrecken weckte, denn dieser Schlaf ist über alles schrecklich. –


Indem sie einschläft, erweckt sie der Gesang der Schildwache auf der Brustwehr.
SCHILDWACHE.
Wachend am Felsenhang
Über das weite Land
Rauscht mein Gesang,
Und wie ein Feuerbrand
Steiget die Sonn im Sand
Ehe des Abends Gluth
Kühlet im Blut.

Röthlich die Sonne blinkt,
Schimmert am Flintenlauf,
Rache mir winkt,
Seh ich im schnellen Lauf,
Ziehet ein Schütz herauf,
[305] Schieß ich, so schießt er nicht
Mir ins Gesicht!

Ein Schuß stürzt die Schildwache nieder als sie eben schießen will, die Leiche fällt vor Olympiens Füße, die sich schaudernd davon abwendet.
OLYMPIE.

Wehe – er ist schon todt, ins Herz traf ihn die Kugel, so mußte ihn der Tod erschleichen am entfernten Platze, hier wo alles sicher schien – leisen Tritt hat der Tod, wenn er nur will, auch den der ihn erwartet überschleicht er unverhofft. Halt fest in meiner Seele du freundlicher Gedanke des unbemerkten Überganges, du giebst mir Kraft und Muth zurück. Was sollte ich des Schreckens Stufen zählen wenn dieser unendliche Sprung so unbemerkt geschieht. – Der Sturmmarsch schallt und keiner von den unsern sieht daß dieser Posten unbesetzt, ich will zur Wache eilen, – doch auf, vielleicht ists dann zu spät – vielleicht hat sich der Feind dann unbemerkt der Mauer angenähert; – es ist der Feind von meinem Mann, es ist der meine. Mein Kindlein setz ich hier aufs Moos in diese Felsenhöhlung – es schlummert sanft – leb wohl geliebtes Kind, der blutge Mantel des Erschoßnen soll die Mutterbrust bedecken, – ich setze mir des Todten Mütze auf und sein Gewehr ist noch geladen – ich bin Soldat! – von Furcht in Kühnheit umgewandelt, wie wars im Denken mir so schwer, wie wirds im Thun so leicht; Allwissenheit, Allthätigkeit des ewgen Gottes, wie doch [306] Gott dies beides tragen kann. Und gleich belohnt sich mir der Muth, da seh ich den geliebten Mann, der seit zwei Tagen von mir fern, er ist verloren sieht ihn der Feind wie ich ihn sehe so rastlos thätig Geschütz zu ordnen, die Bresche neu zu füllen. Vor ihm da dringts gewaltig an, vor mir sind wenige und die wenigen zerstreut; – zu hoch ist hier die Mauer zum Ersteigen – sie scheinen auf den Ausgang noch zu harren, sie lassen mir zu müßigen Gedanken Zeit. – Wer mag sich nahen auf dem Schimmel im grauen Überrock, er jagt, er setzt über Gräben; wie eilt er in den Tod, wie oder ist da Leben ihm gewiß? jetzt hält er ruhig still und überblickt als wäre er ein Bild von Stein, er ist nicht groß doch wunderbar von Angesicht, er scheint Befehle auszutheilen, hat eine Karte vor sich ausgebreitet, so sah ich nimmer einen Menschen, es bebt mir innerlich, ist er ein Gott, ist er ein Dämon der rechnet mit der ganzen Welt, es geht ihr Schicksal ernst an ihm vorüber und er erreicht es nicht. Was denk ich über ihn und sollte handeln gegen ihn als Feind. Traf ich doch oft Schwalben in dem Flug, jetzt ist er mir ganz nahe auf dem Korne, mir pocht das Herz, ein flammend Licht umwallet ihn, es flimmert mir wie ein beweglich viel gezacktes Festungswerk vor meinen Augen, klar muß ich sehen – jetzt ist er fort, ein Hügel deckt ihn mir. Unmöglich ist es einem Mutterherzen das edle [307] Menschenleben das ihr so viele Schmerzen kostet zu zerstören, ich kann auf keinen Menschen schießen und kostete es mich das Leben. – Weh eine schwere Kugel schlägt bei meinem Mann herein, gleich sind sie alle auseinander als müßte eine zweite an derselben Stelle fallen, er steht – er schüttelt sich den Mauerestaub von seinem Hute – die Kugel hat den alten Thurm über ihm durchlöchert. – Jetzt gehts im Dampfe unter, der Sturm so dicht gedrängt und durch den Sturmmarsch schallt mir eine fürchterliche Stimme, heilger Gott laß mich und die meinen sterben, doch gieb den Unsern Sieg. – Die Feinde gehn zurück – und wieder vor, ich hör die fürchterliche Stimme wieder, weh die Feinde sind über die Brückenschanze, die Unsern weichen – alles ist verloren – da stellt sich einer mit der Fahne wieder vor, – die Feinde wie geblendet, die Muthigsten von ihnen todt, ich hör nicht mehr die fürchterliche Stimme, der Fähnrich ruft den Unsern zu ihm rasch zu folgen:

Auf der Brücke der Fähnrich die Fahne pflanzt,

Die Fahne wächst und wallet im Wind,

Der Todesreihen so schnelle geschwind

Um sie im Wirbeldampfe tanzt,

Daß ihm der Augen Licht vergeht,

Doch muthig er bei der Fahne steht;

Und keiner wagt sich hin zu ihm,

Er allein im Pulverblitz erschien.

Der Tod, der ihn also nicht fassen kann,

Greift seine gepflanzte Fahne an,

[308] Die hält er, die steht wie ein Eichenbaum,

Der Tod streift hinüber, ein leichter Traum.


Und nun die Bursche sie stehen sehn,
In ihrem Herzen Flammen erstehn,
In ihrem Bart ein wildes Ergrimmen,
In ihrem Herzen ein blutig Beginnen
Und wo der Fähnrich mit der Fahne stand,
Der Sieg sich erst hat vom Feinde gewandt.
Aber die Erde ist noch im Tosen,
Doch geschlossen das himmlische Losen
Und die Unsern im Gewinnen,
Können sich selber nicht besinnen.
Hinter der Feinde flüchtige Menge
Ziehen sie schreiend in wildem Gedränge,
Drängen sich über die Brüder hinab,
Finden im Wasser ein offnes Grab,
Schlagen die Hände noch jubelnd zusammen,
Sinken hernieder wie löschende Flammen,
Gelobt sei Gott auf hohem Himmels-Thron.
Dem Fähnrich sei gnädig Gott der Sohn.

Sie sinkt betend nieder.
Lysander, von der Fahne fast bedeckt, wird von seinen Soldaten in ihre Nähe getragen.
LYSANDER.

Hier setzt mich nieder, hier ist ein stiller Ort; nun geht zum Kampf zurück, ich wollt, ich könnt euch führen; das Meiste ist gethan, doch versäumt das Letzte nicht.

SOLDATEN.

Ihr seid ein tapfrer Herr, ihr wollt doch stets allein sein, so im Streite so im Tode. Lebt wohl für diese Welt, auf Wiedersehn.


Sie gehen.
LYSANDER.

So weit ists doch mit mir noch [309] nicht. – Was macht denn oben jene tiefgebückte Wache, die Memme betet als wenns jetzt Zeit zum Beten wäre; he Schildwach, das Schießen ist Gebet bei den Soldaten.

OLYMPIE
die sich aufgerichtet und zu ihm eilt.
Licht der Sonne, mein Mann trug dort die Fahne er hat gesiegt, er stirbt.
LYSANDER.
Ha, die zarte Stimme in dem rauhen Kleide, bist du's Olympie? Wo ist mein Kind?
OLYMPIE.
Dort schläft es ruhig unterm bebenden Felsen, es weiß von meinem Unglück nichts.
LYSANDER.

Ich wollte doch daß es mein Glück gesehen, wie ich die Stadt errettet, wie ich errettet Sidney, als ihn ein Bajonett durchbohren wollte.

OLYMPIE.

Du bist zu großem Werk von Gott geweiht und ich zu großen Schmerzen, du sagst mir nichts von deiner Wunden Schmerz, wie nagst du so das Leben das uns verbunden mit hartem Herzen jetzt verachten.

LYSANDER.

Bei Gott ich lebte noch recht gern dir und dem Knaben, auch glaube ich es steht so übel nicht mit mir.

OLYMPIE.

So wird mir wohl, hier ist ein Trunk den der Übermuth im Saale stehen ließ, er kann wohl dich laben. Sie bringt eine Schale mit Punsch aus dem Saale.

LYSANDER.

Hab Dank, das nenn ich Wohlthat, [310] ich lebe wieder auf, es jagt das Blut durch meine Glieder. Weh mir, wie brennt der Schmerz so krampfhaft in den Wunden und kühlt dann wieder durch die Glieder, es ist als lebte ich in zweien Zonen hier zu gleicher Zeit, es trennt sich alles, du hältst wie eine Brücke alles noch zusammen, ja da steh ich fest, halt! – mir nach, dort unten braust das Schicksal ewig, ewig sind geschieden diese Völker. O Weib, was hast du mir für einen giftgen Trank gereicht?

OLYMPIE.

Lysander, es haben hunderte davon getrunken ohne Schaden, hör mich, was drehst du dich so heftig von mir fort, kommt keiner mir zu Hülfe! Der euch zum Sieg geführt liegt von der Raserei bezwungen.

LYSANDER.
Bidibum, bidibum, bidibum,
Es geht ein Trommelschall im Reich herum
Es zieht aus allen Ecken
Ein schweres Kriegeswetter,
Bald wird der Thürmer wecken,
Wo sind dann unsre Retter,
Es wirds der Thürmer sagen,
Wo es hat eingeschlagen.
OLYMPIE.
Es ras't der Mann, es schreit das Kind, der Jammer lähmt mir alle Glieder.
LYSANDER.
Zwei Stunden weit von hier,
Da gehts nicht gut, da werden wir geworfen,
Es rasselt schon die Spritze,
Sie spritzet heut Granaten,
[311] In unsers Feuers Hitze,
Wer hat so schlecht gerathen,
Im Stürmen ist kein Rasten,
Dabei das strenge Fasten.
OLYMPIE.
Helft, helft, ich halt ihn nicht, er nagt die dürre Erde.

Viele rufen in der Entfernung Victoria.
LYSANDER.
Die Männer stehn am Feuer,
Es schmilzt das Wachs vom Barte,
Das Leben ist nicht theuer,
Nimm eine Schweineschwardte,
Häng sie als Panzer über,
So schützt sie dich mein Lieber.
Wer übrig ist geblieben,
Hat wenig sich zu freuen,
Zur Einsamkeit getrieben
Wird ihn sein Sieg gereuen,
Im Grabe liegt mein Wappen
Mit tausend Narrenkappen.
OLYMPIE.

Wenn er mich einmal nur recht angeblickt, er müßte mich doch wieder kennen, stets wendet er sein edles Auge fort.

LYSANDER.
Hab ich mich hier begraben,
So soll mich keiner haben.

Sidney kommt mit Gefolge.
OLYMPIE.

Erbarmt euch Herr des Schwerverwundeten dem alle Hülfe fern, ein scharfer Hieb in sein geliebtes Haupt hat ihn in wilde Raserei gesetzt.

LYSANDER.
Zwei Stunden, sag ich euch, von hier, da gehts uns übel, schicket Hülfe nach.
[312]
SYDNEY.

Schickt alle Reiterei den unsern nach, wohl mag es sein daß sie sich allzuweit gewagt, des Feindes Rückzug schien geordnet. Das war besorgt, nun denk an dich.

LYSANDER.
Nun will ich sterben.
SIDNEY.

Nein edler Freund, dir bin ich mein Leben schuldig, ich will die Schuld so weit es mir vergönnt, mit treuer Sorge für dein Leben abbezahlen, leb auf in meinen Armen, und dieser Lorbeerkranz den mir der Türken frohe Menge dargebracht, er kühle deines Hauptes Wunde, du hast ihn ganz verdient.

LYSANDER.

Es drückt der Kranz die schrecklichen Gestalten nieder die in mein Auge stürmten, ich kenn euch wieder, dich edler Freund, dich edles Weib, ich will nun wieder leben; wo war ich eben, von einer Feuersbrunst umgeben und konnte keinen Fuß zur Rettung fortbewegen, ich glaub es war die Fahne die so feurig mir erschien, gieb sie dem Regimente wieder. Was thut der Feind?

SIDNEY.
Er ziehet sich zurück, der Türken und der unsren viele verfolgen ihn.
LYSANDER.
Wenn nur die Unsern nicht zu hitzig sind, könnt ich nur nach.
SIDNEY.
Jetzt sorg für dich, ich übergebe dich den Händen dieses wackern Arztes.
OLYMPIE.
Ich les in jedem seine Blicke Tod.
ARZT.

Die Wunde ist nicht tödlich, doch gefährlich,[313] bei Wunden an dem Haupt läßt sich so schnell noch nichts verkünden, doch tödlich wär dem Kranken jetzt das Fieber das in der Gegend wüthet, ein Nachlaß schlecht verscharrter Leichen, sobald ihr seid bei Kräften ja möglichst bald müßt ihr die Stadt verlassen.

LYSANDER.

So führt mich nach Jerusalem, es sehnet sich mein Herz dahin, am Grabe des Erlösers möchte ich genesen oder sterben, auch dich geliebtes Weib und unsern Sohn möcht ich aus dieses Krieges Nähe führen.

OLYMPIE.
Es ist mein liebster Wunsch nach jener Stadt des ewgen Heils zu wallen.
SIDNEY.

Ich folge eurem Ruf, der mich wie eine Himmelsstimme hat ergriffen, ich zeichne dieses Kreuz mit meines Freundes Blut auf meinen Mantel ich will die müßge Zeit dem heilgen Dienste weihen wer folgen will zum heilgen Grabe thu desgleichen; dir armer Freund hat schon der Feind ein blutges Kreuz auf deine Brust gezeichnet.

LYSANDER.
Ich hab sie nicht bemerkt die Wunde auf der Brust, sie schmerzte nicht.
SIDNEY.
Bereitet euch dem Herrn ein frommes Herz zu bringen, er hat so viel für uns gethan.

Viren und Bromly kommen leicht verwundet.
SIDNEY.
Auch ihr seid schon mit blutgem Kreuz bezeichnet, wir ziehen alle gen Jerusalem.
[314]
BROMLY.

Ja Feldherr, bessres Glück mag dort uns segnen, als jetzt bei dem Verfolgen, zwei Stunden weit von hier verloren wir viel tapfre Männer durch die Übermacht.

LYSANDER.
Und durch den Übermuth. Gott hat so viel für uns gethan, gelobt sei Gott.
VIREN.
Wenn du ihn loben magst, du Schwerverwundeter, da stimm ich ein.
OLYMPIE.

Aus grünen Zweigen ist die Bahre jetzt bereitet, die mir das Theuerste zur Heilung tragen soll, jetzt hebt ihn sanft hinauf und ich bin deine Bahre süßes Kind, komm in der Mutter Arme.

ALLE.
Hebt den Held auf grüne Zweige,
Hütet ihn vor jedem Stoß,
Ach was war auf Erden groß,
Das sich nicht zur Erde neigte.
Nur das Kreuz, das steht am Himmel,
Ewig immerdar erhöht,
Wo ein ewger Friede weht,
Unten nur stürmt Kriegsgetümmel.

[315]

Die Versuchungen in der Wüste

Die Versuchungen in der Wüste.

1. Wüste in der Nähe prächtiger Ruinen. Ahasverus und der kleine Bube, der von dem Schiffe ins Wasser gefallen, liegen im Gebete vor einem Kreuze.

BUBE.

Unser täglich Brod gieb uns heute. – Ehrwürdger Vater, hätten wir nur Brod und dürften wir heute nur essen, ich bin gar hungrig, zu Hause kriegt ich immer Leckerbissen wenn Fasttag einfiel, hier krieg ich nichts.

AHASVERUS.

Mein Sohn, des Glaubens Anfang ist die treue Folgsamkeit, die keiner Prüfung Gründe zu erfragen trachtet, geh in den Wald pflücke Datteln, doch ohne sie zu kosten, die bringe her, daß wir nach Sonnenuntergang ein Abendessen uns bereiten.

BUBE.
Ich bin so schwach daß ich kaum gehen kann, doch folg ich eurem Willen. Ab.
AHASVERUS.

Daß ich den Knaben an dem Strand belebte, wo ich halbtodt ward hingeschleudert giebt mir neues Leben, ich schäme mich in seiner Gegenwart die alten bösen Grillen auszusprechen, der ewge Widerspruch muß vor ihm schweigen, so wie mein schmerzlicher Verlust vor diesen Überbleibseln eines mächtgen Volks und großer Zeiten, vor dieser nichtgen Ewigkeit des Menschenwandels. Die Säulen die einst bestimmt waren Gebälk und köstlich Bildwerk hochzutragen, sie stehen noch, das Herrliche was sie [316] getragen ist versunken, das Volk ist bis zum Namen erloschen, doch leben mir verständlich manche wunderbare Zeichen heilger Einsiedler in diesen Trümmern auf wenn gleich ihr Leichnam von dem Roß der flüchtgen Araber zertreten ist; in allem Erdenleben herrscht Vergänglichkeit, nur in der Liebe, in dem Christenthum ist Dauer, es baut sich überall das Festeste zur Kirche, Noch mahnt mich jeder Tritt an frommer Christen Streiten um den Besitz des heilgen Grabes, hier glänzen Waffen fremder Zeiten durch den Sand, doch sind sie mit dem Kreuz bezeichnet mir vertraut, es finden sich in jedem Kloster Bücher die aller Welt verloren und staunend les ich von der Kraft der Heiligung von frommen Büßern die viel lange Jahre auf Säulen standen, ihr Beispiel wird mich in dem strengen Fasten stärken.


Er setzt sich auf einen Stein und liest still vor sich, bald führen böse Geister, die den Reisenden aber unsichtbar, den Kümmeltürken, den Waisenhäuser, Dienemann, den reichen Pilger, den Lichterzieher, alle im Gefolge eines reichen Lords vor ihm über.
LORD.
Hier haltet still, hier will ich zeichnen, sehr malerisch ist dieser Punkt.
KÜMMELTÜRKE.
Ein guter Platz zum Essen.
LORD.
So eßt.
REICHER PILGER.

Sie sind ein sehr erhabner Herr, erst haben Sie uns die Freiheit gegeben und [317] dann geben sie uns noch so gut zu essen, in meinem Leben trank ich keinen besseren Porter, wir wollen schnell decken.

WAISENHÄUSER.

Der Stein ist gut dazu. Wer sitzt denn da? ein alter Einsiedel liest im Buch; wer seid ihr alter Mann, ich hab euch wo gesehen oder seid ihrs etwa nicht. Wie steht es mit eurem Glauben, seid ihr ganz ordentlich getauft.

AHASVERUS.
Memento mori.
KÜMMELTÜRKE.

Er darf nicht reden wie es scheint, vielleicht versteht er uns auch nicht, biet ihm ein Biefsteck an und dieses Glas voll Porter, das wird er schon verstehn.

AHASVERUS.
Memento mori.
LORD.

Fragt ihn, ob ich ihn mit ein Paar tausend Guineen unter die Arme greifen kann unter der Bedingung daß er mir seinen Bart verkauft.

AHASVERUS.
Memento mori.
LORD.

Der Mensch verdirbt mir alle gute Laune wenn ich noch länger bleibe muß er sich mit mir baxen; laßt ihm die Hälfte aller Lebensmittel hier zurück, wir ziehen weiter. Schnell, es ist kein Wetter heut zum Zeichnen, sondern nur zum Hängen.

REICHE PILGER.

Ei das gesteh ich, noch ehe wir gegessen, die Herren Englischmänner haben doch immer ihre Eigenheiten.

[318]
LORD.
Fort. Die Teufel ziehen ihre Maulthiere weiter.
AHASVERUS.

Fort sind sie, mich in der schrecklichsten Versuchung hier zu lassen, da keine Schaam mich hält, wie schrecklich lüstet mir nach diesem Fleisch, ich fühle es schon auf der Zunge, wie es den Gaumen saftig füllt, was ist das für ein Unterschied, ob ich ganz unwillkührlich es zu essen meine, ob ich es wirklich in den Mund mir stecke.


Er will hastig zugreifen, in dem Augenblicke ruft der Bube aus der Ferne: Vater, Vater, schnell setzt der Alte sich zu seinem Buche hin.
BUBE.
Ach lieber Vater welch ein Glück!
AHASVERUS
für sich.

Wohl ists ein Glück daß er gekommen noch ehe ich gesündigt hatte, fast wie ein Gnadenruf, der eben noch das Richtschwert hält.

BUBE.

Noch bin ich außer Athem – denkt Vater – nicht weit von uns da wohnen Menschen, Menschen, Menschen, Gott sei gelobt dieselben Menschen die mit dir im Schiffe waren.

AHASVERUS.

Für diese Nachricht sprech ich dich vom Fasten frei, jetzt stärke dich mein Sohn mit diesem Trunk, es pocht mein Herz, dann führ mich hin zu ihnen.

BUBE.
Kommt mit, ich habe sie ganz deutlich sehen können, das Essen hat nachher Zeit.
[319]
AHASVERUS.
Zieh nicht so an dem Mantel, ich kann nicht mit.
BUBE.
Es sind ja Menschen da, wie könnt ihr noch so langsam sein.

Beide ab.
2. Wüste, wo wir Cardenio und Celinde verließen, doch haben sie sich jetzt zwei Einsiedeleien erbaut, die eine ist aus Zweigen in den Zweigen eines hohlen Baums erbaut, in dessen Höhlung die andre eingerichtet. Cardenio und Celinde in Thierfelle gekleidet, sitzen auf zwei entfernten Steinen, Celinde bereitet Früchte zum Mahle, Cardenio liest laut aus einem alten Buche.
CARDENIO.

Als nun der fremde Ritter Gregorius die Feinde des Reiches also niedergeworfen, da zwang der Rath und das Volk die traurige Königin ihm ihre Hand zu bieten die der Ritter mit hoher Freude annahm. Die Hochzeit geschah in großer Fröhlichkeit des Volks, die Königin aber blieb traurig und sie wußte nicht warum denn sie liebte den Ritter über alles. Als nun die Hochzeit vorbei war lebten sie in Eintracht und großem Segen; der Ritter aber ging täglich in seine Kammer, verschloß sich eine Stunde und betete für seiner Ältern Seelen. Eine Kammerfrau bemerkte aber daß er allweg guten Muths war wenn er in die Kammer ging und allwegen traurig wenn er hinaus ging, da schlich sie sich eines Tages in die Kammer, verbarg sich darin und sah wie er das Täflein aus dem Schranke holte, dabei betete und weinte. Bald darauf wußte sie es ihm auf Befehl [320] der Königin, der sie alles erzählt, mit List zu entwenden, weil sie es für das Bild einer Geliebten gehalten; als aber die Königin das Täflein ansichtig wurde, da erblich sie, denn sie ersahe daß sie ihres Mannes Gregorius Mutter sei, den sie mit ihrem Bruder in kindischer Unwissenheit erzeugt und auf Befehl des Abtes mit dem goldnen Täflein ausgesetzt hatte, das ihm gebot alle Tage eine Stunde für die Seele seiner Ältern zu beten. Als Gregorius dieses Schreckniß erfahren, da sahe er ein wie wohl ihm der Abt gerathen, der ihn von aller Welt abmahnete und zu sich ins Kloster geladen hatte.

CELINDE.
Wär mir die Mahnung je gekommen, ich wär von aller Schuld befreit geblieben.
CARDENIO.

Zu spät war jetzt der Rath, aber nicht unnütz. Gregorius gedachte wo er sein Heil finden könnte; seiner Frau und Mutter die in ihrer Seligkeit verzagte, sprach er Muth ein, weil Gott Barmherzigkeit weit und groß sei wie der Himmel über uns, dann nahm er traurigen Abschied von ihr, schrieb seine Sünde auf das Täflein, nahm es zu sich und ging aus eine Wüste zu finden wo er büßen könnte. So kam er an den See zu einem Fischer, der ganz allein wohnte, den fragte er ob er kein Wüste wisse wo ihn aussetzen könnte. Der Fischer fürchtete sich aber, weil Gregorius ein starker rüstiger Mann war und meinte er hätte was Böses im Sinne, [321] darum sagte er ihm er möchte nur in seinen Kahn treten, er wolle ihn auf einen wüsten Stein bringen, wo er gute Buße singen könnte. Da lief Gregorius voll Freuden mit ihm und das goldne Täflein entfiel ihm unbemerkt ins Gras, der Fischer aber fuhr ihn untugendlich auf einen wilden Stein und schloß ihm seine Beine mit einer Kette daran fest, warf dann den Schlüssel ins Meer und rief: Wenn ich den Schlüssel wieder finde so hast du deine Sünden gebüßet. Gregorius fügte sich ohne Widerstand in dieses grausame Beginnen, er blieb auf dem Stein von dem er weit in den See sehen konnte, hatte keinen Schirm gegen Sturm und Regen, kein Getränke als den Regen, keine Nahrung als den Sturm und so lebte er siebzehn Jahre durch Gottes hohen Willen.

CELINDE.
Siebzehn Jahre nach Gottes Willen.
CARDENIO.

Unterdeß war der Papst in Rom gestorben und zwei fromme Männer sagten in der Entzückung, sein Nachfolger heiße Gregorius von dem wüsten Steine; und sie gingen aus ihn zu suchen und kamen durch Gottes Geleit zu dem Fischer der ihn so elendiglich ausgesetzt, der aber nichts von so einem Mann wissen wollte. Der Fischer fing ihnen zur Abendmahlzeit einen Fisch und in des Fisches Bauch fand er den Schlüssel den er ins Meer geworfen; da viel es wie Schuppen von seinen Augen, er bekannte wie er einen Mann der sich Gregorius genannt, auf [322] einen wüsten Stein untugendlich ausgesetzt, fuhr mit den frommen Männern nach dem wüsten Steine, schloß den frommen Mann los, der keine Klage über ihn führte. Gregorius stand frisch und kräftig auf und erschien ihnen so hoch und mächtig wie es dem Nachfolger des heiligen Petrus geziemte, er hatte eine tiefe Höhle in den Felsen gesessen; sie sagten ihm ihr Begehren und er fügte sich in Demuth dem himmlischen Ruf, fuhr mit ihnen ans Land und als er es mit ihnen betreten, sah er sein verlornes güldnes Täflein unter Nesseln schimmern, er hob es mit Thränen auf, seiner Sünde eingedenk, als er es aber beschaute, fand er alle Sünden die darauf verzeichnet gewesen ausgelöscht, sie war glatt und rein als sollte er von neuem anfangen zu leben und er lebte als ein frommer Papst heilig und unsträflich und vergab kraft seines Amtes seiner Mutter alle Sünde, die sie unwissend begangen.

CELINDE.
Mein Gott wie werd ich solcher Buße fähig werden.
CARDENIO.

Du kennst noch nicht dein bessres Leben ganz, schon freuts mich alle Morgen wie du den Herrn begrüßest mit Gesang, als wenn er vor dir ständ in leiblicher Gestalt, so singest du inbrünstiglich mit Herz und Mund.

CELINDE.

Doch ist vergebens mein Gebet, daß er von bösen Träumen mich erlöse, da find ich mich[323] in alter Sünde wieder und Gottes Gnade will es niemals löschen, wie ich in deinem Arm geruht.

CARDENIO.

Auch mich, auch mich entzückt der schlimme Traum, seit ich dich büßen seh und leiden entsagen, fasten, beten, da ist der Vorwurf, der in meiner Seele gegen dich bestand, erloschen, ich möchte sagen daß ich dich zu lieben angefangen, doch weiß ich daß ich dich nicht liebe, sondern nur Olympien in dir, dem Tode schon vertraut gehör ich täglich mehr dem Leben an, ich sage dir es weht ein wunderbar Vergessen in dieser warmen Luft, ich möchte neu zu leben hier beginnen, das Vergangne paßt nicht mehr zu meinem Wesen, ich war es nicht; war ich in Raserei als ich noch unter Menschen wüthete, ich weiß es nicht, doch fühl ich mich gesund.

CELINDE.

Du greifst mir ins Herz und weißt es nicht, ich seh in deinen reinen Zügen die güldne Tafel deines Lebens von aller Sünde rein.

CARDENIO.

Ach nein du treue Seele, noch finde ich mich nicht so rein und schwere Prüfung muß ich noch bestehen, erst wenn ich kann in deinen Armen ruhen und deiner nicht begehren, dann bin ich rein der ewgen Liebe ganz ergeben.

CELINDE.

Gewiß du kannst die schwerste Prüfung schon bestehen, ich flüchte mich vor allen bösen Träumen und Gedanken in deine Arme.


Sie stürzt in seine Arme.
[324]
CARDENIO.

Du wunderbare Tugend, so hast du unsre Herzen ganz bezwungen, ich seh dich jetzt so nah, was uns geschieden war doch alles nichts, wir beide sind von andrer Art, zutraulich fallen wir einander in die Arme, gleich Engeln, die sich über einem Grabe mit ihren Flügeln sanft verschränken, zwei Zwillingen in einer Mutter Leibe ähnlich, so mütterlich umfaßt uns diese süße Luft.

CELINDE.

So läßt du endlich los vom harten Willen, der mich von deiner Nähe Nachts gebannt nur darum plagten mich die bösen Träume, weil deine Nähe sie von mir nicht bannte, jetzt leb ich wieder ewgen Frieden, ich fürchte nicht des Bösen Lust, des Guten Herrlichkeit wird mich nun ganz durchdringen. Fahr hin mein Geist, was fürchtest du, fahr hin mein Geist, was säumest du.

CARDENIO.

Du windest krampfhaft deine Hand um meinen Nacken, es bleichen deine Wangen, du stirbst, o nimm mich mit zu deiner Herrlichkeit.

CELINDE.

Nimm diesen Abschiedskuß, Vielgeliebter, dein Athem ist mir Himmelshauch, dem Himmel bin ich in deinen Armen so nah, o trag mich auf dein Lager, da will ich sterbend dir von meiner Liebe sagen.

CARDENIO.

Ich laß dich nicht, ich dränge mich an dich, ich halt dein Leben fest mit allen Kräften jedes Glied erwärme ich an meiner Brust eh das Feuer [325] meines Herzens nicht erloschen eh sollst du nicht in ewger Kälte starren. Ich küß dein Herz, jetzt schlägt es wieder, du schlägst die Augen auf.


Ahasverus von dem Knaben gezogen tritt auf.
CELINDE.

O sieh die Todten kommen schon zu uns, wir sind in einem neuen Leben der Liebe offen ohne Zwang, seid uns gegrüßt ihr theuren Todten wir schwebten all auf einem Schreckensschiffe, hier schweben wir in stiller Bahn durch Himmelsluft als freundliche Gestirne.

AHASVERUS.
O wär ich todt, um euren Frevel nicht zu schauen.
CELINDE.
Weh mir, du lebst, weh mir, ich lebe noch. Sie reißt sich aus Cardenios Armen.
CARDENIO.
Weh mir ich glüh in böser Lust und wähnte mich von Tugend hoch verklärt, Zauberei hat uns getäuscht.
AHASVERUS.

Ach ihr habt euch selbst betrogen, viel von Heiligung gefabelt. Augen habet ihr zum Sehen, seht wie ich euch hab gefunden, nach den alten Freuden, nach den alten Sünden strebend, und wie findet ihr mich wieder, büßend und der Buße spottend, eingedenk der alten Sünden, von der Tugend noch so ferne, als ein Auge von dem andern, nahe – und doch können sie sich nimmer sehen.

BUBE.

Was klagt ihr Leute, sind wir doch beisammen, was flieht ihr euch, wir sind so wenige beisammen, [326] o wären viele tausende nur hier, da wollt ich beten tagelang.

CARDENIO.

Die Einsamkeit verwirret unsre Sinne ich sehne mich zu christlicher Gemeine, sprich du ehrwürdiger Greis an dessen Brust ich meine Schwäche lehne, sprich du was ich soll thun, ich bin zu schwach zu allem Guten, mein Zutraun zu mir selbst ist mir in dieser Prüfung ganz entschwunden.

AHASVERUS.

So ist die Prüfung schon an dir vollendet, dein ganzes Wesen sinkt in Demuth nieder vor einer höhern Macht, die über dir, der Weg zum heilgen Grabe steht dir offen, nehmt Abschied von den Hütten, von dieser Schule eures Glaubens.

BUBE.
Glück auf, wir ziehen wieder zu den Menschen, wie ist doch alle Welt so gar nichts gegen Menschen.
CARDENIO.
Gern folgt ich deinem Ruf, doch in der wilden Tracht erscheinen wir den Menschen nicht andächtig.
AHASVERUS.
In rauhen Fellen ist Johannes auch erschienen, der Christus hat verkündigt.
CELINDE.
Ich bin zu schwach um noch zu Menschen zu gelangen, kaum kann ich noch den Weg zum Grabe gehen.
AHASVERUS.
Der Glauben stärkt, wie wär ich aus dem ergrimmten Meer lebendig an das Land gekonnten.
[327]
BUBE.

Leicht wie in der Wiege ward ich drin geschaukelt, setzte mich mit sanften Armen auf den grünen Rasen nieder, ich fühlte mich verwandelt und doch war ich noch derselbe.

AHASVERUS.

Was vermögen Elemente gegen die Verfluchten, gegen die Begnadeten, nur wer sie geschaffen kann sie zähmen und vernichten.

CARDENIO.

Ich folge dir und nehme Abschied von der langen Einsamkeit die der Erinnerung so ganz entschwindet, die mich hat umgeschaffen.

CELINDE.

Ihr Schmerzenswege seid zum letztenmale begrüßt, begrüßt du Denkmal meines Sündenkindes, begrüßt du süßer Quell der mich nach bittern Thränen mild erquickte, begrüßt ihr Bäume deren Frucht uns kärglich nährte, nie lebte ich so schwere Tage, nie hat die Trennung so mein Herz beschwert.

CARDENIO.
Wahrheit ist daß wir noch elend, eilen wir zur ewgen Wahrheit, die da lohnt die schweren Mühen.
AHASVERUS.

Größre Mühe einer wartet in der öden sandgen Wüste, glühend von dem Wind durchschritten, der verdorrt woran er streifet.

CELINDE.
Wehe mir, wehe.
BUBE.
Preiset, wer vorangegangen,
Durch der Wüste tiefen Sand,
Denn er war von Gott gesandt,
Daß sein Schweiß den Staub besprenge,
Und es blüht der Blumen Menge
[328] Allen, die ihm nachgegangen,
Schön bezeichnend auf den Wegen:
Schauen wir in Blumen Segen.

Er schmückt das Kreuz mit einem Blumenkranz und trägt es voran, alle folgen ihm.

Die Aussicht nach Jerusalem

Die Aussicht nach Jerusalem.

Ein Brunnen in der Wüste, an welchem ein weiblicher Kopf in Marmor aus einem Röhrlein das Wasser ausströmen läßt. Ein Zug Mahomedaner und ein Zug Christen begegnen sich dort und, während sie ihre Kameele trinken lassen, unterreden sie sich, so weit sie einander in aller Kürze verstehen können.

MAHOMEDANER.
Wohin, wohin ihr Fremdlinge?
CHRISTEN.
Nach Jerusalem zum heilgen Grabe.
MAHOMEDANER.
Bald seid ihr da, schon könnt ihrs sehen.
CHRISTEN.
Gelobt sei Gott, der Anblick stärkt die Müden.
MAHOMEDANER.
Uns stärkt er nicht, die schwarze Kirche macht uns traurig, wir eilen nach der Herrlichkeit.
CHRISTEN.
Wohin geht ihr?
MAHOMEDANER.

Nach Mecca, zum Grabe des Propheten, da duftet Weihrauch aus den Felsenspalten, die Häuser sind mit Gold gedeckt, sein Sarg hängt an dem Himmel, getragen von unsichtbar ewger Kraft.

CHRISTEN.

Wunderbar ist stets die Lüge, doch [329] die Wahrheit wunderselten und doch überall, Wahrheit ist das größte Wunder.

MAHOMEDANER.
Was ist Wahrheit ohne Glauben?
CHRISTEN.
Was ist Glauben ohne Wahrheit?
MAHOMEDANER.
Wer für seinen Glauben stirbt, hat Wahrheit.
CHRISTEN.
Wer für seine Wahrheit lebt, hat Glauben.
MAHOMEDANER.
Lebt wohl.
CHRISTEN.
Sterbt selig.

Sie ziehen nach entgegengesetzter Richtung beide fort. Ein hagrer Mohr kommt mit der Theorbe aus einer Höhle, setzt sich auf einen Stein vor dem Bilde am Brunnen nieder und singt.
MOHR.
Weiße Schöne, ach erwache,
Schlage deine Augen auf,
Sieh ich hielt so lange Wache,
Ließ dem Wasser seinen Lauf.
Ewig kühles Wasser springet
Aus dem süßgespitzten Mund,
Doch der Sonne Feuer dringet
Nimmer in der Linien Rund.

Alle Sinne sind geschlossen,
Doch die Seele ist ein Hauch,
Wo das Wasser ist geflossen,
Fühl ich deinen Athem auch;
Kommen Morgens erste Strahlen
Klinget er mit süßem Ton,
Doch für alle meine Qualen
Giebst du nie der Liebe Lohn.

[330] Schöne Nonne in der Wüste,
Die du alle mild getränkt,
Ach versteinert sind die Brüste,
Und dein Herz ist Gott geschenkt.
Ach ich möcht wie du versteinen,
Meine Augen thränen helle,
Und die Thränen die sie weinen,
Mischen sich mit deiner Quelle.

Sie schlägt die Augen auf, sie lebt, sie lebt, ich sterb vor Freuden. Er stirbt.

Ein Einsiedler kommt aus einer andern Höhle, berührt den Sterbenden.
DER EINSIEDLER.

Der Liebende fand seines Leidens Ende, doch ich, der von der Lieb zu Christus brenne, ich finde nicht mein Himmelreich, täglich scharr ich Todte ein, wann werd ich lebendig sein.Er begräbt ihn und singt.

Hast mich oft gestöret,

Als du warst bethöret

Von der irdschen Lieb,

Wenn ich Bücher schrieb,

Doch will ich dich legen

In der Liebe Segen;

Die lebendge Quelle

Fließ um dich so helle,

Mag dein Grab umspühlen,

Um dein Haupt zu kühlen.

Ermattet sink ich in den Sand, als sollt ich mein Grab gleich finden, ich sinke immer tiefer es löschet [331] aus der Sonne Schein, o nimm mich auf Herr Jesu Christ, weil du für uns gestorben bist.


Bei diesen Worten entschläft er in Verzückung, Jesus sinkt vom Himmel herab mit blutenden Wunden am Kreuz, er senkt sich auf ihn, berührt ihn mit seinem Munde und mit seinen Wunden, denen sich gleiche Wunden an dem Körper des Mönchs öffnen, Christus erhebt sich langsam in unendlicher Herrlichkeit von Engeln, der Einsiedler erwacht.
DER EINSIEDLER.
Was öffnet meinen inneren Sinn,
Was öffnet meine Augen,
Der Heiland schwebt verkläret hin
Und alle Hügel rauchen:
Was ich erflehet gab er mir,
Die Wunden sein die trag ich hier.

Mich zeichnet seine Gnadenhand
Mit seinen bittern Schmerzen,
Ich bin durch gleichen Schmerz verwandt,
Ich fühl mich kühn im Herzen,
Ich kenn ihn in der blauen Höh
Und mich erkenn ich an dem Weh.

Der Nägel Wunden allzumal,
An Händen und an Füßen,
Und in der Seit des Speeres Qual,
Fühl ich frisch blutend fließen,
Doch in dem Herzen fließt die Gnad,
Die mich mit Blut bezeichnet hat.

Wasch mir nicht meine Wunden aus
Du frommer Quell mit Thränen,
Dies ist der schönste Blumenstrauß
Und Lohn vom süßen Wähnen,
[332] Ich lächle meiner innern Lust
Und bin der Wahrheit mir bewußt.

Gar wunderbar gestalten sich
Die Berge meinen Blicken,
Ganz anders sehen sie auf mich,
Seit Wunden mich beglücken,
Sie legen alle Flügel an
Und tragen mich schon himmelan.

Er sinkt in Ermattung nieder.
Der Bube mit dem Kreuze, Ahasverus, Cardenio und Celinde schleichen mühsam nach der Quelle.
CELINDE.

Gelobt sei Gott für diese Tropfen Wasser, doch noch umsonst ergießet sich ein Strom in meinen Mund, er löschet nicht den Durst, er schwindet wie ein Tropfen auf dem glühend heiße Stein. Ich kann nicht weiter, hier muß ich den Geist aufgeben!

CARDENIO.
O nimm mich mit zu jener ewgen Ruhe.
CELINDE.

Ein Fieber dürret meinen Mund wie Leder aus, die Füße sind voll Schwielen, Disteln haben mich zerrissen, ich bin in unserm Büßungsjahre des Gehens fast entwöhnt, ein jeder Schritt zieht mir mit Schmerz den Hals zusammen, wie welke Blätter deren Zweig gebrochen.

BUBE.

Ich weiß nicht wie ihr also klagen könnt, ich fühle nichts von Müdigkeit, ich meine daß wir wenig erst gegangen sind.

[333]
AHASVERUS.

Du trägst das Kreuz unschuldig, dich stärkt der Herr, ich muß auf meinen Knieen mühsam weiter kriechen, so tief bin ich herabgedrückt, doch find ich hier noch einen größern Leidenden, seht hier den Schwerverwundeten an Händ und Füßen, in der Seite, doch schaut er uns noch kräftig an.

MÖNCH.
Ein großes Wunder ist an mir geschehn, ihr seid gesendet um es zu verkünden.
CARDENIO.

Ehrwürdges Haupt, wir werden hier verschmachten, wir werden nicht zu Menschen dringen, wir werden nicht am heilgen Grabe Gnade uns erflehen, wir sind verstoßne Sünder, Gott hört nicht wenn wir beten.

DER EINSIEDLER.

Er höret auch den schwersten Sünder, er hat auch mich erhört, er hat mit seinen Wunden mich bezeichnet, zum ewgen Zeichen daß ich sein geworden, verkündet das in aller Welt, an meinem Grabe sollen große Wunder noch geschehen, an euch zuerst. So wahr ich sterbe sehet ihr das heilge Grab. Er stirbt.

AHASVERUS.
Sein Athem ist entflohen.
CARDENIO.

Er ist schon kalt, als war er lange abgestorben und seine Worte schon ein Ruf aus jener Welt. O Wunder der Liebe.

CELINDE.
Es dringen Flammen aus dem Boden von blauem Glanz.
AHASVERUS.
Es sind der Wüste Ätherquellen.
[334]
CARDENIO.

Es scheinen Himmelsflammen die den ewgen Geist verkünden, durch ihn wirken, sie zehren schnell den heilgen Leichnam auf und tragen ihn zur Auferstehung in den Himmel.

CELINDE.
O wunderbarer Geist. Welch eine wunderbare Liebe.
CARDENIO.
Verschließ mich nie der Liebe,
Verschließ mich nie dem Geist,
Der alle unsre Triebe
In seinen Willen reißt.

Der alle kann vereinen
Und die Beschwerde löst,
Und uns nach langem Weinen
Vom öden Ufer stößt.

Der uns geführt durch Wüsten
Den Heiligen zu schaun,
Er schrecket in den Lüsten,
Bewachet das Vertraun.

Wir sehn viel Inseln scheinen
Im milden Abendstrahl,
Und sie sind voll der Seinen,
Bald sind wir in der Zahl.

Gestärket wir erstehen
Von unsern Knieen auf,
Und muthig weiter gehen
Zum Grab im raschen Lauf.

Es zeigen uns in Lüften
Die Seinen unsern Weg,
Sie führen den Geprüften
Mit Feuerkraft hinweg.
[335]
BUBE.
O folgt mir schnell, hier wird mir wunderbar im Herzen.
CELINDE.
Das letzte Grün verschwindet auf der Felsenhöhe, dürr steht der Feigenbaum am Wege.
BUBE.
Nie war der Himmel mir so nah.
CARDENIO.

Kaum glaub ich meinen Augen, im ernsten Thale schimmert eine Christenstadt, bezeichnet mit dem Kreuz auf weiten Trümmern, und jeder Berg scheint schmerzlich hohem Angedenken lang geweiht, denn jeden Gipfel krönen die Kapellen. In ernstlicher Betrachtung schweifen Männer durch das Feld. Es ist schon lang daß ich der Menschen Städte nicht gesehen, doch dieses scheint mir eine Gottesstadt.

BUBE.

Ich kann mein Kreuz von dieser Stelle nicht erheben, es wurzelt fest an dieser Erde und ist verzweigt dem Himmel; hier will ich leben, hier will ich sterben, in jenes frommen Mannes Fußstapfen treten, seine Wunden rühmen, zu diesem Kreuze beten das uns zum heilgen Grab geführt.

CARDENIO.
Wo wir auch sterben, ist Christus hülfreich nah, die ganze Welt ein heilig Grab.
AHASVERUS.

Doch hier ist er gestorben, hier ist sein Grab, hier wird sich alles lösen, was noch dein Dasein umhüllet, seht nach Jerusalem, die lang ersehnte Stadt, dort ziehen wir bald friedlich ein.

CARDENIO.
Du scheinst verklärt.
AHASVERUS.

Erfüllet ist was ich gelobt, erst [336] wenn ein Kind in eines Heiligen Fußstapfen sei getreten aus eignem Trieb, da dürfe ich der Sünde frei sein, da dürfte ich dir alles sagen mein Sohn, mein Sohn, o mein Cardenio, du Frucht meiner Sünde. Du heilger Gott, hier laß mich noch nicht sinken wie Moses in dem Anblick des gelobten Landes, mein Sohn, mein Sohn, mit dir möcht ich zu jener Kirche ziehen, es glänzt ihr Kreuz im rothen Abendstrahl; Jerusalem wie ist dein Anblick groß und traurig in des Sünders Brust. Komm an mein Herz du Sohn, du vielgeliebter, dir möchte ich ein lieber Vater sein und dir muß ich die frühe Schuld bekennen.

CARDENIO.

Verwundert ruhe ich an deiner Brust und tiefgerührt, es freuet mich daß du so herzlich wirst, mir süße Namen giebst; es thut mir wohl Vater dich zu nennen und deines Alters schwere Träume von der Seele fortzuschmeicheln. Gieb deinen Segen mir.

AHASVERUS.

Geliebter Sohn, was ich dir sage ist kein Wahn des Alters, du bist mein Sohn, von mir in frevelnder Gewalt erzeugt an dieser Stelle.

CARDENIO.
O wehe mir daß ich nur der Gewalt mein Leben danke, darum war so gewaltsam auch mein Leben.
AHASVERUS.

Beschau dies Marmorbild das [337] einen milden Strahl ins Marmorbecken sendet, auch ihr habt dieser Wohlthat all genossen und habt sie nicht erkannt in euern Schmerzen.

CARDENIO.

Alte Zeit kommt mir zurück, ich denke Olympiens bei diesem Bilde, doch denke ich noch mehr der wunderbaren geistigen Gestalt, die mir den Ring in jener Nacht verehrte.

CELINDE.
Sie ists, die mir mein todtes Kind mit tröstlich sanftem Wort genommen.
CARDENIO.
O sprich du edles Bild, wie nenn ich dich, wie soll ich dich begrüßen?
AHASVERUS.

O nenn sie Mutter, sie ists die dich geboren, du hast in deinem Herzen von ihrer Unschuld und von meinem Frevel. Zu deiner Mutter kannst du beten doch mich verfluche nicht mein Sohn.

CARDENIO.

Hast du mich nicht zur Besserung geführt? Es stammt der Geist aus sich, was er verbrochen muß er selber büßen, nie trägt der Vater Schuld des Sohnes; ich fleh zu dir in kindlichem Vertrauen, erkläre mir das Räthsel meines Daseins.

AHASVERUS.

Mir wird so schwer die Reihe meiner Sünden, meiner Leiden dir Sohn zu beichten, ich fürchte dich von meinem Herzen zu verscheuchen.

CARDENIO.

Nur dieses eine gieb an, wenn Jene meine Mutter war die mir als Geist erschienen, ist auch Olympie dein Kind und meine Schwester?

[338]
AHASVERUS.
Wohl ist sie deine Schwerer doch nicht mein Kind.
CARDENIO.

O welchem Abgrund hat der Zufall mich entrissen; was sag ich Zufall, wo unter höchster Weisheit Lebende und Todte wandelten. Gelobt sei Gott.

AHASVERUS.

Kannst du noch Gottes Führung loben so kann ich dir vertrauen. Anthea, deine Mutter, eine griechische Pilgerin zum heilgen Grabe, ward hier das Opfer meiner wilden Lust, ungläubig ihrer christlichen Gesinnung begriff ich kaum die Unthat, ich zog mit ihr die ich als Frau erkannte, weit nach Georgien, wo ein versprengtes Judenvolk in abgelegnen Bergen hauset, aus dem auch ich entsprossen. Der Russen Kriegsglück führte sie unser Thal und deine Mutter sammt dir ward mir geraubt. An ihr hing meine Seele, ich folgte ihr durch alle Welt, doch erst als sie nicht mehr auf Erden wandelte da fand ich ihre Spur. Dich hatt ich früher schon an einem Feuermal erkannt, ein Prediger hatte deiner sich erbarmt als schwärmende Kosacken dich auf der Flucht zurückgelassen; ich lohnte reichlich ihm was er an dir gethan, ich sah dich oft und freute mich an mancher Ähnlichkeit mit deiner Mutter, doch deine wilden Augen machten mich besorgt.

CARDENIO.
O der Erfahrung die uns treulich warnt und niemals retten kann.
[339]
AHASVERUS.

In mancherlei Verkleidung ging ich umher und fand auf einem Grab Antheas Bild, ich hörte wie ein edler Mann sie den Kosacken abgekaufet und mit ihr vermählt gewesen. Olympie, Viren und Gyron, sie waren dieser Ehe Frucht. Nun weißt du alles. Dies Denkmal hab ich ihr erbaut, ich habe ihren Glauben angenommen, ich bin Christ, doch wagte ich mich nie zum heilgen Grabe, es hielt mich ein Gefühl unheiliger Gesinnung des alten Judentums Gewalt, das noch in zweifelhaften Augenblicken den Christus in mir kreuziget. Antheas Stimme mahnte mich zum Guten, und wenn es mir gelingt zum heilgen Grab zu dringen, es ist ihr Werk. Darum laß uns nach dieser großen Stunde rascher eilen.

CARDENIO.
Wo ist Celinde?
AHASVERUS.

Sie gehet schon voran zum Grabe neu gestärkt, bald gehen wir mit hellen Sternen ein, leb ewig wohl geliebtes Bild.


Beide ihr nach.
DER BUBE.
Meerstern ich dich grüße,
Gottes Mutter süße,
Allzeit Jungfrau reine
Mit dem Gnadenscheine.

Ein großer Zug Engländer unter Sidneys Anführung stimmt in den Gesang dieses Liedes vorüberschreitend ein. Olympie [340] geht neben einem Kameele, worauf Lysander liegt der das Kind trägt.
OLYMPIE.
Geliebter Freund du hast wohl Durst, ich hol dir einen frischen Trunk.
LYSANDER.
Sieh, dort bringt der Knabe schon den Becher klar gefüllt. Wer bist du Kind?
BUBE.

Ich bin Einsiedler bei diesem Brunnen, der Reisenden zu dienen ist verpflichtet, auch geb ich jedem auf den Weg ein Wort ders hören will.

OLYMPIE.
Du scheinest mir nicht fremd, sprich gutes Kind.
BUBE.
Ihr werdet finden an dem heilgen Grabe was ihr längst aufgegeben.
OLYMPIE.
Hab Dank, doch wag ich nicht das Wort zu deuten.
LYSANDER.

Sieh unser Kind streckt seine Hände nach dem Kopfe an dem Brunnen aus, und macht ein freundliches Gesicht wie es nur dir zu zeigen pflegt, der Kopf ist ähnlich dir.

OLYMPIE.

Und meiner Mutter noch viel mehr, sie war in diesen Gegenden, es ist ein wunderbares Land. Der Zug geht fort.

DER BUBE
singt.
Lehr durch reines Leben
Nach dem Weg zu streben,
Daß wir Jesum sehen
Aus dem Grab erstehen.

Der Lord mit dem Zeichenbrette, der Waisenhäuser und der Lichterzieher setzen sich auf den Felsen.
[341]
WAISENHÄUSER.
Nun sind wir doch noch morgen zum großen Feste am heilgen Grabe.
LORD.
Gewiß nicht.
WAISENHÄUSER.
Gnädger Herr, das ist ja das Ziel unsrer Wallfahrt.
LORD.
Was wollt ihr da?
WAISENHÄUSER.
Man hat doch so viel davon sprechen hören.
LORD.
Thoren, wo tausende ihr Ziel gefunden da sucht ihr Spaß, wir gehen nicht hin, wir sind Protestanten.
WAISENHÄUSER.
Wir können aber alles mitmachen wie die andern.
LORD.

Elender, deiner Neugierde zu gefallen willst du deinen Glauben verläugnen, mitmachen was wir für leere Thorheit halten, ich will dich zwingen daß du kein Schurke wirst.

LICHTERZIEHER.
Aber Herr, ich muß wegen meiner Profession nothwendig hinreisen.
LORD.

Dir ists erlaubt, ihr aber seht noch einmal recht dahin, denkt aller Mühe die wir überstanden, eh wir hieher gelangt; seht hin, nicht wahr es ist doch alles nichts und Sokrates und Plato haben uns viel Besseres gelehrt und Christen sind doch nur verdorbne Juden, und Christus ist ein guter Mann gewesen, doch daß er auferstanden, das sei um gar nicht mehr zu glauben, so sprecht ihr ja Herr Waisenhäuser, [342] es giebt noch viele gute Menschen in der Welt die auch nicht auferstanden, was kümmert euch dies eine Grab.

WAISENHÄUSER.

Herr Jesus, ich habe ja das alles nicht so böse gemeint, es waren so Redensarten, denn sehe ich auf den Geist des Protestantismus, so braucht er eigentlich nichts von all dem zu behaupten was ich so gesagt habe, weil ich die Herren Engländer immer für Freigeister gehalten.

LORD.

Wollt ihr nun wegen eurer Neugier nach dem heilgen Grabe den Geist, der so viel tausende belebte, auf einen neuen Leisten eurer Dummheit schlagen, seht euch nur an, auf welchen Leisten ihr geschlagen, von allem Herrlichen was das Christenthum dem Menschen war, ist nichts an euch geblieben mit schwachem Witz dreht ihr der Bibel Goldgewebe auf, um alle Löcher euerer Systeme erst zu flicken und zeigt uns dann, daß so durchlöchert sei das heilge Wort und predigt ihr dann eure eignen Worte, so weiß man nicht, ob mehr gesündigt durch die Zeit, die man so leer bei euch vollbracht, ob mehr gesündigt durch verruchte Lüste die einem bei der Langeweile eingefallen. Es muß noch Strafe für euch geben in der Welt. Marsch in die Wüste.

WAISENHÄUSER
vor sich.

Das ist doch ein infamer Kerl, man möchte fast katholisch bei ihm werden, [343] aber was hilft es einem, die Katholiken sind jetzt alle protestantisch geworden.

BUBE.
Dulcis Jesu, pie deus,
Ad te clamo licet reus,
Praebe mihi te benignum,
Ne repelas me indignum
De tuis sanctis pedibus.

Ein Schäferknabe und ein kleines Schäfermädchen kommen weinend gelaufen.
SCHÄFERMÄDCHEN.
Ich kann mich gar nicht umsehen so muß ich weinen.
SCHÄFERKNABE.
Wenn ich nur wüßte was wir unserm Herrn gethan; daß er dich geschlagen verzeih ich ihm nimmermehr.
BUBE.
Ihr Kinder, wie geziemt sich solche Bosheit.
SCHÄFERMÄDCHEN.

Ja seht nur, heut hatten wir wie uns der gute Alte hier befohlen, ein viertel Stündlein nur gebetet als die Glocken gingen, ein Schaf war uns in dieser Zeit entlaufen, wir riefens aller Orten, es war nicht aufzufinden und als wir ihm das Unglück klagen ...

SCHÄFERKNABE.

Da sagt er uns von dies und das, wir hätten uns wohl wieder viel geküßt daß wir nicht um uns sehen können.

BUBE.
Wie, küßt ihr euch so viel?
SCHÄFERMÄDCHEN.

Wir thun's so viel wir [344] können, doch diesmal wars, weil wir gebetet hatten, daß wir der Heerde nicht gedenken konnten.

SCHÄFERKNABE.

Da schlägt er uns und jagt uns aus dem Hause, morgen ist das große Fest, ach nehmt uns auf in eure Klause diese Nacht, wir suchen morgen einen andern Herrn.

BUBE.
Ich will euch einen andern Herrn sagen, der nimmt euch gern in seinen Dienst.
SCHÄFERMÄDCHEN.
Dienst du ihm auch?
BUBE.
Je freilich dien ich ihm von ganzer Seele.
SCHÄFERKNABE.
Doch seh ich deine Heerde nicht.
BUBE.
Ich bin ein Lamm in seiner Heerde, er treibt mich zu der besten Weide in den Himmel.
SCHÄFERMÄDCHEN.

Das muß ein gut Leben sein, könnt ich ein Lamm sein in einer Heerde, es nährt der Mutter Brust und süßer Kräuter Spitzen, und ist es müde, so trägt der Schäfer es in seinen Armen und bringet es zur Mutter.

SCHÄFERKNABE.
Ich werd ein hüpfend Böcklein, das ist prächtig, o sag, wann fängt das an?
BUBE.

Ihr seid es schon, was fragt ihr lange, da oben in der freien Luft, da zieht die ganze große Heerde, da ziehen wir mit, das wollen wir in den Gebeten von unserm süßen Hirten flehn, laßt uns ein Lied zu seiner Ehre singen, singt mir nach:

Jesus süßer Seelenhirte,

Ach ich armes Schäflein irrte,

[345] Doch ich ging dir nicht verloren,

Freundlich hast du mich gerufen,

Und zu deinen Himmels Thoren,

Treff ich weidend schon die Stufen.


Die drei Kinder küssen sich und blicken ins Wasser.

Der Harem des Pascha von Jerusalem

Der Harem des Pascha von Jerusalem.

Ein türkisches Familengemälde.
Der Bassa am Schreibtische, seine Frauen um ihn her, Verschnittene bestellen mancherlei Papiere an ihn.

BASSA.

Wenn es nicht so viel einbrächte mit denen Pässen der Christen, ich jagte sie heute noch zur Stadt hinaus, ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht und nun ist gar der englische Admiral angekommen, der Akre gerettet hat. Hört, dabei hätte ich sein mögen. – Cavallerie marsch, marsch, marsch.

FAVORITE.
Nu nu Papachen nicht so hitzig, wenn Sie nun vom Pferde gefallen wären wie neulich?
FATME.

Hör Papa, du mußt lächerlich aussehen mit einem großen Degen in der Hand, kratze du dir denn auch dabei den Kopf?

BASSA.

Dummes Ding, du glaubst nicht wie ich sonst zu Pferde saß, so fest wie du mich küssest. Sieh Wetterhexe, da hast du mir meine Pfeife wieder umgestoßen, könnt ihr denn nicht einmal stille sitzen.

FAVORITE.
Sitzt still ihr Mädchen oder ich gebe euch selber Schläge.
[346]
FATME.
Schlagen darf sie mich nicht, das leidest du nicht Papachen, nicht wahr?
BASSA.

Wenn sie dich schlägt, ich will dir schon zu Hülfe kommen, du bist ein folgsam Kind, läßt dich mit guten Worten um den Finger wickeln, wenn andre nur so wären.

FAVORITE.

Mein gnädiger Herr, Sie treiben Ihr Wesen jetzt allzu offen; bedenken Sie wohl daß ich des Sultans Nichte bin und wenn ich nur ein Wort darüber verliere, so könnten gewisse Leute, die allerlei Profit gemacht haben mit den Christen, eine seidne Schnur bekommen daß ihnen der Taback nicht mehr schmeckte.

BASSA.

Immer wie Schießpulver fährt sie heraus, was thu ich ihr denn dumme Gans, ich sitze in den Akten bis über die Ohren und weiß selbst nicht was ich spreche, ich antwortete euch blos, sonst seid ihr auch nicht zufrieden.

FAVORITE
weint.

Ach hätte ich das je gedacht, als ich in hoher Pracht erzogen, als noch mit Rosenwasser meine Windeln ausgewaschen wurden, meine Haare mit Rosenöl balsamirt wurden, als mein Spieltisch eine große Bisampaste war, als jedes Schnupftuch mit Dukatengold gestickt war und jedes Hemde mit Rosen bemalt, als ich bei hohen Festen mit fünfzig Shwals so schwer einhergegangen, – wer hätte je gedacht daß ich so einem rohen miserablen Menschen [347] sollte zugetheilet wer den. Unselges Loos der Fürstenkinder!

BASSA.

Beim Alla, was thu ich dir denn, bin ich dir je untreu gewesen, hast du nicht alle Tage deinen Kaffee vors Bett ...

FAVORITE.

Ja wärst du mir noch untreu, ich drehte dirs Genick gleich um, ja daß du es nur sagen kannst, dafür muß ich dich mit der Nadel zeichnen.


Sie reißt ihm eine Schmarre übers Gesicht.
BASSA.

Du Wütherich, das ist kein Spaß, ich kann hier meinen Namen nicht in Ruhe schreiben, he, Achmet leg mir Pflaster aufs Gesicht – ists erst vernarbt, da scheint es aller Welt ein Säbelhieb.

ACHMET
leise.

Die schöne Frau, die mit dem Admirale eingeritten, sie heißt Olympie und wohnt im Nonnenkloster, es wäre leicht sie dort zu rauben.

BASSA.

Still, still, ich komme gleich heraus, laß dir nichts merken. Laut. Ich dachte hier ein Stündchen ruhig meine Morgenpfeife auszurauchen, so gut wird mirs nicht, ich kann hier meinen Namen nicht ordentlich unterschreiben.


Ab mit den Verschnittenen.
FAVORITE.
Gottlob den alten Narren sind wir wieder los, er klebte wie Pech, ich mußte Gewalt brauchen.
ROXANE.

Ein kluges Weib ist doch der höchste Schatz, wie ist uns mancher Scherz vergönnt in deinen [348] Schutz, jetzt wollen wir ein artig Spielchen machen, oder wenn es dir gefällt so hol ich deinen Sohn.

FAVORITE.

Ach laß den Krüppel bei den Sklaven, er wird dem Vater gar zu ähnlich, wie viele schöne Kinder würden um uns leben, wenn wir in Freiheit wären.

FATME.
Das werde ich dem Bassa wieder sagen, der wird sich wundern über deine Liebe.
ALLE.
Sie will uns angeben, schlagt sie todt.

Sie schlagen Fatmen.
FATME.
Herr Bassa, liebster Herr Bassa, aller liebster Herr Bassa, zu Hülfe, sie schlagen mich todt.
BASSA
kommt.
Was für Spektakel ist da wieder, kann meine Akten nirgends schreiben.
FATME
heult.
Väterchen steh deiner Toter bei; sie schlagen mich todt, weil ich ...
ALLE.

Sie hat dich gelästert, sie hat dich einen schwachen Mann genannt, sie hat uns gelästert, wir leidens nicht.

BASSA.

Nun sieh du dummes Ding, um deine Narrenpossen soll ich mir heut den ganzen Tag versäumen, soll ich dir alles hingehen lassen. Ich wills dich lehren, Er kneipt ihr in die Backen. sieh, da hast du eins, ich kann auch strafen. Nun will sie künftig artig sein?

FATME.
Ich habe aber nichts gethan?
BASSA.
Sie will noch reden, nun wahrhaftig, [349] da lauf ich gleich davon, ich hab heut mehr zu thun. Ab.
FAVORITE.

Es wird was Rechtes sein, was er zu thun hat, gleich läßt er alle Straßen sperren mit Ketten, wenn er den Sultan nur ein paarmal recht betrügen will. Hör Fatme, du kannst nichts gegen unser Lärmen, dein Schmeicheln ist verloren.

FATME.

So ists mir auch einerlei, wie es hier geht. Er ist kein Mann der Bassa, glaube ich, so elend mich hier zu verlassen, nachdem er mir so oft gesagt, ich sollte hier auf Ordnung halten; ach könnt ich nur heraus ins Freie, einmal nur.

FAVORITE.

Und darum füge dich zu uns und diene frei; viel Hunde sind der Hasen Tod, der Sultan mag sich noch so listig stellen, wir wissen doch zu weilen Rath zu schaffen; so mancher Pilger, der zum heilgen Grabe zog, hat erst bei uns das Leben kennen lernen.

FATME.
Ich muß mich schon in deinen Willen fügen, so halt ichs länger doch nicht aus.
FAVORITE.

Du mußt durch Dienste deinen Willen zeigen, heut geb ich dir die Wache an dem hohen Fenster mit dem Spiegel, all was vorüberzieht mit Klugheit zu betrachten. Zieht eure Schuhe aus ihr Frauen, du Fatme nimm sie mit und zieht ein Mann vorüber, der dir recht gefällt, so wirf den Schuh herunter, [350] er wird ihn nehmen und dem Pförtner bringen, der weiß dann schon was unsre Glocke schlägt.

FATME.

Gebt her die Schuhe, doch mein' ich nicht, daß einer jener Christen mir gefallen könne, die Mutter hat sie mir so häßlich stets beschrieben. Ab.

ROXANE.
Was gilt die Wette, sie glaubt an ihre Mutter bald nicht mehr.
FAVORITE.

Ich meine sicher, heute wirds hier lustig werden, ich möchte etwas spielen, doch nichts, wobei man stille sitzt. Zeigt her, wer hat den kleinsten Fuß, zeigt erst den rechten, dann den linken, – ihr fallt, wir wollen uns auf weichem Boden rollen. Jetzt laßt uns tanzen, ihr zweie müßt die tiefgedämpften Trommeln schlagen, ich will den Bassa spielen, wenn er das Schnupftuch wirft.


Es beginnt ein zierlicher pantomimischer Tanz, in welchen sich jedes Mädchen durch zärtliche Bewegung vor der Favorite auszuzeichnen sucht, sie wählt aber Roxane, die am zudringlichsten sich darstellt, alle lachen; einige Verschnittene, die ins Zimmer getreten, schütteln mit dem Kopfe.
FATME
läuft eilig herbei.
Mehr Schuhe, mehr Schuhe, ich habe meine beiden auch weggeworfen.
ROXANE.
Wie bist du erhitzt. Sachte, sachte.
FATME.

Mehr Schuhe, es sind noch über funfzig draußen, lauter Propheten von Alla gesandt, dreißig sind schon im Hause – seht da kommen sie.


Sidney, Viren, Bromly und viele Engländer treten ein.
[351]
SIDNEY.

Gebt Achtung, ob Olympie hier irgendwo verschlossen, ganz unbegreiflich ists, wer sie geraubt, – sie wars gewiß, die uns die Zeichen mit den Schuhen gab. Für sich. Erst jetzt fühl ich so ganz wie ich sie liebe, da ich sie in verruchten Armen glaube.

VIREN.
Seht da viel schöne Frauen wunderlich erschrocken in den Winkel eng zusammengedrängt.
SIDNEY.

Wer gab dies Zeichen uns, wars nur ein Zufall, daß der zierlich kleine Schuh mir in die Hand gefallen.

FATME.

Ich wars, ich wars, ich warf sie von dem Thurm herab, um euch hinauf zu locken, ich habe euch zuerst gesehen, doch weiß ich auch, wen ich von euch vor allen anderen erwählen möchte.

FAVORITE.

Das kommt dir gar nicht zu, was übrig bleibt ist dein. Sie ist nur meine Dienerin. Ihr seid hier alle mein ihr Christen, wie Vögel eingefangen sitzet ihr auf Leben und auf Tod, ein Ruf von mir so seid ihr niedergehauen von unserer Wache, so seid denn folgsam, lieben Vögel, ihr sollt hier bessres Futter als in der Freiheit finden, ihr seid in meinem Schutz.

ROXANE.

Jetzt sind wir alle gleich, sie hat nichts mehr zu sagen als wir alle, wenns gegen die Befehle unsres Bassa geht. Ich wähl mir diesen hier. Zu Sidney.

[352]
FAVORITE.
Den laß ich mir gewiß nicht nehmen, der ist mein Augapfel.
FATME.
Nein er ist mein.

Die Favorite schlägt auf beide, alle fallen über sie her, großes Getümmel, wobei der Bassa mit Olympien eintritt.
BASSA.

Alla, Alla wende weg die Augen, welche Schande seh ich hier, fremde Männer bei de Weibern, sagt wer ließ euch hier herein?

OLYMPIE.
Sidney, Rettung, Rettung.
SIDNEY.

Ich sterbe hier, wenn ich euch nicht befreie. Bassa, diese edle Frau ist gewaltsam uns entrissen und gewaltsam nehm ich sie zurück.


Er entreißt Olympien dem Bassa.
FAVORITE.

Recht ihr edlen weisen Christen, nehmt uns alle diesem Manne, den wir hassen und verachten, hängt ihn auf an seinem Barte.

BASSA.
Welche Kühnheit, sprecht wer seid ihr?
SIDNEY.

Ich bin Sidney, eures Kaisers Freund, der bei Akre hat gesieget, ich bin Sidney, wollte euch begrüßen und verfehlte nur die Thüre. – Mädchen zauset nicht den Alten so gewaltig, daß er mit mir reden kann. Sagt, wer gab euch Recht uns diese Frau zu rauben?

BASSA.

Ach es war so heiße Liebe, laßt das gut sein, sie ist euer, ihr seid Sidney, Blitz der Schlachten, euch gehören meine Weiber alle, wählet nach Gefallen, außen darf es niemand wissen, aber mir ists[353] Seelenwonne, einen Sohn von eurer Art hier zu meiner Ehre erziehen, und er theile all mein Erbe.

FAVORITE.

Unsers Herrn Wille mag geschehen, Herr verschmähet mich nur nicht, seht mich hier zu euren Füßen tief erniedrigt, wie das Weibchen des Fasanen, wenn ihr Liebling kommt gelaufen.

OLYMPIE.

Welch ein Greuel, nach des Klosters keuschem Frieden, Sidney bringet mich zu meinem Manne, oder zu des Klosters reinem Himmel.

SIDNEY.

Bassa nach der Christen Glauben darf ich nicht mit Heiden mich vermischen, nehmet unberühret eure Weiber all zurück, doch ermahnet sie zur Zucht. Nur die Christin nehm ich mit in meinem Schutze, schwört mir daß ihr keinen neuen Plan sie zu rauben, zu verführen wollt in eurer Seele dulden.

BASSA.

Nimmermehr, hätt ich gewußt, daß ein Mädchen euch so werth, selber würd ichs euch bewachen, mir sind hundert einerlei.

ALLE WEIBER.
Alla strafe diesen Mann.
OLYMPIE.
Sidney führt mich eilig fort, wie viel Dank bin ich euch schuldig.
SIDNEY.
Daß ich lebe dank ich eurem Manne.

[354]

Das Nonnenkloster in Jerusalem

Das Nonnenkloster in Jerusalem.

Olympie, die Äbstissin und viele Nonnen auf einem Altan, der von Weinreben beschattet ist und weit über die Gegend hinaus schaut.

DIE ÄBTISSIN.
Gelobt sei Gott und Sidney daß du uns und deiner Freiheit bist zurückgegeben danke das dem Herrn.
OLYMPIE.
Du weißt, verehrte Mutter, meines Mannes Leiden; ich kann nicht fröhlich sein.
ÄBTISSIN.

Sieh liebe Tochter, deine Schwermuth zu erheitern, hab ich dich hier auf den Altan geführt, die Fröhlichkeit des Glücklichen kann ich von dir nicht fordern, doch das begehre ich, daß du dich nicht dem Trost verschließen möchtest. Sieh auf aus den verweinten Augen, wie dort der Palmenwald vom warmen Wind bewegt in seiner Farbe ewig wechselt, er scheint ein fernbewegtes Meer.

OLYMPIE.

Ach wär ich noch auf weitem Meer und wär es Nacht und Sturm, Lysander ständ mir doch zur Seite, in hoher Thaten Ahnung froh, gesund, jetzt seh ich überall Zerstörung, wie Grabessteine schimmern jenes Tempels Trümmer.

ÄBTISSIN.

Sieh dort den rothen Mohn, der hell durch alle Trümmer der Zerstörung flammet, sieh dort die gelbe Ginster unterm dunkeln Zederndache.

OLYMPIE.

Ach darum möcht ich mich im eng beschränkten Raum verschließen, ich fühle meinen[355] Schmerz in allem, ich fühle mich in jener Zedern Dunkelheit, ob unter ihrem Schatten Glückliche, ob Unglückliche drunter weilen, ob Blumen blühen oder Gräber aufgerissen werden, sie müssen immer trauern. Bei jenen Knochen, die so feurig glänzen, da denk ich an Lysanders Blut, ich denke des verlornen Bruders Cardenio, den ich zuerst gesehen in der Kirschenzeit.

ÄBTISSIN.

Sieh an dein lächelnd Kind, es weiß von der Erinnrung nicht, es lebt der Hoffnung und der Gegenwart. Was spielt ihr mit dem Kleinen?

NONNE.
Wir spielen jetzt das kleine Jesulein mit ihm.
ANDRE NONNE.

Sieh nur, wie hübsch es ist, wie froh, nun ihm der Kleider Last genommen, wir haben ihn ins Krippelein gelegt, hätt ich doch nie gedacht, da so ein Kind gerade so aussieht, wie es gemalt ist in der Kirche, es ist doch gar ein heilig Wesen um ein Kind.

NONNE.
Was sollten denn die Maler es viel anders malen als es ist, das wär ja thöricht.
ANDRE NONNE.

Du hast wohl recht. Wenn es nur mir ein Wörtchen wollte sagen, wie Christus that den andern Kindern. Hör Bübchen, thu ein kleines Wunder, ach Wunder möcht ich gar zu gerne sehen, so eins wie Christus einem armen Kinde in seinem Röckchen Wasser holte, nachdem das arme Kind den Topf zerbrochen und seiner Mutter Schmähung [356] fürchtete, oder wie er einst die Schlang zwang das Gift selbst auszusaugen, das sie dem Knaben eingebissen.

EINE DRITTE NONNE.
Der Kleine braucht kein Wunder mehr zu thun, er ist recht schön so wie er ist, auch ohne Wunder.
ANDRE NONNE.

Wenn er nun Wunder thun will, sprich, wer solls ihm wehren, wir müssen ihm gehorchen, es ist der Bräutigam.

ÄBTISSIN.

Verliert euch nicht in eurem Spiel, ihr Mädchen, man sieht, daß es was Neues für euch ist ein Kind zu pflegen, müßtet ihr vom Morgen bis zum Abend für so ein Dutzend Schreier sorgen, ihr würdet sie nicht mehr für euren Herrn und für den Seelenbräutigam erkennen.

NONNE.
Mir wär die Mühe schon ganz recht.
ANDRE NONNE.
Weißt du was er mir eben in das Ohr geflüstert hat, ich sag es aber nicht.
DRITTE NONNE.
Mir darfst du es schon sagen.
ANDRE NONNE.
Er sagte mir, ich sei die Frömmste.
DRITTE NONNE.
Das hat er mir viel früher schon gesagt, der kleine Schelm.
OLYMPIE.

Ihr guten Mädchen, ich wünscht euch allen Kinder zur Erziehung, ihr würdet ihnen frohe Jugend geben; ehrwürdge Mutter, ich wüßte gar nichts Schöneres für eure heilige Bestimmung, [357] als der verlassnen schlechterzognen Kinder euch hier anzunehmen.

ÄBTISSIN.

Oft habe ich daran gedacht, doch ist die Zahl der Christen hier nicht groß, die meisten nähren sich von frommen Pilgern, der Lebensunterhalt ist leicht erworben, zu einer Schule wäre wohl Gelegenheit, doch fehlt es uns an Frauen, die gleich dir ein männliches Erkenntnis in der Sprache, in der Schrift mit eingezognem stillen Sinn verbinden; ach könntest du uns werden eine Lehrerin?

OLYMPIE.

Du überschätzest mich, verehrte Frau, doch wahrlich, wenn mich nicht ein lieber Mann der Welt verbände, wie gerne blieb ich hier an diesen heilgen Stätten, den Kindern heilge Schrift zu lehren, woraus sie unsers Herrn Größe erkennend fühlen könnten. Welche Angst ergreift mich plötzlich – wunderbar, du ewger Gott gieb mir Stärke.

NONNE.

Seht da den großen schwarzen Zug der Christen, der sich mit festlichem Gesang durch jene Rosenbüsche zieht zu jenen Lilienhügeln, wo schon so viele Pilger schlafen.

OLYMPIE.

Es ist in Begräbnis, es ist Lysander, der begraben wird, gewiß, es sagts mein Herz, er weilt nicht mehr auf dieser Erde, denn ich erkenne sie nicht mehr, sie scheint nur fremd, kein Werk aus Gottes Vaterhand.

[358]
ÄBTISSIN.

O meine Tochter, du Bedauernswerthe, laß jetzt die Andacht zu dem Herrn deine ganze Seele füllen; wie ein Meer das in ein Bergwerk bricht, so muß die Andacht deiner Seele Schätze der fremden Welt verschließen, dich erfüllen mit lebendger Kraft.

OLYMPIE.

Ach er ist todt, ach warum riß mich Sidney grausam von des Kranken Seite, ich hätte seine Schmerzen lindern können, ich wär in gleicher Pest mit ihm gestorben.

ÄBTISSIN
übergiebt ihr das Kind.
Du solltest deinem Kinde leben.
OLYMPIE.
Weh mir, ich seh des Vielgeliebten Züge, den ich nun nimmer wiederseh.
NONNE.
Ach wie vergänglich ist die Welt da draußen, zieh ein bei uns!
ÄBTISSIN.

Sei ruhig liebe Tochter, schone dich, es war sein letztes Flehen, dir sanft von seinem Tode zu berichten, er segnete sein Schicksal daß er mit seinem Leben so hohes Weltgeschick gelenkt, er starb in Gottes Licht, er rief, daß du am heilgen Grabe würdest Trost des Herrn finden.

OLYMPIE.
Im Grabe bald!
PFÖRTNERIN
kommt.
Ehrwürdige Mutter, ein Fremder will euch sprechen.
ÄBTISSIN.
Ich komme.

[359] Sprachzimmer im Nonnenkloster. Sidney und die Äbtissin.
SIDNEY.

Seid mir gegrüßt, ich sage euch in wenig Worten mein Verlangen. Lysander hat auf seinem Sterbebette Olympien mir empfohlen; ich liebe sie, wenn erst des Schmerzes Krampf vorüber, da sagt ihr das, nach meinem Schicksal sei sie mir das Liebste auf der Welt, kann sie mir Lebensglück gewähren so könnte mich ein Wort von ihr beglücken, doch was sie auch bestimmte, wohin sie auch verlangt, ob sie mich meiden will, ich unterwerfe mich und will vollbringen was sie befiehlt.

ÄBTISSIN.
O welche freie Frau möcht eure Hand ablehnen!
SIDNEY.

Der Himmel will manch Sonderbares an mir zeigen, – ich habe zum Ertragen Muth. Gott sei euch gnädig, und der lieben Hausgenossin. Ab.

Die drei Alten in Jerusalem

Die drei Alten in Jerusalem.

Nacht in der Nähe der Kirche des heiligen Grabes. Drei alte Männer treten zusammen in der Nacht.

ERSTER ALTER.
Einer der durch die Pforte gegangen.
ZWEITER ALTER.
Einer der aus dem Grabe gekommen.
[360]
ERSTER ALTER.
Eins und eins sind zwei.
DRITTER ALTER.
Einer der durch die Luft gezogen.
ERSTER ALTER.

Einer und einer und noch einer sind drei, drei sind die Gemeinde. Du, der durch die Luft gezogen, wie heißt das Wort des Tages?

DRITTER ALTER.
Zwischen weiß und schwarz, zwischen kalt und warm, schwebet der Mensch, besser kalt als schwarz.
ERSTER ALTER.
Was bringst du von den Menschen?
DRITTER ALTER.
Wie immer.
ZWEITER ALTER.
Nichts Gutes.
DRITTER ALTER.
Sidney hat sich rückwärts gewendet.
ERSTER ALTER.
Zu wem?
DRITTER ALTER.
Zu Olympien.
ZWEITER ALTER.
Sie ist zu Gott gewendet.
ERSTER ALTER.
Ich werde ihm tröstlich erscheinen. Aus einander, auf Nimmerwiedersehn, gute Nacht.
ZWEITER ALTER.
Auf Allesvergessen, gute Nacht.
DRITTER ALTER.
Bis zum jüngsten Tag, gute Nacht. Alle drei auseinander fort.

Die Juden kommen von allen Seiten angeschlichen.
RABBI.

Kümmt kümmt ihr Juden, hier sieht euch niemand, hier legt das Feuer an, da sollen erst [361] die Christen Wunder sehen wenn ihre Kirche brennt über ihnen.

JUDE.
Ich weiß nicht wies mir geht, ich schlag mir die Knöchel ab, es kommt kein Funken, bin ich blind?

Ahasverus, der sich mit Cardenio und Celinde mühsam herangeschlichen.
AHASVERUS.
Siehst du das Licht des Herrn nicht?
JUDEN.
Wir sind verrathen, fort, fort. Sie fliehen.
AHASVERUS.

Euch wird das Feuer noch erreichen. Hier meine Kinder laßt mich ruhen, ich finde Ruhe wieder in dem Herzen, seit mich der Herr zur Rettung seines Heiligthums bestimmte.

CARDENIO.
O nimm mich mit zu deiner Ruhe Vater.
CELINDE.
Auch mich.
AHASVERUS.

Cardenio geliebter Sohn, du bist zu einer hohen Freude noch bestimmt; mich lasse hier in höhrer Hand, ich habe alles überlebt, ich sterbe.

DIE DREI ALTEN
kommen.
Er ist unser, weicht von ihm.
AHASVERUS.
Euer Antlitz darf ich schaun.
DIE DREI ALTEN.
Und des Meisters Angesicht.
AHASVERUS.
Selig, selig, wer den Herren schauet,
Ach es weicht die dunkle Erde,
[362] Kinder, Kinder ihm allein vertrauet,
Segnet Schmerzen dieser Erde,
Meine Thränen, meine Leiden
Sind erblüht zu ewgen Freuden.

Er stirbt.
CARDENIO.
Wehe uns, er stirbt.
CELINDE.
Wehe, wehe, hier an seiner Seite wird mir wohl.
DIE DREI ALTEN.
Weicht von ihm, denn er ist unter den Seinen, schreitet weiter noch ins Leben eh ihr wagt zu ruhn.

Die drei Alten tragen die Leiche fort, Cardenio und Celinde bleiben betend liegen.

Die Nacht in der Herberge zu Jerusalem

Die Nacht in der Herberge zu Jerusalem.

Eine Schmiede.

SIDNEY.

Von meinen Freunden ist noch keiner in der Kirche, keiner mehr zu Hause, ich sehe jetzt wie es den Kreuzesfahrern alter Zeit ergangen, nach jahrelangem Harren in der Wüste, wie sich die größre Schaar in wilder Lust zerstreut, statt der Erreichung ihres nahen Ziels, der Sicherung des heilgen Grabes zu gedenken; es gehn die Leidenschaften allgesammt zugleich im Menschen auf, das höchste Streben wecket das Gemeinste. Auch mir? Nein bei Gott, es ist ein anderes Gefühl was mich Olympien zugeführt, erst morgen soll ich ihren Willen wissen, erst morgen, o [363] gäb es kein Gebet und keinen Kirchendienst, ich überlebte nicht den Zweifel der so mein ganzes Wesen hat zerrissen, daß ich die ganze Welt in diese Wunde könnte legen. Ab.


Viren und Bromly kommen lustig gelaufen.
BROMLY.
Das nenn ich mir ein schönes Leben in der heilgen Stadt.
VIREN.

Was Teufel ich habe mir das Schienbein an dem Ambos ganz zerstoßen. Hör, seit Olympie von uns fern im Kloster, da ist kein Heil bei uns, ich fall in alle meine alte Sünden wiederum zurück, ich spiele ...

BROMLY.

Mit Geld und Mädchen. Das war verfluchte Wirthschaft bei dem Bassen, ich hoffe daß die Eine, Fatme, noch zu mir kommt, ich hör schon leise Tritte.


Ein moderner Reisender tritt auf.
BROMLY.
Geliebtes Wesen du hasts gewagt?
REISENDER.
Ich habs gewagt und bin recht glücklich durchgekommen.
BROMLY.
Hol Sie der Teufel, ich dacht es wär ein andrer.
REISENDER.

Es schadet gar nichts, im Gegentheil es ist mir lieb daß ich euch treffe, ihr müßt mit mir noch einmal auf den Hügel vor der Stadt, ihr glaubt nicht welch ein Anblick durch dies Dunkel dringet. Ernst röthlich schimmert durch die hohen Fenster[364] der Grabeskirche Licht, rings schwanken all die Lichter der Menschen die durch alle Straßen schweifen, die Sterne selbst sie schimmern zweifelhaft daneben.

BROMLY.
Das mag wohl wahr sein, es ist kurios.
REISENDER.

Wo jetzt die Kirche steht in hoher Pracht mit ihrer Kreuzesfahne durch die Nächte leuchtend wie die Wolke über der Stiftshütte, das war sonst außerhalb der großen Stadt, ein öder Raum zur Hinrichtung der Sünder schauerlich geeignet. Doch Christi Tod, wie er den Tod vernichtet, hat auch des Todes alte Stadt zerstöret, dies Judenvolk das nur durch Sonderung von allem etwas war, das mußte untergehn seitdem die neue Lehre sie mit der Welt verband.

BROMLY.
Wahrhaftig, das ist sehr möglich.
REISENDER.

Nachdem die Stadt des Frevels war zertrümmert, die alles Herrliche was ihr geboren frech vernichtet hatte, da zog die Sehnsucht von Millionen Seelen das heilge Grab zu sehen viel tausend arme Menschen rings um diesen Felsen wiederum zusammen, die Stadt ward nun erbaut wie um den Thron, wo sonst der Missethäter Grabesstätte war.

BROMLY.

Gewiß, der Aberglaube ist doch auch zu etwas nutze, es bliebe manche Wüste unbewohnt, wenn mancher nicht den Leib kasteien wollte, auch hat [365] dies Wallen nach dem Morgenland so manche Kunst verbreitet und manche sonderbare Völkermischung.

VIREN.
Wir legens beide an auf solche Mischung, das wird ein sonderliches Völkchen werden, Faunen, Satyrn.
REISENDER.

Gut daß die Leute euch hier nicht verstehen. Ich kann euch nicht verstehen, wenn ihr auch nichts von unsrer Religion gehalten, wie könnt ihr euch mit leichterfundnem Witz die ernste Pracht von diesen Tagen rauben und glaubet mir, wenn ich so phantasire hier vor mich, da fällt mir doch zuweilen ein, es möchte nahe sein der Antichrist, mit ihm der Untergang der Welt.

BROMLY.

Das wär doch einzig, das möcht ich noch erleben, das Sterben muß zum bloßen Spaße werden wenn alles untergeht.

VIREN.

Du bist ein rechter Frevler, sieh nur, wenn die Apostel-Bilder dich verständen, weil sie am Pfingstfest aller Sprachen Gabe einst empfingen, seit Mesmer ist das leichtlich zu erklären, wenn Petrus nun sein Schwert gezogen, Matthäus seine Axt um dir den Mund zu stopfen.

BROMLY.
Ich wollte mich mit ihnen boxen. Au weh mir, Gott verzeih.

Ein Kameel hat durch die Wand voll Löcher übergegriffen und in Bromlys Haare gebissen.
DER REISENDE
schlägt nach dem Kameel, es zieht [366] den Kopf zurück.

Je will die Bestie ruhig sein. Seht starker Geist der eben noch dem Antichrist getrotzt, seht her, ein hungriges Kameel das euer struppig Haar für Heu hat angesehen, hat euch mit Geisterhand erschüttert.

BROMLY.

Bei Gott, wie konnts auch anders sein, so unnatürlich kam mir das Gebiß aus hoher Luft, es freut mich daß es so natürlich war.

VIREN.
Du glaubst doch auch an Geister.
BROMLY.

Aus meiner Kindheit blieb mir noch ein Grauen in der Mitternacht, wer kann den alten Sauerteig verdauen.

REISENDER.

Wohlan, dies Geisterreich sei auch ein Kindermährchen, graut euch denn nicht vor dem gewaltgen Geisterreich, von dem ihr nur ein Hauch, das euch sogleich in Richts vergessen kann, wenn ihr euch gegen euren Ursprung frech empört.

BROMLY.

Das ist zu hoch, ich habe Lust zu schlafen und fürchte schon der Schmiede frühes Hämmern, das ist mir schrecklicher als euer Nichts.

REISENDER.
Nun Frieden dann für heute, ich bin sehr müde.
VIREN.
Ich schlafe schon.
CARDENIO UND CELINDE
singen vor der Thüre.
Laßt euch rühren,
Öffnet eure Thüren,
[367] Ach erbarmet euch der Armen,
Gott wird eurer sich erbarmen,
Wir sind ohne Geld und Gut,
Unsre Tritte voll von Blut,
Unsre Kleider naß von Schweiß
Von der weiten Pilger-Reis',
Unsre Kehlen hart vom Staube,
Unsre Herzen voller Glaube,
Ach eröffnet eure Thür,
Wir vergehen sonst allhier.
REISENDER.
Wir wollen sie doch zu uns fühlen.
BROMLY.

Es geht nicht, alles wär verrathen wenn dann mein Mädchen käme, laßt sie, sie bringen uns nur Krankheit Staub und Ungeziefer.

VIREN.
Geht weiter ihr Leute.
CELINDE.
Laßt uns nicht vergebens flehen,
Können nicht mehr weiter gehen,
Wohlthun ist der Christen Pflicht,
Christen ach, verstoßt uns nicht.
VIREN.
Die Stimme rührt mich wie aus alter Zeit.
BROMLY.
Du träumst schon wieder, marsch fort ihr Leute oder seht ich laß die Hunde auf euch los.
CELINDE.
Ach erbarmet euch.
VIREN.
Es ist mir ganz als hörte ich Celindens Stimme, doch die liegt in dem tiefen Meere.
REISENDER.

Bromy ihr seid ein harter Mann ein Türke wäre milder. Wie oft hab ich die Türken mühsam steigen sehen auf ihres Hauses Dach um kleine [368] Störche aufzufüttern, die von den Alten allzufrüh verlassen; die armen Pilger sind von aller Welt verlassen.

BROMLY.

So thut doch selber etwas für die Armen wenn euer Herz in Mitleid übergeht, das Reden wird euch auch nichts helfen.

REISENDER.

Das ist sehr sonderbar, ich bin bestimmt zum Reden, ihr zum Handeln, doch laßt sie diesmal immerhin nur draußen, sonst dringen gleich ein hundert dieser Pilger ein und kochen, waschen trompeten bei den heiligen Bildern, da kommt noch wohl ein lustiger Erzähler und schwätzt die ganze Nacht, und einer spielt die Orgel, läuft lustig allen über ihre Beine, das sind so alte Späße die mir ganz verhaßt, die ganze Luft wird zum Gestank, es ist doch besser daß sie draußen bleiben. Gute Nacht.

DER SCHMID
tritt ein.
Gelobt sei Jesus Christus, wacht auf ihr Herren, schon ziehen viele Pilger in die Kirche.
REISENDER.
Laßt uns in Ruhe, wir sind so eben nur zur Ruh gekommen.
SCHMID.
Nun meinetwegen. Er fängt an zu arbeiten.
REISENDER.
Ja bei dem Lärmen ists unmöglich noch zu schlafen.
SCHMID.

Mir thut das nichts ich muß heut früh anfangen, die Esel die gestern hin nach Bethlehem [369] gezogen, die haben ihre Eisen all auf dem Magnetenberg verloren.

REISENDER.
Magnetenberg? Wo liegt denn der, ich habe auch davon gehört.
SCHMID.

Er ist sehr leicht zu finden, eben daran wenn eurem Esel alle Eisen abfallen; er ragt nicht sehr hervor, er liegt wie ich euch sage zwischen hier und Bethlehem, ich muß es doch wissen, ich bin Postmeister hier, es ist meine beste Station da giebts die wenigsten Fußreisenden.

REISENDER.
Da möcht ich hin.
BROMLY.

Wie könnt ihr doch das dumme Zeug nur glauben, es ist ja ganz unmöglich, der Kerl macht sich mir einen Spaß, er spricht von einem Berg wo viele Eisen abgelaufen werden.

REISENDER.

Unglaube und Betrug verstehen sich einander stets. Sagt doch ihr listiger Herr Schmid, was werft ihr da für Sand aufs Eisen?

SCHMID.
Das hat der Herr uns einst gelehrt als er noch unter uns gewandelt.
REISENDER.
Erzählt doch, das muß artig sein.
SCHMID.
Mit seinen Jüngern ging unser Herr
Den armen Leuten zu geben Lehr,
Dieweil die Reichen nicht auf ihn hören,
So muß er sich wohl zu den Armen kehren.
Er kam nach heißem Tage spät
Ins Dorf, wo alles schon schlafen thät,
[370] Doch kam er bei einer Schmiede vorbei,
In der war noch ein groß Geschrei.
Gleich thät sich der Herr dahin begeben,
Der Schmid sich wollte dem Teufel ergeben,
Er hatte ein sprödes und hartes Eisen,
Das ließ sich gar nicht zusammenschweißen,
Er brannte umsonst die theuren Kohlen
Und schrie, ihn soll der Teufel holen,
Und seine neun Kinder all' dazu,
So hätt er doch endlich ein wenig Ruh.
Er fluchte die Teufel all aus der Hölle,
Den Jüngern ward bange auf der Schwelle,
Er ließ schon den Blasbalg so grimmig blasen,
Als hülf ihm der Teufel mit seiner Nasen,
Es thät das Feuer so grimmig knacken.
Als wollten die Teufel ihn gleich anpacken.
Sankt Petrus sprach, der hitzige Mann.
O Herr thu den in ewigen Bann.
Auf daß er die frommen Leut nicht necke,
Die Ehleut aus erstem Schlaf nicht schrecke.
Da lächelt der Herr, zu Petrus spricht:
Du hast kein Kind und weißt noch nicht
Wie armen Leuten beim Kindergeschrei,
Wenn der Brodschrank leer, zu Muthe sei,
Du ziehst herum und läßt mich sorgen,
Wo ich ein wenig Essen mag borgen,
Und meinen Segen thue daran,
Daß es uns alle sättigen kann. –
Dann tritt er zum Schmid ganz freundlich ein
Und frägt ihn, was dieses Fluchen soll sein,
Und spricht zu ihm: Sanft, sanft mein Freund. –
Der Schmid in seiner Erhitzung meint,
Er hab ihm gerathen Sand zu nehmen
Und will sich eilend dazu bequemen,
[371] Vom Boden kratzt er ein wenig Sand
Und streut ihn aufs Eisen mit seiner Hand,
Das in den Kohlen roth erglüht.
Er hat sich nicht umsonst bemüht,
Es ließ das harte spröde Eisen
Sich nach der Gluth im Sande schweißen,
Das dankt er dem Herren mit allen Ehren,
Es thät ihn der Sand zum Christen bekehren.
Jetzt weiß es ein jeder; doch es erfand
Des heiligen Wortes Mißverstand,
Man brauche zum Schweißen des Eisens den Sand:
Denn alles sich zum Guten kehrt,
Was uns die Frömmigkeit gelehrt.
REISENDER.
Ein guter Spruch, der alle Tage zu gebrauchen.
SCHMID.
Der Henker hols, da schwatze ich und schmiede nicht mein Eisen, da es glüht. Er schmiedet.
BROMLY
der eingeschlafen war.

Marsch, Feuer. Seid ihrs? Nun die Nacht war auch wie eine Stunde bei meinen französischen Sprachmeister recht langweilig verloren, die Mädchen haben mich gefoppt.

VIREN.

Ich träumte von Celinden, mir ward so weh ums Herz, ich sah sie bettelnd stehn vor meiner Thür und kannte sie und kannte sie auch nicht; ein Mensch mag noch so vernünftig sein, im Traume ist er dennoch toll. Wahrhaftig, schon blitzt der Tag am Nachbarfenster.

REISENDER.

O seht wie triumphirend steigt die Sonne an dem Ölberg dort in ihrem Strahlenwagen, [372] es scheint der Hügel eingebrannt auf ihrem Wege, schon öffnen sich die Gräber, frommer Einsiedler Kapellen im dürren Sand gehauen, sie steiget aus dem Grabe, wie läuten ihr die Glocken froh entgegen, die Fenster glänzen feurig von ihr wieder, die Pilger ziehn mit Kreuzen und mit Fahnen, noch gehn sie schwer belastet mit Gelübden, bald kehren sie erleichtert und erheitert in innrem Frieden heim. Ihr ganz Ungläubigen, ihr werdet schamroth vor dem Blick der Wahrheit und möchtet glauben dürfen und glaubet heimlich.

BROMLY.

He da, in meiner Kapitulation steht nichts vom Glauben, bei Nacht bei Tage, zu Land und zu Wasser soll ich seiner Majestät dienen, weiter nichts.

REISENDER.

Nehmt nur den Glauben an wie fremde Sprache, wenn ihr in fremdem Land gewesen allmälig wird euch schon der Sinn erwachen.

BROMLY.

Du machst es heute unerträglich, erst messe deine Klinge mit der meinen, eh du den Glauben so abmessen willst.

REISENDER.

Barbar und Heide bist du, aber du wirst sehn, daß dich ein höhrer Arm in meine Klinge stößt; ich glaube fest daran, ich weiß es – es wäre Mordthat, wenn ich mit meiner Klinge dir begegnete. Glaubt und ihr werdet selig. Ab.

BROMLY.
Was war denn das?
[373]
STIGMA
eintretend.
Ich komm mit einem Auftrag von dem Herrn, der eben fortgegangen.
BROMLY.
Ich bin zu jeder Zeit bereit, hat er mir Ort und Zeit bestimmt.
STIGMA.
Es kann hier gleich geschehen. Ich bitte ziehn Sie nur das Röckchen aus.
BROMLY.

Was nimmt der Kerl für sonderbare Instrumente aus seiner Tasche, ich glaub es ist ein Scharfrichter aus Privatliebhaberei.

VIREN.

Sieh zu, er will nach alter Sitte dir dein Wappen mit dem Kreuz bezeichnet, auf den Arm punktiren, daß jeder glauben mag daß du gewißlich hier gewesen.

STIGMA.

Ja das ist hier Gewohnheit schon seit Jahren und keiner wagt zu zweifeln, ein jeder kennt mein Zeichen und keiner wagts mir nachzustechen.

BROMLY.
Verfluchter Kerl so glaubst du wohl, dein Zeichen habe noch mehr Kraft als meine Worte.
REISENDER
hineinschreiend.

da seht ihr, jeder soll dereinst dir glauben auf dein Wort, daß du hier in Jerusalem gewesen, warum willst du denn unserem Herrn nicht glauben daß er uns selig machen kann.

BROMLY.

Komm nur herein, ich glaubs dir zu Gefallen, du bist ein guter Mensch wahrhaftig, es thut mir leid, wenn ich was hitzig worden, jetzt wein nur nicht, du bist die beste Seele, ich war ein ungemeines Vieh.

[374]
REISENDER.

Es rührt mich tief die harte Seele so erweicht zu sehn, daß Gott mich hat erleuchtet zum Guten dich zu führen, komm neuer Jünger Christi, komm zum Feste, die Glocken lauten schon zum drittenmal.

Der Ritterschlag am heiligen Grabe

Der Ritterschlag am heiligen Grabe.

Die Kirche des heiligen Grabes in der Frühe nur wenigen Pilgern eröffnet, die in den einzelnen Kapellen vertheilt, theils beten, theils die heiligen Überbleibsel von dem Leiden Christi, sein Kreuz, die Säule, an der er gegeisselt, beschauen.
Viren und Bromly kommen zusammen und lesen in Briefen.

BROMLY.

Ein für allemal gesagt, der Glaube geht mir nicht recht ein, was sie mir hier gezeigt, das thut auf mich noch keine Wirkung; mit ausgehungertem Magen, wie hier die meisten Pilger, da sieht man freilich manches; ich habe gut gefrühstückt, bin nun fest. Das Wunder mit dem Lichtanzünden ist ein Skandal, wer weiß, die Priester schämen sich desselben wohl, doch müssen sie es wegen dieses allgemeinen Glaubens jährlich wiederholen. Ja freilich schlag ich einen in die Augen, so sieht er Licht, solch Licht wirds heute geben; die Armenianer und die Griechen balgten sich schon in des Bassa Saale heute Morgen tüchtig um den ersten Platz am heiligen Grabe, die Hälfte ist gebläut, zerschunden und zerkratzt, ein schöner Anblick für die Christenheit.

[375]
VIREN.

Ich halt nicht viel auf Mönche und auf Priester, doch, das ist des Glaubens herrlichster Triumph, wenn er durch schlechte Priester nicht entstellt, durch gute nicht erhöhet werden kann, wenn wie der Fixstern er im Fernrohr und mit bloßen Angen gleich erscheint.

BROMLY.

Mir kommt der Glaube wie die Sonne vor, die längst herunter ist gesunken untern Horizont, wenn sie am größten scheint; macht sich der Glaube gar zu breit, da ist gewiß nichts an ihm, der Glaube in den ersten Christen, das war ein ander Wesen, wenig Worte, viele Thaten, jetzt wiederholen sie ein Halleluja tausendmal mit sauerem Gesicht.

VIREN.

Das Halleluja kann ich gar nicht leiden, ich muß dabei an Halle denken; der Traum in dieser Nacht, die Briefe haben mir den alten Grundmorast schnell aufgerührt, ich ahnete im Traum die Briefe.

BROMLY.
Was schreibt man dir?
VIREN.

Es ist nichts Wichtiges, und doch er greift es mich. Für einen Spottpreis hat Nathanael mein groß Familienhaus gekauft, es ist der Sohn des Juden Nathan, der am Cardenio gestorben, darauf hat er sich einen Grafentitel angeschafft und ein Paar Klöster, ein Mönchs-, ein Nonnenkloster als der Mindestfordernde sich zur Verpflegung übernommen, das alte Volk in meinem Haus zusammengesperrt und die vermehren sich darin nach Herzenslust. Pamphillo, [376] ein lustger Freund Cardenios, hat sich zum Abt darüber setzen lassen und treibt sein Wesen drin in lustiger Erfindung.

BROMLY.

Je das ist ja unendlich lächerlich, ich platz vor Lachen, komm ich nicht ins Freie; begleit mich Bruder, sieh nur den Bruder Reisenden mit einem großen Kräuterbündel und zwei Lämmern durch diese Hallen zu dem Altar milder Gaben schreiten.

VIREN.
Herr Voyageur.
DER REISENDE.
Jetzt hört, nun hab ich fertig meine Zueignung der Opfer.
Als ich ein sinniger Knecht des Herrn, die Welt mir erschauet,
Lag mir in mystischem Duft, tief am Altare das Herz,
Doch da entzündet mein Flehn der Kerzen eine, die höchste,
Streifig leuchtete sie durch in Jerusalems Nacht,
Und ich sahe die Stäubchen durchzuckt von Freuden im Hirne,
Und ich beschrieb es so gern wie mir der Staub noch so lieb.
Doch da haben die Ritter der Wallfahrt gar höhnend gelachet,
Und ihr Lachen verdarbs, wirbelnd den ewgen Staub.
Traurig befürchtete ich zu sinken ins mystische Dunkel,
Denn die Flamme sie war ohne den Staub mir nicht lieb.
Aber da zündet sich hell die Flamme der anderen Seite,
Blumen die sah ich verwelkt, nirgend ein Opfer das lebt,
Und die Ritter sie schwanden wie leere Gestalten im Zwielicht,
Und das heilige Grab war von Pilgern so leer.
Doch da rief mir von oben, denn eben das Höchste war helle,
Jene, beschrieb ich sie wem, der sie nicht selber gesehn:
Lasse den Staub, wer des Staubes, nehme was Eins und verbunden
Drücke ans höhere Herz Blumen und Thiere mit Lust.
BROMLY.
Zum Teufel, ich weiß ja das Ganze, du hast es uns täglich wiedergekäut.
[377]
VIREN.

So viele Mühe gabst du dir, dein elend Opfer zu beschönen, es ist kein Bettelweib im Orte, die nicht was besseres an diesem Fest verehrte.

BROMLY.

Ich möchte deine Braut nicht sein, ich glaub, du bringst ihr welke Blumen und ein langes Lied zur Morgengabe.

REISENDER.

So stört ihr mich in meinem Glück, doch seht gleich stört der Himmel euch in eurem Spott, seht Sidney ernst den Gang hinunter schreiten, gleich seid ihr ernst und weichet ihm.


Alle drei ab.
SIDNEY.

Schon heller Tag! – Das waren große Stunden, da kämpfte tief in sich mein ganzes Wesen und kann ich nicht zum Tage kommen so weiß ich doch, wo mich das Dunkel drückt. – Es scheint die Kirche mir jetzt enge, hat sich mein eignes Wesen so gedehnt? – so wüst, so weit ist mir im Kopfe, als hätte ich in andrer Welt geschwebt. O wunderbare Rechenschaft vor unserm eignen Wesen, wer richtet, wer warnt uns, was scheuen wir in uns, ist denn nicht alles, was aus uns stammt, aus einem Wesen? – Es kann nicht sein – es ist ein doppeltes Gewebe und durch das Netz gemeiner Fäden schlinget sich das Silber und das Gold des höhern Lebens, an dem die Sonne glänzt und das kein Feuer kann verbrennen. – So lang die Neugier mich von einem Bild zum andern trieb, und Wunderschauer mich ergriff von tausendfachen [378] Zeichen jenes heilgen Lebens in dem engen Kreise, das alle Welt vom Tod erlöst, da ließ sich diese Gegenwart ertragen und wie ich mir verschwand so ward die Welt mir größer. Doch wie ich sah den Felsenriß, der nach dem Tod des Herrn seine Macht verkündete, da hab auch ich gefühlt daß ich noch Großes Herrliches zu Gottes Ehre oft mir zugeschworen und wie das alles jetzt so fern von mir im Nebel ruht. Es ging die eigene Bestimmung mir so ernst vorüber, ich wollte mit den Hoffnungsbildern eigner Schöpfung reden, doch meine Zunge, wie von einem Schlag gelähmt, sie rief denselben fremden Namen, Olympie, da wendeten sich die Gestalten fort von mir und kannten mich nicht mehr. Ach dieser Name, dieser Name bezeichnet mir jetzt jeglichen Gedanken und alles ist in ihr und all mein Willen ist von ihr erschöpft, der Eimer steckt so fest im irdschen Sand, daß meine Kraft ihn nicht mehr von dem Boden hebt, o du Erlöser erlös meine Seele von dem Übel irdscher Liebe. Im Glück und Unglück hab ich Gott erkannt und war sein treuer Sohn, doch in des Zweifels Drang erkenn ich dich Erlöser und deines Lebens Wahrheit, du schauest die Gedanken, du kennst des Menschen wandelbar Gemüth, o Herr, du kennest meinen ernsten Willen, laß mich in deiner Gnade stehen, laß nicht mein festes helles Werk in dunkler Liebe irrend untergehen, ist unvereinbar meiner Thaten Lauf mit meiner Liebe Glück, [379] laß nicht mein höhres Streben untergehen in der Vergänglichkeit. O Herr gieb mir die Klarheit wieder und die Kraft, gieb mir ein einzig Zeichen deines Willens, noch immer hab ich deinem Triebe mich veschlossen, ich harre nur auf dich, auf deinem Leidenwege will gern mein Herz verbluten, sein Blut vermischen mit dem deinen, doch lasse meine Stirn noch in der Schlacht an deiner Treuen Spitze leuchten. O Herr du läßt mich nicht, ich fühle deine Nähe, gewiß du giebst mir bald ein Zeichen deines Willens.


Der Guardian des Klosters, einer der drei Alten, tritt zu ihm.
GUARDIAN.

Geendet ist mein Morgendienst mit Gottes Hülfe, ich komm zu dir zurück mein vielgeliebter Sohn. Ich zeigte dir zuletzt den tiefen Riß im Felsen, du sahst in dieser Kirche weitem Raum, um dieses heilgen Grabes Rand, das Leben des Erlösers in treuer Darstellung erscheinen, wir führen alle Pilger durch sein heilges Leben, damit die Seele ganz begreife, ganz durchdrungen werde von seinem Geist, der sich in seinem Leben wie in seinem Tode gleich gespiegelt, der uns das ewig wechselnde und ewig gleiche Jahr mit seiner hohen Deutsarnkeit erfüllt und tausend Wunder an uns thut, wogegen alle, womit der heilge Ort verherrlicht und begnadet ist, schier ganz verschwinden. Was ists daß jährlich fromme Schwalben uns so viele Ölbeern bringen, die Lampen zu erfüllen, die heute [380] von dem heilgen Licht entflammet werden, doch was ist dieser Dienst der kleinen Vögel, wenn wir es mit dem Trost vergleichen, den er dem Frommen im Gebete in die Seele träufelt, da geht dem Menschen auf das wahre Licht in alles Lebens Zweifeln; was ist das Licht, das aus dem Grabe steiget, gegen jenes das allen Gläubigen aus seinem Tod im Herzen flammet, dies alles was ihr seht ist nur ein Bild des innern Lebens, mag dieses nicht die wahre Stätte sein, wo er gestorben, mag Erdbeben diese heilgen Stellen ganz dem Aug entrücket haben und nur ein frommer Sinn in diesen Steinen seines Lebens Spuren sich erträumet haben, o dieses Träumen ist das schönste Zeichen tiefer innerer Bedeutung, sie werden tausend rohe Sinne auferwecken aus des gemeinen Lebens ewigem Genießen; doch selig sind wie Christus spricht die glauben und nicht sehen, doch wenige erreichen dieses Glaubens Höhe.

SIDNEY.

Das spricht wohl gegen unsern Glauben, wir schämen uns des Wunderbaren in dem Leben und achtens nur in der Vergangenheit.

GUARDIAN.

Es läßt sich manches sagen gegen euch, ihr urtheilt früher als ihr habt empfunden, doch ihr seid stark in euerm Glauben, ihr glaubt an Christus, das ist genug, wir alle weichen hier in allerlei Gewohnheit ab, in allen den Begriffen, da fällt uns eure Lehre gar nicht auf, wir ehren sie wenn sie euch genüget.

[381]
SIDNEY.

Mir genügt sie nicht ehrwürdger Vater, mir fehlt bei uns ich weiß es jetzt bestimmt dies äußere mich immer wieder mahnde Reich des Herrn; die innere Andacht kann in jedem Gläubigen erwachen; was hilft der Wille ohne That, der in Gedanken wie ein Fluß im Sande sich verirret und verliert. O sagt was ist bei uns de Glaubens wegen noch geschehen? Ein jeder braucht ihn nur für sich in müßgen Augenblicken, die Welt hat keine Freude mehr an ihm; daß ich zum heilgen Grabe bin gewallt, das würde unsern Predgern Thorheit scheinen und wären sie nun hier, statt aller heiligen Erhebung erzählten sie von eueren Gebräuchen wie von Wahnsinnspossen. Heut als ich in der Nacht den Vollmond scheinen sah durch diese bunten Scheiben, da fühlte ich daß uns bei allem Reichthum, der aus dem Ost und West der Wahren Pracht uns lockt gar vieles fehlt; nie hätte ich zu dieser Zeit gewacht als zum Geschäft, wir wissen nur durch Stille unsern Feiertag zu heiligen, doch meine Feier müßte jubelnd sein und alle Zeit umfassen, der herrlichste Gesang, der schönsten Bilder Pracht müßt alle Elemente unterworfen zeigen, und was ein frommer Sinn erfunden das müßte nicht als Neuerung besprochen werden, nein, frei und offen müßte es sich zeigen und gleiche Sinne locken und verbinden, oder still in sich verblühn.

GUARDIAN.

Du hast ein großes Wort gesprochen,[382] du fühlst was allem Glauben unsrer Tage fehlt, nicht deines Volkes Glauben nur allein, das thätig Strebende das alles anpaßt und den Glauben bindet und nicht als angewohnte Überlieferung das ewig Neuerschaffene im Herzen kennet. Doch sieh, auch unserm Glauben fehlt jetzt diese Kraft, wir zehren auch von einer reichen Vorzeit Überfluß und legen keinen Wein der Zukunft ein und plötzlich wird der Keller dann geleert sich finden – und darum bleib bei jenem ernsten Glauben der dich bei Akre hat gestärkt, die Welt muß ihn durchlaufen eh sie sich schaffend dehnen kann, – doch findest du in deinem Volke oder in der Fremde viele die jenen hehren Mondenschimmer kennen, der dich durch wunderbarliche Geschichten in den Fenstern angeblickt, die achten was die Sinne reizt und sich nicht dran versündigen, da binde sie in treuer Freundschaft fest zusammen, dein Land giebt Freiheit allem Glauben, so sollt es sein in aller Welt. Doch glaub ich nicht daß du zu diesem Werk berufen.

SIDNEY.

O sprich wozu bin ich berufen, in Zweifeln irret meine Seele; kann ich das Glück und auch die That erfassen, das sage mir mit einem Wort, ich nehme es als eine Stimme aus der höhern Welt, bedenk ob du dazu berufen bist dies Wort mir zu verkünden.

GUARDIAN.
Ich bins. Nur im Entbehren findest du die Kraft. Ab.
[383]
SIDNEY.

Weh mir, er sprach das Wort, weh mir, o haltet mich ihr Mauern, warum ist mir so Schweres aufgebürdet, warum soll ich entbehren wo Schuldige genießen, im seligen Genuß den Herrn erkennen. Weh mir, da kommt sie lieblicher als je, und nahet sich als hätte sie in Liebe mich erwählt, was soll ich sprechen zu der Vielgeliebten.


Olympie und die Äbtissin treten auf.
ÄBTISSIN.

Du siehst ihn liebe Tochter, sprich jetzt zu ihm so wie dein Herz dir sagt, ich kann ihm deine Worte nicht verkünden.

OLYMPIE.
Mein gütger Freund.
SIDNEY.
O sprecht von meiner Güte nicht, o sprecht von meiner Liebe.
OLYMPIE.

Ich soll in heilgen Grabe einen Bruder finden, so ist mir einst verkündet, ich finde euch, o seid mein Bruder, mein vielverehrter Bruder, das Unglück hat mein irdisch Dasein ausgelöscht, laßt mir den Frieden eines stillen Klosters; unwerth bin ich dem frischen Leben einer neuen Welt das in euch strahlt.

SIDNEY.

O setzt mich nicht so tief herab daß ihr mich trennt von euch, ach eure Demuth ist so grausam wie der Stolz in andern Frauen.

OLYMPIE.

Sollt ich in Demuth nicht vor euch erscheinen? Ich will den Kindern lehren Gebet und Schrift, die Sprache und den Glauben, ihr edler Freund, ihr redet zu der Welt in Thaten, sie glaubt[384] au euch, wir sind vereint, wir sind getrennt, getrennt vor dieser Welt, in höherm Sinn verbunden, so hat die ewge Weisheit über uns beschlossen.

SIDNEY.

So ists beschlossen – und so sollt es sein, ich bin vernichtet und doch rufe ich, so sollt es sein; o gebet nur ein Zeichen der Gewißheit, nur ein Angedenken daß eine höhre Hand uns trennt.

OLYMPIE
übergiebt ihm ihr Kind.

Hier ist das schönste liebste Angedenken, mein einzig Kind, es soll dem Vaterlande dienen, ihr sollet ihm ein Vater werden, mit diesem Schmerzenskusse geb ichs euch, es soll der Welt gehören, in allen seinen Kräften sie erkennen, ein Frauenkloster ziemet nicht dem Knaben, führt es zu Thaten ein ins Leben, ich bin dem Himmel scholl vermählt. Ab nach dem Chore.

ÄBTISSIN.

Gott schenk euch Trost, es ist des Himmels Werk, nicht meine Überredung, daß diese fromme Seele in den Orden eingetreten. In diesem heißen Land ist ihre Andacht schnell erblüht, sie ist die erste reine Lilie auf dem Grabe Christi die ich geschaut, ihr seid das erste Christenschwert dem ich vertraue. Ab nach dem Chore.

SIDNEY.

Ich sollt ein Schwert des Ewgen sein und fühl sein Schwert in meinem Herzen. O könnt ich weinen, doch das versagte mir sogar der Herr zum Trost. Weh mir da ich so ungeheure Schmerzen kann ertragen, ich fühle daß dies nicht die [385] letzten sind. – Gelobt sei Gott in der Verzweiflung, gelobt sei Gott, jetzt weiß ich was ich muß. Ab.


Der Bube als Einsiedler gekleidet mit einer Kreuzfahne tritt ein von vielen kleinen Hirten und Hirtinnen begleitet, mühsam schleichen ihm Cardenio und Celinde nach.
HIRTINNEN.
Wir haben Jesus wohl erkannt,
Da er mit uns gespielt,
Daß er vom höchsten Gott gesandt,
Das haben wir gefühlt,
An seiner Blicke Wunderkraft,
An seiner Worte Meisterschaft.
HIRTEN.
Erst war er klein, dann ward er groß,
Doch macht er sich von uns nicht los,
Er sprach noch wie in alter Zeit,
Als er berühmt so weit und breit.
BUBE.
Wir gehen ihm nun treulich nach,
Bis wir erreicht sein heilges Dach.
ALLE.
Die Welt wird jährlich wieder jung,
Die Weihnacht hell von Freuden klung,
Da sangen wir so hoch so tief,
Als noch der kleine Jesus schlief,
Wir grüßten ihn als arme Hirten
Und unsre Schäflein sich verirrten,
Wir suchten sie in allen Landen
Und als wir sie dann endlich fanden,
Da seufzte Jesus schon am Kreuze,
Da reute uns die weite Reise,
Doch als der Herr dann lag im Grab,
Da sank uns allen der Wanderstab.
Wir harren an dem Grabesthor
Bis er zum Himmel steigt empor.
[386]
BUBE.
Ich pflanze meine Fahne ein
Hier an des Herren Grabesstein.
CARDENIO.
Du heilger Gott, ich glaub ich bin im Grabe, es ist so dunkel hier.
CELINDE.
So ruhen wir zusammen, wo reine Liebe wohnt, dem irdschen Trieb entladen.
BUBE.

Noch lebet ihr auf Erden, wir sind gewürdigt das irdische Leben unsers Herrn anzuschauen, des Lichtes Wunder zu erblicken.

CARDENIO.

Du heilger Gott, gieb mir die Stärke unsre Kerzen mit diesem heilgen reinen Lichte zu entzünden, daß ich darauf mag sehen in dem Sterben, wenn mir die Augen löschen aus.

CELINDE.
Laß mich in deine Augen sehen.
BUBE.

Schleicht hier zur Seite armen Freunde, ihr seid so schwach und bald wird sich die Kirchenthüre öffnen. Sie treten auf die Seite.


Es öffnet sich die Kirchenthüre, geführt vom Guardian tritt Sidney herein, paarweis folgen alle andern Engländer und einige Pilger.
CHOR DER NONNEN
Kirchengesang.

Veni sancte spiritus, reple tuorum corda fidelium et tui amoris in eis ignem accende, qui per diversitatem linguarum cunctarum gentes in unitate fidei congreavit. Alleluja. Alleluja.


Die Griechen und Armenianer drängen sich gegen einander durch zwei Thüren.
[387]
GRIECHEN.
Nein wir halten vor die Fahnen, uns gebührt die Gnadennähe an des Grabes heilgem Rand.
ARMENIANER.

Allen Christen steht der Himmel offen, allen Christen ist das Grab des Herrn eigen, denn es starb der Herr für alle Seelen. Haltet eure Fahnen vor, dränget zu der heilgen Quelle, unser Blut gehört dem Herrn denn er gab für uns das Blut.

GRIECHEN.

Griechische Männer zeiget eures frommen Sinnes wandellose Festigkeit, eurer Ahnherrn hohen Muth, der im Heidenthum gegolten, wie viel höher jetzt für Christus.

CARDENIO.
Schont der Schwachen die zum Heil sich sehnen. Euer Drängen reißt mich nieder.
ARMENIANER.

Dränget wie zu Gottes Gnade durch die schwarze Finsterniß, wie zum Lichtstrahl, wie das Kind zur Mutterbrust.

CELINDE.

Harte Männer tretet ihr den heilgen Mann mit Füßen, zu dem Heile zu gelangen. Weh Cardenio du bis verloren.

GRIECHEN.

Haltet fest an euerm Glauben, steht wie Mauern fest gekettet, und die Lebenden die Todten sollen noch verbunden stehen.

CARDENIO.

Weh mir. Weh! Mein Gott mein Herr, welche Marter, welch Zerfleischen unter dieser Christen Füßen. Gnädger Gott beschütz Celinden.


Der Sturm wird im Dunkel immer schrecklicher, Cardenio [388] und Celinde werden niedergedrängt, der Bassa mit seinen Türken sucht vergebens sie zu trennen, als die Wuth am höchsten erhellt sich der hintere Theil der Kirche, das heilige Grab erscheint geöffnet, ein blendendes Licht schwebt darin, alle
stürzen erschrocken nieder und rufen: Gnade!
CHOR DER NONNEN
Kirchenegesang.
Erstanden ist der heilge Geist,
Der aller Welt ein Tröster heißt. Halleluja.
Und wär er nicht erstanden,
So wär die Welt vergangen.
Es gingen drei heilge Frauen
Des Morgens früh im Thauen.
Die Weiber kamen zu dem Grab,
Sie brachten Salben mit hinab.
Sie suchten unsern Jesum Christ,
Der von dem Tod erstanden ist.
Und in dem Grab zwei Engel sahn,
Die trösten die Frauen lobesan.
»Ach Engel, liebe Engel fein,
Wo find ich denn den Herren mein?«
Er ist erstanden aus dem Grab,
Heut an dem heilgen Ostertag.
»Zeig uns den Herren Jesum Christ,
Der von dem Tod erstanden ist.«
So tretet zu der heilgen Statt,
Wo man ihn hingeleget hat.
Seht an das Tuch, darin er lag
Gewickelt bis zum dritten Tag.
»Wir sehens wohl zu dieser Frist,
Zeigt uns den Herren Jesum Christ.«
Seht an das Licht in dunkler Zeit,
Das ist der Herr, der ist nicht weit. Halleluja.

Der kleine Bube hat Cardenios Licht zuerst angezündet, [389] Celinde zündet das ihre daran, alles drängt sich ihn, er erscheint hell erleuchtet.
CELINDE.
Du lebst noch, siehst das Licht? Ach unsrer Wunden Blut fließt hier zusammen.
CARDENIO.

Lobt Gott der große Wunder wirkt, der wilde Sturm der Christen zu dem heilgen Grabe hat mich in Staub getreten und erleuchtet.

OLYMPIE
kommt vom Chore herab.

Mein Bruder, mein Bruder, so jammervoll zerschmettert muß ich dich hier wiederfinden, du armer Märtyrer.

CARDENIO.
Du bists, du liebst mich, du er kennst mich, wie hast du mich so brüderlich erkannt.
OLYMPIE.

Dem Pflegevater hat es uns verkündet – doch sprich jetzt nicht, schon eilen fromme Schwestern deine Wunden mild zu salben.

CARDENIO.

Auf Erden hilft mir nichts, dir sah ich noch so freudenhell ins Auge bei diesem heilgen Licht, und diese Freude ist so sturmlos, ist so sicher. Sieh hier Celinden, sie ist zum Heil gelangt.

VIREN
kommt.

Weh mir, sie ists! So muß ich dich Celinde hier in Noth und Elend sehen, mit Blut bedeckt, von falschen Christen hier zerschmettert.

CELINDE.

Wir wurden nirgend aufgenommen in der Nacht, ich muß verschmachten und fühle mich so glücklich, wir wurden hier im Heiligthum der Kirche in den Staub getreten, ich fühl mich glücklich in dem neuen Lichte.

[390]
VIREN.

Jetzt weiß ich alles, von meinem Lager bist du fortgewiesen, die ich nach meinem Lager tausendmal ersehnt, ich hörte deine Stimme und folgte ihr doch nicht, o Gott so hab ich deine Stimme oft vernommen und bin ihr nicht gefolgt. Du Heilige verzeihe mir, dein Wandel bricht die Kälte meines Herzens, ich fühl den warmen Strom des Heiles in mir rinnen. Er kniet nieder bei ihr.

GUARDIAN.
Kann ich euch Armen hülfreich sein, ich bringe Öl und Wein.
CELINDE.
Gieb einen Tropfen Öl in meine Schläfe.
GUARDIAN
er giebt ihr die letzte Ölung.
Zieh hin in Frieden.
CELINDE.
In mir so tief verschlossen,
Was brennt so lichterloh,
Hat mir die Welt erschlossen,
Und macht mich einzig froh,
Ich möchte ihn wohl schauen
Der dort im Innern haust,
Ich konnt mich ihm vertrauen,
Als mich der Sturm umbraust.

Er hob mich über Wogen,
Er trug mich übers Eis,
Mit Jesu bin ich gezogen
So froh in heilgem Fleiß.
Er hat in dunkeln Träumen
Mein schwaches Herz erfüllt,
Wenn hoch die Wellen schäumen,
Ein Tropfen Öl sie stillt.

[391] Dies letzte Öl soll geben
Dem Tode Lebensmuth,
Den Schranken mich entheben,
In seiner innern Gluth;
Durchs Dunkel werd ich sehen
In Seines Lichtes Kraft,
Und leitend euch beistehen,
Frei von des Leibes Haft.

Ihr Licht verlöscht, sie stirbt.
VIREN.

O leite mich auf deinen frommen Weg, wie du mich sonst geleitet zu dem Bösen. Die Heilige stirbt, sie ist gestorben, – schon ist sie todt; was will ich auf der Erde, an ihrem Grab werd ich der Jugend Thorheit erst betrauern.

CARDENIO.

Fahr wohl du Mitgenossin schwerer Prüfungszeit, hier sterb auch ich, hier bin ich nah dem Paradiese, doch kann ich noch nicht sterben, die Mutter wird mir hier erscheinen und mich zur Ruhe bringen. Geliebte Schwester sprich, wem lasse ich dich hier, ist denn Lysander fern von dir?

OLYMPIE.

Er ist im Himmel – ich bin im Kloster, bete singe und lehre Gottes Wort den armen Kindern, mein Kind wird wachsen unter Sidneys Augen.

CARDENIO.

So ist für alle wohl gesorgt. Geliebte Schwester leb in Frieden, was mich wie schuldge Liebe einst zu dir gebannt, das war des Blutes Stimme die uns verband; in böser Lust nur ist sie mißverstanden, die Mutter sei gepriesen die uns mit geistgem Flügel hat beschützt, o könnt ich ihr mit diesem heilgen [392] Lichte Ruhe geben für die zweifache Ehe um die sie leidet, es würde ihr den Weg zum Himmel zeigen. Sie kommt. O Mutter, nun ist alles mir gewährt dir bring ich die geweihte Kerze zum Opfer dar, du wirst mich führen durch des Todes Sturz, du hast ihn überstanden, was ich verbrochen habe ich gebüßt o Jugendlust, so bleibt auf Erden nichts von mir als Liebesgruß.


Die Mutter erscheint, nimmt sein Licht, sein Leichnam sinkt nieder, seine Lichtgestalt verschwindet mit ihr durch das geöffnete heilige Grab.
GUARDIAN.
Nahe sind wir hier
Dem Paradiese,
Durch des Grabes Thür
Ging ein Riese,
Wo der Felsen bis zum Grund
Ist zerrissen,
Daß wir seinen ewgen Bund
Innig wissen,
Die Erlösten gehen ein
Durch den offnen Grabesstein,
Gehen ein zum Paradies,
Das der Heiland uns verhieß.
BROMLY.
Heiliger Gott, es war meine Mutter, dir nach du vielgeliebte Mutter, hinab in den Felsenschooß.

Er will nach dem heiligen Grabe, der Guardian hält ihn.
GUARDIAN.
Schmerz verwirret deine Sinne.
BROMLY.

Laß mich sterben, laß mich untergehen,[393] Thorheit, Frevel, Glaubensleere haben dieses Herz befleckt, nun die Wahrheit mir erschienen, flieh ich nichts so sehr auf Erden als mich selber. Gott und Christus habe ich geleugnet, meine Lust war mir der Himmel, nimmer wird der Himmel mir verzeihen.

GUARDIAN.

Endlos ist des Himmels Gnade ist die Reue tief und dauernd, aus dem Saulus ward ein Paulus, aus dem Spötter alles Glaubens wird ein Retter unsres Glaubens.

BROMLY.

Zeig mir Wege unersteiglich, die ich für den Glauben soll erklimmen, zeig mir Inseln unerreichlich, Meere die mein Glauben soll durchschwimmen, fort ins Meer und aufs Gebirge, mit Gazellen will ich klettern, daß mich zählt zu ihren Rettern, Christi ewge Gnadenkirche.

VIREN.

Kann nicht sprechen, kann doch handeln, Tod und Liebe mich verwandeln, für den Glauben will ich sterben und die ewge Lieb erwerben.

REISENDER
tritt mit einem Schwert ein.
Nein noch ist nicht das heilge Grab verloren,
Aus dem das ewge Leben quillt,
Ha meiner Andacht Strömung schwillt
Und kühnen Plan hat brausend sie geboren,
Der Himmel hat zum Ritter mich erkoren,
Das Heidenthum soll untergehen,
Ein Engel wird an meiner Seite stehen,
Ich hab es bei dem heilgen Grab geschworen
Und sollt ich kämpfend untergehen
Wird nimmer doch der Thaten Ruhm verwehen.

Er kniet am Grabe.
[394] Sidney, das Kind Olympiens auf dem Arme, kommt mit einem Pilgerzuge zu dem Guardian gezogen.
SIDNEY.

Ich weiß die trauervollen und die wunder baren Zeichen, die diesen Tag erschüttern, der schmerzerfüllten Seele geben sie die Klarheit und die Kraft, Begeisterung zur That zurück; die Gemeinschaft aller Geister, die zu allen nieder wirket, ihre Rechenschaft und Gnade füllet mich mit Zuversicht und ich fühl, ich bin in ihren Händen nur ein Werkzeug, und ich möcht ein Zeichen nehmen, daß sie meine Lehnherrn sind.

GUARDIAN.
Was begehrst du?
SIDNEY
kniet nieder.
Ich begehr ein Ritter von dem heilgen Grab zu werden.
GUARDIAN.

So schwöre mir daß du ein freier Mann daß du zu jeder Zeit mit deines Leibes Kraft mit deines Geistes Weisheit den Glauben schützen willst.

SIDNEY.
Ich schwörs.
GUARDIAN.

So sei ein treuer Ritter deines Herren Jesu Christi, ein Schützer seines heiligen Grabes, zum Zeichen rühre ich dich an mit diesem heilgen Kreuzesstamm, woran er für uns alle hat gelitten, ich gürte dieses Schwert um deine Lenden und hänge diese Kette um den Hals, die Kette bindet dich, das Schwert beschütze dich, es giebt dir Kraft, wem du vertraust, durch Ritterschlag zu gleicher Gnade ihn zu erheben.

SIDNEY
steht auf.

Ich danke Gott, in dessen Namen du dieses Werk vollbracht und wer sich tüchtig[395] glaubt zum großen Werk, den wird mein Schwert berühren, es tödtet die Unwürdigen.

BROMLY.
Auf Segen oder Tod knie ich hier nieder.
SIDNEY
schlägt ihn dreimal mit dem Schwerte.
Du stehst als Ritter auf.
VIREN.
Ich bin bereit zum Sterben.
SIDNEY
schlägt ihn dreimal mit dem Schwerte.
Du stehst als Ritter auf.
VIREN.
Ich bin bereit zum Sterben.
SIDNEY
schlägt ihn dreimal mit dem Schwerte.
Du stehst als Ritter auf.
DER REISENDE.
Ich will das heilge Grab befreien von des Türken Macht.
SIDNEY
erhebt das Schwert.
Erst thu's, dann sags!

Der Reisende wendet sich beschämt fort und zieht in alle Welt und spricht vom Christenthum in tausend Worten, aber seine Worte haben keine Kraft des ewigen Lebens, weil seine Liebe ohne That ist, von ihm kommen alle neuen poetischen Christen, ich rede von denen die es nur in ihren Liedern sind.
SIDNEY.

Er flieht vor einer höhern Hand, ich hab das Schwert geführt wie bei den andern, doch übergeb ich es zum Angedenken dieses Wunders, das meines Weges mich versichert, Olympien, der tiefbetrübten, die bei der Leiche ihres Bruders trauert, in heilgen Mauern sei es aufbewahrt.

OLYMPIE.

In meiner Hand wird dieses blutge Schwert zum Kreuz, ich geh damit voran die Todten zu bestatten, sie sollen ruhn bei jenen ersten Christen die dieses heilge Grab befreit.

SIDNEY.

Ich trag Lysander, meinen Retter, den Gefährten meiner Thaten, meinen Freund zu Grabe, er [396] ruh an Gottfrieds Seite, ihr Freunde singt ein freudig Lied, er hat erreicht, wonach sein edles Herz getrachtet.

DIE ENGLÄNDER.
Schwenket hoch die Freudenfahn
Über unserm Heldentodten,
Denn er fiel auf großer Bahn,
Und er ruht bei großen Todten,
Ruht bei Gottfried,
Der befreit das heilge Grab,
Gottes Fried
Sank auf ihn herab.
Heilger Krieg
Kränzte ihn mit Sieg.
Lasset alle Trommeln schallen,
Alle Pfeifen fröhlich klingen,
Das Gewölb muß wiederhallen,
Laßt uns volle Becher bringen,
Gebet Feuer
Bei der Feier,
Rufet ihm ein dreifach Hurrah,
Singt dem Herrn Halleluja.
VIREN.

Ich trage die Geliebte hier zu Grabe ihre Schönheit, fast erlöscht in Kummer, blühet aus dem Tode neu hervor, sie ruh an Balduins Seite den Schönheit in dem Leben hochbeglückt.

CHOR DER NONNEN.
Unschuld stehe für die Schuld,
Die hier still zu Grab getragen,
Reue bringt ihr ewge Huld,
Und kein Sünder soll verzagen,
Decket sie mit Blumen zu,
Ihre Seele finde Ruh.
BROMLY.

Ich trage meinen unbekannten Bruder hier zu Grabe und sehe staunend noch in den erblaßten Zügen ein Wunderbild von jeder Kraft, die einst in[397] ihm gebunden war, doch wie ein Samenkorn auf dürren Fels gestreut, ist nichts auf Erden von ihm aus geblühet, mag seine Seele hoch im Himmel blühen.

ALLE.
Leise tönet unsre Klage
Um den Starken, Großen, Kühnen,
Der die frischen Lebenstage
Nicht mit Thaten konnt verdienen,
Sondern sie in Liebes Bann
Nur nach Thränen messen kann,
Christus hat die Lieb gebrochen,
Die nur mit dem Tod gekettet,
Und der Tag ist angebrochen
Der ihn von dem Tod errettet,
Ewger Liebe hohes Licht
Seiner Augen Dunkel bricht.
SIDNEY.
Olympie nimm der Trauer und des Abschieds Kuß, er schließet meinen Mund für jede Frau.
OLYMPIE.
Ich bin die deine im Gebet. Sie küßt ihn.
CHORGESANG.
Als die Jünger in dem Dunkel saßen
Trat der Herr zu ihnen ein,
Und ein Grauen thät sie alle fassen,
Daß es sei ein Geisterschein,
Doch er sprach: Was seid ihr so verstöret,
Fühlt die Narben meiner Hände,
Daß ihr aller Welt die Wahrheit lehret,
Bleib ich bei euch bis zu dem Weltende.
Selig wer mich nicht gesehn und glaubet,
Auf ihn baue ich mein Haus,
Weil die Welt ihm nie den Glauben raubet,
Er besteht des Todes Graus.
CHOR.
Selig sind die glauben
Und nicht sehen.
GEGENCHOR.
Ich will sehen
Und will glauben.
[398]
CHOR.
Was ist Sehen
Ohne Glauben?
GEGENCHOR.
Was ist Glauben
Ohne Sehen?
STIMME AUS DEM HEILGEN GRABE.
Ihr sollt sehen in dem Glauben
Und mit Feuer tauf ich euch,
Und der Tod soll keinen rauben,
Der geschaut mein ewges Reich.
Mit dem Speere will ich stechen
In der Schlange Feueraug,
Und mit meinem Schwerte brechen
Ihrer Flamme schwarzen Ranch.
Helles Licht bricht durch die Wolke,
Blaue Luft euch froh umquillt,
Wer da steht in meinem Volke
Ist gedeckt von meinem Schild.
Hängt euch an die goldnen Sporen,
Seht der Füße Wunden an
Und ihr gehet nie verloren,
Flüchtet nie von eurer Bahn.
Seht mein Kreuz, das wird zum Schwerte,
Kommt der böse Antichrist,
Und ich schütze meine Heerde
Gegen alle Teufelslist.
Ähnlich möcht er sich mir stellen,
Aber seht mein Wappenschild,
Sehet seine Schandgesellen,
Sehet eurer Todten Bild.
Wer in diesem Kampf gefallen
Für mein irdisch heilges Haus,
Den wird hohe Ehr umwallen,
Denn er steigt zu Gott hinaus.
Lasset die Posaunen klingen,
Eh der jüngste Tag begann,
Diese Helden sollen dringen
[399] Zu dem Himmelsthor hinan.
Gott mit seinem Richterschwerte,
Schon den weiten Raum bewegt,
Und im Zittern eurer Erde
Sie zu Grabesrittern schlägt.
Seht zum Zeichen ihrer Ehre
Schwebt ein Kreuz von leichtem Licht
Über ihres Leichnams Schwere,
Frei zum Himmel aufgericht.

Drei helle Kreuze erscheinen über den Gräbern Lysanders, Celindens und Cardenios.
CHORGESANG.
Wir glauben und wir sehen
Der Brüder ewgen Lohn,
Sie stehn vor Gottes Thron,
Als Ritter in den Höhen.
Kein Tod schlug sie darnieder,
Der Herr schlug sie zu Rittern,
Die Erde hebt die Glieder,
Es muß das Todte zittern.
Die hohen Kreuzessfammen,
Durchstrahlen Zions Mauern,
Und stürzten sie zusammen,
Wir stürben ohne Trauern.
Der Mittelpunkt der Erde,
Ist Christi heilges Grab,
Es rufet uns herab
Der Schöpfung ewges Werde

Das Erdbeben endet.
DER DICHTER.
Schaffen zeigt sich im Verwandeln,
Ernst verwandelt sich in Spiel,
Dieses ist der Worte Ziel,
Doch des Lebens Ziel ist Handeln.

Notes
Entstanden September/Oktober 1809. Erstdruck: Heidelberg (Mohr und Zimmer), 1811.
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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Halle und Jerusalem. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0BCD-1