Aufklärung

Fliegendes Blatt in Preussen.


Was soll ich thun, was soll ich glauben?
Und was ist meine Zuversicht?
Will man mir meine Zuflucht rauben,
Die mir des Höchsten Wort verspricht?
So ist mein Leben Gram und Leid
In dieser aufgeklärten Zeit.
Ein jeder schnitzt sich nach Belieben
Jezt selber die Religion;
Der Teufel, heißt es, ist vertrieben,
[166]
Und Christus ist nicht Gottessohn;
Und nichts gilt mehr Dreyeinigkeit,
In dieser aufgeklärten Zeit.
Die Taufe, das Kommunicieren,
Ist für die aufgeklärte Welt
Nur Thorheit wie das Kopulieren,
Und bringet nur den Priestern Geld,
Der Kluge nimmt ein Weib und freyt
Nach Art der aufgeklärten Zeit.
Der Ehebruch ist keine Sünde,
Noch weniger die Hurerey;
Und obs gleich in der Bibel stünde,
Steht doch der Galgen nicht dabey.
Drum ists galante Sittlichkeit
In dieser aufgeklärten Zeit.
Der Aufgeklärte folgt den Trieben,
Und diese sind ihm Glaubenslehr;
Was Gottes Wort ihm vorgeschrieben,
Das deucht ihm fabelhaft und schwer.
Dem Pöbel ist es nur geweiht
Und nicht der aufgeklärten Zeit.
Die Tugend sucht man zwar zu preisen,
Als die alleine selig macht;
Doch nur den Glauben zu verweisen,
Weil der uns unsre Laster sagt.
Und Laster suchet man nicht weit
In dieser aufgeklärten Zeit.
So liegt nun in dem Sündenschlafe
Das ganze aufgeklärte Land;
[167]
Weil auch die ewge Höllenstrafe
Ist glücklich aus der Welt verbannt.
Denn jeder hofft Barmherzigkeit
In dieser und in jener Zeit.
So schreiben alle Antichristen,
Weil es dem Leichtsinn wohlgefällt;
Denn diese sind als Kanzelisten
Vom Satan selber angestellt:
Durch sie gewinnt der Teufel mehr,
Als wenn er selbst zugegen wär.
O laßt mich doch bei meiner Bibel,
Laßt mich in meiner Dunkelheit:
Denn ohne Hoffnung wird mir übel,
Bei dieser aufgeklärten Zeit;
Und ohne Hoffnung bin ich hier
Ein elend aufgeklärtes Thier.
Drum Thoren sprecht, ich mag nichts hören,
Verschonet mich mit eurem Gift;
Gesetzt, wenn es auch Fabeln wären,
Das, was ich lese in der Schrift;
So macht mich doch dies Fabelbuch
Zum Leben und zum Sterben klug.
Es spricht: Erwach vom Sündenschlafe,
Du thörigt aufgeklärtes Land;
Es naht die schwere Höllenstrafe,
Der böse Feind ist nicht verbannt;
Ich will euch lesen aus dem Buch
Im Unglück giebts mir Ruh genug.
[168]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Des Knaben Wunderhorn. Band 3. Aufklärung. Aufklärung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0CCE-8