Achter Band.

[1] I.
Hopfen und Gerste.

[1][3]

1. Der Faullenzer

1. Der Faullenzer.

Auf der Schnitzelbank vor seinem Hause saß rittlings ein junger Bursch und hob von Zeit zu Zeit aus einer großen Schichte zu seiner Rechten einen langen Tannenzweig auf, preßte ihn zwischen den Kloben und drehte ihn zu leichter Biegsamkeit, schnitzelte das dicke Ende und flocht einen Strohzopf daran; was zubereitet war, legte er sorgfältig zu seiner Linken nieder, wo bereits mehrere solcher Garbenbänder, sogenannter Wieden, wohlgeordnet lagen. Trotz des lustigen Parademarsches, den der Bursche pfiff, hatten seine Mienen doch etwas Verdrossenes und er warf oft wie unwillig das Haupt zurück, auf dem eine Soldatenmütze mit rothem Vorstoß prangte.

Der Dorfschütz, ein alter Soldat, der ein kupfernes Ehrenzeichen auf seinem blauen Rock trug, kam vom Rathhaus herunter; er hielt bei dem Arbeitenden still und sagte:

»Buschur, Kamerad.« Der Angeredete dankte stumm und der Schütz fuhr fort: »Warum bist nicht bei der Zehentversteigerung gewesen?«

[3] »Ich bin noch nicht Bürger,« erwiderte der junge Soldat, »das Sach gehört noch meiner Mutter und meinen Geschwistern.«

Der Schütz setzte sich auf die fertigen Wieden und berichtete: »Es ist ein Generalspaß gewesen. Seit Jahren haben die drei fetten Schwäger den Zehnt gepachtet, sie mögen's nicht leiden, daß der Zehntknecht auf ihre Aecker kommt und wollen da freie Herren sein. Aber dießmal hat der Wasserstiefel immer höher geboten und zuletzt ist ihm der Zehntbestand zugeschlagen worden. Dein Schwäher, der Schlägelbauer, der hat seinen Koller kriegt vor Zorn und Gift, daß man gemeint hat, er erstickt, und mit Fluchen und Schelten sind sie Alle davon. Das führt noch einmal zu bösen Häusern, du wirst sehen Franzseph.«

Franz Joseph, oder wie er in der Abkürzung hieß Franzseph, nahm eine neue Wiede auf und entgegnete:

»Es ist und bleibt nicht recht, daß das ganze Dorf und vorab der Schlägelbauer so einen hirnwüthigen Haß auf den Faber geworfen hat und weiß kein Mensch recht warum. Der Faber ist hier fremd, er hat des Lucians Gut um sein ehrlich Geld gekauft und thut Niemand was zu leid; daß er sich herrisch kleidet, geht ja Niemand was an und er kann darüber lachen, daß sie ihn den Wasserstiefel heißen. Der Schlägelbauer ist auch schon an mir gewesen, ich soll' nichts mit dem Faber reden: aber ich weiß selber was ich zu thun hab' und ließ' mir von meinem eigenen Vater, wenn er noch leben thät', nichts drein reden, mit wem ich Freundschaft haben darf oder nicht. Und gerade weil [4] sie ihn Alle den Wasserstiefel heißen und Niemand gut gegen ihn ist –«

»Du bist halt ein guter, guter Kerle, das sagen alle Leut'!« unterbrach der Schütz.

Dem jungen Mann schoß bei dieser Anrede alles Blut zu Kopfe, er würgte eine Wiede ganz ab, warf die Stücke weit weg und rief voll verbissenen Ingrimms: »Sag das nicht. Ich bin kein guter Kerl, ich will nicht. Fahnenmalefizdonner! Ich möcht' euch zeigen, daß ich kein guter Tralle bin. Sag das nicht noch einmal oder ich vergreif' mich an dir zuerst.«

»Das wär' am unrechtesten Orte angefaßt. Du bist ja wie ausgewechselt. Was hast denn? Giebt des Schlägelbauern Madlene nach und heirathet das bildsaubere Mädle des Schultheißen Claus?«

»Wenn die Kuh einen Batzen gilt,« entgegnete Franzseph plötzlich lachend und über sein Antlitz zog eine Besänftigung des Friedens, daß es zu leuchten schien.

»Du bist aber doch seit Ostern,« fuhr der Schütz fort, »seit du mit dem Abschied vom Regiment heimkommen bist, wie verhext. Was hast denn? Freilich, kann mir's denken, du kannst dich nicht wieder ins Bauernleben gewöhnen; mußt den Paradeschritt verlernen und den Ochsenschritt einexerciren. Hab' ich Recht? Ist's das, warum du immer so maßleidig aussiehst?«

»Kann sein,« erwiderte Franzseph nach langer Pause und fuhr dann sich aufrichtend fort: »Ja, du hast mit meinem Vater in Einer Compagnie gestanden und bist sein bester Kamerad gewesen; ich will mich dünken lassen, [5] ich red' zu meinem Vater. Guck', wie ich mit dem Abschied heim bin, da hab' ich gemeint, ich könnt' es gar nicht erwarten und das ganze Dorf muß grad so sein wie ich, und jedes muß weiter nichts denken und sagen als wie: der Franzseph ist da. Ich hab' mir oft denkt, daheim da ist das helle Paradies und ich hab mir mit Gewalt wieder vorrechnen müssen, wie viel Feindschaft und Hassard auch da ist und wie Eines ein Auge drum gäb', wenn's Andere keins hätt'. Ich bin freilich nie gern Soldat gewesen, aber es ist doch eigentlich das schönste Leben und jetzt wünsch' ich mir des Tags tausendmal, daß ich's noch wär'.«

»Ja, es ist jetzt schlimmer hier als je. Denk daran was ich sag': es thut kein gut, bis die Hopfenstangen draußen an der Geißhalde noch zu einer Generalsprügelei verwendet sind.«

»Wegen dem Hopfengarten,« nahm Franzseph wieder auf, »haben meine ersten Händel mit dem Schlägelbauer angefangen. Ich hab' mich gefreut, daß der Faber den verrutschten Berg so gut ausnutzt und der Schlägelbauer hat grad darüber losgezogen; er versteckt seinen einfältigen Haß hinter der Gemeindeehre. Früher, sagt er, sei unser Dorf berühmt gewesen, daß wir den besten Spelz bauen, jetzt werde sich's umkehren und man wird sagen: die Weißenbacher bauen den schlechtesten fuchsigen Hopfen. Und wenn ich meine Aecker krieg, bau' ich selber auf dem Buckel im Speckfeld auch Hopfen; es ist dort gerade der rechte warme Lehmboden und liegt prächtig gegen Mittag. Die alten Bauern, die nie über ihres Vaters Miste 'nauskommen sind, [6] die meinen: schaffen wie ein Vieh, damit sei Alles gethan; man muß schaffen wie ein Mensch, mit Verstand und Bedacht. Ich bin nicht umsonst beim Regiment gewesen und weiß von der Welt. Der Schlägelbauer giftet auch darüber, weil ich den Knecht nicht aus dem Haus thue, den meine Mutter für meine Soldatenzeit genommen hat; ich kann ihn nicht so von heut auf morgen fortschicken und ich muß mich auch erst wieder ins Feldgeschäft gewöhnen, und ich bin ein Kerl der Ehre im Leibe hat und wenn mich einer zum Schaffen ermahnt, da thu ich grad Nichts; ich weiß selber, was ich zu thun hab', und es soll Keiner meinen, ich hätt' darauf gewartet, bis er mich richtig anstellt und das Lob gehört ihm.«

Unter diesem Gespräch war die Herrichtung der Wieden vollendet. Franzseph rief seinem Knecht, der auf der Hausschwelle die Sense dengelte, und befahl ihm, die Wieden nach dem Bach zu tragen; er selber folgte mit der Hakengabel und die Art wie er diese nicht auf die Schulter nahm, sondern als Spazirstock gebrauchte, zeigte die seltsame Stimmung des sich stolz tragenden stattlichen jungen Mannes.

Viele Menschen, wenn sie zu einem Rechtsanwalt kommen und ihren Streit vortragen, wollen von den Gegengründen ihrer Widersacher fast gar keine Kunde oder doch nur augenscheinlich unhaltbare mittheilen; sie meinen dadurch ihren Streit bereits gewonnen zu haben. Aehnlich erging es dem Franzseph bei seinen Mittheilungen an den Dorfschützen.

Aus dem Soldatenleben zurückgekehrt und nicht unter [7] der Botmäßigkeit eines Vaters stehend, fand der junge Mann sich nur schwer in die Obliegenheiten der mühseligen Arbeit. Er schloß sich um so lieber an Faber, den sogenannten Wasserstiefel an. Faber war weder ein bloser Gutsbesitzer noch ein Bauer und schon seine Kleidung zeigte seine Stellung zwischen beiden. In der Ackerbauschule gebildet, mit mäßigem Vermögen ausgerüstet, das sich durch die Heirath einer Wirthstochter aus der Hauptstadt noch beträchtlich vermehrte, gehörte Faber zu jenen Männern, denen keine sogenannte niedere Arbeit zu gering ist, die aber auch mit überschauendem offenem Geist ihre Thätigkeit erweitern und wohl mit der Zeit die Erneuerung des starken in sich gefesteten Bauernthums darstellen. Faber sah es gern, daß Franzseph an seinen Versuchen und Studien zur bessern Ausnutzung der vorhandenen Bodenkräfte Theil nahm, und Franzseph war gern mit ihm, theils um der besondern Ehre willen, theils auch weil Faber mit einer noch immer fremd bleibenden Zurückhaltung nie ermahnend in seine Angelegenheiten eingriff, während er sonst überall mehr oder minder grobe Stichelreden über seinen halben Müßiggang hören mußte.

Lässige Menschen – und ein solcher war Franzseph – suchen vornehmlich Umgang mit Halbfremden oder unterthänig Schmeichlerischen; für Franzseph gehörte Faber zu den ersteren und der Dorfschütz zu den letzteren. Darum schloß er sich fast nur diesem an und schien heiter und wohlgemuth. Dennoch fehlte ihm die rechte Herzensfreudigkeit Alles war ihm wie mit einem trägen Nebel verdeckt, durch den nur die [8] Liebe zu des Schlägelbauers Madlene zuweilen wie ein heller Stern hindurch schimmerte; manchmal fürchtete er aber fast die Vereinigung mit Madlene und sah sich einer Sklaverei entgegengehen, in der er über jede Stunde und ihre Arbeitspflicht Rechenschaft geben müsse, manchmal hoffte er auch wieder, wenn er erst Madlene ganz sein nennen werde, müsse wieder frische Regsamkeit in ihn kommen und die oft unerklärliche Trübsinnigkeit schwinden. Diese Hoffnung stand nun aufs Neue im weiten Feld, denn der Schlägelbauer wurde von Tag zu Tag unwirscher, wollte von Verspruch nichts wissen und verlangte vor Allem ein Aufgeben der Kameradschaft mit Faber. Franzseph sah darin nur eine Beschönigung der Feindseligkeit, da der Schlägelbauer behauptete, ein Bauersmann, der keine Kapitalien habe und von der Ernte leben müsse, könne sich nicht in solche Sachen einlassen wie der Wasserstiefel. Franzseph antwortete hierauf kaum, er wußte es ja besser, daß er mit seinem jetzigen scheinbaren Nichtsthun mehr gewinne, als wenn er sich Schwielen an die Hände und Schweiß auf die Stirn arbeite. In lässigem Trotz ritt und fuhr er um jede Kleinigkeit in die Stadt und machte daheim immer ein saures Gesicht als suche er etwas oder als plage ihn ein geheimes Leiden. In der That hatte er immer einen so rothen Kopf, daß man meinte, das Blut würde ihm zu den Adern herausspritzen. Die Mutter wollte den Arzt darüber befragen, und als sie dieß einst ihrem Vetter Schlägelbauer klagte, hörte Franzseph, der in der Kammer seine Zigarre rauchte, diesen sagen:

[9] »Schneid' ihm die Blutadern aus seiner Soldatenmütze heraus, dann ist dein Franzseph gesund. Leid's nicht, daß er Zigarren raucht; dazu braucht man eine dritte Hand und kann nichts dabei schaffen. Aber da ist Alles kurz beieinander, dein Franzseph ist halt ein Faullenzer, der kehrt sich Morgens siebenmal im Bett und wendet dem Teufel den Braten.«

Schnell riß Franzseph die Kammerthür auf und rief:

»Saget mir das noch einmal in's Gesicht hinein, frei heraus.«

»Kannst's haben; ja, du bist ein Faullenzer.«

»Wenn ihr nicht der Vater von der Madlene wäret, läget Ihr jetzt am Boden.«

»Da müßt' ich auch dabei seyn. Freilich, du hast deine Kräfte gespart, du bist ausgeruht; aber wegen meiner Madlene, da thu dir keinen Zwang an, auf die Art ist's mit euch aus, daß du's nur weißt.«

Der Schlägelbauer bekam wieder seinen schweren Husten und die Mutter beschwichtigte den Streit und hieß Franzseph wieder in die Kammer gehen; sie geleitete dann den Vetter bis vor das Haus und Franzseph hörte noch wie sie sagte:

»Mein Franzseph ist ja der beste Mensch von der Welt.«

»Das ist wahr«, erwiderte der Schlägelbauer, »er wär' mir lieber ein bisle schlimm. Ich brauch' keinen so Gutedel.«

»Ich bin ein Faullenzer!« rief noch Franzseph zum Fenster hinaus und hoffte mit diesem Selbstbekenntniß [10] einen großen Sieg gewonnen zu haben, die ganze Welt sollte es hören, welch ein himmelschreiend Unrecht ihm geschah und Alles, vorab der Schlägelbauer, sollte ihm Abbitte thun.

Aber der Schlägelbauer schaute sich nicht um und Franzseph betrat die Schwelle seines Vetters nicht mehr; er sah nur noch verstohlen seine Madlene, die aber meist schweigsam und betrübt war. Was sollte aus der Feindseligkeit Franzsephs mit dem Vater werden? und wenn ihr jener klagte, daß ihm Alles so schwarz vorkäme und er keine rechte Lustbarkeit in sich spüre, mußte sie die wahre Tröstung verschweigen, denn sie hatte einst gesagt:

»Ich mein' auch, du schaffst nicht genug.«

»Ich bin halt ein Faullenzer,« knirschte Franzseph.

»Das sag' ich nicht,« entgegnete Madlene, »aber« –

»Genug,« unterbrach Franzseph, »da drüben wohnt die Vroni, frag deinen Vater, woher sie Wittwe ist. Ihr Mann liegt in der Ernte krank im Bett, da geht sie zu ihrem Vater und sagt: in der harten Arbeitszeit will er jetzt in's Bett liegen. Da will ich schon helfen, sagte der Alte, nimmt seine Peitsche und haut auf den kranken Mann los bis er zum Bett herausspringt – und zwei Tage darauf hat man ihn begraben. Wie meinst, Madlene, sollt' ich mir's auch so machen lassen?«

»Du bist ja aber nicht krank«, entgegnete Madlene.

»Das ist All eins, es darf mir Niemand sagen, ob ich schaffen soll.«

Von jener Zeit an hatte Madlene hierüber kein[11] Wort mehr gesprochen und Franzseph fühlte wohl selber, wie er sich anders rühren müsse, aber er konnte sich nicht dazu bringen, daß er den Schein auf sich lade, auf fremde Ermahnung arbeitsam zu sein; fast nie ging er mit dem Geschirr ins Feld, trug nie etwas über die Straße, ging immer los und ledig einher und gebarte sich überhaupt, als wäre er nur auf Urlaub daheim und als sei jede Arbeit, die er verrichte, besondern Dankes werth.

Ein geheimer Segen der Arbeit ist allerdings zerstört, wenn sie nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf fremde Ermahnung erfolgt; aber Franzseph konnte nicht über den kindischen Stolz hinauskommen, der ihn eben darum auch gegen seine Pflicht widerspenstig machte. – Wie er eben jetzt wieder nicht selber die Wieden nach dem Bach trug, sondern mit der Hakengabel spazirend daherschritt, kam ihm der oft unterdrückte Gedanke, geradeswegs zu dem Schlägelbauer zu gehen und ihm zu sagen: Vetter, Ihr habt Recht, und Ihr werdet sehen, ich bin fleißig ... Aber sein Athmen ging schneller schon vor Zorn über diesen Gedanken, den er doch nicht bannen konnte und heftig schlug er mit der Hakengabel auf, denn es wurde ihm klar, daß seine bisherige Lässigkeit ihn in eine verkehrte Lage gebracht: wie tapfer er auch künftig sich rühren möge, der Schlägelbauer wird ihm immer mißtrauisch aufpassen und er geräth dadurch in eine unerträgliche Botmäßigkeit, über die alle Menschen spotten müssen; hätte er nie den Namen eines Müßiggängers auf sich geladen, da stünde er ganz an ders da. Der Schlußpunkt [12] dieser Wahrnehmung waren folgerecht immer Zorn und Reue über die vergangenen und schlaffer Mißmuth ja Verwünschungen über die kommenden Tage, wobei er sich jedesmal wünschte, wieder unter den Soldaten zu seyn; da steht man doch unter einem festen Commando, dem folgt man und hat sich nicht von dem Blick eines Jeden befehlen zu lassen. Dießmal aber konnte er nicht hierbei beharren: am Montag begann die Ernte und die verschlossene Trutzigkeit, der Hader mit sich und der Welt mußte auf eine oder andere Weise geändert werden.

Franzseph schickte den Knecht nach Haus und weichte mit der Hakengabel die Wieden im Bach ein. Er hatte sich hierzu eine recht bequeme Stelle ausgesucht, da, wo auf eingerammtem Balken ein Brett befestigt war und eine Art Landungsbrücke bildete. Von hier aus konnte man auch ungesehen beobachten, wer beim Schlägelbauer aus- und einging. Jetzt sah Franzseph Madlene mit dem Vater daher kommen, sie konnten ihn nicht bemerkt haben, er hatte sich schnell hinter den Weiden versteckt; dennoch hörte er wie der Schlägelbauer über den Bachsteg gehend und oft vom Husten unterbrochen sagte:

»Ein gesunder Mensch, der faul sein kann, ist der liederlichste. So ein lottriger Tagdieb meint wunder wie gut er sei, weil er Niemand was stiehlt, er legt sich auf die faule Haut und schreit immer: ich bin ja so gutmüthig, ich bin ja so brav.«

Franzseph ballte beide Fäuste und wollte schreien und fluchen, aber der Laut erstickte ihm in der Kehle[13] und drohte ihn fast zu erwürgen. Er starrte in den Bach hinein und wußte nicht wie ihm geschehen, ihm war so dumpf, als hätte plötzlich ein schwerer Hammerschlag ihn auf den Kopf getroffen. Endlich raffte er sich auf und nur der eine Gedanke lebte in ihm, wie er Rache nehmen könne für die erlittene Unbill; er konnte nichts finden, und doch wollte er durch eine gewaltige That zeigen, wie himmelschreiend Unrecht ihm geschehen sei. Noch einmal durchblitzte ihn der Gedanke, durch rastlose Emsigkeit darzuthun, wie sehr man ihn verkannt habe; aber schnell verwarf er diese Demuth wieder. Sollte er Jeden zum Zeugen seiner Rührigkeit aufrufen und sich von ihm den Stempel seiner Geltung aufprägen lassen? – Franzseph war ein Soldat, dürfen diese versessenen Bauertölpel über seine Ehre richten? Freilich mußte er unter diesen Menschen leben, aber sie mußten einsehen lernen, daß er etwas Besseres sei als sie. Darum erschien es ihm zuletzt am genehmsten, in trotziger Verachtung den Unverstand herauszufordern. Mitten in der Ernte, die übermorgen beginnen sollte, wollte er sonntäglich geschmückt müßig und Zigarren rauchend auf den Feldern und im Dorf umherschlendern, bis Alle ihm Abbitte thun, daß sie das ihm inwohnende Streben nach Arbeitsamkeit so grausam verkannt hatten. Aber woher sollten die Menschen an eine Tugend glauben, von der sich ihnen gerade das Gegentheil unter die Augen stellte? Sie müssen es dennoch, denn was ist das für eine Achtung und Liebe, die erst Beweise verlangt, daß man sie verdiene?

[14] In der Seele dieses jungen Mannes erhob sich ein Widerstreit, den er in Worten nicht hätte darlegen können, und doch bewegte sich's in ihm und die Leidenschaft erschloß ungeahnte Quellen.

Weit hinein stieß Franzseph die Wieden, daß sie den Bach hinabschwammen, als stieße er damit jeden Gedanken an Arbeit von sich und er freute sich seines Nichtsthuns auch für die kommenden Tage wie einer Lustbarkeit.

Es liegt in der Trägheit eine eigne Wollust, ja man möchte sagen, eine Art Leidenschaft voll unergründlicher Macht; wie im halbwachen Schlummer überstürzen sich in ihr Gestalten und Empfindungen und begraben in ihren Wellen das selbstmörderisch hingegebene Leben. Auch von Madlene wollte Franzseph nichts mehr wissen, wie von sich selbst nichts mehr. Eben wollte er auch die Gabel den davonschwimmenden Wieden nachwerfen, da rief eine Stimme:

»Franzseph was machst?« und Madlene stand vor ihm.

»Ich faullenze,« entgegnete der Angeredete trotzig; das Mädchen aber faßte seine Hand und wehrte ab:

»Sag' das nicht, du thust dir Unrecht.«

»Ich? wer thut mir Unrecht? Ich heiß das Lüderlichste auf Gottes Erdboden und will's auch sein. Glaubst du nicht auch, daß ich faul bin?«

»Nein, Gott ist mein Zeuge, daß ich das nicht glaube. Laß du die Leut' sagen, was sie wollen, ein Wort beißt nicht. Ich weiß besser wie du bist. Du kannst dich nur vom Soldatenleben her noch nicht [15] wieder in's Bauerngeschäft finden. Ich seh dir's schon seit ein paar Tagen an, du willst jetzt in der Ernt' zeigen, was du vermagst; aber ich bitt' dich, überschaff dich nicht, du bist's ungewohnt und man hat eine Krankheit weg man weiß nicht wie, thu's mir zulieb und schon' dich.«

Im Innersten betroffen und erschreckt schaute Franzseph auf. Noch vor wenigen Augenblicken hatte er in selbstzerstörendem Unmuth diese Liebe verleugnet und ihre Zuversicht richtete ihn jetzt straff auf; er blinzelte mehrmals rasch mit den Augen und wie angerufen sprang er dann plötzlich den davongeschwommenen Wieden nach, watete in den Bach und holte sie auch richtig ein. Jetzt konnte er sich das Angesicht von den aufgespritzten Tropfen abwischen und alle Düsterheit war plötzlich davon weggenommen. Madlene hatte diesem verwunderlichen Thun betroffen zugesehen; sie litt unsäglich unter der Feindseligkeit zwischen Franzseph und ihrem Vater. Sie verkannte das herrschsüchtige und geizige Wesen ihres Vaters nicht, aber auch das müßige Gehenlassen Franzsephs war ihr klar, und so sehr auch Feindschaft zwischen den Beiden waltete, sie wußte doch, daß sie in Gedanken nicht voneinander lassen, denn Beide waren stolz und das verband sie doch. Der Vater verbot ihr nie ausdrücklich den Umgang mit Franzseph und that, als ob er von den heimlichen Zusammenkünften nichts wüßte, und Franzseph suchte trotz alles Tobens doch bloß nach einer Gelegenheit, um in Lob und Ehre vor dem Vater dazustehen. Lachend stand Franzseph bald wieder bei [16] seiner Madlene, und sie sprachen traulich wie in vergangenen Tagen mit einander. Sie mußte ihm, obschon widerstrebend, jedes harte Wort berichten, das der Vater über ihn gesagt, und diese Vorwürfe, die ihn sonst zum Toben und Rasen gebracht hätten, hörte er jetzt so heiter lächelnd an, als wären es lauter Lobeserhebungen. Nur als das Mädchen berichtete, daß ihr Vater nichts von ihm wissen wolle, solange er die Soldatenmütze auf dem Kopf habe, da preßte er die Lippen zusammen, nahm die Mütze ab, betrachtete sie eine Weile und setzte sie wieder keck auf. Madlene erzählte hierauf, daß des Schultheißen Claus, der sie immer von ihm abspenstig machen wollte, sich bei ihrem Vater gut Kind mache, besonders dadurch, daß er dem Wasserstiefel, wo er nur könne, eine Tücke anthue und daß der Vater sie immer bereden wolle, der Werbung des Claus nachzugeben. Selbst das hörte Franzseph mit unveränderter Miene an und sagte endlich, er wolle den Schlägelbauer auf Einmal zu ganz anderer Meinung über ihn bringen. Er ließ sich aber nicht bewegen, zu erklären, wodurch er dieß bewirken wolle.

»Wohin ist dein Vater gegangen?« fragte Franzseph zuletzt.

»Auf das Speckfeld, dort wollen wir am Montag – will's Gott – anfangen Wintergerste schneiden.«

Die Sonne stand eben im Scheiden und ihr rother Widerschein glänzte im Bach und im Antlitz der Liebenden, die Hand in Hand dastanden. Die Lippen Franzsephs zitterten, es lagen Worte darauf, die er nicht aussprechen durfte, und ehe er's gekonnt hätte,[17] schied er schnell von Madlene, denn sie sahen den Schlägelbauer von der Höhe jenseits herabkommen. Franzseph nahm die Wieden auf und trug sie nun selbst nach Haus; dennoch machte er einen Umweg, um dem Schlägelbauer nicht zu begegnen.

2. Ein Sommernachtswerk

2. Ein Sommernachtswerk.

Zu Hause war Franzseph voll Unruhe, die Mutter überraschte ihn, als er sich eben ein großes Stück Brod abschnitt und in die Tasche steckte; er erwiderte auf ihre Frage, was er damit wolle, daß ihn oft in der Nacht ein Jähhunger plage, dem er vorsorgen müsse. Die Mutter schüttelte den Kopf über das so auffällig veränderte Wesen ihres Sohnes und sprach wieder vom Arzt, aber Franzseph hörte nicht darauf und hatte noch allerlei in der Scheune herzurichten, als ob es früher Morgen wäre und nicht einbrechende Nacht. Er wich den Fragen hierüber aus und bat um die Kappe des verstorbenen Vaters, die er zum Andenken in seiner Kammer haben wolle; die Mutter brachte sie schnell, setzte sie ihrem Sohn auf's Haupt und betheuerte, daß sie ihm viel besser stehe, als die steife Soldatenmütze, der sie höchst unehrerbietige Namen gab. Franzseph riß hierauf rasch die Kappe ab und setzte seine gewohnte auf, aber er gab die alte doch nicht wieder zurück. Er ging mehrmals durch das ganze Dorf und es kam ihm wunderlich vor, daß die Leute noch immer zögerten zur Ruhe zu gehen. Wie [18] gern hätte er den Zapfenstreich schlagen lassen und den Leuten commandirt: »Licht aus! in's Bett!« Aber hier führte Jeder sein eigen Regiment und kannte kein allgemeines Gebot. Jedem, der noch eine Weile vor dem Hause gesessen und sich dann hinein unter Dach begab, wünschte Franzseph in besonders nachdrücklicher Weise eine gute Nacht. Es war, als ob er Jedem besonders dankte, der nur die Augen schloß, um sein Vorhaben nicht zu sehen.

Endlich war Stille im Dorf, über dem eine sternglitzernde Nacht stand, der Mond kam heute erst um Mitternacht herauf. Die Thüre an Franzsephs Hause, die nach dem Garten ging, öffnete sich unhörbar, aber es trat Niemand heraus, nur eine tuchumwickelte Sense wurde behutsam und geräuschlos auf den Boden gelegt; erst nach geraumer Weile kam ein Mann zum Vorschein, schloß die Thüre, stand eine Weile still horchend, nahm die Sense auf und schlich durch den Garten hinaus in's freie Feld. Es war Franzseph; er hatte aber, wohl um sich nicht so rasch kenntlich zu machen, eine andere Kopfbedeckung als gewöhnlich, und zwar die pelzverbrämte Pudelkappe seines Vaters. Er athmete laut und hielt auf seinem raschen Gang oft ein, hinaus lauschend, ob er nicht fremde Schritte höre; aber es ließ sich nichts erkunden, nur Heimchen und Heuschrecken in Busch und Gras hörten in der milden Nacht nicht auf zu zirpen. Gegen Norden stand die Nachtdämmerung, deren lichter Schein von der Mitte Mai bis Mitte August am Himmel nicht verschwindet. Franzseph ging nach dieser Seite hin, [19] und es war ihm, als schritte er hinein in den Tag, und nur wenn er sich umkehrte, sah er die volle Nacht. Franzseph nahm die Sense, die er bisher in der Hand tief am Boden gehalten hatte, frei auf die Schulter und schritt muthig vorwärts. Wie leise flüsternd wiegte sich das Korn am Weg und sog den Nachttau ein, der ihm nur auf kurze Zeit noch beschieden war; das wächst und gedeiht still, während die Menschenhände ruhen, die es gesäet und bald wieder einsammeln. Was raschelt dort in den Halmen und kollert jetzt den Wegrain hinab? Es ist wohl ein Igel, der nächtig auf seine Nahrung ausgeht. Dort im Gebüsch winselt und klagt es, das sind Stimmen verscheuchter Vögel, denen ein Marder, ein Wiesel Eier oder Junge geraubt. Das ganze Leben der Thiere ist Suchen nach Nahrung, der Mensch aber bereitet sich diese durch Arbeit. Franzseph faßte seine Sense fester. Jetzt ging der Weg eine Strecke über die Landstraße, wo hüben und drüben reichgestützte Obstbäume standen, und wie von unsichtbarer Hand gepflückt fiel bald da bald dort ein frühreifer oder wurmstichiger Apfel nieder, kollerte auf der harten Straße oder fiel dumpf in das weiche Gras. Die Obstbäume, deren fester Stamm das Menschenleben überdauert, bedürfen nur Schutz und Stütze von Menschenhand und erzeugen von selbst die Frucht; das Brod aber, des Menschen vielbereitete Speise, reift nur auf mühsam bearbeitetem Boden am alljährlich sich erneuenden Stengel.

Wie war's jetzt in einsam stiller Nacht, als ob alles Gewohnte rings umher seltsame Worte spreche [20] und eine Offenbarung ging aus von Halm und Zweig, die das Herz erbeben machte. Denn des Menschen Sinn fühlt ein Beben beim Nahen des Allgeistes. Worte und Gedanken, die Franzseph ehedem wie halb träumend von Faber vernommen hatte, erwachten jetzt wie mit heller Stimme und klaren Augen. Franzseph pfiff nur sich selber hörbar vor sich hin. Endlich führte der schmale Fußweg mitten durch die Kornfelder. Franzseph kühlte bald die eine bald die andere Hand im Thau, der auf den Halmen lag; er sah hinüber nach dem Hopfenacker, dessen lange Stangen wie ein getödteter Wald mitten im Felde standen. Er mußte lächeln bei der Erinnerung an die Prophezeihung des Dorfschützen, daß diese Stangen noch zu einer Generalprügelei verwendet würden – aber plötzlich hielt er an, er hörte in der That Schritte, die hinter ihm drein kamen; schnell sprang er in das Kornfeld, kauerte in den hohen Halmen nieder und hielt den Athem an. Die Schritte kamen immer näher und jetzt hielt der unsichtbare Wanderer an der Stelle, wo Franzseph verschwunden war und dieser überlegte rasch, wie er sich verhalten müsse, wenn er entdeckt würde; aber der Suchende ging vorüber und der Versteckte athmete frei. Der Flurschütz hatte wohl noch seinen nächtlichen Rundgang gehalten; es war nun sicher, daß er in der heutigen Nacht nicht mehr in diese Gemarkung käme. Noch eine Weile verharrte Franzseph in seinem Versteck, dann wendete er sich sorglos rechts nach dem Speckfeld. Im Umschauen däuchte es ihn einmal, als ob die Stangen im Hopfengarten sich bewegten und ein [21] Knistern und Knarren von dorther dringe; aber das war gewiß nur Täuschung, wie sollten die festen Pfähle sich jetzt beugen, da ein leiser Windhauch kaum die Spitzen der Halme bewegte. Franzseph schritt fürbaß und gelangte endlich zu seinem Ziel, er nickte mehrmals, denn er fand die Merkzeichen, daß er am Gerstenacker des Schlägelbauern war. Er nahm die Einhüllung von der Sense und strich mit dem Wetzstein so leise als möglich über die Schneide. Als aber jetzt die Thurmuhr im Dorf zehn zu schlagen begann, wagte er es, gedeckt von diesem Klange, kecker die Sense zu wetzen und nun ging's frischer an's Mähen, daß die Halme rauschend zu Boden fielen; dabei war er aber noch so hastig, daß er mehrmals die Sensenspitze in den Boden bohrte, er zwang sich nun zu gemäßigter Thätigkeit und ruhig vorwärts schreitend legte er die Halme nieder. Die Schwingung hin und her ging so geruhig und fast mühelos, es war als ob in die Sense ein eigen Leben gefahren wäre, sie bewegte sich wie von selbst in seiner Hand, mähte die Halme und zog ihn allmälig nach. Vom Wald herüber hörte man das Krächzen und Winseln junger Eulen, die sich wohl um eine Beute balgten. Was kümmert den Thätigen all das Geschrei um ihn her? Nur der Arbeitsledige horcht überall hin und findet darin willkommene Zerstreuung. Erst als Franzseph die volle Ackerlänge durchgemäht hatte, gönnte er sich ein Aufathmen, und die Art, wie er sich reckte, zeigte jetzt, daß nicht Müdigkeit ihn lähmte, sondern neue Lebenskraft seine Glieder durchströmte. Es duldete kein langes Ausruhen [22] und rückwärts ging's in gleicher Thätigkeit, die so gleichmäßig im Takt fortschritt, daß sich Franzseph eine Art Melodie dazu dachte. All das Denken, das am Tage und jetzt in der Nacht durch seinen Sinn gezogen, ruhte nun im tiefsten Grunde seiner Seele wie ein verborgenes Labsal.

Wie bald aber ändert sich Denken und Thun. Wieder auf dem ersten Ausgangspunkt angekommen, fühlte Franzseph einen Hunger, wie er ihn seit lange nicht gekannt hatte, aber er blieb bei seinem Vorsatz, erst nach drei vollen Mahden sich eine Erholung zu gönnen, und nun dünkte ihn nicht mehr, daß die Sense sich von selbst bewege und pfiff er auch keine Melodie mehr zur Arbeit; als gälte es einen Widersacher zu erlegen, so ernst und mit angespannter Kraft schritt er mähend vorwärts. Die Aehren rauschten nieder und es sumste und schwirrte gar seltsam am Boden. Franzseph hatte gegen seine Mutter mit dem Jähhunger gespaßt, jetzt schien er ihn wirklich zu überkommen, jedes Ausholen mit der Sense ward zur Beschwerde, aber er ließ nicht ab und langte endlich von Schweiß triefend zum Drittenmal an seinem Ziel an. Er setzte sich auf den Markstein nieder und wischte den Schweiß von der Stirn. Das ist ein Thau, der die Menschenkraft gedeihen macht, und das Brod, das der Einsame jetzt zum Munde führte, war nährenden Segens voll. So hatte noch nie ein Bissen geschmeckt.

»Fleiß ist Tugend,« hat Faber einmal gesagt, und jetzt tönte das Wort wie ein Segensspruch von unsichtbaren Lippen um den jungen Mann, der allein in[23] stiller Nacht sein Brod verzehrte. Wohl giebt es einen Fleiß, der der Habgier und allen schlechten Trieben dienen muß, und doch ist Fleiß, die lebendige Bethätigung der Kraft, Grundlage alles echten Thuenden, aller Tugend.

Vom Dorf herüber schlug es zwölf Uhr, und der Nachtwächter rief die Stunde. Franzseph konnte es kaum glauben, daß er schon so lange gearbeitet habe, er hatte ja keinen Glockenschlag gehört; aber hört denn der Emsige die Stunde schlagen und rinnt ihm die Zeit nicht ungezählt dahin?

Franzseph kam sich wie verzaubert vor. Das war ein Klingen und Singen und Summen in der Luft und auf den Feldern, wie von zahllosen unsichtbaren Wesen. Franzseph fühlte eine unwiderstehliche Schlafsucht, aber er bewältigte sie doch; umherschauend zwang er sich, die ganze Umgebung im lichten Sonnenschein zu denken und jetzt kam der Mond rund und groß hinter dem Wald herauf und übergoß Alles mit mildem Schein. Feld und Wald und Dorf lag im weichen Dämmerlicht ausgebreitet und aus dem Bach blinkte es da und dort hell herauf. Franzseph richtete sich rasch auf und die Sense glitzerte im Mondschein wie er sie aufhob und untersuchte, er verbarg das verrätherische Blinken schnell unter den Halmen und mit neuem Muth ging's an die Vollführung des Werkes. Er gedachte wie der Schlägelbauer und mit ihm das ganze Dorf staunen werde, wenn es sich zeigt, daß der Faullenzer, während Alles ruhte, einen Morgen Gerste niedergemäht, und wie freudig Madlene jauchzen müsse, [24] daß ihre Zuversicht sich so bestätigte. Er bedurfte dieser Aufmunterung sehr, denn immer mühsamer wurde ihm diese Arbeit und solch einsame Verkehrung der Nacht in Tag. Er wetzte die Sense öfter als sonst und nicht mehr so behutsam. Der Nachtwächter, dachte er, glaubt freilich nicht mehr an den Dengligeist, aber er wird doch morgen Allen berichten, daß er ganz gewiß in vergangener Nacht den verschollenen Erntegeist im Felde habe die Sense wetzen hören. Er wird dann dem Orte nachforschen, von wo er den Klang vernommen und dadurch wird die Sache am schnellsten offenbar, denn selbst kann ich sie doch nicht verrathen, und bis zum Montag warten könnte ich auch nicht.

Wieder wetzte Franzseph die Sense anhaltender als je und ließ sie dann noch fast geflissentlich im Mondschein blinken, er fürchtete nicht mehr, vom Flurschützen überrascht und gestört zu werden, dies wäre ihm wohl eher erwünscht gewesen. Er hatte ein gut Theil des Ackers gemäht und war so überaus müde, aufhören konnte er aber nicht, denn was sollte die halbe Arbeit? Wurde er aber verscheucht, so war es ja nicht seine Schuld, daß noch Etwas rückständig blieb, auch dieses mußte ihm als vollbracht angerechnet werden, er hätte es ja ohne die Störung gewiß vollendet. So sehr auch Franzseph wetzte und endlich sogar zu dengeln anfing, es ließ sich Niemand sehen noch hören, der ihn stören wollte und eine Zeit lang mähte er im Zorne fort und horchte auf jede Viertelstunde, die es im Dorfe schlug. Endlich aber wurde er auch dieser Mißstimmung Meister, und je mehr es gegen Morgen [25] ging, desto mehr erfreute er sich seines Thuns. Mit dem ersten lichten Grau, das im Osten aufdämmerte, belebte ihn ein neuer Gedanke, der sich immer mehr geltend machte: nicht das Staunen und die Bewunderung des ganzen Dorfes erquickte ihn, er freute sich über sich selber, er hatte vor sich bewiesen, daß er einen schweren Vorsatz vollführen könne. Jetzt war er auch des Zweifels ledig, ob er in den Tag hinein arbeiten wolle, bis man ihn bemerke, er war entschlossen, sich davon zu machen, ehe man ihn sah. Die Morgenwolken, die sich immer mehr lichteten, warfen ihre Strahlen hinein in den Mond und es war als ob zu diesem Sonntag eine doppelte Sonne über der Welt aufgehe. Hier und da zwitscherte eine Lerche am Boden und ein Rabe flog krächzend waldaus, als wäre er der Bote der Nacht, der ihren Rückzug verkünde. Jetzt schwang sich dort aus der Ferne eine Lerche keck empor und aus den thaufeuchten Halmen schwirrten ihr andere nach, vom Walde her und in den Hecken begann es zu zwitschern und zu singen, die Sonne stieg in voller Pracht empor und mit freudigem Siegesgefühle schaute Franzseph zu ihr auf. Er hatte in stiller Nacht ein frisches Herz gewonnen. Er mähte noch den Acker bis zu Ende. Nur noch eine Spreite stand. Sollte er sein Werk im Tageslicht vollenden? Er hob die Sense hoch hinauf in's Sonnenlicht und in ihm sprach der Vorsatz, daß die Sonne immerdar seine emsige Arbeit erschauen und sie segnen möge; dann verbarg er die Sense in einem noch hell grünenden Haberfelde und eilte davon; aber er kehrte nicht[26] in's Dorf zurück, er schritt nach dem Walde, er suchte nicht lange und hatte den Schlaf nicht anzurufen, bald war er auf dem Moose unter einer mächtigen Tanne eingeschlummert.

3. Ein Feldfrevel

3. Ein Feldfrevel.

Im Hause des Landwirths Emil Faber, genannt der Wasserstiefel, war noch Alles in lautloser Ruhe, nur die Tauben in ihrem Schlage gurrten nach Freiheit und der Hahn krähte aus seiner Verborgenheit immer anhaltender. Mit Ausnahme des offenen Schuppens war das Haus noch ganz dasselbe, wie es Luzian verlassen; nur hatte Alles eine frischere Farbe und hieländisch fremde Pflüge und eine große Häckselmaschine zeigten, daß eine junge Kraft hier walte. Das Schlafzimmer der jungen Eheleute war nach dem ruhigen Grasgarten gelegen, wo ein Apfelbaum mit seinen rothbackigen Früchten fast in die Fenster hineinragte. Der lustige Pfiff einer Grasmücke hatte von dort aus den jungen Mann geweckt, der eben im Ankleiden begriffen war, als er das Erwachen seiner Frau wahrnahm.

»Guten Morgen Pauline,« rief der junge Mann, »es ist noch früh, schlaf noch einmal und freue dich mit mir, heut ist Sonntag.«

»Ja, guter Emil, und heut gehst du mit mir in die Kirche?«

»Auch, aber ich freue mich auch mit dem Sonntag,[27] weil es an diesem schönen Tag neugebackene Bretzeln giebt,« erwiderte der Mann mit kindischem Humor.

Die Frau erzählte, daß sie einen ängstlichen Traum gehabt: die wegen des Zehntpachtes aufrührischen Bauern hätten das Haus angezündet und Niemand hätte retten und löschen wollen als der Franzseph, der endlich in den Flammen verschwunden sei.

»Ach,« schloß sie klagend, »ich habe mir das Landleben doch anders gedacht und du bist auch so unnachgiebig und forderst durch den Zehntpacht noch die Tücke dieser rohen Menschen heraus. Du wirst sehen, sie bereiten uns irgendwo ein Verderben.«

»Das ist auch meine Ansicht und eben darum hab' ich den Zehnt gepachtet. Man muß den Menschen einmal Gelegenheit geben, allen versteckten Groll, den sie in der Seele hegen, loszulassen. Ich bin der kleinen Plänkeleien, Tücken und Beinstellereien müde, sie müssen mir eine offene Schlacht liefern, ich bin darauf gefaßt. Wegen Brandstifterei sei ruhig, sie wagen nichts so Keckes und wissen auch, daß ich gut versichert habe und gern neu bauen möchte. Mit dem Franzseph werde ich aber in diesen Tagen ein ernstes Wort reden; er muß seinen dummen Soldatenstolz abthun.«

Der junge Mann, eine ungewöhnlich große Gestalt mit flachsblondem Haar, trat an das Bett seiner Frau, strich ihr mit der Hand über die Stirn und beruhigte sie durch trauliches Zureden, dann verließ er das Zim mer, ging hinab nach dem Hof, wo ihn der große Kettenhund mit Winseln und Sprüngen begrüßte, er [28] band ihn los und sah nach dem Treiben der Knechte und Mägde, die sich mittlerweile auch aufgemacht hatten und sich zwischen den Tauben hin und her bewegten, die gurrend auf und nieder flatterten. Eben stand Faber bei einem neu eingetretenen Knechte und lehrte ihn die Häckselmaschine besser handhaben, als der Dorfschütz militärisch grüßend in den Hof trat.

»Was giebt's schon so früh?« fragte Faber.

»Euer Hopfenacker ist verruinirt. So eben berichtet's der Flurwächter. Es steht kein' Stang mehr, und alle Ranken sind zerschnitten.«

Obschon der junge Landwirth so eben noch sich auf Tückisches gefaßt erklärt hatte, so verfinsterten sich dennoch plötzlich seine Mienen; er hätte vielleicht einen persönlichen Angriff leichter ertragen, als diese ruchlose Zerstörung einer mit besonderer Liebe gehegten Pflanzung. Der Hund schaute bald in das Antlitz seines Herrn, bald in das des Botschafters, gewärtig den Befehl zum Angriff zu vollziehen; brummend und mit aufgesträubten Rückenhaaren umkreiste er den Dorfschütz, bis ihn sein Herr zur Ruhe verwies. Nachdem Faber auf die Frage, ob die Sache bereits amtlich angezeigt sei, bejahende Antwort erhalten, kehrte er zu seiner Frau in's Haus zurück und bald sah man ihn, mit den hohen Wasserstiefeln angethan, der Hund vorauf, hinaus auf das Feld wandern. Die Kunde von dem Geschehenen hatte sich rasch verbreitet und das Dorf frühzeitig geweckt, denn überall an den Fenstern und vor den Häusern machten Männer und Frauen Zeichen des Mitleides und bezeigten bedauernd ihre [29] Schuldlosigkeit gegen Faber, der ohne Anhalt mit großen Schritten fürbaß ging.

Bald sammelten sich Gruppen Lautredender auf den Straßen und Alle schimpften auf den Feldfrevler, den man entdecken müsse, damit er für den Schaden einstehe und nicht die Gemeinde dafür büßen müsse. Eine lärmende Gruppe hatte sich nicht weit von des Franzsephens Haus bei dem Brunnen gebildet und hier hörte man vor Allem die Stimme des Schultheißen, der unnachsichtliche Strenge verkündete und Alles aufbieten wollte, um den Missethäter zu entdecken. Der Schlägelbauer, der daneben stand, suchte ihn zu beruhigen und die Sache in's Spaßhafte zu ziehen, indem er schadenfroh lächelte; der Schultheiß aber rief:

»Und wenn du's selber than hast, laß ich dich gleich einsperren.«

Die Mutter Franzsephs, von dem frühen Lärm erschreckt, kam herbei, ging auf die heftig Redenden zu und fragte was geschehen sei, ob man von ihrem Franzseph etwas wisse, der heute die ganze Nacht nicht heimgekommen sei. Der Schlägelbauer winkte, aber die Mutter verstand ihn nicht und jetzt schrie Alles über den versteckten Faullenzer, an dem nun das Unglück hinausgehen werde, das er über das ganze Dorf bringen wollte. Während noch so Alles unter einander tobte, sah man den Franzseph, mit der ungewohnten Pudelkappe auf dem Haupt, vom Berge herabkommen. Der Schultheiß befahl schnell dem Dorfschützen ihm entgegen zu gehen und ihn gefangen zu nehmen, aber ein Kamerad Franzsephs war rascher als der nur langsam [30] schlendernde alte Soldat, er sprang vorauf und rief Franzseph zu: »Lauf davon, du wirst eingesperrt.«

Franzseph aber schien diesen Zuruf nicht als ihm geltend zu betrachten, er schritt ruhig weiter und als ihm der Dorfschütz, der jetzt bei ihm angelangt war, seine Verhaftung verkündete, fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und lächelte ungläubig.

Der Schlägelbauer hatte die Mutter überreden wollen, nach Hause zu gehen und sich auf ihn zu verlassen, aber die Mutter ließ nicht von der Rotte, die sich auf jedem Schritt vergrößerte, den sie dem Franzseph entgegen ging. Als sie ihn endlich vor sich hatten, wollte der Schultheiß in laute Schmähungen ausbrechen, aber der Schlägelbauer unterbrach ihn, bat um's Wort, ging auf Franzseph zu, faßte seine Hand, daß er in sich erbebte und sagte fast ganz ohne Husten:

»Franzseph, ich hab' dir Unrecht than, ich schäm' mich nichts und sag's frei vor allen Leuten. Ich hab' gemeint, du seist blos ein so guter Tralle, der kein' Schneid' hat; jetzt hast du zeigt, daß du die rechte Schneid' hast. Dein Sach' mag jetzt ausgehen wie sie will, wenn du wiederkommst, weißt du, wo ich wohn'! Verstanden? Jetzt fürcht' dich nichts und sei standhaft.«

Die Mutter stand weinend neben ihrem Sohn und hielt ihre Hand auf seine Schulter gelegt. Franzseph wußte nicht wie ihm geschah, ein Frösteln überkam ihn, daß er am ganzen Leib zitterte.

»Gestehst du was du gethan hast?« fragte der Schultheiß.

»Ich weiß nicht was es Euch angeht,« entgegnete[31] Franzseph, und der Schlägelbauer trat wieder vor und sagte:

»Mein Franzseph leugnet nichts. Er ist ein Mann, der Kurasche hat und versteckt sich nicht hinter der Heck. Gesteh' du's nur. Ja, ich sag's für ihn, ja, mein Franzseph hat heut Nacht des Wasserstiefels Hopfenacker abgeschnitten und umgestürzt und hat rechtschaffen Recht daran gethan. Wir sind Mann's genug für den Schaden aufzukommen, wir brauchen den Gemeindebettel nicht, und die paar Wochen Straf' bringen ihn auch nicht um. Mein Franzseph hat Schneid' und ist kein guter Tralle. Jetzt laß ihn frei, Schultheiß, er entlauft dir nicht.«

Die Brust Franzsephs hob und senkte sich mit schwerem Athem, er drückte sich mit der Hand die Augen zu, als müsse er sich besinnen, ob er nicht träume.

»Du kannst nicht für ihn reden,« entgegnete der Schultheiß, »er wird selber das Maul bei sich haben; red' du selber, Franzseph, du bist immer ein guter Kerle gewesen, ich kann's noch nicht recht glauben.«

»Er ist kein guter Kerle,« unterbrach der Schlägelbauer.

»In's Teufels Namen, laß ihn selber reden,« kreischte der Schultheiß, »ich will kein Wort mehr von dir.«

Franzseph schaute jetzt mit zusammengepreßten Lippen starren Blickes auf den Schlägelbauer; offenbar hat dieser in seinem Haß den Feldfrevel begangen und verlangt nun, daß sein Schwiegersohn für ihn einstehe. [32] Franzseph war bereit dazu, obgleich er nicht recht wußte, was daraus werden solle, und es ihm tief wehe that, daß er, der allein Fabers Freund war, in dessen Augen als hinterlistiger Heuchler erscheinen müsse. Als aber jetzt auch der Schultheiß auf die Gutmüthigkeit anspielte, regte sich ein seltsamer Stolz in Franzseph und er rief laut: »Ich bin kein guter Kerle, ja, ja, ich hab' Alles than, was der Vetter Schlägelbauer sagt.« Alles war stumm vor Entsetzen, nur des Schultheißen Claus, der eben mit einem Landjäger herzugetreten war, lachte laut auf.

Franzseph wurde dem Landjäger übergeben und nach der Amtsstadt abgeführt, der Schlägelbauer geleitete die weinende Mutter tröstend nach Hause.

4. Fremde That

4. Fremde That.

Als der Landwirth Faber nach Hause kam, hörte er zu seinem Entsetzen, wer die ruchlose That vollbracht habe, und die neubacknen Bretzeln, auf die er sich so kindisch gefreut hatte, wollten ihm gar nicht munden. Die Frau, die sich dem heißblütigen Manne gegenüber auf ihre ruhige Menschenkenntnis viel zugute that, behauptete, daß sie schon lang etwas Heimtückisches und Hinterlistiges an Franzseph bemerkt habe, daß sie aber geschwiegen hätte, um nicht wieder für mißtrauisch zu gelten. Faber bestritt das Vorhandensein dieser Weltklugheit, und wie das so leicht geschieht, eine Unbill von außen erzeugt leicht Mißstimmung und [33] Streit zwischen den Betroffenen; das gekränkte Herz heischt oft, ohne es gestehen zu wollen, eine Tröstung und jede ungeschickte oder unerwartete Berührung wird zu einer Mißstimmung. Faber behauptete streng verweisend, daß Niemand dies habe von Franzseph voraussetzen können und die Frau suchte versöhnend abzuschließen, indem sie die Furcht vor neuer nicht so leicht zu verschmerzender Unbill darlegte und ihren Mann bat, die Beschädigung ungesühnt zu erleiden, den Franzseph frei zu machen und durch diese Hochherzigkeit das ganze Dorf zu beschämen und zur Freundschaft zu zwingen. Das war aber gerade ein neu aufreizender Vorschlag und Faber schwur und betheuerte, daß er unnachgiebig den strengen Rechtsweg in dieser Sache verfolge, von dem ihn nichts abbringe. Er setzte eilig eine Klagschrift an das Amt auf, in der er genauen Augenschein forderte. Er schrieb noch mit fliegender Feder, als Madlene mit verweinten Augen eintrat. Faber kannte das Mädchen wohl, dennoch fragte er nach Namen und Begehr, und ohne ein Wort zu erwiedern, schüttelte er auf die Bitte, »Gnade für Recht ergehen zu lassen,« verneinend den Kopf, siegelte die Schrift, verließ die Frau, die Madlene zu trösten suchte, ging nach dem Hof und schickte sogleich einen reitenden Boten mit der Schrift nach der Stadt. Bald kehrte er wieder in die Stube zurück und fragte Madlene, seit wann der Franzseph Nägelschuhe trage. Das Mädchen behauptete, daß er nur Stiefel mit eisenbeschlagenen Absätzen habe und sprach, ermuthigt durch die Mittheilung, daß man die Spuren von Nägelschuhen [34] im Hopfenacker gefunden habe, die Ueberzeugung aus, daß Franzseph unschuldig sei; zwar habe er selbst gestanden, aber wer wisse, was ihn dazu veranlaßt habe.

»Dann hat er fremde Schuhe geborgt oder Helfer gehabt, es muß sich Alles erweisen,« entgegnete Faber, verließ abermals in Unruhe das Zimmer und schickte einen zweiten Knecht als Wache nach dem verwüsteten Hopfengarten, damit Niemand hineintrete und die ganz deutlichen Fußstapfen verwische. Während er dem Knecht noch sein Verhalten genau vorschrieb, sah er Madlene das Haus verlassen; sie ging zu der Mutter Franzsephs, die wegen des Geschehenen ganz untröstlich war und immer behauptete, ihr guter Franzseph müsse zu dem Schelmenstreiche verführt worden sein, denn so etwas käme nicht aus seinem braven Herzen und zu einem solchen Streiche könne er nicht des Vaters Pudelkappe aufgesetzt haben. Sie hatte die Soldatenmütze ihres Sohnes auf den Tisch gestellt und sah immer weinend und händeringend darauf, als würde sie nie mehr das Haupt sehen, das damit bedeckt war ...

Unterdeß schritt Franzseph, von dem Landjäger gefolgt, lautlos die Straße dahin. Als sie an der Anhöhe vorüber kamen, wo das abgemähte Gerstenfeld war, däuchte ihn, es müsse sich von dort irgend ein Zeichen für ihn erheben; aber wer konnte sprechen, wer Zeugniß ablegen für ihn? Ueber den Spitzen der Kornfelder wob sich schwebend ein funkelnder Duft und aus dem Thal und von der Höhe klangen die Morgenglocken. Franzseph schritt ruhig weiter und gedachte der hellen Stunde, da er froh begrüßt und geehrt diesen Weg [35] heimwärts ziehen werde. Mit wachen Augen ging er halb träumend hin und konnte sich nicht klar machen, was geschehen war und noch geschehen sollte. Als man endlich in der Amtsstadt an gekommen war und alle Leute nach dem jungen Verbrecher ausschauten, und der Hausknecht des Greifenwirths, ein ehemaliger Kamerad, ihn mit seltsamem Lächeln bei Namen rief und grüßte, da fing es ihm an doch bange zu werden; aber immer noch däuchte ihn Alles nicht wahr, und erst als er allein im Gefängniß stand, erwachte er plötzlich und ballte beide Fäuste und schlug gegen die ungerechten Mauern und schrie laut auf. Die Mauern wichen nicht und der Schrei verhallte von Niemand gehört. – Was nützte jetzt alles Besinnen und Ueberdenken? Es ließ sich nichts herauspressen. Endlich legte sich Franzseph beruhigt nieder, mit der festen Zuversicht, daß der Schlägelbauer der Sache bald ein Ende machen werde. Man brachte ihm Essen, er ließ es unberührt stehen. Die gebrochene Nachtruhe, die ungewohnte Arbeit, die Gemüthsbewegungen und der Weg, Alles machte sich geltend, um Franzseph in einen bleiernen Schlaf zu versenken. Als er erwachte, mußte er sich besinnen wo er war; dunkle Nacht und Einsamkeit umher. Das ganze Leben war verändert, die Nacht war zum Tage, der Tag zur Nacht geworden. Ein zerschnittener Lichtstreif des Mondes fiel in seinen Kerker und leuchtete Franzseph beim Verzehren des kalt gewordenen Mahles, über das er sich rasch hermachte. Er fühlte sich neugestärkt und meinte, er müsse jetzt gleich erlöst werden; es war genug des schlimmen[36] Scherzes. An dem hohen Fenstergitter sich mit beiden Händen anhaltend, schaute Franzseph hinein in die Mondnacht. Plötzlich war's ihm, als ob er einen Schlag an den Kopf bekäme, so nahe dröhnte die Thurmuhr der Stadt, die in gleicher Höhe mit der Gefängnißzelle war. Es schlug Eins. Das war ein anderes Warten auf den Tag als in vergangener Nacht im freien Feld. Jede Viertelstunde, die es schlug, klopfte mit leibhaftigem Pochen an das Haupt Franzsephs und durchdröhnte seinen ganzen Körper, und selbst als er sich wieder auf die Pritsche legte, hörte das nicht auf, und durchbebt von diesen Klängen mußte er der vielen Stunden gedenken, die er in halb stolzer, halb feiger Lässigkeit verträumt und vertrödelt hatte; er sprang oft auf und streckte die Hände empor voll heißen Verlangens nach Arbeit. Heute wollte er ja rüstig an's Werk und nimmer lässig werden, warum war er gefangen?

Ein bläulicher Schimmer zeigte sich am Himmel, kein Lerchenton war vernehmbar, nur der ächzende Pendelschlag der Thurmuhr hin und her. Ein heller Tag brach an, ein ächter gesegneter Erntetag. Je weiter die Stunden vorrückten, um so lebhafter dachte sich Franzseph, wie jetzt Alles daheim sich zur Arbeit rüstet; nur er allein mußte träge ruhen, und als eine Seligkeit erschien es ihm jetzt die Sense zu handhaben, er sehnte sich nach dem Griff der Sense wie nach der Hand eines Freundes; weinend vor Zorn und Wehmuth wälzte er sich auf seinem Lager, da öffnete sich endlich die Thüre und der Gefangenwärter trat mit dem Landwirth Faber ein.

[37] Der erste Anblick erschreckte Franzseph so, daß er starr da stand, aber rasch streckte er dem Faber die Hand entgegen, die dieser indeß abwies, indem er mit ruhigem Ton erklärte: er habe sich von dem Untersuchungsrichter eine Unterredung erbeten, bevor das Verhör beginne, es sei ihm noch unfaßlich, daß gerade der Einzige, der sich ihm vertraulich angeschlossen, den Frevel ausgeführt habe, Franzseph sollte daher bekennen, wer ihn dazu verleitet und wer ihm dabei geholfen habe. Franzseph starrte lautlos drein und ließ sich trotz allen Drängens zu keiner Antwort herbei. Als indeß Faber auf die Stiefel deutend sagte:

»Solch' eine Fußspur findet sich gar nicht in meinem Hopfenacker, Ihr müßt also blos Wache gestanden und Andere müssen Euch geholfen haben,« da zuckte Franzseph zusammen und sagte endlich:

»Lieber Herr Faber, wenn ich sagen könnte, wem die anderen Fußspuren gehören, versprecht Ihr mir die Sache aus und vorbei sein zu lassen um eine billige Entschädigung?«

»Nein, und wenn ich den Menschen an den Galgen brächte, ich könnte ihn mit Lust baumeln sehen.«

»Dann hab' Ich's gethan und sonst Niemand,« fiel Franzseph ein.

»Das geht nicht mehr, wir haben das Bekenntniß, das Ihr anders aussagen könnt, wenn Ihr wollt.«

»Ja, wenn ich will,« entgegnete Franzseph halb trotzig halb wehmüthig. Faber suchte ihn nun mit aller Güte zu bereden, den wahren Sachverhalt zu bekennen, er werde als Verführter nur eine geringe [38] Strafe bekommen, und beschwor ihn zuletzt aus Achtung vor ihrer ehemaligen Freundschaft, ihm nicht das Leid anzuthun, daß er nun an keinen guten Menschen mehr glauben dürfe.

Dieses Wort »gut« machte aber wieder die verkehrte Wirkung auf Franzseph und er verfiel in erzwungenen Trotz und Starrsinn, der sich nur zu den Worten verstand, daß er dem Untersuchungsrichter allein Antwort schuldig sei. Faber mußte sich zwingen noch weiter zu sprechen, und in den Mienen Franzsephs zuckte es als er hörte, daß im Dorfe gestern Jeder dem Andern auf die Schuhe gesehen habe, daß man am Abend an des Schultheißen Haus einen brenzlichen Geruch wahrgenommen habe, der vielleicht davon herkäme, daß des Schultheißen Claus seine Schuhe verbrannt habe. Auch hierauf schwieg Franzseph, lachte aber in sich hinein.

Eben wollte Faber weggehen, als Madlene eintrat, sie konnte vor Weinen erst gar nicht reden, dann klagte sie durcheinander über das Zuchthaus, dem Franzseph entgegen gehe, und dann wieder über ihren Vater, der sie nun doch zwingen wolle des Schultheißen Claus zu heirathen, der ihn ganz umgarnt habe und durch einen Streich, den man nie von ihm geglaubt hätte, den Vater ganz gewonnen habe.

»Was sagt denn dein Vater über mich?« fragte Franzseph.

»Ja, ich sag' dir's frei,« erwiderte Madlene, »er schimpft auf dich und sagt, du habest den Hopfenacker nur verwüstet, damit man dich einsperrt und du in der Ernte faullenzen kannst.«

[39] »Da thut er nur so, er weiß besser wie's steht,« entgegnete Franzseph lächelnd, aber diese versteckte Bosheit that ihm doch wehe und war unbegreiflich. »Warum ist denn der Claus so wohl dran? Was hat er denn gethan?« fragte er dann wieder.

»Denk' nur, der hat, um zu zeigen was er vermag, Samstag Nacht einen ganzen Morgen Gerste im Speckfeld abgemäht.«

»Das hat der Claus gethan?«

»Ja, er hat meinem Vater bewiesen, daß er die ganze Nacht nicht daheim gewesen ist, und jetzt' möcht' der ihn auf Händen tragen.«

Franzseph jauchzte laut auf, die Umstehenden sahen ihn betroffen an, als wäre er plötzlich wahnsinnig geworden, denn Franzseph schnalzte mit beiden Händen und tanzte im Gefängniß umher. Auf die ängstlichen Bitten Madlene's beruhigte er sich wieder und fragte:

»Paß auf, was ich sag': war dein Vater Samstag Nacht daheim?«

»Ja, er hat seinen bösen Husten gehabt und hat fast kein Aug' zuthan.«

Wieder jauchzte Franzseph hell auf und umarmte seine Madlene und den widerwilligen Faber und erzählte endlich den ganzen Hergang: wie seine Sense noch im Haberfeld liegen müsse und wie er die That nur für den Schlägelbauer übernommen habe. Er bat dann vor Allem den Faber, ihm wieder gut Freund zu sein, was dieser auch gewährte. – Vor dem Richter wurde nun nochmals Alles klar dargelegt, und Franzseph auf die Bitten Fabers entlassen.

[40] Franzseph und Madlene fuhren mit Faber in dessen Kütschle nach dem Dorf zurück, aber ohnweit des Dorfes beim Speckfeld stieg Franzseph ab und Madlene folgte ihm. Sie fanden bald die Sense im Haberfelde, und Franzseph mähte jetzt noch schnell unter dem Blicke der Geliebten die noch stehende Spreite des Gerstenfeldes nieder. Mit der Sense auf der linken Schulter und seine Madlene an der rechten Hand führend, kehrte Franzseph wieder in das Dorf zurück ....

Es ist nicht mehr viel zu erzählen. Die Nägel von den verbrannten Schuhen des Claus fanden sich richtig in der Asche; im Zuchthaus trägt der Claus jetzt Holzschuhe.

Wer weiß, ob der tückische Schlägelbauer den Franzseph nicht lieber in's Unglück getrieben hätte, als daß er ihm, wie jetzt geschah, seine Tochter geben mußte. Freilich ein volles Glück war das, trotz der Liebe Madlene's, doch nicht. Schwäher und Tochtermann lebten nicht gütlich miteinander. Franzseph arbeitete für Zwei, und doch mußte er fast täglich von seinem Schwäher hören, daß er ein Faullenzer sei; jetzt aber lächelte er darüber, es machte ihn nur zornig, so lange es eine Wahrheit gewesen, den ungerechten Schimpf hörte er ruhig an und das verdroß den Schlägelbauer so sehr, daß er sich ein Leibgedinghaus baute. Aber er bezog es nicht mehr und Franzseph ist Schlägelbauer. Die Soldatenmütze hängt über dem eingerahmten Abschied als Andenken, Franzseph und seine Buben tragen Pudelkappen.

Fabers Hopfenacker ist wieder im besten Gedeihen[41] und Franzseph hat richtig einen eigenen ergiebigen im Speckfeld angelegt.

Kein Weg ist betretener als der Gartenweg von des Schlägelbauern Haus zu dem Fabers, und wenn Pauline Faber von ihrer raschen Menschenkenntniß spricht, sagt ihr Mann neckend: denk' an Franzseph. – –

An des Schlägelbauern Haus aber sind zum ewigen Gedenken Hopfen und Gerste angemalt.

[42]

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TextGrid Repository (2011). Auerbach, Berthold. Erzählungen. Schwarzwälder Dorfgeschichten. Achter Band. 1. Hopfen und Gerste. 1. Hopfen und Gerste. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-140B-0