III. Scenen aus dem Leben.

Der Freund machte der Familie den Vorschlag, nach Tisch eine Partie nach der Klamm zu machen. Es ist dieß eine sehenswerthe, tiefe, enge Felsspalte, durch die sich, eingeklemmt, die Partnach hindurch windet. Der Weg dahin, nach der Beschreibung des Freundes, däuchte jedoch den Großeltern zu weit und zu beschwerlich, und sie beschlossen, später nachzukommen, bis in die Wildenau, um dort die Rückkehrenden zu erwarten. Die Mutter erklärte sich, sie wolle den Großeltern Gesellschaft leisten. Die Uebrigen brachen sogleich nach Tisch auf, mit Bergstöcken wohl versehen.

Der Weg bietet an sich nichts Beschwerliches dar, eine jener steilen Stellen ausgenommen, welche die Einwohner einen »Stich« nennen. Leuten jedoch, die des Bergsteigens nicht gewohnt sind, macht es Schnaufens und Schwitzens genug.

[46] Als die Gesellschaft den steilen Weg antrat, rief der Freund: »Halt!« und gleich dem Anführer einer Truppe, gab er, den Knaben besonders, seine Ordres: »Jetzt langsam gegangen! Nur in kurzen Schritten! Nicht auf- und abwärts gesehen, sondern vor sich hin! Der Stock werde leicht geführt aber fest niedergehalten! Kein Wort gesprochen! Von Zeit zu Zeit still gestanden, ausgeathmet, umhergesehen! Dann wieder vor- und aufwärts! – Marsch!«

Fritz fing mit dem Munde zu trommeln an, undKarl pfiff dazu. Alle Commandowörter waren rein vergessen. Die Knaben gingen um die Wette, und ließen die Uebrigen bald weit zurück. Die Tante rief ihnen nach: »Langsam! nicht so schnell! ihr erhitzt euch zu sehr!« »Laßt sie, sagte der Vater; sie werden schon selbst nachlassen, wenn sie außer Athem kommen.« Und sie ließen auch bald nach, und schleppten sich so langsam fort, daß sie zuletzt von den Uebrigen beinahe eingeholt wurden. Da erwachte in ihnen aber das Ehrgefühl; sie rafften die letzten Kräfte zusammen, und nach einer Weile standen sie schon oben, während die Andern, in weiten Entfernungen, noch in dem Hohlweg sich heraufbewegten. Die Knaben feierten ihren Triumph durch lautes Rufen und Jubeln.

[47] »Man muß den wilden Rangen – sagte der Vater zum Freunde entschuldigend – diesen Uebermuth wohl nachsehen, den das freie Landleben in ihnen erweckt und nährt. Zu Hause, in der Stadt, in der Stube fühlet sich ihr Sinn und ihre jugendlich quillende Kraft zu sehr gehemmt und niedergedrückt. Hier, auf dem Lande, in der Freie und Frische, da finden sie ihr Element; und so schwirren und flattern und wirbeln sie denn, wie Vögelein, die, dem Käfig entronnen, trunken in die Luft, in das Licht, in die Freiheit sich hinein stürzen. Kommen sie wieder zur Stadt, so gibt und fügt sich wohl alles wieder zur nöthigen Stille und Ruhe, und zu jenem Ernst und Anstand, den dort das Leben und der Beruf erfordern.«

Nachdem die Gesellschaft auf der Höhe angekommen, sagte der Freund: »Nun wird vor allem nöthig seyn, daß wir ein wenig ausruhen, und uns abkühlen. Denn in der Schlucht drunten wehet eine sehr kühle Luft, die den Erhitzten leicht schädlich werden könnte.« Man lagerte sich auf der grünen Matte unter dem Schatten eines Apfelbaumes. Nachdem man so eine Weile gerastet, brach man auf, und stieg zur Schlucht hinunter. Der Freund ging voran; die Knaben blieben unter der Obhut des Vaters und des Onkels, die Mädchen hielten sich an die Tante.

[48] Sie standen auf der Brücke, die über die Kluft geschlagen ist. Der Anblick, der Eindruck ist überraschend, groß, schaudererregend. Man denke sich eine Felsenspalte, nur einige Schritte breit, gegen sechszig Klafter tief, unübersehbar nach ihrer Länge hier- und dorthin! Tief unten brauset die Partnach, gleichsam zürnend über die gewaltsame Beschränkung. Lichter flattern, wie Gespenster, matt flimmernd durch die Höhle. Bäume, anderes Gesträuch hält sich nur mühsam an den Felsenwänden. Kalte, schaurige Luft streicht durch die Kluft; und der Mensch steht auf einer leichten, hölzernen Brücke, schwebend über dem gähnenden Abgrund.

Nachdem sie alle eine Weile in stillem Erstaunen versunken geblieben, äußerte jeder seine Empfindungen nach eigenthümlicher Weise. Man fragte und antwortete; man machte sich gegenseitig aufmerksam auf einzelne Partien; die Knaben holten Steine herbei, und warfen sie in die Tiefe, und horchten nach dem Pralle derselben an den Wänden, und nach dem Platsch, den ihr Fall ins Wasser machte. Die Tante, die nicht zu bewegen war, in die Tiefe zu schauen, war immer hinter den Kindern her, warnend, abwehrend, sie wegziehend von dem Geländer. Bald mahnte sie ans Weggehen von diesem schauerlichen Orte, und zog die Mädchen nach sich. Die [49] Uebrigen blieben noch. Der Onkel machte noch auf den tiefern Hintergrund, auf die ferner liegende Landschaft aufmerksam, auf jenes Tannengebirge, das, sonnig und frei, außer dieser Schlucht sich hinlagert, und hinter welchem der mächtige Wetterstein die hell schimmernden Steinmassen aufthürmet. Die mannichfaltigen Naturgestalten, diese abwechselnden Farben und Lichter und Gegenstände, wie sie die kühnste Phantasie nicht zu ersinnen vermöchte, sie zogen die Blicke der Schauenden immer neuerdings an, so daß man sich schwer entschloß, den Platz zu verlassen.

Noch ehe sie weggingen, sagte der Freund: »Der Ort ist erst seit ein Paar Jahren Naturfreunden ohne Gefahr zugänglich, seitdem nämlich diese Brücke hier erbaut worden ist, von wo aus das Ganze bequem übersehen werden mag. Die Brücke selbst hat aber einem wesentlichen Bedürfniß ihre Entstehung zu verdanken. Es muß nämlich bemerkt werden, daß aus den innern Waldgebirgen alljährlich eine Menge Holz auf der Partnach herausgeflößt wid. Da geschieht es denn gar oft, daß das verworrene Zeug sich hier unten in der engen Kluft verrammelt und anhäuft. In solchen Fällen wird nun an einem Seile ein Mann in die Tiefe hinunter gelassen, der das angestauchte Holz wieder flott machen soll; eine Arbeit, [50] die, wie man sich denken kann, nicht bloß sehr mühsam, sondern auch sehr gefährlich ist.«

Die Knaben stutzten, und fragten nach Einzelnem, das bei diesem halsbrecherischen Unternehmen vorgenommen wird.

»Ehe diese Brücke erbaut war – fuhr der Freund fort – da war dieß alles bei weitem noch mühsamer und gefährlicher. Denn damals mußte der Mann, den das Loos traf, nicht hier in der Mitte, sondern an den Seitenwänden hinabgelassen und heraufgezogen werden, wobei es die schwere Aufgabe galt, vermittelst des Stockes, den er fest hielt, von den Wänden sich fern zu halten, damit er nicht an dem vorstehenden Gestein gequetscht oder geschunden würde.«

»Es wird also jederzeit glooset, wer diese Arbeit unternehmen soll? – fragte Karl. Man könnte ja lieber Preise aussetzen! Der Kühnste, der Verwegenste möchte sich wohl etwas verdienen wollen.«

»Das geht eben nicht an – sagte der Freund –; diese Leute verdingen sich einmal insgesammt, das Holz zu fällen, zu scheitern, weiter zu schaffen, und sie ziehen dafür ihren festgesetzten Lohn. Die Geldsumme ist im Allgemeinen bestimmt; die Arbeit muß gefördert werden. Da stehen denn zuletzt Alle für Einen ein, und Einer für Alle. So ereignete sich denn im letzten Jahre, ehe noch die Brücke gemacht [51] war, ein rührender Vorfall; und dieser hat wohl den menschenfreundlichen Beamten zunächst veranlaßt, die sichere und heilsame Vorrichtung zu treffen. Es hatte das Loos einen Mann getroffen, der ein Weib und vier unversorgte Kinder zu Hause hatte. Der trübe Tag, der heftige Strom des Wassers, die Masse des aufgehäuften Holzes machten das Wagniß noch größer, noch lebensgefährlicher. Andre Umstände waren aber auch höchst dringend; es mußte diese Höllenfahrt ohne Säumniß geschehen. Da trat der Bruder des Mannes hervor, den das Loos getroffen, und der auch zu den gedingten Leuten gehörte; und sprach: ›Hansel, ich lasse mich statt deiner hinunter; du bist verheirathet; mir weint kein Weib und kein Kind nach, wenn ich zu Grund gehe.‹ Er ließ sich an das Seil anbinden; und er kam auch, einige Prellungen ausgenommen, glücklich hinunter, und verrichtete da sein höchst mühseliges Geschäft mit Eifer und Ausdauer und Anstrengung aller Kräfte. Als er nun aber herauf gezogen wurde –

Ach! – fiel Fritz ein – da ist er sicher zerschmettert worden an den Felsen!«

»Das zwar wohl nicht – sagte der Freund –; aber, schon zu geschwächt durch die viele, schwere Arbeit, nicht mehr im Stande, sich fern zu halten von der [52] felsigen Wand, in der Dunkelheit, bei dem Gewüthe des tobenden Wassers, das seine Stimme, seine Rufe übertönte, kam er an seinen Kleidern, am Leibe selbst zerschunden, halb todt und kaum noch lebend, ans Tagelicht.«

»Er lebt also noch, dieser Mann?« fragte Fritz. »Er wird doch eine große Belohnung erhalten haben?« »Lieber Fritz, erwiederte der Freund; solch eine That belohnt sich selbst, und kann wohl auch anders Art belohnt werden, als durch eben dieß Bewußtsein. Uebrigens ist zu bedenken, daß Leuten, die oft mit Beschwerden und Gefahren zu kämpfen haben, Muth und Ausdauer und Geduld und Gelehrsamkeit zur zweiten Natur geworden sind; und Rühmlichkeit, Gesundheit, das Leben selbst stehen diesen nicht in so hohem Preise, als bei denen, die noch von der Natur mehr entfernt, und durch, Geberden, Gewohnheiten mehr verfeinert, und wohl manches erbildet haben.«

Nachdem der Freund noch also sprach, ertönte ein donnernder Ruf von oben herab: »Um Gottes willen wo bleibt ihr so lang?« Es war die Stimme der Tante, die zurückgekommen und einige Schritte vor der Brücke stehen geblieben war. »Ich habe große Angst um euretwillen ausgestanden! sagte sie. "Kommt denn, und verlaßt die verdammte Brücke.« [53] Man lachte. »Fräulein, sagte der Freund, Ihre Furchtsamkeit sticht sehr ab mit dem Muth, oder vielmehr Uebermuth jenes Mädchens, das erst im vorigen Jahr hier über den Baumstamm, der als Geländer dient, aus freien Stücken hinüberging.« Fritz rief: »Vater, wenn du mich führst, so wag' ich's auch.« Die Tante wollte schier ohnmächtig werden, als sie das hörte. »Es thut nicht Noth, sagte der Vater zu Fritz; ich weiß ohnehin schon, daß du brav und tapfer bist.« – Man verließ den Ort.

Nahe an der Klamm liegen ein Paar Bauernhäuser zwischen fetten Wiesen und nicht unerträglichen Feldern. Man beschloß, eine Equickung zu nehmen, Milch und Brod und Butter. Es stand vor der nächsten Hütte ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen, welches das Haus zu hüten (zu gaumen) schien, und das sogleich, nachdem es den Wunsch vernommen, Anstalten traf, um die Gäste zu bewirthen. Man lagerte sich im Schatten des Hauses, der Bäume; das Verlangte wurde herbeigebracht in reichlicher Fülle; man aß und trank mit so köstlichem Appetit, als genösse man von einer königlichen Tafel. – Das Mädchen fiel der Gesellschaft auf. Aermlich, aber reinlich gekleidet, in einer ungelenken, doch anständigen Haltung, nicht schüchtern, doch auch nicht zudringlich, stand sie vor den Gästen, als [54] wollte sie weitere Befehle erwarten. Ein gesundes Aussehen, frische, rothe Wangen, ein seelenvolles Auge. Man stellte einige Fragen an sie, die sie einfach und verständig beantwortete. Der Freund schien ihr schon näher bekannt zu seyn, und auf ihn war besonders der forschende Blick gerichtet.

»Dieß Kind – erzählte der Freund, während der Zeit, als das Mädchen sich entfernt hatte, um der Tante das verlangte Wasser zu holen – dieses Kind ist über seine Jahre gescheidt, besonnen und vernünftig, dabei gutmüthig, bescheiden und fromm. Im vorigen Winter, als der furchtbare Brand in Partenkirchen wüthete, war sie mit ihrem Großvater daselbst. Der alte, gebrechliche Mann sollte sich einer langwierigen Cur unterziehen, und so zog er denn von seiner Hütte in Grüneck da hinunter, und nahm diese seine Enkelin mit sich. Die kochte ihm, und besorgte alles, was dem Alten sonst nothwendig war, mit allem Geschick und Fleiße. Da brach mitten im Winter, bei Nacht, Schnee und Wind der furchtbare Brand aus. Was that sie? Das Haus lag fern, wo der Großvater wohnte; sie allein konnte nicht helfen, wenn die Gefahr sich nahte. Sie lief fort, und lief, mitten in der stockfinstern Nacht; durch Schnee und Eis, bei grimmiger Kälte, hieher nach Haus, um zu berichten, daß es in Partenkirchen [55] brenne, und daß der Großvater dort sey.«

Die Kinder bekamen großen Respect vor der kleinen Dirne, in dem ärmlichen Anzug, aber mit der großen Seele, – und die Mädchen machten sogleich nähere Bekanntschaft mit ihr. Man lud sie ein, mitzuhalten; sie zögerte sittsam, aber auf Zureden des Freundes langte sie zu, und schien seelenvergnügt zu seyn ob der Leutseligkeit der vornehmen Gesellschaft. Nach genossenem Imbiß, während die Größern noch Rast hielten vor der Hütte, gingen die regsamen Kleinern auf die Wiese, die abseiten vom Hause liegt, und unterhielten sich mit Spielen und Schäckern. Die Tante stand nach einer Weile auf, um den Kindern nachzusehen; und – »Herr Jesus!« kreischte sie, daß die Männer erschrocken herbeiliefen. Die Knaben wälzten sich auf der, gegen die Klamm zu abhängigen Matte, und wargelten und burzelten über und über, während die Mädchen ihnen lärmend nachliefen. Die Männer lachten über die eitle Schreckhaftigkeit der Tante, wo doch gar keine Gefahr sey; und der Onkel lehrte Fritzen noch, der etwas unbeholfen sich gebärdete, wie er sich anzustellen habe bei dem Burzelbaum-Spiele.

Als die Eltern sich wieder vor der Hütte niedergelassen, sprach der Onkel lebhaft seinen Tadel gegen[56] die Tante aus, über ihre Furchtsamkeit, ihr ewiges Abmahnen und Abhalten, wo auch nicht die mindeste Gefahr sey. »Du solltest – sagte er – diese Unart, wenigstens in Gegenwart der Kinder, verdecken und unterdrücken, welche hiedurch geärgert, wo nicht gar angesteckt werden. Die Mädchen, die Ohnehin von Natur aus schüchtern sind, folgen nur zu leicht dem Zuge des bösen Beispiels, und sie legen sich zuletzt die Furchtsamkeit bei, wie einen Putz, der sie zieren soll. Die Knaben aber, wenn sie dich nicht vollends als eine Geckin verlachen, werden dich mindestens als eine strenge Hofmeisterin scheel ansehen, und das ihnen ohne Noth Verwehrte mit Ingrimm fahren lassen, um es hinter deinem Rücken mit desto mehr Freude nachzuholen.«

»Nun fürwahr – unterbrach die Tante – diese Strafpredigt hätte ich nicht erwartet für meinen guten Willen.«

»Wer zweifelt denn an deinem guten Willen? – sagte der Onkel. – Minder gut, wäre er besser. Auch will ich dir in deinem Regimente über die Mädchen, dem du dich so liebevoll unterziehest, durchaus nicht einreden; und wenn sie von dir auch diese Furchtsamkeit ablernen würden, so wäre der Schaden noch nicht so gar groß, weil das zartere Geschlecht doch einmal nicht sowohl zum Handeln und Kämpfen, [57] als viel mehr zum Dulden, zur stillen Häuslichkeit und zu friedlichem, ruhigem Thun und Lassen geboren und bestimmt ist. Aber die Knaben laß mir aus dem Spiele und stecke sie mir nicht an mit deinem zimpferlichen Wesen; die sollen einst handelnd und kämpfend sich durch die Welt schlagen, und darum müssen sie schon von jung an mit der Gefahr sich befreunden, und an Hindernissen und Beschwerden ihre Lust haben, gleichsam als an Cameraden, mit denen sie sich gern herum balgen. Kurz: die Knaben gehören meiner Zucht an. – –

Da stehen sie wahrlich unter einer heilsamen Zucht! versetzte die Tante. Wären sie immer auf dem Lande, und unter deiner Obhut, sie würden zu wahren Wildfängen ausarten.«

Der Onkel lachte, und das Gespräch nahm wieder eine freundliche, heitere Wendung. Und da ungefähr die Stunde sich nahte, wo, abgeredter Maßen, die Zurückgebliebenen in der Wildenau einzutreffen sich vorgenommen, so beschloß man aufzubrechen, und den Rückweg anzutreten. Der Vater beschenkte das Mädchen aus der Hütte großmüthig, die, ohne das Geld sogleich anzusehen, artig und sittsam sich dafür bedankte.

Ein steiler Fußpfad, wie der, den die Gesellschaft zurückzulegen hatte, ist für Ungeübte abwärts schwerer [58] zu beschreiten, als aufwärts. Der Onkel bot daher der Tante den Arm; der Vater und der Freund führten die Mädchen. Karl sagte: »Ich führe Fritz,« und der: »Ich brauche niemanden.« Und also trat die Caravane den Weg an. Der erste, der ausglitschte und unsanft zu Boden fiel, das war der Fritz. »Achele, ach!« rief er aus. Diesen von der Großmutter abgelernten Schmerzausruf ließ er gewöhnlich hören, wenn er keinen besondern Schaden genommen, und mit seinem Unfall selbst Scherz treiben wollte. Karl bot ihm seine Hand, die er nun annahm. Der Vater sagte: »Schaden nehmen lehrt Acht geben.« Und der Onkel: »Besser eine Beule am Kopf, als eine Makel im Herzen.« – Indem sie so thalwärts gingen, begegnete ihnen ein junger Mann, wohl beladen, der mit raschen Schritten bergan stieg. »Wohin heute noch?« fragte ihn der Freund. »Auf die Wettersteiner Alm,« antwortete der Bursche. »Wie weit habt ihr dahin?« fragte der Onkel. »Noch gute drei Stunden. Wollt ihr mit?« »Nein, sagte der Onkel, für heute nicht; vielleicht ein anderes Mal. Gute Fahrt!« Man sah dem Manne nach. »Wetter! sagte der Onkel, der hat eine Wadenkraft!« »Das sind so die Spaziergänge unserer Gebirgsbewohner!« bemerkte der Freund.

[59] Die Gesellschaft kam wohlbehalten in der Niederung an. Nun erst aber bekannte die Tante, welche Angst sie ausgestanden im Herabsteigen. Sie war auch ganz ermattet an Leib und Seele. »Einmal in die Klamm gegangen – ächzte sie – und nun nimmermehr.« Alles lachte. – Indem man sich um einander umsah, bemerkte man erst das Mädchen aus der Bauernhütte, welches der Gesellschaft stille nachgeschlichen war. Sie ging auf den Vater zu, und, indem sie die Hand öffnete, wo das große, schwere Geldstück lag, als wollte sie fragen, ob er's wirklich so gut habe meinen wollen, küßte sie ihm stillschweigend die Hand, und ging dann des Weges zurück. »Das gute Kind – sagte der Vater – hat uns, obgleich sie freilich sehr hoch wohnt, die Treppen herab bis an das Thor begleiten wollen. Was wir aus Höflichkeit thun, das that sie aus Herzlichkeit.«

Bald, nachdem sie den Damm zurückgelegt, entdeckten sie auch schon von ferne die Mutter mit den Großeltern, die auf einem Felsstein ausrasteten. Die Kinder jubelten ihnen entgegen. Sie hatten des Erzählens kein Ende. Man wandelte nun zusammen das kleine Thal entlang; die Abendlichter spielten wundersam an den belaubten Abhängen; die Lüfte wehten erfrischend den Wandelnden entgegen; die Wasser mischten ihr Geräusche, gleichsam [60] mitplaudernd, in das wechselnde Gespräch; die ganze Natur athmete und hauchte stille Freude in die friedlichen Gemüther. Man kam spät zu Hause an; und nach einem kurzen Abendmahle sehnten sich alle gar bald nach Ruhe.

[61]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Aurbacher, Ludwig. Märchen und Sagen. Büchlein für die Jugend. 3. Scenen aus dem Leben. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-162A-B