XXXVII. Vorgefuehl.

Das Herz ist eine Glocke, die schlägt manch ernste Stunde;
Sie giebt von Freudenfesten, sie giebt von Trauer Kunde.
Wenn tief im Busen Aufruhr, wenn die Gefühle ringen,
Da schlägt sie laut und angstvoll, und möchte fast zerspringen.
Das Herz ist eine Harfe, die Gott besaitet hat,
Der Sünder nur verstimmt sie durch frevelhafte That.
Und will sie dann erklingen, dann wird's ein trüber Klang,
Leichhuhnruf über Gräbern, und heisrer Unkensang.
Und tief im Herzen wohnet eine Rune wunderbar,
Die sagt prophetischdunkel die künftgen Dinge wahr.
Sie warnt mit leiser Mahnung, es warnt kein Freund getreuer,
Und das Gespenst der Ahnung hüllt sich in ihre Schleier.
Um Faustus ist es trübe, recht trübe, still und leer;
Ihn heitert nicht die Liebe mit sanftem Kosen mehr.
Kaum dass es ihn, den Ernsten, zum leisen Lächeln zwingt,
Wenn seine Arme Justus um Vaters Nacken schlingt.
[149]
»O Leben, rollend Leben, Du Flügelball des Glücks,
Du Spiel der Götterlaune, Du Kampfpreis des Geschicks!
Was fliehst Du mir so flüchtig vorüber, Huldgestalt!
Du, für so Viele liebreich, warum für mich so kalt?«
»O Leben, süsse Buhle, was hab' ich Dir gethan?
Was blickst Du mich so finster, so kalt, so lieblos an?
O lass von mir Dich halten! Komm, küsse Faustus warm!
Nimm gegen Nachtgewalten mich rettend in den Arm!«
»Bald ist der Zauberbecher geleert bis auf den Grund;
Und der bethörte Zecher führt ihn nicht mehr zum Mund.
Er schleudert ihn zum Abgrund, und stürzt sich hinterdrein,
Und keine liebe Stimme ruft schmerzbewegt: Halt ein!« –
Er ruft's und schlägt die Hände wild vor sein Angesicht;
Er möchte gerne weinen, ach, und vermag es nicht.
Er hat nicht eine Zähre des Leides, noch des Zornes;
Die Pforten sind verschlossen des milden Thränenbornes.
Da naht die Reizumflossne, Lust lebt, wohin sie tritt,
Die Schönheitübergossne, sie bringt den Knaben mit.
Gleich Himmelslenzen blühet ihr Rosenwangenpaar,
Und sanfte Flammen sprühet ihr Auge, wunderklar.
»Mein Faustus! trauter Gatte bleibt kein Gedank' an mich?
Und quälest nimmerfröhlich doch mit Gedanken Dich?!
Mein Faustus, lass sie schwinden, die Kinder schwarzer Nacht,
Sieh mich, sieh Deinen Knaben, wie der so freundlich lacht!«
[150]
›O Helena! Von Hellas? Nein, von der Höll' entführt!
Weib, das sich meine Thorheit, das sich mein Wahn erkührt!
Du nicht vermagst zu trösten, Halbding von Mensch und Geist,
Du nicht vermagst zu fühlen, was mir das Herz zerreisst!‹
»Wie Du mich kränkest, Faustus! Bin ja Dein treues Weib!
Bin kein Phantom, kein Trugbild! Nicht Luft ist dieser Leib!
Hab' ich Dich nicht umschlungen, so liebereich und warm,
Und ruhtest, lustdurchdrungen, Du nicht in meinem Arm?«
»Und hast Du mich geküsst nicht, ach viele tausendmal?
Hab' ich Dir nicht geboren diess Kind mit Mutterqual?
Nun quält mich solcher Vorwurf, der mir das Herz zerbricht;
Abläugne Heil und Himmel, nur meine Liebe nicht!«
»Das ist Dein Fluch, mein Faustus, dass Du Dein Glück nicht glaubst;
Dass Du mit ewger Sehnsucht Dir selbst den Frieden raubst!
Kein Gott vermag zu trösten, Beklagenswerther, Dich!«
So rief sie, herzte weinend den Knaben, und entwich.
»Wohl wahr, kein Gott vermag das; Wahrheit hast Du gesagt!
O wie mir's in der Seele so furchtbar schrecklich tagt!
Die Röthe, die dort aufglüht, ist das die Sonne? Nein!
Brand ist es, Höllenfeuer; mich – stossen sie hinein!«
»Ja näher, schrecklich näher kommt mir der letzte Tag;
Ein beutegierger Geier, wie saust sein Flügelschlag!
Und ich? Ich bin Prometheus, gefesselt Fuss und Hand,
Steh' nackt ich angeschmiedet an nackter Felsenwand!«
[151]
»Ich kann nicht vor, nicht rückwärts! Weh mir – der Geier beisst!
Friss, friss, Du wilder Vogel! Den Leib nicht! Friss den Geist!
Ins Hirn hack' ein, das bietet Dir noch ein leckres Mahl;
Wenn's erst der Wahnsinn anbrennt, mein Geier, dann wird's schal!«
Im wilden Schmerz aufheulend rauft Faustus sich das Haar,
Und unter'm Ofen, spottend, heult auch Prästigiar.
Der fletscht die scharfen Zähne, rollt wild der Augen Gluth,
So heult wohl die Hyäne und rollt ihr Aug' nach Blut.
»Kommt zu Euch, Herr!« spricht Wagner, und tritt dem Armen nah:
»Ihr träumt in Fieberwahnwitz, die Zeit ist noch nicht da!
Das Herz ist eine Glocke; wenn Schmerzgefühle ringen,
Da schlägt sie laut und angstvoll, und möchte fast zerspringen.«
[152]

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Lyrik. Faustus. Ein Gedicht. 37. Vorgefuehl. 37. Vorgefuehl. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-241F-5