Vom Hasen und dem Elefantenkönige

»Es kamen einmal alle Geschlechter der Vögel zusammen, gemeinsam einen neuen König zu küren, denn ihr bisheriger König war gestorben, und sie waren bereits unter sich einig, den Aar zum Könige zu wählen. Schon sollte die Wahl erfolgen und bestätigt werden, so sahe die Versammlung von weiten den Raben geflogen kommen, der sich verspätet hatte, und da sprachen einige der Versammelten: ›Es ist gut, daß der Rabe auch kommt, auf daß wir seinen Rat ebenfalls vernehmen‹, und als der Rabe sich niederließ, sprachen sie zu ihm: ›Es ist recht, daß du kommst, dein Stimmrecht auszuüben, wie jeder von uns befugt und berufen ist; gern hören wir deine Meinung, doch sind die meisten Stimmen für den Adler als unsern künftigen König.‹ Darauf antwortete der Rabe: ›Wenn über die Wahl bereits entschieden ist, so bleibe ich in der Minderheit und bin von vorn herein überstimmt, aber dennoch gebe ich mein Nein zu diesem euern Beschluß. Und selbst wenn es keine edlen Geschlechter unter uns Vögeln mehr gäbe, keine Königsgeier, Edelfalken, Reiher und heilige Ibisse, Schwäne und Paradiesvögel, sondern nur Tauben, Spatzen, Nachteulen und Rohrdommeln, [656] und dergleichen, so würde ich dennoch nicht für den Adler als unser gemeinschaftliches Oberhaupt stimmen, denn er wird von bösen Sitten beherrscht, seine Farbe ist ein unentschiedenes geflecktes und getigertes Braun, seine Zunge trägt er verkehrt im Schnabel, schöne Reden zu halten, wie wir weise Raben, vermag er gar nicht, und doch kommt so unendlich viel darauf an, daß ein Herrscher gut zu sprechen und Reden zu halten wisse. Der Adler ist ein halber Tor – in seinem ganzen Wesen und Gebehrden ist kein Adel, nicht das, was wir noble Haltung nennen. Vernunft besitzt er gar keine, desto mehr aber Grimm und Grausamkeit, jähen Zorn und gnadenlose, unbarmherzige Tyrannei. Sein ganzes Geschlecht ist von jeher übel berühmt; hat stets auf Schlimmes gesonnen und ist arglistigen, tückischen Herzens auf anderer Schaden bedacht gewesen, ist so voll Bosheit, daß ich es gar nicht auszusprechen vermag. Darum sage ich euch, wählt keinen Adler zu unserm Könige, suchet euch einen andern, wenn er auch vielleicht minder klug und scharfsichtig ist; edle Einfalt der Gemütsart ist besser als behende allüberlistende Klugheit. Denn wäre einer König, und immerhin etwas beschränkten Verstandes, wenn er weise Minister hat und fromme Räte und Beisassen, so wird sein Reich wohl bestehen, wie wir ein Beispiel haben an dem Könige der Hasen. Dieser war nicht besonders klug und weise, aber er folgte weisen Ratschlägen und das kam ihm zu gute.‹

Auf diese Rede fragten alle Vögel, welche so aufmerksam zuhörten, wie du jetzt mir, mein allergnädigster König und Herr« – fuhr der weise Ratgeber zu erzählen fort: »was denn der Hasenkönig getan und vorgehabt? worauf der Rabe antwortete:

›Es war einmal ein überteures Jahr, und dabei so trocken, daß die Früchte des Landes verdorrten und alle Quellbrunnen versiegten; das fiel allen Tieren zu ertragen sehr schwer, am schwersten aber denen, welche vieler Pflanzennahrung bedürfen, folglich den größeren und größten, nämlich den Elefanten. Diese traten zusammen, und klagten ihrem Könige ihre große Not, und sprachen: ›Uns gebricht es täglich mehr an Wasser und Weide. Wäre es dir genehm, so wollten wir Boten aussenden, eine andere Wohnstätte zu suchen, daß wir unser Leben erhalten.‹ – ›Ich habe nichts dagegen, tut nach eurem Rat und Gefallen!‹ antwortete der Elefantenkönig. [657] Darauf ernannten die Elefanten einen Ausschuß, und schickten dessen Mitglieder aus, umher zu lugen, und zu suchen, wo sich ein besserer wasserreicher Wohn- und Weideplatz böte. Davon gelangten einige in das Königreich der Hasen; das war ein lustiger Ort, mit einem Brunnen, welcher dem Monde heilig war, wie denn auch die Hasen dem Monde heilig waren vor alten Zeiten. Dort rings um den Brunnen waren die unterirdischen Höhlen der Hasen. Den ausgesandten Spähern gefiel Ort und Gelegenheit gar zu wohl, sie kehrten heim und erstatteten Bericht über den neuen Wohnsitz. Von den Hasen hatten sie nichts wahrgenommen, denn der Kleine fürchtet den Großen und die Weisen behaupten, es sei von Seiten Kleiner nicht gut Kirschen essen mit den Mächtigen. Auf die gute Botschaft hin brach das Elefantenvolk samt seinem Könige auf, und zertrampelten den armen Hasen Wohnungen, Höhlen und Ansitze in Grund und Boden samt einem Teile des zaghaften Völkleins. Da war des Jammers kein Ende, und die Hasen liefen haufenweise zu ihrem Könige und klagten ihm ihr Herzeleid, und wollten Rat und Hülfe von ihm. Aber da war guter Rat teuer und Hülfe fern, denn was vermag das schwache Häslein gegen den mächtigen Elefanten? Der Hasen-König aber berief dennoch seine Räte, und sprach zu ihnen: ›Ich fühle wohl, daß ich nicht weise genug bin, meinem zertretenen Reiche zu helfen, darum ratet ihr, was uns zu tun ziemt, redlich und getreulich, mir und euch und der gesammten Hasenheit zu Nutz und Frommen.‹ Da sprach ein alter Hase, welcher weise und gelehrt war, und in großer Achtung stand: ›Wenn es dir gefällt, so sende mich, mein König, und noch einen deiner Getreuen, der meine Werbung vernehme und dir darüber berichte, zum Könige der Elefanten.‹

Der König erwiderte auf diese Rede: ›Mich will bedünken, du seiest getreu und weise genug, und ich vertraue dir sonder allen Argwohn ganz allein. Vollziehe die Sendung und melde was du ausgerichtet. Sage auch dem Könige der Elefanten meinen Gruß, und außerdem in meinem Namen alles was dir gut dünkt, denn ein Botschafter muß wissen, wie er sich verhalte, und alles beobachten und in Anwendung bringen, was ihm nützlich erscheint.‹ – Hierauf machte sich der alte Hase in einer hellen Vollmondnacht auf und ging nach dem Mondbrunnen, doch überlegte er mit Vorsicht, [658] daß er von zarter Leibes- und Gliederbeschaffenheit sei, und dachte der alten Sprichwörter: Wer sich mutwillig in Gefahr begibt, der kommt darin um, und wer unter die wilden Tiere geht, den zehren sie auf. Ich will diesen Berg besteigen und mit dem Elefantenkönige Zwiesprache pflegen.

Der alte Hase tat, wie er gesagt, und kam vor den Elefantenkönig und sagte zu ihm: ›An dich, großmächtigster Herr und König, sendet mich der Mond, mein nachtbeherrschender Gebieter. Höre seine Botschaft durch mich an in deiner Weisheit und laß mich nicht etwa Mißfälliges entgelten, denn ein Abgesandter ist nur ein Werkzeug.‹

Der Elefantenkönig sprach: ›Sage mir an, was ist es, das der Mond wünscht und gebeut?‹ und der alte Hase erwiderte:

›Also entbietet dir durch meinen Mund der Mond: Der Mächtige, der seiner Macht vertraut, läßt sich leicht durch diese bewegen, zu streiten gegen den, der noch mächtiger und stärker ist und sein Kampfgelüst wird ihm leicht zu einem Strick um seine Füße. Du o König, lässest dir damit nicht genügen, daß du der Mächtigste und Größte bist unter allen Tieren, nein, du hast deinen Zug unternommen gegen mein armes Volk, das Volk der Hasen; hast mit den Deinen ihrer und ihrer unschuldigen Kindlein Weide zertreten, und meinen und ihren Brunnen. Tue dies nicht mehr, hebe dich mit den Deinen anderswohin von dannen, oder ich will eure Augen trübe machen, spricht der Mond, und euch von dannen bringen mit meinem grimmigen Zorn. – Und so du, o König, meinen Worten nicht glaubst, so soll ich dir des Mondes zornvolles Antlitz zeigen.‹

Da erschrak der Elefantenkönig und ging mit dem Hasen zu dem Mondbrunnen, und der letztere ließ ihn in das Wasser sehen, und sagte: ›Schmecke mit deiner langen Nase hinab, so schmeckst du den Mond.‹ Da stieß der Elefant seinen Rüssel in den Mondbrunnen, und da bewegte sich alsbald das Wasser, und das widerspiegelte klare Antlitz des Mondes verzerrte sich. ›Siehest du – o mächtiger König!‹ rief der Hase: ›wie grimmig der Mond dich anschaut, und seinen ganzen Zorn dir verkündet durch seine Mienen über das Arge, das du ihm und seinem Volke getan!‹

Darauf sprach der Elefantenkönig: ›O Herr, der Mond! Nimmermehr will ich oder soll einer der Meinen wider dich [659] und die Deinen sein! Gern wollen wir weichen von deinem Heiligtume.‹ Und tat also und zog ab mit den Seinen weit hinweg von dem Mondbrunnen, und die Hasen nahmen wieder Besitz und bauten ihre Wohnungen aufs neue, und wohnen noch heute in Frieden an ihrem Orte.

›Dieses‹, sprach der zu dem Volke der Vögel redende Rabe, ›habe ich euch als ein Beispiel gesagt, daß ihr einen verständigen König euch wählt, der, wie jener König der Hasen, auf verständigen Rat achtet, und nicht stets selbstherrisch immer oben hinaus will, wie der Adler, und auf der Irrigkeit eines starken Kopfes beharrt, oder der auch, weil Weisheit ihm mangelt, wie dem Elefantenkönige, leicht zu überlisten ist. Es ist auch ganz gegen des gesamten Vogelreiches Satzung, daß alle ein gemeinsames Oberhaupt haben. Mögen die Adler einen Adler zum Könige wählen, dagegen läßt sich nichts sagen, die Geier ihren Geierkönig und die Zaunhüpferlinge ihren Zaunkönig, jedes Volk seinen eigenen, dafür sind die Geschlechter unterschieden. Was soll, um nur ein Beispiel euch zu sagen, dem Taubengeschlechte ein Adler zum Könige? Er wird seine Krallen in ihrem Blute baden, und sie fressen. Wahrlich, welches Geschlecht sich einen andern Gebieter erwählt und dem falschen Fremdling vertraut, dem geschieht billig, wie dem Hasen und dem Vogel, die in einer Streitsache einen unbekannten Mann über sich zum Richter erkoren.‹ ›Wie war das?‹ fragten die Vögel. – ›Ich will es, mit eurer Erlaubnis, euch vortragen‹, erwiderte der Rabe, der Sprecher in der befiederten Nationalversammlung.«

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Märchen. Neues deutsches Märchenbuch. Vom Hasen und dem Elefantenkönige. Vom Hasen und dem Elefantenkönige. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-24A4-6