[12] [27]Einladung

Meine Schwestern, meine Brüder, wollt ihr
Mit mir gehn in meinen großen Garten?
Kommt! Ich lad euch ein. Weit steht er offen.
Freude nenn ichs, wenn ich Gäste habe,
Und mir kann nichts besseres geschehen,
Als ein bischen Dank aus euren Herzen.
Glaubt, ich weiß: Es giebt viel schönere Gärten,
Alte, von den Meistern angelegte,
Die in bessren Zeiten freier bauten,
Könige der Kunst und große Herren.
Diese Gärten werden immer schöner,
Denn es liegt der Glanz der großen Zeiten
Ueber ihnen, und in ihrem Erdreich
Ist die Kraft lebendig ersten Samens.
Heiligtümer sind es unsrer Freude,
Wo schon unsre Väter heiter gingen,
Unsre Mütter, eh sie uns geboren,
Sich den Blumen lächelnd nieder neigten,
Die noch heute ihren Duft uns schenken.
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Und ich lad euch, meine lieben Schwestern,
Lieben Brüder dennoch ein, zu kommen
Und in meinem Garten froh zu wandeln.
Meine Einsamkeit sehnt sich nach Gästen,
Meine Blumen wollen sich verschenken,
Meine vielgewundenen Wege wollen
Nicht bloß mich in Busch und Schatten führen,
Mich, der diesem Garten fremd geworden.
Denn es ist der Garten meiner Jugend.
Ich bin selber nicht mehr hier zuhause;
Nur ein Gast noch, und ein seltner, bin ich
Diesen Gängen, diesen Wiesen, Beeten
Und Gebüschen, und Verwundern fast mich
Immer, wenn ich durch den Garten schreite.
Manchmal wol auch Rührung, manchmal Aerger;
Diese Blume seh ich lächelnd an, und jene
Möcht ich lieber aus dem Erdreich heben;
Hier ein Weg, den ich mit Lust verfolge,
Dort ein Pfad, verloren in Gestrüppen,
Den ich gern verschüttete. Doch immer
Wehr ich ab den Wünschen: Mag es bleiben,
Wie es, unbewust halb, einst geworden.
Wollt ich diesen Garten neu bebauen,
Keine Zeit fänd ich für meinen neuen, –
Ach, vielleicht auch keine Lust. Er bleibe,
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Wie er ist. Und schenkt er meinen Gästen
Nur ein Hundertteil der Freude, die er
Mir geschenkt, als ich ihn einstens baute,
Ist er doch ein rechter Freudengarten.
Denn ich habe ihn mit Lust und Schmerzen,
Die der Freuden allertiefste waren,
Angebaut auf meinem eignen Lande,
Auf dem Mutterboden meines Lebens;
Habe ihn gespeist mit meinem Blute,
Habe ihn gehegt mit meinem Herzen,
Und die Sonne, die ihm schien, war meine
Liebe.
Zähl ich ab die Summe meines Glückes:
Hier stehn seine Blüten. Was ich fühlte,
Schaute, griff, umfaßte, – hierher trug ichs,
Hier versenkt ichs in die heilge Erde
Meiner Kraft, die mir befahl, zu bilden,
Was ich lebte. – Keiner, der die Blumen
Dieses Gartens ansieht, mag es ahnen,
Wie viel höchste Wonnen ich empfunden,
Als zum erstenmal ich sie entfaltet
Vor mir sah. Und wenn er drüber lächelt, –
Lächl ich mit. Die jungen Mütter werden
Anders lächeln. Junge Mütter wissen
Um die höchsten Wonnen. Außer ihnen
Wissens nur die Jungen Dichter. – Lächelt,
Liebe Brüder, lächelt, Schwestern-Jungfraun!
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Euch, ihr Holden, wünsch ich Allen jenen
Wonnereichsten Anblick. – Ach, noch immer
Dreht um euch sich meines Lebens Spindel.
Darum weiß ich meinem Garten liebre
Gäste nicht, als euch, geliebte Schwestern,
Wenn den bunten Blumen meiner Beete
Nur die grauen Mägde jener Vettel
Ferne bleiben, deren dürre Hände
Ueber alles Leben schwarze Laken
Zänkisch breiten. – Liebe Schwestern, wißt ihr,
Wie sie heißt, die alte, böse Vettel?
Sitte nennt sie sich und Tugend, aber
Lüge ist ihr eigentlicher Name,
Kranke Scham, des Lebens größte Feindin.
Scham ist Zierde. Keine holdre Farbe
Weiß ich, als das schamhafte Erröten
Einer Reinen, die das Süß-Geheime
Heilig hält; es ist ein vornehm Zeichen
Guter, wohlgeschaffner Art und adlig;
Aber niederträchtig und gemeiner Seelen
Schmachmal ist das scheue Blickeirren;
Schlechte Säfte kündet es und Triebe,
Die im Keim schon faul sind. Möge keine
Mit dem Moderatem dieser Krankheit
Meine Blumenbeete mir verpesten!
Mögen sie am Zaune stehn und schmähen,
Während ihr den Atem eurer Frische
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Mit den Düften meiner Blumen lieblich
Mischt und lachend über meine Wiesen
Wandelt, oh ihr reizendsten der Blumen.
Was ist tröstlicher, als euer Lachen?
Was ist fröhlicher, als euer Schreiten?
Was ist inniger, als euer Lächeln?
Oh, ich werde hinter meinen Bäumen
Stehn und euch belauschen, liebe Schwestern,
Und ich will nicht fürder klagen, daß ich
Einsam bin, wenn ich euch lachen höre.
Werd ich aber Eine sehen, die sich
Hellen Augs mit innig frohen Mienen
Ueber meine Blumen beugt und lächelt,
Oh, dann werden alle meine Wunden
Lind sich schließen, und ich werde heiter
Meiner Jugend wilden Garten preisen,
Weil die schönste Blume in ihm aufging:
Inniges Verstehen und Genießen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Gedichte. Irrgarten der Liebe. Einladung. Einladung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-30C5-C