Goldene Hochzeit

Er:

Was hat mir Frieden gebracht,
Mein Leben eingehürdet?
Was hat mich froh gemacht,
Mein Herz unrastentbürdet?
Was hat meinen Herbst, meinen harten Herbst
Zu hellem Lenz gelichtet?
Was hat meines Lebens keuchenden Kampf
Zum leisen Lied gedichtet?
Das hat dein hold reich Herz gethan
Und deine süßen Augen, die
Mein Leben übersonnten.
Sieh, sieh mich mit den Augen an,
Die solche Wunder konnten!
Sie:

Was hat mich stolz gemacht,
Meinem Leben Stand gegeben?
Daß ich bei Tag und Nacht
Für dich, dich durfte Leben!
[33]
Was hat mein Herz, mein ängstliches Herz
Mit fröhlicher Kraft umschmeidet?
Was hat mich alte, schwache Frau
Bis heute froh begleitet?
Das thaten die starken Hände dein
Und deine guten Augen, die
Aus Liebe stumm mir dankten.
Schließ mich in deine Arme ein,
Die mich mit Glück umrankten!
Beide:

Es kommt die Nacht, es nahet an
Mit leisem Schritt der bleiche Mann,
Der Keinen je vergißt.
Wir nehmen beid ihn an der Hand:
Führ uns, oh Tod, in jenes Land,
Wo unsres Kindes Seele ist.

Notes
Erstdruck in: Erlebte Gedichte, Berlin (Issleib) 1892, bzw. in: »Nemt, Frouwe, disen Kranz«. Ausgewählte Gedichte, Berlin 1894.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Goldene Hochzeit. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3178-3