[161] Rosenopfer

Kind, das Bette ist bereit,
Lege dich nun nieder
Und thu ab dein schwarzes Kleid,
Rock und Hemd und Mieder.
Eva, Eva, Evalein,
Lasse dich beschauen!
Ist das wirklich Alles mein?
Darf ich michs getrauen?
Pst! Sie spielt die Schläferin.
Leise und verstohlen
Schleich ich mich zur Vase hin,
Rosen herzuholen.
Und ich überschütte sie,
Brust und Leib und Lenden,
Und ich sinke in die Knie
Mit erhobnen Händen.
Der noch nie ich am Altar
Eines Gottes kniete,
Meine Rosen bring ich dar
Dir, oh Aphrodite.
Gottlos lief ich kreuz und quer
Mit beschwerten Sinnen
Hinter leeren Schatten her,
»Wahrheit« zu gewinnen.
[162]
Nichts gewann ich und verlor
Meine besten Tage,
Denn sie raunten mir ins Ohr
Immer neue Frage.
Oh die Schatten! Hin und her!
Die verwünschten Spinnen:
Doch ich folge nun nicht mehr
Diesen Fragerinnen.
Dir, die keine Fragen weiß,
Die nur lacht: ich gebe!,
Dir strömt meine Andacht heiß:
Schönheit, sieh, ich lebe!
Liebliche, oh nimm mich hin,
Daß ich neu erwarme;
Aphrodite, Schenkerin,
Nimm mich in die Arme.
Und mein süßes Mädchen lacht
Rosendüftetrunken.
In der schönsten Brüste Pracht
Bin ich hingesunken.

Notizen
Erstdruck in der ersten Auflage des »Irrgartens«, 1901.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Rosenopfer. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-32CC-E