[321] Der weiße Maulwurf

Eine Tierfabel.


(Michael Georg Conrad in alter Kameradschaft zugeeignet.)


Ein dickes Maulwurfsehepaar,
Das glänzend schwarz wie Sammet war,
Erfuhr Familienzuwachs. Froh
Lag die Frau Maulwurf auf dem Stroh
Und leckte jedes Junge
Mit ihrer schmalen Zunge.
Da rief sie plötzlich: »Wunderlich,
Mir scheint, ich weiß nicht, irr ich mich,
Mich dünkts: Das Eine von den Drei'n,
Das muß was ganz besondres sein.
Leck du ihm doch mal auch das Fell!
Nicht wahr: Das spürt sich an wie – hell!?«
Der Gatte brummte: »Dummes Ding!
Red doch nicht wie ein Engerling!«
Sie aber, spitzig: »Liebes Kind,
Ich bin doch wohl nicht zungenblind:
Das Dritte, kleinste da, ist – weiß!«
»Daß ich dich in die Schaufel beiß!«
Zornwatschelnd kam er aus der Ecke,
Hub an ein prüfendes Gelecke,
That »Hem« und »Hum« und knurrte dann:
[322]
»Das leckt sich wirklich helle an.
Ein Wunder, scheint mir, ist geschehn,
Ich will Großvatern holen gehn.«
Nahm einen dicken Engerling,
Der in der Vorratskammer hing,
Fraß ihn befriedigt auf und ging.
Nach vielem Wühlen kreuz und quer,
Bracht endlich er den Ahnen her.
Der schüttelte den Rüssel sehr
Und meinte, nie, so alt er wäre,
Hab er vernommen solche Märe.
Doch, als geleckt der Maulwurfsgreis,
Sprach er: »Der Junge da ist weiß,«
Und schüttelte noch mehr
Den Rüssel hin und her.
Bald war im ganzen Land herum
Das seltsame Mirakulum;
Gevatter und Gevatterin
Trug es geschäftig her und hin,
Und schnell von Ferne und von Nah
Warn wispernd Gratulanten da.
Das weiße Fell ging fast entzwei
Von allzu vieler Leckerei,
Und Mama Maulwurf schloß das Thor,
Ließ niemand mehr zum Lecken vor.
[323]
Sie war ein wenig eitel schon
Auf diesen weißgeborenen Sohn,
Und, wie nun schon die Mütter sind,
Er wurde bald ihr Hätschelkind.
So wuchs bewundert er heran
Vom Wunderknaben zum Wundermann,
Die Augen rot, das Fell schneeweiß,
Stolz war auf ihn der ganze Kreis.
Er selber aber zeigte sich
Recht sonderbar und wunderlich:
Mocht ungern bei den andern sein,
Saß träumend gern für sich allein;
Zumal das Wühlen schien ihm sehr
Verhaßt, wie wenn er kein Maulwurf wär.
Denn in den engen Winkelgängen
Blieb ihm gar viel am Felle hängen,
Das zu dem Weiße gar nicht paßte.
Es schien, daß er das Erdreich haßte.
Das machte schon viel böses Blut:
»Der Weiße dünkt sich wohl zu gut,
Für unsrer Heimat heiligen Dreck!?
Der Frevler bürstet sich ihn weg,
Statt patriotisch ihn als Zier
Im Fell zu tragen, so wie wir!
Entartung ist sein weißes Fell!
Er ist uns überhaupt zu hell.«
[324]
So hob es mit Gemurmel an,
Doch ein Geknurre wurd es dann,
Als stolz der Weiße widersprach.
Auch warf man ihm schon Klumpen nach.
Da blieb er immer mehr für sich,
Gemieden und absonderlich.
Und eines Tags, da fühlte er,
Daß er am falschen Platze wär.
Heraus! Hinauf! Zu groß der Drang!
Er baute einen eignen Gang.
Und nicht hinab und nicht quer um,
Nein: grad hinauf! Das Publikum
Stand halb entsetzt, halb höhnisch da,
Als es den steilen Aufstieg sah:
»Wart, Bürschchen, das bekommt dir schlecht,
Der Augenschmerz geschieht dir recht,
Wenn oben dich die Sonne beißt,
Du warst zum letzten Male dreist!«
Vergnüglich harrten Alle
Daß er herunter falle
Und winsle; »Ach, das Licht thut weh,
Ich steige nie mehr in die Höh!«
Er aber, wie von Freude toll,
Rief: »Brüder, kommt! So wundervoll,
Wie nie ichs träumte, ist es hier,
Kommt, kommt zum Licht, ach, kommt zu mir!
[325]
Ich hab das Glück, das Glück gefunden,
Und ihr lebt in der Hölle unten!
Mir nach, mir nach, mir nach zum Licht!
Kommt alle, kommt und zaudert nicht!«
Wie das der schwarze Schwarm vernahm,
Jachheiße Wut ihn überkam:
»Herunter mit dem Galgenstrick!
Herunter! Brecht ihm das Genick!«
»Kommt, kommt zum Licht! Oh, kommt zu mir!«
»Ja, warte nur! Wir kommen dir!«
Und während er begeistert schrie,
Da gruben sie und wühlten sie
Viel krumme Gänge zu ihm hin
Und packten ihn und zerrten ihn –
Hinab. Und haben sein Fell zerfetzt
Und totgebissen ihn zuletzt.
Da lag der Weiße still im Dreck,
Befriedigt trollten die Schwarzen weg
Und fraßen viele Engerlinge
Und waren zufrieden und guter Dinge.
Doch, daß die Nachwelt einst erfahr,
Daß mal ein weißer Maulwurf war,
[326]
Und zum Beweis das Fell erseh,
Bildeten sie ein Komitee:
»Zu des weißen Vließes Konservierung.«
Das erfand eine praktische Balsamierung,
Und des Maulwurfreiches weißer Sohn
Ward beigesetzt im Pantheon.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Gedichte. Irrgarten der Liebe. Gedichte. In Gleichnissen. Der weiße Maulwurf. Der weiße Maulwurf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3399-7