[388] Durcheinander

Das Mädchen ohne Bräutigam

Wenn ich Braut bin, wenn ich Braut bin,
Will ich haben kein weißes Kleid,
Kein weißes Kleid;
Aus schwarzer Seide, so soll es sein,
Aber viele, viele weiße Rosen drein,
Große, weiße Rosen gestickt.
So will ich gehen, so will ich gehen,
Ganz langsam, langsam an den Altar.
Aber rote Rosen, ganz dunkelrote Rosen
Im Haar.
Und mein Brauthemd? Mein Brauthemd?
Wie soll das sein?
Vom allerfeinsten Linnen
Und schneeweiß soll es sein.
[389]
Blos oben am Halse von Spitzen ein Rand
Und unter den Spitzen ein blaßblaues Band.
So soll mein weißes Brauthemd sein.
Und dein Bräutigam, Mädel, wie soll der sein?
Schön und stark soll mein Bräutigam sein,
Nicht gar so baumlang, aber auch nicht klein,
Und nicht schniegelbügelglatt;
Mit den Augen soll er lachen,
Wenn er im Arme mich hat.
Kennst du so Einen?
Gott, bist du dumm! Ich kenne keinen.
Wenn ich einen kennte und hätt ihn lieb,
Mir keine Zeit zum Ausmalen blieb.
Nähm ihn, wie er wäre, ob groß oder klein;
Auch das Brautkleid sollte mir einerlei sein.
Würde nach seinem Auge mich kleiden
In schwarze oder weiße Seiden.
Weiß doch, daß mir alles steht.
So ist dir gar nicht ernst, was du sagst!
Nein bist du dumm, wie so ernst du fragst!
Blos, daß die Zeit vorübergeht,
Bis er kommt, den ich und der mich mag,
Vermal ich bunt mir so den Tag.
[390]
Ach, dann, wenn er da ist, dann, ach, dann,
Mal ich mir weder Kleid noch Mann.
Dann thu ich ... Was denn?
Hasche mich, du!
Na, so komme doch, lauf doch, greif doch zu!
Gott, bist du langsam! Wenn ihr Alle so seid,
Brauch ich niemals ein Hochzeitskleid.

»Du sollst es Niemand sagen«

Mir fuhr vorbei ein schönes Kind
In einem schnellen Wagen;
Herüber trug ein Wort der Wind:
»Du sollst es Niemand sagen!«
»Du sollst es Niemand sagen!« und
Zwei Augen sah ich leuchten,
Und wie auf einem frischen Mund
Zwei Lippen leicht sich beugten.
Vorüber wie ein Traumgesicht
Das Kind, der Kuß, der Wagen, –
Mein Lebelang vergeß ichs nicht:
»Du sollst es Niemand sagen!«

[391] Die Kranke

Ich fühle keinen Schmerz und bin doch krank;
Mir ist die Kraft genommen, ich bin leer.
Ich lebe ab, so wie ein Rad abläuft,
Das von der Feder, die es trieb und hielt,
Gelöst ward. – Ach, sie pflegen mich so lieb,
Und dennoch weiß ichs, balde ists vorbei.
Und bin nicht traurig. Ruhe wird mein Teil,
Ich werde ruhig blühn in leichtem Wind,
Wie meine Blumen, die im Garten sind.

Genesung

(Für Herrn Dr. August Smith.)


Lange lag ich krank im Haus
Unter dicken Decken,
Heut zum ersten Mal hinaus
Darf den Kopf ich stecken.
Vor dem Fenster Wipfelgrün,
Ach, wie ist das helle,
Und es treibt mich frühlingskühn
Bis zu Thor und Schwelle.
[392]
Fliegt mein Blick sehnsüchtig weit
Ueber Blühewonnen,
Ist Gedenken zager Zeit
Wie ein Dunst zerronnen.
In mein Auge schwillt ein Schein
Himmelheller Reine:
Leben! Leben! Bist du mein?
Und ich weine, weine ...

Am Kamin

Draußen bläst der Wind und fegt
Flocken an die Fensterscheiben,
Mürrisch patrouilliert der Mond
Hinter dicken Wolkenwällen.
Am Kamin sitz ich und stütze
Meine Füße auf das Gitter,
Und ich starre in die Gluten,
In das heiße, helle Sterben.
Wie die Flammenzungen zucken,
Diese roten Schlangenzungen;
Kleine blaue Flackerflämmchen
Beben wie erschrockene Seelen,
[393]
Und glutgoldene Flammenschwerter
Stoßen unablässig blitzend
In die leere Luft.
Hinter mir auf eichenem Tische
Singt der Samovar sein leises
Seufzerlied, auf dem Gesimse
Des Kamins tickt silbertönig
Die Pendüle; wie in Aengsten
Fegt die goldene Pendelscheibe
Hin und her.
Sinkt mir auf die Brust der Kopf,
Bebts im Herzen mir wie Traum:
»Mai und Blüten, Mai und Blüten,
Erster Sang der Nachtigallen,
Zwischen duftenden Syringen
Haben wir die Nacht durchküßt –«
Haben ... wir ... die Nacht ... durchküßt ...
Aus dem tiefsten Herzen tauchen
Mir die Verse wie ein Träumen, –
Aber glaub ich diesem Traume?
War es denn, das warme Leben
Mit den heißen, nahen Lippen?
War es denn?
[394]
Es ist in mein Herz gefrostet,
Hartes Eis, hell wie Erfahrung,
Undurchdringlich starre Kruste,
Die kein Hoffen mehr durchbricht;
Schnee ist auf mein Haupt gefallen,
Schnee, den keine Sonne schmelzen,
Den kein Lenz verjagen wird.
Kalt und leer und stumm und farblos
Ist die ganze Welt mir worden,
Seit ich ihres Herzens Wärme
Nicht an meiner Brust mehr fühle,
Seit mir ihres Herzens Fülle
Nicht mehr lebt in tiefer Liebe,
Seit ihr Mund verstummt,
Der so innig sprach,
Seit ihr blaues Auge
Stier im Tode brach.
In den Flammen nur ist Leben,
Und dies Leben ist das heiße,
Jache, ungestüme Sterben.

Die Vereinten

Zwischen Dornen ging der Weg,
Und wir haben Blut gelassen,
Dafür wollen wir uns jetzt
Fröhlich bei den Händen fassen,
[395]
Tief uns in die Augen sehn,
Heiter, ruhig, fühlend gehn,
Wie auf Paradieses Wiesen:
Denn wir lernten uns genießen,
Und wir lernten uns verstehn.

Sturmlied

Wild stieß der Sturm durch die Nacht.
In den schwarzen Aesten der alten Eiche
Harfte er gellend ein Tanzlied der Kraft:
Ueber die Berge und Wässer und Wälder,
Hussahojoh!
Schwing durch die Nacht ich mich, flügelfroh singend,
Hussahojoh!
Tannen zerknick ich wie dürres Schilf,
Aecker zerwühl ich wie Haufen Sands,
Fangeball spiel ich mit Felsgestein
Hussahojoh!
Auslösch ich die Lichter, anfach ich die Flammen,
Mit Wolken umball ich die blinkenden Sterne,
Gebirge von Wogen aufthürm ich im Meere,
Zu schlingenden Schlünden hinblas ich die Schiffe,
Hussah!
[396]
Dann spiel ich mit treibenden Trümmern gelinde,
Und, müde, werd ich zum säuselnden Winde,
Und singe wie Wiegenlied leis und weich.
Ich küsse die blinkenden Blüten am Baume,
Ich tändle am wogenden Halmackersaume
Und glätte die Wiesen sammetgleich.
Das ist meine Kraft, die ich löse und binde;
Krieg kreisch ich im Sturme, – im schaukelnden Winde
Bin ich ein stillfroher Friedereich.

Ein Trio

(Ernst Freiherrn von Wolzogen zugeeignet.)


Der Alte:

Ach Gott, ich habe Geld genung,
Doch fehlt mir die Begeisterung,
Schwach brennts auf meinem Herde.
Das junge Leben lockt so hell:
Ach schlüge doch mein Herz so schnell!!
Ich säß auf heißem Pferde.
Der Junge:

Ich brenn, ich brenne lichterloh!
Ich wollt, ich wollt, ich könnte so,
Ich könnte, wie ich könnte.
[397]
Verfluchte Habenichtserei!
Ach, hätt ich Geld! ich schwömme frei
In meinem Elemente.
Die Schöne:

Dem Jungen sind die Lenden stark,
Der Alte hat im Sack das Mark:
Wenn die Zwei Einer wären!
Was soll ich thun, ich armer Schatz?
Der Eine kanns, der Andre hats,
Und ich muß mich verzehren.

Des alten Weibleins Lied vom Schwager Tod

Es fährt ein Postillion durchs Land, –
Oh, der ist höflich und galant!
Nimmt alte Leute bei der Hand,
Hilft ihnen in den Wagen.
Will keinen Lohn,
Fährt schnell davon;
Wohin – will er nicht sagen.
Die Peitsche knallt,
Herr Schwager, halt,
[398]
Seht her, hier steht noch Eine;
Heut fahr ich mit,
Ob Trab, ob Schritt,
Denn müd sind meine Beine.
Dank, Schwager! So! Und nun fahrt zu,
Blast euer Liedel trututu!
Es geht zum Schlafen, geht zur Ruh,
Es geht ins Endlich-gute;
Lebt wohl! Ade!
Mir ist nicht weh,
Nur wundermüd zu Mute.

Gebet des geschienten Ritters im Felde

Herr Gott im Himmel, hör mich an!
Sitzend muß ich beten, weil ich nicht knieen kann,
Und auch die Hände falten,
Das kann ich nicht;
Ich muß die Lanze halten
Zur Brust mir dicht.
Nun höre, was ich bete,
Lieber Gott und Herr:
Zu Bette liegt die Grethe,
Der machs nit schwer:
[399]
Sie will ein Kind mir bringen,
Mägdlein oder Sohn:
Das laß du wohl gelingen,
König auf deinem Thron!
Sonst hab ich nichts zu beten,
Ich muß im Felde stehn, –
Nur das mit Grethen
Laß wohl geschehn.

1901

Monte Carlo

(Herrn Adolf Bachmann zugeeignet.)


Meer und Sterne, Palmen und das Leuchten
Weißen Steines hinter Lorbeerhecken,
Und im Saale Klirr und Kling und Scharren
Und das Rascheln bunter Seidenschleppen.
Glühe Augen und erhitzte Wangen,
Heiße Hände, zuckende Gebärden,
Und die Brüste sprengen fast die Mieder.
Ach ihr Kinder! Ach ihr lieben Kinder!
Nein, der Glaube ist nicht ausgestorben,
Und die Menschen sind doch sehr sympathisch.
[400]
Selten noch konnt ich so gut sie leiden,
Als, da ich sie heut am grünen Tische
Spielen sah, wie Kinder spieln im Sande.

(Auf der Terasse der Spielbank, den 29. Oktober 1900.)

Mönchs Kunst zu lieben

(Diese vielen Reime gehören meinem lieben Arno Holz.)


In einer Klosterbücherei,
Voll ausgestopft mit Kirchenvätern
Und sonstig heiligen Schweineledern,
Sankt Augustino grade nebenbei,
Fand ich, vor Schrecken fiel ich um,
Ganz kürzlich dies Opuskulum.
Es war auf Pergament gemalt,
Bunt golden fein verinitialt,
An Schnörkeln reich und Schilderein
Und lag in einem Eichenschrein;
Der war geschnitzt, ach, so süperbe!
Gott segne unser Kunstgewerbe.
Ich glaubt, daß es was Frommes wär,
Ein Andachtbuch, voll von Gebeten,
Legenden von Anachoreten,
Dogmatika und derlei mehr,
Und macht mich langsam drüber her;
[401]
Denn wenig interessiert mich so was,
Dieweil ich ein ungläubiger Thomas.
Doch kaum las ich die erste Zeile,
Kam ganz bedeutend ich in Eile,
Denn keine frommen Litanein
Barg dies barocke Kraftlatein,
Im Gegenteil, ich fand geschrieben
Ganz schlecht und recht die Kunst, zu lieben.
Nicht in ovidischer Manier,
Bald Contredanse, bald Brunstturnier,
Nicht südlich abenteuerlich,
Nein, urdeutsch bergwaldbäuerlich,
Mit Bärentatzen hingehaun
Und plump possierlich anzuschaun.
Mag wohl ein Mönch gewesen sein,
Der sich in Waldeinsiedelein
Zurückezog aus Liebeswogen,
Der sich mit Heckendorn umzogen
Sein kleines Haus, daß nicht ihm nah
Frau Venus pandämonia,
Die früher ihm den Leib zerrissen
Mit ihren süßen Bitternissen,
Die tiefe Kunde ihm gelehrt,
Als sie sein heißes Herz versehrt.
Ich glaub, er war von Bauernstamm,
Ein derber Kerl, behaart und stramm,
Kein blasses Pfaffenangesicht.
[402]
Sein Gang war grad, sein Blick war licht.
Wenn segnend er die Hände streckte,
Er sich in Mannheit aufwärts reckte.
War er in seiner Zell allein,
Goß aus sein Herz er in Latein;
Dem fehlte alle Zierlichkeit
Und rhythmische Manierlichkeit;
Es war aus deutschem Herzenssaft,
Voll tumper teutscher Bauernkraft,
Kein Wort zu weng, kein Wort zu viel,
Im derben Eichenknorrenstil.
Und doch so fein gemalt, getuscht,
Von Rauschgoldbronce überhuscht,
Mit Rankenreben reich verziert,
Mit Bildwerk viel verkleinodiert,
Voll Kunst und Liebe, Preis und Pracht,
Es hat der Fleiß daraus gelacht.
Das las ich nun und war entzückt,
Von fremdem Glücke überglückt,
Denn das sah klar ich wohl daraus:
Die Liebe band ihm manchen Strauß,
Bis er, wer weiß, weshalb, warum,
Einkroch ins Monasterium.
Gern hätt ich alles abgeschrieben
Aus dieser sondren Kunst, zu lieben,
Doch kaum zu lesen fand ich Zeit.
[403]
Der Paters Widerhaarigkeit,
Der dieser Bücher Wächter war,
Erahnte weltliche Gefahr
Und trieb mich bald vom Pergamente.
Ich schrieb nur ab das kurze Ende,
Das kürzlich überschrieben hieß:
MEMENTO VIR UT DOMINUS SIS!
Ich übersetze das krause Latein:
Bedenke, Mann, Herr sollst du sein!
Was unter diesem Titel stund,
Sei ausgedeutschet hiermit kund.
Es ist nicht eben sonders fein,
Doch gröber noch klangs im Mönchslatein.
Das Weib ist süß und warm und zart
Und geht dir linde um den Bart,
Es setzt sich leicht dir auf den Schooß,
Du fühlst sie kaum, die liebe Last,
Doch wenn du sie im Herzen hast,
Dann wird sie schwer und mächtig groß,
Und greift dir um den ganzen Leib
Und machte dich selber gern zum Weib,
Und saugt dich aus und macht dich leer,
Als wenn sie des Teufels Lunge wär,
Und macht dich aller Mannheit bar,
Möchte dich haben ganz und gar,
Und macht dich schwach und macht dich klein,
Als wie ein Taubenfederlein,
[404]
Und eh du dir es nur gedacht,
Hat sie zum Nichtschen dich gemacht.
Drum halt dich fest und starr und stark,
Bleib Mann, oh Mann, Mann, bleibe Mark!
Halt ihr aufs Auge deine Faust,
Eh du als Seufzerthräne thaust.
Mach deine Lieb ihr nicht gemein,
Laß sie in Zweifeln ängstlich sein,
Sonst bringt die Siegerin dich um
Im Liebesspielmartyrium.
Ist deiner Lieb sie zu gewiß,
Braut sie aus Launen Bitternis,
Läßt tanzen dich wie einen Bär,
Läßt los auf dich ein ganzes Heer
Von Künsten böser Zauberei;
Nicht eine Stunde bist du frei,
Mußt laufen wie behängt mit Kletten,
Kannst nimmer dich vor Launen retten;
Die Blicke schwirrn von ihr wie Bienen
Nach andrer Männer süßen Mienen,
An jedem Zucker muß sie lecken,
Möcht gern aus fremden Töpfen schlecken,
Und nur aus einem Grund all dies:
Sie langweilt sich im Paradies,
Sie hat es eilig satt gekriegt,
Daß du zu weich sie eingewiegt.
Doch bist du harter Mannheit klug,
Kriegt nimmer sie an dir genug,
[405]
Hältst du im Zaum sie herrisch fest,
Sie nimmer, nimmer von dir läßt
Und küßt die Hand, die schwer und rauh,
Und ist gar eine liebe Frau.
Eins ist vor allem andren not:
Die Lieb sei ihr nicht täglichs Brot.
Du mußt sie nicht gar übersüßen,
Laß sie zu Zeiten Hunger büßen
Und gieb ihr wie dem kleinen Kinde
Statt Zuckerzwiebacks harte Rinde,
Daß ihrs ein tiefersehntes Fest,
Wenn du sie wieder kosten läßt
Vom süßen Liebeszuckerwecken,
In dem gar viel Rosinen stecken
Für ihrer Zunge Lüstigkeit.
Und gieb ihr auch von Zeit zu Zeit
Vom Bittersten ein wenig ein:
Laß sie recht eifersüchtig sein.
Laß sie in Aengsten um dich warten,
Derweil du gehst in fremdem Garten;
Da soll sie hinterm Gitter stehn
Und durch die Rosenbüsche sehn,
Wie du vergnügt herumspazierst
Und dich gar weidlich erlustierst.
Oh, wie sie froh dich dann empfängt,
An deinen Hals sich glücklich hängt,
Wenn sie in Aengsten hat gebangt:
Ob er wohl nach der Rose langt?
[406]
Doch treib zu weit nicht dieses Spiel
Und schieße hier nicht übers Ziel!
Hart sollst du, doch nicht grausam sein;
Gieb nicht zu viele Pillen ein
Von dieser bösen Bitternis,
Sonst dreht die Holde dir den Spieß,
Daß er dir deine Brust zerreißt
Und dich die große Sorge beißt:
Ob sie nicht auch lustwandeln geht,
Wo fremder Früchte Süße steht?
Denn dann ist Fried und Freude aus,
Hornissennestwild wird dein Haus,
Und in dem Hinundwiderkriegen
Wirst stets der Frauen du erliegen,
Die Meisterin ohn Gleichen ist
In böser Launen Stachellist.
Von ihrer Lippen schönem Bogen
Kommt giftschwer mancher Pfeil geflogen,
Der tief sich in das Herz dir frißt,
Bis siech und todeswund du bist.
Die Frau, der du zu weh gethan,
Da sie dich sah in Liebe an,
Sie wird von Hasse schlangenwild,
Und ob sie auch der Taube Bild.
In ihres Auges Tiefe ruht
Der Höllenflamme Wüteglut,
Ein wüster Wurm hält davor Wache:
Zertretner Liebe wilde Rache.
[407]
Das war der Schluß der Mönchenlehr.
Weiß nicht, obs meine Sache wär,
Nach ihr zu leben und zu lieben
Ich hätt ein andres Lied geschrieben,
Nicht also rauh, voll Fährlichkeit,
Ein sanfteres Lied aus sanfterer Zeit.
Das ist der Zeiten Unterschied,
Die Liebe wechselt und das Lied.
Doch wie auch Art und Ton vergeht,
Im ewigen Wechsel um sich wendet,
Die Sache selbst bleibt ungeendet:
Die Liebe und das Lied besteht.

Das Hochzeitsreisepaar

Die Eheringe glänzen
Mit feuerigem Schein,
Es ist kein einziger Kritzer dran;
Sie sagt: »Mein Herz! Mein Schatz!« – Man kann
Gar nicht verliebter sein.
Auf seine Schulter legt sie
Den Kopf mit Lindigkeit;
[408]
Ach könnte man küssen im Coupé!
Indem ich aus dem Fenster seh
Schaff ich Gelegenheit.
Sie essen und sie trinken;
Wie füttert sie ihn zart!
Wer Augen hat zu sehn, der sieht:
Die Liebe stärkt den Appetit.
Dann wischt sie ihm den Bart.
Zu sagen hat sie ihm sehr viel,
Thut höchst geheimnisvoll.
Sie tuschelts leise ihm ins Ohr
Und hält auch noch die Hand davor,
Weils niemand hören soll.
Es muß nicht von fataler Art,
Was sie ihm kündet, sein;
Im Gegenteil, mir scheint, es thut
Dem Braven wundersüße gut
Und geht ihm lieblich ein.
Wie Butter in der Sonne glänzt,
So glänzt sein Angesicht:
Kein Zweifel, er ist sehr beglückt.
Mein Gott, wie er sie an sich drückt!
Unmensch, zerbrich sie nicht!
[409]
Im ganzen muß ich sagen: mir
Scheints etwas deplaziert,
Daß man mir einfach vis-à-vis
So ungemeine Sympathie
Ganz offen produziert.
Mir scheint, es wäre angebracht,
Fürs stille Kämmerlein
Zu sparen diese Zärtlichkeit.
Sie gehn entschieden etwas weit!
Doch will ich nicht so sein:
Die Stunden wehn, die Tage gehn,
Der kritzerlose Ring,
Wie bald wird er zerschunden sein!
Und viel vergeht mit seinem Schein,
Du sehr verliebtes Ding!
Denn eine Hochzeitsreise ist
Die Ehe wirklich nicht.
Da wird der Anschluß oft verpaßt,
Und manche überschwere Last
Macht, daß die Achse bricht.
Drum, junge Frau und junger Mann,
Drückt, küßt euch ohne Zwang!
Gehs euch so gut, wie mir es geht,
Bis daß der Wagen stille steht,
Die ganze Ehe lang.

[410] »Ein Löffel Suppe«

(Berliner Erinnerung.)


Um einen großen Tisch
Sind wir herumgesessen
Und haben ausgezeichnet
Getrunken und gegessen;
Geistreiche Leute waren auch dabei.
Weiß Gott, da konnte man merken,
Was Witz, und Bosheit sei.
Zu Suppe, Braten, Fisch, Kompot,
Salat und süßer Speise
Maultrommelte Kritik und Spott,
Es reimte Teufel sich auf Gott
In dieser muntern Weise.
Von der Suppe bis zum Schnapse
Saß ich sprachlos da,
Wie getroffen vom Collapse,
Wußte nicht, wie mir geschah.
Tournedos, Kaviar, Lampreten,
Rindfleisch à la Bordelaise,
Stilton-, Schweizer-, Chesterkäs,
Und dazwischen immer Reden!:
Bismarck, Harden, Stinde, Goethe,
Wagner, Bungert, Dahn, Homer,
Fledermaus und Zauberflöte,
Ludolf Waldmann, Meyerbeer;
[411]
China, Japan, Böcklin, Thumann,
Thoma, Werner, Stuck und Knaus,
Johann, Eduard, Richard Strauß,
Kaiser Wilhelm, Robert Schumann ...
Mahlzeit! Mahlzeit!! Laßts mi aus!!!

Der Hahn

(Für meinen lieben Meier-Graefe.)


Ich bin der Hahn,
Der Muselman,
Ich habe dreißig Hennen;
Im Hof und auf der Tennen
Umgackert mich die bunte Schaar,
Ich aber singe wunderbar,
Daß sies stets neu erkennen:
Ich bin der Hahn,
Der Muselman.
Doch bin ich nicht ein Sänger bloß:
Als Ritter bin ich gleichfalls groß;
Betrachtet meine Sporen!
Zwei Fahnen trag ich voller Glanz:
Eine auf dem Kopf, eine auf dem Schwanz;
Der Arme ist verloren,
Der gegen mich zu stelzen wagt;
Es sei ihm glatt vorausgesagt:
Er ist dem Tod erkoren.
[412]
Bereits in aller Hahnenfrüh
Thu ich ein sieghaft kikriki,
Nicht ohne Präludieren.
Bleich flieht der Sterne feiger Hauf,
Und pünktlich zieht die Sonne auf:
Ich thu sie kommandieren.
Bei so viel Tugend und Talent
Versteht sichs, daß ein Monument
Mir wird nach meinem Tode.
Ich werde auf dem Kirchturm stehn
Und über tausend Giebel sehn
Und hunderttausend Schlote.
Mit Fingern weist man auf mich bin,
Weil ich dann ein Exempel bin;
Der Vater spricht zum Sohne:
Blick auf zum Hahn,
Blick himmelan,
Es wird, mein Sohn, es ist kein Wahn,
Der Tugend ihre Krone.
Warum ragt er so hoch empor?
Er war, oh spitz dein Sohnesohr,
Zugleich ein Held und ein Tenor.

[413] Zwei Graunzer – Widmungen

1. An Frau Malgonia Stern
(mit einem in Brokat gebundenen Exemplare).

Der Herr vom Kiebitzhof ist ein bescheidener Grande;
Man sieht ihn meist im schlichtesten Gewande;
Das macht: er giebt nicht viel auf äußerlichen Staat.
Doch giebt es Fälle, seltene, muß ich sagen,
Da weiß sich Krazi wie ein Lord zu tragen,
Thut an ein Mäntelchen von goldenem Brokat.
So hier zu Ehrn
Der Frau Malgonia Stern.

2. An Fräulein Rosa Stiegler
(zu Weihnachten 1899, das ihr letztes Christfest sein sollte.)

Oh holde Rosalinde,
Nimm dieses Angebinde
Vom alten Graunzer hin;
Einst ist er jung gewesen
Und glücklich, wies zu lesen
In diesem Buche drin.
[414]
Jetzt ist das anders worden;
Bald ist im grauen Orden
Er weiser Senior;
Beim Teufel ist das Lieben,
Und nichts ist ihm geblieben,
Als grimmiger Humor.
Das ist nun so auf Erden:
Die jüngsten Esel werden
Am Ende einmal alt,
Und auch die höchsten Flammen
Sinken einmal zusammen;
Die Asche, die ist kalt.
Oh holde Rosalinde,
Nimm dieses Angebinde
Auf altem Schöpfpapier!
Es ist ein Ding zum Lachen,
Und all die dummen Sachen,
Die drin stehn, sind von mir.

Mit der Gugeline

(An meine Base Dora Siegert.)


Rittersporn und Akeley,
Weiße Lilien auch dabei,
[415]
Goldlack und Levkoyen,
Diese Blumen schenk ich dir
In dem bunten Strauße hier,
Dem Lied von einer Treuen.
Gut sind sie bei dir verwahrt,
Denn du bist von treuer Art;
Freu dich dieser Gabe!
Manche prangt in falschem Schein,
Treue ist ein Edelstein,
Beste Herzenshabe.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Durcheinander. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-346E-1