Die Heimkehr
Trauerspiel von Houwald

Nachdem sich der Vorhang aufgerollt, sieht man die Stube einer Försterswohnung. Alles ländlich, einfach, fast ärmlich. Runde Fensterscheiben, verschabter Großvaterstuhl, an der Wand eine Schwarzwälder hölzerne Uhr, ein gedrucktes, wahrscheinlich von Forstfreveln handelndes Plakat und eine Karte von Europa, von den ältesten Homannschen, mit glänzenden Lackfarben. Am Tische, auf welchem Blumen liegen, steht ein schönes junges Mädchen, beschäftigt, einen Kranz zu flechten, und plaudert dabei mit ihrem achtjährigen Brüderchen. Der Kranz ist für den Vater, wenn er von der Jagd heimkehrt; denn sein Geburtstag ist heute. Das ist nun freilich für eine Försterstochter schon sehr viel Poesie; ein prosaischer Blumenstrauß wäre natürlicher gewesen. Man verwundert sich noch mehr über die zierliche Kleidung der Waldbewohnerin: im feinsten weißen Musselin, weiße Rosen an der Brust und in den Haaren; sie hätte damit auf den Kasinoball gehen können. Und wie sie spricht! Wie zart, wie empfindsam, wie sauber. Sie erklärt dem Brüderchen den Sinn und die Bedeutung jeder Blume, die sie in den Kranz einflicht; Thekla in Wallenstein hätte nicht besser reden können, und das Brüderchen ruft ihr beifällig zu: »O herrlich, Schwester! Wahrlich du bist klug!« Zuletzt kommt die Reihe an den Rittersporn. Der Rittersporn, sagt die Blumensprachlehrerin:


[387]
Der Rittersporn zeigt einen Ritter an,
Er ist hinausgesprengt mit Roß und Schwert,
Doch nimmer ist er heimgekehrt.

Dieses wiederholt sie in der Folge, und alsobald rührt sich in dem Zuhörer die trübe Ahnung, was die Sache für ein Ende nehmen werde, auf gleiche Weise aufgeregt wie im Ingurd, durch das unermüdliche Refrain der träumenden Asla:


Der Ritter lag – der Ritter lag erschlagen,
Zerschmettert! Und weit von ihm lag sein Schild.

Der trübe Ausgang eilt auch schnell genug herbei. Denn kaum hat das Mädchen seine Blumenlehre mit folgenden Worten geendigt:


Doch nun zum Kranz, daß er vollendet werde!
Sonst überrascht mich noch der Vater hier.
Heut bin ich sein Hofjuwelier

und man kaum Zeit hat, sich zu wundern, wie ein Waidmann mit einem Juwelier zusammengerate, da tritt – das Schicksal in die Stube, als Armenier gekleidet, in grünem, pelzverbrämtem Rocke und mit einem langen Barte. Der Bart ist schwarz, der Mann ist stark und rüstig und gebärdet sich wild. Aber die Kinder erschrecken gar nicht, welches doch in einem abgelegenen Förstershause so natürlich gewesen wäre, da dort oft Räuber und gefährliches Diebsgesindel einkehren. Sie sehen ihn für einen alten schwachen Mann an und geben ihm Wein. Der Armenier spricht unsinniges Zeug, schließt das Mädchen in seine Arme; und da das kluge, unausstehlich feintuende Knäbchen sich mit ihm schön unterhält, ruft er ganz toll aus:


Fort aus den Nest, verruchte Kuckucksbrut!


Da ist der Tränenquell. Die Geschichte verhält sich nämlich wie folgt: Heinrich Dorner, ein Soldat, schließt das Mädchen seiner Liebe, und das ihm mit gleichem Herzen [388] zugetan, als Gattin in die Arme. Er versprach ihr, den Dienst zu verlassen. Aber nach der Hochzeit vergißt er sein gegebenes Wort, läuft hinaus aufs Feld, streicht den ganzen Tag umher und läßt sein junges Weibchen allein zu Hause. Selbst ein süßes Pfand der Gattenliebe bändigt den Wilden, fesselt den Unsteten nicht. Endlich geht er sogar in den Krieg; nicht etwa in einen Befreiungskrieg, welches der Uneigennützigkeit wegen erhaben gewesen wäre, nicht etwa gewaltsam angeworben, nicht etwa, weil er seiner Frau überdrüssig geworden, sondern nur aus heftigem Tatendrange. Dreizehn Jahre bleibt er weg, und in den letzten neun Jahren, ohne seiner Frau ein Wort zu schreiben. Zwar sagt er, er habe jenseits des Meeres dienen müssen; aber im Verlaufe eines Jahres gelangt ein Schiff auch von dem entferntesten Ende der Welt nach Europa; er hätte also schreiben können, wenn ihm an seiner Frau nur im mindesten gelegen gewesen wäre. Des Soldatenlebens müde, fällt ihm ein, zurückzukehren, um zu sehen, was Weib und Kind machen. Verkleidet kommt er in sein Haus, als Armenier vermummt, und findet, wie wir oben gesehen, ein erwachsenes Mädchen, in dem er seine eigene Tochter erfährt, und einen Knaben, des Försters Sohn. Er gibt sich seiner Tochter nicht zu erkennen, und diese erzählt ihm auf Befragen: der Förster sei ihr Stiefvater, das heißt ihrer Mutter zweiter Mann. Er tobt gewaltig. »Wie?« sagt er, »wie? deine Mutter hat aufs neu' gefreit?« – »Ja wohl«, antwortet die Tochter. Jetzt tritt die Försterin ins Zimmer, einen Geburtstagskuchen, auf dem ein Wachskerzchen steckt, in den Händen tragend. Sie sieht den Fremden nicht eher, bis ihn ihr die Kinder zeigen. Dann sagt sie ihm: »Wir führen zwar keine Wirtschaft, aber Ihr seid uns doch willkommen, labt Euch.« Das Gespräch spinnt sich fort. Er, leidenschaftlich, aufbrausend, in mühsam zurückgehaltenem Grimme. Sie, [389] nichts merkend, ihn nicht erkennend, den immer noch Heißgeliebten, wie sie mehreremal gesteht. Er ist noch jung, verändert kann er sich nicht viel haben. Ein Spötter müßte denken: Sie kennt ihn recht gut, aber sie ist pfiffig, sie will nichts wissen. Der Armenier erzählt, ihr toter Mann lasse sie grüßen. Dann macht er ihr Vorwürfe, daß sie zum zweiten Male geheiratet. Sie erwidert darauf:


Ach, mir war vor der zweiten Ehe bange!


aber ihr Vater habe ihr lange zugeredet, den Förster, der sie schon lange geliebt, nicht auszuschlagen, damit sie versorgt werde. Endlich, und da sie in der Zeitung gelesen, ihr Heinrich sei geblieben, habe sie sich bereden lassen. Auch sei sie jetzt mit ihrem zweiten Manne ganz zufrieden.

Nun kommt der Förster von der Jagd zurück. Umarmungen, Glückwünsche zum Geburtstage. Der Armenier muß alle diese Zärtlichkeiten mitansehen und möchte bersten. Der Förster fragt: »Was meint ihr wohl, Kinder, was ich heute geschossen habe?« Sie raten hin und her und treffen's nicht. »Einen schwarzen Schwan habe ich geschossen.« Verwunderung. Er erzählt, im Schilfe hätte ein Schwanenweibchen gesessen, und um deren Besitz hätten sich zwei Schwanenmännchen blutig gestritten. An der ängstlichen Teilnahme, welche das Weibchen für den einen der Kämpfenden gezeigt, habe er, der Förster, sogleich erkannt, daß dieser der legitime Eheschwan sei, und um dem Streit ein Ende zu machen, habe er dem usurpatorischen eine Kugel durch den Leib geschossen und bringe ihn in seinem Ranzen mit. Dem aufhorchenden Armenier gießt diese Waidgeschichte Öl in die Wunde. Das ist ja grade mein Fall, denkt er, du Förster bist der usurpatorische schwarze Schwan, den ich aus der Welt schaffen muß. Während die Familie auf[390] einen Augenblick das Zimmer verläßt, greift er wütend nach der Büchse – sie ist nicht geladen. Da fällt ihm ein, daß er Gift zu seinem eigenen Gebrauche bei sich führe. Er schüttet es in den angefüllten Becher, der für den Förster bestimmt ist. Dieser mit der Familie tritt wieder ins Zimmer. Er setzt den Becher an den Mund, stellt ihn aber wieder weg, um noch etwas zu sprechen. Dann reicht er ihn seiner Frau. Diese will trinken auf das Andenken ihres toten Heinrichs. Der Armenier fällt ihr in die Arme und sagt: »Tut das nicht!« Dann fragt er sie, was sie tun würde, wenn der totgeglaubte Dorner zurückkehre. Die Försterin antwortet, sie würde ihm freundschaftlich bemerken, für dieses Leben wolle sie ihrem zweiten Manne bleiben, aber im künftigen Leben kehre sie zu ihrem Heinrich zurück; und nachdem sie solche Reden geführt, schmiegt sie sich dem Förster an. Darauf fragt er die Tochter das gleiche, die gibt die nämliche Antwort und schmiegt sich ihrem Stiefvater auf die andere Seite an. Endlich fragt er das Söhnchen. Das Bübchen, das überall mitspricht, antwortet wie die Vorigen und umklammert den Vater gleichfalls. Der Armenier, nachdem er diese mißtönende dreistimmige Fuge mitangehört, denkt: wie ich sehe, ist hier nichts für mich zu tun. Als man ihm daher den Becher zuerst kredenzte trank er ihn mit einem Zuge aus. Bald wird ihm übel. Mutter und Kinder laufen fort, nach einem Arzte zu schicken. Der Förster bleibt allein zurück, und diesem gibt sich der Sterbende als Heinrich Dorner zu erkennen, läßt ihn aber schwören, nie seiner Frau etwas davon zu sagen.

Das Schicksal, auf seiner Menschenjagd, kehrt wohl auch einmal in eine stille Försterswohnung ein, aber dann hat es sich verirrt, es bückt sich, um durch die Türe zu kommen, und findet keinen Platz, seinen Hofprunk auszukramen. Der Dichter der Heimkehr hat alle Wände eingeschlagen, [391] um dem königlichen Fatum Gemächlichkeit zu verschaffen. Welche Kriecherei! Welche Verschwendung! Kam es je einsiedlerischen Landbewohnern in den Sinn, einen vornehmen bösen Gast mit solcher Pracht zu bewirten? Welche kostbare Reden! Welche hohe Pfeilerspiegel, worin die Empfindungen sich belächeln! Wie viele feingespitzte Betrachtungen für einen Förster, eine Pfarrerstochter, ein im Walde erzogenes Mädchen und einen achtjährigen Knaben! In einer der ersten Szenen, wo Mutter und Tochter sich liebkosen und erstere zur zweiten sagt, ihr Busen sei die warme Erde, aus der sie, Tochter, als Rose entsprossen, antwortet die Rose, sich an der Mutter Brust werfend:


O dürft' ich auch, so wie die Ros' es kann,
Hier, wo ich aufgeblüht bin, einst vergehn.

Warum will sie vergehen? Warum früher sterben als die Mutter? Woher diese nervenschwache Stimmung einer Waldnymphe? Nur eine einzige natürliche Rede kommt im ganzen Stücke vor. Die Mutter hält sie:


Wie schön
Der Kuchen diesmal mir geraten ist!

Sonst überall ist der unleidliche Stelzentritt der Empfindung. Über das ganze Stück der tränenfeuchte Himmel; gleich nach aufgehobenem Vorhange in allen Worten und Gebärden das düstere Grabgeläute, den traurigen Ausgang verratend. Die Familie will des Vaters Geburtstag feiern und ist also froh gestimmt. Der zerschmetternde Blitz sollte aus heiterem Himmel kommen. Aber auf den Gesichtern aller Auftretenden zeigen sich voreilig die Gewitterwolken.

Die Handlung – welche Unnatur! Ist es glaublich, daß ein Mann von so heftiger Liebe dreizehn Jahre lang freiwillig von Weib und Kind wegbleibt, daß er nicht schreiben will oder daß er keine Gelegenheit findet zu [392] schreiben? Ist es glaublich, daß er, trotz seines Bartes, von seiner Frau, mit der er fünf Jahre verheiratet war, nicht sollte erkannt worden sein? Ist es in der Natur, daß ein kriegslustiger, kühner und daher gewiß von aller Falschheit fremde Mann auch nur auf den Gedanken kommen konnte, seinen Nebenbuhler meuchelmörderisch und feige mit Gift von der Welt zu schaffen?

Und die Entwicklung! – Die Frau erfährt nicht, daß der Armenier ihr voriger Mann sei; er will ihr den Schmerz ersparen. Das ist sehr hübsch, sehr edelmütig, aber poetisch, aber dramatisch ist es nicht! Wo bleibt das Schicksal? Ach wäre es nur immer weggeblieben. Mit Schmerz denkt ein Liberaler daran, daß in Deutschland nie Geschwornengerichte werden eingeführt werden dürfen. Welches Unheil würde daraus entstehen, wenn man einer in der neuen ästhetischen Schule gebildeten Jury die Strafgerechtigkeit in die Hände geben wollte? Schlägt ein Vater den Sohn tot, um ihm sein Geld zu stehlen, denkt eine poetische Jury: »es war ein vierundzwanzigster Februar,« und spricht: Nicht schuldig. Erschlägt ein Kain seinen Bruder, wird es einer Zigeunerin zugeschoben und der Mörder losgesprochen. Versucht ein Mann seinen Nebenbuhler zu vergiften, erwägt die psychologische Jury, daß eine Geschichte von einem schwarzen Schwan unglücklicherweise in die Quere gekommen, und vergibt ... Es ist zum Erbarmen!

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TextGrid Repository (2012). Börne, Ludwig. Schriften. Theaterkritiken. Die Heimkehr. Die Heimkehr. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3C58-D