Maria Stuart
Trauerspiel von Schiller

Ob die dichterische Vortrefflichkeit eines Schauspieles für dessen schlechte theatralische Darstellung Ersatz gebe oder das durch letztere erregte Mißbehagen nur noch größer mache, darüber gelangt man nicht sogleich zur klaren Ansicht. Ich habe mich endlich für das letztere, [410] nämlich dafür bestimmt, daß das schlechte Spiel in einem guten Stücke am meisten unerträglich sei. Doch gibt es hier wieder einen Höhepunkt, bei dem sich die Sache umwandelt. Es können Schauspieler unter aller Beurteilung ihr Spiel zur Parodie eines dramatischen Meisterwerks machen und hierdurch ohne ihr Verdienst höchst ergötzlich werden. Diese Art der Unterhaltung würde die heutige Vorstellung gewährt haben, hätten alle unsere Mimen so gespielt wie einige. Aber leider geschah es nicht, und ich vermochte darum nur die drei ersten Akte auszudauern, auf welche auch allein die nachfolgenden Bemerkungen sich beziehen. Die schlechtern Schauspieler waren es nicht, sondern die bessern, die mich diesmal fortgetrieben.

Frau *** darf sich in der Darstellung der Elisabeth in die Reihe der vorderen tragischen Künstlerinnen setzen, und ihr allein verdanken wir, daß Schillers Maria Stuart wenigstens ein Monodrama blieb. Gelang ihr auch minder das, was die heuchlerische Königin scheinen wollte, darzustellen, als das, was sie ist, so war doch selbst dieser Teil ihres Spiels nicht sowohl die Schattenseite als eine schwächer beleuchtete Gegend in einem schönen Landschaftsgemälde. Einige Bemerkungen, sollten auch rügende darunter vorkommen, können der Künstlerin beweisen, daß sie die Aufmerksamkeit an jede ihrer Reden und Bewegungen zu fesseln verstand. Bei den Worten, welche sie gegen den bewerbenden französischen Gesandten richtet:


Die Könige sind Sklaven ihres Standes,
Dem eignen Herzen dürfen sie nicht folgen –

legte sie die Hand aufs Herz. War dies recht getan? Ich glaube nicht. Auch davon abgesehen, daß diese Bewegung zu spielen selbst die aufmerksamste Heuchelei so selten bedächtig genug ist (aus physischen und physiologischen Gründen, die hier nicht erörtert werden können), [411] so wäre sie hier, wo Elisabeth als Königin erscheinen sollte, auch bei wahrem Gefühle, als etwas zu Bürgerliches und Häusliches, nicht an ihrem Orte gewesen. Überhaupt ist dieses Fingerdeuten auf den Sitz der Gefühle, das die Bewohner der Bretterwelt so häufig gebrauchen, etwas Tadelnswertes. Nur höchstens in der Oper, beim Singen, ist es zu dulden als ein trauriger, aber notwendiger Entrechat der tanzenden Hände, ohne welchen diese nicht zum Gleichgewicht und Stehen gebracht werden können. Im Schauspiele aber ist das Handaufdiebrustlegen (ein wahres Kommandowort) etwas Unedles und Unnatürliches, das oft eine komische Wirkung hervorbringt. Es wird hierdurch die Liebe zu einer bloßen Wallung des Geblüts herabgezogen und ihr Schmerz als ein Muskelkrampf erklärt. – In der nämlichen Szene, da Elisabeth dem Grafen Leicester das Ordensband abnimmt und es dem französischen Gesandten umhängt, warf Frau ***, als sie den bekannten Wahlspruch des Hosenbandordens »Hony soit qui mal y pense« aussprach, einen strengen zurechtweisenden Blick auf Leicester, der mißmutig über die französische Brautbewerbung hätte dastehen sollen. Es war dies ein feiner Zug der Künstlerin, die sich dagegen beim Schlusse dieser Szene sehr vergaß, indem sie, statt sich gegen die französischen Herren zu verneigen, sie mit der Hand fortweisend verabschiedete. Als vorzüglich in der Darstellung gelungen verdienen einige Stellen in dem Spiele der Frau *** herausgehoben zu werden. Erstens der Schluß der Unterredung mit Mortimer, wo sie dem unerfahrnen und anscheinend arglosen Jüngling, wie auf den Zehen nachschleichend, mit ihrem buhlerischen Netze zu umgarnen sucht:


Das Schweigen ist der Gott
Der Glücklichen. – Die engsten Bande sind's,
Die zärtesten, die das Geheimnis stiftet!

[412] In den Ausdruck dieser Worte und in die sie begleitenden Gebärden hatte Frau *** alles gelegt, was ein Weib und eine Fürstin nur Lockendes und Verführerisches zu bieten weiß. Die Stacheln ihres Blickes waren reich mit Rosen überhängt. Nicht die Tugend (das fühlt man schmerzlich), nur eine andere Leidenschaft, die früher vom Herzen Besitz genommen, vermag einer solchen Versuchung ohne Kampf zu widerstehen. Auch bei der Zusammenkunft mit Marie zeigte sich Frau ***, wenigstens in mehreren Stellen, als sinnreiche Künstlerin. Elisabeth, der es schwül wird unter der Maske der Gelassenheit und des Gleichmutes, welche ihr Mariens unterwürfiges Betragen aufzwingt, sucht endlich einen Anlaß zum Lüften der Maske gewaltsam herbeizuführen. Da beginnt sie:


Bekennt Ihr endlich Euch für überwunden?
Ist's aus mit Euern Ränken? usw.

und nachdem es ihr so gelungen, Marien aufzureizen, endet sie, unter höhnischem Lachen, mit den Worten, die auf sie selbst zurückfallen:


Jetzt zeigt Ihr Euer wahres
Gesicht, bis jetzt war's nur die Larve.

In diese ganze Rede, so reichlich versehen mit allem, was Eifersucht, Haß, Neid, Heimtücke und Schadenfreude nur Giftiges aufzutreiben vermochten und worin Königin, Weib und Teufel so innig verschmolzen erscheint, hatte Frau *** alles hineingelegt, sowie auch alles wieder aus ihr genommen, was nur immer der Dichter bestrebt haben mochte. Dieses war um so schwieriger und daher der dankbaren Anerkennung um so würdiger, da Elisabeth nur zu der Luft sprach; denn mehr noch als im Leben stand ihr die Marie dieses Abends im Spiele als Widersacherin gegenüber. Vor Tadel schützt sie unsere Abhärtung, wir sind nicht mehr so reizbar als sonst. Der [413] Hunger ist auch in Kunstgenüssen ein guter Koch, und die Zeit wird nicht entbleiben, daß wir die spartanischen Suppen unserer Bühne wohlschmeckend finden werden. Wer nur gesehen hat, wie die schottische Königin in der eben besprochenen Szene sich abgemattet hat, um sich einen Schwung zu geben, und wie ihre Seele, gleich einer Henne mit beschnittenen Flügeln, auf der Bühne herumhüpfte und nicht vermochte, nur über die Mauer des Parks aufzufliegen, der hat ihr sein Mitleid gewiß nicht versagt. Wenn unsere Theaterdirektion die Gelegenheit, die sich ihr darbietet, das schöne Dutzend voll zu machen, verschläft und diese Königin Maria anzuwerben versäumt, dann dürfen wir uns glücklich schätzen. – Herr *** hat den Grafen vonLeicester gespielt, und mit welcher Natur, mit welcher Täuschung! Nicht der leiseste Schatten, nicht der unmerklichste Farbenpunkt dieses so schwierigen Charakters war dem Künstler entgangen. Wo Taten sprechen wie hier, bedarf es der Worte nicht. – Herr ***, als Mortimer, befriedigte nur mäßig, obschon Rollen dieser Art sonst recht im Mittelpunkte seines Kunstkreises liegen. Durchaus verfehlt schien mir sein Spiel da, wo Mortimers Liebe gegen Maria bis zur wahnsinnigen Vergessenheit der äußern Welt hinaufsteigt und er die Schmerzensreiche an seine Brust drückt. Herr *** war ausschlagende Flamme und demgemäß schreiend in seinen Reden und voller Heftigkeit in seinen Gebärden. Stille, düstre, zusammengedrängte, eingeschlossene Glut möchte wohl erforderlicher gewesen sein. Die leidenschaftliche Umarmung der Königin durfte nur als eine sinnlose Handlung des Körpers erscheinen, welcher, der Aufsicht der verirrten Seele entzogen, nach eignem Triebe verfuhr. –

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TextGrid Repository (2012). Börne, Ludwig. Schriften. Theaterkritiken. Maria Stuart. Maria Stuart. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3C9C-8