[Nun soll ich in die Fremde ziehen]

Nun soll ich in die Fremde ziehen
Mir hatte eine Himmelsbraut
Ein Zweiglein aus dem Kranz geliehen
Ich hatte draus ein Haus erbaut
Es grünte schon, es wollte blühen
Von meiner Tränennut betaut
Da konnt' ich betend ruhig knieen
Da hatte ich so fest vertraut
Und soll nun in die Fremde ziehen.
Nun soll ich in die Fremde ziehen
Sie wäre ruhig, wär' ich fort,
Der Tempel, wo wir beide knieen,
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Soll nun zerbrechen und der Ort
Wohin ich mit ihr sollte ziehen
Soll nun verschwinden und der Hort
Des einen Glücks, für das wir glühen,
Soll sinken, auf ein hartes Wort
Soll ich nun in die Fremde ziehen.
Nun soll ich in die Fremde ziehen
Ich der die Heimat nie gekannt,
Soll meine erste Heimat fliehen
Soll fallen in der Räuber Hand
Was Sie mir schenkte war geliehen
Streng fodert sie das heil'ge Pfand
Zu ihr hab' ich um Hülf' geschrieen,
Sie weist mich nach dem andern Land
Ich soll nun in die Fremde ziehen.
Nun soll ich in die Fremde ziehen,
Ich weiß wohl, wie die Fremde tut
Kein Ankergrund ist mir gediehen
Weil ich dem ungerechten Gut
Auf meinem Schiffe Schutz verliehen
Zerbrach es in des Sturmes Wut
Die Woge hat mich ausgespieen,
Und kaum hab' ich am Strand geruht
Soll ich schon in die Fremde ziehen.
Nun soll ich in die Fremde ziehen
Wohin, wohin, daß Gott erbarm',
Nicht, wo die Friedensrosen blühen,
Nicht, wo im Geist so sonnenwarm
Die Worte wie Gebete glühen
Nein in die Brust – den Wespenschwarm
Vergeblicher erstarrter Mühen
Ins eigne Herz, zum eignen Harm
Soll ich nun in die Fremde ziehen.

Notizen
Entstanden 1818. Erstdruck 1852.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Brentano, Clemens. [Nun soll ich in die Fremde ziehen]. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3F5E-F