[283] Spiel der Natur, in verschiedener Thiere verschiedener Bewegung

Jüngst sah ich einen Frosch, wie wir spatziren giengen,
Durch das bethaute Gras, in gröster Eile, springen.
Die Kinder waren gleich schnell hinter ihm darein,
Den feuchten Springer zu erhaschen;
Er aber brauchte so die langen schlancken Bein',
Es konnt ihn keiner überraschen.
Worüber ich denn Anfangs lachte,
Bis mich dieß Spiel zuletzt auf die Gedancken brachte:
Hier seh' ich abermahl die Wunder-volle Spur
Der wirckenden Natur,
Die solchen Trieb und Kraft in jedes Thier gelegt;
Daß sich ein jedes fast verschiedentlich bewegt;
Da viel', um fortzugehn, sich wunderbarlich biegen,
Da ihrer viele mit, viel' ohne, Federn fliegen,
Da ihrer viele mit, viel' ohne, Füsse gehn,
Der wir an vielen zwey, an vielen hundert sehn.
Die Vögel heben sich, durch Flügel, in die Lüfte,
Und können doch zugleich gehn, hüpfen, sitzen, stehn.
Der Maulwurf gräbt sich fort durch seine finstern Grüfte,
Kann er darinnen gleich des Tages Licht nicht sehn.
Die Eyder siehet man, von einer Seit' zur andern,
Auf recht besond're Weis', und doch geschwinde, wandern.
Am grünen Laub-Frosch sind die Füsse so formirt,
Daß alles, was er, auch so gar im Sprung, berührt,
Ihm gleich zur Leiter dient, und wär' es noch so glatt,
Und wär' es noch so steil:
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Wie ich ihn denn in Eil',
Als er im Sprung ein Scheiben-Glas, so platt,
Ereilet hatt',
Ohn' alle Müh' daran empor spatziren gehn,
Nicht ohn' Erstaunen einst gesehn.
Verwunderlich weis sich die Schlange fortzubringen,
Wie auch der Regen-Wurm; kein Flügel, Hand noch Fuß
Hilft ihr, im Gehen, fort; ihr Leib muß in sich dringen;
Dann schiesset sie sich selbst, bald wie ein Bogen-Schuß,
Bald schnell, bald langsam, fort. Auf andre Weise strecken
Die langsam wandernden, gehörnten, glatten Schnecken
Ihr schlüpfrig Fleisch voraus; sie ändern Stand und Ort
Unsichtbar, unvermerckt; sie fliessen gleichsam fort.
Die Maden schliessen sich
Den Kopf an ihren Schwantz, recht wie gekrümmte Bögen,
Und werfen sich dahin so schnell, als wenn sie flögen,
Indem, was sonsten keine thut,
Die Spinn' in Lüften geht und ruht.
Ein weisser Raupen-Wurm zieht sich recht wunderlich
Mit seiner Schnautze fort. Die Muscheln mit der Zungen,
So fast unglaublich scheint. Ein' andre Raupe schwebet
In freyer Luft, in welcher sie
Recht aufwärts in die Höh', und, mit besond'rer Müh',
Nicht kriecht, nicht fliegt, nicht springt, an ihrem Drat sich hebet.
Dort kriecht die faule Laus in steter Langsamkeit;
Dort hüpft ein schneller Floh viel tausend mahl so weit,
Als wie er selber lang. Viel Würme sind so klein,
Daß, ohn' ein Gröss'rungs-Glas, sie nicht zu sehen seyn;
Und dennoch können sie sich wunderbarlich regen,
Und theils unglaublich schnell sich hin und her bewegen.
Viel' haben tausend Füss', und viele gar kein Bein;
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Viel sechs, acht, zehn, auch zwölf. Fast jedes grosse Thier
(Nur nimmt der Mensch sich aus) hat ihrer vier.
Es ist bewunderns werth, daß viel' auch fliegend rennen,
Und, auf verschied'ne Art, der Ort verandern können.
Ein Käfer fliegt und kriecht, die Fliege fliegt und geht,
Die Heuschreck kriechet, fliegt und springet.
Ein Fisch, der, wie der Blitz, sich durch das Wasser dreht,
Und sich bald auf- bald abwärts schwinget,
Geht schwimmend fort, hält schwimmend seine Ruh';
Die Schild-Kröt' ebenfalls; doch geht sie noch dazu.
Es schwimmet, geht und läuft ein Crocodill;
Der Bieber gleicher Weis', wenn er sich nähren will.
Der Frosch schwimmt, geht und springt; die Gans geht-fliegt und schwimmt,
Als die zu ihrer Lust drey Elemente nimmt.
Dieß Wunder-Werck, wie leider meist geschicht,
Sieht jedermann, und sieht es nicht.
Willt aber du, o Mensch! ein Mensch, und nicht ein Stein,
Bey diesem Wunder-Spiel der Creaturen, seyn;
So laß dein Hertz, durch das Gesicht,
Des Schöpfers weise Macht und Ordnung in den Wercken,
Mit Andacht und mit Lust, bemercken!
Dieß ist der Menschen Pflicht;
Dieß ist es bloß, was sie von Thieren unterscheidet.
Wer dazu nicht den Geist zu brauchen sich bestrebt,
Hat als ein tummes Vieh, nicht wie ein Mensch, gelebt.
Sein Geist (wofern ein Geist auch die Vergleichung leidet)
Kriecht, Schlangen gleich, in Wust und Roth.
An statt sich, durch's Geschöpf, zu Gott zu schwingen;
Meynt er, ihm werde schon der Tod
Zur sel'gen Ewigkeit die Flügel bringen;
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Denckt aber nicht dabey,
Daß, wenn gleich Schlangen Flügel kriegen,
Sie doch dadurch nicht ferne fliegen,
Ja daß, auf solche Weis', der Tod ihn wohl zum Drachen,
Nicht aber werde, wie er glaubt,
Zum Paradises-Vogel, machen.
Doch wer sich Gottes freut, auf Seine Wunder achtet,
In allem Seine Huld und weise Macht betrachtet,
An allen Orten Gott allgegenwärtig sieht!
Wird, mit gelass'ner Seel' und fröhlichem Gemüth,
Wenn andre mißvergnügt, um alles murrend, klagen,
In friedlicher Gelassenheit,
Was ihm begegnet, tragen;
Und, wann sein Schöpfer ihm vergnügte Zeiten gönnet:
So wird das Glück von ihm gefühlet und erkennet.
Gewohnheit bringt ihn nicht zur Unempfindlichkeit;
Und dadurch preis't er GOTT, und suchet seinen Willen,
Aus Furcht und Schrecken nicht, aus Liebe, zu erfüllen.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Spiel der Natur. Spiel der Natur. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-43E0-4