[114] Die himmlische Schrift

Ihr Sonnen, die ihr ohne Zahl,
Im unergründlichen unendlich-weiten Thal
Des hohlen Firmaments stehet:
Ihr Welten, die ihr euch um diese Sonnen drehet,
Die voller Wärm' und Licht, voll Strahlen, Glantz und Gluth;
Es soll von euch mein fast entzückter Muth
Ein Andacht-volles Lied, ein Ehrerbietig's Singen
Dem grossen ALL zum Opfer bringen.
Ich fühle, daß mein angeflammter Geist
Dem gross- und kleinen Kreis der Erde sich entreisst,
Zugleich sich in die Tief' ohn' End' und Anfang neiget,
Zugleich auch in die Höh' ohn' End' und Grentzen steiget.
Ein feur'ger Andachts-Trieb
Versetzt mich in die Ewigkeit.
Mein denckend Wesen breitet sich
In's ungemessne Sternen-Haus,
Vor Ehrfurcht stumm, vor Lust erstaunet, aus.
Da ich anitzt die allertiefste Höhe,
Den unbegrentzten Raum des hohlen Himmels, sehe,
Die Weite sonder Ziel, die Gott allein erfüllet,
Wo Sein unendlich ewig Kleid,
Gewebt aus Licht und Dunckelheit,
Sein Wesen zeiget und verhüllet;
So stellet dieser Raum recht sichtbar, hell und klar
Nicht unserm Geiste nur, den Augen selber, dar
Selbst die Unendlichkeit,
In deren Tiefe Licht und Dunckel sich vereinet,
Die sonder Farbe blau, dicht sonder Cörper, scheinet.
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Vor ungeheurer Tiefe lässt
Die ungeheure Tief', als wäre sie nicht tief:
Es scheint der leere Raum, als wär' er voll und fest,
Da doch in diesen hohlen Gründen,
Wenn gleich ein schneller Blick beständig vor sich lief,
In Ewigkeit kein Ziel, kein Grund, zu finden:
Und dennoch können wir so ungemess'ne Höhen
Mit unsern kleinen Augen sehen.
O Wunder, das kein Mensch begreifen
Und keine Klugheit fassen kann!
O Wunder-Werck, worin sich alle Wunder häufen!
Ach schauet es mit Ehrfurcht an!
Ein Schau-Platz, welcher Millionen
Und Millionen Meilen groß,
Ein Platz, in dessen weitem Schooß
Viel Millionen Sonnen wohnen,
Kann, nebst verschied'nen Erden,
Auf einmahl übersehen werden,
Auf einmahl in die spiegelnden Krystallen
Von unsern kleinen Augen fallen,
Und sich so eng zusammen ziehn.
Ach laß mich doch, mein Gott, mit Ernst recht oft bemühn,
Damit mein forschendes Gesicht
Auch durchs Gestirn oft sey auf Dich gericht't!
Durch diese Wunder-reiche Klarheit
Wird mein erstaunt Gesicht erquickt;
Doch zittert Aug' und Hertz, wenn, halb entzückt,
Ich diese Himmel-feste Wahrheit
Von dieser Lichter Wunder-Grösse
Mit Augen der Vernunft ermesse;
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Da, wenn ich nah bey einem jeden stünde,
Ich einen jeden ja so groß,
Als wie ich itzt des gantzen Himmels Schooß,
So wie ich ihn hier sehe, fünde:
Indem ja Jupiter allein,
Nach aller Stern-Verständigen Beweis,
Mehr als acht tausend mahl soll grösser seyn,
Wie unser gantzer Erden-Kreis.
Ob gleich Huygenius, Cassin,
Horoccius und Wendelin,
La Hire, nebst Flamstedius,
Auch Newton und Ricciolus
Von unsrer Sonnen Grösse schreiben,
Sie sey entsetzlich, und die Zahl,
Wodurch dieß helle Licht-Gefässe
An Grösse dieser Erden Grösse
Noch überträf', auf viel viel hundert tausend treiben;
So wollen wir jedoch das allerkleinste setzen,
Und sie auf hundert tausend mahl
Nur grösser, als die Erde, schätzen.
O Gott! wo bin ich doch? wer bin ich? Ich verschwinde,
Indem ich nicht einmahl die Welt,
Nebst allem, was sie in sich hält,
Nur in Vergleich mit einer Sonne, finde.
Solch eine Grösse kommt, wie leicht zu glauben, mir,
Wenn ich sie recht erweg', entsetzlich herrlich für;
Ja, wenn wir endlich gar bey dieser Gröss' und Länge
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Noch vollends erst die ungezählte Menge,
Ja die Unendlichkeit
So ungeheurer Lichts- und Sonnen-Cörper schauen
Mit Augen unsrer Seel'; entsteht ein heiligs Grauen.
Im Haupt wird das Gehirn, das Hertz in unsrer Brust,
Von einer frohen Angst, von einer bangen Lust
Geklemmt, gedruckt, gepresst,
Indem der Gottheit Bild,
Wodurch der gantze Bau der grossen Welt erfüllt,
Sich nicht ohn' Ehrfurcht schauen lässt.
Es überleg' ein Mensch, wie ihm zu Muthe seyn,
Welch ein Entsetzen ihn mit Lust befallen würde,
Wenn seinem heiteren Gesicht
Von solchem hellen Schein,
Von solcher Gröss' und schrecklich schweren Bürde
Der Blitz-geschwinde Flug, und zwar von einer nicht,
Von tausend Millionen Kreisen,
Sich sollt' auf einmahl weisen.
Des grossen Schöpfers Wunder-Wercke
Vermehren sich bey mir auf wunderbare Weise,
Wenn ich an die geschwinde Reise
So grosser Cörper denck, und an die Stärcke,
Die sie bewegen kann: da erstlich ausgemacht,
Und durch die Rechnung längst gefunden,
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Daß ungefehr in achtzehn Stunden
Die Kugel, welche man aus einem Stücke scheusst,
Wie schnell sie gleich die Luft durchreisst,
Den Durchschnitt unsrer Welt vollführen könne.
Nun soll der Venus Schnelligkeit
Auf hundert sechs und viertzig mahl so weit
Sich, an Geschwindigkeit, erstrecken.
Wer kann doch, sonder Schrecken,
Solch ungemessner Gröss' und ungeheurer Last
Und ungezählter Meng entsetzlichs schnell Bewegen,
In seiner Seelen, überlegen?
Wer kann der so verschied'nen Kreise
Verschied'ne Gröss' und grausam schnelle Reise,
Ohn' einen Seelen-Schwindel, sehn
Entsetzlich durch einander gehn,
Und zwar so ordentlich sich drehn,
Daß nach viel tausend Jahren
Sie noch dieselben sind, die sie vorhero waren?
Es hat sie nichts verwirrt, nichts ihre Kraft geschwächt,
Nichts ihren Lauf gehemmt, der unaufhörlich recht
In steter Ründe fliegt.
Gewiß mich überläuft ein schreckendes Vergnügen,
Wann sich mein Geist dahin, bloß in Gedancken, lenckt,
Und nur von weitem einst an einen Raum gedenckt,
Wo, in so grosser Eil', so grosse Cörper fliegen.
Sprich nicht: ich würde ja solch ein geschwindes Rennen
Von so entsetzlichen Geschöpfen sehen können.
Es folget nicht, indem ja unsre Augen
Nicht das, was sich zu schnell bewegt, zu fassen taugen.
Wenn wir ein feurig Holtz, das glühet, drehen:
So scheint's ein feur'ger Kreis, und gäntzlich still zu stehen.
Es kommt hinzu, daß der Bewegung Stand,
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So wie der Stand der Ruh', uns gäntzlich unbekannt:
Da von Geschöpfen ja ein ruhiges Verweilen
Nicht mehr natürlich ist, als ein geschwindes Eilen.
Durch Gottes Willen fliesst sowohl die rege Fluth,
Als daß die Erd' in sich natürlich ruht.
Erweg't nun die fast grause Kraft,
Die bloß allein dazu gehöret,
Den gantzen Erden-Ball, daß er geschwinder fähret,
Als eine Kugel, fort zu bringen!
Betrachtet eine Kraft, die, durch ein stetes Schwingen,
Viel tausend Cörper mit sich rafft,
Wovon verschied'ne noch viel tausendmahl so groß!
Wer kann des Wesens Macht, das alles dieses fasst,
Erschaffen hat, erhält und träget,
Allegegenwärtig führt, beweget,
Und zwar,
Daß alles sich, in stiller Majestät,
Und stets unwandelbar, in solcher Eile, dreht,
So unbegreiflich wunderbar,
In solcher Ordnung leiten kann,
Ohn' einiges Erstaunen, sehen!
Ach! wie verschwinden hier die kindischen Ideen
Von einem alten Mann,
Womit so mancher Mensch erbärmlich sich getragen,
Und, da er sich dadurch ein Götzen-Bild gemacht,
Sich um die Gottheit selbst, durch eigne Schuld, gebracht.
Bedencke, lieber Mensch, um Gottes willen,
Wie gröblich du gefehlt! wie närrisch deine Grillen,
Die, fast wie Lucifern, dein eitles Hirn erfüllt,
Da du, aus einem stoltzen Triebe
Der abgeschmackt'sten Eigen-Liebe,
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Fast mehr dich selbst zum Gott, als GOTT zum Menschen, machest,
Und wirklich, wenn mans recht erweget, Gott verlachest.
Dein alter Gott-Mann muß entweder klein,
(Der etwa, wie ein Fürst, durch andere, regieret,
Durch andre, sieht und hört und seinen Scepter führet,)
Wo nicht, müst' er ein Mann von solcher Grösse seyn,
Dem hundert tausend tausend Meilen
Nicht einst ein Glied von seinem Finger theilen.
Ja, wär' er auch so groß: So wär' er dennoch klein.
Denn hätt' er eine Form: So müst' er endlich seyn.
Was endlich's aber nun von einer Gottheit glauben,
Heisst, Ihr Allgegenwart, ja gar die Gottheit, rauben.
Unendlich ewigs ALL, laß unsrer Seelen Augen,
Durch Deine Lieb', eröffnet seyn,
Daß wir der wahren Gottheit Schein,
In Deinem Werck zu seh'n, und zu verehren, taugen!
Laß unsre Seelen doch Dein unbegreiflichs Wesen,
Im Buch der Creatur, erstaunt, mit Ehrfurcht, lesen!
Laß uns, auch in der finstern Nacht,
Von Deiner unerschaff'nen Macht,
In funckelndem Gestirn, das herrliche Gepränge,
Die ungeheure Gröss', und ungeheure Menge,
Und ungeheure Schnelligkeit
Der himmlischen Geschöpf' besehen und besingen!
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So werden wir, in allen Dingen,
Dich, HERR, allgegenwärtig sehn,
Uns selbst vernichtigen, und dich allein erhöhn.
Seh' ich den Himmel an, so kömmt mir sein Sapphir
Als eine Tafel für,
Die unermeßlich ist, auf welcher eine Schrift,
Die des allmächt'gen Schöpfers Wesen,
Huld, Weisheit, Macht und Majestät betrifft,
Im schimmernden Gestirn, in heller Pracht zu lesen.
Hilf Gott, welch eine Schrift! O! welch ein Wunder-Buch,
In welchem die Gestirne Zeilen,
Die Lettern grösser sind, als hundert tausend Meilen,
Woran, in wunderbarem Schein,
Die Puncte selbsten Sonnen seyn!
Ich seh' es, gantz erstaunt, in tiefster Ehrfurcht, an,
Und, ob den Inhalt gleich mein Geist nicht fassen kann:
So spür' ich doch, daß sie mich so zu dencken treibt:
So schreibt der Schöpfer, wenn Er schreibt.
O dreymahl höchst beglückt', o dreymahl sel'ge Seelen,
Die GOTT, das höchste Gut, dereinst wird auserwählen,
Der ew'gen Weisheit Licht noch tiefer einzusehn,
Und Ihn, den Schöpfer selbst, den Inhalt, zu verstehn!
Indessen müssen wir,
Zu unsers Schöpfers Ruhm, so lange wir noch hier,
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Das Wunder-ABC der Sternen
In Ehrfurcht buchstabiren lernen.
Es ist kein' eintzige Figur
Im gantzen Reiche der Natur
Zu finden, ja nur zu erdencken,
Die, wenn wir Blick und Witz in diese Höhe sencken,
In diesen tiefen Gründen,
In dem unzähligen Gestirn, nicht auch zu finden.
Sprich nicht: Was Schrift? ich kann sie nicht verstehn
Ja nicht einmahl die Lettern sehn.
Denn hör! Kannst du die Lettern der Sinesen,
Der Araber, der Russen, lesen?
Und kommen ihre Schriften dir
Nicht gantz verwirrt, ja sonder Ordnung, für?
Die doch, wenn wir sie erst begreifen und entdecken,
Gar oft voll Geist und Weisheit stecken.
Ich bin, ob dieser Schrift, im Dencken und im Lesen
Gar oft erfreut, gar oft erstaunt gewesen.
Noch jüngst, als ich im Buch der Sternen,
Mit inniglicher Lust, studirte,
Und, voller Ehrfurcht, buchstabirte;
So deucht mich, daß ich hie und da
Und überall geschrieben sah
Den grossen Namen JEHOBAH.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Die himmlische Schrift. Die himmlische Schrift. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-44E7-C