Die Wein-Rebe

Die Sonne stund schon in der güld'nen Wage,
Als ich, an einem heitern Tage,
In einen Saal, der Süd-wärts lage, trat,
Den, weil ihm manches Reben-Blatt
Die klaren Fenster gantz verhüllte,
Ein grüner Schatten gantz erfüllte.
Es schmeichelte das halb gebroch'ne Licht,
Durch das begrünte Laub gefärbt, mir das Gesicht,
So daß ich mich vergnügt ans Fenster setzte,
Am schönen Sonnen-Schirm des Wein-Stocks mich ergetzte,
Durch seinen Schmuck gerührt, die Sinnen aufwärts triebe,
Und, zu des Schöpfers Ruhm, Sein schön Geschöpf beschriebe.
Man kann auf Erden nichts so schön,
Als zartes Laub in solcher Stellung, sehn,
Da nemlich Licht und Tag durch sein Gewebe scheint,
Und mit dem Grünen sich ein güld'ner Strahl vereint,
Wodurch man alle Pracht, die in den Blättern stecket,
In der Durchsichtigkeit am deutlichsten entdecket.
Wie wann des Nachts ein Licht
Durch ein mit Oel getränckt Papier, das bunt bemalet,
Mit schön gefärbtem Glantz und buntem Schimmer strahlet;
So strahl't, so drenget sich und bricht
[322]
Der hellen Sonnen Strahl, bey heiterm Wetter,
Durch die so schön geformt- als schön gefärbten Blätter.
Viel tausend Aederchen, die sonsten nicht zu sehn,
Wodurch die Nahrungs-Säfte fliessen,
Sieht man sodann in schönster Ordnung stehn.
Es scheint, als ob ein jedes Blatt
Die Bildung eines Baumes hat.
Der Stengel ist der Stamm; Aus diesem Stamm' entspriessen
Fünf Haupt-Zweig', und aus diesen Zweigen,
An deren jedem sich fünf Neben-Aeste zeigen,
Entsteht ein Blätter-Heer, die darin bloß allein
Von denen unterschieden seyn,
Womit sonst and're Bäume prangen,
Daß and're Blätter frey, da die zusammen hangen.
Je mehr man sie besieht, je mehr man sie betracht't,
Je mehr vermehret sich die Lust in ihrer Pracht.
Zumahl an einigen, die aus der Maassen schön,
Vermocht' mein Auge sich nicht satt zu sehn,
Die gantz Zinnober-roth, wie reines Schnecken-Blut:
Ja wie ein funckelnder Rubin,
Da jedes von der Sonnen-Gluht,
Die durch sie strahlt', ein funckelnd Licht erhielte:
Und weil der Adern helles Grün
Smaragden-gleich, bey dieser Röthe, spielte;
Sah ich in jedem Blatt sich von zween Edelsteinen
Die Farben und den Glantz vereinen.
Ja der so schönen Farben Band
War gleichsam eingefasst in einem güld'nen Rand',
In dem verschied'ner äuss're Grentzen
In einer gelben Farbe gläntzen.

[323] Aria.

Ihr lieblichen Kinder der flammenden Sonne,
Ihr gläntzenden Farben, erreget in mir
Ergetzende Triebe,
Vergnügende Wonne,
Und diese begeistern die rege Begier.
Dann wünsch' ich von Hertzen, in flammender Liebe,
In grünender Hoffnung, im Golde der Freuden,
Dem Schöpfer zur Ehre, die Seele zu kleiden.
Nachhero fielen mir, durch's Auge, die Gedancken,
Nebst den so reich-belaubten Rancken,
Auch auf der kleinen Häcklein Menge,
Die oft, den Gabeln gleich, und oft, wie kleine Schlangen,
Mit holden Circkelchen sich an die Reben hangen,
Sich um die Zweig' und Stengel schlingen,
Wodurch der Wein-Stock selbst sich in die Höhe schwingen,
Und, weniger verwirrt, die Frucht zur Reife bringen,
Auch sie der Sonne nähern kann.
Ich sahe dieß, und sah's mit Andacht an.
Aria.

Wenn ich die Rebe sehe,
Wie sie sich in die Höhe
Durch selbst-gezeugte Häcklein schwingt;
So wünsch' ich, daß es meiner Seele
Auch nicht an solchem Werckzeug fehle,
Damit sie allgemach sich von der Erd' entferne,
Und, durch's Geschöpfe, sich zum Schöpfer heben lerne.
[324]
Was soll ich von der Frucht, des Herbstes Kron' und Ehre,
Selbst von der röthlich-braun- und blauen Traube, sprechen?
Der Sonnen-Strahlen Glantz, die durch jedwede Beere,
So Hyacinthen gleich, mit hellem Schimmer brechen,
Entdeckten mir
So gar der Trauben inn're Zier,
Die Kerne, die wir sonst nicht leicht entdecken können.
Die gantze Traube war
Durchsichtig und so klar,
Wie ein Rubin-Balas; es schien
Ein kleines rothes Licht in jeder Beer' zu brennen.
Man sah das saft'ge Fleisch, so weißlich-grün,
In einer rothen Haut verhüllet,
Und beyde Theile gantz mit Adern angefüllet,
Die den vergnügenden und süssen Wunder-Saft,
Wovon die Freuden-reiche Kraft
Oft unsre trübe Sinne spüren,
In ihren zarten Röhren führen.
Durch diesen dreyfach-schönen Schein
Gerühret, fiel mir folgend's ein;
Aria.

Ihr zierlich-geründete Nectar-Behälter,
Süß-säurliche Balsam-Frucht, trinckbare Kost,
Ihr strotzende Beeren, aus welchen die Kelter
So Zungen- als Seelen-erquickenden Most,
Den schäumenden Tröster der Traurigen, pressen;
Wer, was euch erfüllet und was euch bedeckt,
Mit menschlichen Sinnen erblicket und schmeckt,
Wie kann der des herrlichen Schöpfers vergessen?
[325]
Wann auf der aufgequoll'nen Ründe
Der süssen Beer' in ihrem Thau
Ich ein gefärbtes Nichts, ein gleichsam-geistig Blau
Und unfühlbare Farben finde;
So scheinet mir ihr schön- doch unbeständ'ger Schein
Der ird'schen Schönheit Bild zu seyn.
Arioso.

Irdische Vollkommenheit
Wechselt, ändert sich und schwindet.
Wer drauf achtet, der befindet
Ueberall Vergänglichkeit.
Dennoch wer nach Freude strebt,
Die beständig; der erwähle
Irdische Vollkommenheit.
Denn so wie ein' ew'ge Seele
Auch in morschen Cörpern lebt;
So ist ew'ge Herrlichkeit
Ueberall auch hier zu finden,
Wenn wir nemlich in den Wercken,
Und derselben Wunder-Pracht,
Dessen Hand, der sie gemacht,
Mit vergnügter Ehrfurcht mercken,
Und, da alle Dinge schön,
Im Geschöpf den Schöpfer sehn.
Auf mancher Beere nun, worauf kein Duft zu sehn,
Gläntzt auf der glatten Ründ' ein weisser Schein,
Worin, wiewohl unglaublich klein,
Die Bilder jedes Ding's im Wiederschein entstehn.
[326]
Ja beym Gesichts-Kreis selbst stellt oft in schönster Zier,
Durch Felder, Wälder, Thal und Hügel,
Des kleinen Scheines kleiner Spiegel,
Der selber kaum zu sehn, die schönste Landschaft für.
Aria.

Welch ein Wunder, daß die Augen
Dieses zu betrachten taugen,
Solche Gröss' im Kleinen sehn!
Mensch, hier must du weiter gehn,
Mit dem Schöpfer dich vereinen,
Und Den, im unendlich Kleinen,
Der unendlich-groß, erhöhn.
Von der, auf tausend Art, verdrehten Blätter Menge,
Die sich mit lieblichem Gedränge
So angenehm verwirren und verschräncken
Erblickt' ich unverhofft auf Pfost- und Fenster-Bäncken,
Ja an den Scheiben selbst ein schertzend Schatten-Bild.
Sie waren nemlich gantz
Mit lieblich-schwartzem Laub' erfüllt,
Indem der Sonnen güld'ner Glantz,
Durch's wahre Laub gehemmet, auf sie strahlte,
Und eben dadurch die Figur
Der ihn verhindernden gezackten Blätter malte,
So künstlich, daß kein Künstler der Natur,
Im Laub- und Blätter-Werck, so zierlich folgen kann.
Man sah die Fenster-Bänck' und Pfosten so gezieret,
Und fast nicht anders an,
Als wären sie mit Gold und schwartz lackiret,
So zierlich war durch Schwartz das Schatten-Laub gebildet.
[327]
Es schienen durch den Strahl die Oeffnungen vergüldet,
Ja das gevierte Fenster-Bley
Formirt' hierauf manch' klein-gevierte Schilderey.
Des klaren Glases glatter Schein
Schien einem Firniß gleich zu seyn.
Ein Vorhang, welcher sonst einfärbig grün,
Ließ durch dieß Schatten-Spiel mit Laub bewirckt, und schien
Geblühmt wie ein Damast: Kurtz, alles dieß zusammen,
Form, Farben, Schatten, Licht, Veränderung und Glantz
Vergnügten meine Seel', entzückten mich fast gantz,
Und fachten in mir an geweihter Andacht Flammen.
Aria.

Das alles auf unserem irdischen Kreise
Vom Göttlichen Finger so herrlich geziert;
So lerne, mein Hertze, dem Schöpfer zum Preise,
Auf welche vergnügliche liebliche Weise
Auch irdische Schönheit zur himmlischen führt!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Die Wein-Rebe. Die Wein-Rebe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-44EA-6