[464] Das Norder-Licht

Wie ist es doch so hell? Was ist es für ein Licht,
Das, da der Mond nicht scheint, durch dunckle Schatten bricht?
So dacht' ich, als ich jüngst, fast mitten in der Nacht,
Aus meinem Fenster sah. Doch wie ward mir zu Muth,
Als mein bestürtzter Blick sich in die Höhe zog,
Und, daß ein' allgemeine Gluht
Durch alle Himmels-Theile flog,
Recht mit Entsetzen fand!
Oft fliegt ein schneller Rauch, oft lässt's, als ob von Schnee
Ich, Streifen-weis', ein dünn Gestöber seh.
Es blitzt', es strahlt', es schoß
Ein wildes Feur durchs gantze Firmament.
Ein wallend Flammen-Meer ergoß,
Mit einem dicken Schwall,
Sich, wie ein Blitz, oft überall.
Oft schien die schnelle Fluth zertrennt
In grossen Strömen fortzueilen;
Bald waren Gluht und Fluth verschwunden;
Die aber, wie der Blitz, geschwind aufs neu entstunden,
Aufs neue wüteten, mit Strahl- und Feuer-Pfeilen
Begleitet und vermengt. Ein fürchterliches Wittern,
Ein unbeschreiblich streng, oft wiederhohltes, Zittern
Erschütterte, nebst allen Himmels-Theilen,
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Auch mein beklemmtes Hertz. Denn ob mir gleich der Brand,
Daß es das Norder-Licht, nicht unbekannt;
So war iedoch das strahlende Bewegen
Des gantzen Firmaments so heftig, daß ich mich
Zu dencken, wie folgt, nicht konnt' entlegen:
Wie ist mir? schwindelt mir? zertheilet sich, zerfällt
Der gantze Bau der Ober-Welt?
Lodernde Flammen mit wallenden Blitzen
Fliegende Düfte, voll strahlender Spitzen,
Circkeln sich, wirbeln sich, schiessen zusammen;
Leuchten und schrecken, verschwinden, entstehn,
Wallen und wittern, erscheinen, vergehn.
Allein:
Dort zeigt sich gar ein bunter Blitz und Schein.
Gelb, feurig, grün und blau
Färbt sich ein Flammen-Heer.
Es schrecket und ergetzt zugleich die bunte Gluth.
Recht wie die Wellen sich, in einer wilden Fluth,
Bestürmen, fressen und verdringen;
So sieht man hier, im bunten Feuer-Meer,
Die regen Flammen sich verschlingen.
Was aber mag doch wohl der Schein
Recht eigentlich, und was die Ursach seyn?
Auf! auf! mein Geist, du must dich aufwärts schwingen!
Bestrebe dich, mit Ehr-Furcht in die Tiefe
Der wirckenden Natur zu dringen,
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Zu unsers Schöpfers Preis'; üm auch in diesen Dingen
Sein' Allmacht, Seine Lieb' und Weisheit zu besingen.
Dieß wird, wenn auch ein Fehl mit unterliefe.
Ihm hoffentlich doch nicht zuwider seyn.
Es scheinet zwar von diesem Luft-Gesichte,
Worauf ich nun mein Dencken richte,
Die Ursach diese: Wenn die Nacht
Auch noch so schwartz, so dunckel und so dicht;
So ist dennoch, vom Sonnen-Licht
Und ihrer immer hellen Pracht,
Das gantze Firmament beständig angefüllt:
Ob gleich der Schatten unsrer Erden,
Der durch die Dichtigkeit derselben, uns ümhüllt,
Das Licht nicht lässet sichtbar werden,
Als welches, sonder Gegenschlag,
Auf unser Aug' zu wircken nicht vermag.
Daher nun kommt es mir
Nicht unwahrscheinlich für,
Daß etwa Dünste sich zu solcher Höh' geschwungen,
Daß sie den Schatten durchgedrungen,
Den unser Erd-Kreis macht; wodurch sie, von dem Schein
Des Sonnen-Lichts so dann getroffen, sichtbar seyn.
Allein,
Weil dieses gar zu fern, fällt mir ein' Ursach ein,
Die näher ist. Vielleicht kann dieses Licht entstehen
Aus Dünsten, die voll Saltz, und die den Theilchen gleich,
Die wir im saltzen Wasser-Reich
Im Dunckeln schimmern sehen.
Des Windes Heftigkeit, die sie zusammen treibet,
Und dadurch an einander reibet,
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Verrichtet das vilelleicht, was in des Meeres Fluth,
Durch strengen Druck, ein Ruder thut.
Daß aber diese Gluth so schnell, so heftig gehet,
Kommt sonder Zweifel wohl daher,
Daß in dem grossen Raum, wo alles leer,
Nichts ihrem Triebe wiederstehet.
Wer weis, ob aus dem Nord-Pol nicht
Ein Duft-Fluß unaufhörlich bricht,
Und üm den Kreis der Erden fliesset?
Der (wie man am Magnete sieht,
Den man in Loder-Asche leget,
Um den die Asche sich beweget,
Und gleichsam Ost- und West-wärts flieht)
Beständig Ost- und West-wärts schiesset;
Und daß, nur zu gewisser Zeit,
Und Umständ', in der Luft, der Duft zur Sichtbarkeit,
Durchs Sonnen-Licht bestrahlt, gelange.
Aufs mind'ste giebt es uns mit Recht zu überlegen,
Was für Veränd'rungen, was für Bewegen
Oft in der Luft gewircket werden müssen,
Wovon wir hier nicht das geringste wissen.
Jedoch, es sey auch, was es sey,
Hat jemand bessere Gedancken,
So stimm' ich gerne bey:
Es ist mein End-Zweck nicht, zu zancken;
Nein, sondern aus dem Glantz, den wir im Nord-Licht schauen,
Nebst andern, mich, zum Ruhm des Schöpfers, zu erbauen.
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Unglaublich ist, was diese Norder-Fluth
Für Nutzen und für Dienst, im dunckeln Norden thut.
Da in den langen Finsternissen
Die Menschen heller noch, als wie vom Monden-Schein,
Durch dieses Luft-Gesicht, erleuchtet seyn.
Wer wird aufs neu hieraus nicht anerkennen müssen,
Daß eine weise Macht den Bau der Welt formirt;
Daß eine weise Macht denselben noch regiert;
Und daß, wenn wir als Menschen leben wollen,
Wir diese weise Macht, voll Andacht, preisen sollen?
Wir lassen denn zugleich, da wir die Wahrheit finden,
Bey dieser nützlichen und schönen Morder-Gluth
Mit Recht forthin den eitlen Schrecken schwinden,
Und loben den, der in der Lüfte Gründen,
Auf Erden, in des Meeres Fluth,
An allen Enden Wunder thut.
Doch wollen wir zugleich die Macht des HERRN der Sternen,
Bey solchen Wundern, fürchten lernen.

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Das Norder-Licht. Das Norder-Licht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-44FB-F