[700] Irrthum der Eigen-Liebe

Ach! wenn du, lieber Mensch, einst in dich gehen,
Und recht mit Ernst die eigenen Ideen,
Die von der Gottheit du dir machst, betrachten wolltest;
Wir würden, wenn du sie uns recht erklären solltest,
Vermuthlich anders nichts in ihnen sehen,
Als ein Ehr-würdig Bild von einem alten Mann,
Der groß und mächtig ist, in und nach diesem Leben,
Glück und den Himmel dir zu geben;
Und der dich auch verdammen kann.
Viel weiter geht man nicht. Hieraus nun folget klar:
Wenn nichts allhier von Gott für dich
Zu hoffen und zu fürchten wäre,
Erzeigtest du wohl sicherlich
Der wahren Gottheit wenig Ehre.
Ist also das, was dich zum Gottes-Dienste triebe,
Wenn man es untersucht, nur Eigen-Liebe.
Wir bitten meist, daß Gott, in dieser Zeit,
Uns Brodt und gute Tage gebe,
Und daß man dort in Ewigkeit,
Frey von der Höllen, seelig lebe.
Einfolglich ist es leider mehr als wahr,
Daß Eigen-Nutz und Eigen-Lieb' allein
Die Stützen deiner Andacht seyn.
Warüm betrachtest du das, was durch Gott geschicht,
In seinen Wundern nicht?
Warüm willst du in seinen Wercken
Nicht Seine Liebe, Macht und Weisheit mercken?
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Und warüm betest du Den, welcher alles kann,
Den, welcher alles wirckt, Den, welcher alles liebet,
Den, welcher alles giebet,
In heiliger Bewunderung nicht an?
Erinnre dich, wie schön,
Vom Misbrauch Gott zu lieben,
Wie wir schon einst gezeigt, so gar ein Türck geschrieben:
Ich sahe, schreibet er, jüngst auf der Gassen wandern
Ein grosses Frauen-Mensch, die in der rechten Hand
Ein brennend Feuer trug, und Wasser in der andern.
Gefragt: Zu welchem Zweck? Sprach sie: Der Höllen Brand
Lösch' ich mit dieser Fluth:
Und mit des Feuers Gluht
Will ich das Paradies verbrennen und verheeren,
Daß keiner Gott aus Furcht, noch üm Belohnung ehren;
Nein, bloß üm Seiner selbst allein
Ihn lieben mag, und Ihm ergeben seyn.
Du sprichst villeicht, daß ich mit Unrecht hier
Der Eigen-Liebe Trieb verdamme;
Da, aus der nützlichen Begier,
Uns zu erhalten, dir und mir
Doch so viel nützliches und gutes stamme;
Ja daß dieselbige nicht nur
Uns von der gütigen Natur
In unser Blut und Hertz gesencket;
Nein, daß so gar, wenn man es recht bedencket,
Des Schöpfers Ehre selbst mit ihr vereint!
Da man von Ihm nichts Gutes wünschen kann,
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Ohn' daß man nicht von ihm zu gleicher Zeit auch meynt,
Er habe Macht und Weisheit, iedermann
Zu helfen, wenn es Ihm gefällt.
Du fährst vielleicht noch fort, und sprichst, daß in der Ehre,
Die ich dem Schöpfer dieser Welt,
In den Betrachtungen von Seinen Wundern, weih',
Nicht minder Eigen-Liebe sey.
Du zweifelst noch wohl gar, obs eine Ehre wäre,
Des Schöpfers Wercke zu betrachten:
So dien' ich dir hierauf, und bitte, drauf zu achten.
Ich tadele den Trieb der Eigen-Liebe nicht,
Und ich versencke mich ins Boden-lose Meer
Der Mystischen Vernunft so blind nicht, wie du meynest.
Ich glaube nicht, wie du von mir zu glauben scheinest,
Als ob es nicht erlaubet wär',
An das uns selbst von Gott geschenckte Wesen
Nur im geringsten zu gedencken.
Ach nein! es kann gar wohl zusammen stehn,
Des Schöpfers Creatur bewundernd anzusehn,
Und auch zugleich für uns die Gottheit anzuflehn,
Und alle Hoffnung bloß auf Ihn allein zu lencken,
Als worin Er zugleich mit wird verehrt.
Allein, der Seelen Kraft so gar auf uns zu lencken,
Daß wir des Schöpfers nicht, als uns zum Nutz, gedencken,
Zeigt wenig Menschlichkeit, und heisst fürwahr geheuchelt.
Ein Hund, der hungrig ist, und seinem Herren schmeichelt,
Verehret ihn ja nicht: Er sucht für seinen Magen
Nur bloß die Kost durch Schmeicheln zu erjagen,
Um weiter nun zu gehn, so meynest du,
Daß in Bewunderung der schönen Creaturen
Auch klare Spuren
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Der Eigen-Liebe stecken:
So geb' ich dieses dir, ja noch ein mehres, zu.
Daß nemlich eigentlich die Triebe
Von einer wahren Gottes -Liebe
Sich selber im Geschöpf' entdecken.
Da Gott der Menschen Lust mit Seiner Ehr' verbindet,
Und Seinen Ruhm, (o Lieb'!) in unsrer Freude findet.
Dein letzter Zweifel ist: Ob es der Schöpfer achte,
Wenn man die Herrlichkeit in Seinem Werck betrachte.
Allein selbst Gottes Wort zeigt dieses deutlich an,
So daß kein Mensch mit Recht hieran mehr zweifeln kann;
Er woll' uns denn die Bibel, und den Glauben,
Die Menschheit uns, und Gott, den Vater-Namen, rauben.
Lasst uns denn Gottes Werck' mit Freuden sehn!
Lasst uns derselben Herrn, als Schöpfer, doch erhöhn!
So werden wir darin, ie mehr wir sie ergründen,
Des Segens, Glücks, und der Vergnügung Frucht,
Die sonst die Eigen-Lieb' ümsonst gesucht,
In Gottes Lieb', aus Gnad', hier und dort ewig finden.

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Irrthum der Eigen-Liebe. Irrthum der Eigen-Liebe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-44FF-7