[210] Der Fisch-Teich

Es stösst an meinen dicht-belaubten Bogen-Gang
Ein Fisch-Teich, der, so breit, als lang,
Ein Regel-rechtes Viereck zeiget.
Das Ufer deckt beblühmtes Gras,
Und, weil es allgemählig steiget,
Scheint jede Seit' ein kleiner Hügel.
Das glatte Wasser scheint ein Glas
Von einem rein polirten Spiegel,
Der, an der Seiten, uns der Erden grüne Zier,
Und, in der Mitte, gar den himmlischen Sapphir,
Des Tages voller Glantz, des Nachts voll Sterne, zeiget,
Und so die schöne Pracht des Himmels und der Welt
Verdoppelt uns vor Augen stellt.
Wenn ich der grünen Klarheit Grentzen,
Mit aufmercksamem Blick, beschau';
Seh ich des Himmerls funckelnd Blau
Oft rein, oft hier und dort voll Wolcken-Silber gläntzen.
Man kann, wenn man's erweget, finden,
Wie, voller Licht und Klarheit, hier
Des Himmels und der Erden Zier,
Auf einer Stelle, sich verbinden.
Ach, daß man nicht den Schöpfer preiset,
Wenn man so holde Schönheit sieht,
Womit sich die Natur, auf sein Geheiß, bemüht,
(Um es in's Aug' uns recht zu prägen)
Sie uns gedoppelt vorzulegen!
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Denn dencket nicht, als ob von ungefehr
Des Wassers Fläche solche Glätte
Empfangen hätte.
Wie Alles, kommt auch dieß von Gottes Allmacht her.
Ach, daß ich oft an diese Wahrheit dächte!
Ach, daß doch öfters mein Gemüthe
Den Teich, von meines Schöpfers Güte,
Als einen Spiegel, brauchen möchte!
Der Schatten hier, und dort der Wiederschein
Von den geschornen Taxus-Hecken,
Wodurch der Teich umfasst, bedecken,
In einer Anmuth-reichen Pracht,
Mit grüner Dämm'rung hier, dort einer grünen Nacht,
Die unbewegte Fluth. So kräftig war das Grün,
Daß es an manchem Orte schien,
Als nähme wahres Schilf und Binsen,
Als nähmen grüne Wasser-Linsen
Des Wassers Fläche wircklich ein:
Recht leiblich schien der Schein zu seyn.
So herrlich gläntzt, so lieblich prangt die Fluth,
So lange sie, in glatter Stille, ruht.
Allein es spüret unsre Brust
Noch eine neue Lust,
So bald von ungefehr
Das Schuppen-reiche Heer
Der feuchten Fisch' aus ihrer Tiefe steiget,
Die Wunder-schön gemalte Fläche regt,
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Und, da es Licht und Laub bewegt,
Daß eins ins andre fliesst, uns deutlich zeiget,
Wie das, so wir gesehn,
Nicht eine wahre Schilderey,
Weil sie durchdringlich ist, gewesen sey.
Wir sehn sodann, durch sie, mit Haufen,
Bald hier, bald dort, halb grün- halb blaue Circkel laufen,
Nachdem die regen Kreise
Der Laub- und Licht-Schein trifft. Ich ließ, zu ihrer Speise,
Mir etwas Brodt, das sie mit Lust verschlingen,
Von meinem Gärtner bringen.
Mein GOTT, welch ein annehmliches Gewühl,
So bald das Brodt ins Wasser fiel,
Entstund im Augenblick! Die grosse Menge,
Womit der Teich erfüllt, erregt' ein lieblich Spiel,
Und ihre Gierigkeit ein lustiges Gedränge.
Es schien der gantze Teich zu leben.
Ein jedes Stücklein Brodt war alsobald umgeben
Von funfzig auf einmahl. Bald schien es Ernst, bald Schertz,
Bald stieß ein Schwarm es vor- ein andrer hinterwärts.
Man konnte, voller Lust, die blauen glatten Rücken
Oft höher, als die Fluth, in grosser Meng', erblicken.
Noch über die sieht man zuweilen
Verscheid'ne, voller Eifer, eilen.
Die liessen nun, dieweil sie alsobald,
Gehemmet durch der andern Gegenhalt,
Nicht konnten in das Wasser sincken,
Von den beschuppten glatten Seiten
Bald feuchtes Gold, bald Silber blincken.
Dort konnte man, durch ihr behendes Drehen,
Auch in der duncklen Fluth das Silber schimmern sehen.
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Wie, wenn man einen weichen Grund,
Der voller Fettigkeiten, rühret,
Man alsobald von oben spüret
Was schwärtzliches sich in die Höhe heben;
So sieht man oft, gleich einem Dunst,
Was schwärtzliches von unten aufwärts schweben,
Bis daß es höher steigt: Dann wird man erst gewahr,
Daß es ein' ungezählte Schaar
Beschuppter Fische sey. So voll war dieser Teich,
Daß, ob er gleich
Sehr tief gegraben war,
Man dennoch glaubt', auf ihren duncklen Rücken,
Kaum halbes Fusses tief, den Grund schon zu erblicken.
Ein schwärmendes Gewühl, ein liebliches Gewimmel
War überall zu sehn.
Man spüret' überall ein fröhliches Getümmel;
Es schien auf einmahl zu entstehn
Ein allgemeiner Krieg von allen gegen alle.
Wie stumm auch sonst ein Fisch; ward doch, mit lautem Schalle,
Ein Schmatzen hier gehört, das angenehm zu hören.
Dieß Anmuths-volle Wasser-Spiel
War meiner Augen Ziel,
Bis ich zuletzt,
Nachdem ich mich daran recht sehr ergetzt,
Die wunderbare Creatur,
Die sonderlich gebildete Figur
Von einem Fisch, erwog; der, sonder Fuß und Hand,
So schnell, so hurtig, so gewandt
Sich reget, stehet, gehet,
Sich sencket, sich erhöhet.
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Es fliegt ein Fisch ja recht bald auf, bald nieder,
Und solches ohn' Gefieder.
Wer niemahls einen Fisch gesehn,
Und man erzählet' ihm, es wär ein Thier zu finden,
Das aus den tiefsten Gründen
Sich, sonder Flügel, könnt' erhöhn,
Auch, sonder Hände, sich bewegen,
Und, sonder Füsse, gehn und stehn;
Was meyn't ihr? Würd' er nicht mehr, als wir sonsten pflegen,
Darob erstaunen, und gedencken:
Was muß das für ein Wunder seyn!
Ach GOTT! laß mich auf Dich allein,
So oft ich Fische seh', mein' Andacht lencken,
Und dencken: wie so groß ist doch des Schöpfers Macht,
Der, nebst der ungezählten Schaar
Beschuppter Fisch', und zwar so wunderbar,
Auch alle Ding', aus Nichts, hervor gebracht!

Notes
Erstdruck im zweiten Teil des »Irdischen Vergnügens« 1727.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Der Fisch-Teich. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-450D-0