[353] Die schnelle Veränderung

Es war bereits im Herbst, als mich ein heitrer Morgen,
Nachdem der Schatten Heer sich Westenwärts verborgen,
An meines Zimmers Fenster trieb;
Ich öffnet' es mit meiner rechten Hand,
Und meine lincke rieb
Mein noch halb schläfrig Aug', allein
Wie bald vertrieb der helle Schein,
Der Wasser, Luft und Erde füllte,
Des Schlummers Rest, der meinen Blick verhüllte!
Es hatte, nebst dem Thau, ein starcker Nebel-Duft
Aus der dadurch verklärten Luft
Sich auf die Erd' herab gesencket,
Und nicht nur Kräuter, Stauden, Gras,
Nein auch der Bäume Haupt, geträncket.
Fast alle Blätter waren naß,
Und gläntzten, durch den Sonnen-Schein,
In solcher Wunder-schönen Pracht,
Daß alles, was man sah, in heitrer Wonne lacht'.
Ihr Schimmer war fast allgemein.
Nie hab' ich auf der Welt solch einen Glantz verspüret,
Und niemahls ist mein Geist empfindlicher gerühret.
Es schien itzt die Natur der Bäume grünen Kräntzen,
Damit sie noch viel schöner gläntzen,
Und unser Aug' ergetzen möchten,
Viel bunte Bluhmen einzuflechten.
Auf vielen Blättern prangt' ein Grün mit gelb gemengt!
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Viel' andre waren gelb mit grün und roth besprengt;
Verschied'ne Bäume stunden gantz
Im gelben theils, und theils im rothen Glantz:
Von denen wiederum verschied'ne durch den Schatten,
Verschied'ne durch das Licht, vertiefet und erhöht,
In bunter Harmonie ein herrlichs Ansehn hatten.
Ein jeder Baum schien lauter Diamanten
Auf jedem Blatt' hervor zu bringen,
Und regte sich die Luft; so schien es, daß Brilljanten
Voll Schimmer, Gluht und Glantz an allen Blättern hingen,
Indem ihr gelb und roth, wodurch der Herbst sie schmückte,
Sich in die glatten Tropfen drückte,
Die denn, da sie den bunten Eindruck fühlten,
Noch desto lieblicher und schöner spielten.
Die gantze Landschaft schien, durch diesen bunten Schein,
Wodurch der Sonnen Licht, als allgemein,
Sich noch vermehrete, noch heller strahlte;
Nichts irdisches, was himmlisches zu seyn.
Indem ich nun voll Freuden stand,
Und alle Herrlichkeit, vor Lust erstaunt, besahe;
Ach höret, was mir da geschahe,
Was ich verwunderlichs empfand!
In einem Augenblick verschwand
Licht, Himmel, Sonne, Wasser, Land.
Ein' unvermuthete Pech-schwartze Dunckelheit
Verschlang das reine Licht,
Begrub des Himmels Pracht,
Vernichtigte vor mir
Der gantzen Erde gantze Zier,
Ja raubte gleichsam mich mir selbst, ich fand mich nicht.
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Hier deucht mich, hör' ich dich, mein Leser, fragen:
Wie gieng denn dieses zu? Ich will dirs sagen.
Der schnelle Wechsel-Sprung zur Finsterniß vom Licht,
Vom Schmuck der Welt zum Nichts, entstand daher,
Weil ich mein Augen-Lied ein wenig mehr
Geschlossen hielt, als insgemein geschicht;
Und bloß dadurch allein
Vergieng für mich die Welt, verschwand des Himmels Schein.
Ob dieß nun gleich von mir viel tausendmahl geschehen;
So hatt' ich doch, weil ich noch nie daran gedacht,
Es würcklich auch noch nie gesehen:
Nun aber nahm ich es in acht.
Ich wiederhohlte dieß verschied'ne mahle wieder,
Und fand, daß allemahl der Schluß der Augen-Lieder
Mich stürtzt' in eine finstre Nacht.
Mein Gott! rief ich so gleich, ist dieses wohl zu glauben?
Vermag ein wenig Haut
Mir, was Dein' Allmachts-Hand gebaut,
Des Himmels Licht, der Erden Pracht zu rauben?
Vermag sie mich von Millionen Freuden,
Ja gleichsam selber von der Welt,
Von aller Pracht, so sie enthält,
Und zwar so Wunder-schnell, zu scheiden?
Nachdem ich mich hierob ein wenig noch besann;
Fieng ich bestürtzt von neuem an:
Was bin ich denn? was ist für mich die Welt?
Mit allem, was sie in sich hält.
Wie wenig fühlet sie, ob ich sie sehe,
Wie, oder ob es nicht geschehe?
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Ach wie so schwach, wie so geringe
Ist der Zusammenhalt der Dinge,
Wodurch ich an der Erde fest,
Und wären sie auch noch so sehr mein eigen;
Wie schnell, was irdisch, mich verlässt;
Kann jeder Augenblick mir zeigen.
Allein
Bey diesem Kummer fiel mir etwas anders ein:
Ich schliesse ja die Augen-Lieder
Nicht allzeit zu, ich öffne sie auch wieder.
Will ich denn bloß an eines dencken?
Will ich denn bloß allein den Sinn
Auf das, so mir verdrießlich scheinet, lencken?
Warum erweg' ich nicht,
Daß alles das, was meiner Augen Schluß
Mir raubt, die Oeffnung mir ja wieder geben muß?
Es überkommt ja mein Gesicht,
Indem sichs schliesset, neue Stärcke.
Erweg' es, liebster Mensch, und schau des Schöpfers Wercke,
Mit neuer Fröhlichkeit, bey jeder Oeffnung an!
Laß aber ja dabey der Seelen Kern gedencken
Und, durch dein Auge, sich auf die Geschöpfe lencken;
Sonst wirst du, auch mit offnen Augen,
(Wie leider meist geschicht,) doch nichts zu sehen taugen.
Der gantze Leib sieht nichts von allem, was die Welt
Vor Pracht, vor Wunder, Glantz und Schönheit in sich hält.
Ob sie uns gleich umgeben und umringen,
Wofern sie nicht durchs Aug' uns in die Seele dringen.
Wie wenn das bischen Haut sich nie geöffnet hätte,
So wären sie jedoch nicht minder da.
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Wie manche Herrlichkeit, wie mancher Schönheit Schein
Kann folglich bey uns allen nah,
Und bloß darum verborgen seyn;
Weil Gott annoch der Seelen Thüren,
Durch welche selbige zu spüren,
Uns etwan nicht geöffnet hat.
Jemehr ich in der Augen Schluß
Und ihren Oeffnungen erwege
Die Ordnung der Natur;
Je mehr ich es bewundern muß:
Denn da der Menschen Lebens-Zeit
Ohn' all' Empfindlichkeit
Gantz unvermerckt von hinnen eilet;
So scheinet es, daß jeder Augenblick
Recht ordentlich dieselbe theilet
Und so zu sagen uns ein wahres Stück
Von unsrer Dauer zeiget.
Ach sey derhalben doch bereit,
Die Theile deiner flücht'gen Zeit,
Geliebter Mensch, wohl anzuwenden!
Ach sey bereit,
Dasjenige mit Freuden zu vollenden,
Weßhalben die Natur, mit solcher Müh,
Dich sinnlich macht!
Ach unterscheide dich doch von dem Vieh!
Beschau die Wunder-reiche Pracht
Der Göttlichen Geschöpf' in allen Dingen!
Hieraus wird dir
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Nicht dorten nur, ach nein schon hier,
Bey jedem Augenblick, ein neues Glück entspringen.
Noch mehr: so gar im Schluß der Augen stecket
Ein sonderbarer Trost für dich,
Der sich
Aufs künftige zugleich erstrecket;
Indem ja bey geschloss'nen Augen
Die Seelen ungestört von innen
Viel schärfer nachzusinnen,
Und ihre Kraft auf Den zu lencken taugen,
Deß ewig stete Pracht kein Sterblicher ermisst,
Der Alles, und nicht sichtbar ist.
Was werden wir denn nicht für stille Lust geniessen,
Wenn sich die ird'schen Augen schliessen,
Und vom Vergänglichen sich trennen!
Wie sanfte wird in GOTT die Seele sich versencken?
Was wird sie herrliches von Ihm gedencken,
Und welche Seeligkeit in GOTT verspüren können,
Wenn sie, nicht eingesperrt, wie itzt, da sie annoch
Des dichten Leibes schweres Joch,
Des Cörpers finstrer Kercker, drücket:
Der ew'gen Sonne seel'gen Glantz,
Nicht durch die Augen nur, nein gantz
In ewig-seel'ger Lust erblicket.
Ach GOTT! unendlichs ewigs ALL!
Selbstständig-seelige Vollkommenheit,
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Gib, daß, so lang ich hier mein Auge rühre,
Ich Dich, verhüllt in ird'scher Herrlichkeit,
Mit Andachts-voller Lust verspüre,
Bis daß dereinsten dort, in den gestirnten Höhen,
Ich Deine Majestät mag ungehindert sehen,
Und bloß an Dir, in ewig-seel'gen Freuden,
Gantz ungestöhrt so Seel' als Augen weiden!

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Die schnelle Veränderung. Die schnelle Veränderung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4527-3