[206] Der Mittag
Ps. CXLV, 15. 16.

Du giebest ihnen ihre Speise, zu seiner Zeit. Du thust deine Hand auf, und erfüllest alles, was lebet, mit Wohlgefallen.


Des Himmels Zier, der Erde Seel' und Geist,
Die Sonn', aus der des Lichts und Lebens Fluth,
Als einer nie versieg'nen Quelle, fleusst,
Traf mit geradem Strahl die Felder, Wald und Matten,
Erfüllete die Welt mit süsser Gluht,
Macht' kleine, ja fast keine Schatten,
Und stand im Mittel-Punct vom himmlischen Sapphir.
Auf Weiden, Schilf und Gras, auf den gebog'nen Spitzen
Sah man viel kleine Lichter blitzen.
Die dünne Luft war klar und rein,
Es blinckt' und glühte Holtz und Stein,
Es gläntzt' und strahlte Berg und Thal,
In unbeschreiblicher gantz lichter Herrlichkeit,
Durch den geraden Sonnen-Strahl:
Und kurtz, es war zur Mittags-Zeit,
Als Licidas, in einem Land-Gebäude,
Dem eine grosse Wiese nah',
Aus einem offnen Fenster sah.
Es blendet' ihn das helle Licht
Des schwühlen Mittags nicht,
Weil eine dicht belaubte Weide
Ihm seinen Stand beschattet' und bedeckte,
So daß sein Blick ins Feld sich ungehindert streckte,
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Da denn des Grases warmes Grün
Weit schöner, als Smaragd, ihm schien.
Er sah zur rechten Hand
Viel Horn-Vieh, das, gemelckt zu werden, fertig stand.
Er sah, bey mehr, als funfzig Kühen,
Um aus den Eutern Milch zu ziehen,
Geschäfft'ge Melckerinnen sitzen.
Er sah, die fette Milch in strengen Strahlen spritzen,
Daß Muld' und Eimer schäumt. Dieß sprudelnde Getön,
Zusamt dem murmelnden Getöse, so das Vieh,
Mit wiederkäuenden, nie stillen Mäulern, machte,
Schien eine sanft gedämpfte Harmonie,
Und klang recht angenehm und schön.
Die stille Heerde schien, als ob sie lag und dachte;
Es ließ der sanfte Lärm, der murmelnd rauscht' und rollte,
Als ob sie uns dadurch, zur Lehre, sagen wollte:
Künft'ger Zeiten eitler Kummer
Stöhr't nicht unsern sanften Schlummer;
Ehr-Geitz hat uns nie besiegt.
Mit dem unbesorgten Leben,
Das der Schöpfer uns gegeben,
Sind wir ruhig und vergnügt.
Indem er nun, so wie er pflegte,
Noch ferner bey sich überlegte,
Wie unstet doch der Mensch, wie unvergnügt sein Wille,
Wie sehr vergnügt hingegen und wie stille
Die ruhige gelass'ne Heerde sey;
Verspürt' er den Geruch vom erst gemachten Heu,
Wovon die frische Süßigkeit
Ihm Nase, Hirn und Hertz erfreut'.
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Er sah, mit innigem Vergnügen,
Das süsse Heu, an vielen Stellen,
In Schwaden noch, gleich trocknen Wellen,
In kleinen Hügeln theils, theils schon in Schobern, liegen,
Theils aber allbereit auf grosse Leiter-Wagen,
Mit schwer-belad'nen Gabeln, tragen:
Da denn, und zwar fast lächerlich,
Das grüne Heu, auf dünner Gabeln Stämmen,
Schnell laufenden belaubten Bäumen glich.
Ja wann es oftermahls den, der es trug, versteckte,
Und, durch die Meng' und Läng', ihn bis ans Bein bedeckte;
So ließ es anders nicht, als säh' man grosse Haufen,
Ja Hügel selbst, auf zweyen Beinen laufen.
Indem dieß ämsige Gewühl
Ihm aus der Maassen wohl gefiel;
Gieng er bedachtsam auf und nieder,
Und machte selbst dieß Heu zum Vorwurf seiner Lieder:
Wie würd' es mit dem menschlichen Geschlechte,
Und mit dem gantzen Leben stehn,
Wann nicht die Erde Gras, in solcher Menge, brächte,
Daß man im Winter sich damit versehn,
Und alles Vieh ernähren könnte,
Wann sich's nicht trocknen liess', und folglich nicht erhalten,
Ja wenn uns Gott so viel Verstand nicht gönnte,
So ordentlich den Haus-Stand zu verwalten?
Dieß kommt unstreitig nicht von ungefehr;
Es kommt von Gottes Macht, Huld, Lieb' und Weisheit her.
Er hätte mehr
Hievon gesungen und geschrieben,
Wenn nicht ein Bote kommen wär',
Der ihn zur Tafel rief. Er must' es denn verschieben.
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Wiewohl er doch, eh' er das Mittags-Mahl genoß,
Zuvor, mit diesen Worten, schloß:
Preis't und rühmet unsern GOTT,
Danckt dem Herrscher Zebaoth,
Welcher Sein Geschöpfe liebet!
Der, auf wunderbare Weise,
Allem Fleische seine Speise,
Und dem Vieh sein Futter giebet.
Preis't und rühmet unsern GOTT,
Danckt dem Herrscher Zebaoth,
Wann wir Durst und Hunger stillen!
Wann uns Früchte, Fleisch und Fische
Jeden Mittag uns're Tische,
Uns zur Lust und Nahrung, füllen.
Preis't und rühmet unsern GOTT,
Danckt dem Herrscher Zebaoth!

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TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Der Mittag. Der Mittag. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4537-1