[66] II. Sagen und Mährchen aus Böhmen, Mähren, Ungarn und Oesterreich.

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17. Libussa.

Als Krokkus, der zweite heidnische Fürst der Böhmen, starb, hinterließ er keinen männlichen Erben, sondern drei Töchter, welche Zauberinnen und Wahrsagerinnen waren. Die älteste hieß Bela, oder, wie einige schreiben, Brela, welche das Schloß Brelum erbauet, die andere Tetcha oder Techa (auch Therba und Therbiza von einigen genannt), die jüngste aber Libussa. Tetcha soll noch das Schloß Thetin oder Diewin erbaut haben, sie, so wie ihre Schwester Bela, von dem vielen Gelde, welches sie durch Wahrsagen erwarben. Libussa war aber nicht allein viel geschwinder und erfahrner, als die anderen, sondern auch milder; denn sie forderte von niemand nichts und weissagete fürnehmlich, wie es dem Volke ergehen würde. Deshalb ward ihr auch, durch sonderliche Gunst des Volkes, das Regiment vertraut. Diesem stand sie etliche Jahre wohl vor und befestigte das Schloß Wischerad, ehe daß die Stadt [69] Prag gebaut wurde. Als sie aber auf eine Zeit, der Billigkeit nach, einem Reichen, wider einen armen Mann, die Sache absprach, gab sie derselbe bei den Männern an und wendete daneben für, es wäre eine Schande, daß ein Weib über sie regieren solle, welches dann denen, so Lust zu Veränderungen hatten, eine angenehme Rede war. Dieselben kamen darauf auf das Schloß Libus, welches Libussa sich an dem Orte an der Elbe erbauet hatte, da jetzo Kolin ist, am 10ten Mai 722 zu ihr, worauf sie sich billig entschuldigte, doch dadurch nichts erhalten mochte und befürchtete, daß nicht irgend einer zum Regiment erfordert würde, der ihr wenig recht, so erhielt sie von den Unterthanen, daß mehr durch das Orakel und ihre Weissagung, denn durch menschliche Wahl, ein Fürst erwählt würde. Deswegen hieß sie sie alle am folgenden Tage wieder kommen, anzuhören, was für ein Fürst durch die Weissagung würde erwählt werden.

Folgendes Tages kamen die Unterthanen auf die angesetzte Stunde zusammen und begehrten anzuhören, was sie für einen Regenten bekommen würden. Derowegen kam Libussa mit ihrem Frauenzimmer herfür und fragete sie, ob sie denn von ihrem Vornehmen nicht wollten ablassen? Nachdem sie aber auf demselben bestunden, sagte sie, daß Gott ihr einen Ehemann und ihnen, den Unterthanen, [70] einen Regenten hätte gegeben, mit Namen Primislaus. Weil sie sich aber über beide, den Namen und Person, so ihnen ganz unbekannt, entsetzten, fragten sie Libussa, wo dieser Mann sich aufhielte? Libussa antwortete: es wäre zwar ein Inwohner und Bauersmann, doch sollten sie Gott billig danken, der ihnen einen Einwohner und nicht einen Ausländer zum Regenten gegeben, dazu auch das Regiment nicht einer hohen, sondern geringen Person aufgetragen und einer solchen, so durch das Loos könnte weissagen. Da sie nun denselben bald wollten ansichtig werden, sollten sie zum schleunigsten ihre Gesandten abfertigen und ihn als ihren Fürsten und Herrn annehmen und auf das Schloß Wischerad führen lassen.

Deswegen erwählten sie zehn fürnehme Männer und als dieselben zu Libussa gebracht wurden, zeigte sie ihnen ihr schimmlicht Roß (Schimmel), so gesattelt und mit einer Decke bekleidet war, und befahl, daß die Abgesandten das Roß von sich selbst sollten gehen lassen, wohin es wollte, und sollten demselben nachfolgen und nicht davon weichen, bis sie zu einem Ackersmann kämen, so auf einem eisernen Tische äße. Und wenn sie ihn würden ansichtig werden, sollten sie ihn einen Fürsten heißen, ihm das königliche Prunkkleid und Schuh, welche sie [71] ihnen zugleich mitgab, anziehen und ihn auf das Schloß Wischerad bringen.

Als die Abgesandten solchen Befehl empfangen hatten, folgeten sie dem Rosse nach, im Jahre Christi 722 am eilften, oder, wie einige wollen, dreizehnten Mai, wo es hinging. Und indem es fast in die zehen Meilen Weges über Berg und Thal gangen, wendete es sich bei dem Wasser Belin oder Bile, bei einem Dorfe Stadiz, von der Straße, lief alsbald auf den Acker, der erst des meistentheils aufgerissen war, ging zu dem Ackersmann daselbst, mit Namen Primislaus, neigete sich vor ihm mit gebogenen Knien und Halse, gleich als wollte es ihm seine Reverenz und Ehrerbietung thun. Der Ackersmann blieb auf seiner Pflugschaar, so er umgewendet, sitzen, aß sein Brod und Käse brauchte die Pflugschaar anstatt des Tisches, so lange, bis die Abgesandten der Libussa Befehl vollzogen und ihn zu ihrem Fürsten beriefen und ernannten. Darauf stand er alsbald auf, nahm seine Ruthe, so von einer Haselstande gemacht, und neben dem Pfluge lag, stipfete damit die Ochsen, daß sie sollten gehen, von wannen sie kommen wären. Wie man sagt, sollen die Ochsen verschwunden, in einen Berg gangen und nicht mehr sein gesehen worden. Hernach nahm er die Ruthe, steckte die in die Erde, welche alsbald zu einer Haselstaude ward und drei grüne Zweige [72] herfür brachte, deren zween alsbald verdorrten, der dritte aber wuchs und ward zu einer großen Haselstaude, so Früchte brachte.

Als Primislaus solch Wunder sah, wendete er sich zu den Abgesandten, sagte, er müßte Gott gehorsamen, der ihn vom Pfluge zum Fürstenthume berufete, doch wollte er gewünscht haben, daß sie etwas langsamer kommen wären, daß er den Acker vollends hätte mögen aufreißen; denn solcher Gestalt würde die Macht dieses Königreichs viel gewaltiger sein worden, und würde sein männliches Geschlecht zu ewigen Zeiten regiert haben. Darauf legte er seine alte bäurische Kleidung ab, zog das fürstliche Kleid und die Schuh an, so ihm Libussa übersendet hatte, setzte sich auf das Roß und zog nach dem Schloß Wischerad, sein ehelich Beilager allda zu halten.

Als er aber ein wenig von dannen kommen und auf der Reise war, sagete er, er hätte sein Säcklein, in welchem er seine Speise und seine Schuh hatte, vergessen mit sich zu nehmen, bat derowegen, daß irgend einer wieder umkehren wollte und auf dem Acker ihm dieselben hohlen. Als sie nun gebracht wurden, fragete der Gesandten einer: warum er doch so sehr nach seinem Säcklein und Schuhen verlangete? denn er dieselben viel lieber hinweg werfen und verbergen, denn jemand sehen [73] lassen sollte, weil wegen derselben vielmehr jedermann ihn ausspotten als rühmen würde.

Darauf antwortete er: er würde vielmehr einen Ruhm dadurch erlangen, weil er sich seiner geringen Abkunft nicht schämete und ein Gedächtniß derselben hinter sich verließe, damit die nachkommenden Fürsten wegen ihrer geringen Abkunft sich desto weniger überhöben; denn dies ja ein stolzer Herr sein müsse, der sein geringes Herkommen vor Augen sähe und dennoch prangen und hoffertig sein wollte.

Der Abgesandte fragte weiter: was doch das Wunderzeichen mit den Ochsen und der Ruthe bedeutete? Darauf antwortete er: solches bedeute seine Hoheit und Ehre, zu welcher er erhoben wäre. Die Ruthe aber, aus welcher drei Zweige gewachsen, bedeutete seine drei Söhne und gleich wie zween Zweige der Hasel bald verdorret wären, also würde er zween Söhne überkommen, aber sie würden nicht lange im Leben bleiben, der dritte aber würde zu einem Regenten werden und edle Früchte bringen. Und wenn durch der Abgesandten Zukunft, sprach er, das Ackeraufreißen nicht wäre verhindert worden, sondern vollendet, so würde sein männlicher Stamm keine Endschaft bei den Böhmen gewonnen haben. Nun aber würde derselbe zwar eine lange Zeit währen, [74] doch würde er zuletzt untergehen und verfallen, wenn der Enkel den Großvater rächen würde.

Als die Abgesandten mit Primislaus zu dem Schlosse naheten, eilete ein jeder, damit er dem andern zuvorkäme und Libussa die Zeitung brächte. Es zog ihm auch Libussa entgegen und war bei jedermann große Freude und das herzogliche Beilager wurde gehalten.

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TextGrid Repository (2012). Büsching, Johann Gustav. Märchen und Sagen. Volkssagen, Märchen und Legenden. 2. Sagen und Mährchen aus Böhmen, Mähren, Ungarn und Oesterreich. 17. Libussa. 17. Libussa. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4914-F