[307] [12] Die eilfte Satyre
Von einer klugen Aufführung

Ubersetzung des siebenzehenden Schreibens aus Horatzens erstem Buche.


Wenn du den Morgen-Schlaff nicht willig kanst verlassen,
Und ungedultig wirst, falls sich auf allen Strassen,
Ein groß Getümmel regt; so sitze, wo du bist,
Und dencke, daß man auch zu Blumberg glücklich ist.
Zufriedenheit ist nicht an Geld und Gut gebunden;
Und der hat eben nicht das schlimmste Theil gefunden,
Der in der Einsamkeit den stillen Wandel treibt,
Ob gleich kein Zeit-Buch noch von seinen Thaten schreibt.
Jedennoch, wenn du dir, und auch zugleich den Deinen,
Wilst mehr zu gute thun, so must du da erscheinen,
Wo man der Fürsten Huld, weil doch des Himmels Schluß,
Sie groß, uns klein gemacht, in Demuth suchen muß.
Könt Aristippus Kraut und schlechte Kost vertragen, 1
So würd er, gleich als ich, nicht viel nach Fürsten fragen,
Rieff dort Diogenes. Doch jener säumte nicht,
Und hatte dergestalt die Antwort eingericht:
Wenn sich Diogenes bey Fürsten dürffte weisen,
So würd er etwas mehr als Zugemüse speisen.
Mich dünckt, er hatte recht. Dann, sprach er, was ich thu,
Schlägt mir zum Vortheil aus: dir sieht der Pöbel zu.
Ich opffre meinen Dienst den Grossen; die hingegen
Mit mehr, als ich bedarff, mich mildiglich verpflegen.
Mein Tisch, mein Hauß und Stall, ist kostbar aufgeschickt,
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Und du, der mir vorhin mein Schmeicheln vorgerückt,
Und glaubst, dir fehle nichts, must derer Gnade leben,
Die, aus Barmhertzigkeit, dir schmale Bissen geben.
In allerley Gestalt, in was vor einem Stand,
An was vor einem Ort sich Aristippus fand,
Da war er, ohne Zwang, bereit sich zu beqvemen,
Dem Glücke nachzugehn, und auch vorlieb zu nehmen.
Doch wenn Diogenes, wenn dieses Affenbild,
Das seinen armen Stoltz in Doppel-Tuch verhüllt,
In andre Lebens-Art sich würdig könte schicken,
Würd ich die Aenderung Verwundrungs-voll erblicken.
Ein Mann, wie jener war, bleibt allemahl beliebt,
Er borgt nicht fremden Glantz, der ihm ein Ansehn giebt;
Im Kittel, wie im Sammt, weiß er sich aufzuführen. 2
Der andre will, aus Angst, im kostbarn Zeug erfrieren,
Und schreyt: Mein alter Rock der wird mir besser stehn?
Gebt ihm den alten Rock, und laßt den Narren gehn. 3
Ein unerschrockner Held, vor dem die Feinde beben,
Kan sich durch sein Verdienst, den Sternen gleich, erheben:
Und es verdient gewiß nicht schlechten Ruhm ein Mann,
Der hoher Häupter Gunst geschickt erwerben kan.
Zwar sind, wann einer trifft, viel die darneben schiessen.
Der sitzet still, wer gern der Ruhe will geniessen,
Aus Furcht, was höhers möcht ihm nicht von statten gehn.
Gar wohl: Jedoch ist der, so sich läßt hertzhafft sehn,
Den keine Last erschreckt, und keine Furcht kan stöhren,
Biß er das Ziel erlangt, auch höher zu verehren;
Wann anders Tugend nicht auf blossem Wahn beruht,
Und edlen Preiß verdient ein unverzagter Muth.
Nun höre noch ein Wort, mag dich dein König leiden,
So hast du einerley hauptsächlich zu vermeiden.
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Sey nicht so ungestüm bey deiner Dürfftigkeit.
Wohl dem, der schweigen kan; erwarte deiner Zeit.
Ein anders ist sein Glück bescheidentlich zu bauen,
Ein anders aber ist, mit weitgespannten Klauen
Als auf den Raub zu gehn. Nimm diesen Spruch in acht!
Wie mancher meynet wohl, er hab es gut bedacht,
Wenn er, als ungefähr, läßt solche Klagen fliegen:
Mein Gut trägt wenig ein, kein Käuffer ist zu kriegen;
Die Mutter hat kein Brodt, die Schwester keinen Mann,
Weil ich nicht Unterhalt noch Brautschatz geben kan.
Mein Freund, man kennt die Kunst; du suchst was zu erschleichen.
Doch wisse, neben dir stehn andre deines gleichen,
Die warten hurtig auf, und sind so voller List,
Daß, wenn was fallen soll, man ihrer nicht vergist.
Wenn nur die Raben nicht bey ihrem Aase schrien,
Sie würden minder Zanck und Gäste nach sich ziehen.
Geschichts, daß sich dein Herr mit einer Fahrt ergötzt,
Und dich, zum Zeitvertreib, an seine Seite setzt;
So sey wohl aufgeräumt, und scheine nicht verlegen
In Schlossen und im Wind, und in den schlimmsten Wegen;
Schilt nicht, als hätte dir ein Dieb mit frecher Hand
Den Kasten aufgemacht, das Reise-Geld entwandt;
Dieß ist der alte Streich verschmitzter Buhlerinnen,
Die weinen offt um nichts, um etwas zu gewinnen:
Hier ist bald ein Rubin, ein Armband dort geraubt,
Wo aber lauffts hinaus? daß ihnen keiner glaubt,
Wenn, sonder allen Schertz, die wahren Thränen fliessen.
Du kennest jenen Schalck, der mit gesunden Füssen
Zuweilen niederfiel, als wär er krumm und lahm,
Und jeden spöttlich hielt, der ihn zu retten kam;
Was aber war sein Lohn? Er brach eins seine Knochen,
Und kam in rechtem Ernst, als Krüppel, hergekrochen.
Doch rieff, wie sehr er weint, ein jeder Nachbar aus:
Mach diß den Fremden weiß, wir sind allhier zu Hauß.
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Q. Horatii Flacci
Epistola XVII. Lib. I.

Si te grata quies, & primam somnus in horam 4
Delectat: si te pulvis strepitusque rotarum,
Si lædit caupona: Ferentinum ire jubebo. 5
Nam neque divitibus contingunt gaudia solis:
Nec vixit male, qui natus moriensque fefellit.
Si prodesse tuis, pauloque benignius ipsum
Te tractare voles; accedes siccus ad unctum.
Si pranderet olus patienter; regibus uti
Nollet Aristippus. Si sciret regibus uti,
Fastidiret olus, qui me notat.
Utrius horum 6
Verba probes, & facta, doce: vel junior audi
Cur sit Aristippi potior sententia. Namque
Mordacem Cynicum sic eludebat (ut ajunt):
Scurror ego ipse mihi; populo tu. Rectius hoc, &
Splendidius multo est. Equus ut me portet, alat Rex,
Officium facio. Tu poscis vilia: verum es
Dante minor: quamvis fers te nullius egentem.
Omnis Aristippum decuit color, & status, & res;
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Tentantem majora, fere præsentibus æquum.
Contra, quem duplici panno patientia velat,
Mirabor, vitæ via si conversa decebit.
Alter purpureum non expectabit amictum,
Quidlibet indutus celeberrima per loca vadet,
Personamque feret non inconcinnus utramque.
Alter Mileti textam cane pejus & angue
Vitabit chlamydem: morietur frigore, si non
Rettuleris pannum. Refer, & sine vivat ineptus.
Res gerere, & captos ostendere civibus hostes,
Attingit solium Jovis, & cælestia tentat.
Principibus placuisse viris, non ultima laus est.
Non cuivis homini contingit adire Corinthum. 7
Sedit, qui timuit ne non succederet. Esto!
Quid? qui pervenit, fecitne viriliter? Atqui
Hic est, aut nusquam, quod quærimus. Hic onus horret,
Ut parvis animis, & parvo corpore majus:
Hic subit, & perfert. Aut virtus nomen inane est,
Aut decus, & pretium recte petit experiens vir.
Coram Rege suo de paupertate tacentes,
Plus poscente ferent. Distat, sumasne pudenter,
An rapias. Atqui rerum caput hoc erat, hic fons.
Indotata mihi soror est, paupercula mater,
Et fundus nec vendibilis, nec pascere firmus,
Qui dicit: clamat, victum date. Succinit alter,
Et mihi dividuo findetur munere quadra.
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Sed tacitus pasci si posset corvus, haberet
Plus dapis, & rixæ multo minus, invidiæque.
Brundusium comes, aut Surrentum ductus amænum, 8
Qui queritur salebras, & acerbum frigus, & imbres,
Aut cistam effractam & subducta viatica plorat:
Nota refert meretricis acumina, sæpe catellam
Sæpe periscelidem raptam sibi flentis: uti mox
Nulla fides damnis, verisque doloribus adsit.
Nec semel irrisus triviis attollere curat
Fracto crure planum: licet illi plurima manet
Lacryma; per sanctum juratus dicat Osirin:
Credite, non ludo, crudeles: tollite claudum!
Quære peregrinum, vicinia rauca reclamat.

Fußnoten

1 Aristippus war ein Griechischer Weltweiser an dem Hofe des Sicilianischen Tyrannen Dionysius, und wuste sich besser, als andere seines gleichen, in das Hof-Leben zu schicken. Das Gespräch, welches von dem Poeten hier eingeführet wird, ist würcklich zwischen diesem Aristippus und dem beruffenen Cynischen Diogenes vorgefallen; wie solches Diogenes Laertius in der Lebens-Beschreibung des Aristippus ausführlich erzehlet.

2 Aristippus, wuste sich in alles wohl zu schicken, daher sagte Plato einsmahls zu ihm, als er ihn nach ausgestandenem Schiffbruch, sehr übel bekleidet sahe: Dir allein ists gegeben, so wohl Seiden als Lumpen zu tragen.

3 Aristippus hatte den Diogenes mit sich ins Bad geführet, und heimlich den Bade-Bedienten befohlen, dem Diogenes, statt seines alten abgetragenen Rocks, ein kostbares Kleid von Milet hinzulegen; aus welcher Stadt in Asien, damahls die kostbaren Stoffe nach Griechenland, wie noch itzt zu uns aus der Türckey, gekommen. Als aber Diogenes aus dem Bade stieg, und kein anderes als dieses prächtige Kleid fand, wolte er lieber nackigt nach Hause gehen; gab sich auch nicht eher zu frieden, biß man ihm seinen schmutzigen Rock wieder zugestellet hatte.

4 Im Lateinischen stehen zu Anfange noch fünff Verse, die der Ubersetzer mit Fleiß weggelassen, weil sie nichts sonderliches, als eine Anrede an einen den Auslegern selbst unbekannten Römischen Ritter enthalten, der den Beynahmen Scäva geführet.

5 Ferentinum war ein einsamer Flecken in Latien, nach Daciers und Cellarius Meynung, zwischen Anagnia und Frusino; für welches Dorff der Ubersetzer nicht unbillig ein anderes, nemlich sein Land-Gut Blumberg, gesetzt.

6 Weil der Ubersetzer die Anrede an den Scäva im Anfange dieser Satyre weggelassen, so hat er mit Fleiß die lateinischen Worte, so nur den Scäva angehen, hier auch nicht verteutschen wollen; sondern den Innhalt zusammen gezogen.

7 Die berüchtigte Buhlerin Lais zu Corinth ließ sich ihre Gunst so theuer bezahlen, daß nicht jeder reich genug war, ihrentwegen aus der Fremde dahin zu reisen, so hefftig er sich gleich nach ihr sehnen mochte. Daher entstund von einem ieden schweren Unternehmen das Griechische Sprichwort: Es ist nicht jederman vermögend nach Corinth zu kommen. Davor hier der Herr von Caniz wohlbedächtig unser teutsches Sprichwort gesetzt, welches von den Schützen herkommt, die alle nach einem Zwecke zielen, aber nicht alle treffen.

8 Brundisium ist das ietzige Brindisi im Neapolitanischen, wohin des Sommers, wegen der schönen Gegend, die vornehmen Römer auf ihre Lust-Schlösser zu reisen pflegten, wie dann Mäcenas den Horatz öffters mit dahin geno ien. Surrentum, heut zu Tage Sorrento, eine Stadt in dem lustigen Campanien an dem Vorgebürge der Minerva, ward von den Römern, eben wie die vorige, zur Sommers-Zeit besucht. Der Ubersetzer hat in der Verteutschung nur überhaupt von einer Lust-Reise gesprochen, weil er zwischen den nöthigen und unnöthigen Umständen in einer Ubersetzung den rechten Unterscheid sehr wohl zu machen gewust.

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TextGrid Repository (2012). Canitz, Friedrich Rudolph Ludwig von. Gedichte. Satyren und Ubersetzungen. [12] Die eilfte Satyre. [12] Die eilfte Satyre. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4A36-A