In meiner Mutter Hütte, – laßt mich weinen!
Ja, bringt die alten Tränen mir zurück,
Ihr alten Bilder, wollt ihr mir erscheinen! –
In meiner Mutter Hütte war das Glück;
Die Liebe schaffte still mit leiser Hand
Und leuchtet' über uns im Mutterblick.
Da hing ein seltsam Bildnis an der Wand,
Davor wir lernten unsre Hände falten
Und Worte sprechen, die ich nicht verstand;
Und hatten wir am Tag uns fromm verhalten,
So nahten unsern Wiegen sich die Träume
Als lichter Engel segnende Gestalten.
Vor unsrer Hütte lagen sonn'ge Räume,
Um diese breiteten ein duft'ges Zelt
Die dichten Reihen hoher Lindenbäume.
Noch war der Umkreis unsre ganze Welt,
Und von dem Bache jenseits längs dem Hage
Die äußerste der Grenzen uns gestellt;
Und hier am Ufer stand ich lange Tage,
Hier zog und hielt mich wie ein böser Traum
Mit fieberhaft erhöhtem Herzensschlage,
Zu schaun hinüber nach dem fernen Saum,
Dem blauen Nebelring, beschränkend dort
Den grünen, weiten, ausgespannten Raum;
Zu sehnen mich hinüber fort und fort
In jene rätselhafte blaue Weite,
Der Schranke zürnend, die mich hielt am Ort.
Da dacht ich: wärst du erst auf jener Seite
Des Wassers! dieses Wasser aber muß
So tief nicht sein. Ich war mit mir im Streite.
Bald reifte der Gedanke zum Entschluß,
Ich stieg hinein, es wuchs mir das Vertrauen,
Es trug an jenes Ufer mich mein Fuß.
Und vorwärts, ohne hinter mich zu schauen,
In grader Richtung hub ich an zu wallen
Dem blauen Streifen zu durch blühnde Auen.
Der Mutter Nachruf hört ich wohl erschallen
[388]Und, wie ich unaufhaltsam vorwärts schritt,
In schauerliche Stille bald verhallen.
Grün ward der Boden rings um meinen Tritt,
Da vor mich hin, so wie ich vorwärts drang,
Der blaue Nebel fern und ferner glitt.
Und wie ich so im Zauberkreise rang,
Besann ich mich; da war ich müd und alt,
Die Heimat hinter mir verschwunden lang.
Und vorwärts, unablässig vorwärts galt
Es durchzudringen; wie die Hoffnung schwand,
Da änderte der Boden die Gestalt.
Das Grün erstarb, es schien das öde Land
Beraubt des Schmuckes lechzend zu erblassen,
Ein ausgebrannter, windbewegter Sand.
Die Ferne schien in Formen sich zu fassen,
Ich sah den blauen Nebel halb zerrissen
Und halb erstarren zu begrenzten Massen;
Und Ebenmaß und Ordnung zu gewinnen
Schien meinem Aug ein riesenhafter Bau
Mit luft'gen Türmen und mit zack'gen Zinnen;
Der stieg vor mir, entfaltend sich zur Schau,
Aus nackter Ebne mehr und mehr empor
Am Horizonte fern noch blau auf blau.
Zu wogen schien ein klarer See davor,
Den Durstgequälten lockend lügenhaft,
Der staunend in Gedanken sich verlor.
Beharrlich setzt ich fort die Wanderschaft
Mit wundem Fuß und ausgedorrten Lippen,
Und strengte standhaft an die letzte Kraft.
Das Wasser floh vor mir, es stiegen Klippen
Aus dessen Spiegel und dem sand'gen Plan,
Der Bau zerfiel zu schroffen Felsgerippen.
Ich stieg auf nacktgebrannter Felsenbahn,
Auf scharfen Steinen und zerspaltnem Grunde
Den Abhang des Gebirges schon hinan.
Und steiler ward der Pfad mit jeder Stunde,
Der Kiesel schärfer in der Schluchten Schoß,
Darüber troff mein Blut aus mancher Wunde.
Die zack'gen Gipfel starrten nackt und bloß,
Die Wüste schwieg, des Lebens ganz beraubt;
Kein Wurm und kein Getier, kein Halm, kein Moos!
[389]Und wie bereits erklommen ich geglaubt
Den Scheitel des Gebirges, sah ich ragen
Hoch über mir ein andres Felsenhaupt.
Kaum wollten meine Glieder noch mich tragen,
Ich kroch hinauf; von dorten sah ich nur
Ein Meer von Trümmern starre Wellen schlagen.
Kein Quell, kein Grün, von Leben keine Spur!
Hier hält mich, sonder Ausgang, fast erschrocken,
Die tote, die entgötterte Natur.
Ich schüttle mit Verzweiflung greise Locken;
Der Durst! der Durst! o gebt mir meine Tränen!
Das Herz ist dürr, die Augenhöhlen trocken.
Wie lange wird sich diese Marter dehnen?
Wird Wahnsinn grinsend mir ins Auge starren?
Wirst du, Vernichtung, hungrig nach mir gähnen?
Du läßt den schon Erstorbenen noch harren!