Der Szekler Landtag

Ich will mich für das Faktum nicht verbürgen,
Ich trag es vor, wie ich's geschrieben fand,
Schlagt die Geschichte nach von Siebenbürgen.
Als einst der Sichel reif der Weizen stand
In der Gespannschaft Szekl, da kam ein Regen,
Wovor des Landmanns schönste Hoffnung schwand.
Es wollte nicht der böse West sich legen,
Es regnete der Regen alle Tage,
Und auf dem Feld verdarb der Gottessegen.
Gehört des Volkes laut erhobne Klage,
Gefiel es, einen Landtag auszuschreiben,
Um Rat zu halten über diese Plage.
Die Landesboten ließen nicht sich treiben,
Sie kamen gern, entschlossen gut zu tagen,
Und Satzungen und Bräuchen treu zu bleiben.
Da wurde denn, nach bräuchlichen Gelagen,
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Der Tag eröffnet, und mit Ernst und Kraft
Der Fall vom Landesmarschall vorgetragen:
»Und nun, hochmögende Genossenschaft,
Weiß einer Rat? Wer ist es, der zur Stunde
Die Ernte trocken in die Scheune schafft?«
Es herrschte tiefes Schweigen in der Runde,
Doch nahm zuletzt das Wort ein würd'ger Greise
Und sprach gewichtig mit beredtem Munde:
»Der Fall ist ernst, mit nichten wär es weise,
Mit übereiltem Ratschluß einzugreifen;
Wir handeln nicht unüberlegter Weise.
Drum ist mein Antrag, ohne weit zu schweifen:
Laßt uns auf nächsten Samstag uns vertagen;
Die Zeit bringt Rat, sie wird die Sache reifen.«
Beschlossen ward, worauf er angetragen.
Die Frist verstrich bei ew'gen Regenschauern,
Hinbrüten drauf und bräuchlichen Gelagen;
Der Samstag kam und sah dieselben Mauern
Umfassen noch des Landes Rat und Hort,
Und sah den leid'gen Regen ewig dauern.
Der Landesmarschall sprach ein ernstes Wort:
»Hochmögende, nun tut nach eurer Pflicht,
Ihr seht, der Regen regnet ewig fort.
Wer ist es, der das Wort der Weisheit spricht?
Wer bringt in unsres Sinnens düstre Nacht
Das lang erwartete, begehrte Licht?
Zur Tat! ihr habt erwogen und bedacht.
Ich wende mich zuerst an diesen Alten,
Des Scharfsinn einmal schon uns Trost gebracht:
Ehrwürd'ger Greis, laß deine Weisheit walten.«
Der stand und sprach: »Ich bin ein alter Mann,
Ich will euch meinen Rat nicht vorenthalten.
Wir sehn es vierzehn Tage noch mit an,
Und hat der Regen dann nicht aufgehört,
Gut! regn' es denn, so lang es will und kann.«
Er schwieg, es schwiegen, die das Wort gehört,
Noch eine Weile staunend, dann erscholl
Des Beifalls Jubel-Nachklang ungestört.
Einstimmig, heißt es in dem Protokoll,
Einstimmig ward der Ratschluß angenommen,
Der nun Gesetzeskraft behalten soll.
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So schloß ein Szekler Landtag, der zum Frommen
Des Landes Weiseres vielleicht geraten,
Als mancher, dessen Preis auf uns gekommen.
So wie die Väter stolz auf ihre Taten
Nach bräuchlichen Gelagen heimgekehrt,
Erschien die Sonne, trockneten die Saaten,
Und schwankten heim die Wagen goldbeschwert. –

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Sonette und Terzinen. Der Szekler Landtag. Der Szekler Landtag. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4C52-D