Die Retraite

Am Sonntag Abend auf dem Werder waren
Zum lust'gen Walzer in dem Fischerkrug
Die sechs Trompeter da von den Husaren.
Herüber von dem andern Ufer trug
Sie noch das Eis, nun gab es Spiel und Tanz;
Es waren zum Orchester fünf genug.
Der sechste hielt sich abgesondert, Franz,
Er kos'te wohl mit seiner Braut verstohlen,
Der Margarethe, der gehört er ganz.
»Wir haben unsre Sache Gott befohlen,
Und hat der Frühling erst den Fluß befreit,
So komm ich nur, hinüber dich zu holen.«
»O Franz! und diese lange, bange Zeit!
Wie soll ich, dich zu sehen, mich entwöhnen,
Du bist mein Leben, meine Seligkeit!« –
»Du hörst mich, hörest die Trompete dröhnen,
Sie wird dir meiner Liebe Botschaft bringen
Bei der Retrait' in Nachhalls-Zittertönen.
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Wenn diese letzten Töne zu dir dringen,
Ich bin's, gedenke mein, dann weht von drüben
Dir meine Seele zu auf ihren Schwingen.
Mag doch der Eisgang kurze Feindschaft üben,
Der Frühling unsrer Liebe wird erwachen,
Und keine Trennung fürder uns betrüben.« –
»Hört auf! wer mag noch lärmen hier und lachen!«
Ein Fischer sprang herein und schrie das Wort;
»Hört ihr denn draußen nicht des Eises Krachen!?
Ihr Herrn, die ihr hinüber müßt, macht fort;
Stromauf! da hält sich's länger, bis es bricht,
Dem Lichte zu am andern Ufer dort!« –
»O Franz, bleib hier!« – »Mein Lieb, ich darf es nicht,
Nicht Urlaub hab ich.« – »Meines Vaters Haus...« –
»Ich bin Soldat und kenne meine Pflicht.« –
»O lieber Franz, in solchem nächt'gen Graus...!« –
»Wir scheiden ja, mein Lieb, zum letzten Male;
Laß ab! sei stark! die andern sind voraus.«
Stromauf, schräg über, nach dem Lichtsignale,
Sie schritten schnell und schweigsam durch die Nacht,
Erhellt von keines Sternes bleichem Strahle;
In Nebeln, von dem Winde hergefacht,
Schien ihnen oft das Lichtlein zu verschweben;
Sie schritten zu, als ging es in die Schlacht.
Sie fühlten unter sich das Eis erbeben,
Und hörten's grausig donnernd sich zerspalten,
Und sahn es aufgerissen sich erheben;
Und wie des Abgrunds Stimmen rings erschallten,
Beflügelten den Lauf sie landhinan,
Erst jenseits auf dem festen Grund zu halten.
Und wie sie dort erreicht den Rettungsplan,
Da zählten sie und zählten – »Gott und Vater!
Wir sind nur fünf! es fehlt der sechste Mann!
Der fehlt, ist Franz; sie hielt ihn auf; was tat er?
Doch seht den Schatten dort! das muß er sein,
Im windgefegten Schneegewölke naht er.
Franz! Franz! gib Antwort! – keine Antwort! nein,
Er ist es nicht. Das Schneegewölk zerfallen,
Stumm, ebenmäßig, hüllt die Nacht uns ein.«
Und von dem Strome her, wo wirbelnd wallen
Die Schollen und einander sich zerschmettern,
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Hört laut man wohlbekannten Ton erschallen;
Der ehernen Trompete mutig Schmettern,
Retrait'! ihm selbst Posaune des Gerichtes,
Es ruft dem Tode, nicht den ird'schen Rettern.
Und stromabgleitend fern und ferner bricht es,
Und leis und leiser, aus der Nacht hervor,
Ein Hauch der Ahnung überird'schen Lichtes.
Dem Krug vorbei! da lauschet wohl ein Ohr!
Und lang gezogen, leise zitternd schwingen
Des Nachhalls letzte Töne sich empor. –
»Wenn diese letzten Töne zu dir dringen,
Ich bin's, gedenke mein, dann weht von drüben
Dir meine Seele zu auf ihren Schwingen.
Mag doch der Eisgang kurze Feindschaft üben,
Der Frühling unsrer Liebe wird erwachen,
Und keine Trennung fürder uns betrüben.«
Und unterwärts erschallt mit Donners-Krachen
Das Eis, das Scholle sich auf Scholle ballt,
Und dröhnend öffnet sich des Todes Rachen.
Es schweigt, die letzten Töne sind verhallt.

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Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Chamisso, Adelbert von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe letzter Hand). Sonette und Terzinen. Die Retraite. Die Retraite. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4CC2-4